Buchübersetzungen Artikel und Buchauszüge Home
DR. ARTHUR JANOV: DIE JANOV-LÖSUNG Primärtherapie - Ein Weg aus der Depression
Die amerikanische Originalausgabe mit dem Titel "THE JANOV SOLUTION - Lifting Depression Through Primal Therapy" erschien anno 2007 bei SterlingHouse Books, Pittsburgh, PA 15218. © Copyright 2007 Dr. Arthur Janov
aus dem Amerikanischen von Ferdinand Wagner
Es gibt zurzeit keine deutsche Übersetzung auf dem Buchmarkt |
Über dieses Buch Der Autor des Urschreis bietet an, das Leiden 'Depression' zu beenden. Dr. Arthur Janovs Buch Der Urschrei ist eines der populärsten Psychologie-Sachbücher, die je geschrieben wurden. Jetzt hat Dr. Janov ein Buch verfasst, das einen Durchbruch im Bereich der psychischen Gesundheit verspricht. Die Janov-Lösung stellt brilliante neue Techniken vor, um Depression auszurotten und somit das Bedürfnis nach antidepressiven Medikamenten, Elektroschock und sogar Gehirnchirurgie zu reduzieren oder zu beseitigen. Die Janov-Lösung erklärt in klarer, leicht verständlicher Sprache, wie Primärtherapie uns helfen kann, sicheren Zugang zu den tiefsten Gehirnebenen zu erlangen und die Urerfahrungen wieder zu erleben, die Verzweiflungsgefühle verursachen und antreiben. Somit können wir lernen, Depression für immer zu besiegen. Die Janov-Lösung ist nichts weniger als ein bahnbrechendes Buch für die Millionen Menschen, deren Leben aufgrund von Depression, Angst und lähmenden Trübsinns vielleicht auf dem Spiel steht.
|
TEIL I
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort (ix)
Einleitung:
Warum keine Anleitungen
(xi)
Kapitel
1:
Heil Psychotherapie!
(1)
Kapitel 2: Das Monster namens Depression (7)
Kapitel 3: Die Einprägung und die Entwicklung des Selbst (17)
Kapitel 4: Der Prototyp: Sympathen und Parasympathen (29)
Kapitel 5: Die Chemie der Depression (Wie sich Erinnerung einprägt) (45)
Kapitel 6: Gesprächstherapien sind der Einprägung nicht gewachsen (81)
Kapitel 7: Die Wurzeln der Depression erforschen (Wiedererleben) (91)
Kapitel 8: Wie Depression die Macht ergreift (103)
Kapitel 9: Depression und Angst: Verschiedene Wege, um mit demselben Schmerz fertig zu werden? (115)
Kapitel 10: Vom Selbstmord besessen (123)
Kapitel 11: Du stirbst, wie du geboren wurdest (143)
Kapitel 12: Medikamente kontra Psychotherapie (159)
Kapitel 13: Schlussfolgerung: Die Depression besiegen (165)
Index (173)
Einige von uns leben in einem Universum aus Schmerz,
in dem wir den Kopf hängen lassen, das Gewicht der ganzen Welt auf
unseren Schultern tragen und uns nicht bewusst sind, dass es ein anderes
Universum gibt, in dem die Menschen erhobenen Haupts umherwandeln und Liebe in ihrem
Herzen tragen, für jeden ein Lächeln haben und sich des Lebens
freuen. Andere haben nur sporadische Depressionen, die von Zeit zu Zeit
wiederkehren, und sie wissen nie, woher sie kommen; vielleicht denken sie
„Was soll’s? Ich kann dem Leben eh’ nicht viel abgewinnen.“
Wir
eröffnen unseren Lesern die Erkenntnis eines neuen Universums; das Universum
der Freude, der Liebe und des Fühlens – wo Depression nur eine ferne
Erinnerung ist, wo Energie die Lethargie ersetzt und Interesse die
Teilnahmslosigkeit, wo man aufwacht und freudig den Tag begrüßt, wo das
Leben kein endloser Albtraum mehr ist, kein Leben, das man in trübem, grauem
Nebel verbringt, sondern vielmehr eines voller Licht und Farbe. Es bedeutet,
lebendig zu werden. Mein Onkel sagte einmal zu mir: „Mache nie falsche
Versprechungen.“ Ich verspreche, das werde ich nicht tun. Schauen Sie, ob Sie
mir zustimmen können.
Einführung:
In
diesem Buch geht es um Depression und ihre Heilung. Es enthält keine
Anleitungen, keine „Wie-man’s“, keine Regeln, die es zu befolgen gilt,
und nichts zum Auswendiglernen. Die Frage lautet: Warum gibt es keine
Anleitungen? Warum behaupte ich nicht, dass man glückliche Gedanken haben,
sich im Freien ertüchtigen, eine Glückspille nehmen oder versuchen muss,
Freunde zu treffen? Weil nichts davon funktioniert. Oder vielmehr, nichts
davon heilt, aber Heilung ist möglich. Wir werden lernen, dass die Wurzeln
der Depression außerordentlich tief liegen und dass diese zugrunde liegenden
Wurzeln ungeachtet der Fassade, die wir unserer Depression aufsetzen, unberührt
bleiben. Nachdem ich Hunderte Depressiver behandelt habe – die meisten
erfolgreich - finde ich einen allen gemeinsamen Zusammenhang: die
Geburtssequenz. Allein das mag viele Leser und die meisten Psychotherapeuten
abschrecken. Aber lassen Sie mich ausreden. Es ist keine Laune oder Grille,
worüber ich diskutiere, sondern es sind biologische Wahrheiten. Jede
Anleitung, die in der Verhaltenstherapie gegeben wird, dient nur dazu, die
Wahrheit zu überdecken. Wenn man nie gesehen hat, wie die Geburt wiedererlebt
wird, dann übersieht man leicht ihre große Wirkung. Wir haben lange genug
geforscht, um zu wissen, wie wichtig frühe Erfahrung für späteres Leiden
ist.
Wenn man zur Behandlung Anleitungen verwendet, dann muss man gezwungenermaßen
mechanische Maßnahmen ergreifen und in statistischen Erhebungen nach Beweisen
oder Bestätigungen suchen. Eine Anleitung von einem Therapeuten bedeutet,
dass es „Sollte“- und „Sollte-nicht“-Regeln gibt. Im Grunde ist es
eine Moralposition des Arztes, der dem Patienten sagt, wie er leben soll –
so und so oft die Pillen abzusetzen, wenn man arbeiten gehen kann. Wenn wir
uns mit Gefühlen befassen, dann können wir die Therapie in Qualitätsbegriffen
messen – Lebensqualität und Gefühlsqualität. Ich glaube, dass keine
„Sollte“-Regeln nötig sind, wenn der Patient fühlt und Zugang zu seinen
tief vergrabenen Gefühlen hat, und niemand muss einem anderen sagen, wie er
oder sie leben soll.
Das übliche Arrangement der konventionellen Psychotherapie wendet sich gegen
die Aufdeckung tiefer Realitäten. Aufrecht sitzen und die Angelegenheit
Die Vorstellung, dass mechanische Übungen, wie etwa mehr lachen, ausgehen und
Freunde besuchen, die Tiefe der Depression ungeschehen machen kann, ist reine
Candide- ("schau’ auf die helle Seite") Pollyanna-Lösung für
Probleme, die von alten historischen Kräften verursacht werden. Regeln
helfen dabei, tiefem Schmerz eine andere Fassade aufzusetzen. Und den finden wir
bei unseren Depressiven. Wenn man sieht, wie andere glücklich sind, macht es
einen manchmal umso deprimierter. Übungen? Die kanalisieren die Schmerzenergie
für kurze Zeit. Das Problem mit all den „Wie-man’s“ und mechanischen Übungen
ist, dass man sie immer wieder machen muss, weil sie alle flüchtige Notbehelfe
sind. Anleitungsbücher gibt es endlos viele, weil sie sich nicht mit Ursachen
befassen können und es nicht tun. Stattdessen bieten sie eine unendliche
Aufmachung kesselflickender Mechanismen. Das machen sie, weil man, um sich mit
Ursachen zu befassen, zu den genauen Gegenpolen des verbalen/expressiven Geistes
vordringen muss, um die Ereignisse und dazugehörigen Gefühle ausfindig zu
machen, die verankert wurden, bevor wir das Tageslicht auf diesem Planeten sahen
und bevor wir ein Wort sprechen konnten. Wir können nicht mit etwas sprechen,
das keine Sprache spricht.
Es gibt keine 10 Schritte zur Gesundheit; wir können keiner „yellow brick
road“ ins Nirwana folgen. Wie wir sehen werden, ist Depression ein Zustand
massiver Verdrängung vieler Gefühle und Einprägungen. Sie müssen in
zeitlicher Reihenfolge von den jüngsten zu den am weitesten zurückliegenden
wiedererlebt werden. Meine Depressiven haben viele Gefühle gemeinsam, und diese
stammen aus ähnlichen Geburtsgeschichten. Ich habe diese Idee nicht ausgeheckt
und dann auf Patienten angewandt. Ich habe einfach aufgeschrieben, was sie
sagten und durchgemacht hatten. Aus meinen Beobachtungen habe ich eine Theorie
aufgestellt. Der Grund, dass wir vorher nicht dorthin gegangen sind, besteht
darin, dass die Tiefen des Unbewussten niemals erforscht worden sind. Wenn wir
nichts über die Tiefen wissen, die es zu ergründen gilt, werden wir keinen Weg
finden, um dorthin zu gelangen. Wenn wir auf der verbalen Ebene bleiben, werden
wir die Erinnerungen, die tief im Gehirn aufgezeichnet sind, nie erreichen. Wenn
zum Beispiel depressive Patienten in die Therapie kommen, kann ihre Körpertemperatur
im Zustand tiefer Depression auf 94,5 oder 95 Grad (F) [=
34,7°(C) oder 35°(C)] absinken. Nachdem jemand eine tiefe Hoffnungslosigkeit
wiedererlebt, kann sich seine Körpertemperatur auf 98,6 (F) [=
37°C]
normalisieren. Das ist nur eine von vielen Kontrollen, die wir haben. Die
Gehirnstrukturen, welche die Temperatur im Körper kontrollieren, befinden sich
tief im Gehirn. Die Tatsache, dass die Therapie die Sollwerte der Körpertemperatur
ändert, zeigt mir an, dass wir tiefliegende Teile des Zentralnervensystems
beeinflusst haben.
Der
Depressive ist im Großen und Ganzen ein Parasympath – jemand, dessen
Gesamtsystem zu diesem Teil des Nervensystems (dem parasympathischen) verschoben
ist. Dieser Unterabschnitt des Nervensystems wird vom Hypothalamus kontrolliert.
Es ist ein Ruhe-, Entspannungs- und Reparatursystem, ein System, das gewöhnlich
Untersekretion erzeugt. Es ist das System, das sich aus der „Gefrier“-
Reaktion bei Tieren entwickelt hat, die sich mit der Zeit herausbildete, um die
Fähigkeit zu hemmen, auf Gefahr eine unmittelbare und aggressive Reaktion
erfolgen zu lassen. Manchmal besteht die beste Abwehr darin, nichts zu tun oder
wenigstens einen Augenblick nachzudenken und zu überlegen, bevor man reagiert.
Ein Schlüsselmerkmal dafür ist die Körpertemperatur, die fast immer
universell niedrig bei diesen Patienten ist und vom parasympathischen
Nervensystem kontrolliert wird. Sie erzählt von einem Geburts- oder
Vorgeburtstrauma, welches das System in Richtung Passivität, Verzweiflung,
Niederlage und Reaktionsunfähigkeit verschoben hat. Danach kontrolliert es
unser Verhalten und unsere Symptome. Migräne ist zum Beispiel oft
Reaktionsbestandteil dieses Systems: ein Verschließen (Zusammenziehen) der
vaskulären Blutzirkulation, dem massive Erweiterung folgt.
Wenn
man tiefe Gefühle, eingekapselte und ferne Einprägungen, ignoriert, dann übersieht
man sie leicht bei der Behandlung von Depression. Dann hat man keine andere
Wahl, als Anleitungen oder Vorschriften anzubieten. Dann kann man nur versuchen,
die aufwallende Kraft des Schmerzes zurückzudrängen, da Verdrängung von frühem
Schmerz zu keiner anderen Alternative führt. „Auf die helle Seite zu
schauen“ ist eine religiöse Idee, die man ins Reich der Psychotherapie befördert
hat. Die „Kraft des positiven Denkens“ überlässt man am besten der Kirche,
weil unser inneres System, so sehr wir auch auf die helle Seite schauen wollen,
auf die dunkle Seite schaut. Warum? Weil die eingeprägte Erinnerung dunkel und
schmerzvoll ist. Man kann jedoch zu ihr gelangen und sie auslöschen. Ich habe
meine Patienten so tief und weit wie möglich in ihre Vergangenheit gebracht,
und ich habe nie einen Dämon gefunden oder eine dunkle, teuflische Kraft.
Alles, was ich je gesehen habe, ist abgesonderter Schmerz. Alles, was es dort
gibt, ist ein reines Bedürfnis, das aus der Kleinkindzeit übriggeblieben ist,
als diese Bedürfnisse hätten erfüllt werden sollen.
David
Laplante und Michael Meaney von der McGill Universität in Kanada schreiben
Folgendes: „Wir vermuten, dass ein hohes pränatales Stressniveau, dem der
Fetus ausgesetzt ist, insbesondere in der frühen Schwangerschaftszeit seine
Gehirnentwicklung beeinträchtigen kann.“ („Stress During Pregnancy
Affects General Intellectual and Language Functioning in Human Toddlers.“
David Laplante, Michael Meaney, et al., Pediatric Research, Vol. 56, No. 3,
2004.) Sie
untersuchten schwangere Frauen während eines schweren Eissturms in Kanada im
Jahr 1998. In dieser Studie vermerken sie: „Prägung bei der Geburt kann
Individuen für gewisse Verhaltensmuster prädisponieren, die den größten Teil
des Erwachenenlebens maskiert bestehen bleiben.“
K.J.S Anand und seine Kollegen stellen fest, dass bei einer Reihe von
gewaltsamen Selbstmorden „die signifikanten Risikofaktoren jene perinatalen
Ereignisse waren, die wahrscheinlich Schmerz beim Neugeborenen verursacht
haben.“ (Seite 70). Sie zeigen auch auf, dass die schwangeren Frauen, die
schwer rauchten, Babys hatten, die später mehr zu Kriminalität neigten. Und Mütter,
die während der Schwangerschaft Drogen nahmen, hatten Kinder, die weit mehr zum
Drogenkonsum neigten, sowohl zu schweren Opiaten (Morphin) als auch zu Speed
(Amphetamin). Es gibt jetzt buchstäblich Hunderte von Studien, welche die
Hypothese über frühe Prägungen/Einprägungen untermauern, wie sie andauern
und unsere Systeme verändern.
Das
ist neues Material. Vor etwa 20 Jahren hatte man an solche Forschung größtenteils
nicht gedacht. Die meisten klinischen Studien bestätigen, was wir seit beinahe
40 Jahren sagen. Die Beweise dafür werden jetzt von Wissenschaftlern nicht in
Frage gestellt. In Frage gestellt wird die Notwendigkeit, das alles
wiederzuerleben. Unter uns gibt es kaum einen Psychotherapeuten, der an die
absolute Notwendigkeit glaubt, alte Ereignisse wiederzuerleben und ihre Prägungen
zu ändern, und dennoch ist es genau dieser Prozess, der heilsam ist. Könnte
ich sagen, dass der einzige heilsame Prozess einer ist, der sich mit
Geschichte und Erinnerung befasst?
Einprägungen
stehen gewöhnlich nicht im Lexikon des Therapeuten; wenn neun Monate fetalen
Lebens übersehen werden, dann gibt es keine Wahl: Regeln und noch mehr Regeln,
10 oder12 Schritte ins Nirwana, etc. Gefühle sind das Gegenteil von Regeln.
Regeln sind ein ursächlicher Faktor bei Depression. Zu oft wuchs der Depressive
mit Regeln und Vorschriften auf anstatt mit Wärme, Freundlichkeit und Zärtlichkeit.
Zu oft gehen sie in eine Therapie, die Regeln hat – bekannt als Verhaltens-
oder kognitive Therapie, ein Versuch, das Verhalten zu ändern, welcher
Benimmregeln einbezieht. Der Ansatz lautet im Grunde: „Mach’ etwas mit
mir.“ Unglücklicherweise macht man in den meisten konventionellen Therapien
etwas mit dem Patienten. Es ist, was die Eltern getan haben und was jetzt großgeschrieben
wird. Die Person ist Empfänger einer Vielzahl von Manipulationen. Wenn wir Gefühle
ignorieren, muss „etwas mit uns gemacht werden.“ Das geschah mit vielen von
uns, als wir aufwuchsen,- herumkommandiert werden ohne Rücksicht, wie wir uns fühlen.
Das kann so subtil sein wie zum Beispiel ein Kind nie zu fragen, was es zum
Essen haben will. Unterschwellig aber lernt es, dass seine Bedürfnisse und Gefühle
nicht zählen. Wir wollen diesen Fehler bestimmt nicht verschlimmern.
Wenn
sich die Auffassung über Depression von der Biologie löst, wird sie flüchtig
und vage und eignet sich nur für Verhaltenserklärungen. Diagnose in der
Psychotherapie ist zu oft eine Sache der Nomenklatur – eine Diagnose, welche
die Neurologie übersieht und den Körper, der das alles beherbergt. Sie wird zu
Therapeutenworten, die andere Worte des Patienten beschreiben. Patient: „Ich fühle
mich oft niedergeschlagen.“ Therapeut: Er sagt, er fühlt sich
niedergeschlagen. Hört sich für mich wie Depression an.“ Fragt er: „Was
ist in den tieferen Bereichen des Gehirns und im Unbewussten los?“ Nicht
wirklich. Wenn er darüber nachdenkt, antwortet er wahrscheinlich: „Nun,
lassen wir das jetzt beiseite.“ Das, was ein Patient sagt, in psychologischem
Fachchinesisch wiederzugeben, bringt die Wissenschaft nicht voran noch macht es
sie verständlicher. Es übersetzt einfach etwas ziemlich Einfaches in etwas
schrecklich Kompliziertes. Es ist, um einen französischen Ausdruck zu
gebrauchen, als wolle man das Haar vierteilen. Wenn wir diese Aussage in
neurobiologische Realitäten übersetzen können und sie uns zu den Ursprüngen
führen lassen, wird sie zur Wissenschaft und wir haben Fortschritte gemacht.
In
der Primärtherapie wird der Patient zum Therapeut, indem er lernt, wie er
Zugang zu sich selbst findet und wie er fühlt. Er hat alle Einsichten und
braucht keinen Anstoß oder Anfeuerung von außen. Das ist nicht unsere Rolle.
Der Therapeut ist lediglich der Katalysator, der ermöglicht, dass die Heilkräfte
in Gang kommen. Der Therapeut „heilt“ den Patienten nicht. Der hat die
Macht, es selbst zu tun. Wir entfernen die Barrieren (die Abwehr) gegen das Fühlen,
und danach nimmt die Natur ihren Lauf. Ein
Primal zu haben ist ein völlig natürlicher Prozess, der in der frühen
Kindheit irgendwie Wegelagerern zum Opfer fiel. Ein Primal ist nur der Prozess,
in dem man den Schmerz fühlt, der bereits in unser System eingeprägt ist.
Andererseits gibt es für den Therapeuten ein spezielles Verfahren, mit dem er
die Abwehr entfernt, ohne den Patienten zu schädigen. Keine Formel. Das Wesen
der „Wie-man“-Methode besteht immer darin, das Biest zeitweise zu zähmen.
Das Problem ist, dass wir das „Biest“ sind, unsere Neurologie und Biochemie.
Es gibt keine bekannte Methode, Depression zu besiegen, es sei denn, man findet
einen Weg, den zu besiegen, der wir sind. Depression ist nicht irgendein
Monster, ein Teil von uns, den wir herausreißen müssen. Sie ist darin
eingebunden, wie unsere Biologie funktioniert – wie Nervenzellen
zusammenwirken, wie sich Schlüsselhormone verhalten, und wie viel
zirkulierendes Serotonin es gibt. Außerdem können wir niemandem sagen, wie
oder was er oder sie zu fühlen hat.
„Das
Biest zähmen“ ist buchstäblich das, was man in einem Krankenhaus im Osten
der USA macht. Wenn sie glauben, dass eine tiefe Depression nicht auf schwere
Medikation ansprechen wird, entscheiden sie sich für Gehirnchirurgie – tiefe
Gehirnstimulierung, um genau zu sein. Gelinde gesagt ist es ein äußerst
drastischer Lösungsversuch. Er involviert, dass man vier Löcher ins Gehirn
bohrt (vier Schrauben werden in den Schädel eingesetzt), Elektroden in die Nähe
einer Gehirnstelle implantiert, die als Areal 25 (Mittellinie des Gehirns)
bezeichnet wird, und ihr einen ständigen Strom elektrischer Impulse zuführt.
Sie glauben, dass die für Depression verantwortlichen Schlüsselareale der
oberste Hirnstamm und einige alten limbischen Strukturen sind. Die Überlegung
geht dahin, dieses vermeintlich in Depression verwickelte Areal zu stimulieren
und zu entspannen. Doch stellen Sie sich vor, wir könnten dieses Areal ohne
Medikamente oder Operation erreichen und Veränderungen im Schaltkreis zustande
bringen (ihn vielleicht neu verdrahten). Es ist möglich, weil wir Wege gefunden
haben, um Zugang zu tiefen Gehirnzentren zu erlangen. Bestimmt sollte man natürliche
Gefühlsmethoden einer ernsten Gehirnoperation vorziehen. Nach Angaben eines
Berichts in der N.Y.Times vom 2. April 2006 („Ein
Depressionsschalter?“, von David Dobbs) erbrachte die durchgeführte Operation
einen Durchschnittssatz von 80 Prozent aller Patienten, die eine Besserung ihrer
Depression spürten. Um das klarzustellen, solange wir keine Wege gefunden
haben, die Tiefen des Gehirns ohne Operation oder Medikamente zu sondieren, können
wir nicht sagen, es gebe keine Heilung für bestimmte Depressionen. Ich glaube,
wir haben das Gegenmittel.
Der Grund, warum wir zu solch drastischen und gefährlichen Maßnahmen Zuflucht nehmen müssen, besteht darin, dass alle bisherigen Behandlungen dem obersten Teil des Gehirns – dem Neokortex – galten, eigentlich der vorderen linken Spitze des Neokortex (präfrontales Areal genannt). Weil wir einen Weg gefunden haben, auf tiefe Gehirnzentren zuzugreifen (dieselben Strukturen, die durch Chirurgie und/oder Tranquilizer beeinflusst werden), können wir bei der Therapie der Depression erfolgreich sein und einen fehlgeleiteten Ansatz vermeiden. Der Beweis: Wir haben viele tiefe Depressionen erfolgreich behandelt und haben unsere Ergebnisse anhand von Gehirnwellen und biochemischen Werten gemessen (siehe mein „Primal Healing“ für eine vollständige Erörterung). Man bezeichnet sie als „tief“, weil sie oft tief unten im Gehirn entspringen. Solange wir keinen Zugang zu diesen Tiefen haben, können wir niemals von Heilung sprechen, oder, um es anders auszudrücken, wenn wir zu diesen Tiefen Zugang haben, dann können wir von Heilung sprechen. Es scheint eine Zwickmühle zu sein. Wir verwenden Therapien, die Depressive nicht heilen können, und schauen dann diejenigen schief an, die behaupten, über eine Heilmethode zu verfügen. „Heilung“ ist kein schändlicher Begriff. Schändlich -ein Grund zur Schande- ist, dass wir sie aufgegeben und zu einem „schmutzigen“ Wort gemacht haben. Denken Sie daran, erst wenn wir Zugang zu diesen Tiefen haben, dann können wir von einer Heilung sprechen, und nicht vorher. „Heilung“ ist kein Begriff, den man im Interesse reiner Wissenschaft vermeiden sollte; es ist ein Zustand, den man eifrig begehren sollte
Kapitel
1
Leider haben wir uns im Namen des Fortschritts von der Vergangenheit weg zu einem eher gegenwartsbezogenen Ansatz bewegt. Dasselbe gilt für alle kognitiven Therapien und Verhaltenstherapien. Es gibt eine Verherrlichung der Gegenwart, des Hier-und-Jetzt, und ein Sich-Entfernen vom Einzigen, das heilt: die Geschichte. Wir sind historische Geschöpfe, neurologisch geprägt von unserer Vergangenheit. Jede geeignete Behandlung muss sich mit dieser Geschichte befassen. Noch trauriger ist, dass wir seit 100 Jahren mit dem falschen Gehirn reden! Es ist dieses Gehirn, das jede Hoffnung auf eine Heilung emotionaler Krankheit vereitelt. Vor einem Jahrhundert war es gut und schön, mit dem Gehirn zu reden, aber jetzt wissen wir viel mehr darüber, was es beinhaltet; wir können mit dem Gehirn reden, das in seiner eigenen Sprache fühlt. Wir wissen, dass der uns zugefügte Schaden auf tieferen Bewusstseinsebenen eingeprägt ist – weit unterhalb des Orts, wo Worte leben.
Nun,
warum ist das so wichtig? Weil wir nur dort gesund werden können, wo wir
verletzt worden sind. Wir wissen jetzt, dass emotionale Wunden tief im Gehirn außerhalb
des Bewusstseins liegen. Obgleich das tiefere Gehirn die ganze Zeit mit uns
„spricht,“ haben wir nie gelernt, wie man mit ihm spricht. Es redet mit uns
in unseren Albträumen, in unserem hohen Blutdruck und unseren Migränen, in
unseren sexuellen Problemen und in unserer Unfähigkeit, mit anderen
auszukommen. Unsere Geschichte erklärt sich in jedem unserer wachen
Augenblicke, und dennoch gehen wir zu Psychotherapeuten, die sich allein auf’s
Hier-und-Jetzt und nicht auf die Geschichte konzentrieren wollen. Wenn wir das
tun, sind wir in der Psychotherapie gezwungen, das Biest im Inneren mit
Gedanken, Einsichten und Medikamenten
zu bezwingen – alles einfach unterdrücken. Das Gegenteil muss man tun:
die Schmerzdämonen für alle Zeit aus dem System herauslassen! Sie haben einen
Namen; wir können sie auf ihren verschiedenen Reisen erkennen.
Wir
sind wandelnde Archive, die im Dort-und-Damals leben. Wir haben uns auf die
Gegenwart und auf Worte konzentriert, weil sie am leichtesten zu erreichen sind
und keine große Anstrengung erfordern. Obendrein haben wir nicht gewusst, wie
wir Zugang zur Geschichte und zu den tiefsten Zonen des Gehirns finden können.
Wir wissen jetzt, dass wir die emotionale Reise zu unserer Geschichte antreten
und den Schaden durch Wiedererleben (was ich als „Primal“ bezeichne) beheben
müssen, wenn wir gesünder werden wollen. Dieser Ausflug ist nicht schwierig,
weil wir auf dem Gefährt des Fühlens in die Vergangenheit reisen können. Dort
beginnen unsere Probleme und dort liegt die Lösung. Zu wissen, wie man auf das
Gefährt des Fühlens gelangt, ist ein wenig komplizierter. Wenn wir in den
richtigen Zug einsteigen, ist jeder Halt unterwegs der richtige. Wenn wir in den
falschen Zug einsteigen, ist jeder Halt der falsche.
Woher
weiß ich, dass die Vergangenheit lebenslang in unseren Gehirnen eingraviert
bleibt? Und woher weiß ich, dass das Wiedererleben unserer Geschichte die Dinge
zum Besseren wendet? Es gibt jetzt Hunderte von Studien in der
Wissenschaftsliteratur, welche die Auswirkungen von Vorgeburts- und
Geburtstraumen auf spätere Symptome und späteres Verhalten dokumentieren.
Gestatten Sie mir, dass ich von einem Forschungsexperiment berichte, das wir
durchgeführt haben, um meinen Standpunkt zu verifizieren. Es fand im UCLA-
Lungenlaboratorium statt. Wir schlossen zwei Patienten an eine Reihe von
Instrumenten an, überwachten den Sauerstoff- und Kohlendioxid-Spiegel und
nahmen alle drei Minuten Blutproben, während sie, wie sich herausstellte, einen
Sauerstoffmangel bei der Geburt wiedererlebten, etwas, das wir überhaupt nicht
geplant hatten. Kein Patient beobachtete den anderen, so dass wir ein ziemlich
reines Erlebnis bei beiden Männern hatten. Nach dem Wiedererlebnis machten wir
ein anderes Experiment, bei dem jeder Patient das Primal auf jede Weise (gleiche
Bewegungen und gleiches Atmen) nachmachte, nur dass sie nicht in der
Vergangenheit waren. Beide Patienten wurden nach drei oder vier Minuten beinahe
ohnmächtig in einem Zustand, der eindeutig ein Hyperventilationssyndrom war
(reduziertes Kohlendioxid und radikal erhöhter Sauerstoff, was zu Benommenheit,
Ohnmacht, klauenförmigen Händen, kribbelnden Fingern und Schwindel führt). Während
sie in der Vergangenheit waren, atmeten sie etwa zwanzig Minuten sehr tief ohne
Hyperventilationssyndrom. (Ich nenne das „Lokomotivatmung“, weil es sich
genau so anhört und anscheinend von der Medulla herrührt). Was die Forscher
fanden, war, dass der Körper Sauerstoff brauchte, als der Patient in dem alten
Feeling und in der damit zusammenhängenden Geburtsanoxie war; der Patient war
in jeder Hinsicht „zurück im Damals“, nicht zuletzt auf physiologische
Weise. Es war der Beweis der Wahrheit des Wiedererlebens, dass Patienten in der
Zeit zurückgehen können und dies auch tun. Und sie gehen nicht nur
psychologisch zurück, sondern in einem vollständigen biologischen Zustand. Die
Folgerung daraus ist, dass das frühe Bedürfnis nach Liebe dasselbe bleibt und
sich in unserem ganzen Leben nicht ändert. Wir suchen nach symbolischer
Ersatzbefriedigung, aber sie ist nie befriedigend und zwingt uns, immer weiter
nach mehr und mehr zu suchen, und immer vergebens. Die kritische Zeit, in der
ein Bedürfnis erfüllt werden muss, ist vorüber.
Wir
fanden bei der UCLA, dass sich das Säure-Basen-Gleichgewicht trotz des
anhaltenden schweren Atmens nicht veränderte. Die Schlussfolgerung der
Forscher, die nichts mit Primärtherapie zu tun hatten, war, dass kein anderer
Faktor als Erinnerung für die Ergebnisse verantwortlich sein konnte. Kurz
gesagt war die Erinnerung auf Leben und Tod real. Sie war eingeprägt. Trotz der
Tatsache, dass der Blutsauerstoff im Raum normal war, sendete das Gehirn Signale
eines großen Sauerstoffmangels, und das schwere Atmen folgte. Es gab kein
Hyperventilations- Syndrom, weil das Gesamtsystem zurück in der Geschichte war
und ein Schlüsseltrauma und dringendes Bedürfnis wiedererlebte.
Das ist von Bedeutung, weil es uns ein ganzes Universum eröffnen kann hinsichtlich der Tiefe des menschlichen Unbewussten. Es bestätigt, dass sehr frühe Erfahrung in uns eingeprägt ist, nicht nur als Erinnerung sondern als Wunde, die nach Heilung verlangt. Sie ist von Dauer. Wiederleben ist ein reales Ereignis; das Baby-Weinen in einer Sitzung kann der Patient nachher niemals wiederholen. Die Male, die ursprünglich während des Geburtstraumas auftauchten, können später in einer Therapiesitzung wieder erscheinen. Das ist eindeutig keine Simulation. Anders ausgedrückt bleibt die Vergangenheit und ihre Neurobiologie in unserem Inneren eingekapselt. Das kann für eine Reihe schleichender Krankheiten im Erwachsenenleben verantwortlich sein. Bemerkenswert ist, dass die Einprägung sich nie ändert; sie ist unempfindlich gegen Erfahrung. Es ist egal, wie viel Beifall ein Schauspieler bekommt; er braucht immer mehr. Deshalb behaupte ich, dass nur das Verweilen im Kontext einer alten traumatischen Erinnerung heilen kann. Bedenken Sie, dass das Gehirn während der Sitzung trotz des angemessenen Sauerstoffgehalts im Raum einen ernsten Mangel signalisiert und dass der Körper entsprechend reagiert. Er schnappt nach Luft – was alles mit dem zu tun hat, das in der Erinnerung eingeprägt ist. Das spricht für sich selbst. Trotz gegenwärtiger Realität reagieren wir ständig auf die alte eingeprägte Erinnerung (Realität).
Der
Körper raucht, um den Schmerz der Anoxie abzutöten, oder er nimmt Drogen
jenseits aller Kontrolle durch die oberen kortikalen Bereiche. Es ist ein
Reagieren auf innere Ereignisse. Deshalb nützen Vorträge übers Rauchen
herzlich wenig. Das kleine Mädchen in der Frau nimmt Drogen, um ihren Schmerz
abzutöten, was wir nie sehen. Es ist etwas, das der Mensch nie sieht, weil er
von dieser Jugend und ihren Gefühlen abgetrennt ist.
Hier
haben wir es anscheinend mit einem Paradox zu tun: Würde ich die früher
kalte, gleichgültige Mutter hereinbringen und sie ihren Sohn in der ganzen
Sitzung umarmen und berühren lassen, würde absolut gar nichts passieren.
Aber wenn der Patient ihre fehlende Liebe wiedererlebt, passiert alles;
es kommt zu einer Normalisierung vieler Parameter, und die Depression beginnt
sich zu heben! Warum? Weil sich die Verdrängung ebenso hebt, wenn man den
Schmerz fühlt. Somit ist das Ergebnis das gleiche, ob die Mutter das Kind nun
ursprünglich liebt oder ob es den Liebesmangel jetzt nach 30 Jahren fühlt.
Anders gesagt werden wir von der Geschichte beherrscht, und die Methode,
Schmerz aufzulösen, besteht darin, wieder in ihn zu versinken. Wir haben
wirklich an Tausenden Patienten Untersuchungen der Vitalfunktionen
vorgenommen, um diese definitive Aussage machen zu können.
Warum
müssen wir diesen Bericht dringend beachten? Um unnötiges Leiden zu beenden.
Lassen Sie mich ein Beispiel anführen. Ich habe gesagt, dass Gehirnchirurgie
eine neue Behandlung für Depression ist, die zur endlosen Zahl verschriebener
Antidepressiva hinzukommt. Der Grund, warum einige Psychologen darauf zurückgreifen,
ist, dass alle aktuellen Therapien keine Möglichkeit haben, auf die tiefen
Zonen des Gehirns zuzugreifen, wo Depression vielleicht organisiert wird; von
daher das Verlangen nach einer Operation. Ich wiederhole, dass wir auf diese
tiefen Gehirnareale zugreifen und dadurch sehr gute Ergebnisse bei der
Behandlung von Depression erzielen können. Wenn das stimmt, dann kann und
sollte man Gehirnchirurgie, eine sehr drastische Angelegenheit, vermeiden. Das
soll kein Vorwurf gegen die Chirurgen sein. Sie tun ihr Bestes, um Leiden zu
lindern. Aber es gibt einen anderen, natürlichen Weg, der weit weniger
drastisch ist und ohne Medikamente oder Operation auskommt. Wir müssen viel
tiefer gehen, um Gefühle zu sehen und zu erfahren. Das wirkt auflösend. Es
bedeutet, elementare Ursachen zu erforschen und zu erfahren. Genau das nenne
ich „Heilung.“
Solange
wir keinen Zugang zu diesen Tiefen haben, können wir niemals von Heilung
sprechen; oder um es anders auszudrücken, wenn wir Zugang zu diesen Tiefen
haben, dann können wir von Heilung sprechen.
Eine Gruppe von 20 meiner depressiven Patienten traf sich letzte Nacht, um über ihre Probleme und den überwältigenden Schmerz, der sie umgibt, zu diskutieren. Während des Gesprächs wurde offensichtlich, dass es zahlreiche Dinge gibt, die sie hinsichtlich ihres Allgemeinzustandes gemeinsam hatten. Als sie auf ihre Lebenserfahrung zurückblickten, identifizierten sie gewisse Symptome und Tendenzen bei ihren Gefühlen und ihrem Verhalten, einschließlich:
1.
Unfähigkeit zu reden
2.
Mangel an Energie
3.
Bewegungsunfähigkeit, eingeschlossen, feststecken in einem dunklen
Abgrund
4.
Nichts finden können, wofür man lebt, flache Landschaft im Inneren,
eine monotone innere Leblosigkeit
5.
Depressive Stimmung geht immer weiter, Gefühl, dass sich nichts ändern
wird
6.
Etwas will heraus
7.
Eine Unfähigkeit, Freude zu spüren, ein Gefühl ständigen Leidens
8.
Konzentrationsprobleme
9.
Extreme Müdigkeit
10.
Bewegungsunfähig, paralysiert; das Gefühl, eine Situation nicht ändern
zu können, keine Entscheidung treffen oder etwas nicht aufhalten können
11.
Starrheit und schwerfällige, mühsame Bewegungen
12.
Wiederkehrender Todeswunsch
13.
Gefühl der Isolation
14.
In ein schwarzes Loch fallen
15.
Nirgendwohin gelangen
16.
Eine allumfassende Schwere oder Leblosigkeit
17.
Mühe, zu atmen oder auch nur den Arm zu heben
18.
An nichts interessiert, kein sexuelles Interesse
19.
Verzweiflung, Resignation und aufgeben wollen
20.
Was hat das Leben für einen Zweck? Ich will so nicht weitermachen
Diese
20 Patienten sind zu der Erkenntnis gekommen, dass sie die Empfindungen eines
Geburtstraumas beschrieben, der gemeinsame Nenner ihrer Erfahrung. Diese
Empfindungen und Gefühle begleiteten das Geburtstrauma in der „Talsohle,“
wie ich es nenne. Während des Geburtsprozesses fanden alle Patienten, dass sie
aus einer Vielzahl von Gründen in der sogenannten „parasympathischen“ Phase
der Geburtserfahrung steckenblieben. Diese Phase ist dadurch gekennzeichnet,
dass das Baby ein Gefühl der Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit erlebt,
verursacht durch Komplikationen, die entstanden, als das Baby den Mutterleib
verließ und sich durch den Geburtskanal bewegte. Ob sich nun das Baby in die
falsche Lage gedreht hatte, ob es sich in der Nabelschnur verhedderte, Atmungsnöte
hatte aufgrund von zu viel Anästhesie, die der Mutter verabreicht wurde, oder
ob es auf Widerstand im Geburtskanal stieß, alle erlebten eine Empfindung, sich
nicht frei vorwärts bewegen zu können, nicht voranzukommen. Ein Gefühl von Düsterkeit
und Verhängnis setzt ein. Dieses Gefühl kann einen Menschen sein ganzes
Erwachsenenleben hindurch verfolgen und ist als Depression bekannt. Das häufigste
Problem, auf das ein Baby während seiner Geburt treffen wird, ist, dass sein
Nervensystem durch der Mutter verabreichte Medikamente oder Anästhesie unterdrückt
wird, wodurch das Baby daran gehindert wird, die nötige Energie aufzubieten, um
den Mutterleib zu verlassen und seinen ersten Atemzug zu machen. Geboren werden
erfordert Arbeit, und dennoch werden viele Babys durch die Medikation oder Anästhesie
der Mutter mehr oder weniger „außer Gefecht gesetzt.“ Aufgrund des fragilen
Zustands des Babys und wegen der Tatsache, dass sein Gehirn sich in den
folgenden Jahren noch nicht voll entwickeln wird, werden alle Empfindungen, die
sich auf seinen Geburtskampf beziehen, physiochemisch in seinem Nervensystem
verankert und formen letztlich seine Persönlichkeit und steuern das Verhalten.
Depression
war lange Zeit ein Geheimnis, weil wir die Beziehung zwischen dem Leben im
Mutterleib bzw. dem mit der Geburt einhergehenden Trauma und späterer
psychischer und körperlicher Gesundheit ignoriert haben. Wenn wir ein
Transparent der Depressionsmerkmale über die Wirkungen des Geburtstraumas legen
würden, fänden wir heraus, dass sie perfekt übereinstimmen. Alles, was jemand
damals während des Geburtstraumas fühlte, ist auch eine Beschreibung seiner
gegenwärtigen Depression. Ich habe vor zu erforschen, warum das so ist. Aber im
Augenblick müssen wir wissen, dass die Traumen, die sich im Mutterleib, bei der
Geburt und in der frühen Kindheit festsetzen, verschlüsselt, aufgezeichnet und
im Nervensystem gespeichert werden. Sie werden zu einer Schablone dafür, was später
geschieht.
Wenn ich Ihnen sagen würde, dass Depression und alle ihre Symptome von einem einzigen Ereignis stammen, wäre das schwer zu glauben. Dennoch stimmt es in gewisser Hinsicht ist in anderer Hinsicht falsch. Nichtsdestotrotz ist das Geburtstrauma die weitaus wichtigste Ursache der Depression. Das ist keine Theorie, die ich ausgeheckt habe, sondern vielmehr ein Ergebnis der Beobachtung an vielen depressiven Patienten aus vielen Ländern, welche die gleiche Art von Trauma wiedererlebten. Nachdem ich mehrere Hundert Patienten erfolgreich behandelt habe, Gehirnforschung und biochemische Untersuchungen an ihnen vorgenommen habe, kann ich zu keinem anderen Schluss kommen. Was zum Ernst des Problems beiträgt, ist die Tatsache, dass die Wirkungen des Geburtstraumas sich dann durch spätere Lebensumstände verschlimmern. Aber wenn es nicht dieses eine Ereignis gäbe – das Geburtstrauma – dann gäbe es wahrscheinlich keine schwere Depression und insbesonders keine Endogene Depression, die uns ohne erkennbare Vorwarnung beschleicht, verschlingt und uns tief in ihrem Rachen hilflos zurücklässt.
Depression ist weder ein
Gefühl noch eine seltsame, unbehandelbare Krankheit; sie ist ein Verdrängungszustand.
Depression ist systemweite Verdrängung, die viele Gefühle verdeckt. Es ist die
Geschichte der Körpererfahrung, die ihre Kraft ausübt. Der Ausdruck von Gefühlen
markiert das Ende der Depression, aber zuerst müssen wir wissen, was genau wir
fühlen und was wir ausdrücken müssen. Das ist der Haken an der Sache. Was
ausgedrückt werden muss, das lässt sich mit Worten nicht machen, weil das
Ereignis an sich – das Geburtstrauma – kein Ereignis ist, dass man mit
Worten erlebt. Die Empfindungen, die ein Baby während der Geburt erlebt, werden
in einer Gehirngegend erzeugt, die weit unterhalb verbaler Fähigkeit liegt.
Dieser Teil des Gehirns – der Hirnstamm und das Limbische System – ist ein
kognitiver Analphabet, aber brilliant hinsichtlich seiner eigenen Sprache. Wenn
wir das allmählich verstehen, werden wir sehen, dass Depression nicht das
Geheimnis ist, als das es ausgemacht wurde, und dass man sie tatsächlich
erfolgreich behandeln kann. Ist ein Trauma einmal tief im Gehirn eingeprägt,
schreit es förmlich seinen Schmerz hinaus, jedoch nie mit Worten. Wir
scheitern, wenn wir versuchen, es mit Worten zu erreichen, was die aktuelle
Praxis ist; es ist ein Dialog der Tauben. Es redet in der Sprache der
Eingeweide, des Blutsystems und der Neuronen. Wir können die Sprache lernen und
wirkungsvoll mit ihm reden, wenn wir die Technik haben. Genau das bieten wir
unseren Depressiven an.
Die
Forschung hat herausgefunden, dass es bei Depressiven in der Physiologie und
Biochemie im Vergleich mit gesunden Individuen Unterschiede gibt. Obwohl in
seltenen Fällen vielleicht die Genetik zum Teil für Depression verantwortlich
ist, sind im Großen und Ganzen das Geburtstrauma und frühe Lebenserfahrung der
wesentliche Grund. Während unseres Lebens im Mutterleib kommt es zu Veränderungen
in der Physiologie. Die Sollwerte von so vielen Hormonen werden eingerichtet.
Vielleicht glaubt man, dass solche Mängel genetisch seien, aber es gibt
Ereignisse, die sie verursachen können, und die sind nicht immer
offensichtlich. Sie werden erst offensichtlich, wenn der Patient in der Therapie
zu den Antipoden des Unbewussten hinabsteigt, wo die entscheidende Erklärung für
die Depression liegt.
Im
Fachgebiet der Psychologie gibt es Übereinstimmung darin, dass Schmerztöter
dabei helfen, die Depression zu unterdrücken. Das bedeutet, dass irgendwo die
Erkenntnis besteht, dass Schmerz ein Faktor für Depression sein kann.Es gibt
auch umfassendes Forschungsmaterial, das auf die Tatsache hinweist, dass
Depression ein aktivierter Zustand ist, bei dem die Stresshormon-Spiegel hoch
sind, oft ebenso hoch wie bei Angstzuständen. In diesem Buch geht es
prinzipiell um unsere Erfahrung mit Depressiven in der Primärtherapie. Es gibt
da draußen jede Menge Bücher, die Forschungen zitieren, Korrelationen und
statistische Schlüsse anbieten. Was fehlt, ist das Fallbeispiel realer
Personen, die depressiv waren, wie sich das anfühlt, und wie sie damit in ihrem
Leben zurecht gekommen sind. Darüber hinaus werden wir ein Behandlungsprogramm
anbieten, das unserer Überzeugung nach die derzeit effektivste Therapie für
Depression darstellt. Wir werden durch deren eigene Worte erfahren, was
Depression für meine Patienten bedeutete und, was noch viel wichtiger ist,
woher das alles kommt.
Verdrängung
kann im Mutterleib zu jedem Zeitpunkt während der neun Monate Schwangerschaft
beginnen, wenn die Neuroinhibitoren im fetalen System in Kraft treten, um
Schmerz zu unterdücken. Sie hat sich im letzten Trimester der
Schwangerschaft größtenteils etabliert. Der Fetus kann Schmerz fühlen, und er
kann ihn unterdrücken. Die tiefste und schwerwiegendste Verdrängung geschieht
während des Fötallebens und bei der Geburt, weil es fast immer eine Sache auf
Leben und Tod ist. (Siehe die Arbeit von K.J.S. Anand für eine vollständige
Erklärung dazu: „Can Adverse Neonate Experiences Alter Brain Development and
Subsequent Behavior? Biology
of the Neonate.“ 2000: 77, 69-82. Co-Autor F.M. Scalzo.) Diese
Situationen erfordern vom Fetus extreme Reaktionen. Verdrängung in dieser Zeit
wird dann global oder systemweit und beeinflusst jeden Aspekt des fetalen Körpers
und der fetalen Entwicklung. Man kann diese Art globaler Hemmung leicht bei
jemandem spüren, weil diese Leute eine abgeflachte Emotionalität haben, da sie
kein Gefühlsleben entwickelt haben, bevor die Verdrängung einsetzte, und weil
der Grund dafür geschah, bevor sie auch nur ihren ersten Atemzug auf der Welt
machten. Ein in der Schwangerschaft oder bei der Geburt erlebtes Trauma der
Todesnähe verfolgt uns für den Rest unseres Lebens als Einprägung, die
innerhalb des Hirnstamms und der limbischen Gefühlszentren festgehalten wird.
Also sieht der Körper und das Unbewusste eines Menschen, der deprimiert ist und
an Symptomen leidet, die er sich durch frühe Verdrängung erworben hat, den Tod
als logisches Ende der Qual; aus diesem Grund erwägen so viele Depressive, sich
das Leben zu nehmen.
Wann
immer es später im Leben Stress gibt, kann dieser Stress beim Depressiven die
Originalerinnerung des Traumas auf Leben und Tod auslösen, das er im Mutterleib
oder bei der Geburt erlebte, und ein Gefühl drohenden Todes oder Verhängnisses
mit sich bringen. Es ist dieses bevorstehende Verhängnis, das den Kopf so
vieler Depressiver beugt und sie zwingt, einem Trübsinn zu frönen, dessen sie
sich kaum bewusst sind.
Es
gibt einen Begriff, den wir uns bei der Therapie der Depression anschauen müssen:
Resonanz. Es könnte den Anschein haben, dass dem Nervenschaltkreis eine
besondere Frequenz zueigen ist, wenn ein Trauma oder fehlende Liebe sich
verankert. Es kann sein, dass Gefühle, die sich über dieser Einprägung
festsetzen, mit derselben Frequenz resonieren. Somit kann etwas, das in der
Gegenwart geschieht, durch seine übereinstimmende Frequenz eine frühe
Erinnerung auslösen. Das alles bildet ein ineinandergreifendes Nervennetzwerk.
Wenn das Abwehrsystem schwach ist, kann eine mehr oder weniger bedeutende
Gegenwartssituation, wie zum Beispiel einen Freund zu verlieren, das ursprüngliche
Verhängnis auslösen. Verhängnis und Düsterkeit ist der Inbegriff für
Depression. Ich werde das nicht aus statistischen Studien heraus erklären
sondern mit den Fleisch-und-Blut-Berichten meiner Patienten. Somit kann uns ein
relativ harmloses Ereignis in Verhängnis und Düsterkeit stürzen, weil sich
die Gefühle innerhalb eines einzigen Netzwerks aufeinander beziehen. Wenn wir
die verursachende Einprägung nicht verstehen und anerkennen, können wir
Depression weder verstehen noch uns von ihr befreien. Der einzige Weg, der uns
dann bleibt, ist, den Patienten zu beraten, ihm zu schmeicheln und ihn zu
manipulieren, indem wir uns mit dem Hier-und-Jetzt befassen. Wie wissen, dass es
eine enge Beziehung gibt zwischen hohem Blutdruck und Depression, genau wie
zwischen Migräne-Kopfschmerz und Depression. Unser Körper schreit durch seinen
hohen Blutdruck, aber alles, was wir tun können, ist, hilflos daneben zu sitzen
und dem Patienten Droge um Droge einzuflößen, um seine Symptome zu
kontrollieren. Wir haben das Symptom zur Behandlung aus dem Menschen
herausgezogen, ansatt zu sehen, dass das Symptom einer biologischen Geschichte
entspringt. Wenn wir diese Geschichte nicht verstehen, sind wir auf eine
ahistorische Therapie beschränkt. Wir machen dann eher das Symptom „gesund“
als den Menschen.
Jetzt
zu meinen Patienten. Was Sie lesen werden, sind Geschichten mit zahlreichen Ähnlichkeiten
in ihren Berichten: Sie alle wuchsen in sterilen, emotionslosen, tyrannischen
Elternhäusern mit wenig Wärme und Freundlichkeit auf; elterliche Autokratie
war die tägliche Regel. Denken Sie daran, dass sie keine Litanei wiedergeben,
die sie zu meinen Füßen erlent haben. Ich lernte von ihnen und schrieb
gewissenhaft auf, was ich beobachtete. Als Kinder wurde von ihnen verlangt, sich
der Autorität der Eltern zu unterwerfen; ihre Gefühle wurden von einem oder
beiden Eltern zurückgewiesen. Hinzu kommt, dass sie alle eine ähnliche
Geburts- oder Vorgeburtsgeschichte hatten. Es war übereinstimmend eine Geburt
mit einer Mutter, die schwer anästhetisiert war, und das Ergebnis war ein
Neugeborenes, das phlegmatisch, lustlos, passiv war und nicht reagierte. Solche
Babys wühlen unmittelbar nach der Geburt nicht naturgegeben und sich selbst
behauptend nach der Brust. In der Regel waren sie – gelinde gesagt - keine
kuscheligen Babys. Sie waren keine energischen Kinder.
Der folgende Ausschnitt aus unserem Gespräch vor der Therapie gibt uns eine gute Beschreibung dessen, wie Depression sich anfühlt.
Andre
Meine
Stimmung war immer gedrückt, soweit ich zurückdenken kann. Ich hab’
Ich
konnte nie viel essen. Ich war zum Essen zu faul. Ich aß Wackelpudding und Süßigkeiten.
Ich vermied es, Fleisch und Kartoffeln zu essen, um keine Energie zu vergeuden.
Ich musste sehr langsam essen, und meine Eltern beschwerten sich immer. Ich
wollte meinen Mund nicht zu schnell bewegen, weil ich mich so schwach fühlte.
Ein
anderes Problem war die Konzentration. Ich hatte immer Konzentrationsprobleme.
Ich litt so sehr, dass ich meinen Lehrern nicht zuhören konnte. Die Schule war
für mich nur Qual. Ich wollte nur schlafen. Meine Eltern gaben mir das Gefühl,
dass ich gehen musste, um erfolgreich zu sein.
Beim
Sport ging mir schnell die Kraft aus. Ich stellte fest, dass ich kaum atmen
konnte, wenn ich viele Übungen machte. Es war wie sterben. Es war einfach keine
Energie mehr da. „Lasst mich allein“ war alles, was ich je gefühlt habe.
Gewöhnlich
war ich ganz plötzlich deprimiert, wusste aber nie, warum. Als ich einmal am
Flughafen war, um einen Freund abzuholen, konnte ich keinen Parkplatz finden.
Ich war aggressiv und wütend und dann plötzlich hilflos und deprimiert. Ich
wollte am liebsten sterben, und das alles, weil ich keinen lausigen Parkplatz
finden konnte. Ich wollte aufgeben, aber ich konnte es nicht.Anscheinend habe
ich immer das Gefühl: „Ich muss wieder sterben.“ Ich möchte, dass jemand
zu mir kommt und mich aus dieser Situation rettet. Ich will nicht, dass ich zu
jemandem gehen muss.
Wenn
ich lange schlafe, möchte ich wirklich nicht mehr aufwachen. Ich fühle mich
schwach, und es fehlt mir an Energie. Wenn ich an einer länger dauernden
Aufgabe arbeite, wie etwa einen Aufsatz für eine College-Klasse zu schreiben,
wird es mir zu viel, und alles, was ich will, ist schlafen. Ich möchte für
niemanden da sein.
Ich
bin deprimiert, wenn ich allein sein muss, aber auch die Nähe zu anderen
schafft nur Qual. Ich kann nicht gewinnen.
Ich
habe in meinem ganzen Leben keine Medikamente oder Drogen
genommen. Aber kürzlich fing ich an, Wellbutrin zu nehmen. Es hat mir
nichts gebracht. Ich kann nur Süßigkeiten essen. Das ist meine Droge.
Ich
habe vielleicht bis zu zehn Mal im Monat Selbstmordgefühle. Ich spüre so viel
Druck, aber ich weiß nicht, woher er kommt. Also, ich denke, für mich ist es
das Beste zu sterben. Ich hab’ kein Gefühl mehr fürs Leben. Ich habe keinen
vorüberlegten Plan, wie ich mich selbst umbringen will. Es rührt daher, dass
ich mich so hilflos fühle, dass ich sterben will. Ich möchte mich nur zu Tode
schlafen. Wenn jemand das letzte Stückchen Energie aus mir heraussaugen würde,
wäre ich frei. Es gäbe keinen Kampf mehr. Ich bin zu feige, um von einer Brücke
zu springen, und ich kann mir nicht vorstellen, mich zu erschießen. Ich glaube
einfach, dass ich meine Augen schließen und sterben möchte.
____________
Das ist traurig und tragisch. Es muss nicht länger so sein. Das ist die gute Seite dieser Geschichte.
Kapitel 3
Er
wusste es nicht, aber er reagierte auf Ereignisse, die vor langer Zeit geschehen
waren. Aufgehalten werden bedeutete ursprünglich den Tod; er wäre gestorben, hätte
er bei der Geburt nicht heraus gekonnt. Er musste sich seinen Weg hinaus
erzwingen, und wenn er später mit Hindernissen konfrontiert war, wurde er übertrieben
aggressiv. Er kämpfte bei der Geburt, und später kämpfte er gegen Eltern, die
ihm nie seinen Willen ließen. Seine einzige Problemlösung war vorwärtsstürmen,
und er wusste nie, wann er nachzugeben hatte.
Einem
anderer Patienten widerfuhren in der kritischen Periode und bei der Geburt ganz
andere Schlüsselereignisse, die seine Persönlichkeit formten. Seine Mutter war
während der Geburt schwer anästhetisiert. Das Betäubungsmittel drang in sein
System ein und nahm ihm den Sauerstoff. Um zu überleben, musste er Energie
sparen und durfte nicht zu viel Sauerstoff verbrauchen. Mit anderen Worten, um
ihn zu retten, verlangsamte sich sein System zu einem passiven Wartezustand,
einer Physiologie der Niederlage und Verzweiflung, weil er absolut nichts ändern
konnte an dem, was geschah. Das verschlimmerte sich später durch die Art, wie
seine Eltern ihn in der Kindheit behandelten, die nie zuließen, dass er seine
Gefühle ausdrückte oder protestierte. Es hatte keinen Zweck, bei der Geburt zu
kämpfen und später hatte es keinen Sinn, mit seinen Eltern um irgendwas zu
streiten, was sie nur noch zurückweisender und kälter gemacht hätte.
In
beiden Fällen wurde er von äußeren Kräften beherrscht, über die er keine
Kontrolle hatte, und er hatte keine andere Wahl als nachzugeben und aufzugeben.
Passivität war die angemessene und tatsächlich lebensrettende Reaktion. Von da
an gab er auf, wenn er auch nur auf geringen Widerstand stieß, genau so, wie er
ursprünglich und dann später mit seinen Eltern aufgegeben hatte. Tatsächlich
wechselte er immer wieder in einen „Niederlagenmodus,“ wie er es von Beginn
an getan hatte; erst später wurde das als Depression bezeichnet.
Beide
Patienten sind Opfer gewisser Ereignisse, wie es viele von uns sind. Frühe
Erfahrungen in den entscheidenden ersten drei Lebensjahren formen weitgehend
unsere Persönlichkeit und unsere Gesundheit. Die Katholische Kirche sagte
immer: „Gebt mir ein Kind bis 6 Jahre, und es wird für immer ein Katholik
sein.“ Es stellt sich heraus, dass sie nicht mehr als die ersten drei Jahre
brauchen. Das ist fast schon das Ende der kritischen Periode, in der wir so
ziemlich das werden, was wir den Rest unseres Lebens sein werden. Genau hier
werden wir entweder optimistisch oder pessimistisch, konzentriert/zerstreut,
aktiv/bedächtig, wagend/aufgebend, nach außen/innen orientiert, Hindernisse
bewältigend/ von Hindernissen überwältigt, vorwärts/rückwärts schauend,
zielorientiert oder umhertappend, aggressiv oder passiv. Weil wir in diesen
entscheidenden Jahren größtenteils fühlende Geschöpfe sind, die ohne die
kognitiven Kräfte auskommen müssen, die erst später kommen, wird das Selbst
im Wesentlichen durch Kette und Schuss präverbaler und nichtverbaler Prozesse
geformt. Darüber hinaus nehmen die Krankheiten, die uns befallen werden, hier
ihren Anfang.
Die
Konzeption der Prägung/Einprägung ist seit mehreren Jahrzehnten zentraler
Punkt meiner Arbeit. Wenn ein frühes Trauma in der kritischen
Entwicklungsperiode schwerwiegend ist, wird es zu einer Einprägung, zu einem
Dauerzustand. Die Leidenskomponente – der Teil, der nicht integriert werden
kann, weil es zu viel ist, als dass das System es ertragen könnte – wird
abgetrennt und gespeichert. Das ist die Einprägung, und sie entwickelt in
unserem Nervensystem ein Eigenleben. Sie wir zu einer fremden Kraft, nicht
wirklich ein Teil von uns, isoliert und dennoch nach Zugangswegen ins
Bewusstsein suchend. Bei Depression gibt es einen chronischen Leidenszustand,
weil der Mensch vages globales Leiden nicht in spezifischen eingeprägten
Schmerz übersetzen kann. Also ist es diese fremde Kraft, die unsere Gedanken
und unser Verhalten formt. Einige Leute nehmen tatsächlich „fremde Kräfte“
(Außerirdische) in der Welt wahr, die nichts weiter als ihr eigener nach außen
projizierter Schrecken sind.
Die
traumatische Einprägung geschieht meistens aus zwei entscheidenden Gründen.
Der erste ist eine schwierige Geburt; der zweite ist das Fehlen einer
liebevollen Beziehung zwischen zwei Menschen – zwischen Mutter und Kind. Wenn
ihre Beziehung nicht im Einklang ist, sind die Voraussetzungen für eine
nachteilige Einprägung geschaffen.
Es
gibt viele Möglichkeiten, das Gefühl einzuprägen, dass man nicht geliebt
wird. Zum Beispiel kann es in der Situation, wenn man sich gleich nach der
Geburt nicht um das Kind kümmert, wenn es nicht zärtlich gehalten wird, zu
folgender Einprägung kommen: „Ich sterbe, wenn sie mich nicht liebt.“ Jahre
später geht eine Freundin, und der junge Mann taumelt in eine tiefe Depression.
Warum? Sie hat die Einprägung aus der Zeit unmittelbar nach der Geburt ausgelöst:
„Ich sterbe, wenn sie mich nicht liebt.“ Wenn er keine Ahnung hat, was nicht
stimmt, wird er ausagieren und vielleicht versuchen, sich selbst oder ihr Gewalt
anzutun; er kann nur glauben, es sei wegen ihr.
Allein nicht zu kommen, wenn ein Kind ruft, vermittelt die Botschaft, dass es unwichtig ist, dass sich niemand sorgt. Wenn man ein Baby Stunde um Stunde ausschreien lässt, führt das schließlich ein Gefühl der Niederlage herbei: „Was hat das für einen Sinn? Ich kann nicht mehr.“ Dieses Gefühl kann die bereits bestehende Tendenz zu Resignation und Verzweiflung, die vom Geburtstrauma herrührt, weiter verschlimmern. Jede neue Erfahrung baut auf Einprägungen und formt die Persönlichkeit.
Wenn
die Einprägung „ungeliebt“ einmal existiert, kann uns niemand mehr dazu
bringen, dass wir uns geliebt fühlen. Das ist ein Schlüsselfaktor unseres
Lebens, vor dem wir alle in wilder Flucht davonlaufen. Wir versuchen, Liebe von
Freunden, Familie, Kindern und sogar dem Platzanweiser im Theater zu bekommen.
Wenn der Schmerz, der draus resultiert, dass wir in den ersten Wochen und
Monaten unseres Lebens nicht geliebt worden sind, sehr tief ist, können wir später
auf der Suche nach der Liebe, die wir nicht hatten, einem Kult beitreten und an
die bizzarsten Vorstellungen glauben.
Unsere
Erinnerungen haben uns jeden Tag im Griff, und unser Verhalten als Erwachsene
ist das Analogon der Einprägung. Sie findet sich in unserer Haltung, unserem
Gesichtsausdruck und Gang. Die Physiologie des Pessimismus ist das unterste
Glied einer ganzen Gefühlskette, die letzlich zu Depression führt. Wir können
uns besiegt und hilflos fühlen, lange bevor wir Worte dafür haben. Viele
meiner Patienten berichten, dass aus diesem Niederlagen-Gefühl heraus in der
Schule aufgaben. Oder sie gaben den Versuch auf, im Leben einen Partner zu
finden, wenn sie auf das kleinste Hindernis stießen. Viele unserer
Entscheidungen im Leben werden innerhalb der Grenzen solcher Paradigmen
getroffen.
Wenn
das verzweifelte Bedürfnis eines Menschen nach seiner Mutter in den ersten
Monaten nach der Geburt vereitelt wurde, versäumt er vielleicht als Erwachsener
jede Chance auf Liebe, weil er noch immer in dem Bedürfnis nach Mutter
feststeckt. Keine Frau kann ihm das Gefühl von Befriedigung geben, weil die
Einprägung darin besteht, sich „unbefriedigt“ zu fühlen. Er wird Frau um
Frau ausprobieren, ohne jemals zufrieden zu sein; immer glaubt er, dass eine
andere Frau die ideale für ihn sei.
Das
Fehlen einer liebevollen Mutter hat tiefen Einfluss auf das kleine Mädchen, das
Jahre später als Erwachsene erkennen muss, dass sie nicht die Milch hat, die
sie für ihr eigenes Baby braucht. Das kommt daher, dass ein niedrigerer Spiegel
des Hormons Oxytozin aus ihrer Kleinkindzeit die Fähigkeit der jetzt
erwachsenen Mutter schwer beeinträchtigt hat, ihr eigenes Kind zu lieben und
Milch zu produzieren. Es ist keine Willenssache, die eine Mutter bewegt,
vorzeitig an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren und ihr Kind zu vernachlässigen.
Sie wird von demselben Liebesmangel getrieben, an dem ihr Baby leiden wird. In
der Arbeit von S.D. Pollak, der in rumänischen und russischen Instituten
Untersuchungen anstellte, stellte sich heraus, dass Kinder, die in Waisenhäusern
aufwuchsen, dauerhafte Änderungen der Blutchemie aufweisen. Sie haben einen
signifikant niedrigeren Oxytozin-Spiegel. Wir müssen nicht in Waisenhäusern
aufwachsen, um ungeliebt zu sein und einen niedrigeren Spiegel dieses Hormons zu
haben. Ein Patient sagte mir, er sei ein Waise mit Eltern. Er wurde nie geliebt.
In seinem Erwachsenenleben wurde er von Lustlosigkeit, Verzweiflung und
Depression gequält. Diese frühe emotionale Deprivation verfolgte ihn sein
ganzes Leben. Wenn wir verstehen, dass Oxytozin entscheidend für menschliche
Bindung ist, können wir sehen, wie uns ein frühes Trauma neurochemisch verändert.
Entscheidend ist, das Pollak herausfand, dass diese Kinder das Hormon in gewöhnlichen
sozialen Situationen nicht produzieren konnten, während diejenigen es konnten,
die von früh auf geliebt worden waren. Die depravierten Kinder konnten auf
Bindungssituationen nicht normal reagieren. Kurz gesagt erzeugt alles, was mit
uns in der Kindheit und vorher geschieht, lebenslange Änderungen in unserem
System und unserer Persönlichkeit. Also müssen wir uns ganz klar unser frühes
Leben anschauen, wenn wir etwas wie Depression verstehen wollen. Wenn ein
depraviertes Kind keine emotionale Unterstützung hat, baut sich lebenslange
Furcht auf. Damit einher geht ein erhöhter Spiegel des Stresshormons Kortisol.
Solche Spiegel können in unserem Leben schon einsetzen, bevor wir Worte haben,
um unsere Gefühle zu beschreiben.
Es
ist so schwer zu glauben, dass das alles von den ersten Wochen und Monaten des
Lebens herrührt. Wir gehorchen einfach diesen Erinnerungen und spulen sie ab,
als hätten wir freien Willen, als träfen wir bewusste Entscheidungen. Leider
ist es sklavischer Gehorsam gegenüber unsichtbaren und unbekannten Primärkräften.
Unser Erwachsenenleben ist größtenteils nur eine Rationalisierung für die
Einprägung. Wir können mit ihr reden, ihr Einsichten verleihen, aber sie ist
taub für unsere Worte.
Das
Gehirn hat optimale Vorräte eines Hormons, das als Serotonin bekannt ist, um
mit widrigen Gefühlen fertig zu werden, und es hat eine optimale Menge eines
anderen Hormons –Dopamin – um den Körper zu entspannen und auf ein normales
Aktivierungs-Niveau zu bringen; diese Hormone erzeugen ein umfassendes Wohlgefühl.
Das Gefühl „Mir geht’s gut“ reflektiert ein System in Harmonie oder aber
ein sehr irregeführtes System, das glaubt sich gut zu fühlen. Ich habe nie
einen ausgeglichenen Menschen gesehen, der über Selbstachtung geredet hätte,
mit der sich so viele kognitive Methoden tagtäglich befassen. Es gibt keine
Persönlichkeitsspaltung, bei der das eine Selbst über ein anderes nachdenkt.
______
Stash
Ich
kam sehr schwach und erschöpft zur Welt und musste mich von einer unglaublich
traumatischen Erfahrung erholen, bei der ich fast mein Leben verlor; als ich
gerade dabei war, tatsächlich mein Leben zu verlieren, bewahrte man mich vor
dem Sterben. Die Medikamente, die man meiner Mutter gegeben hatte, waren durch
ihr System hindurch in meines eingedrungen und versuchten mich umzubringen;
genauso empfand ich es, dass etwas versuchte mich umzubringen.
Dann
nach dieser Zerreißprobe verstand keiner was; niemand wusste, dass Babys solche
Dinge fühlen, dass Babys exponentiell mehr fühlen als Erwachsene sich auch nur
vorstellen oder sich entsinnen können. Niemand hatte eine Ahnung wie viel Trost
und Pflege ich als Ergebnis dieser traumatischen Einführung ins Leben außerhalb
des Mutterleibs brauchte. Für sie war es meine Mutter, die durch das Ereignis
traumatisiert worden war, nicht ich. So bestand sogar unmittelbar nach der
Geburt und nach diesem fürchterlichen Erlebnis, gegen das ich mich nicht schützen
konnte (Babys haben keine Abwehr oder Filter, um sich wie Erwachsene
vor einem Trauma zu schützen), die Erwartung, dass ich das perfekte Baby
sein würde, dann ein perfektes Kind, und so fort. Ich war unglaublich müde und
schwach und traumatisiert. Ich brauchte Ruhe und eine Menge Pflege, nicht aber,
dass ich irgendwelchen Erwartungen gerecht wurde; und warum überhaupt sollte
man Erwartungen von jemandem haben, der so neu auf der Welt ist? Es übersteigt
meinen Horizont, aber in der Regel ist es so.
Ich
habe mich immer in die Vergangenheit zurückgezogen. Die Vergangenheit scheint
mir immer, als sei sie besser für mich als die Gegenwart. Ich erinnerte mich,
wie ich wahrscheinlich ein Jahr alt war oder weniger und in einem Raum lag, der,
wie ich glaube, das Apartment meiner Eltern war. Alles, woran ich mich erinnere,
ist, dass ich allein war, in einer Krippe; der Raum war abgedunkelt, aber draußen
war es sonnig und warm, Vorhänge wehten leicht von einem großen offenen
Fenster oder einer Verandatür. Der wichtige Teil ist, dass ich allein war und
mich sehr, sehr allein fühlte. Ich hatte dieses melancholische Feeling, das der
Unterbau aller meiner Gefühle in meinem ganzen Leben ist, ein Sehnen nach der
Vergangenheit. Stellen Sie sich vor, sich nach der Vergangenheit sehnen im Alter
von weniger als einem Jahr! Für mich ist es Gefühl, nach Hause zu wollen; zurückgehen
an einen Ort, an dem ich mich okay fühle.
Das war der Anfang meiner Depression
, und von da an wurde sie nur noch stärker. Ich glaube, wonach ich mich
sehnte, war, zurück im Mutterleib
zu sein, wo alles ganz war und reine Zuwendung und – was am wichtigsten ist
– wo ich nie allein war. Ich weiß, dass es dennoch nicht ideal dort war, weil
meine Mutter Alkoholikerin war und rauchte, aber verglichen mit der völligen
Einsamkeit, die ich zu der Zeit fühlte, war es ein viel besserer Ort.
Alles, was ich je wollte, war, so zu sein, wie meine Eltern mich haben wollten, besonders mein Vater. Ich wollte all das sein, was sie von mir wollten, und noch mehr. Die Wahrheit ist, alles, was ich je wollte, war, meinen Eltern zu gefallen, trotz meines Benehmens, als ich älter und rebellisch und zornig wurde.
Nach der Geburt war ich schwach und erschöpft von den Drogen und von dem Erlebnis der Todesnähe. Ich wurde wiederholt geschlagen und in abwechselnd heißes und kaltes Wasser getaucht, um mich nach dem Kaiserschnitt wiederzubeleben, den man machte, um mich vor dem Tod durch medizinisch eingeführte Drogen zu bewahren.
Ich hatte nie eine Pause; ich hatte nie Gelegenheit, zu genesen und mich zu erholen; man erwartete, dass ich ein normales Baby sei, ein exzellentes Baby. Ich weiß, das mag sich sonderbar anhören für Leute, die keine Primärtherapie gemacht haben, aber ich fühle das. Und dieser Faden zog sich durch mein ganzes Leben. Das vorherrschende Thema in meinem Leben, das sich auf unzählige Weise ständig wiederholt, ist, dass ich immer leugnen muss, mich schwach zu fühlen, und dass ich Stärke vorgebe.
Schwäche ist für mich unglaublich bedrohlich; ich fürchte immer, die Leute könnten sie in mir sehen und mich deshalb ablehnen. Ich kann mich nie in sie ergeben; ich habe unermessliche Energien aufgewendet, um sie ständig in Schach zu halten. Ich konnte ihr nur gelegentlich nachgeben, konnte sie aber nie herrschen lassen, weil das ein Loch ist, aus dem ich nie wieder herauskrabbeln könnte; für mich ist sie der Tod.
Ich hatte immer das Gefühl, das etwas mit mir nicht stimmte. In doppeltem Sinne, indem etwas Wahres daran ist, und ebenso, indem ich einfach nicht in der Lage war, die Erwartungen meiner Familie zu erfüllen. Ich glaube, Menschen (und Tiere, was das betrifft) haben fest verankerte Erwartungen in unsere Gene. Eine davon ist, durch den Geburtskanal auf die Welt zu kommen und den Vorgang zu erleben, sowohl Mutter als auch Kind. Wenn das nicht so abläuft, wie es sollte, fühlt sich etwas nicht richtig an und wird sich nie richtig anfühlen, bis man es auflöst und erlebt. So hatte ich immer das Gefühl, das etwas mit mir nicht stimmte, weil es wirklich so war; ich wurde nicht so geboren , wie es hätte sein sollen, und fühlte mich nicht so, wie ich mich hätte fühlen sollen. Tatsache war, dass es ziemlich schief lief, und ich fühlte sogar, dass ich nicht hätte geboren werden sollen, dass ich hätte sterben sollen.
Irgendwas zu tun war für mich immer doppelt so schwer wie für andere, die kein solches Trauma hatten. Ich musste nicht nur ebenso gut oder besser als andere sein, sondern ich musste gleichzeitig dieses überwältigende Gefühl von Müdigkeit und Schwäche verdrängen. Man erwartete, dass ich in allen Dingen überragend sei. Weder meine Eltern noch jemand anderer verstanden, dass ich mein Leben mit einem riesigen Defizit begonnen hatte und deshalb Hilfe brauchte. So erwartete man von mir, überall zu glänzen, und es gab für sie keinen Grund, warum ich es nicht sollte. Schließlich hatte ich in ihren Augen keine Behinderung. Und wenn ich mich nicht hervortat, meinte ich also, etwas stimme mit mir nicht, ein doppelter „Hammer.“ Und wenn doch, nun, dann wurde es einfach so erwartet. Keiner hatte eine Ahnung, dass es von mir doppelt so viel Energie, Herzschmerz und Anstrengung erforderte wie von den meisten Leuten.
So habe ich mein ganzes Leben damit verbracht, dieses unglaublich bedrohliche Gefühl zu bekämpfen, da ich fühlte/dachte, dass etwas mit mir nicht stimmt, dass ich minderwertig sei, etc. Auch der kleinste Fehler war riesig, indem er diese Wurmbüchse öffnen würde. Dennoch versuchte mein System immer Normalität zu erreichen, indem es zu dieser Erfahrung zurückging, um dieses Gefühl zu fühlen und aufzulösen. Und hier habe ich gedacht, ich bin ein Verlierer, ein Versager, nicht wert, dass man ihn kennt oder dass er zugegen ist, einer, der keine Talente, Fähigkeiten hat, grundsätzlich wertlos ist und einer, dessen man sich schämt, und ich fragte mich, warum jemand mich mögen sollte oder mein Freund sein wollte. Immer wollte ich einfach die Gelegenheit haben, mir eine Pause zu nehmen, Luft zu holen, ein bisschen zu rasten..... und immer wollte ich die Chance haben, nochmal neu anzufangen und es dieses Mal richtig zu machen.
Ich hatte Drogen- und Alkoholexzesse. Kokain war der Favorit wegen der Energie, Omnipotenz und Betäubung, die es mir gab. Ich stürzte dann auf diesen Partys ab, brachte die Realität mit dem Katergefühl im Inneren in Einklang und erholte mich dann, bevor ich den Kreis von vorne begann. Das ist genau so, wie meine Geburt verlief, Drogen und alles. Irgendwie schaffte ich es, in dieser Zeit mein eigenes Geschäft zu betreiben und ebenso, mich fast jeden Tag im Fitness-Studio herauszuarbeiten, in einer Band zu spielen und eine Menge Frauen zu treffen.
Ich
bin also erschöpft. Das ist das Wesen der Depression
. Es ist das Gefühl des ursprünglichen ‚hochkarätigen’ Traumas, das
ins Bewusstsein kriecht, zusammen mit dem gewaltigen Maß an Verdrängung, das
ständig erforderlich ist, um dieses katastrophale Gefühl unbewusst zu halten.
Man muss sich schwer abtöten, um zu verhindern, dass die Gefühlserfahrung des Traumas die Macht ergreift. Es gibt
jedoch einen Preis dafür, der im Abtöten allen Erlebens besteht, und in einer
tiefen Schwermut, die ein Sehnen danach ist, wie die Dinge sein sollten. Wir
sind alle mit dieser festverdrahteten Erwartung in uns geschaffen. Komisch, wir
wissen, wie wir uns fühlen und wie wir sein sollten, und wenn es nicht
geschieht, gibt’s Melancholie; denn das Leben ist nicht ganz so, wie es
unseres Wissens sein sollte.
_________
Hilda
Meine
Mutter und mein Vater wuchsen in den 1940ern auf. Meine Mutter wurde als
Oberklassen-Katholikin erzogen, wie sie selbst sagte, mit völliger
Selbstversagung und völliger Hingabe an andere. Mein Vater wurde als Protestant
erzogen, und eine Tracht Prügel war die gängige Strafe in seiner Familie. Sie
heirateten in den 1960ern, und sie prallten aufeinander. Mein Vater schlug meine
Mutter, die sich nicht wehrte, bis ihre Knochen brachen. Wir waren sechs Kinder
mit einem, das noch kommen sollte, und wir hatten vor unserem Vater Angst bis
zum Tag, als ich 5 war, als mein Vater
mit meiner Mutter stritt. Ich schubste meine ältere Schwester, die sich dabei
verletzte; sie rief nach meinem Vater, der es dieses Mal nicht an meiner Mutter
ausließ sondern an mir. Er schlug mich, bis er müde wurde. Mutter verteidigte
mich nicht; niemand konnte mich vor ihm beschützen. Ich fing an, die Rolle des
Familiendeppen zu spielen; obwohl ich schon Geschichten lesen konnte, gab ich
vor, dass ich nichts verstand, und zog mich stattdessen nach innen zurück, weil
ich begriff, dass mein Vater verrückt war und mich töten konnte und dass meine
Mutter mich nicht beschützen würde. Auch verließ meine Mutter monatelang das
Haus, so dass wir sie nicht zu Gesicht bekamen. Ich wurde zu einem wandelnden
Zombie, und ich war deprimiert.
Ich
war deprimiert, als ich zu meiner Primärtherapie-Sitzung ging, und verstand
nicht, warum, aber ich wusste, dass ich unter großem Schmerz stand. Während
der Sitzung, als ich redete, sagte ich „Ich fühle mich so schlecht“ und
begann, mich in eine Fötalstellung zu begeben. Ich drängte mich etwas voran, hörte
dann eine Zeit lang auf, und so fort, bis sich mein Körper so weit überhitzte,
dass ich es nicht aushalten konnte. Ich versuchte mich zu bewegen, aber mein
Kopf hämmerte, weil ich Höllenqualen litt. Ich würgte. Mein Mund öffnete
sich immer wieder weit und wollte schreien, aber es kam kein Ton heraus. Mir war
übel, und ich konnte mich nicht bewegen und fühlte totale Verzweiflung, weil
mein Körper das nicht länger ertragen konnte. Mehr als zwanzig Minuten lang
hatte ich das Gefühl, langsam zu sterben. Dann bekam ich Kraft von einem
unbekannten Ort und drängte mit großer Macht vorwärts. Aber ich scheiterte,
und zehn Minuten später passierte dasselbe. Ich fiel in eine Leere. Mein Magen
zerrte. Ich hatte Panik, als ich würgte und immer wieder hochhustete, und
schließlich war ich geboren.
Dieses Erlebnis ähnelt meiner Depression, bei der ich nicht funktionieren kann. Ich kann gar nichts tun. Meine Gedanken sind düster, nahezu suizidal, obwohl ich nie versucht hatte mich umzubringen. Bis ich 5 war, war ich ein Kind, das glücklich war, wenn die Dinge in Ordnung waren, die erste, die lachte und die bis zu jenem Tag immer auf Vaters Schoß kletterte. Obwohl ich diese Geburt hatte, konnte dennoch alles in Ordnung sein mit mir bis zu jenem Tag mit meinem Vater, als er anfing, mich zu schlagen, und das Gefühl der Hilflosigkeit meiner Geburt verstärkte. Danach war ich ständig deprimiert.
Kapitel 4
Ein frühes Trauma errichtet einen Prototypen oder eine Schablone, welche die Persönlichkeit formt und das Verhalten steuert. Abhängig von der Natur des Traumas wird das Nervensystem typischerweise in eine von zwei Richtungen -sympathisch oder parasympathisch – verschoben und formt eine Matrix für die „Persönlichkeit.“ Dieser Prototyp gilt ebenso in physiologischer Hinsicht.
Die
sympathisch-parasympathischen Systeme sind automatische Nervensysteme, die sich
ausgleichen. Das sympathische Alarmsystem, das sich in evolutionärer Hinsicht
zuerst entwickelte, ist für die schnelle Entwicklung des Nervensystems
verantwortlich; es warnt vor Gefahr und muss von früh an auf optimalem Niveau
funktionieren. Das parasympathische Hemmungssystem, das sich später
entwickelte, ist lethargischer und schwerer zu erregen, und es bedarf größeren
Inputs, um es in Gang zu setzen. Seine Aufgabe ist, die Abkoppelung
sympathischer Erregung zu unterstützen, so dass bestimmte Vitalfunktionen zum
Normalzustand zurückkehren, wie zum Beispiel unsere Atmung, Blutdruck, Körpertemperatur,
Blasenfunktion und Verdauung.
Diese
zwei Systeme werden vom Hypothalamus überwacht, zum Großteil vom rechten
Hypothalamus, einer Schlüsselstruktur im Gehirn.
Das sympathische und parasympathische System sind im Gleichgewicht, wenn
wir eine gute Verbindung mit unseren Gefühlen haben. Aber ein Geburts- oder
Vorgeburtstrauma kann diese Systeme zu der Zeit aus dem Gleichgewicht bringen,
wenn sie sich entwickeln und voll organisieren, so dass das eine über das
andere dominiert. Das kann durch die Natur, Intensität und den Zeitpunkt des
Traumas bestimmt sein.
Wenn
man zum Beispiel heftig kämpft, um Erfolg zu haben und geboren zu werden, wird
dadurch das Kämpfen-Erfolg-Syndrom eingeprägt. Das Ergebnis ist eine eher
sympathisch dominante, optimistisch gesteuerte Orientierung. Umgekehrt kann eine
andere Geburtserfahrung einen parasympathisch dominanten Prototyp
einprägen, der zum Aufgeben und zu Passivität neigt. Das ist der Anfang
dessen, was man Persönlichkeitsstruktur nennt; es ist unser Wesenskern. Die
Dominanz des jeweiligen Systems hängt von der Art und vom Zeitpunkt des frühen
Traumas ab.
Noch
bevor wir das Tageslicht erblicken, kann unser System eine Niederlage
registrieren; es gibt eine sehr reale Physiologie der Niederlage, die innerhalb
unseres Nervensystems existiert. Das kann passieren, wenn man einer Mutter während
der Geburt Betäubungsmittel verabreicht. Zuerst unternimmt das Baby große
Anstrengungen, um geboren zu werden. Um die Wehen der Mutter angenehmer zu
machen, wird Anästhesie angewandt, und das Medikament dringt auch in das System
des Babys ein und reduziert dadurch den Sauerstoff, der ihm zur Verfügung
steht. Das unterbricht die normale instinktive Reaktion, gegen die tödliche
Bedrohung bei der Geburt anzukämpfen, weil das die Gefahr erhöhen würde.
Energie sparen und nicht zu viel wertvollen Sauerstoff zu verbrauchen wird zu
einer biologischen Notwendigkeit. Also verlangsamt sich das Baby-System, um sich
selbst zu retten, und steht dann praktisch still.
Nicht
zu kämpfen ist eine prototypische parasympathische Reaktion, um Energie zu
sparen. Ihr psychologisches Äquivalent ist Verzweiflung, Resignation und
Niederlage. Diese Niederlage drückt sich im Fetus als nonverbale Empfindung
aus; das Baby gibt auf. Aber weil das Gesamtsystem als Überlebensmechanismus
zur parasympathischen Seite kippt, kann es den Menschen für den Rest seines
Lebens charakterisieren. Es kann zu einer Einprägung von Hilflosigkeit und
Hoffnungslosigkeit kommen: Ich habe alles getan, um zu leben, und alles, was ich
tue, ist zwecklos.“ Die Prägung formt, wie er späteren Hindernissen begegnet
(indem er schnell aufgibt). Übrigens kann sie auch bstimmen, wie er sexuell
funktioniert. Er hat nicht die biochemische Ausrüstung, um hartnäckig,
aggressiv, anspruchsvoll, optimistisch, zukunftsorientiert oder sexuell erregt
zu sein. Das kommt daher, dass der Prototyp globalen Einfluss auf sein ganzes
physiologisches System hat, und die Impotenz, die er bei der Geburt fühlte, ist
eine Impotenz, die in späteren Jahren sexuell zur Geltung kommen kann. Sein
Gesamtsystem tendiert zu weniger Testosteron, Dopamin, Glutamat und
Noradrenalin, zu niedrigerem Serotonin- und höherem Kortisolspiegel.
Forscher
haben alle möglichen Hormone mit Depression in Verbindung gebracht, sagt ein
Bericht im Scientific American (Juni 1998, „The Neurobiology of
Depression,“ Seite 4-11). Forscher haben herausgefunden, dass der Spiegel des
Monoamins Norepinephrin (Noradrenalin) bei Depression niedrig ist, etwa 30
Prozent weniger als bei einer
normalen Population. Das führt dazu, dass einige Fachleute Depression als
„Gehirnkrankheit“ auffassen. Norepinephrin, ein Monoamin, ist im Großen und
Ganzen ein stimulierender Nervensaft. Sie wird hauptsächlich von Schaltkreisen
hergestellt, die einer Hirnstamm-Struktur entspringen, dem locus ceruleus. Es
gibt Projektionen zu anderen Gehirnorten, vor allem ins Limbische System. Es
gibt bei Depression nicht genug davon, was zu der falschen Annahme führt, dass
dieser Mangel Depression verursacht. Wenn wir in Betracht ziehen, dass
Vorgeburts- und Geburtstraumen schwere Wirkung auf den locus ceruleus haben, der
in gewisser Hinsicht das Terrorzentrum des Gehirns ist, beginnen wir zu
verstehen, warum es zu solchen Mangelzuständen kommt. So kann ein frühes
Trauma den locus ceruleus beeinflussen und seinen Ausstoß dämpfen. Es gibt
eine andere Forschungsstudie, die herausfand, dass der Hippocampus im Gefühlszentrum
des Gehirns bei Depressiven kleiner ist als bei normalen Leuten. Wir wissen
jedoch, dass ein frühes Trauma dazu neigt, den Hippocampus schrumpfen zu
lassen; dieselbe Bedingung, die Depression erzeugt, lässt kurz gesagt den
Hippocampus schrumpfen. Auf einer Konferenz des American College of
Neuropsychopharmacology gab es einen Bericht, dass Leute, die durch Selbstmord
starben, nur ein Drittel der Anzahl präsynaptischer Serotoninzellen hatte. Ihre
Schlussfolgerung war, dass bei Menschen, die Suizid begehen, ein Serotoninmangel
vorherrscht; es gibt umfangreiches Beweismaterial dafür, wie das Geburtstrauma
sich auf spätere Depression auswirkt.
Wir
können über die „Gehirnkrankheit“-Hypothese hinausschauen, um zu erkennen,
warum bestimmte Neurochemikalien unterrepräsentiert sind. Hier finden wir die
Primärplattform für spätere Depression. Das Problem besteht darin, dass die
Zeitkluft zwischen Depression im Alter von 40 und einem Geburtstrauma im
Lebensalter von einem Tag, das die Sollwerte verändert und Norepinephrin und
Serotonin erschöpft, so groß ist, dass es sehr schwierig ist, die beiden in
Zusammenhang zu bringen. Und natürlich ist erschöpftes Serotonin, der
Neurohemmer, eine weitere Substanz, die in Depression verwickelt ist. Bei
chronisch Depressiven ist sie gering vorhanden. Tendenziell wird auch sie in den
ersten Lebensstunden aufgrund frühen Liebesmangels oder Traumas aufgebraucht.
Wenn man depressiven Patienten ein Medikament gibt, das dabei hilft, Serotonin
im Gehirn zu halten, fühlen sie sich besser. Sie sind besser in der Lage,
Schmerz zu unterdrücken, und leiden deshalb nicht so sehr. Was
Beruhigungsmittel und Antidepressiva bewirken,
ist, dass sie den Serotoninmangel ausgleichen. Das ist bestenfalls von vorübergehender
Wirkung. Es gibt eine Möglichkeit, den Mangel dauerhaft auszugleichen: die
Ereignisse wiedererleben, welche die ursprüngliche Abweichung verursachten. Das
normalisiert, wie so viele unserer Forschungen herausgefunden haben. Mit normal
meine ich die Wiederherstellung früherer Normen – der Blutdruck und andere
Vitalfunktionen kehren zu Werten innerhalb akzeptierter Grenzen zurück, und die
Persönlichkeit, die früher vielleicht getrieben war, verlangsamt sich auf ein
moderates Niveau. Auf diese Weise wird der Mensch nicht mehr von unbewussten Kräften
getrieben. Im britischen Wissenschaftsmagazin New Scientist vom 12.
April 2003 findet man unter der Überschrift „The Dreamcatcher“ auf Seite 46
ein Interview mit dem Psychologen Joe Griffin. Er behauptet: „Die Forschung
zeigt, dass jede Therapie oder Beratung, die Menschen zur Introspektion über
ihre Vergangenheit ermutigt, die Depression unweigerlich vertiefen wird.“ Das
steht in einem respektierten Wissenschaftsjournal! Mit diesem Ratschlag kann man
sich einzig auf das Hier-und-Jetzt konzentrieren, ohne dass es einem je besser
geht. Das ist das Wesen des historischen Solipsismus. Es gibt keine
Vergangenheit; nichts in unserer Geschichte beeinflusst uns.
Diese
prototypische Prägung kann auch stattfinden, wenn die Mutter während ihrer
Schwangerschaft Schmerztöter nimmt. Die Droge dringt in den Körper des Babys
ein und hat einen lebenslangen Verdrängungseffekt. Ebenso prägt eine Mutter,
die in der Schwangerschaft raucht, ein passives herunterreguliertes System in
ihren Nachwuchs ein, da Tabak eine Reihe von Schmerztötern enthält. Dasselbe
trifft auf eine Mutter zu, die schwere Medikamente wie Haldol nimmt; es führt
dazu, dass das Neugeborene eine parasympathische Dominanz entwickelt: Es wird
selten - wenn überhaupt - weinen oder stark reagieren. Das unter Drogen
stehende System der Mutter hat die aktivierenden Neurohormone unterdrückt, die
das Baby braucht, um wachsam und aggressiv zu sein. Haldol unterdrückt die
Dopaminproduktion beim Baby, was bedeutet, dass es weniger Energie und
Aggressivität entfaltet. Es wird passiv geboren, es fehlt ihm an Energie, und
es reagiert nicht. Es ist so ein guter Junge, dass wir erst Monate später zögernd
begreifen, dass etwas nicht stimmt.
Die
Geburtserfahrung mangelnden Sauerstoffs kann die Tendenz verstärken, keine
Energie zu verbrauchen, die aufgrund der Tatsache bereits besteht, dass die
Mutter während ihrer Schwangerschaft geraucht hat. Aufgrund dessen wird der
parasympathische Prototyp umso stärker eingeprägt; das Ergebnis ist ein
passives Individuum, das sich nirgendwo zu sehr anstrengt. Dieser Mensch steckt
jetzt in einem unbeweglichen Tiegel fest, der seine Lebensentscheidungen
und-interessen lenkt. Er wird nicht extrovertiert und gesellig sein; er wird
kein Geschäftsmann sein.
Passivität und Niederlage können auch in das Kind einer Mutter eingeprägt werden, die während der Schwangerschaft in einem depressiven, hoffnungslosen Stimmungsmodus ist. Der Fetus kann zusammen mit seiner Mutter in diesem Modus versinken und dann eine lebenslange Tendenz zur Passivität aufweisen. Mit 30 Jahren ist diese Person impotent und kann keine Erektion aufrecht erhalten. Sein Körper spricht die Sprache des Prototypen: „Ich bin hilflos und schwach. Ich kann nichts tun, um mir selbst zu helfen.“ Der Erektionsverlust spricht eine Sprache; es ist eine Sprache, die ständig zu uns spricht, obwohl wir ihre Syntax nicht verstehen. Und was noch schlimmer ist, sie redet die ganze Zeit mit uns, und wir können uns nie für die Gefälligkeit revanchieren.
Viele
Forschungen weisen auch darauf hin, dass das Stressniveau der Mutter in der
Schwangerschaft den Sexualhormon-Ausstoß des Nachwuchses ein Leben lang
beeinflussen kann. Das ist die Zeit, in der das Sexualhormonsystem des Fetus in
Erscheinung tritt und seine Sollwerte entwickelt. Ein andauerndes Trauma bei der
Mutter, wie zum Beispiel vom
Ehemann verlassen zu werden, kann einen anderen Sollwert einprägen – eine
Hypo-oder Untersekretion – weil sich das System an das Niederlagen- und
Resignations-Gefühl der Mutter anpasst. Deshalb Jahrzehnte später die Impotenz
beim erwachsenen Mann. Es ist keine Überraschung, dass wir bei Männern, die
Parasympathen sind, niedrigere Testosteron-Ausgangswerte gefunden haben.
Im
Gegensatz zur ‚besiegten’ und passiven Prägung des Parasympathen steht der
„Alles-geben-was-du-hast“-Antrieb, der die Persönlichkeit des Sympathen
charakterisiert. Hier finden wir den Kampf ums Herauskommen bei der Geburt, wenn
es nur zäh vorwärts geht, ein verzweifeltes Kämpfen und der Einsatz der
letzten Energiereserven, um zu leben – das Kampf-und-Erfolg-Syndrom. Diese
sympathische Dominanz mit allen Systemen volle Kraft voraus wird zum Prototyp.
Der Mensch wird dann in anderen Lebensituationen immer wieder zu hartnäckig
sein und nicht wissen , wann er zurückstecken muss. Freunde werden dem
Sympathen sagen: „Lass es sein. Hör’ auf, dich selbst anzutreiben!“ Aber
er kann es nicht. Wie ich betont habe, ist Aufgeben für den Parasympathen am
untersten Glied der neuronalen Kette wirklich eine Überlebenssache. Für den
Sympathen kommt Aufgeben dem Tod gleich; weitermachen bedeutet Leben. Das ist
eine gute Eigenschaft, um Erfolg zu haben, aber keine so gute für
Langlebigkeit.
Nehmen
wir zum Beispiel an, dass ein Mann mit einer sympathisch dominanten Persönlichkeit
ein Projekt betreibt, das für ihn zu groß ist, als dass er es bewältigen könnte.
Er kann nicht aussteigen, noch kann er um Hilfe bitten, weil ein Teil der
Originaleinprägung lautete: „Es gibt keine Hilfe; ich muss das allein
machen.“ In der kognitiven
Therapie lernt er vielleicht, dass er loslasssen muss und sich nicht so sehr
anstrengen darf, aber tief in seinem Gehirn verweilt die eingeprägte Erinnerung
der Notwendigkeit, sich schwer anzustrengen und nie aufzugeben. Er lebt den
Prototyp aus, und er treibt sich vielleicht selbst in einen frühen Tod. In der
kognitiven Therapie (und Einsichtstherapie gehört dazu) gibt es das Dogma, dass
Gedanken Emotionen beeinflussen, so dass wir unsere Gefühle ändern können,
wenn wir die richtigen Gedanken denken. Das stimmt nicht und läuft der modernen
Neurowissenschaft zuwider, die sagt: „Der Hauptteil des Einflusses geht in die
andere Richtung.“ Es sind Gefühle, die Glaubensvorstellungen und Gedanken
kontrollieren. (siehe Paul Genova, „Cognitive Therapy’s Faulty Schema,“ Psychiatric
Times, Okt. 2003, Vol. XX, Ausgabe 10). Also werden wir niemanden aus seiner
Depression herausargumentieren können; noch werden wir depressive Gedanken
durch andere gesündere ersetzen können. Und bestimmt werden Einsichten, Teil
unseres Denkapparats, Depression nicht ändern.
Es
ist logisch, das herauszusuchen und zu machen, was vorher funktioniert hat. Das
ist der Grund, warum in einer lebensbedrohlichen Situation unser ganzes Leben
vor unseren Augen abläuft, da das Gehirn die ganze Lebensgeschichte nach einer
Überlebensstrategie durchsucht. Einige werden umtriebig; andere frieren ein.
Und von Tag zu Tag reagieren wir immer wieder auf Grundlage des vorherrschenden
Prototyps, entweder indem wir nach Bedürfnisbefriedigung streben (Sympath) oder
indem wir leicht aufgeben, ohne uns sehr zu bemühen (Parasympath). Die Nadel hängt
ein Leben lang auf der einen oder anderen Platte fest. Und es ist buchstäblich
eine Platte, die ewig spielt. Es ist die Platte unseres Lebens, die
Hintergrundmusik, nach der wir die ganze Zeit tanzen, ohne es zu wissen. Wir
bewegen uns zu einem langsamen Walzer, wenn wir Parasympathen sind, und zu
„beschwingterer“ Musik, wenn wir das nicht sind. Auch wenn wir die Musik
nicht hören können, tanzt der Körper denoch danach.
Wenn
sich die Einprägung durch fehlende Fürsorge und Berührung in den ersten
Lebenswochen bildet, lernen wir emotionalen Rückzug und Entfremdung als
charakteristisches Verhalten, und auch das ist bei den meisten Depressiven
offensichtlich. Das würde die bereits früher eingestempelte Tendenz bekräftigen,
ganz allein und von seinen Eltern emotional distanziert zu sein. Es kommt nun zu
einer Verstärkung. Wenn jemand mit einem Gefühl der Entfremdung und
emotionalen Losgelöstheit lebt, kann das daher kommen, dass das
parasympathische System der bei der Geburt eingeprägte Prototyp war; es
reflektiert das Bedürfnis des Selbst nach Rückzug und Dissoziation vom
Schmerz. Das geschieht, wenn Abkoppelung das Prinzip und die einzig mögliche
Abwehr bei der Geburt ist, zum Beispiel gegen die Strangulierung durch die
Nabelschnur. Das kann sich verstärken durch die fehlende Nähe zur Mutter
unmittelbar nach der Geburt. Somit können wir uns von uns selbst loslösen und
emotional distanziert werden, und das bereits im Mutterleib. Der Impuls, uns
selbst aus Erfahrungen herauszuholen, wird zu einem Prototyp. Wir werden
distanziert, abstrahiert – zuerst distanziert von uns selbst, dann von
anderen. Es ist möglich, dass sich im letzten Trimester der Schwangerschaft ein
Teil des Systems von den anderen Teilen abschottet. Das bedeutet, dass Verdrängung
einsetzt, um den Fetus von seinen Gefühlen abzuschirmen. Und wenn wir aufgrund
früher parasympathischer Einprägungen von uns selbst entfremdet sind, können
wir durchaus Partner wählen, die auch von ihren Gefühlen entfremdet sind. Es
gibt ein unerbittliches biologisches Gesetz, nach dem wir anderen umso näher
sein können, je näher wir uns selbst sind; je entfernter wir emotional von uns
selbst sind, umso entfernter werden wir in emotionaler Hinsicht von anderen
sein. Und das deshalb, weil die Beziehungen mit anderen letztlich eine innere
Erfahrung sind; Offenheit zu uns selbst ermöglicht uns Offenheit zu anderen.
Wenn wir also von uns selbst abgeschnitten sind, neigen unsere Beziehungen zu
Oberflächlichkeit, sind aber sicher und unbedrohlich und lösen nicht leicht
starke Emotionen aus.
Der
Parasympath zieht sich mit größerer Wahrscheinlichkeit zurück, ist scheuer
und furchtsamer und zögert eher. Wahrscheinlich überlegt er mehr und ist
weniger impulsiv als der Sympath, dessen Modus ganz nach außen gerichtet ist.
Als Erwachsener wird der Parasympath zurückscheuen, wenn ihm jemand zu nahe
kommt, weil das den Schmerz darüber hochbringen kann, dass er nie die Nähe
gehabt hatte, die er brauchte. Seine Scheu ist Schutz gegen Urschmerz, ein
Schmerz, an den er sich nicht einmal erinnern kann, der aber in jedem Teil von
ihm registriert ist: in seiner Haltung, seinem Gesichtsausdruck, Gang, Kadenz
und Tonfall seiner Sprache. Das sind alles Erinnerungsaspekte. Er hat den Zugang
zu diesen Erinnerungen verloren, aber der Prototyp bleibt als Erinnerung einer
vergangenen Zeit, und wer wir sind, ist fleischgewordene Erinnerung.
Der
Sympath konzentriert sich nach außen, während der Parasympath nach innen
schaut, poetischer und philosophischer ist. Wie wir später sehen werden, ist
die Außenorientierung eine Funktion des linken frontalkortikalen Gehirns, während
die nachdenkliche, introspektive, nach innen gerichtete Person tendenziell vom
rechten Frontalgehirn beherrscht wird. Und wenn die Verknüpfung durchtrennt
wird, ist die Person eher nach außen gerichtet und vernachlässigt, welche Gefühle
emotional im Inneren liegen. Der Sympath ist handlungsorientiert, wie er es seit
Geburt war, weil Handeln Überleben bedeutet. Er ist ehrgeizig und schaut ständig
nach vorne, weil ihm das bei der Geburt eingestempelt wurde. Alles an ihm ist in
eiliger Bewegung. Er spürt das Bedürfnis, sich zu beeilen, ist ungeduldig und
möchte jede Aufgabe sofort erledigt haben. Er muss die ganze Zeit in Bewegung
sein: Pläne, Projekte, Reisen. Er ist ständig aggressiv, lernt, dass ihm das
hilft, Erfolg zu haben, und es verstärkt sich. Er ist selten deprimiert, wenn überhaupt,
weil seine Physiologie nicht dazu neigt.
Im
Gegensatz dazu kann die Parasympathin nicht spontan reagieren und grübelt ständig
über ihr Leben. Sie ist ihrem Schmerz nahe und dennoch von ihm getrennt. Sie
ist selten so manisch wie der Sympath. Biologisch befindet sie sich im
herunterregulierten Modus; sie ist am Lebensanfang verlangsamt worden, es prägte
sich ein, und sie macht auf diesem Weg weiter. Ihre Vitalwerte sind einheitlich
niedrig. Sie ist depressiv, fühlt sich hoffnungslos und hilflos. Aber manchmal
fällt es ihr schwer zu weinen, da die Verdrängung es verhindert. Sie gerät
nur langsam in Erregung, was Gefühle allgemein und Sex betrifft. Sie ist
vorsichtig und wenig mitteilsam, weniger neugierig und abenteuerlustig; sie
sucht nicht nach Neuem und fühlt sich in ihrer alten Routine wohl. Sie ist
sesshaft.
Der
Sympath ist hartnäckig. Er lässt sich auf Auseinandersetzungen ein, die er
vermeiden sollte, weil Hartnäckigkeit Überleben bedeutet. Für ihn lautet die
unbewusste Formel aus der Geburt, dass fehlender Kampf und Drang den Tod
bedeutet.
Ein
Patient hatte den Geburts-Prototypen, um sein Leben kämpfen zu müssen, und das
setzte sich die ganze Kindheit hindurch mit seiner Mutter fort, die ihm das
Leben schwer machte. Er sagte mir, dass er immer nach einem Lebensgrund suchte,
nach einem Zeichen der Ermutigung, das ihm erlauben würde, weiterzumachen. Er
gab „alles, was er hatte,“ aber
es war zwecklos. Er war zu aggressiv bei seiner Suche nach einem Grund, da er
von dem Bedürfnis getrieben wurde, bei der Geburt zu überleben. Er bemühte
sich bei Frauen zu sehr, was diese abschreckte. Er suchte immer nach
Komplimenten, weil er hoffte, einen Lebensgrund zu finden. Er sagte mir: „Man
konnte mich für ein kleines Kompliment kaufen.“
Sogar
die Stimme passt sich an das Ungleichgewicht an: Der Sympath hat die hohe,
quickende Stimme, während der Parasympath die tiefe, langsame, honigsüße hat.
Bestimmt das Geburtstrauma, wie wir sprechen? Oft ja. Sie bestimmt auch die
Kadenz. Die Parasympathin hat es nicht eilig, sich zu erklären. Sie kann ein
Sprechmuster haben, das sehr wenig Raum ergreift; ihre Worte füllen keinen
Raum, vielmehr entkommen sie kaum ihrem Mund. Im Gegensatz dazu purzeln die
Worte des Sympathen geradezu heraus, ein Wort auf das andere gestülpt.
Hinsichtlich
des linken und rechten Gehirns ist der Parasympath in seinen Rechtshirngefühlen
aufgelöst und nach innen zentriert. Der Sympath kann sich daraus erheben, in
sein linkes Gehirn eintauchen und sich nahezu ausschließlich nach außen
konzentrieren. Er kann nicht nach innen schauen und ist, was nicht überrascht,
weniger geeignet, zu einer Gefühlstherapie zu kommen. Wir sehen mehr
Parasympathen als Sympathen.
Wir
sehen an dem folgenden Fall von Timothy, dass er durch Primärtherapie in
relativ kurzer Zeit eine Besserung seines Gesundheitszustandes erreichen konnte,
weil es allgemein viel länger als sechs Monate dauert, sich von einer schweren
Depression zu erholen. (SSRIs wie Paxil senken den Grad der Verdrängung, die
den Schmerz zurückhält, und erhöhen den Zugang des Patienten zu ihm, so dass
der Patient glaubt, es gehe ihm schlechter, aber in Wirklichkeit hat er mehr
Zugang zu dem Schmerz, den er verdrängt hat.)
______________
Timothy
Ich
glaube, ich war ständig deprimiert, sogar als kleines Kind. Ich hatte ein
ernstes und betrübtes Wesen ohne spontanes Lächeln oder Lachen, das für
kleine Kinder charakteristisch ist. Die meiste Zeit war ich wie ein Roboter,
hatte keine wirklichen Freunde und kein Verlangen danach. Mein Äußeres wirkte
ungepflegt, und ich schlief nicht sehr viel. Ich war kalt und distanziert, wenn
mich Leute anlächelten, und ich verstand es nicht. Ich lächelte nicht zurück,
weil mir niemand beigebracht hatte, dass ich das tun sollte.
Ich
hätte mich selbst natürlich nie als depressiv bezeichnet, weil ich meinen
Zustand für normal hielt und alle anderen ihn einfach für einen Teil meines
Charakters hielten. Manche Kinder sind glücklich und andere sind traurig;
niemand hielt mich für abnormal, und so nahm ich keine Notiz von diesen Dingen.
Ich war wirklich nur sehr leicht deprimiert, und es verschlimmerte sich nicht
bis zu meinen College-Jahren.
Im College wachte ich eines Morgens auf und fand, dass ich gut genug geschlafen hatte, aber dennoch erschöpft war. Ein Schmerz ging durch meinen Körper, und mir war, als hätte ich keine Energie, als hätte ich etwas körperlich äußerst Anstrengendes gemacht, obwohl ich doch überhaupt nichts gemacht hatte. War ich krank? Das dachte ich bei mir, ignorierte es dann aber. Es ließ sich eh’ nichts machen, und ich musste aus dem Bett und zur Schule, ob ich wollte oder nicht.
In
den nächsten paar Wochen verschlimmerte sich die Lethargie sehr. Ich saß
herum und machte überhaupt nichts. Wellen der Erschöpfung liefen durch
meinen Körper. Sie begannen an meinen Füßen und bewegten sich nach oben
durch Beine und Rumpf, und ich beobachtete sie alle stillschweigend, konnte
aber nichts tun. Eines Tages geschah es, dass ich mehrere Stunden bewegungslos
in den Fernseher starrte, und der Fernseher war gar nicht an. Ich hatte die größte
Abneigung, auch nur einen einzigen Muskel zu bewegen! Ich war so müde, so müde.
Ich
schlief nur noch unregelmäßig, und Essen wurde sehr schwierig. Manchmal
verschluckte ich das Essen im Ganzen, ohne Kauen, und manchmal hatte ich das
Gefühl, als wollte ich nicht mehr atmen, weil es jetzt so ermüdend war und
ich bereits so erschöpft war. Mein Gedächtnis wurde allmählich schlechter.
Mein Äußeres wirkte noch schlampiger, und ich vernachlässigte meine
Schularbeiten total.
Manchmal
versuchte ich, gegen die Depression anzukämpfen. Ich glaubte, wenn ich diese
Dinge ignorierte, wenn ich sie bekämpfte und sie unterdrückte und sie zurück
ins Innere stieße, dann würden sie mich vielleicht in Frieden lassen.
„Genau dann, wenn mir nach Nichtstun zumute ist“, so dachte ich, „muss
ich mir selbst einen Stoß geben und nicht dieser Lethargie verfallen!“ Das
war ein Fehler, und ich fühlte mich genauso lethargisch wie zuvor.
Bald
fand ich heraus, dass mir das, was ich früher genossen hatte, keine Gefühle
mehr brachte. Ich war ein Bursche, der sehr der Ästhetik zugeneigt war. Ich
liebte schöne Landschaften, Kunst, Musik und wunderbar geschriebene Bücher.
Das waren die einzigen Dinge, die ich in meinem Leben hatte. Wenn ich jetzt in
ein Museum ging oder ein Buch las, gab mir das gar nichts. Das beunruhigte
mich, weil es meine einzige Freudenquelle war, und jetzt hatte ich sie nicht
mehr. Schlimmer noch, ich hatte allmählich das Gefühl, dass diese Dinge
wertlos oder vorgetäuscht waren, dass meine Glücklichkeit nur eine Illusion
gewesen war. „Es gibt nichts mehr,“ dachte ich, und ich akzeptierte es mit
düsterer Resignation.
Bald
infizierten schlimme Gedanken meinen Geist. Ich begann zu denken, dass es für
mich kein Glück mehr gibt, dass es nie real war und niemand es besaß. Ich
glaubte allmählich, dass mein Gehirn sich irgendwie verschlechtert hatte, und
das machte mir große Sorgen. Ich begann über all die Leute auf der Welt
nachzudenken, die litten: die Kinder, die Armen, die Hungernden und die
Gefolterten. Und ich lebte besser als sie, aber ich war dennoch so unglücklich.
Das ist uns bestimmt, dachte ich.
Bald
war ich in Gefahr, das College zu schwänzen, und ich dachte, dass diese
Depression mehr als weit genug gegangen war. Ich ging zu einem Psychiater und
bat um Medikamente. Er verschrieb Paxil, 20 mg, und fing am nächsten Tag an,
es zu nehmen. Die Lethargie ging nach einem Tag weg, und sie wurde durch etwas
viel Schlimmeres ersetzt.
Die
Lethargie verflüchtigte sich und wurde durch schreckliche Gefühle ersetzt.
Jeder kennt gelegentliche Traurigkeit oder Trauer, und mir waren diese Dinge
nicht fremd, aber dieses Mal war es ganz anders. Ein Gefühl, ein
schreckliches Gefühl von Einsamkeit oder Hoffnungslosigkeit oder Verzweiflung
traf mich. Es fegte nicht über mich hinweg sondern traf mich wie ein Fels; es
packte mich. Ich war entsetzt. Es erschreckte mich. Ich war in einem
emotionalen Schockzustand, weil ich nie geglaubt hatte, dass jemand so viel
emotionalen Schmerz auf einmal erleben könnte. Ich wusste nicht, dass sowas möglich
war. Mein Körper wand sich und verdrehte sich, und mein Kopf schwang zur
Seite, als würde ich versuchen, mich aus der Schmerz-Umklammerung zu befreien
oder ihn irgendwie aus dem Weg zu räumen. Die Agitation war immens, und mein
Herz begann sehr schnell und sehr laut zu schlagen. Tatsächlich schlug es
nahezu in meiner ganzen Brust. Ich dachte bei mir selbst: „Gottseidank
hab’ ich angefangen, Paxil zu nehmen,weil meine Depression noch viel, viel
schlimmer geworden ist!“ An diesem Abend nahm ich ein zweites Paxil. Am nächsten
Morgen wachte ich weinend auf, was für mich ungewöhnlich war. Ich hielt es für
gesund und ließ es zu, aber bald wuchs es an, und der Schmerz wurde überwältigend.
Ich sagte zu mir selbst: „Ich muss dieses Weinen beenden! Es ist zu viel,
und ich muss genau jetzt damit aufhören!“ Aber ich konnte nicht aufhören;
es war zu spät. Es kam weiterhin aus mir heraus, und ich fing an, meine ganze
Energie einzusetzen, um es wegzustoßen. Ich flog aus der Schule. Ich hörte
auf, Paxil zu nehmen, weil ich erkannte, dass es meinen Zustand
verschlechterte und nicht besserte. Ich verbrachte meine ganze Zeit vor dem
Fernseher, nahm Beruhigungsmittel und versuchte angestrengt, jedes Quentchen
meiner Aufmerksamkeit auf diesen Fernseher zu konzentrieren, um kein Stück
davon für den Schmerz übrig zu lassen. Ich saß da und zitterte, und die Tränen
liefen mir über die Wangen, obwohl ich nicht laut weinte und mich auf diesen
Fernseher konzentrierte. Lass’ dem Schmerz kein bisschen Raum, konzentriere
dich einfach auf den Fernseher.
So
ging es mir mehrere Wochen. Jeden Tag wachte ich auf und dachte: „Ich
kann’s keinen Tag länger aushalten. Ich kann nicht mehr! Ich hab’ endgültig
genug.“ Aber jedes Mal schaffte ich es durch einen weiteren Tag. Eine
Zeitlang schlief ich viele Tage lang überhaupt nicht. Ich ging ins Bett und
lag da stundenlang voller Angst, und ich versuchte zu vergessen, aber ich
schlief nicht. Ich bat Familienmitglieder zu kommen und mir vorlesen. Ich
versuchte angestrengt, mich auf das zu konzentrieren, was sie mir vorlasen,
und den Schmerz zu vergessen. Der Gedanke kam in mir auf, dass ich Selbstmord
begehen müsse, dass es keinen anderen Weg mehr gebe. Ich verstieß ihn. Das
werde ich niemals tun, dachte ich bei mir selbst. Aber der Gedanke kam zurück
und sagte zu mir: „Du musst es tun, du musst dich selbst töten, weil es
keinen anderen Weg gibt.“ Eines Tages weinte ich wieder, und der Schmerz
verging. Er verging sehr spontan und sehr schnell, innerhalb 24 Stunden. Die
Lethargie blieb, aber sie war nicht so schlimm wie zuvor.
Kurz
darauf begann ich am Primal Center in Santa Monica, Kalifornien, mit Primärtherapie.
Ich machte das, weil ich wusste, dass die ganzen Dinge in meinem Inneren waren
und ich ihnen niemals entrinnen konnte; ich musste ihnen gegenübertreten.
Dieser Gedanke entsetzte mich, aber es gab wirklich keine andere Wahl. In der
Primärtherapie kamen diese Dinge stückenweise heraus. Ich konnte über die
Einsamkeit ein Weilchen weinen, anstatt dass mich das alles auf einen Schlag
traf. Dieses Mal hatte ich nicht das Gefühl, dass ich es die ganze Zeit bekämpfen
müsse, dass es so entsetzlich sei. Stückchenweise konnte ich es auf mich
nehmen.
Ich
bin erst seit sechs Monaten Patient. Das Meiste hat sich etwas gebessert, ist
aber noch nicht ganz in Ordnung. Die Depression jedoch ist nicht zurückgekehrt.
Die Lethargie ist nahezu total verschwunden. Die Angst ist völlig weg. Ich
hatte gelegentliche Panikattacken, die mir von einer Panik-Erkrankung als
Teenager geblieben sind, was eine ganz andere Geschichte ist, aber sie sind
verschwunden. Ich bin noch immer tief unglücklich, und ich werde es
wahrscheinlich lange bleiben, aber eines Tages werde ich gesund sein.
Kapitel 5
James
Mc Gaugh von der University of California in Irvine führt aus, wie im Fall
schwerer Emotionen Katecholamine (Alarmsubstanzen, die Neurosäfte der
Wachsamkeit) abgesondert werden, die die Erinnerung tendenziell versiegeln; sie
also tatsächlich ins Gehirn eingravieren. Sie wird in meiner Terminologie zur
Einprägung. Es bedeutet, dass ein extremes emotionales Trauma in unser System
als psychophysiologisches Ereignis eingeschlossen wird. Es ist weder nur
psychisch noch nur körperlich sondern vielmehr beides zugleich, und es kann ein
Leben lang andauern. "Keiner will mich" besteht zum Beispiel fort,
weil es zum Zeitpunkt des Traumas einfach zu viel war, als dass man es hätte fühlen
und integrieren können; es hätte den lebenden Körper getötet. Die Einprägung
verändert dann unser Gehirn und steuert unser Verhalten. Primärtherapie macht
sich nun daran, wieder normale, gesunde Sollwerte und Gehirnschaltkreise
einzurichten. Indem wir die abgewichenen Gehirnschaltkreise voll erleben, können
wir Nervennetzwerke nunmehr normalisieren.
Forscher
haben sowohl den Ort dieser traumatischen Einprägungen im Gehirn identifiziert
als auch die Mechanismen, durch die sie permanent eingestempelt werden. Einprägungen
in der kritischen Periode werden in der rechten Hemisphäre des Gehirns und
besonders im rechten Limbischen System, im "fühlenden" Gehirn,
eingraviert. Das rechte Gehirn entwickelt sich früher als das linke. Bei der
Geburt ist unter den limbischen Strukturen die rechte Amygdala, die
Roh-Information bewertet, gemeinsam mit dem Hirnstamm aktiv, dessen Entwicklung
von der frühen Schwangerschaft bis zu den ersten sechs Lebensmonaten währt.
Der Rest des Limbischen Systems wird bald danach aktiv, und das rechte Limbische
System befindet sich bis zum zweiten Lebensjahr des Babys in einer
beschleunigten Wachstumsphase. Der Hippocampus, eine andere limbische Struktur,
die als Fakt registriert, was mit uns ganz früh geschieht, ist etwa im Alter
von 2 Jahren reif.
Wenn
es in den kritischen ersten Jahren ein Trauma gibt, helfen verschiedene
Gehirnstrukturen, die mit Wachsamkeit zu tun haben, wie zum Beispiel der Locus
caeruleus, bei der Organisation der chemischen Sekretionen für die Einprägung.
Der Hippocampus hilft, die eingeprägte Erinnerung zu konsolidieren, während
der innere Kern, das Wesentliche des Feelings von der Amygdala bereitgestellt
wird. Zum Beispiel ist es die rechte Amygdala und der Hirnstamm, die jeden
Unruhe- oder Erregungszustand eingravieren, in dem die Mutter sich befindet. (Übrigens
ist die Vorstellung vom "Kern des Feelings" meine Vermutung, die auf
der Gesamtheit verschiedener Forschungsstudien beruht. Es ist induktive Logik,
keine etablierte Tatsache.) Vielleicht ist die Rolle der Amygdala einfach eine
Metapher, aber es scheint keine andere Struktur zu geben, die diesem Anspruch
genügen würde. Gefühle sind gewiss die Eigenart des Limbischen Systems, und
die Amygdala vergrößert sich, wenn es ein präverbales Trauma gibt. Sie trägt
die Hauptlast des Traumas und scheint aus den Nähten zu platzen.
Man
muss sich auch fragen, warum die neurochemischen Alarmsubstanzen bei der Einprägung
helfen. Zweifelsohne deshalb, weil man sich an große Gefahr als einen Führer für
die Zukunft erinnern muss, als etwas, das man vermeiden muss. Und wenn wir später
in Gefahr sind, durchforscht das Gehirn seine Geschichte nach den Schlüssel-Einprägungen
und benutzt sie als Wegweiser.
Jules,
dessen Geschichte folgt, intellektualisierte gewöhnlich und wälzte das Thema
endlos herum, ohne je auf den Punkt zu kommen. In unseren letzten Gruppensitzung
sagte ich zu Jules: „Die Grundlinie, Jules.“ Er zögerte einen
Sekundenbruchteil, fiel mir in die Arme und rief: „Hilf mir – Ich leide!“
Und so machte er seinen ersten Schritt in Richtung Gesundheit.
___________
Jules
Ich
bin depressiv, fast soweit ich zurückdenken kann. Als kleines Kind fühlte ich
mich die meiste Zeit verloren und leer, als ob etwas nicht stimmte oder fehlte.
Es war, als würde ich mich ständig fragen: “Was soll ich tun? Was stimmt
nicht?“ Später dann, als ich bemerkte, wie andere Kinder Spaß hatten und
vertrauensvolle Freundschaften schlossen, änderten sich die Fragen zu: „Wann
werde ich Spaß haben? Warum geht’s mir schlecht? Was stimmt nicht mit mir?"
Ich verbrachte eine Menge Zeit damit, mit mir selbst zu spielen, mit imaginären
Freunden zu reden oder tagzuträumen. Wenn ich mit anderen Kindern zusammen war,
hielt ich mich entweder im Hintergrund oder war der Boss und riss die ganze
Aufmerksamkeit an mich, so dass es keine angenehme Mitte für mich gab. Das
Leben war erträglich, es sei denn, ich hatte Kummer oder wurde in der Schule
schikaniert, wobei ich eine schreckliche Angst in meinen Eingeweiden spürte,
wie ein andauernder Magenschmerz.
Ungefähr
seit dem dreizehnten Lebensjahr bis vor einigen Jahren hatte ich in meinen
wachen Stunden ab und an diese körperliche Angstempfindung. Mit Worten ausgedrückt
lautete das Gefühl: „Ich habe Angst. Auch wenn ich keine Angst habe, scheint
das Leben sinnlos. Ich wünschte, ich könnte einfach schlafen gehen, aufwachen
und mich besser fühlen.“ Zur Schlafenszeit fantasierte ich von einem neueren,
helleren Morgen. Tagsüber lenkte ich mich so gut wie möglich ab, um schlechte
Gefühle zu vermeiden, wandte mich der Mathematik, Musik, Schach, Puzzles,
Science Fiction oder dem Computer zu, den mir meine Eltern auf meinen Wunsch hin
gekauft hatten. Ich tagträumte vom Leben anstatt es zu leben. Ich schob alle
Hausaufgaben und Pflichten irrsinnig weit hinaus und erledigte sie erst im
allerletzten Augenblick.
Meine
Eltern waren sehr verdrängte Leute. Sie lebten ein sicheres, langweiliges
Leben, hatten nahezu kein Sozialleben, keine Spontaneität oder Freude an
irgendwas. Sie waren sich der Leere ihres Lebens erstaunlich unbewusst. Enttäuschungen
begegneten sie mit stiller Resignation, eine Reaktion, die sich von früh an in
mich eingraviert hatte. Immer, wenn wir zu einem Familienurlaub aufbrachen,
wandte sich mein Vater an uns und sagte: „Denkt daran, wir alle werden jetzt
eine wirklich schreckliche Zeit erleben, nicht wahr? Dadurch wird keiner enttäuscht
sein.“ Er machte nur halbwegs Scherze. Sein Rat war eine selbsterfüllende
Prophezeiung, weil er ungeachtet seiner Sorgfalt, mit der den Urlaub zu planen
versuchte, immer etwas Wichtiges übersah und in Panik geriet, sobald auch nur
das Geringste schief ging. Die Aktivitäten, auf die ich mich am meisten freute,
wie Tennisspielen oder hoch in die Berge zu fahren, wurden immer aufgeschoben.
Wenn ich zu meiner Mutter ging, nachdem eine meiner Spielsachen zerbrochen war
oder mich etwas anderes durcheinandergebracht hatte, tröstete sie mich tatsächlich,
aber ihre Haltung sagte: „Es musste passieren. So ist das Leben. Es macht
nichts.“ Das verstärkte mein Gefühl, dass das Leben ziemlich sinlos war und
dass es nicht viel gab, auf das man sich freuen könnte. Das Schweigen bei den
Mahlzeiten ließ mich so unwohl fühlen, dass ich die Leerräume mit trivialem
Geplapper füllte.
Ich
hatte in der Schule ein paar Freunde, verbrachte aber eine Menge Zeit alleine.
Auch wenn ich in einer Gruppe war, fühlte ich mich allein. Ich fühlte mich
unwohl in der Nähe meiner Kameraden und wurde wegen einer stattlichen Reihe von
„Fehlern“ verspottet, einschließlich körperlicher Schwäche, lausiger
Sportleistungen, Katzbuckelei um das Wohlwollen des Lehrers, Vergesslichkeit,
Sandwichessen mit abgeschnittener Kruste, Zur-Schule-Chauffiert-Werden (meine
Eltern erlaubten mir das Fahrradfahren nicht, und ich war zu faul, um zu Fuß zu
gehen), Schüchternheit gegenüber Mädchen, und so weiter. Alle guten Gefühle,
die ich hatte, wenn ich in einem Lieblingsfach gute Leistungen zeigte,
verschwanden, sobald etwas Schlechtes passierte, wenn man sich zum Beispiel über
mich belustigte oder wenn ich dafür bestraft wurde, dass ich eine Hausaufgabe
vergessen hatte oder dass ich in der Klasse zu viel redete. Ich wollte
verzweifelt, dass man mich mochte, aber die meisten Leute mochten mich nicht.
Ich hatte außerhalb der Schule fast kein Sozialleben. Es gab meine Hobbys,
Hausaufgaben und den Fernseher, um die Stunden vor dem Schlafengehen auszufüllen.
Meine Schwester und ich verbrachten einige Zeit miteinander, aber wir kamen uns
nie nahe. Sie schien das Leben immer leichter als ich zu finden, und ich spürte,
dass es Zeitverschwendung war, ihr zu sagen, wie ich mich fühlte. Der Gedanke,
es meinen Eltern zu sagen, war ähnlich hoffnungslos. Meine Mutter pflegte
einfach irgendwas zu sagen, das mich schnell aufmuntern sollte, so dass sie
nicht der Tatsache ins Auge sehen musste, dass es mir die meiste Zeit schlecht
ging. Einer der Lieblingssätze meines Vaters war: „Wr hat denn eigentlich
gesagt, dass das Leben Spaß machen soll?“
Mit
der Zeit verwandte ich immer mehr Zeit darauf, zwanghaft über vergangene Fehler
zu grübeln und schmerzhafte Unterhaltungen nachzuspielen, wobei ich kluge
Erwiderungen gegen die Leute formulierte, die mich verletzt hatten. Anstatt mir
beim Einschlafen ein besseres Morgen zu wünschen, kam in mir der Wunsch auf, in
der Zeit zurückzugehen und ein paar Dinge zurechtzubiegen, die in meinem Leben
schiefgelaufen waren. Auch in meinen Teenjahren hatte ich Angst, dass das Leben
an mir vorbeigehen könnte. Ich fing an zu masturbieren und ließ mein
Fingergelenke zwanghaft knacken. Ich schob die Dinge immer weiter von mir, hob
mir die Hausaufgaben manchmal bis spät nachts auf. Wenn ich jetzt zurückblicke,
kann ich sehen, warum ich das getan habe. Nachdem ich eine Aufgabe spät nachts
erledigt hatte, konnte ich erleichtert ins Bett sinken, war sogar ein wenig glücklich,
anstatt mich elend zu fühlen. Bei der Arbeit fühlte ich mich so einsam, dass
ich aufhörte und durch ein Hobby zu entfliehen versuchte; wenn ich nicht
arbeitete, konnte ich auch keinen Spaß haben, weil ich mich dafür schuldig fühlte,
dass ich nicht arbeitete – eine perfekte Zwickmühle.
Es
wurde immer schlimmer. Mit 15 oder 16 begann ich, in der Nacht über Selbstmord
nachzudenken. Ich hatte die Vision, mich vom Dach zu stürzen und mit dem Kopf
auf dem Gehweg darunter aufzuschlagen. Ich war zu zimperlich, um das auszuführen,
aber ich plante es Nacht um Nacht. Wenn etwas Schönes geschah,war es eine
Begnadigung für ein paar Tage: „Nun, ich könnte ebenso dableiben, für den
Fall, dass das Leben anfängt gut zu werden.“ In meinem letzten Jahr auf der
Highschool, verlor ich an jedem Fach das Interesse, mit Ausnahme der Mathematik
(das abstrakteste Fach), und meine Noten fielen von gut auf mittelmäßig.
Am
College hatte ich eine Menge Hoffnung darin investiert, „mich selbst zu
finden.“ Der Gedanke, eine berufliche Laufbahn anzustreben und mich um mich
selbst zu kümmern, war entsetzlich, und somit war das College eine große
Chance, sich vor dem realen Leben drei oder vier Jahre zu verstecken, Neues zu
sehen und zu tun, vielleicht eine Freundin bekommen, und so fort. Mein erstes
Jahr am College war ein Albtraum.Ich war das erste Mal von zuhause weg, und
meine Einsamkeit war so extrem, dass ich mich verzweifelt an Leute klammerte,
die mich erniedrigten (mich betrunken machten und überredeten, Strip-Poker zu
spielen). Ich vernarrte mich in ein hübsches Mädchen aus meinem Wohnheim und
fragte sie aus. Sie gab vor, mich ernst zu nehmen, während sie mit anderen im
Gebäude über mich lachte und mich über Nacht zu einer Witzfigur machte. Ich
konnte nicht aufhören, an sie zu denken, gleich, wie oft sie gemein zu mir war.
Es ging so weit, dass ich die Psychologie-Abteilung einer Buchhandlung
aufsuchte, um die Antwort auf meine Probleme zu finden. Ich fand den Urschrei
und war von dem Buch sehr berührt. Aber dann vergingen weitere dreieinhalb
Jahre, bevor ich der Tatsache ins Auge sah, dass meine Depression ohne Therapie
oder ein Wunder nicht verschwinden würde.
Nach dem ersten College-Jahr wechselte ich in eine ganz andere Studienrichtung und machte einen Neuanfang. Eine Zeit lang schien alles in Ordnung – Ich war mit an der Klassenspitze, war in der Musikgesellschaft aktiv und populär, begleitete den Chor und gab Konzerte. Aber dennoch wusste ich noch immer nicht näher, was ich mit meinem Leben machen sollte, und die Gefühle von Langeweile und Vergeblichkeit kehrten zurück. Es gab Wochen, in denen ich jeden Tag bis spät nachmittags im Bett blieb, weil ich dem Leben nicht begegnen konnte. Die Angst, vom College zu fliegen, drängte mich zu normalerer Routine zurück. Ich gab viel zu viel Geld für Mitnahme-Gerichte aus, weil ich mich erschöpft und elend fühlte, wenn ich mir das Essen selbst zubereitete. Einmal versuchte ich, mit den Süßigkeiten aufzuhören, weil das zu einer Sucht geworden war, aber innerhalb 48 Stunden gab ich auf, weil ich keine Energie hatte und an großen Stimmungsschwankungen litt (zwischen Sterbenwollen und Tötenwollen). Ein oder zwei Jahre lang wurde ich praktisch zum Alkoholiker, weil ich meine glücklichsten Zeiten hatte, wenn ich mit Freunden trank. Allmählich fühlte ich mich von den Leuten allgemein immer mehr bedroht, und so ging ich weniger oft aus dem Haus. Jedes Mal, wenn ich mich gut und entspannt fühlte, ruinierte ich mir den Tag, indem mir ein Unglück passierte oder ich etwas Wichtiges vergaß. Ich gab vor, dass alles in Ordnung sei, wenn ich mit meinen Eltern redete.
Die
meisten meiner Freunde verließen das College ein Jahr vor mir, so dass ich in
meinem Abschlussjahr sehr einsam war. Im Bett begann ich wieder, zwanghaft an
Selbstmord zu denken. Dieses Mal war mir danach, mich im Fluß zu ertränken,
der durch die Stadt lief. Ich wollte weinen, aber ich konnte nicht. Ich hatte
Angst, dass mich beim Versuch, mich zu ertränken, vielleicht ein starker
Lebensdrang ergreifen würde, wenn mir die Luft ausging, und der Gedanke, in
einem Zustand von Bedauern und Entsetzen zu sterben, war mehr als ich ertragen
konnte. Ich betrank mich vor einer wichtigen Abschlussprüfung und schwänzte
sie. Ich schaffte den Abschluss mit knapper Not und stand nun vor der überwältigenden
Aufgabe, überleben zu müssen.
Zu
diesem Zeitpunkt litt ich an Agoraphobie und Paranoia. Ich blieb meistens im
Haus, und wenn unsere Eltern nicht da waren, ließ ich meine jüngere Schwester
ans Telefon gehen oder zur Haustür, wenn jemand läutete. Wenn ich in der Stadt
unterwegs war, fiel es mir schwer, das Gefühl abzuschütteln, dass sich die
Leute über mich lustig machten. Nachdem ich es einige Monate später aufgegeben
hatte, mich um Jobs zu bewerben, überzeugte ich meine Eltern, mir eine Therapie
zu bezahlen. Was mich mehr als alles andere antrieb, war die Angst, eines Tages
im Alter von 40 oder 50 aufzuwachen und erkennen zu müssen, dass mein Leben
eine tragische Vergeudung war.
An
meinem ersten Tag in L.A. machte mir alles Angst: Leute, Hunde, Insekten, Autos, wohin
ich gehen und was ich in jeder neuen Situation tun sollte, die Dunkelheit und
die Einsamkeit. An diesem Abend fing ich an, mit meinem Stofftier (das nur als
Maskottchen gedacht war) zu reden wie mit einem engen Freund, was ich nur ein
paar Tage vorher für sehr kindisch gehalten hätte. Das Spielzeug, ein Krokodil
mit einem hoffnungsvollen, lächelnden Gesicht, genau wie meins als Kind, war
seitdem ein wichtiges Symbol in meiner Therapie. Meine Eltern waren sehr
reserviert und vermieden es, ihre wahren Gefühle zu zeigen, und so fiel es mir
schwer, die Scham zu überwinden, die ich immer fühle, wenn ich kindliche Bedürfnisse
ausdrücke. Mit einem Spielzeug zu reden (das die Kindheits-Unschuld repräsentierte,
die ich von früh an verloren hatte), ermöglichte mir zu fühlen, dass ich
Aufmerksamkeit brauchte, etwas Besonderes sein und Freunde haben wollte als
kleines Kind.
Ich
bin ein ziemlich schwieriger Fall für die Primärtherapie, weil ich gut
abgewehrt bin. Es war ziemlich angenehm für mich, isoliert in einem Hotelzimmer
zu wohnen, und so ermutigte man mich, auszugehen und der Fußgängerzone einen
Besuch abzustatten, mir Freunde zu suchen und das Herumsitzen im Apartment zu
vermeiden. Eine Zeit lang berührten mich Filme mehr als mein eigenes Leben.
Szenen mit Eltern, die Zärtlichkeit gegenüber ihren Kindern zeigen, oder ein
Darsteller, der auf eine glückliche Kindheit zurückblickte, riefen fast
garantiert Tränen in mir hervor. Das war sehr willkommen für jemanden, der
zwischen dem Alter von 8 Jahren und dem Therapiebeginn vielleicht vier Mal
geweint hat!
Nach
ein paar Monaten begann ich, mich auf meinen „Primärstil“ festzulegen, mein
eigener Weg, um in einer Sitzung Zugang zu meinen Gefühlen zu finden. Einfach
hinlegen und reden funktioniert selten, weil in mir so viel Wut brodelt. Ich
versuche mich zu entspannen, und gewöhnlich kommt die Erinnerung von selbst
hoch – eine Zeit, als ich verletzt, erniedrigt oder verschreckt war – und es
beginnt in mir zu kochen. „Wenn ich jetzt nochmal dort wäre, würde ich
.......sagen“, und ich lasse den Frust heraus, indem ich schreie, auf die Wand
einschlage und dabei die Worte gebrauche, die meine Frustration ausdrücken. Das
ist bei weitem keine leere Handlung, obwohl es sich die ersten Male, als ich es
versuchte, so anfühlte. Ich bin in meinem Leben so sehr verletzt worden, dass
ich in einem ständigen Überlastungszustand bin; die Schmerzlast ist zu groß,
als dass ich sie fühlen lönnte.Wenn ich etwas von dieser Wut freigesetzt habe
(jede Menge Wut!), dann kann ich über den Schmerz weinen, der darunter liegt.
Wann immer der Therapeut mir gegenüber Freundlichkeit zeigt (vor allem auf eine
spontane Art, die man unmöglich nachmachen kann, denn ich bin sehr
misstrauisch), kann ich darüber weinen, dass ich das bekomme, was ich als Kind
vermisst habe – was das Primal Center als
„negativen Schmerz“ bezeichnet.
Meistens
geht es bei meinen Gefühlen um den Kampf, dass ich mich um mich selbst kümmern
muss und um meine Zukunftsangst, aber aus den Gründen, die ich gerade
beschrieben habe, sind es manchmal eher erfreuliche Ereignisse als schmerzhafte,
die ein Feeling ergeben. Lange Zeit war ich süchtig nach Schokoladentrüffelkuchen,
den eine lokale Bäckerei verkaufte. Am Abend fühlte ich mich elend, bis ich
mir einen kaufte und ihn aß; dann ging es mir gut. Eines Tages redete ich mit
meinem Zimmergenossen über die glücklichsten Zeiten in meiner Kindheit, als
ich in den Sommerferien
auf den Bermudas lebte. Wir schienen alle Zeit der Welt zu haben, und wir hatten
die Freiheit, fast alles zu tun, was wir wollten. Unsere Mutter verbrachte viel
Zeit mit uns, und machmal nahm sie uns an einen Ort mit, der Neil’s Bäckerei
hieß, und kaufte jedem von uns eine Schoktrüffel. Mitten im Satz begannen die
Tränen zu fließen und hörten nicht mehr auf. Eine Weile ging es in meiner
Therapie ausschließlich darum, wie sicher und glücklich ich auf den Bermudas
war, und wie sehr ich mich wieder so fühlen wollte. Heutzutage esse ich selten
Schokolade, und wenn mir nach Süßem zumute ist, entscheide ich mich gewöhnlich
für Früchte anstatt für Bäckereiprodukte.
Es
gab eine fünfmonatige Periode, in der ich Prozac verschrieben bekam, weil ich
eine Menge Schmerz erlebte und nicht mehr mit meinem Job zurecht kam. Zu dieser
Zeit war es ein echter Kampf, am Morgem aus dem Bett zu kommen. Beim Autofahren
war ich sehr ängstlich, und ich holte mir ständig blaue Flecken und ließ
alles fallen. Prozac linderte alle diese Symptome und die Depression bis zu
einem gewissen Grad, aber wahrscheinlich reduzierte es meinen Zugang zu Gefühlen.
Ein paar Wochen, nachdem ich Prozac abgesetzt hatte, war ich dem Selbstmord sehr
nahe, denn ich konnte mir kaum vorstellen, dass mein Leben je lebenswert sein würde.
Zu der Zeit hatte ich das Gefühl, dass die beste Methode für mich eine Überdosis
Schlaftabletten wäre – sanft und langsam. Ohne Primärtherapie hätte ich den
Selbstmord wohl durchgezogen, aber dank einiger wichtiger Kindheits-Primals (bis
dahin hatte ich noch überhaupt keine Geburtserlebnisse) habe ich keine
Selbstmordgedanken mehr, und ich funktioniere ohne Prozac auch viel besser als
zu der Zeit, als ich es nahm.
Drei
Primals treten in meiner Erinnerung hervor. Eines war das erste Mal, das ich ein
ein Urerlebnis außerhalb des Primal Centers hatte. Ich
sah den Film „It’s a Wonderful Life“. Es war kurz vor dem Ende, als
der Charakter, den Jimmy Stewart spielt, die Inschrift in dem Buch liest, das
ihm der Engel gibt: „Denke daran, keiner, der Freunde hat, ist ein
Versager.“ Ich war in dieser Samstag- Nacht allein, und die Einsamkeit war
unerträglich. Ich weinte etwa eine halbe Stunde, tiefer als je zuvor seit jener
Zeit, als ich sehr klein war – der pure Kummer eines Kindes, das niemanden
hat, der sich kümmert.
Das
zweite Feeling ereignete sich, als das starke Bild von mir als heimatlose Person
auftauchte, die um Hilfe bat, was ich in einer Gruppensitzung ausagierte. (In
Halloween-Gruppensitzungen kommt jede Person als sein oder ihr „geheimes
Selbst.“ A.J.) Als ich die Tasse in meiner Hand hielt und in der Gruppe in
die Gesichter der Leute sah, durchfloss mich ein riesiges Stück des Schreckens,
dass ich nicht fähig war, für mich selbst zu sorgen. Es lässt sich schwer
erklären, aber stellen sie sich vor, dass sie ohne Job und Geld auf der Straße
sitzen, nirgendwo bleiben können, keine Freunde oder Verwandten haben, an die
sie sich wenden können. Plötzlich lesen Sie diese Worte nicht mehr, sondern
finden sich tatsächlich auf dieser Straße wieder.
Auch wenn Sie sich noch so sehr die Augen reiben oder sich kneifen – es
ändert daran nichts. „Nein“, sagen Sie, weil Sie es noch immer nicht
glauben. „Das kann nicht mein Leben sein.“ Ihnen ist kalt, Sie sind hungrig
und haben Angst. Obwohl Sie sich fürs Betteln schämen, gehen Sie nach einer
Weile auf Leute zu und bitten sie um Hilfe. Die ignorieren Sie, und Sie fühlen,
wie Ihr Leben dahinfließt. Sie sterben ganz allein, und allen ist es scheißegal.
Die Traurigkeit darüber, dass alle Ihre Hoffnungen und Träume den Bach
hinunter gehen, und der Schmerz, dass Sie keinen Trost finden, lassen Sie um Ihr
Leben weinen.
Das
dritte und jüngste große Gefühlserlebnis war kurz nach einem Mini-Retreat am
Center, ein Ereignis, bei dem Institutsangehörige und Patienten das Wochenende
zusammen verbringen. Dieser Samstag war einer der besten Tage meines lebens.
Nach einer ziemlich guten Freitag-Nacht-Gruppe erwachte ich aus einem erholsamen
Schlaf. Der Samstagmorgen und –nachmittag war uns zur Selbstgestaltung überlassen.
Ein paar Leute fragten mich, ob ich an einem Strandspaziergang nach dem Früstück
interessiert sei. Ich sagte, ich werde es mir überlegen, aber ich versuchte
noch immer eine Entscheidung zu treffen, was ich mit dem Tag anfangen sollte,
wenn sie weg waren. Bei früheren Mini-Retreats neigte ich dazu, mich alleine
und sogar leer zu fühlen, wenn ich etwas mit anderen Leuten unternahm, wie
immer in meinem Leben. (Manchmal fällt es mir schwer, mit anderen zusammen zu
sein. Auch wenn ich Gesellschaft brauche, gehe ich allein voran, oder
ich gehe in ein anderes Zimmer, um die Distanz wiederherzustellen, die
ich in meiner Familie kannte.) An diesem Tag jedoch trieb mich etwas, nicht defätistisch
zu sein, und so schnappte ich mir einen Saft und lief den den Strand hinunter,
um die anderen einzuholen. Wir splitterten uns in kleinere Gruppen auf und nach
kurzem Zögern schloss ich mich schließlich ein paar Leuten an, die ich
ziemlich gut kannte und bei denen ich mich wohl fühlte. Wir gingen und redeten,
und nach einer Weile dämmerte es mir, das ich einfach ich selbst war – eine
ungewöhnliche Sache zu der Zeit. Alles in Santa Monica schien heller, farbiger
und interessanter als zuvor. Ich hatte um 11 Uhr eine Sitzung am Center und
begann darüber zu reden, wie lebendig ich mich fühlte. Eine Menge kindlicher
Impulse und Gedanken gingen mir durch den Kopf, und es war aufregend und
erschreckend zugleich, darüber zu reden. Ich stand so unter Strom, dass ich
mich wie ein Verrückter angehört haben muss, aber mein Therapeut hörte
einfach zu und stellte ein paar Fragen, genau die richtigen. Ich weinte nicht in
der Sitzung, aber ich war erstaunlich entspannt hinterher. Die Tränen flossen
in Strömen, als ich am Center den Nachmittagsfilm „Little Woman“ anschaute.
An
diesem Abend fand eine Talentshow statt; die Leute lasen Poesie, sangen Lieder,
stellten ihre Künste und ihr Handwerk aus und spielten Instrumente. Für mich
und jemand anderen, der spielen wollte, gab es ein Leihklavier. Ich war zuerst
dran und spielte ein ruhiges Stück – ziemlich schlecht aufgrund meiner
Nervosität. Ich hatte vor, ein zweites, schwierigeres Stück zu spielen, aber
ich hatte zu viel Angst. Mir war schrecklich zumute, und ich wollte sterben,
aber wieder hielt mich etwas vom Aufgeben ab, und ich fragte eine Therapeutin,
ob sie eine Weile in einem anderen Raum bei mir bleiben könne. Ich weinte
einige Minuten lang, fühlte mich wie ein Versager und bat um eine zweite
Chance. Ich ging ins Hauptzimmer zurück und fragte David, diese Nacht der
Conferencier und Videograph, ob ich später ein anderes Stück spielen könne.
Natürlich lächelte er freundlich und sagte ja. Für die nächste Stunde oder
so lehnte ich mich zurück und genoss den Rest der Talentshow, die wundervoll
war. Einge der Poesielesungen rührten mich zu Tränen. Am Ende spielte ich das
schwierige Stück – Granados El Pelele, das ein junges Liebespaar repräsentiert,
das spielerisch eine Vogelscheuche oder eine Schaufensterpuppe hin und her
wirft. Trotz einiger falscher Noten hier und da erheiterte mich meine Aufführung,
weil ich so viel Lebensliebe mit meinem Spiel vermitteln konnte. Was für ein
Erlebnis! Der Applaus war lang und laut.
Montagmorgen
kehrte ich zur Arbeit zurück. Es tat wirklich weh, dass das Wochenende vorbei
war und dass die Schinderei wieder begann. Ich fuhr allein mit dem Auto und
weinte nach meiner Mutter. Ich scheute mich immer, meinen Job zu machen, aber
zum ersten Mal hatte ich darüber spontane Gefühle; ich konnte die tiefen Gefühle
ohne einen Therapeuten erreichen. (Das ist das Ziel der Primärtherapie). Jedes
Mal, wenn ich mit Leuten zu tun hatte, konnte ich die Tränen unterbinden, aber
jedes Mal, wenn ich mit dem Auto davonfuhr, fing ich wieder zu weinen an. Gegen
Mittag hörten die Tränen auf, und ich verspürte Erleichterung in meinem
Magen. Diesen Nachmittag rief ich einen potentiellen Kunden an (was ich gewöhnlich
wie die Pest vermied, da Zurückweisung drohte), machte eine superglatte Präsentation
und bekam den Auftrag. Danach war das Leben für einige Tage eine lässige
Sache.
Wenn
ich zurückblicke, wie ich zu Beginn der Therapie war, kann ich erkennen, wie
viel sich verändert hat. Ich beginne damit, dass ich über ein Inch gewachsen
bin seit meinem 23sten Geburtstag. Allgemein bin ich viel entspannter, kann
ausgehen und mein Leben ohne zu viel Angst leben. Ich bin nicht annähernd so
menschenscheu, wie ich vorher war, und ich lasse nicht zu, dass mich jemand
herumschubst oder ausnützt. Ich bin spontaner und folge meinen Impulsen, wann
immer ich das Gefühl habe, dass es sicher und angemessen ist. Ich habe Phasen
voller Optimismus und Lebensenthusiasmus, in denen es mir scheint, als hätte
man mir eine zweite Kindheit gegeben. In diesen Phasen fühlt sich das Leben gut
an, ob ich Sport mache, Musik spiele oder höre, einen Film sehe, mit Freunden
rede oder einfach still dasitze und nichts tue. Ich habe mehr Freunde, und ich
kann in ihrer Mitte ich selbst sein, anstatt zu versuchen, sie zu beeindrucken
oder sie dazu zu bringen, dass sie mich mögen. Ich habe in Stress-Situationen
weniger Angst, und ich treffe bei Problemlösungen bessere Entscheidungen. Mein
Gedächtnis hat sich verbessert; ich hadere nicht mehr damit, für mich selbst
sorgen zu müssen. Ich bin weniger „kopflastig“ und mir mehr bewusst, was
sich um mich herum abspielt.(Die Leute hielten mich gewöhnlich für dumm, weil
sie etwas zwei oder drei Mal sagen mussten, bevor ich sie hörte). Beim
Klavierspiel habe ich eine bessere Koordination, obwohl mir die Praxis fast völlig
fehlt, und ich habe entdeckt, dass ich ein ziemliches Talent für Ballsportarten
habe. Ich kann jetzt für mich selbst kochen, was eine ganz neue und aufregende
Entwicklung ist. Auch schmeckt das Essen anders. Ich musste mein Essen mit Kräutern
und Gewürzen eindecken, um ihm Geschmack zu verleihen, während jetzt ein
kleine Menge lange vorzuhalten scheint. Von Zeit zu Zeit habe ich Depressionen,
aber auch wenn ich mich wirklich schlecht fühle, weiß ich, dass es nur ein Gefühl
ist, und ich denke nicht an Selbstmord. Ich bemerke mein Ausagieren und halte es
im Zaum. Wenn zum Beispiel mein Job schlecht läuft, verbeiße ich mich in den
Gedanken, in der Lotterie zu gewinnen. Wenn es mir schlecht geht, neige ich
dazu, von Therapeut zu Therapeut zu springen, weil ich Angst habe, bei derselben
Person zu bleiben, für den Fall, dass er oder sie die Geduld mit mir verliert.
Gegen meine Ängste anzugehen ist der Weg zu Gefühlen. Am wichtigsten ist, dass
ich tief drinnen das Gefühl habe, dass mit mir alles in Ordnung sein wird, was
ich vor einigen Jahren nie hätte sagen können.
Als Schlussfolgerung würde ich sagen, dass Depression ein Zustand emotionaler Flachheit ist, der aus einem starken Abwehrsystem resultiert. Unterhalb des Bewusstseins gibt es eine Stimme, die sich darüber beklagt, dass alles hoffnungslos sei und das Leben keinen Sinn habe, aber man hört sie nie, weil die Abwehr Überstunden macht. Wie heilt man Depression? Die Plattheiten, mit denen meine Eltern mich fütterten, hatten sicher keinen Zweck, und ich vermute, dass die meisten Selbsthilfesysteme die „Stimme des Untergangs“ nur noch weiter ins Dunkle verdrängen, wo sie letztlich genauso schädlich ist. Die einzigen wirklichen Veränderungen in meinem Leben geschahen nach dem Fühlen und nach der Verknüpfung mit den Ursachen meines Schmerzes. Die Stimme kann man zum Teil hören; man fühlt sich nicht traurig ohne offensichtlichen Grund sondern aus einem Grund, der bekannt ist und gefühlt werden kann. Diese zweite Kindheit ist ein großes Geschenk. Ich möchte allen, die das lesen und weit davon entfernt sind, Therapie machen zu können, sagen, dass es wirklich Hoffnung gibt. Findet vor allem Freunde, die euch so akzeptieren, wie ihr seid, und kümmert euch um euch selbst. Ihr verdient das Beste.
__________
Chloe
Ich
bin, was man gemeinhin als „Inkubatorbaby“ bezeichnet. Nachdem ich auf die
Welt gebracht worden bin, hielten die Ärzte und Schwestern es für nötig, mich
von dem Wesen zu trennen, das für mich am lebenswichtigsten war: meine Mutter.
Nur weil meine Fingernägel nicht voll entwickelt waren, legten sie mich in
diesen Kasten mit seitlichen Glasfenstern und einer offenen Oberseite, durch die
ich die Klinikdecke anstarren konnte. Manchmal müssen Krankenschwestern in
meinem Gesichtsfeld aufgetaucht sein, um zu überprüfen, ob die Schläuche in
meiner Nase noch an Ort und Stelle waren oder ob meine Windeln gewechselt werden
mussten. Sie müssen mich und mein verzweifeltes Bedürfnis nach meiner Mutter
vergessen haben. Andernfalls kann ich nicht verstehen, warum sie sie nicht
kommen und mich sehen
ließen. Sie ließen sich fünf Wochen Zeit, bis sie den Bitten meiner
Mutter nachgaben und mich gehen ließen. An dem Tag, als sie kam und mich
aufnahm, sah und hielt sie mich, ihre Tochter, zum ersten Mal und erkannte mich
nicht. Ich stehe jeden Tag meines Lebens unter dem Einfluss dieser ersten fünf
Wochen.
Wenn
ich am Morgen aufwache, stehe ich unter Schmerz. Es gibt keinen unmittelbaren
Grund für diesen Schmerz, und ich kann ihm keine Worte geben. Ich stehe auf,
mache mir eine Tasse Kaffee und lege mich wieder ins Bett, in der Hoffnung, dass
der Schmerz verschwindet. Ich denke darüber nach, wie lange ich mich schon so fühle,
und ich träume manchmal von einem Morgen, an dem ich aufwachen und aus meinem
Fenster sehen und keinen Schmerz mehr spüren werde. Ich träume davon, den
Schmerz meiner frühesten Erinnerung zu vergessen, dass ich fünf Wochen jeden
Tag aufwachte und meine Mutter nicht da war.
Die
Leere des Tages fülle ich mit Warten auf. Ich warte, dass der Tag vorbeigeht
und sich in das „morgen“ wandelt. Morgen wird alles dasselbe sein. Die Leere
füllt mich und lässt keinen Raum für irgendwas oder irgendjemanden. Sie tötet
meine Gedanken und meine Gefühle. Ich habe keinen Platz für Menschen, Bücher,
Musik, die Sonne oder den Regen, weil ich warte. Ich drehe mich im Kreis, Minute
um Minute. Der Kreis dreht sich um nichts, und wenn ich damit durch bin, beginnt
er von Neuem, weil nichts ihn aufhält. Nichts hält ihn in Bewegung, und ich wünschte,
er würde anhalten, so dass ich hinaus und im Regen spazierengehen könnte,
gedankenleer, nur mit dem Gefühl von Regentropfen in meinem Gesicht, die sich
nach jahrelangem Warten in Tränen der Verzweiflung wandeln. Wie ich so gehe,
wandern meine Gedanken zu dem kleinen Baby, das so lange auf seine Mutter
wartete und das nichts hatte, das seinen Schmerz gelindert hätte.
Ich
habe das Bedürfnis, dass die Leute verstehen, wie sehr ich leide. Wenn Sie mir
in die Augen schauen, hoffe ich, dass Sie den Schmerz sehen können. Ich hoffe,
Sie sind nicht zu streng mit mir, weil ich schon so leide. Wenn ich schreibe,
hoffe ich, Sie können zwischen den Zeilen den Schmerz lesen, den ich jetzt fühle.
Jedes Wort, das ich schreibe, ist eine Reflexion meines Schmerzes und voller
Hoffnung, dass jemand den stummen Schrei vernimmt, der auf diesem Papier
geschrieben steht. Es ist bedeutungslos, worüber ich schreibe. Es könnte alles
Mögliche sein: die Wirkung der Inflation auf die Beschäftigungslage, Argumente
für oder gegen die Todesstrafe oder der Symbolismus in St.Exuperys „Der
kleine Prinz“. Bei allem, worüber ich schreibe, geht es um mich, denn ich
hoffe, dass jemand das Baby hören kann, das nach seiner Mutter schreit, die zu
weit weg ist, als dass sie es hören könnte. Vielleicht wird der Mensch, der
das liest, derjenige sein, der es endlich versteht und ihm seine Mutter bringt.
Wenn
ich Erleichterung suche, brauche ich nur zur Zigarette zu greifen. Sie macht
mich taub und benommen, aber sie unterdrückt meinen Schmerz für ein paar
Minuten. Wenn ich auf meiner Veranda sitze, den Rauch inhaliere und exhaliere,
starre ich in den Himmel und denke übers Leben nach. Ich denke über mein Leben
nach, wie es für mich ist und wie es hätte sein können. Das ständige Leiden
hat mich erschöpft. Meine ganze Energie geht da hinein. Nichts anderes hat noch
Bedeutung. Ich kümmere mich nicht um die Prüfungen, die ich nächste Woche
schreiben muss, und ich kümmere mich nicht um Weihnachten. Ich spüre ein
bisschen Traurigkeit, wenn ich an eine Straße denke, die von kleinen warmen
Lichtern auf den Bäumen erleuchtet wird und jeden auf die kommenden Freudentage
vorbereitet. All diese Dinge scheinen nicht für mich gemacht. Als Zuschauer
beobachte ich aus der Ferne, wie anderen Leute ihr Leben leben. Das Leben ist für
mich irgendwo da draußen, auf der anderen Seite dieser Glasfenster. Das Leben
ist dort, wo die warmen Lichter sind, aber ich kann dort nicht hin, weil jedes
Mal, wenn ich danach greife, die Glasfenster im Weg sind.
Ich
hoffe, Sie verstehen. Das ist mein Leben. Fünf Wochen -
vor 25 Jahren – hinterließen jeden einzelnen Tag in mir ein
verzweifeltes Bedürfnis nach meiner Mutter. Aber meine Mutter war nicht da und
ist nicht da. (Ihre Mutter starb.) Ich kann schreien, so viel ich will, aber sie
hört mich nicht. Wenn Sie sie sehen, können Sie ihr bitte sagen, wie sehr ihre
Tochter leidet? Bitte erzählen Sie ihr von meiner Katze, wie ich sie aufnehme
und „Baby“ sage. Wie ich ihr ins Ohr flüstere: „Ich weiß, es ist
okay.“ Wie ich sie lange Zeit im Arm halte. Vielleicht wird sie dann
verstehen, wie sehr ich es brauchte, dass sie mich hochnehmen, im Arm halten und
mir ins Ohr flüstern würde: „ Ich liebe dich, Baby. Es ist jetzt alles in
Ordnung. Ich bin hier.“ Ich möchte mein Gesicht in ihren Schoß vergraben und
über die fünf Wochen weinen, die mein Leben ruinierten. Ich möchte, dass sie
die Tränen in meinem Gesicht trocknet und mir das zurückgibt, was ich vor
langer Zeit verloren habe. Aber ich muss die Hoffnung aufgeben, dass sie kommen
wird, weil sie auch damals nicht gekommen ist. Das ist der Tag, an dem meine
Hand das Licht erreichen wird und kein Glasfenster mehr mich vom Leben trennen
kann. Das ist der Tag, an dem ich aus Freude und nicht aus Schmerz weinen werde.
Meine
Depression ist für mich wie ein Faden, der sich durch mein ganzes Leben zieht,
manchmal kaum wahrnehmbar und dann wieder so überwältigend, dass ich mich völlig
in ihm verwoben fühle.
Wie
fühlt sie sich für mich an? Das Grundgewebe ist ein Gefühl des Versagens, völligen
Versagens. Ich habe es nicht geschafft. Gewöhnlich werde ich mir dieses Gefühls
bewusst, wenn ich die Leistungen anderer Leute sehe, die sich gewöhnlich auf
Karriere/Bildung beziehen. Ich habe das Gefühl, als hätte ich in meinem Leben
nichts geleistet, als wüsste ich nichts. Ich habe einen Abschluss in einem
Programm gemacht, das sehr anspruchsvoll war, aber es fühlt sich nie gut genug
an – ich fühle mich nie gut genug.
Ich
weiß nicht, was genau das überwältigende Gefühl der Depression verursacht,
das irgendwo zwischen Stunden und Tagen andauert. Es scheint ein Teil des Themas
meiner Depression zu sein, dass ich nicht kontrollieren kann, wann sie einsetzt.
Dann fühlt sie sich wie ein großes schwarzes gefühlloses Loch an, in das ich
falle und aus dem ich nicht heraus kann. Ich fühle mich völlig leer,
hoffnungslos und hilflos. Ich habe das Gefühl, dass es mein Fehler ist, dass
ich da drin bin und nicht heraus kann. Ich gebe mir die Schuld, dort drin zu
stecken. Es ist ein Ort, der mir nahezu unwirklich vorkommt, wenn ich nicht in
ihm bin, als würde ich ihn erfinden, als würde ich Lügen über ihn erzählen.
Es ist ein Ort, der sich sehr düster und verhängnisvoll anfühlt. Es ist ein
Ort, wo ich suizidal bin, wo ich einen suizidalen Traum träume. Es gab Zeiten,
als ich mich nicht bewegen konnte, wenn ich an diesen Ort gelangte. Ich fühle
mich von allen anderen verschieden, abseits, abgetrennt und entfernt. Mein
Gesicht wird zur Maske, und meine Mundwinkel hängen herab. Lächeln scheint mir
so fremd wie Lachen auf einer Beerdigung.
Mich
allein und isoliert zu fühlen macht einen Großteil meiner Depression
aus.Gegenwärtig stecke ich so tief in diesem Loch, dass es schwer ist, darüber
zu schreiben. Ich bin mit meinem ersten Kind schwanger, das in drei Monaten
geboren werden soll, und ich bin überwältigt von der Angst darüber, wie meine
Depression, Einsamkeit und Isolation sein Leben beeiflussen wird. Ein Großteil
meines Schmerzes wurzelt in der frühen Kindheit, und ich mache mir Sorgen, wie
dieser frühe Schmerz meine Mutterfähigkeiten beeinflussen wird. Ich bin sehr
besorgt über Wochenbettdepression, weil ich weiß, wenn ich mein eigenes Kind
in meinen Armen halte, nachdem es geboren worden ist, und es auf dieser Welt
willkommen heiße, dann wird es meinen Schmerz auslösen, nicht gehalten und
nicht auf dieser Welt willkommen geheißen worden zu sein. Der Schmerz darin ist
so riesig, dass ich in nur in kleinen Stücken ertasten kann. Ich habe immer
geglaubt, ich würde ein einziges gigantisches Primal haben, dass auf magische
Weise alles wegräumen würde, aber in meinem Fall ist diese Therapie ein
langsamer Prozess. Die Bücher, die ich las und die mich veranlassten, mit
dieser Therapie zu beginnen, erzählen eine Menge darüber, „den Schmerz“ zu
fühlen. Ich glaube, ich habe vergessen, dass Schmerz weh tut, und auch jetzt
nach dreißig Jahren kann ich nur so und so viel von ihm ertragen.
Warum
dann fühlen, wenn es weh tut? Ich bin mir selbst näher, wenn ich den Schmerz fühle.
Ich bin unter meinem Schmerz verborgen, und die einzige Möglichkeit mich
aufzudecken besteht darin, meinen Schmerz aufzudecken.
Wie
hat die Therapie mir bei meiner Depression geholfen? Zuerst einmal half sie mir
zu identifizieren, dass ich deprimiert bin/werde. Vorher lief ich herum und
wusste nicht, was mit mir los war. Wissen hat etwas Tröstliches an sich. Das
Wichtigste, das ich für mich entdeckt habe, ist, wenn ich weinen kann, dann
hebt sich die Depression früher oder später, es hängt davon ab, wie tief ich
hineingefallen war. Der Weg zu den Tränen ist jedoch nicht immer kerzengerade,
und solange ich nicht weinen kann, leide ich.
Meinen
Schmerz zu fühlen hat Raum für neue, gute Gefühle geschaffen, die ebenso
lohnend sind, wie der Weg zu ihnen
schwierig ist. Ein Beispiel dafür ist mein 30ster Geburtstag, der vor
nicht allzu langer Zeit stattfand. Monate zuvor fing ich an, mich mit dem
Gedanken zu quälen, was ich mit diesem Tag wohl machen solle, und je näher der
Tag rückte, umso einsamer fühlte ich mich. Es endete damit, dass ich gar
nichts machte, da ich von dem Gefühl zu überwältigt war, und einen Großteil
meines Geburtstages weinend in dieser Einsamkeit verbrachte. Mein Mann und ich
vereinbarten, dass wir zum Essen ausgehen würden – nur wir zwei. Schließlich
überraschte er mich mit einem ganz besonderen Abend. Die Freude, das Glück und
die Vollkommenheit, die ich an diesem Abend erlebte, war etwas, das ich nie
zuvor erfahren hatte, und ich sagte zu ihm, dass das Glück dieses Abends jede
Träne wert war, die ich weinte. Sein Geschenk für mich war ein Gefühl, das
ich nie zuvor erlebt hatte, und ich schätze dieses Gefühl mehr als alles
andere. Die Depression hat mich der guten Dinge beraubt, die das Leben zu bieten
hat. Den Schmerz zu fühlen ist ein Weg, um ihnen Raum zu geben.
Die andere große Sache ist, dass ich immer noch suizidal sein kann, aber ich würde das nicht in die Tat umsetzen wollen. Der Selbstmordgedanke liegt am Grund meiner Depression, und ich benutze ihn als Fantasie, die mir erlaubt, ihre Leere aufzufüllen. Es war mein Traum von einem Ausweg. Ich weiß jetzt, dass Gefühle mein Ausweg sind, wie verzwickt und schwierig sie auch manchmal werden können.
___________
Einprägungen
verbiegen uns physiologisch
Unsere
Emotionen beeinflussen unser System viel eher, als unsere Denkprozesse dies tun.
Es ist die rechte Seite, mit der wir von Anfang an Stress bewältigen, und das
bestimmt vielleicht, wie das Gesamtsystem reagieren wird. Der Prototyp
"verbiegt" unsere physiologischen Prozesse auf globaler Ebene. Es ist
das Netz aus rechten limbischen Zellen und Hirnstammzellen, das die
Hormonsekretion und andere physiologischen Prozesse beeinflusst; dort werden
unsere Gefühle direkt in unsere Biochemie übersetzt. Auf diese Weise können
unsere frühen Erlebnisse bestimmen, welche Hormone in zu hohem Maß und welche
in zu geringem Maß abgesondert werden und welche Neurotransmitter-Spiegel
normal und ausgeglichen sind oder nicht.
Für
den sympathischen Prototyp scheint ein Übermaß an Sekretion zu gelten. Jemand
ist vielleicht ziemlich oft "aufgedreht" aufgrund einer Übersekretion
von Aggressionshormonen aufgrund von Einprägungen der ersten Ebene; Ereignisse
der ersten Linie beziehen sich auf die Schwangerschaftsperiode und beziehen
Ereignisse mit ein, die sechs bis acht Monate nach der Geburt geschehen.
„Erste Linie“ ist mein Ausdruck für Ereignisse, die während der
Schwangerschaft und in den ersten paar Monaten nach der Geburt verankert werden.
Wenn ich kritische Perioden erörtere, beziehe ich mich auf die Zeit, in der
bestimmte Bedürfnisse erfüllt werden müssen, die später nicht mehr erfüllt
werden können. Wenn die kritische Periode vorüber ist, können wir nicht zurückkehren
und die von Beginn an fehlende Liebe nachholen. Alles, was wir hinterher tun können,
ist, ausagieren, symbolisch reagieren und symbolische Liebe (Applaus) bekommen.
Es wird das Grundbedürfnis nie befriedigen. Keine Liebe in der Gegenwart kann
eine Depression beseitigen. Sie kann sie nur zudecken. Wenn eine Einprägung
einmal an Ort und Stelle festsitzt, besteht sie ein Leben lang, es sei denn, wir
befassen uns wieder mit ihr, und zwar mit jedem Teil von uns, der in das ursprüngliche
Ereigniss verwickelt war. Kurz gesagt müssen wir es wiedererleben.
Beim
Sympathen kann dieses Übermaß später auch eine Rolle bei der Entwicklung
chauvinistischer Attitüden spielen: „Wir müssen diese Bastarde kriegen!“
Im Gegensatz dazu bleibt der Parasympath im "Hypo"-Modus. Viele seiner
wesentlichen Hormone und Neurotransmitter liegen unterhalb des normalen Ausstoßes:
Hypothyreoidismus, weniger Testosteron, niedrige Serotoninspiegel, eine
chronisch niedrige Körpertemperatur und so fort. Während wir bei Parasympathen
niedrige Testosteronwerte fanden, war bei Sympathen das Gegenteil der Fall. Als
Resultat dieser Prototypen und ihrer systemischen Effekte tendiert der
Parasympath vielleicht zu Impotenz; der Sympath hat vielleicht ein Problem mit
vorzeitiger Ejakulation. All das rührt von Sollwerten für biochemische
Sekretion her, die vielleicht weit zurück in der frühen Kindheit oder bereits
zuvor festgelegt worden waren. Wir erkennen sofort, dass Persönlichkeit nicht
einfach ein psychologisches Ereignis ist; sie beinhaltet auch
Verzerrungen in unserer Biologie. Wir haben nicht bloß abweichende Gedanken.
Diese Gedanken sind das Endergebnis einer Gesamtheit psychophysischer
Entwicklung.
Es
ist nicht so, dass wir eine Erinnerung haben und dann Hormonänderungen
erfolgen; diese Änderungen sind Teil des Erlebnisses. Und die Veränderungen in
der Biochemie beeinflussen wiederum unsere Gedanken und Einstellungen und unser
Verhalten. Zum Beispiel beeinflussen Gefühle den Hypothalamus, der über den
Ausstoß der "Liebeshormone" Oxytozin und Vasopressin wacht. Diese
Hormone helfen uns, liebevolle Beziehungen einzugehen, und sie funktionieren
auch als partielle Schmerzkiller. Liebe kann das leisten. Liebe ist für ein
kleines Kind der Hauptschmerztöter, und somit ist es kein Zufall, dass unsere
"Liebeshormone" im Fall früher Liebe in Hülle und Fülle vorhanden
sind. Aber wenn niemand kam und uns früh im Leben liebhatte, als wir einsam
waren oder uns vernachlässigt fühlten, werden wir mit hoher Wahrscheinlichkeit
chronisch unter einem niedrigen Ausstoß dieser Hormone leiden. Das zugrunde
liegende Gefühl wird sein: "Niemand will mich" oder "Niemand
liebt mich." Edas Leben war und ist hoffnungslos. Das Gefühl "Niemand
will mich" regiert unser Leben. Es macht uns scheu in sozialen Situationen,
verleiht uns eine Armesündermiene und eine ‚besiegte’ Körperhaltung.
Letztlich brauchen wir Beruhigungsmittel, um das Gefühl zu unterdrücken. Das
Ganze wird nicht als Gedanke sondern als Gefühl eingraviert.
Hormon-
oder Neurotransmitter-Mangel kann auch Anfälligkeiten begründen, so dass ein
späteres Trauma ein voll ausgewachsenes Leiden erzeugt. Wenn das Kind 5 Jahre
alt ist, sehen wir keine offensichtliche Krankheit, aber die Saat ist bereits
ausgestreut.
Später
sagen wir vielleicht: "Anorexie wird durch zu viel Noradrenalin
verursacht" oder zu wenig von diesem oder jenem. Aber das sind keine
Ursachen; es sind Begleiterscheinungen des ursprünglichen Traumas - Weggenossen
eines Traumas, das wir nicht mehr sehen können und uns in einem Menschen nicht
mehr vorstellen können, der 40 Jahre alt ist. Die Einprägung erzeugt
Abweichungen der Persönlichkeit und Physiologie, die letztendlich auf
spezifische Symptome hinauslaufen. So kann der aggressive Sympath also ein Übermaß
an Noradrenalin haben. Es verursacht Anorexie nicht; es ist Teil des
Reaktions-Ensembles des Originalereignisses. Wenn Patienten frühe Traumen
wiedererleben, kommt es zu einer Reaktions-Kaskade, die wieder zurück zur
Normalität führt. Das zeigt uns unmissverständlich, wie frühe Traumen ihre
Tentakeln durch das ganze System ausbreiten. Wenn wir nicht an das Primärtrauma
gelangen, müssen wir jedes Symptom (hoher Blutdruck, Allergie und Depression) für
sich mit verschiedenen Medikamenten behandeln. Oft lassen sich diese
unterschiedlichen Symptome mit demselben Medikament behandeln. Der Grund: Sie
sind alle Ableger desselben Traumas.
Gleichermaßen
ist es nicht so, dass jemand, der deprimiert ist, seine Wut unterdrückt, wie
die Freudianer es gerne hätten. Es ist so, dass bei einem Parasympathen die
Substanzen, die für Wut verantwortlich sind, vermindert sind, wogegen
diejenigen erhöht sind, die für Depression
verantwortlich sind, während seine Neurotransmitter-Spiegel
im Kampf gegen seinen Schmerz tendenziell fallen. Chronisch Depressive haben zum
Beispiel niedrige Serotoninspiegel, weil sie große Mengen dieses Nervensaftes
im Unterdrückungskampf gegen den Schmerz aufgebraucht haben.
Migräne
beim Parasympathen ist ein anderes Beispiel. Mangelnde Anstrengung bei der
Geburt war lebensrettend wegen des relativen Mangels an Sauerstoff, aber jetzt
kann jeder Stress das Symptom aktivieren. Somit kann uns etwas Triviales
passieren – der Chef „lässt uns keine Luft“ – und es beginnt mit dem
ursprünglichen Erstickungsgefühl zu resonieren. Der Chef bereitet uns
Kopfschmerzen, weil seine Handlungen den Schaltkreis auslösen. Die Schablone
oder der Prototyp verbleibt aufgrund der Einprägung des Sauerstoffmangels im
Energiespar-Modus. Jede gegenwärtige Widrigkeit kann die alte Erinnerung an
reduzierten Sauerstoff und die Migräne auslösen. Denken Sie daran, dass der
Prototyp das erste bedeutende Lebensrettungs-Manöver unseres Lebens ist. Ein
Manöver wie dasjenige, das vielleicht mit dem Zusammenziehen von Blutgefäßen
gegen Hypoxie aufgrund reduzierten Sauerstoffs bei der Geburt einhergeht, wird
ins System eingeprägt. Dem Menschen fehlt es dann im ganzen Leben an Energie,
er neigt zu Depression und leidet unter Migräne. Passivität führt
nicht zu Migräne; Sauerstoffmangel bei der Geburt kann zu dem Bedürfnis führen,
nicht tief Luft zu holen. Alles, was das Neugeborene tun konnte, war, sich zu
verschließen und keine Energie zu verbrauchen; die totale Verdrängung war
ursprünglich erforderlich, da damals
keine Verhaltensoptionen möglich waren. Das wird zu einer Persönlichkeitstendenz, auf die sich spätere Traumen schichten. Die Person wird zu
einem Flachatmer, Energiesparer, zu einem passiven Menschen, der deprimiert ist
und keine Alternativen oder Auswege aus seinem Dilemma sieht. Oft kann jede
Drucksituation – eine letzte Frist – eine Migräne hervorrufen. Der ursprüngliche
Druck, herauskommen zu müssen aber blockiert zu werden, resoniert mit der
Gegenwart (und umgekehrt) und führt zu Symptomen.
Stellen
Sie sich die Einprägung als Dirigent vor. Weil Erfahrung nahezu jedes unserer
Systeme von den Muskeln über das Blut bis zu den Gehirnzellen beeinflusst,
erzeugt die Einprägung zwangsweise überall ihre Wirkung. Dieselbe Einprägung
kann und wird das Zentralnervensystem beeinflussen, das Herz und den Blutzucker,
und kann chronische Schweißausbrüche erzeugen. Es kann alle Überlebensfunktionen
ändern, weil das Überleben auf dem Spiel stand. Wenn sich unser früher
Schmerz durch spätere Erlebnisse verstärkt, werden Symptome manifest, hoher
Blutdruck entsteht, Diabetes, Migräne-Kopfschmerz, Hypothyreoidismus. Die
einfache Tatsache chronisch hoher Kortisolwerte, die die Einprägung etabliert
hat, kann sich später im Leben schwer auf das Gedächtnis auswirken, ganz zu
schweigen davon, dass es uns anfälliger macht für kardiovaskuläre
Krankheiten.
Wenn
die stimulierenden Stresshormone überaktiv werden, wie es bei chronischem
Schmerz der Fall ist, können sie sich auf Gehirnzellen auswirken und zum
Zelltod führen - vielleicht nicht sofort aber mit der Zeit. Zellen sterben,
wenn sie ständiger und unaufhörlicher Aktivierung ausgesetzt werden. Wenn wir
zu viel Stress erleben und zu lange im Überlebensmodus verweilen, wird es uns
umbringen. Für das Gehirn ist früh in der Entwicklung erlebter extremer
Schmerz wahrlich eine Sache auf Leben und Tod. Nichts alarmiert uns so sehr wie
Schmerz, vor allem, wenn wir von Schmerz alarmiert werden, den wir nicht fühlen.
Wir haben Kenntnis von der Rolle der Einprägung bei der Orchestrierung von Funktions-Veränderungen bei multiplen Systemen einerseits daher, dass es nach dem Wiedererleben der Einprägung zu entscheidenden und positiven Änderungen bei vielen psychophysischen Systemen kommt - einschließlich der Überlebensfunktionen Herzschlag und Blutdruck. Anders gesagt ist Wiedererleben in vielen Fällen der Schlüssel zum Überleben. Warum wiedererleben? Weil wir ohne Zugang auf den Agonie-Bestandteil der Erinnerung nie vollständig reagiert haben. In der Therapie reagieren wir jetzt voll auf den Prototypen. Wir bewahren die Erinnerungen nicht länger im Speicher auf, wo sie ihren Schaden angerichtet hat. Wir leiden deshalb nicht mehr unter tiefen Depressionen, die aus dem Nirgendwo kommen, weil wir endlich wissen, wo nirgendwo ist! Es ist gewiss irgendwo.
_____________
Roy
Ich
hatte mein ganzes Leben mit Depression zu tun. Damit meine ich, dass ich einen
Weg finden musste, damit zu leben. Sie kam über mich wie eine mächtige
Krankheit, beeinträchtigte mich emotional, geistig und körperlich.
Es war, als hätte Finsternis Einlass in meinen Blutstrom gefunden. Ich
konnte fast nicht mehr geradeaus sehen oder denken. Es fiel mir immer schwer,
mich zu bewegen oder zu atmen (deshalb meine wiederholten tiefen Seufzer). Ich
verlor meinen Appetit und konnte nachts nicht schlafen. Es gab dafür nie einen
offensichtlichen Grund. Es war einfach ein schwarzer Nebel, der über mich kam.
Ich erlebte dann ein Gefühl äußerster Sinnlosigkeit. Zuerst ergab ich mich
ihm einfach. Es ist erschreckend, wenn du spürst, wie du dir selbst auf diese
Weise entgleitest. Du kannst oder willst nicht dagegen ankämpfen, also gibst du
eine Zeit lang nach, und du fängst an wegzutreiben. Es ist, als würdest du auf
ein schwarzes Loch zutreiben. Und das ging jedesmal tagelang so weiter. Ich
machte dann nur das absolute Minimum: zur Arbeit gehen, nach Hause, ein bisschen
was essen. Aber mein ganzes Leben schien an mir vorbei zu gehen. Es machte mir
Angst, aber ich war hilflos und konnte es nicht aufhalten. An einem gewissen
Punkt musste ich schließlich auf einen Willensakt zurückgreifen. Ich musste
den Entschluss fassen, mir selbst einen Ruck zu geben – auszugehen, Squash zu
spielen, mit Leuten zu reden. Ich musste mir selbst sagen, dass ich vergessen
soll, wie mir zumute ist, und mich anschubsen. Wenn ich es nicht tat, fiel ich
in dieses Loch und kam nie zurück. Und gewöhnlich funktionierte es in gewisser
Hinsicht. Es ließ mich weitermachen. Aber meine Depression kam immer zurück.
Und es hatte seinen Preis, mich durch sie hindurch zu kämpfen: Es war ein
eigenartiges Gefühl, wenn ich mich zum Handeln gezwungen habe, als ob die
weiter ins Innere verdrängte Dunkelheit an mir zehren würde, mich verletzen würde
– auch wenn ich mich vorwärts bewegte.
Es
gibt so etwas, wie sich ziellos vorwärts zu bewegen; es ist eine Vorwärtsbewegung,
die dein reales Selbst hinter sich lässt. Ich begann jedoch erst dann mein
reales Selsbst zu entdecken, als ich zur Primärtherapie kam. Das mag sich übertrieben
dramatisch und naiv anhören, aber es ist absolut wahr. In der Primärtherapie
lernte ich, in meinen Schmerz hineinzufühlen, tief zu fühlen. Ich lernte, dass
der Schmerz Schichten hat. Hinter der gegenwärtigen Verletzung könnten mehrere
alte Kindheitsschmerzen liegen (oder noch frühere). Dieser Gefühlsprozess, der
tief in den Schmerz hineingeht, ist ein Prozess, der dich in deine Geschichte führt.
Je weiter du gehst, umso mehr siehst du von dir. Was ich prinzipiell lernte,
ist, dass ich als Kind viel verletzlicher war, als mir je klar war. Die Dinge
hatten große Wirkung auf mich. Dieses verletzte Selbst war mein reales Selbst.
Ganz allmählich beginne ich das zu verstehen. Und erstaunlicherweise hat sich
herausgestellt, dass meine Depression durch diesen fortdauernden Prozess tatsächlich
verschwunden ist. Ich bin jetzt fast nie deprimiert. Ich werde wütend oder
traurig. Ich erlebe gewaltige Anspannung in meinem Körper. Und am schlimmsten
ist, das ich oft das große Zittern bekomme. Aber ich bekomme nicht mehr die Art
von Depression, wie ich sie früher hatte. Diese anderen Dinge – Wut,
Spannung, Zittern – kann ich jetzt fühlen. Ich habe die Technik dazu. Diesen
Dingen liegen alte Schmerzen zugrunde, sehr alte und sehr tiefe Schmerzen.
Soweit ich diese Verletzungen fühlen kann, erfahre ich dramatische
Erleichterung. (Mein Zittern hört zum Beispiel auf). Ich bin nicht mehr gelähmt
oder gezwungen, mir absichtlich einen Stoß zu verpassen, die Zähne
zusammenzubeißen, wie es früher der Fall war. Das Fühlen an sich hilft mir
jetzt voran. Ich fühle mich wirklich gut. Ich bin weit davon entfernt, mich
selbst zurückzulassen, und mein ganzes Selbst bringt mich auf natürliche Weise
voran. Das wirft ein ganz neues Licht darauf, was Depression für mich war.
Ich bin jetzt froh, dass ich lebe, dass ich fühlen kann, denn es gibt kein größeres Geschenk. Und das konnte ich nicht sagen, wenn die Depression über mich kam.
___________________
Der
Parasympath und Depression
Die
Symptome der Depression sind im Großen und Ganzen die Charakteristika des
Parasympathen: eine anhaltend bedrückte
Stimmung, Energieverlust und Lethargie, fehlendes Interesse an allem, geringe
Motivation, Unfähigkeit, den Dingen, die einem selbst passieren, Bedeutung
beizufügen oder die eigenen Aktivitäten zu genießen, Schlafverlust oder noch
öfters ständige Versuche, einzuschlafen, verminderter Sexualtrieb, Appetitveränderungen,
Gewichtsverlust oder Gewichtszunahme, ein Gefühl der Isolation, Probleme, klar
zu denken, Gefühle der Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit und des drohenden
Untergangs. Je ernster die Depression ist, umso wahrscheinlicher kommt es zu
Gedanken wie „ Was hat das alles für einen Sinn“ und ebenso zu einem Gefühl
fehlender Optionen oder Alternativen und zu einer hauptsächlichen Beschäftigung
mit Tod und Selbstmord. Zusätzlich kann Depression schwerfällige Bewegungen,
seichtes, mühseliges Atmen und abgesenkte Vitalfunktionen verursachen:
Blutdruck, Herzschlag und Körpertemperatur.
Die Lösung jenes Originaltraumas bedeutete den Tod. Es bedeutete den Tod
und es bedeutet jetzt den Tod – das heißt, das Gefühl des drohenden
Untergangs. Der Suizidfall führt die Sequenz zu ihrem logischen Schluss: Tod.
In gewisser Weise errichtet Schmerz
einen Wegweiser für eine unvollendete Sequenz, die ursprünlich aufgrund ihrer
massiven Schmerzladung unterbrochen
wurde. Unser System kehrt ständig dorthin zurück, um das zu vollenden und zu
integrieren, was damals zu Beginn nicht integriert werden konnte. Das ist eine
wichtige Quelle obsessiv-zwanghaften Verhaltens. Eine Frau, die jahrelang immer
einen Tisch neben der Ausgangstür eines Restaurants wählte, begriff das schließlich
als das Bedürfnis, bei der Geburt hinaus zu gelangen und als Bedürfnis, aus
einem gewalttätigen Elternhaus herauszukommen. Sie brauchte immer einen Ausweg;
es war zwanghaftes Verhalten. Eine andere Person weigerte sich zu heiraten, weil
sie einen leichten Ausweg wollte, falls die Dinge nicht gut liefen.
Wenn
wir tief verdrängen und von unseren Gefühlen abgeschnitten sind, spüren wir
das Leben in uns nicht; es hat keine Bedeutung. Deshalb ist der Depressive so
verzweifelt; nichts bedeutet ihm etwas. Es hat keinen Sinn weiterzumachen,
„weil mir das Leben nichts gibt,“ was bedeutet, dass mir mein Innenleben
nichts gibt.
Sich
niedergeschlagen und entmutigt zu fühlen als Reaktion, wenn man den Job
verliert oder mit seinem Partner Schluss macht oder den Tod eines geliebten
Menschen erlebt, unterscheidet sich
von einer chronischen, endlosen Depression. Ersteres ist vielleicht das, was
gemeinhin als „Trauer“ oder „schmerzlicher Verlust“ bekannt ist und
einige Wochen oder Monate dauert. Der Mensch reagiert normal: Betrübtheit,
Traurigkeit, weinen und sich schrecklich fühlen,
was nach einiger Zeit aufhört. Was geschieht, ist, dass der Mensch mit
realen Gefühlen reagiert. „Traurig“ ist zum Beispiel ein Gefühl;
Depression ist keines. Depression
kommt zustande, wenn Sie die wirklichen Gefühle nicht empfinden. Deshalb sagt
man oft, dass deprimierte Leute „flach“ seien oder nicht darauf reagieren,
was sich um sie herum abspielt. Das kommt daher, weil sie von innen her unter
Belagerung stehen; es gibt zu viele Gefühle, die alle auf einmal um den Zugang
ins Bewusstsein wetteifern.
Bei
Depression gibt es das Gefühl der
„Schwere“, ein Energiemangel, der so groß sein kann, dass sogar das
Aufstehen wie eine monumentale Aufgabe scheint. Und wie wir an einer
nachfolgenden Patientengeschichte sehen werden, ist sogar das Kauen fester
Nahrung zu viel der Anstrengung. Depression macht alles zu einer
Herkules-Aufgabe, so dass sogar sprechen oder den Arm heben zu einer großen
Anstrengung werden kann. Es bleibt wenig oder keine Energie für Vergnügen,
Freude, Sextrieb oder, wenn wir schon dabei sind, für irgendeinen anderen Trieb
als den Wunsch, einen Weg zu finden, um das Leiden zu beenden. Somit geht eine
Frau zu einem Therapeuten und bittet um Hilfe. Was sie bekommt, ist Ermutigung
und die Hoffnung, dass der Therapeut alles zum Besseren wenden wird, wie einer,
der zaubern kann. Sie möchte aus ihrem Zustand „herausgezogen werden“, ein
symbolisches Gefühl, das existierte, als das Originalereignis – das
Geburtstrauma – stattfand. Die Passivität der Patientin erfordert einen
aktiven, durchsetzungsfähigen Therapeuten. Der Therapeut wird zu ihrem
„Freund,“ weil sie sich selten hinausgewagt hat, um Freunde zu gewinnen.
____________
Jane
Ich glaube, ich bin seit Beginn meines Lebens depressiv. Ich wurde zurückgehalten, weil sie den Arzt nicht finden konnten, als bei meiner Mutter die Wehen einsetzten. Seit damals empfinde ich es als vergeblich, irgendwas zu versuchen. Mein Puls ist sehr niedrig und ebenso meine Körpertemperatur. Ich weiß jetzt, dass das alles ein Teil fehlender Energie von meinem Lebensanfang ist. Mein ganzes System schien zu kollabieren, als würde sich mein Körper mühselig von einer Sache zur anderen schleppen. Ich weiß, dass meine chronische Erschöpfung und Niedergeschlagenheit eine Erinnerung ist, die alle meine Vitalfunktionen einbezog. Ich weiß es, denn als ich dieses entsetzliche Erlebnis fühlte, kam ich plötzlich aus meiner Depression heraus und mir war, als wollte ich hundert Dinge tun. Ich weiß, dass mein emotionaler Rückzug begann, als ich mich von Schmerz zurückziehen musste, schon als Fetus, als ich noch nicht einmal wusste, dass Schmerz da war. Bei meinen kalten Eltern war Rückzug dann alles, was ich tun konnte. Ich habe mich nie gefreut. „Was hat’s für einen Zweck“ ist meine Erkennungsmelodie. Wenn nur der Arzt wüsste, welche lebenslangen Auswirkungen er in einem Menschen erzeugte, weil er nicht da war, als sie ihn brauchte.
_________________
Jane
war in ihren Wiederlebnissen wiederum erschöpft,
nachdem sie sich so sehr angestrengt hatte, um geboren zu werden. Sie war
ohne Sauerstoff und wurde in den parasympathischen Modus geworfen, damit sie
ihre Energie sparen konnte. Sie ist dort ein Leben lang geblieben. Die Einprägung
wirkte sich lebenslang aus. Sie konnte durch keine Handlung in der Gegenwart
verändert werden, eine Tatsache, welche die Hier-und-Jetzt-Bemühungen
der Psychotherapie ignorieren; die Einprägung ereignet sich in einer kritischen
Periode, in der es zur Befriedigung kommen muss. Einprägungen werden in
bestimmten Hirnnetzwerken gespeichert und verändern diese Netzwerke auch. Sie können
bestimmen, wie schwerfällig unser Denkapparat später sein wird, wie
scharfsinnig und wachsam oder wie verwirrt wir sind. Diese Patientin hatte das
chroniche Gefühl von: „Ich schaffe es nicht.“ Sie brauchte ständigen
Ansporn, andernfalls wär sie in Mattigkeit verfallen. Wiederum bildet ein
lebensrettender Trick am Lebensanfang (keine Anstrengung, kein Kampf, aufgeben
und sich besiegt fühlen) das Grundgerüst für spätere Depression.
Indem sie alle ihre Erwachsenen-Gefühle in ihren richtigen Zusammenhang
brachte, war es ihr möglich, die Grundlage für ihre Depressionen zu verstehen
und sich von ihen zu befreien. Depression ist kein Gefühl an sich; sie ist ein
Gemisch von Gefühlen, die gut abgeschirmt und allzu oft nicht erreichbar sind.
Es gibt keine Einzelreaktion, keine einzelne Verhaltensweise, die sie da
rausholen kann, genau wie es ursprünglich der Fall war. Die Natur der
Depression ist eine Erfahrungs-Fragmentation, eine Entfremdung von Gefühlen.
Die Heilung liegt darin, sich hoffnungslos zu fühlen – das Originalgefühl.
Der Versuch, normal zu agieren, bedeutet alle Hoffnung aufzugeben, zum Genotyp
zu gelangen, zu dem Prototyp, mit dem alles anfing. Freunde oder ein Therapeut können
uns ständig auffordern: „Es wird Zeit, dass du dich in Bewegung setzt.
Krieg’ dein Leben in den Griff. Bewege deinen Arsch und mach’ etwas.“ Das
Problem ist, dass der Depressive nie gelernt hat, wie man das macht. Wenn jemand
bei der Geburt durch Anästhesie außer Gefecht gesetzt wird, ergibt sich ein
Prototyp, der durch den Verlust des Selbstgefühls gekennzeichnet ist. Es kann
damals angefangen haben und sich durch Eltern verschlimmern, die sich nie um die
Gefühle des Mädchens kümmern, nie mit ihm reden und somit sein Lebensgefühl
verstärken. Kämpfen bringt ihr nichts. Je mehr sie kämpft/sich bewegt, umso
schwächer wird sie, weil der Tod lauert. Deshalb vermeiden diese Individuen
anstrengende Körperübungen oder alles, was den Metabolismus hochdreht. Rast
und Stille
sind der einzige Ort, wo sie sich entspannen können. Wenn das Neugeborene
schließlich aus dieser Feuerprobe herauskommt,
fühlt es sich schrecklich allein. Keiner weiß, was es durchgemacht hat.
Das Mädchen war nie ein Selbststarter, als sie aufwuchs. Sie war ständig im Überlebensmodus,
und das bedeutete, auf den „Kickstart“ zu warten. Sie bemühte sich sich
eifrig, alles zu vermeiden, das ihr System an das Geburtsdesaster erinnerte. Sie
hat nie versucht „voranzukommen“ - die Geburtsanalogie - und aufgrund ihrer
Passivität stritt sie mit ihrer älteren Schwester nie um Aufmerksamkeit. Das
Ergebnis war, dass sie sehr wenig davon bekam, was ihre Verdrossenheit und
Isolation noch verstärkte.
Der
Sympath und Depression
Selten
findet man einen Sympathen, der deprimiert ist. Sympathen sind dafür viel zu
mobilisiert und nach außen orientiert; sie laufen emsig vor ihren Gefühlen
davon. Oft haben sie undichte Schleusen im Gehirn, die dazu führen, dass sie
mehr von Impulsen getrieben werden. Ihre Verdrängung ist nicht so total und
global wie beim Parasympathen. Sie konnten kämpfen, um bei der Geburt
herauszukommen. Es gab Alternativen. Der Sympath ist nur dann deprimiert, wenn
er nicht ausagieren kann, wenn er sich in Bewegung halten kann, nicht geschäftig
sein kann, wenn all sein Flehen ihm die Freundin nicht zurückbringt, wenn seine
Alternativen aufgebraucht sind und er ohne Ausweg in die Ecke gedrängt wird.
Dann und nur dann wird er an einer zeitweiligen Depression leiden; er hat sich
selbst in eine Situation gebracht, die der Ursprungssituation des Parasympathen
sehr ähnelt. Er ist blockiert und kann sich nicht rühren.
Einer
unserer Patienten, ein Langzeit-Depressiver, wurde geboren, nachdem seine Mutter
mit Äther narkotisiert worden war. (Er ist ein älterer Patient, und seine
Mutter fiel einer Prozedur zum Opfer, die damals allgemein gebräuchlich war.)
Das führte natürlich mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Verschließen seines
Systems während der Geburt, der Prototyp für ein parasympathisches Muster, das
ein Leben lang andauert. Nach der Geburt mussten sie seine Sohlen wund reiben,
um ihn wach zu halten. Dann bekam seine Mutter eine Infektion und wurde drei
Wochen von ihm entfernt. Er wurde ohne seine Mutter gelassen, war allein und verängstigt.
Später im Leben machte ihn das kleinste Problem äußerst hoffnungslos, weil
sich ständig wiederholte, was er bei der Geburt und bald danach gefühlt hatte.
Wenn ein Freund in den Urlaub fuhr, bekam er Depressionen. Jeder Anflug von
Alleinsein löste ein Gefühl massiver Entfremdung aus (jenes katastrophale
Alleinsein, als er nach der Geburt keine Mutter hatte). Was alles noch schlimmer
machte, war, dass sein Vater seine Mutter verließ und sie fünf Jahre lang in
eine schwere Depression verfiel. Was immer er versuchte, er konnte keine
Reaktion von ihr bekommen. Schließlich gab er den Versuch auf und befand sich
dann wirklich in einem chronischen Zustand von Hoffnungslosigkeit. Er wurde
genauso unzugänglich wie sie.
Er
hatte seine Kindheit mit dem Versuch verbracht, nach irgendwas zu greifen,
obwohl er nicht wusste, wonach. Als es ihm schließlich dämmerte, dass er nie
die Erfüllung finden würde, die er wollte, resignierte er völlig. Seine späteren
Depressionen waren kein Geheimnis. Für ihn war Depression angemessen. Genau wie
bei der Geburt und in der Kindheit verhinderte Verdrängung (Unterdrückung
aller Reaktionen), dass sein Leben oder zumindest sein Bewusstsein von Schmerz
überflutet wurde. Sein Gefühl, von jeder Lebensfreude angeschnitten zu sein
– vom Fühlen abgeschnitten zu sein – währte, bis er zur Primärtherapie
kam und mit dem ganzen schrecklichen Schmerz, den es mit sich brachte, wieder
sein Arme nach seiner Mutter ausstrecken musste ( die eingeprägte Erinnerung
war in seinem Nervensystem und in seinen Armen verschlüsselt).
Es
muss nicht unbedingt ein Geburtstrauma gegeben haben, um Depression
hervorzurufen. Gleichgültigkeit und fehlender Körperkontakt von Beginn an
reichen, um sie zu erzeugen. Vielleicht ist sie nicht so tief wie bei jemanden,
der eine parasympathische Geburt hatte, aber nichtsdestotrotz kann sie
vernichtend sein. Es gibt verschiedene Depressionsgrade. Wenn es auf drei
unterschiedlichen Ebenen – auf der instinktiven, emotionalen und
intellektuellen – ein Trauma gibt, ist die Depression tief und schwer. Die
Depression wäre weniger schwer, wenn sie nur auf dem Geburtstrauma mit einer
nachfolgenden liebevollen Kindheit beruhen würde. Tatsächlich kann eine
liebevolle Kindheit Depression erheblich bessern. Aber Liebe kann nie eine
basale prototypische Prägung auslöschen; man kann Depression nicht weglieben.
Der Grund besteht darin, dass nach Ablauf der kritischen Periode ein dauerhaftes
Loch in der Persönlichkeit bleibt, das nie so gefüllt werden kann, wie es
ursprünglich möglich gewesen wäre.
Rosalind
Ich
bin deprimiert, solange ich mich zurückerinnern kann. Es fühlt sich wie tiefes
Grauen an, als ob gleich etwas Schreckliches passieren würde, nur dass ich
nicht weiß, was. Ich ging jeden Tag mit dem Gefühl in die Schule, dass ich
gleich sterben werde. Manchmal tröstete mich der Gedanke, dass ich sterben könnte,
dass die Dinge so schlecht laufen würden, dass ich nicht mehr weitermachen könnte.
Ich versuchte immer, morgens aufzuwachen, bevor ich aufstehen musste, so dass
ich mich darauf vorbereiten konnte, den Tag anzugehen. Wenn ich aufwachte, lag
ich im Bett und versuchte, so weit in die Gänge zu kommen, dass ich aufstehen
konnte. An Tagen, an denen ich just aufwachte, wenn es Zeit war aufzustehen,
befiel mich Panik, und ich fühlte mich völlig unvorbereitet, dem Tag zu
begegnen. Ich konnte kaum sprechen am Morgen. Ich fühlte mich so nervös und
elend, war aber völlig unfähig, meine Gefühle mitzuteilen. Ich konnte nie frühstücken,
aber nach dem Willen meiner Mutter musste ich immer eine Tasse Tee trinken,
bevor ich das Haus verließ. Die meisten Nächte weinte ich mich in den Schlaf,
fühlte mich total elend und allein. Ich wollte nicht, dass meine Mutter mich
weinen hörte, weil sie mich gefragt hätte, was mir fehle, und ich keine Ahnung
gehabt hätte, was ich ihr sagen sollte.
Wenn
Freitag Nacht gekommen war, brachte mir der Gedanke ans Wochenende und nicht in
die Schule gehen zu müssen etwas Erleichterung, aber am Samstag Morgen
verschlechterte sich meine Stimmung und am Abend war ich wieder hoffnungslos
deprimiert. Jahrelang ging ich Samstag Nacht nicht aus, weil ich mich so
schlecht fühlte.
Meine
Depression schien sich immer mit Angst abzuwechseln.
Ich glaube, meine deprimierten Gefühle und meine Angst gehen bis auf
meine Geburt zurück, wegen des Gefühls, sterben zu müssen, und wegen der ständigen
Angst, unter der ich litt. Meine Mutter wusste, dass ich Angst hatte, weil ich
als kleines Mädchen buchstäblich an ihrem Schürzenzipfel oder an einem
anderen Teil von ihr hing. Ich hatte zu viel Angst, um anderen Leuten
vorgestellt zu werden, und fürchtete mich vor allem und jedem. Sie sagte mir,
dass ich die Schüchternheit ihrer
Schwester geerbt habe und dass ich da rauswachsen werde und dass mit mir
alles in Ordnung sei. Unterdessen war mir jeden Tag nach Sterben zumute. Ich
hatte niemanden, dem ich meine Gefühle mitteilen konnte, da sie alle unter der
Überschrift ‚Schüchternheit’ zusammengefasst worden waren, was alle
einstimmig für keine große Sache hielten. Natürlich fragte mich niemand, wie
ich mich wirklich fühle, und ich meinerseits habe es nie jemandem gesagt.
Als
ich ungefähr 12 war, fing ich zu stottern an, und das wurde größtenteils zum
Brennpunkt meiner Depression, das heißt, wenn ich nur das Stotter-Problem nicht
hätte, dann wäre alles in Ordnung. Am nächsten dran, jemandem zu sagen, wie
ich mich fühlte, war ich, als ich als Teenager meine Mutter um Hilfe wegen
meines Stotterns bat, und ich saß wirklich auf ihrem Schoß und weinte. Sie
konnte mir überhaupt nicht helfen, und ich erinnere mich, wie ich dachte:
„Mama kann mir nicht helfen.“
Ich
glaube, ich habe gewartet, bis ich alt genug war, um die Konfrontation mit der
totalen Nutzlosigkeit meiner Mutter ertragen zu können, bevor ich sie direkt um
Hilfe bat. Mama behauptete, dass Schüchternheit eine Form von Einbildung sei,
dass ich mir einbilde, alle würden mich beobachten, was dazu führen würde,
dass ich mich selbst schlechter fühle. Meine Mutter hat es gut hingekriegt,
mich zu beruhigen, indem sie mir sagte, ich habe kein Problem, aber sie ließ
mich in der Falle meiner Gefühle zurück.
Wenn
ich rückblickend mein Leben überdenke, sehe ich, dass ich viele bedeutende
Entscheidungen über mein Leben selbst treffen musste; zum Beispiel musste ich
mich entscheiden, welche Schulfächer ich mit 14 nehmen sollte, ich musste mit
18 versuchen, mich für eine Berufslaufbahn zu entscheiden und ich musste mich für
irgendeine Art von Empfängisverhütung entscheiden. Soweit ich mich erinnere,
hat mir meine Mutter nie bei irgendwelchen Entscheidungen geholfen. Als die
Jahre vergingen und ich nicht starb, begriff ich schließlich, dass es nicht
geschehen würde: Ich hatte lediglich dieses Gefühl.
Meine
deprimierten Gefühle blieben mein ganzes Leben so ziemlich die gleichen. Wenn
es ganz schlimm kommt, habe ich immer das Gefühl, gleich sterben zu müssen,
oder dass ich langsam sterbe und dass alles hoffnungslos ist. Ich kann nicht
dagegen tun. Es gibt keinen Ausweg. Ich könnte ebenso gut aufgeben. Manchmal fühle
ich mich, als stecke ich von allen Menschen losgelöst in einer Blase, und dass
ich jemanden brauche, der zu mir hereinkommt und mich rettet. Wenn ich
deprimiert bin, neige ich dazu, körperlich ganz langsam zu werden, und es fühlt
sich an, als würde ich mich in Zeitlupe bewegen. Ich hielt mich für einen
melancholischen Menschen, bis ich den Urschrei
las. Ich habe immer gehofft, dass Lebensereignisse, wie vielleicht einen
Mann zu treffen oder einen Job zu bekommen, der mir gefällt, dazu führen würden,
dass ich mich schließlich besser fühle.
Ich
war als Kind immer sehr ruhig und drückte meine Depression dadurch aus, dass
ich launisch und mürrisch war und mich absonderte. Es überrascht nicht, dass
ich in der Therapie Zugang zu meinen Gefühlen dadurch finde, dass ich viel Lärm
mache – so viel wie möglich – und mein Inneres nach außen stülpe, was ich
zuvor nie tun konnte. Ich habe viel Zeit in der Fantasiewelt von Büchern
verbracht. Meine Mutter machte eine große Sache daraus, dass sie mich körperlich
nie von sich gestoßen hat, wie es ihre Mutter getan hatte,
aber andererseits hat sie mich auch nie getröstet. Ich hatte Gefühlserlebnisse
darüber, dass ich gehalten und getröstet werden wollte, und dass bessert meine
Angst. Sie sagte mir auch, dass die einzige Methode, meine Ängste zu besiegen,
darin bestehe,
ihnen gegenüberzutreten, und ich erinnere mich, dass ich mich in meinen
späten Teenjahren auf die kolossale Anstrengung eingelassen habe, die
erforderlich ist, um sich selbst zu zwingen, die ganzen Dinge zu tun, vor denen
man Angst hat, aber ich habe mich dabei immer entsetzlich gefühlt. Wenn ich in
den letzten Monaten mit Angst in eine Sitzung gegangen bin, konnte ich die
Verbindung herstellen und mich wie ein kleines Baby fühlen, das ganz verlassen
und völlig verängstigt ist. Es gibt dabei keine Worte. Eine
Kindheitskomponente dieses Gefühls ist, nach meiner Mutter zu weinen, mich an
sie zu klammern aber keinen Trost zu bekommen.
Wenn
ich in meinem Leben ein Problem habe und etwas machen kann und dabei das Gefühl
habe, dass ich vorwärts komme, bin ich nicht deprimiert. Sobald ein Plan schief
läuft oder ich enttäuscht werde oder mir keine Lösung einfällt, bin ich
wieder deprimiert und will aufgeben. Als ich am Anfang, als ich nach L.A. kam,
Probleme hatte, an meine Gefühle zu gelangen, war ich deprimiert darüber, dass
ich keine Hilfe bekommen konnte, und hatte das Gefühl, als würde mich niemand
verstehen. Ich steckte fest. Ich werde auch depressiv, wenn ich das Gefühl
habe, dass ich den Leuten nicht zeigen kann, wie schlecht es mir geht, genau wie
ich es damals als Kind nicht konnte. Wann immer ich etwas nicht fühlen kann,
wandelt es sich in Depression und Hoffnungslosigkeit.
Ich
war niemals aktiv suizidal, trotz der Tatsache, dass mir oft so zumute ist, als
würde ich sterben. Es ist eher so, als würde ich zum Stillstand kommen oder
als würde die Erde mich verschlucken oder als würde jemand sagen: „Leg dich
in diese Grube, und du wirst keinen Schmerz mehr fühlen.“ Ich stelle mir vor,
dass ich es tue, und es ist alles vorbei. Sollte ich versuchen mich umzubringen,
würde ich eine schmerzlose Methode wählen, wie zum Beispiel Schlaftabletten,
weil ich keinen körperlichen Schmerz mag und weil ich mit Schlaftabletten sanft
dahingehen könnte. Meine Einprägung ist aufhören und neu beginnen, weil ich
in meinem Leben so bin:
Ich gebe auf, rapple mich wieder hoch und mache weiter.
Meine Depression besteht zu einem Großteil aus massiver Hoffnungslosigkeit. Je mehr ich davon fühle, umso weniger Depression gibt es.
______________
Kapitel 6
Gesprächstherapien
sind der Einprägung nicht gewachsen
Wir
haben gesehen, wie das System immer wieder zum Prototypen zurückkehrt, der am
bezeichnendsten der Prototyp aggressiven Strebens oder leichten Aufgebens
angesichts der Herausforderungen des Lebens ist; wir haben gesehen, wie
diejenigen, die emotional von anderen losgelöst sind, mit der Loslösung von
sich selbst anfangen; und wie die früh im Leben ins System geschriebene Einprägung
lebenslanges Ausagieren steuert wie zum Beispiel wiederholt gescheiterte
Beziehungen, Drogenkonsum oder glühender religiöser Eifer. Letztere sind nicht
einfach Verhaltensweisen des Erwachsenen, die man in kognitiver Therapie oder
Verhaltenstherapie umändern muss; ihre Wurzeln liegen tief in der Geschichte.
Wenn jemand ausagiert, ist das meistens eine lebensrettende Strategie. Die
emotionale Absonderung beginnt ganz früh im Leben, denn andernfalls, wenn sich
jemand voll den Geschehnissen aussetzen würde, wäre der Schmerz viel zu groß.
Depression ist ein lebensrettender Umstand, weil sie massive Verdrängung
einbezieht, um schweren Schmerz dauerhaft zu unterdrücken und zu verbergen.
Wenn der Patient sich öffnet, sehen wir die Tiefe dieses Schmerzes, und oft ist
er unbeschreiblich. Eine Patientin musste unbedingt raus – aus einem Job,
einer Ehe, einem Haus. Der Prototyp
setzte sich bei der Geburt fest, als herauszukommen lebensrettend
war. Er setzte sich als Überlebensstrategie fest. Als es mit ihrem Mann
schief lief, ging sie. Sie musste raus und einfach irgendwohin. Das erleichterte
den Druck aus dem abgesonderten Gefühl: „Ich werde sterben, wenn ich da nicht
raus komme!“ Ihr war nie klar, dass es um dieses Gefühl ging; sie konnte es
nur ausagieren. Sie wusste nicht einmal, dass sie ausagierte. Ihr Verhalten war
genauso unbewusst wie ihre Gefühle. Das besagte Gefühl trieb sie ab,
bis sie es im Zusammenhang fühlte.
Der
Prototyp, der während des präverbalen Lebens eingestempelt wird, kann durch
verbale Mittel nicht umgekehrt werden. Der Prototyp wird weitgehend mit dem
rechten Gehirn eingraviert; deshalb werden die Gedanken des linken Gehirns nicht
viel helfen, wenn es darum geht, Änderungen herbeizuführen (ausgenommen natürlich,
wenn das linke Gehirn an der Verknüpfung teilhat). Wenn jemand isoliert und
distanziert ist, können wir das spüren; wir kommen nicht wirklich zu ihm
durch. Seine Abwehr lässt sich nicht durchdringen. Seine offenbare
Reserviertheit ist Teil der Einprägung und nichts, das man in der kognitiven
Therapie rekonditionieren oder wegargumentieren könnte. Wenn eine Frau leblos
wird - sich verschließt - , wenn sie sexuell erregt ist, kann sie dagegen
nichts machen – es ist eine Analogie zur ursprünglichen Geburtserfahrung, bei
welcher auf die Aktivierung unmittelbar das Versagen folgte. Dementsprechend ist
es real, sich besiegt zu fühlen, - eine reale Reaktion auf ein reales Ereignis,
als man bei der Geburt jeder Chance zu kämpfen beraubt wurde - und keine
neurotische Verirrung! Wenn wir versuchen, das ohne die eingeprägte Erinnerung
zu entfernen, schneiden wir lediglich die Spitzen des Unkrauts ab und berauben
jemanden der Schlüsselaspekte der Überlebenserinnerung.
Im
Sinne des prototypischen Bezugsrahmens sind die Scheu, Ängstlichkeit und
Passivität des Parasympathen Abwehrmechanismen, keine Launen. Sie waren ursprünglich
dafür konzipiert, den Schmerz auf Distanz zu halten Wir sind aus einem guten
Grund neurotisch (abgewichen): Anpassung. Wie ich gesagt habe, wendet sich beim
Parasympathen sein ganzes System in Richtung "weniger" - weniger
Dopamin, Testosteron, Noradrenalin, Serotonin, Schilddrüsenhormon und so fort.
. Von Beginn an neigte das gesamte System zu diesem "Hypo"- Modus als
Überlebensmechanismus. Weil die Einprägung eine Kaskade von Änderungen
orchestriert, können wir das Problem mit Schilddrüsenhormonen oder allen möglichen
anderen Medikamenten angehen, und sie werden alle helfen. Zum Beispiel kann es
gegen Gefühle von Depression
und Niederlage helfen, wenn man dem depravierten System
irgendeines dieser Bestandteile hinzufügt. Deshalb hilft es oft, wenn man einem
Depressiven Schilddrüsenhormon verabreicht oder ein Medikament, das die Wirkung
von Serotonin verstärkt. Aber das sind keine Heilmittel. Hypnose wirkt bei
Rauchen, aber es ist immer noch der Mensch da, der rauchen muss (jemand, der Bedürfnisse
hat), und es wird im Anfälligkeitsbereich der Person zu weiteren nachteiligen
Reaktionen kommen.
Wir
haben die Wahl: Symptome lindern oder Leute heilen. Entweder jede körperliche
Veränderung neu einstellen (ein bisschen Schilddrüsenhormon hier, eine Prise
Prozac dort, ein Nikotinpflaster, um einem Raucher zu helfen, mit der Gewohnheit
zu brechen) oder sich mit dem Dirigenten befassen und alle körperlichen Änderungen
zusammen auf den Ausgangspunkt zurückbringen.
Wenn
jemand ein chronischer Raucher ist oder depressiv oder ein Stubenhocker, der
Leute meidet, erzwingt sein ganzes System sein Verhalten, und sein System ist
eine Funktion der Geschichte. Unsere therapeutische Aufgabe muss immer
historisch sein. Die Geschichte ist ein wesentlicher Unterschied zwischen
kognitiver und fühlender Therapie. Wenn wir eine Person als ahistorisch
behandeln, können wir nur ihr sich gegenwärtig zeigendes Symptom behandeln,
nicht ihre Persönlichkeit. Moderne kognitive Psychotherapie hört dort auf, wo
auch der gedanklich-geistige Bereich endet. Sie ist auf das linke Frontalhirn
begrenzt. Wie wir jedoch gesehen haben, ist in der frühen Kindheit das rechte/fühlende
Gehirn dominant, und es sind frühe Rechtshirn-Einprägungen, die ständig das
Gehirn aktivieren. Genau dort finden wir die "Niederlage." Und dorthin
müssen wir gehen, um gegen dieses wichtige Gefühl zu kämpfen, das einen so
großen Teil des späteren Lebens regiert. Der einzige Weg dorthin führt über
das rechte Gehirn und das rechte Limbische System. Die Kognitions-Therapeuten
haben die Gehirnhemisphären verwechselt und versuchen, durch Anrufung der
linken Seite dorthin zu gelangen. Wir können von hier aus nicht dorthin
gelangen. Der linke frontale Bereich geht erst in Betrieb, nachdem die Schlüsseleinprägungen
auf der rechten Seite verankert worden sind. Die konitive Therapie befasst sich
hauptsächlich mit den Auswirkungen von Gefühlen auf der linken Seite, während
Gefühle uns die ganze Zeit behelligen.
Wenn
das ganze Wesen eines Menschen von dem Gefühl durchdrungen ist, dass
"niemand mich will," und das in dem Maße, dass er Drogen braucht, um
den Schmerz abzutöten, so ist das nicht bloß ein Gedanke, den wir ändern müssen;
es ist ein organischer Teil dieser Person. Solche Probleme kann man niemandem
durch konventionelle Therapie „ausreden.“ Man muss sie auf der primären
organischen Ebene wiedererleben, auf der sie existieren.
Des
Weiteren sind Gedanken nicht etwas, das wir wohl oder übel produzieren, sondern
der Auswuchs dieser frühen formenden Kräfte. Wir haben nicht einfach
Meinungsdifferenzen; wir haben Differenzen in der gesamten Persönlichkeit, die
Meinungen entstehen lassen. Wenn dementsprechend der "Unterlassungs"-
Modus eines Menschen darin besteht, dass er angesichts von Hindernissen aufgibt,
dann reagiert er auf die tief in seinem Gehirn liegende Empfindung namens:
"Was hat es für einen Zweck, es zu versuchen?" Weil sie so tief drin
liegt, hat sie eine tiefgreifende Wirkung. Die Worte, mit denen er seinen
Zustand beschreibt, sind eine späte evolutionäre Entwicklung. Man darf sie
nicht mit dem eigentlichen Zustand verwechseln, mit der Physiologie der
Niederlage. In der Valenz- oder Stärke-Hierarchie sind Worte die schwächsten
Elemente, wenn man sie mit der Kraft dieser nonverbalen Einprägungen der ersten
Linie vergleicht. Wir dürfen nicht glauben, dass wir tiefgreifende Veränderungen
zustande bringen, wenn wir den Patienten mit Worten behandeln. Einprägungen
kann man nicht besiegen, noch kann man sie überzeugen. Vielleicht können wir
jemanden überzeugen, seine Gedanken zu ändern, aber niemals, seine
Physiologie zu ändern.
Ein
Patient, der nur seine Oberfläche glätten will, ist vielleicht mit einer
Methode glücklich, die ihn wieder herrichtet und arbeitsfähig macht. Aber er
hat nichts weiter über sein inneres Selbst erfahren, das Selbst, das ihn
letztlich befreien kann.
Kein
Patient - einschließlich Tony Soprano - der aufrecht in einem Stuhl in einem
komfortablen Büro sitzt, kann den Schrecken fühlen, den er nur in einem
abgedunkelten, gepolsterten Raum fühlen kann. Es ist gerade diese
Rahmenbedingung des Aufrechtsitzens, die den kognitiven Therapeuten daran
hindert, Patienten in die Vergangenheit zurückzubringen. Erstens begründet
seine Theorie es nicht und zweitens verhindert es die Büroeinrichtung an sich.
Die Organisation eines Büros erfolgt aus der Theorie. Es ist alles dafür
vorgesehen, den Brennpunkt in der Gegenwart zu halten. Unglücklicherweise kommt
eine der größten Gefahren, der wir gegenüberstehen, aus unserer Vergangenheit
und aus uns selbst, eine Erinnerung, die uns informiert, dass wir von unseren
Eltern nicht geliebt wurden, dass es nie so sein wird und dass alles
hoffnungslos ist. Das zwingt uns zu allen möglichen Verhaltensweisen; es ist
ein System, das Verhaltensweisen am laufenden Band produziert. Deshalb ist es
einleuchtend, dass Patienten wieder die ‚Talsohle’ aufsuchen müssen, um aus
ihren Depressionen herauszukommen. Sie müssen zu dieser wortlosen Zeit zurückkehren,
als sie zu nichts anderem fähig waren als zu grunzen, ächzen, sich zu winden,
Ersticken und Strangulation zu empfinden; damals gab es keine Worte.
Die
Persönlichkeit ist nichts Separates sondern integraler Bestandteil des
neurophysiologischen Gesamtsystems. Ohne Bezugnahme auf die Einprägung kann es
keine dauerhafte Heilung geben. Wenn wir in Betracht ziehen, dass das Ganze mehr
als die Summe seiner Teile ist, dann können an den Patienten auf ganzheitliche
Weise herangehen. Wir müssen uns eingehend mit den tiefliegenden Ursachen
befassen, die so viele Aspekte unseres Selbsts verändert haben. Wenn wir der
neuronalen Spur zum Prototypen nicht folgen, werden wir mit den Grundtendenzen,
die zur Depression führen, nie in Berührung kommen.
_______________
David
In
der kognitiven Verhaltenstherapie konzentrierte sich die Therapeutin nahezu
ausschließlich darauf, mich aufzufordern, dass ich "meine negativen
Gedanken" in positivere Gedanken " umändere." Zum Beispiel war
ich zu der Zeit, als die Therapie stattfand, im Hinblick auf mich selbst sehr
negativ eingestellt, und ich sah diese Art von Selbstgespräch in mir ablaufen:
"Ich habe in meiner Karriere versagt." Die Therapeutin bat mich, diese
Aussage "neu zu formulieren" und zu mir selbst zu sagen: "Ich bin
zurzeit in meiner Karriere nicht erfolgreich." Nun, das half überhaupt
nicht. Tatsächlich geriet ich nur durcheinander mit den vielen mechanistischen
Methoden, mit denen ich versuchte, mit inneren Problemen fertig zu werden;
letztlich endeten sie in Frustration und Entmutigung.
Eine
andere Schlüsselmethode dieser kognitiven Verhaltenstherapeutin war, dass sie
mir eine Liste von 12 "Sollte"-Erklärungen präsentierte, die die
Leute gerne verwenden. Dann bat sie mich, die Erklärung zu wiederholen, ohne
das Wort "sollte" zu gebrauchen Zum Beispiel lautete eine der
Originalerklärungen vielleicht: "Ich sollte kompetenter sein." Sie
bat mich, das neu zu formulieren und zu sagen: "Ich bin kompetent."
Natürlich half das überhaupt nicht, weil ich nicht tatsächlich kompetenter
wurde, indem ich einfach sagte: "Ich bin kompetent." Ein Großteil
ihrer Methode drehte sich darum, mich von der Irrationalität meines Verhaltens
zu überzeugen, wenn ich diese "Sollte"-Erklärungen benutzte. Sie
versorgte mich überwiegend mit einer Regel-Liste und bat mich, diese Regeln zu
befolgen. Diese Methode ignorierte die Gefühle unter der Oberfläche völlig,
die mich dazu trieben, zu fühlen , was ich fühlte, und deshalb auch zu sagen,
was ich sagte. Ihre Methode zog das Prinzip der Verdrängung nicht in Betracht.
Diese
Therapeutin war zunehmend frustriert, als sie mit mir arbeitete. Tatsächlich
hatte sie Vorbehalte gegenüber Gefühlen und verneinte deren Rolle im
therapeutischen Prozess. Ich reagierte auf ihre Methode, indem ich frustriert,
entmutigt und desillusioniert war, weil ihre Methode bei mir nicht
funktionierte. Der große Fehler, den sie bei mir machte, war, dass sie ein
spezfisches Therapiemodell im Sinne hatte, als sie zu den Therapie-Sitzungen
kam, und nicht die nötige Flexibilität besaß, um sich anzupassen, zu verändern
oder ihren Ansatz zu modifizieren. Ich wollte immer, dass sie mich regelmäßig
Folgendes fragen würde: „Wie wirkt diese Methode bei dir?“ Aber sie hat
mich nicht gefragt; hätte sie mich gefragt, hätte sie von mir viele wertvolle
Rückinformationen erhalten. Aber mir war klar, dass sie zu unsicher war, um
mich um Rückmeldungen zu bitten.
In
der Jungschen Therapie führte mich der Therapeut in die klassischen Begriffe
der Jungschen Psychologie ein: Archetypen, Anima, Animus, kollektives
Unbewusstes, Person, Schatten, aktives Vorstellen, geführtes Bilderleben, das
Selbst und Trauminterpretation. Er versuchte auch, bei mir mit seiner
therapeutischen Methode innerhalb des klassischen Jungschen Modells zu bleiben.
(Carl Jung war ein Zeitgenosse Freuds,
der eine andere Auffassung vom Unbewussten hatte als Freud. Er glaubte vielmehr
an ein kollektives Unbewusstes, das wir alle miteinander teilen, als an ein
idiosynkratisches. Er dachte, dass es Grundarchetypen gebe, die für uns
charakteristisch seien und uns voneinander unterscheiden. In der Therapie wurde
der Versuch unternommen, unseren Archetyp zu bereinigen. -A.J.) Der Therapeut war
eine sehr intellektuelle Person und für ihn war wichtig, dass ich für diese
Hauptbegriffe Verständnis erlangen würde. Deshalb verbrachte er eine Menge
Zeit mit mir, indem er mir einfach half, alle diese Jungschen Begriffe und
Auffassungen zu verstehen; er glaubte, damit das Fundament zu schaffen, das ich
seiner Ansicht nach als Grundlage für seine Therapie brauchte. Er anerkannte
und erkannte das Prinzip der Verdrängung, und er sagte, dass die Dinge, die
verdrängt wurden, jetzt in "deinem Schatten" liegen. Sein ganzer
Ansatz resultierte in einer Heilungsvoraussetzung auf Seite des Patienten: Der
Patient muss diese Begriffe, Auffassungen und Prinzipien verstehen können.
Seine Prämisse war einfach: wenn der Patient einmal sein Problem und diese
Jungschen Auffassungen begriffen hat, findet Heilung auf natürlichem Wege
statt. Also bringt Verstehen automatisch Heilung.
Aber
in meinem Fall brachte Verstehen keine Heilung. Verstehen brachte mir geistige
Gymnastik. Der Prozess, in dem ich intellektuelles Verständnis erlangte,
brachte eine falsche Illusion von Heilung. Ich sagte häufig zu mir: "Nun,
da ich ein intellektuelles (intelligentes) Verständnis davon habe, wie die
Probleme in mir beschaffen sind, werde ich geheilt werden. Diesen Glauben hatte
ich immer wieder, aber er brachte nie wirkliche Heilung zustande. Stattdessen
brachte er ein falsches Vertrauen zustande, dass ich "jetzt, da ich das
Problem festgenagelt habe," okay sein werde.
Die
Jungsche Methode half nur vorübergehend und dann auch nur ein wenig. Jedoch
dachte ich wirklich jedes Mal, wenn ich so weit war, dass ich das Problem
verstanden hatte, dass ich geheilt wäre. Aber es geschah nie. Das Resultat war,
dass ich entmutigt und desillusioniert wurde. Im Lauf der Jahre absolvierte ich
zahlreiche Jungsche Programme und dachte jedes Mal, dass ich die Antwort in
diesem Programm/Workshop finden werde. Das war aber nie der Fall.Tatsächlich
verlangsamte der Prozess des Intellektualisierens den Heilungsprozess, indem er
die realen Gefühle überdeckte, die zu fühlen waren.
In der Gestalttherapie vermittelte die Therapeutin anfangs den Eindruck, dass Gefühle in meiner Therapie eine Hauptrolle spielen würden. Tatsächlich taten sie das nie. Gestalttherapie endete für mich irgendwo zwischen kognitiver Verhaltenstherapie und Jungscher Therapie. (Gestalttherapie ist im Grunde ein Rollenspiel, in dem das Subjekt in die Rolle seines eigenen Selbsts, seiner Mutter oder seines Vaters schlüpft und dann mit ihnen spricht oder zum Beispiel als Mutter zum Kind spricht. Sie ist im Grunde eine Konfrontationstherapie, die später die Basis vieler Drogen-Rehabilitationszentren bildete. Sie bildet auch die Grundlage für die neueren Holistischen Therapien, bei denen eher globale Veränderungen stattfinden als einzelne analytische.-A.J.) Meine Gestalttherapeutin verwendete Rollenspiele und versuchte damit, mir zu helfen, Einsicht in mein Verhalten zu gewinnen. Manchmal sagte sie: "Ich will, dass du deinen Vater spielst und dieses Szenario benutzt." Ein anderes Mal bat sie mich, die Rolle des Chefs zu spielen, mit dem ich damals gerade Schwierigkeiten hatte. In allen Fällen bewirkten die Rollenspiel-Szenarien nichts und brachten keine Heilung zustande. Die Therapeutin war sehr beeindruckt von ihrer Methode und von dem, was ihrer Überzeugung nach geschah, aber ich erlebte nichts Signifikantes im Sinne realen Fortschritts. Deshalb war ich nach einer Zeit zwischen sechs Monaten und einem Jahr entmutigt und desillusioniert über den Prozess. Tatsächlich verlor ich das Vertrauen in diese spezielle Methode und auch in die Therapeutin. Sie spürte meine Frustration, und das verursachte einen Bruch in unserer Beziehung. Schließlich brach ich meine Therapie mit dieser Therapeutin ab. Jetzt konnte ich einen Schritt nach vorne tun.
_______________
Buchübersetzungen Artikel und Buchauszüge Home