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Arthur Janov: Epigenetics and Primal Therapy: The Cure for Neurosis (17.10.2015 -12.03.2016 auf www.arthurjanov.com)

Arthur Janov: Epigenetik und Primärtherapie: Die Heilung der Neurose

                                                                                                          

 

Manchmal wird mir klar, dass ich "wissenschaftslastig" werde, aber was gegenwärtig geschieht, ist so aufregend, besonders weil es untermauert, was ich seit ungefähr 50 Jahren schreibe. Es scheint, dass nahezu jede Woche Wissenschaftler neue Forschungsergebnisse verkünden, die einen Großteil der Primär-Position bestätigen. Das trifft besonders auf das sprießende Fachgebiet der Epigenetik zu, auf die Wissenschaft, die untersucht, wie Erfahrung den genetischen Kode eines Individuums ändert, der früher als unveränderlich galt. Ein Artikel, der die bahnbrechende Pionier-Arbeit von Forschern der McGill Universität in Montreal zusammenfasst, verkündete, dass "das aufkommende Fachgebiet der Epigenetik die Erforschung psychischer Gesundheit revolutioniert - und die Ansicht in Frage stellt, dass die DNA Schicksal sei"(1).

 

Darüber hinaus lassen die neuen Entwicklungen hinsichtlich der Wissenschaftsgeschichte die gegenseitige Annäherung der ehemals getrennten Fachgebiete Psychologie und Biologie vorausahnen. In einem Bericht über eine Forschungsarbeit, die eine Verbindung zeigt zwischen Widrigkeiten am Lebensanfang und Veränderung der genetischen Aufmachung, kamen die kanadischen Forscher zu dieser dramatischen Schlussfolgerung: "Epigenetik könnte als Brücke dienen zwischen den Sozialwissenschaften und den biologischen Wissenschaften und ein wirklich integriertes Verständnis menschlicher Gesundheit und menschlichen Verhaltens ermöglichen." (Mc Gowan & Szyf, 2010, p.71). Kurz gesagt wächst das Verständnis, dass psychische Gesundheit eine entscheidende physische Komponente hat, was von Anfang an ein Grundsatz der Primärtheorie war. Wir haben immer daran festgehalten, dass Neurose eine Störung von Psyche und Körper ist. Und in unserer Behandlung müssen sowohl Psyche und Körper involviert sein, um Heilung zu erlangen. Jetzt zeigt uns die Wissenschaft, wie das auf der Zellebene möglich ist. Anders als bei genetischen Mutationen, so stellen die Forscher fest, "sind epigenetische Änderungen potentiell reversibel." (Mc Gowan & Szyf, 2010, p.66). Und das ist das vielversprechendste Ergebnis von allen.

 

Ich habe Epigenetik in meinem Blog und in meinen Büchern erörtert, habe darüber geschrieben, wie frühe Widrigkeiten die Schalter für Schlüsselgene ändern, was dann dazu dient, Verdrängung oder Hemmung zu verstärken. Diese Schalter schalten die Gene an oder aus, und tragen somit dazu bei, das in Gang zu bringen, was wie genetische Veränderungen erscheint. In Begriffen der Primärtheorie ist es der Mechanismus, der die Schleusen des Fühlens schließt oder öffnet. Und es gibt verschiedene chemische Substanzen, welche die epigentischen Ereignisse begleiten, zum Beispiel Methyl- und Acetylgruppen. Die entscheidende Arbeit auf diesem Feld zeigt, wie Prägungen über Generationen weitergegeben werden können - von den Eltern an die Kinder und Enkelkinder - hauptsächlich durch die chemischen Prozesse, die als Methylierung und Acetylierung bekannt sind. Wir müssen jedoch unterscheiden zwischen gesunder und ungesunder Methylierung. Unter normalen Umständen ist Methylierung ein notwendiger und natürlich auftretender Prozess, der den Ausdruck der genetischen Aufmachung eines Individuums regulieren hilft. Aber exzessive Methylierung wird pathologisch und führt zu Krankheit. Der Prozess läuft schief, wenn das Individuum ein körperliches oder psychisches Trauma erleidet, besonders im Mutterleib und in der frühen Kindheit. Es scheint, dass es bei jedem einzelnen Schmerz, den wir während der Schwangerschaft und bei der Geburt ertragen müssen, zu einer Änderung der Chemikalien kommt, die Schmerzverdrängung steigern. Wenn der Schmerz oder die Widrigkeit länger andauert, wird das System überfordert, und wir haben jetzt den Mechanismus durchlässiger Schleusen; das heißt, aufgrund Überlastung durch chronischen Schmerz beginnt die Verdrängung zu taumeln.

 

Es ist die Beständigkeit des Schmerzes, welche die Überlastung verursacht. Es gibt ein Limit, mit dem das Gehirn umgehen kann. Jenseits dieser Grenze werden die Schleusen anfällig und funtionieren nicht gut. Danach braucht es sehr wenig Trauma, um ein Symptom zu erzeugen wie ADS, Aufmerksamkeitsdefizitstörung. Die chemische Methylgruppe wird rekrutiert, wenn ein traumatisches Ereignis stattfindet, und sie unterstützt die Verankerung dieser Erinnerung. Es scheint, wenn es zu einem Anstieg von Methylierung kommt, dann hängt sich ein Teil davon an Cytosin an, eine der vier  Nucleinbasen der DNA. Die Einprägung des Schmerzes ist jetzt Teil der DNA und blockiert den Ausdruck verschiedener Gene. Gleichzeitig können Methyl- und Acetylgruppen, die an die Histone (Proteinstrukturen, die der DNA ermöglichen sich zusammenzurollen) angehängt werden, das rechtzeitige Auf-oder Abwickeln der DNA stören. Das unterbricht den richtigen Ausdruck bestimmter Hormone und anderer neurochemischer Prozesse. Das ist zum Teil der Grund, warum es so leicht ist, Genetik mit Epigenetik zu Verwechseln; unsere Stimmungen und Persönlichkeiten werden schon früh geformt, und so glauben wir, dass psychische Störungen über die Blutlinien weitergegeben werden. Wenn beide Eltern blaue Augen haben, ist es schließlich kein Geheimnis, dass ihr Kind auch blaue Augen hat.

 

Aber wenn es um Verhalten und Gefühle geht, ist es eine andere Sache. Aufgrund der Kontrolle des Epigenoms kann der  genetische Ausdruck durch Erfahrungen eingeschränkt werden, die der Fetus im Mutterleib macht. Und genau hier lässt sich vielleicht ein Teil des Krebsgeheimnisses aufdecken; denn es könnte sein, dass sich Krebszellen als normale Zellen entwickeln würden, wäre da nicht die physiologische Kraft der Verdrängung, die durch mütterlichen Stress hervorgerufen wird. Das erzeugt lebenslangen chronischen Stress beim Nachwuchs. Es mag sein, dass gutartige Zellen von ihren Bestimmungsorten abgeblockt werden, während sie entlang vorherbestimmter Pfade vorwärts drängen. Sie werden dann "zermalmt" oder abgeknickt und können nicht mehr sie selbst sein; sie verlieren ihre Identität und werden tödlich.

 

Eine Studie legt nahe, dass das biologische Fundament der bipolaren Affektstörung in erster Linie  nicht genetisch ist sondern epigenetisch (Rutten und Mill, 2009). Sogar die Gewaltneigung eines Individuums, die man einst für eine Gehirnstörung hielt, hat erwiesenermaßen epigenetische Wurzeln. In der Forschung mit Ratten fanden Wissenschaftler der Ecole Polytechnique Federale de Lausanne in der Schweiz heraus, dass Tiere, die in der Kindheit einem Trauma ausgesetzt waren, Veränderungen in zwei Teilen des Gehirns aufwiesen - im orbitofrontalen Kortex und in der Amygdala (Marquez et al., 2013). Diese kombinierten Änderungen senkten die Schwelle aggressiver Impulse und schwächten die Fähigkeit, sie zu kontrollieren. (Ein die Ergebnisse zusammenfassender Bericht wurde auch von der Schweizer Forschungsuniversität veröffentlicht unter dem Titel "Kindheitstrauma hinterlässt ihre Spuren im Gehirn." (2) Die Ergebnisse hatten überraschend viel Ähnlichkeit mit den Änderungen, die man in den Menschengehirnen traumatisierter Kinder fand, die zu gewalttätigen Erwachsenen heranwuchsen. Zusätzlich fanden die Wissenschaftler auch Veränderungen in Genen, von denen man weiß, dass sie mit aggressivem Verhalten assoziiert sind. Laut Prof. Carmen Sandi, Vorsitzende des Swiss school's Laboratory of Behavioral Genetics und Direktorin des Brain-Mind-Instituts fanden die Forscher hier heraus, dass der von den Ratten erlebte psychische Stress eine Veränderung der Art und Weise verursachten, wie diese Gene ausgedrückt wurden, insbesonders eine Zunahme des Levels der MAOA-Gen-Expression im präfrontalen Kortex. Die Forscher konnten das Aggressionsniveau mit Antidepressiva senken, insbesonders mit einem MAOA-Gen-Hemmer. Kurz gesagt erzeugte Kindheitsstress epigenetische Änderungen, welche die Gewaltneigung erhöhten. Medikamentöse Behandlung unterdrückte später die Gewalttendenz, indem sie die Langzeitwirkung frühen Traumas aufhob. In unserer eigenen Arbeit haben wir herausgefunden, dass die Wahrscheinlichkeit von Wut und Gewalt größer wird je tiefer Patienten die Bewusstseinsebenen hinabsteigen.

 

Bis vor kurzem war die Rolle epigenetischer Mechanismen bei der Trauma-Übertragung über die Generationen bei Tieren nachgewiesen, aber nicht bei Menschen. Eine neue Studie, die Holocaust-Überlebende und ihre Kinder einbezieht, zeigt zum ersten Mal, wie die epigenetische Auswirkung von Stress, die zellulären Veränderungen, auch unter Menschen von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden kann (Yehuda et al., 2015). Forscher fanden, dass Holocaust-Überlebende häufig ängstliche Kinder zur Welt brachten. Zuerst dachten sie, es sei, weil die Eltern den Kindern schreckliche Geschichten erzählten, aber später entdeckten sie, dass die Angst über die genetische Kette kam, wie wir in Kürze im Detail sehen werden. Der springende Punkt ist, dass der genetische Effekt von Kriegsstress mittels Epigenetik von der Physiologie der Mutter abstammte. (Mehr über diese Studie sogleich).

 

Ich werde die klinische Bedeutung der Forschung in der zweiten Hälfte dieses Artikels erörtern. Jetzt sei nur gesagt, dass pharmakologische Behandlung vielleicht nicht der einzige Weg ist, um epigenetische Änderungen umzukehren. Wir schlagen vor, dass die Effekte der Methylierung - als Agent der Verdrängung - umkehrbar sind durch Primärtherapie, welche die traumatischen Ereignisse wieder aufsucht und auflöst, die den Beginn des chemischen Verdrängungsprozess getriggert haben. Die wirkliche Revolution liegt in der Möglichkeit, dass die Leute nicht mehr mit ihrem genetischen Erbe leben müssen sondern tatsächlich die Regie übernehmen und es durch Primärtherapie ändern können. Wir glauben, dass wir vielleicht die Methode haben, um die schädlichen Langzeitwirkungen der Epigenetik aufzuheben, und wir unternehmen neue Forschung, um diesen Punkt zu untersuchen.Wenn es Lebenserfahrung ist, die Veränderungen in der Biochemie und in neuronalen Schaltkreisen verursachte, dann heben wir es nicht mit unkorrigierbaren Gebilden zu tun. Sie lassen sich ändern; die Art und Weise, wie man das machen kann, ist das Wiederauffinden und Wiedererleben von Schlüssel-Einprägungen, wie ich darlegen werde. Vererbung ist irreversibel, Epigenetik aber nicht. Sie lässt sich umkehren, was wir, wie ich vorschlage, seit beinahe 50 Jahren machen.

 

(1) McDevitt, N. (2006, Fall). The nurture of things. Headway. Abgerufen von http://www.mcgill.ca/research/files/research/headway-fall-06.pdf

 

(2) Childhood trauma leaves its mark on the brain. (2013, January 15). Ecole Polytechnique Federale de Lausanne Abgerufen von http://www.sciencedaily.com/releases/2013/01/130115090215.htm

 

Vererbung auf den Kopf gestellt

 

Lassen Sie uns darauf achten, dass wir diesen Epigentik-Begriff richtig verstehen, weil er in den kommenden Jahren wahrscheinlich eines der wichtigsten Forschungsgebiete in der Wissenschaft sein wird. Wie ich erwähnt habe, besteht ein Grund für die Vorrangstellung der Epigenetik darin, dass viele ernste Krankheiten, die wir für genetisch halten, tatsächlich epigenetisch sind und somit umweltlich bedingt und möglicherweise heilbar. Das ist jetzt eine feststehende Tatsache in der Entwicklung des Menschen. Frühe Entdeckungen auf dem Fachgebiet vor knapp einem Jahrzehnt waren jedoch so erstaunlich, dass sie sogar die wissenschaftliche Welt überraschten.

 

Die Macht der Epigenetik wurde schon früh in einem Experiment an der Duke Universität demonstriert. Diese Studie zeigte, dass sich das Fell-Pigment beim Nachwuchs völlig änderte, wenn weibliche Mäuse mit methylreicher Nahrung gefüttert wurden; anders gesagt funktionierte das Methyl wie genetische Vererbung, obwohl das nicht der Fall war. Es war das Ergebnis von Erfahrung, etwas bis dahin auf dem Fachgebiet der Genetik völlig Unerwartetes. Ein Resultat dieser Studie war, dass zwei führende Wissenschaftler aus Kanada, Michael Meaney und Moshe Szyf, sich dachten: Wenn das stimmt, warum sollte es nicht auf andere Erfahrungen zutreffen wie eine schlechte Mutter oder gleichgültige Eltern? (3) Nun, es traf zu, und die epigenetische Forschung explodierte. Überlegen Sie sich das: Traumatische Ereignisse in der ganz frühen Kindheit hinterlassen eine Markierung  auf einem Gen, die uns quasi auf ewig beeinflusst. Genau das bezeichne ich als Einprägung, die psychische Prägung, die durch schädliche Ereignisse während Schwangerschaft und früher Kindheit eingraviert und lebenslang ins System eingebrannt wird. Wir verstehen jetzt, dass die Einprägung unterstützt und begünstigt wird durch den Prozess der Methylierung, wobei die chemische Methylgruppe dem Genom angehängt wird, um seinen Ausdruck einzuschränken. Mit anderen Worten wird die Einprägung zum Teil durch eine Veränderung in der Zelle verankert, da bestimmte chemische Reaktionen stattfinden - Wasserstoff-Entfernung, Methyl-Infusion und so fort.Methylierung hinterlässt eine vererbliche Prägung, die sogar von den Großeltern auf ihre Enkelkinder übertragen werden kann, wie die Forschung gezeigt hat. Was wir also immer für genetisch hielten, kann durchaus das Resultat sehr früher Erfahrung sein, die das genetische Erbe umgelenkt hat. Kurz gesagt können die Erfahrungen unserer Vorfahren fortbestehen und entlang der genetischen Kette weitergegeben werden - die Vererbung erworbener Charaktereigenschaften. Genau das hielt  die Wissenschaft  vor nicht langer Zeit noch für unmöglich.

 

In einem anderen Experiment verglichen die Mc Gill-Genforscher zwei Rattengruppen: eine Gruppe bestehend aus dem Nachwuchs normaler Mütter, die ihre Babys oft leckten, ihren Nachwuchs aber in der Schwangerschaft gestresst hatten, und eine zweite Gruppe von Rattenjungen, die auch unter Stress standen aber nicht geleckt wurden (Meaney, Aitken, Bodnoff, Iny & Sapolsky, 1985). Es überrascht nicht, dass die Babys, die intensiv geleckt wurden, sich als die normalsten und am besten angepassten herausstellten. Eine Überraschung jedoch ist, wie sehr das Leben im Mutterleib zählt; was die Wissenschaftler herausfanden, ist, dass die richtige Dosis Lecken und Fellpflege von Beginn an den Nachwuchs im Erwachsenenalter weniger reaktionsbereit für Stresshormone machte. Das wissen wir alle: dass frühe Liebe uns stärker macht und weniger ängstlich. Aber es stellt sich heraus, dass diese Erfahrung auch weitergegeben werden konnte, wenn die Mütter schon früh in ihrem Leben geleckt und gestreichelt wurden; die Stresshormon-Gene ihres Nachwuchses konnten durch die Methylgruppe (und auch durch andere Chemikalien) günstig modifiziert werden. Eine gute Geschichte der Mutter ergibt eine gute Kindheit für die Kinder. Je mehr Mutterliebe, umso weniger Methylierung beim Kind. Wie wir in Kürze sehen werden, bedeutet Liebe im Mutterleib, sich angemessen zu ernähren, ruhig zu sein und nicht blindwütig von hier nach da zu rennen, gefährliche und ungesunde Situationen zu meiden. Ich kenne eine Frau, die sich in der Schwangerschaft einer extremen Hitze-Massage-Therapie unterzog, ohne je den möglichen Schaden für das Baby zu begreifen.

 

Nahezu jede Tierform, die geliebt und geleckt wird, ist ziemlich gesund und ohne ernste Krankheit aufgewachsen; und in meiner therapeutischen Erfahrung sind Kinder, die schlechte und traumatische Geburten mit ungesunder Schwangerschaft hatten, diejenigen, welche als Erwachsene am meisten leiden. Zu oft kommt ein katastrophaler Lebensanfang katastrophaler Krankheit später im Leben gleich.

 

Um sicher zu stellen, dass diese Änderungen bei den Rattenjungen aus Erfahrung resultierten und nicht aus Vererbung, ließen die Forscher normal stabile und von aufmerksamen Müttern großgezogene Rattenjungen von neurotisch nachlässigen Müttern aufziehen. Und das Ergebnis war dennoch dasselbe: nicht-gestresste Babys. Diese Babys hatten biologische Mütter, die ein normales Maß an Methylierung in ihrem Genom hatten. Somit konnten Ratten, die von liebevollen Müttern aufgezogen wurden, das an den Nachwuchs weitergeben, auch wenn die Adotivmutter nicht liebevoll war. Die Gene für den Stresshormon-Ausstoß hatten minimale Methylierung; anders gesagt wurde Liebe entlang der genetischen Kette weitergegeben. So hatten normale Babys, die von nachlässigen und unaufmerksamen Müttern aufgezogen wurden, dennoch geringe Methylmengen in ihrem Hippocampus. Die Babys begannen ihr Leben mit einem Vorsprung; ein guter Lebensstart trotz schlechter Kindheit.

 

Bei Tiermüttern ist Lecken gleichbedeutend mit dem Umarmen und Streicheln bei Menschen. Und genau wie wir es bei den Ratten sehen, kann eine Frau, die in der Schwangerschaft unglücklich oder deprimiert ist, ihr Knd ein Leben lang beeinflussen, auch wenn sie sich später normalisiert und besser fühlt. Ich glaube, dass Änderungen in den Genen, Methylierung und Acetylierung sehr früh geschehen müssen, wenn sich das Gesamtnervensystem entwickelt. Bevor wir also feststellen können, was Depression oder Angst verursacht, müssen wir das Wirken der frühen Epigenetik beobachten. Noch einmal: Von schlechten Müttern geborene aber von liebevollen Müttern großgezogene Rattenjunge schienen normal und relativ unmethyliert.

 

Hier ist noch ein Grund, warum diese Forschung wichtig ist: die Wissenschaftler fanden heraus, dass lieblose Mütter von Nagetieren Methylierung der Östrogen-Rezeptoren beim weiblichen Nachwuchs verursachten. Wenn sie dann eigenen Nachwuchs hatten, wies dieser Nachwuchs Östrogenmangel auf, der diese Mütter weniger aufmerksam und weniger liebevoll zu ihren eigenen Babys machte. Bis jetzt wissen wir nicht, wie viele chemische Schlüsselprozesse durch frühen Liebesmangel beeinflusst werden können, und darüber hinaus haben wir keine Ahnung, wie viele Hormone in neurotischen (schwer methylierten) Müttern verändert sind, und wie das unzählige Verhaltenweisen beim Erwachsenen beeinflusst.

 

Heutzutage scheint es in der epigenetischen Forschung ständige Durchbrüche zu geben. Wie ich zu Beginn gesagt habe, haben Forscher festgestellt, dass Epigenetik nicht nur in Tieren wirkt sondern ebenso unter Menschen. In der schon erwähnten Untersuchung von Holocaust-Opfern, die im August im Biological Psychiatry veröffentlicht wurden, überprüfte ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Rachel Yehuda, Professor der Psychiatrie und Neurologie am The Mount Sinai Hospital in New York die Gene von 32 jüdischen Versuchspersonen, die während des Zweiten Weltkriegs ein gewisses Maß an Traumatisierung erlitten hatten. Sie wurden entweder in Konzentrationslagern gefangen gehalten, gefoltert oder waren gezwungen, sich zu verstecken. Die Forscher untersuchten auch die Gene von 22 erwachsenen Kindern dieser traumatisierten Überlebenden. Die Ergebnisse wurden dann verglichen mit einer Kontrollgruppe jüdischer Familien (acht Eltern und deren neun Kindern), die während des Krieges außerhalb von Europa lebten.

 

 Laut Elisabeth Binder, Direktorin am Max Planck Institut für Psychiatrie  in München, die die Molekularanalysen leitete, konzentrierten sich die Forscher auf ein ein spezifisches Gen, FKBP5, von dem man weiß, dass es das Stresshormonsystem reguliert und bestimmt, wie gut eine Person Stress bewältigt. Die Studie fand heraus, dass das Kriegstrauma das Methylierungsniveau einer spezifischen Stelle innerhalb dieses Gens (Bin 3/Site 6) sowohl bei den Holocaust-Überlebenden als auch bei deren Nachwuchs verändert hatte. Das Ausmaß der Methylierung war an dieser Stelle bei den Holocaust-Überlebenden im Vergleich zu den Kontrollpersonen größer. Beim erwachsenen Nachwuchs der Überlebenden war das Maß der Methylierung an dieser selben Stelle paradoxerweise im Vergleich mit Kontrollpersonen niedriger. Dennoch kamen die Forscher zu dem Schluss, dass "das Methylierungs-Niveau bei exponierten Eltern und ihrem Nachwuchs signifikant korreliert war."

 

Die Forschung hat schnell zu einer praktischen Echtwelt-Anwendung geführt. Im August berichtete die Zeitung Londons Guardian in etwa zur gleichen Zeit, als die Studie veröffentlicht wurde, dass jüdische Aktivisten in Schottland eine Initiative gestartet hatten, um den Enkelkindern von Holocaust-Überlebenden zu helfen, die unter Depression, Angst, Sucht und Ess-Störungen litten. Der Artikel vermerkt epigenetische Studien, welche "die intergenerationellen Effekte des Holocaust" dokumentieren, indem sie zeigen, dass "die Gräueltaten die DNA der Opfer-Nachfahren veränderten." Ausgestattet mit diesem Wissen forderten die Aktivisten "eine psychische Gesundheits-Versorgung, um vererbtes Trauma zu behandeln." (4)

 

Obwohl Kritiker sagen, die Zahl der Versuchspersonen sei in dieser Studie zu klein - sie reflektiert die geringe Zahl noch lebender Holocaust-Opfer - ist die Verbindung klar. "Die Gen-Änderungen bei den Kindern schienen nicht durch Widrigkeiten vermittelt, die sie in ihrer eigenen Kindheit erlebten, sondern konnten nur der Holocaust-Aussetzung der Eltern zugeschrieben werden," sagte Yehuda in einer Stellungnahme des Max Planck Instituts (5). "Umwelteinflüsse wie Stress, Rauchen oder Ernährung können die Gene unserer Kinder beeinflussen."

 

Mit anderen Worten gesagt wird das genetische Schicksal eines Babys noch vor der Empfängnis zumindest teilweise durch die Lebenserfahrungen seiner Eltern bestimmt und nicht nur durch ihren existierenden genetischen Kode. Das ist Epigenetik in Aktion.

 

 

(3) Hoag, H. (2011, Summer). Are your genes your destiny? (Not if your mom has anything to say about it). Retrieved from http://publications.mcgill.ca/mcgillnews/2011/06/01/are-your-genes-your-destiny-not-if- your-mom-has-anything-to-say-about-it/

(4) West, J. (2015, August 3). Holocaust survivors' grandchildren call for action over inherited trauma. The Guardian.


(5) Holocaust survivors pass on trauma to their children’s genes. (2015, August 25). Retrieved from 
http://www.mpg.de/9375728/holocaust-trauma-epigenetics

 

Die Dringlichkeit früher Liebe

 

Wichtig ist, dass wir uns an eine genaue Antwort heranzoomen auf die Frage, die so vielen Leuten beim Studium psychischer Krankheit entschlüpft: Warum? Nehmen wir an, dass Schaden schwere Methylierung bedeutet. Aber was ist dieser große Schaden? Die Antwort ist einfach - fehlende frühe Liebe. Bei Menschen nimmt sie viele Formen an: schlechte Ernährung, Missbrauch, Vernachlässigung, fehlender Körperkontakt (Lecken bei Tieren). Methylierung scheint sowohl bei Menschen als auch Tieren ein wichtiger Marker für fehlende frühe Liebe zu sein. Die neue Forschung kommt zu dem Schluss, dass so viele Krankheiten einschließlich Multipler Sklerose, Diabetes und Herzkrankheit durch Methylierung beeinflusst werden. Diese stehen in Zusammenhang mit Stress und der große Stressor scheint ein simpler Liebesmangel zu sein, das heißt, die Versagung eines Grundbedürfnisses. Nicht überraschend war bei der Ratten-Studie die Tatsache, dass schwere Methylierung in den limbischen /fühlenden Strukturen wie dem Hippocampus stattfand, der mit Fühlen/Erinnerung zu tun hat. Das Fazit ist, dass ungeliebte Ratten empfänglicher für späteren Stress sind, während es denen, die geliebt (geleckt) werden, später im Leben viel besser geht: Sie werden abenteuerlustiger und neugieriger.

 

Denken Sie daran, wenn es im Mutterleib sehr frühen Stress gibt, können die Gene nach oben oder unten reguliert werden, und hier liegt der Ursprung von Depression und Angst. Es wird zum Schmelztiegel für spätere Krankheit. Wenn wir ein späteres Trauma hinzufügen - Missbrauch in der frühen und späteren Kindheit, Pflegeeltern, eine Mutter, die zu krank ist, um für das Kind zu sorgen, etc. - können wir nahezu sicher sein, dass neurotisches Verhalten und Krankheit folgen werden. Das beinhaltet beinahe sicher ADS, Konzentrationsmangel und Lernstörungen. Die DNA ist chemisch modifiziert worden und leitet normale Reaktionen für Verhalten und Krankheit um. Diese Veränderungen sind nicht neurotisch; sie sind oft normale Reaktionen auf schädliches Eindringen von Dingen wie z.B. Rauchen oder Trinken der Mutter. Der Fetus tut sein Bestes, um sich anzupassen. Neurose ist eine Anpassungsreaktion auf Bedrohung. In diesem Sinn ist sie normal. Wenn wir also eine Mutter finden, die nicht liebevoll ist, müssen wir wissen, dass sie vielleicht von ihren Epigenen gesteuert wird; sie ist ein Opfer dieser Veränderungen. Ihr Kortisol-/Stresshormon-Spiegel spricht gegen mütterliche Instinkte; Methylierung schaltet eine Reihe "natürlicher" Verhaltensweisen einschließlich des Mutterinstinkts ab. Eine der hormonellen Kontrollen für Liebe ist Oxytozin, das auf unsere Therapie anspricht; es baut sich auf, wenn der Schmerz abnimmt, und ermöglicht der Person, Liebe zu geben und zu empfangen. Neue Mütter, die keine ausreichende Brustmilch für ihre Neugeborenen geben können, sind in der Regel diejenigen mit wenig Liebe in der frühen Kindheit; oft fehlt es ihnen an Oxytozin. Deswegen bezeichne ich es als Liebeshormon.

 

Wie sich herausstellt, ist Liebe nicht so flüchtig, wie wir vielleicht gedacht haben. Liebe bedeutet eine angemessene Geburt zu haben ohne schwere Anästhesie, welche die Sauerstoffversorgung des Neugeborenen abschaltet. Sie bedeutet - ganz wichtig - eine Mutter, die frei ist von Kummer und Depression; denn ihr physiologischer und emotionaler Zustand ist mehr oder weniger der Zustand des Nachwuchses, nicht nur momentan sondern lebenslang. Tatsächlich entdecken wir, wenn wir die Dokumentation sehen, dass es mindestens so wichtig - wennnicht sogar wichtiger als- Vererbung ist, wie wir im Mutterleib und in unseren ersten Jahren aufgezogen worden sind. Wenn Liebe fehlt, ergeben sich auf Dauer körperliche Konsequenzen. Und das ist der Haken; wir haben es mit Unterlassungssünden zu tun, mit Abwesenheit und nicht mit Präsenz - deswegen lässt es sich so schwer lokalisieren.

 

Tierexperimente haben gezeigt, dass  es schweren Stress erzeugt, wenn ein Baby sporadisch und unvorhersehbar von seiner Mutter getrennt wird, und dasselbe gilt für ein Menschenbaby, das gleich nach der Geburt und in den ersten Lebenswochen nicht berührt wird, wie wir es bei Babys finden, die in Inkubatoren aufgezogen werden. Eine andere Studie zeigte, dass frühes Trauma schwere Methylierung bei solchen Kindern erzeugte, die in Waisenhäusern aufwuchsen (Drury et al., 2011). Und dieser Prozess hatte dann hinsichtlich Gehirn und neuronaler Entwicklung viel größeren Einfluss. Die Auswirkungen dieses Stresses wurden über das Genom vererbbar. Diese Prägung beeinflusst dann viele Aspekte unserer Biologie einschließlich des Erinnerungssystems. Das kann bedeuten, dass ein Zustand wie Alzheimer seinen Anfang bei der Geburt haben kann und sich für weitere sechzig Jahre nicht zeigt. Forschung von D.K. Lahiri und B. Maloney (2010) an der Indiana University School of Medicine deutet zum Beispiel darauf hin, wie das alles funktionieren könnte - zuerst durch die Prägung und dann, so schlagen sie vor, durch die Methylierung, welche die Prägung fortsetzt. Die Prägung ändert etwas daran, wie sich die Vererbung manifestiert. Ohne Verständnis der Prägung/Einprägung ist es unmöglich, das Geheimnis psychischer Krankheit, die sich aus ernster Prägungserfahrung ableitet, zu lösen. Und in Wirklichkeit handelt es sich nie nur um "psychische" Krankheit. Im Kern ist sie neurophysiologisch. Deswegen ist der Gebrauch intellektueller Methoden wie kognitiver Therapie für den Umgang mit tiefliegenden Erinnerungen ein begrifflicher Widerspruch.

 

Was also ist die Prägung/Einprägung? Sie ist eine Erinnerung, ein Ensemble aller Umstände im Umkreis eines zentralen widrigen Ereignisses; eine Erinnerung eines frühen eingekapselten Traumas. Aber es ist nicht einfach eine "Erinnerung" im üblichen Sinn von Rückruf oder aktivem Zurückgehen, um gewollt etwas in der Vergangenheit Vergessenes wiederzufinden. Es ist ein biochemisch versiegeltes Ereignis, das uns in alle Ewigkeit beeinflusst. Es ist deshalb so wichtig, weil es die Persönlichkeit bestimmt, Krankheit, Lebensdauer und viele andere Facetten unseres Lebens. Es steuert unser Verhalten, definiert die Art von Krankheit, an der wir leiden werden, ob Alzheimer oder Krebs. Wenn wir einmal die Natur der Prägung verstanden haben, begreifen wir, dass in der Therapie ohne Änderung der Prägung keine grundlegende Persönlichkeitsveränderung stattfinden kann. Aber Sie können von hier aus nicht dorthin gelangen; Sie können nicht vorsätzlich versuchen, die Erinnerung zurückzugewinnen, weil vorsätzlich das Gegenteil dessen ist, was man braucht. Man muss von kortikalen Prozessen der höheren Ebene loslassen und die Bewusstseinsebenen hinabsteigen zu den Orten, wo die Einprägung existiert. Und dort finden wir, dass wir mit ihr keinen Kontakt aufnehmen können, weil sie eingekapselt ist, umgeben von Aspekten der chemischen Methylgruppe, die sie umhüllt und unerreichbar macht. Wenn also ein Kleinkind ein Trauma erleidet während der kritischen Periode vor der Geburt und direkt am Lebensanfang, hinterlässt die Methylierung den Abdruck dieses Traumas auf den Zellen. Die Methyl-Substanzen scheinen sich an die gene zu hängen und zu kontrollieren, ob der der genetische Schalter an- oder ausgeschaltet ist, und ob er an ist, wenn er aus sein sollte, wie im Fall schwerer Krankheit. Tatsächlich ist es die Methylierung, die in hohem Maße für die Prägung und ihren dauerhaften Einfluss verantwortlich ist.

 

Ein Beispiel: Wenn ein Patient eine traumatische Geburt wiedererlebt, sehen wir manchmal, dass die Fingerabdrücke des Arztes auf den Armen des Neugeborenen wieder erscheinen. Wir haben das fotografiert, weil es für das Auge unmissverständlich ist. Und gleichzeitig so schwer zu verstehen, bis wir begreifen, dass Erinnerung weit mehr ist als zerebral. Darauf zu hoffen, dass man mit zerebralen Methoden heilt, während man die Prägung ignoriert, ist nur eine Fantasie,welche die Realität außer Acht lässt.

 

Neurose wird vererbt

 

Die Leute schwitzen aus jeder Pore ihres Seins aus, wer sie sie sind. Ich meine das wörtlich. Eine verklemmte, angespannte Mutter strahlt ihre Verdrängung aus. Ein zorniger Vater strahlt seine Wut aus. Sie müssen nichts "tun;" einfach sein. Aber es ist viel schlimmer. Wenn sich ihre darunterliegenden Gefühle zeigen, spüren wir instinktiv, dass wir sie meiden sollten oder sehr vorsichtig um sie herum. Sie verdrehen unsere Worte, lenken unsere natürlichen Bewegungen um und missbilligen fast alles, was wir tun, und zwar nicht mit Worten sondern mit diesen Blicken. Und was noch schlimmer ist, wenn sie keine Emotionen zeigen, wissen wir, dass wir Gefühle für uns behalten. Der springende Punkt ist, dass ein Kind ein Leben voller Erfahrung durchmacht, noch ehe es Worte gibt. Und je früher die Erfahrung, umso wirkungsvoller ist sie. Es sollte offensichtlich sein: Die frühen Erlebnisse, die Atmung, Verdauung und Ausscheidung direkt beeinflussen, werden viel Schaden anrichten und lebenslang andauern.

 

Unsere Gene bilden die Matrix für das spätere Leben; so weit sind wir uns einig. Aber unsere durch ernsthafte Erfahrungen transformierten Epigene bilden eine neue "genetische" Basis, die die Entwicklung unseres genetischen Kodes ändert oder verzerrt. Diese neuen veränderten Eigenschaften werden dann "vererbt." Wie ich angemerkt habe, verwechseln wir das zu oft mit unserem genetischen Erbe, das für spätere Ereignisse weitgehend unempfindlich ist. Der Mensch wird zu einer Mischung aus Genen und Epigenen - durch Erfahrung geformte Erbsubstanzen. Anstatt zu sagen "sie sieht wie ihre Mutter aus und benimmt sich genau wie ihre Mutter" müssen wir sagen "ihre Mutter wurde mit Neurose 'infiziert', die sich ins System des Nachwuchses einprägte, und jetzt ist sie genau so hyperaktiv und auf ADS wie ihre zerstreute und hyperaktive Mutter." Anders gesagt hat sich das kleine Kind, während es ausgetragen wurde, etwas eingefangen, was eine fatale Krankheit sein könnte: Neurose - dieselbe, die sich in der Mutter befindet. Das Baby wird das Innenleben der Mutter reflektieren und genau das wird sich ihm einprägen und ein Leben lang fortbestehen. Warum? Weil genau das gelernt worden ist, um sich anzupassen. Keine Worte, kein Tadel, keine soziale Vernachlässigung ist erforderlich, nur ihr So-Sein bringt das alles zustande.

 

Forscher an der Universität von Kalifornien in San Francisco untersuchten, was sie als Synchronie bezeichnen, die nichtverbale Kommunikation zwischen Mutter und Kind (Waters, West & Mendes, 2014). In einem Phänomen, das sie "Stress-Ansteckung" nennen, lernt das Baby, wie es mit dem hereinkommenden Stress der Mutter umgehen kann. Sie unternahmen Studien mit mehreren unterschiedlichen Müttern, die ein Referat hielten vor unterschiedlichem Publikum - ein zustimmendes, ein neutrales und ein missbilligendes. Stellen Sie sich vor, die 14 Monate alten Babys reflektierten, was geschah! Es gab Unterschiede bei der Herzfrequenz und eine größere Stressreaktion bei den Kindern, deren Mütter Missbilligung erlebt hatten. Die Kinder lernten durch eine Art Osmose. Sie waren mit dem emotionalen Zustand der Mutter 'geimpft.' Die leitende Forscherin Sara Waters vermerkte in einem Artikel auf der Webseite der Association for Psychological Science, welche die Forschung veröffentlichte: "Ihr Baby ist vielleicht nicht fähig, Ihnen zu sagen, dass Sie gestresst scheinen, oder Sie zu fragen, was nicht stimmt, aber unsere Arbeit zeigt, dass es, sobald Sie es ihm Arm halten, die körperlichen Reaktionen mitbekommt, die Ihren emotionalen Zustand begleiten, und anfängt, in seinem eigenen Körper Ihre negative Emotion zu fühlen." (6) Nun stellen Sie sich vor, dass das Baby und die Mutter eins sind, nämlich wenn das Baby im Inneren der Mutter lebt. Die Einflüsse sind weitaus wuchtiger.

 

Was also wird übertragen? Geruch, Gesichtsausdruck,Gefühllosigkeit, Körperbewegungen und so fort. Alles vom Elternteil wird auf das Kind übertragen. Sogar Vorlieben für bestimmte Lebensmittel können im Mutterleib eingeprägt und über Generationen weitergegeben werden. Wenn Sie Süssigkeiten lieben und nicht wiederstehen können, könnte das der Zeit im Mutterleib zuzuschreiben sein. Anders gesagt wird der Zwang der Mutter zu Ihrem Schicksal. Das kann einen beachtlichen Prozentsatz der Fettleibigkeit bei Kindern erklären. Schlechte Essgewohnheiten fangen im Mutterleib an, genau wie so viele andere Zwänge. Meistens sehen die Leute nur die sichtbaren Manifestationen dieser verborgenen Kräfte. So fragen sie zum Beispiel: "Warum isst dieser Mensch so viel?" Wir wissen, dass nicht allein die Gegenwartskultur der Grund ist; es könnte auch sein, dass die Mutter maßlos war und zwanghaft aß. In seiner Zeit im Mutterleib lernt das Baby viel über seine Welt und was es von ihr zu erwarten hat; folglich ist ein Haufen Nahrung von einer maßlosen Mutter zu erwarten. Es häufen sich Beweise, die zeigen, dass dieser frühe Beginn vorzeitige Erkrankung und eine verkürzte Lebensspanne vorausbestimmen kann. (7) Der Fetus nimmt in der Schwangerschaft nicht nur einen bestimmten Geschmack und bestimmte Gerüche  in der Mutter wahr, sondern diese Erinnerungen können ein Leben lang andauern und  später viele unserer Interessen beeinflussen. Zum Beispiel hatten Mütter, die während der Schwangerschaft Karottensaft tranken, Kinder, die ihn bevorzugten.

 

Forscher an der Emory Universität in Atlanta, Georgia, fanden heraus, dass sogar die Erinnerung eines bestimmten Geruchs vererbt werden kann (Dias & Ressler, 2013). Die Wissenschaftler trainierten männliche Mäuse darauf, den Geruch von Kirschblüten mit einem Stromschlag zu assoziieren, sodass sie Angst davor bekamen. Sie befruchteten dann Weibchen mit dem Sperma dieser Mäuse und fanden, dass die Jungmäuse ebenfalls Angst vor dem Kirschblütenaroma hatten. Sogar die Enkel-Mäusekinder erbten die Angst vor diesem besonderen Geruch. Wie wurde diese Geruchs-Eigenschaft über Generationen weitergegeben? Forscher schreiben es der Epigenetik zu und vermerken, dass die DNA der Großvater-Mäuse und ihrer Kinder epigenetische Markierungen auf dem  als M 71 bekannten Gen zeigte, das den Rezeptor für diesen spezifischen Geruch kodierte. Anders ausgedrückt kam diese Vererbung durch Erfahrung zustande und nicht nur durch Gene. Wie ihre traumatisierten Großväter reagierten die Enkel-Mäusekinder sensibler auf das Aroma von Kirschblüten, weil ihre Rezeptoren akut darauf abgestimmt waren, mehr als bei Kontroll-Mäusen. "Die Forschung liefert bislang mit den besten Beweis, dass Erinnerungen oder entwickelte Eigenschaften vererbt werden können," so sagt ein Bericht über das Experiment, der im New Scientist veröffentlicht wurde. (8)

 

"Das Wissen, wie die Erlebnisse der Eltern ihre Nachkommen beeinflussen, hilft uns psychiatrische Störungen zu verstehen, die vielleicht eine transgenerationale Grundlage haben, und möglicherweise therapeutische Strategien zu entwickeln," sagt der Chef-Autor Kerry Ressler, MD, PhD, Professor der Psychiatrie und Verhaltenswissenschaften an der Emory School of Medicine. (9)  2013 hielt Ressler, der auch Forscher am Emory's Yerkes National Primate Research Center ist, eine Stockholm Psychiatrie-Vorlesung am Karolinska Institut in Stockholm über die Biologie der Angst. Die Stunden-Vorlesung mit dem Titel "Neural circuits mediating fear, risk and resilience: from Pavlov to PTSD" kann man sich online ansehen. (10)

 

Werden wir also ängstlich geboren? Könnte sein. Wir können schreckhaft, nervös und fahrig sein, alles auf Grund von Epigenetik. Es geschieht so früh, dass es genetisch zu sein scheint, aber wahrscheinlicher ist es epigenetisch, der Zustand der Mutter (und des Vaters) in der Schwangerschaft. So fragen Sie sich selbst: "Habe ich die Verrücktheit meiner Mutter geerbt?" Die Antwort könnte "Ja...." sein, "aber nicht im üblichen Sinne von Vererbung." Vielmehr hinterließ ihr So-Sein, als sie schwanger war, -hyperaktiv oder deprimiert - in Ihnen ein neurotisches Erbe, das noch immer ihr Leben formt. Das sollte uns etwas über Erinnerung mitteilen;  denn Erinnerungen aus der Schwangerschaft können Jahrzehnte andauern und Verhalten lenken oder kanalisieren. Wir "wachsen" nicht einfach "aus ihnen heraus."

 

 

 

6) For Infants, Stress May be Caught, Not Taught. (2014, February 3). Association for Psychological Science. Retrieved fromhttp://www.psychologicalscience.org/index.php/news/releases/for-infants-stress-may-be-caught- not-taught.html

(7) See the work of Keith Godfrey, Professor of Epidemiology and Human Development, and others at the University of Southampton in England.
http://www.southampton.ac.uk/medicine/research/groups/human_development_and_physiology_research_group.page

(8) Geddes, L. (2013). Fear of a smell can be passed down several generations. New Scientist, 220(2946), 10. doi:10.1016/s0262-4079(13)62827-4

(9) Mice can inherit learned sensitivity to a smell. (2013, December 2). Retrieved from
http://news.emory.edu/stories/2013/12/smell_epigenetics_ressler/campus.html

(10) 
https://www.youtube.com/watch?v=gz2yDSsSOkg

Studie um Studie hat gezeigt, dass der Stress einer schwangeren Mutter langfristige Auswirkungen darauf haben kann, wie die Gene im Nachwuchs abgewickelt und ausgedrückt werden, was das Wesen der Epigenetik darstellt. Menschen, die ein liebloses Zuhause hatten - unter Bedingungen von Missbrauch, Hunger, Gewalt, Krieg, Scheidung etc. aufwuchsen - wiesen lebenslange Änderungen in ihrer Entwicklung auf, einschließlich chronisch hohen Kortisol-Spiegeln. Frauen, die von ihren Ehemännern misshandelt wurden, hatten Kinder mit übermäßiger Gen-Methylierung. Und diese Änderung wurde an das Baby weitergegeben, als sei sie vererbt worden. Auf diese und vielerlei andere Art und Weise wird die Angst und Depression der Mutter auf das Baby übertragen. Kurz gesagt wird es gestresst geboren. Später wird das Kind auf spannungsvolle Ereignisse mit erhöhtem Stress-Niveau reagieren.

 

Das ist die Definition der posttraumatischen Stress-Störung oder PTSS. Und der Punkt ist, dass viele von uns dieses latent hohe Stressniveau ein Leben lang mit sich herumtragen. (Wir testeten viele unserer Eingangs-Patienten auf Kortisol-Spiegel, und sie waren zu Beginn allgemein hoch, fielen aber signifikant nach einem Jahr Therapie.) Wenn wir später ein liebloses Zuhause und andere Stressfaktoren hinzufügen, erhöht sich der latente Spiegel übermäßig. So zieht ein Mann ins Gefecht und leidet später unter PTSS; wir denken, dieser Kampf sei die Ursache. Das Gefecht verschlimmerte nur die Reaktion und machte sie offenkundig; sie wurde zu einem offenen Symptom. Er hatte bereits eine PTSS, nur war sie latent. Es gibt eine aktuelle Studie, die diesen Gesichtspunkt beweist, indem sie zeigt, dass Männer, die unter Gefechts-Erschöpfung litten, allgemein unter erhöhter Trauma-Belastung aufwuchsen. (Berntsen et al., 2012).

 

In dieser Studie befragte ein Team aus dänischen und amerikanischen Forschern eine Gruppe von 746 dänischen Soldaten vor, während und nach ihrem Einsatz in Afghanistan. Die Forscher unter Leitung von Dorthe Berntsen von der Aarhus Universität in Dänemark wollten den Ursachen von PTSS auf die Spur kommen und herausfinden, warum einige Soldaten die Störung entwickelten und andere nicht. Sie fanden, dass die große Mehrheit der untersuchten Soldaten mit dem Kriegserlebnis ohne oder mit nur geringem psychischen Schaden fertig wurde. Überraschend stellte sich heraus, dass bei den Männern, die ernsthafte Stress-Symptome entwickelten, die Ursache nicht mit dem Schlachtfeld-Trauma verknüpft war. Stattdessen war der stärkste Prädiktor für PTSS extreme Misshandlung/Missbrauch in der Kindheit und nicht das Kampferlebnis. Die Forscher fanden heraus, dass die unter PTSS Leidenden mit größerer Wahrscheinlichkeit Opfer ernsthafter Züchtigungen, Verbrennungen und gebrochener Knochen waren oder als Kinder Gewalt in der Familie miterlebt hatten. Zusätzlich hatten diese Soldaten Vergangenheits-Erlebnisse, über die sie mit den Forschern nicht sprechen konnten oder wollten. Die Forscher fanden jedoch heraus, dass völlig unerwartet und entgegen herkömmlicher Auffassung einige der bereits gestressten Soldaten - etwa 13 Prozent- sich besser fühlten, nachdem sie in die Schlacht geschickt worden waren. Das waren Männer, die vor ihrem Einsatz Stress-Symptome wie große Angst und häufige Albträume aufwiesen. Aber sobald sie in der Kriegszone waren, besserte sich ihr Stress vorübergehend, nur um wieder zu erscheinen, sobald sie sicher zuhause waren. Die Frage ist: Warum sollten sie sich besser fühlen, wenn sie plötzlich in eine ungewohnte und bedrohliche Situation bebracht wurden? Die Antwort, welche diese Studie nahelegt, lautet, dass der Kriegseinsatz ihnen kurzfristig ermöglichte, ihrem eigenen privaten Schlachtfeld zu entkommen - der Familie.

 

"Anders gesagt zeigten sie als Soldaten nur deshalb Verbesserungen, weil sie im Zivilleben unter so schlechten psychischen Bedingungen existierten," schlussfolgert ein Artikel über die Forschung, der im Scientific American veröffentlicht wurde. "Das Leben in der Armee - sogar das Gefecht- bot ihnen mehr soziale Unterstützung und Lebenszufriedenheit als sie zuhause je gehabt hatten. Diese Soldaten profitierten wahrscheinlich emotional davon, dass sie zum ersten Mal als Individuen wertgeschätzt wurden, und von ihrem ersten authentischen Kameradschaftserlebnis - psychische Vorteile, die sich verringerten, nachdem sie wieder ins Zivilleben zurückgekehrt waren." (11)

 

Um das Leiden PTSS zu heilen, müssen wir uns mit dem Gefechtstrauma befassen und auch mit den Widrigkeiten aus der Kindheit, die die Grundlage dafür geschaffen haben. Mit anderen Worten waren sie Vorläufer dieses Leidens. Heilung findet statt, wenn alle gegenwärtigen und vorausgehenden Faktoren einbezogen und wiedererlebt werden. So kann sich ein Soldat seines Kampftraumas bewusst sein und zugleich unbewusst des zu Grunde liegenden Traumas. Was so viel Schaden anrichtet, ist das, was wir nicht sehen können. Darüber hinaus sind die schädlichsten Traumen diejenigen, die während der frühen kritischen Periode geschahen, wenn das Bedürfnis am größten ist und der Schmerz auf seiner Annäherungslinie liegt. Das bedeutet, dass die versiegelte Einprägung in ihren Auswirkungen bereits irreversibel ist (ausgenommen Primärtherapie). Krieg ist so eine gewaltige Kraft, dass seine Auswirkungen genau wie in einer kritischen Kindheitsphase, wenn das Gehirn so verletzlich ist, eingraviert werden können. Deshalb ergibt sich der Zusammenfluss zweier Traumen: ein offensichtliches und ein anderes, das wir nicht sehen können. Wir dürfen nicht nur das Offensichtliche behandeln, wenn wir sicher gehen wollen, dass PTSS nicht ewig fortbesteht. Wenn wir die Grundprägung/Primäreinprägung unangetastet lassen, bedeutet das immer, dass wir jeden Tag etwas tun müssen, um mit den Symptomen fertig zu werden, die niemals zu schwinden scheinen.

 

Deshalb müssen wir den Begriff der Prägung in jedes Bemühen einbeziehen, menschliches Verhalten zu verstehen, sei es PTSS oder ADS oder alle möglichen Leiden. Es mag so aussehen, als könne eine einzige Misshandlung nicht so schlimm sein, dass sie so dauerhaften Schaden anrichtet; aber es ist eine Misshandlung unter vielen, eine Reihe von Traumen, die eingekapselt und eingeprägt werden mit einer Kraft, die ein Leben lang fortbesteht. Eine Mutter, die andauernd mit ihrem Ehemann streitet, gründet zukünftiges Verhalten beim Nachwuchs. Es regt nicht nur die Mutter auf, sondern es regt auch das Baby fürs ganze Leben auf, indem es sein genetisches Erbe ändert. Wir haben solche Fälle behandelt, und sie sind oft unterstrichen mit häufigen Trips in die Notaufnahme wegen Allergie und Asthma-Anfällen.

 

Wenn ein Baby traumatisiert wird, ist es empfänglicher für späteren Stress. Sein Immunsystem ist beeinträchtigt, und es ist anfälliger für Dinge wie Epstein-Barr-Krankheit oder den Herpes Virus. Wenn anders gesagt ein Virus grassiert, wird das Kind mit höherer Wahrscheinlichkeit krank werden, vor allem wenn es schon im Mutterleib ungeliebt war (d.h. wenn seine Grundbedürfnisse nicht erfüllt worden sind) (Fagundes, Glaser, Malarkey & Kiecolt-Glaser, 2013). Diese Leiden werden nicht als  psychische Krankheit angesehen, aber oft sind sie auf dieselben Einprägungen zurückzuführen, die in ernste psychische Erkrankungen involviert sind. Hier geht es um Fehlregulierung der Immunfunktion, aber es kann ebenso andere Auswirkungen haben. Wollen wir dieses Immunproblem lindern oder heilen? Um es zu heilen, müssen wir die Einprägungen finden. Sie sind da, und wenn man dem Patienten den Zugang ermöglicht, wird er dorthin gelangen. Erinnerungen werden ihn begrüßen. Ja, wir müssen Allergien etc. behandeln, aber das befasst sich nur mit Manifestationen und nicht mit Heilung.

 

Um an "psychischer Krankheit" zu leiden, brauchen wir eine "psychische" Komponente, den kognitiven Apparat, der psychische Abweichung zulässt. Bis zu diesem evolutionären Schritt in der Gehirnentwicklung werden wir unter derselben Prägung körperlich leiden. Manchmal haben wir es nicht mit verschiedenen Krankheiten zu tun sondern mit verschiedenen Entwicklungsstufen unseres Wachstums; unsere Ontologie. Wir können keinen "Aufmerksamkeits-Mangel" entwickeln, solange wir nicht die kognitive Fähigkeit entwickelt haben, aufmerksam und konzentriert zu sein. Und dann ist es die Wucht multipler Prägungen oder einer einzelnen sehr starken Prägung, die ständige Nachrichten an das oberste Gehirn sendet, an den Neokortex, und versucht, ihn über die Probleme auf tieferen Ebenen zu informieren, wobei sie normales Denken beeinträchtigt. Diese Nachrichten sind belästigend und unnachgiebig und halten uns von längerer Konzentration ab. Sie versuchen, uns über Prioritäten zu informieren; womit wir uns unbedingt  befassen sollten.

 

 

(11) Herbert, W. (2012). Embattled Childhood: The Real Trauma in PTSD. Scientific American Mind Sci Am Mind, 23(5), 74-75. doi:10.1038/scientificamericanmind1112-74

 

Epigenetik und Gehirnentwicklung

 

Obwohl das Studium der Epigenetik ziemlich komplex werden kann, liegt einer der Schlüssel für das richtige Verständnis darin, in Betracht zu ziehen, wie sich das Gehirn in der Fötalperiode entwickelt. Die thalamo-kortikalen Schaltkreise (Denken/Fühlen) werden erst sehr spät in der Schwangerschaft aufgebaut. Erst nach ihrer Entwicklung und nach Etablierung der amygdala-kortikalen Schaltkreise ist es uns möglich, den Schmerz, in dem wir stecken, psychisch wahrzunehmen. Vorher können wir Schmerz erleben, ohne ihn zu erkennen. Somit wird Schmerz unbewusst verankert, ohne Worte, die ihn erklären oder definieren. Es gab eine im britischen Journal Nature veröffentlichte Studie (Garcia, Vouimba, Beaudry & Thompson, 1999), in der die Forscher feststellten, dass, wenn Babys Bedrohung erleben, die Amygdala ein Signal an den präfrontalen Kortex sendet und dadurch den Ausdruck von Angst im Verhalten auslöst. Der Kortex wird gleichsam zum "Entscheider", der die Handlungen plant. Als Bestandteil dieser Studie trainierten die Forscher Mäuse darauf, einen bestimmten Klang mit einem begleitenden Schock zu assoziieren, der immer erteilt wurde, wenn der Klang ertönte. Immer wenn die Mäuse den Ton hörten, gab es proportionale Gehirnaktivität im präfrontalen Kortex, die eine Bedrohung signalisierte. Aber wenn sie Amygdala chirurgisch entfernt wurde, gab es keine präfrontale Aktivität mehr; sie konnte der obersten Ebene keine Angst mehr signalisieren. Dasselbe trifft zu, wenn wir diese Struktur medikamentös ruhigstellen: dadurch verringern wir die Kraft, die in die präfrontale Zone aufsteigt. Wie wir früher gelernt haben, können Schleusungsprobleme in der Amygdala zum Teil der Grund sein, warum so viele von uns Schwierigkeiten haben einzuschlafen, durchzuschlafen oder auch sich zu konzentrieren. Einprägungen auf tieferer Ebene drängen aufwärts und vorwärts und halten uns davon ab, auf eine tiefere Ebene der Gehirnfunktion zu gehen, indem sie uns in einen hyper-wachsamen Zustand versetzen, wann immer wir uns zum Entspannen hinlegen. Da ist einfach zu viel Aktivität auf dieser tieferen Ebene, als dass Schlaf möglich wäre.

 

Die ursprüngliche Primär-Prägung involviert das Stammhirn. Phylogenetisch ist das ein uraltes Hirnsystem, das wir mit den Haien gemeinsam haben. Es macht uns hyper-bewusst und hyper-reaktiv. Es ist die Quelle biologischer Grundimpulse - Kampf oder Flucht. Und die Forschung deutet auf diese Schlüsselstruktur als Ursprungsort der Angst hin, was ich seit vielen Jahrzehnten sehe und worüber ich ebenso lange schreibe. Einprägungen beeinträchtigen hier das Serotonin-System, das eigentlich helfen soll, Panik einzudämmen, aber es kann nicht. Was machen wir also Jahre später mit der Panik? Wir bieten Serotonin an in Form selektiver Wiederaufnahmehemmer. Und was bewirken die? Sie füllen die während der Stammhirn-Dominanz erschöpften Vorräte auf.

 

Am wichtigsten aus meiner Perspektive ist, dass die Serotonin-Vorräte sich erschöpfen, wenn das Gehirn von Trauma gezeichnet ist; und wenn das geschieht, haben wir lebenslang das, was ich als "undichte Schleusen" bezeichne. Unsere Verdängungsbemühungen sind dann weniger effektiv. Schmerz trübt das Gehirn. Wir sind durcheinander und können uns nicht konzentrieren oder lernen. Und später im Leben sind wir empfänglicher für psychische Krankheit. Das fanden Forscher in Quebec, Kanada, heraus, die die Serotonin-Synthese-Kapazität von 26 gesunden erwachsenen Männern maßen, welche in eine 27 Jahre währende Langzeitstudie eingebunden waren. Die Ergebnisse wurden dann mit berichteten Geburtstraumen korreliert, insbesonders mit einer Geburt, bei der der Fötus Anzeichen von physiologischem Stress zeigte (Booij et al., 2012). Die Studie kam zu dem Schluss, dass "perinatale Stressoren zu erhöhter Anfälligkeit für psychiatrische Störungen beitragen können, bei denen Serotonin eine Hauptrolle spielt."

 

Vor kurzem haben Forscher herausgefunden, dass Kinder mit Zwangsneurosen (OCD) mit höherer Wahrscheinlichkeit ein Geburtstrauma erlitten hatten als Kontrollpersonen (Geller et al., 2008). Und die Frage lautet, warum diese Reaktion eingeprägt wird und so lange andauert. Weil es überlebenswichtig ist, dass wir erinnern, was gefährlich ist, und wie wir darauf reagieren sollen. Wir müssen die Fähigkeit haben, den Schrecken zu fühlen und wachgerüttelt zu werden, um sofort reagieren zu können. Dazu gehört, dass die Sekretion von Noradrenalin die Amygdala und Elemente des Stammhirns beeinflusst, die dadurch mobilisiert werden. Wir werden hyper-wachsam und handlungsbereit, und diese Wachsamkeit interagiert mit dem Erinnerungssystem, um unsere Anstrengungen zu lenken.

 

Wenn wir die Fähigkeit hätten, bei der Geburt Worte zu benutzen, würden wir sagen: "Meine Güte, so ein Terror." Aber wir müssen Jahre darauf warten, bis wir diese Worte haben, und dann nennen wir es Angst. Warum? Weil wir die Verbindung zu ihrem Ursprung verloren haben. Jetzt scheint sie wie eine andere Krankheit ohne bekannten Grund. Es ist dieselbe alte Einprägung mit neuem Titel. Dennoch ist sie ein Kraftwerk, und wenn wir später im Leben unsere Untersuchung über die Krebsentwicklung anfangen, erwarten wir, starke Korrelationen zu sehen. Denken Sie daran, Terror - jetzt als Angst bezeichnet - hat einen Zweck: er ist wesentlich für die Erinnerung, um uns bei Gefahr von innen und außen zu alarmieren. Wir versuchen, die Angst mit Pillen zu beseitigen, wenngleich sie ein lebensrettender Mechanismus ist und zur Verfügung stehen muss.

 

Terror wird so tief im Gehirn mobilisiert, dass ein Individuum dessen Ausbruch oft nicht wahrnimmt. So sagen Leute, die Panikattacken erleiden oft, dass sie aus dem Nichts zu kommen scheinen, auch wenn ihre Körper versuchen, frühe Warnsignale zu senden. In einem Experiment befestigten Wissenschaftler an der Southern Methodist Universität in Dallas mobile Monitore an Menschen, die unter Panikattacken litten, und zeichneten rund um die Uhr Messwerte von Vitalfunktionen auf (Meuret et al., 2011). Sie fanden heraus, dass sich die Versuchspersonen der physiologischen Symptome völlig unbewusst waren, die vielleicht eine bevorstehende Panik-Episode angezeigt hätten, die biologischen Vorläufer von offensichtlichen Symptomen wie Brustschmerz, Benommenheit, Zittern oder heißen Blitzen. Die Patienten hatten diese "Wellen physiologischer Instabilität" für mindestens eine Stunde nach dem Einsetzen der Symptome gar nicht wahrgenommen. Plötzlich, wie bei einer Zeitverzögerung, wird sich der Patient bewusst, dass er eine voll entwickelte Panikattacke hat. Es ist, als sei der Schmerz/der Terror im Aufsteigen und wir nehmen ihn nicht wahr, bis er unser Bewusstsein überflutet. (Das Experiment wird auch in einem online geposteten YouTube Video von der leitenden Forscherin Alicia Meuret, Associate Professorin der Psychologie und Direktorin des Angst- und Depressions- Forschungszentrums an der SMU erklärt ) (12). Weil der Terror so früh angelegt wird, haben wir keine Ahnung, woher er kommt. Der Terror beginnt sein Leben sicherlich im Stammhirn und in archaischen Teilen des limbischen Systems Amygdala). Erst wenn die Schleusen nicht mehr dichthalten und der Terror durchbricht, werden wir uns seiner bewusst. ADS bedeutet, dass die Schleusen strichweise Schmerz und Schrecken durchgelassen haben, die unser Aufmerksamkeit und Konzentration ablenken. Das bedeutet, dass wir zu hohen Tribut zollen an eine Menge von Inputs. Es ist kein Defizit; unsere Aufmerksamkeitsprozesse werden überwältigt. Und wie lautet die Botschaft, die sich mitzuteilen versucht? Es ist keine Einzelnachricht sondern eine Vielzahl an Botschaften, und alle rufen: "Ich bin verletzt."

 

 

 

(12) Meuret, A., Ph.D. (2011, July 26). SMU: Out-of-the-blue panic attacks aren't without warning. Retrieved from https://www.youtube.com/watch?v=x3SLGt8smTw

 

Ein entscheidender Punkt bei all dem ist, dass physiologische Reaktionen die Grundlage sind, auf der Gefühle aufgebaut werden. Somit wird, was physiologische Reaktionen verzerrt, ebenso psychologische Reaktionen verzerren. Wenn das System aufgrund frühen Traumas hochgradig aktiviert ist, werden wir später wahrscheinlich einen  hyperaktiven Mensch finden, der sich Projekte aussucht, die ihn aktiv und beschäftigt halten. Wenn die Vorräte an Dopamin und an anderen Wachmachern knapp sind, haben wir stattdessen vielleicht jemanden, der passiv und phlegmatisch ist, der sich Gründe ausdenkt dafür, dass er nichts tut, dass er nichts zu Ende bringt. Es ist keine eins-zu eins-Beziehung, sondern die Physiologie dirigiert unsere Psychologie, erst danach kommt die Psychologie zu Wort.

 

Neurowissenschaftler in Italien unternahmen in vielen Datenbanken eine vollständige Literatur-Suche nach Panik-Störungen (Perna, Guerriero, Brambilla & Caldirola, 2014). Ja, das Stammhirn war involviert. Das Stammhirn, das sehr frühes Trauma registriert und den Ton angibt, wie wir später im Leben darauf reagieren. Somit begründet der Drogenkonsum der Mutter und spätere Geburtsanästhesie eine Panikreaktion auf Sauerstoffmangel. Später im Leben werden geschlossene Türen oder Fenster zur Bedrohung und können eine Panikattacke auslösen. Das Resümee der Wissenschaftler war folgendes: "Panik-Patienten zeigen im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen tendenziell abnormale Stammhirn-Aktivierung auf emotionale Stimuli." Seien wir vorsichtig, wenn wir uns auf das Stammhirn konzentrieren ohne das Milieu zu kennen, in dem es lebt. Das Stammhirn ist der Mechanismus für den Prozess, der Terror übersetzt, aber woher kommt der Terror? Durch eine detaillierte Prüfung der Gehirnzellen werden wir das nie herausfinden. Wir finden das heraus, wenn wir den Terror kennen, den die Mutter in der Schwangerschaft durchgemacht hat. Kürzlich sah ich eine Patientin, deren Mutter mit dem Baby im Auto einen schweren Unfall hatte. Dieses Kind litt lebenslang unter Angstzuständen. Ihr Stammhirn reagierte ständig auf die Einprägung.

 

Hier sind meine Fragen an Forscher: Woher kommt dieser Zustand? Was verursacht die Stammhirn-Reaktion? Oder legt das Stammhirn einfach los und macht sein eigenes spezielles Ding? Was ist die genaue Beziehung zwischen bestimmten Erlebnissen und Stammhirn-Aktivierung? Das sind die Fragen, die zu angemessenen Therapien führen, aber durch Forschung allein lassen sie sich nicht beantworten. Warum vor allem ist das Stammhirn so involviert? Vielleicht wird der Schaden dort registriert, weil es in den ersten Wochen oder Tagen des Lebens im Mutterleib dominiert. Und das Stammhirn wird schon früh methylisiert. Und wie ich sage, sind es die frühesten Prägungen, die am schädlichsten sind. Hier muss die Therapie anfangen. Es ist klar, dass wir in die tieferen Zonen hinabsteigen müssen, wenn wir Heilung wollen, in den Innenbereich, um die Notizen aus dem Untergrund lesen zu können. Diese Notizen beinhalten eine äußerst schmerzvolle Botschaft, die man nur abschnittsweise lesen kann. Wenn Sie nicht an Prägungen glauben, dann ist alles verloren und Sie werden nie zu den Ursachen eines Leidens oder Symptoms gelangen.

 

Wann kann ein Fötus erstmals Schmerz fühlen? Eine bessere Frage könnte diese sein: Wann kann der Fötus Schmerz kundtun? Forschung von K.J.S. Anand, ein Professor der Pädiatrie und Neurobiologie an der Universität von Tennessee, legt nahe, dass dies geschieht, sobald die Nervenschaltkreise eingerichtet sind (Anand & Hickey, 1987). Wenn Anand eine Nadel in einen Fötus einführte (in einem Prozess, der als Amniozentese bekannt ist), grimassierte der Fötus vor Schmerz, und seine Stresshormon-Spiegel stiegen dramatisch an. Das Baby hat nicht nur gelitten; von unserem Standpunkt gesehen kann dieses Leiden im Erinnerungssystem kodiert und aufgezeichnet werden und wartet danach auf Verknüpfung. Darum geht es uns in der Gefühlstherapie - um Verknüpfung - um die Wiederherstellung der fehlenden Verbindungen im Schaltkreis. Einige schwere Erkrankungen sind nur auf dem Gebiet der Vererbung betrachtet worden; Muskeldystrophie ist eine von vielen. Die Heilverfahren für diese Leiden kommen meiner Ansicht nach deshalb nur langsam voran, weil unser Hauptinteresse bisher vielmehr vererbten Faktoren galt als den Erfahrungen in utero. Wenn wir die Schwangerschaft nicht als entscheidende Phase betrachten, werden unsere Diagnosen und Behandlungen zwangsweise fehlerhaft sein.

 

Über Schwangerschaft und Geburt hinaus ist die frühe Kindheit ebenso wichtig, wenn man versucht, die Ursachen späterer Lebensprobleme zu identifizieren, da Prägung in den Erlebnissen ganz kleiner Kinder nachweisbar ist. Es gibt eine Studie einer kanadischen Gruppe von der Douglas Mental Health Universität in Montreal, die zu dem Ergebnis kam, dass bei Kindesmisshandlung eine Veränderung im Gen NR3C1 (Glucocorticoid-Rezeptor-Gen) stattfindet, das Einfluss darauf hat, wie das Kind mit der Misshandlung umgeht (Mc Gowan et al., 2009). Die Messwerte der Genfunktion waren viel niedriger bei Misshandlungs-Opfern, die sich schließlich das Leben nahmen. Es scheint, dass Misshandlung in der Kindheit die Genstruktur verändert hatte und das Gen weniger aktiv machte. Und diese Änderungen bestanden das ganze Leben lang bei diesen Kindern fort. Epigenetik hatte die Funktion des Stressapparats beeinträchtigt, der als Hypothalamus-Hypophyse-Nebennieren-Achse bezeichnet wird, ein komplexer Teil des neuroendokrinen Systems, das Reaktionen auf Stress kontrolliert und viele Körperprozesse reguliert einschließlich Verdauung, Immunsystem, Stimmung und Emotionen, Sexualität, Energiespeicherung und Energieverbrauch.

 

Patrick Mc Gowan, einer der leitenden Forscher der Studie, deutet an, dass die Änderungen mehr oder weniger dauerhaft sind; sie ändern die Genaktivität, was später zu Krankheit und zu suizidalen Tendenzen führt. Wenn das NR3C1 Gen wirkungslos ist, kann es nicht die Art alarmierender, wachrüttelnder Substanzen bilden, die uns helfen uns durchzukämpfen. (Ein solches Trauma mindert auch ganz klar die Anpassungsfähigkeit eines Individuums, wie ich weiter unten erörtere). Ein Ergebnis ist, dass sich der Körper verhält, als sei er konstant unter Stress. Darüber hinaus glaubt diese Gruppe, dass Mütter das Schicksal ihrer Kinder beeinflussen können, noch ehe sie geboren werden. Epigenetische Änderungen, die während der Schwangerschaft weitergegeben werden, können zu späterer Depression und Suizidgedanken beitragen. Was also wie Genetik aussieht, ist in Wirklichkeit eine viel komplexere Interaktion zwischen biologischen und umweltlichen Faktoren, eine verzwickte "Wenn-dann-Sequenz", die Generationen umfasst. Das bedeutet vielleicht, dass meine Auffassung von Prägung/Einprägung weit zurückgespult werden muss. Ein genaueres Bezugssystem beinhaltet, dass die Erlebnisse eines Elternteils eine Prägung auf dem Sperma und auf dem Ei hinterlassen. Ein Experiment von Forschern an der Universität von New South Wales wurde mit männlichen Ratten durchgeführt, die mit fettreicher Nahrung gefüttert wurden (Ng et al., 2010). Ihr Sperma schien sich zu verändern - das heißt, viele ihrer Babys hatten als ausgewachsene Ratten Krankheiten, obwohl die Mütter normal waren. Die Kinder hatten häufiger anormale Insulinwerte und abweichende Glukoseresistenz und somit eine Neigung zu Diabetes, obwohl die Väter diesbezüglich keine Krankheitsgeschichte hatten. Was also wie reine Vererbung aussieht, ist tatsächlich eine molekulare Erinnerung der Auswirkung von Erlebnissen auf dieses Erbgut. Die Forschungstiere hatten Defekte an ihren An-/Aus-Schaltern. Diese Prägung besteht fort und beeinträchtigt unsere Physiologie vielleicht lebenslang, sie legt die Saat für spätere nachteilige Auswirkungen auf Nieren, Leber oder Herz. Für Menschen kann das bedeuten, dass die Neigung zu Fettleibigkeit zum Teil darauf zurückzuführen ist, was der Vater vor der Empfängnis aß. Wenn dieser Vater als Kind zuviel gegessen hatte, ist die Wahrscheinlichkeit viel größer, dass sein Nachwuchs fett wird und Diabetes entwickelt.

 

Wir müssen ganz klar unseren Fokus ändern, um zu verstehen, wer wir sind. Unsere Auffassung von Vererbung ändert sich rapide. Es gibt allerlei verblüffende Möglichkeiten. In einem jüngeren Experiment hatten einige Tiere, die in einer angereicherten Umgebung aufgezogen wurden und schlauer schienen, Nachwuchs, der diese Intelligenz zu erben schien (schneller den Weg durchs Labyrinth fand), auch wenn sie nicht in angereichertem Milieu aufwuchsen. Sagen wir es klipp und klar: Wenn die Eltern die Chance hatten, sich intellektuell zu entwickeln, hatte der Nachwuchs eine bessere Chance auf Klugheit. Irgendwo gibt es unauslöschliche und dauerhafte Markierungen auf Spermium und Eizelle.

 

Das Leben im Mutterleib und das Zwillingsgeheimnis

 

Auf meinem Schreibtisch liegt eine wissenschaftliche Abhandlung, die sich damit befasst, wie der Lebensanfang das Erwachsenen-Dasein beeinflusst. Chris Murgatroyd und Dietmar Spengler (2010), Molekularbiologen am Max Plank Institut in Deutschland haben ziemlich schlüssig gezeigt, dass Lebensereignisse langfristige Veränderungen in unserem Gehirn, unserer Physiologie und unserem Verhalten herbeiführen können.  Früher Lebensstress kann die Übersekretion des Stresshormons Kortisol verursachen, das wiederum unsere Fähigkeit schwächt, uns klar zu erinnern und mit Stress fertig zu werden. (Für die mehr wissenschaftlich Gesinnten beinhaltet der Artikel eine dataillierte Erklärung der Langzeiteffekte der Methylisierung). In ihrer Mäuse-Studie fanden die Forscher und ihre Kollegen heraus, dass die periodische Mutter-Kind-Trennung gleich nach der Geburt ein Hauptgrund von Angst war. Und es ist mein bekundeter Standpunkt im Bezug auf Menschen, dass die Angst umso wahrscheinlicher in verkürzter Lebenserwartung resultiert je früher die Trennung stattfindet. Die veröffentlichten Ergebnisse aus der Studie enden mit einer ziemlich düsteren Feststellung: "Widrigkeiten im frühen Leben können dauerhafte Markierungen auf bestimmten Genen hinterlassen, die vielleicht eine Anfälligkeit für neuroendokrine und verhaltensmäßige Fehlfunktion vorbereiten." Ein weiterer Beweis, dass frühe Ereignisse tiefgreifende Auswirkung auf das spätere Leben haben.

 

Eine dieser verhaltensbezogenen Fehlfunktionen ist vielleicht ADS, dass heutzutage so oft bei Kindern diagnostiziert wird. Es gibt eine ganze Menge Beweise, dass die Hyperaktivität einer Mutter - häufig das Resultat von Drogen wie Kokain und Metamphetamin während der Schwangerschaft - eine Prägung hinterlassen kann, die den Nachwuchs ein Leben lang beeinflusst. Allein dieses frühe Ausgesetzt-Sein genügt, ein Kind "vorzubereiten," dass lebenslang nervös und überdreht sein wird. Natürlich kann das auf mehr als nur auf Drogen zurückzuführen sein, wie wir bei der Studie an Holocaust-Überlebenden gesehen haben. Ich sage, dass ein besserer Ansatz zum Verständnis und zur Behandlung der Aufmerksamkeitsmangel-Störung darin liegt, seinen Ursprung aufzuspüren, zurückzugehen in die Zeit im Mutterleib als auch in die Stammgeschichte eines Individuums.

 

Die konventionelle Psychotherapie lässt diese entscheidenden Erlebnisse aus, aber sie sind Schlüsselmotivationen dafür, wie wir uns verhalten, wie wir lernen und wie und ob wir Liebe machen. Sie spielen auch eine Rolle dabei, ob der Nachwuchs Kinder haben kann oder steril sein wird. Sie können auch mitbestimmen, ob wir fettleibig werden, ganz zu schweigen von psychischer Krankheit. In dieser Phase, wenn sich Körper und Gehirn schnell entwickeln,  ist es keine Überraschung, dass Widrigkeiten so großen Einfluss auf uns - auf Körper und Gehirn- haben.

 

Zusätzlich zur Änderung metaboler Funktion und Umformung unserer Persönlichkeit können traumatische Erlebnisse in den ersten Lebensjahren die Krankheit bekämpfende Fähigkeit des Immunsystems schwächen. Ein Bericht von Forschern an der Universität von Wisconsin zeigte, wie Kinder, die ein von Misshandlung geprägtes frühes Leben hatten oder die lange Zeit im Waisenhaus gelebt hatten, eine beeinträchtigte Fähigkeit aufwiesen, Krankheiten abzuwehren (Shirtcliff, Coe & Pollak, 2009). Auch nachdem man die Kinder aus dem widrigen Umfeld herausgeholt hatte, war der Schaden noch immer offensichtlich. Die Wissenschaftler betonen, dass es von Erfahrung abhängt, wie sich Immunzellen entwickeln und zu einem zuverlässigen zusammenhängenden System werden, obgleich sie bei der Geburt schon einsatzbereit sind. Teil der Studie war, dass die Forscher die Fähigkeit des Körpers, latente Herpes-Viren zu kontrollieren, als Maß für die Immunkompetenz benutzten. Leute mit intaktem Immunsystem können diese Viren in der Regel unter Kontrolle halten. Vernachlässigte und ungeliebte Menschen können das nicht. Somit werden bei Leuten mit schlechter Immunkontrolle oft latent ruhende Leiden wie der Herpes-Virus mit höherer Wahrscheinlichkeit aktiviert. In diesem Fall hatten traumatisierte Patienten eine größere Anzahl an Herpes-Antikörpern, was darauf hindeutet, dass ihre Immunabwehr beeinträchtigt war. Leute, die später in einer stabilen Umgebung lebten, wiesen noch immer eine höhere Anzahl an Herpes-Antikörpern auf.

 

Es bestehen kaum noch Zweifel, dass Stress und chronische Angst der Mutter die HPA-Achse beeinflussen, wie wir gesehen haben. Somit setzt Stress beim Nachwuchs den Grundstein für spätere Angst, was zum Teil durch Methylierung zustande kommt. Stress erhöht die Kortisolspiegel, und chronisch hohe Stresshormonwerte beeinträchtigen später im Leben so viele Funktionen, nicht zuletzt Denken und Erinnerung (Radtke et al., 2011). Viel weiter in der Zukunft kann diese Stresshormone die Entwicklung von Alzheimer und Parkinson fördern. Wichtig ist hier, dass ein Trauma in utero ein Programm für das Verhalten des Erwachsenen begründet, insbesonders was Leiden wie Heroin-Sucht betrifft. Die Person versucht, etwas im Inneren ruhig zu stellen, hat aber keine Ahnung, dass es existiert oder was es ist. Jahre später kann es zu Panikattacken kommen, die aus dem Nichts zu kommen scheinen. Aber sie kommen von irgendwo her; es ist unsere Aufgabe herauszufinden woher. Wenn wir frühe Erlebnisse im Mutterleib ignorieren, werden wir die Ursachen nie entdecken, und wir werden weiter in der Gegenwarts-Umgebung Ausschau nach Antworten halten. Klar ist jetzt, dass einige Leute süchtig nach schweren Drogen werden, um Panikattacken zu vermeiden. Das heißt, ein und dieselbe Einprägung könnte in die Panikanfälle und in die Sucht involviert sein, nur dass der Drogenkonsument einen Weg gefunden hat, um die Anfälle zu blockieren. Sucht ist vielleicht deshalb ein ewiges Rätsel, weil sie von archaischen Einprägungen herrührt, die gemeinsame Sache mit Haifischen machen. Wie kann man diese ganz frühen Ursachen finden? Es gibt einen Weg. Ermöglichen Sie einem Patienten nach einiger Zeit in unserer Therapie, zu tief liegenden Einprägungen hinabzusteigen, die vor Millionen von Jahren organisiert worden waren. Patienten werden nicht dorthin geführt noch werden sie dorthin gezwungen; der Prozess der Resonanz wird das zustandebringen (den ich weiter unten umfassender erklären werde in Verbindung mit neuer Forschung darüber, wie Traumen in das System eingebettet werden). Zur Wiederholung: Wenn wir uns entwickeln, beteiligen sich immer mehr Neuronen. Sie entwickeln sich aus früheren neuronalen Prozessen heraus und beziehen sich auf sie. Somit bestehen wechselseitige Verknüpfungen, die einen Nervenschaltkreis bilden. Jede einzelne Ebene der Gehirnfunktion hat eine Verbindung zu noch höheren Ebenen. Das bezeichne ich als Schmerzkette. Wenn wir bei einem Patienten mit seinem Gegenwartsleben anfangen, wird er schließlich Monate später automatisch auf tiefere verknüpfte Ebenen hinabsteigen. Nach mindestens einem Jahr Therapie kommt er vielleicht mit Stammhirn-Einprägungen in Kontakt. Hier liegen die tiefsten und entferntesten Erinnerungen, auch die verheerendsten hinsichtlich der Kraft des eingeprägten Schmerzes. Später erweisen sie sich als die zerstörerischte aller Einprägungen. Es ist unvermeidlich die Nervenkette, die den Patienten dorthin führt. Wenn wir psychische Krankheit und schwere physiologische Leiden betrachten, müssen wir uns auf diese frühen Erinnerungen konzentrieren. Hier liegt vielleicht der Ursprung unserer mysteriösen Krankheiten.

 

Die Untersuchung von Zwillingen liefert fruchtbaren Boden, um die weitreichenden Auswirkungen des Lebens im Mutterleib darauf zu demonstrieren, wer wir schließlich sein werden und woran wir Jahre später leiden werden. In einer Studie untersuchten Forscher den  verblüffenden Fall identischer Zwillingsmädchen, die mit weit unterschiedlichen körperlichen Bedingungen geboren wurden. Ein Mädchen war normal, während das andere schwere Geburtsdefekte aufwies, mit zwei Vaginas geboren wurde, zwei DIckdärmen und einer Wirbelsäule, die sich in Richtung Gesäß in zwei Säulen aufspaltete. "Wie also konnten Zwillinge, die dieselben Gene teilten, so unterschiedlich sein?" fragte der Autor eines Berichts über die epigenetische Forschung mit dem Titel "Der dritte Faktor: Jenseits von Natur und Erziehung" im New Scientist (13).

 

Wir kennen seit langem epigenetische Markierungen - chemische Aufschriften, die der DNA angefügt werden und die Genaktivität ändern, ohne die Sequenz zu ändern. Im Speziellen heißt das, wenn ein DNA-Strang viele zugefügte Methylgruppen hat, wird die Aktivität von Nachbar-Genen unterdrückt. So sah sich das Team das Axin-Gen in Blutzellen der Zwillinge genauer an. Tatsächlich hatte das Mädchen mit der gespaltenen Wirbelsäule ein ungewöhnlich hohes Maß an Methylierung. Somit glauben die Forscher -wobei andere Ursachen nicht ausgeschlossen werden können-, die wahrscheinlichste Erklärung sei, dass bei einem Zwilling irgendetwas das Ausmaß an Methylierung so hoch getrieben hat, dass das Gen stillgelegt wurde. Geheimnis gelöst? Mitnichten. Was stieß das Methylierungsniveau bei einem Zwilling über eine kritische Schwelle, jedoch nicht bei dem anderen? "Das ist die Millionen-Frage," sagt das Team-Mitglied Nick Martin vom Queensland Institute of Medical Research in Australien.

 

In einer anderen Studie am Cold Spring Harbor Laboratorium in New York - ein privates, uneigennütziges Forschungszentrum, das auf Molekularbiologie und Genetik spezialisiert ist - fanden Forscher ebenso große Unterschiede im Methylierungsmuster identischer Zwillinge (Gordon et al., 2012). Die Forscher schauten sich Nabelschnurgewebe, Nabelschnurblut und die Plazentas neugeborener Zwillinge an und fanden Unterschiede, die eine wichtige Rolle in der individuellen Entwicklung spielen. Und hier ist ihre wichtige Schlussfolgerung: "Das muss auf Ereignisse zurückzuführen sein, die (im Mutterleib) dem einen Zwilling widerfuhren und nicht dem anderen," sagte der Chef-Autor Dr. Jeffrey Craig vom Murdoch Childrens Research Institute in Australien in einer Pressemitteilung des Forschungslabors. (14) Obwohl also Zwillinge sich einen Mutterleib teilen, kann das, was ihnen widerfährt, ganz unterschiedlich sein. Die Studie, die online auf Genom Research veröffentlicht wurde, hat "zum ersten Mal gezeigt, dass die im Mutterleib erlebte Umwelt das epigenetische Profil des Neugeborenen definiert." (15) Und es überrascht nicht, dass die Autoren glauben, dass Ereignisse im Mutterleib tiefgreifendere Auswirkungen haben können als man früher dachte. Sie behaupten, dass diese Entdeckung ein mächtiges Instrument ist, um zukünftige Gesundheit zustandezubringen und um Gefahren einzuschränken.

 

Der leitende Autor glaubt, wir können Gefahren durch Ernährungs-Intervention und andere umweltbezogene Ansätze einschränken. Er sagt nicht, was entscheidend ist:  Wie wäre es, wenn wir während der Zeit im Mutterleib intervenieren und diese Phase gesund und heilsam gestalten würden? Wie wäre es damit, den Mutterleib zu einem großartigen Aufenthaltsort zu machen? Das können wir mit Erziehung machen und auch dadurch, dass wir diese widrigen Mutterleibs-Ereignisse wiedererleben und ihre zerstörerischen Wirkungen ungeschehen machen.

 

 

 

(13) Pilcher, H. (2013). The third factor: Beyond nature and nurture. New Scientist, 219(2932), 44-47. doi:10.1016/s0262-4079(13)62149-1

(14) Cold Spring Harbor Laboratory. "Differences between human twins at birth highlight importance of intrauterine environment." ScienceDaily. ScienceDaily, 15 July 2012. 
www.sciencedaily.com/releases/2012/07/120715193843.htm

(15) Differences between human twins at birth highlight importance of intrauterine environment. (2012, July 16). Retrieved from
http://genome.cshlp.org/site/press/Announcements.xhtml

 

 

Methylierung kann durch Wiedererleben rückgängig gemacht werden

 

Können wir Methylierung rückgängig oder ungeschehen machen? Kann die Einprägung des Traumas auf zellulärer Ebene entfernt werden? Die gute Nachricht scheint zu sein, dass Methylierung im Gegensatz zu reiner Genetik umkehrbar ist, zumindest durch chemische Mittel (Cheishvili, Boureau & Szyf, 2015). Somit kann durch Epigenetik verursachte Krankheit letztlich vielleicht normalisiert werden. Wir haben vor, die Prägung/Einprägung zu studieren und zu untersuchen, wie wir sie durch Primärtherapie reversieren können; das ist die ultimative Stress-Reduzierung. Wir wollen sehen, ob wir die Geschichte durch das Wiedererleben von Traumen umkehren können. Denn wenn wir das können, helfen wir vielleicht Patienten, später schwere Erkrankungen zu vermeiden. Wir werden den Methylierungsprozess messen, durch den Traumen ins Gehirn eingeprägt werden. Wir werden die Geschichte rückgängig machen. Stellen Sie sich vor: Wir verhindern, dass eine Prägung weiterhin Schaden verursacht. Ja, das ist chemisch machbar. Forschung über den Gebrauch von Methionin, um die Auswirkungen der Methylierung ungeschehen zu machen, tragen Früchte, und andere Medikamente einschließlich einiger Tranquilizer helfen dabei. Ich jedoch glaube, dass die schädlichen Auswirkungen der Epigenetik sicherer, wirkungsvoller und gründlicher durch Therapie rückgängig gemacht werden können. Das Wiedererleben früher Erlebnisse in einem Primal kann Methylierung vielleicht zum Teil ungeschehen machen und dazu beitragen, das Gesamtsystem zu normalisieren.

 

Die Frage lautet: "Wie machen wir das?" Wie gelangen wir zu diesen frühen dringlichen Bedürfnissen, die vor unseren ersten Schritten in eine neue Welt existierten? Sie sind vielleicht so weit entfernt, dass sie unglaublich scheinen, aber viele Tausende Patienten sind durch meine Therapie gegangen und berichteten, was sie durchgemacht haben, auch wenn ich nicht unbedingt bereit war, ihnen zu glauben. Endlich bestätigt neue Forschung das, was sie mir mitgeteilt hatten.

 

Die Forschung informiert uns, dass geschädigte Ratten, die von lieblosen Müttern aufgezogen worden waren, keine Anzeichen von Schaden zeigten, nachdem sie eine Trichostatin-Infusion erhalten hatten, als hätte das Trauma nie stattgefunden. Diese Substanz entfernt Methyl aus dem System.  Sie machte -kurz gesagt- die Geschichte ungeschehen. Das ist meiner Ansicht nach das, was vielleicht mit unseren Patienten geschieht. Durch Wiedererleben muss es zu einer Änderung der Methylierung kommen, sodass die Geschichte revidiert wird; wir haben vor, diese Hypothese zu überprüfen. Ich glaube, wir können Methylierung rückgängig machen; wenigstens können wir einen Teil des eingebetteten Traumas entfernen. Das ist meiner Meinung das, was durch das Wiedererleben von Schlüsseltraumen erreicht wird, und deshalb können wir zukünftige Krankheiten verhindern oder wenigstens ihre Schadwirkung modifizieren. Wir können das Trauma aus seinem Versteck herauslösen und seine Energie freisetzen, sodass es keinen Schaden mehr anrichtet. Denken Sie daran, in der Einprägung liegt die Erinnerung und auch der Schmerz. Wir können den Schmerz entfernen und die Erinnerung unangetastet lassen. Unsere Aufgabe besteht nicht darin, Roboter ohne Erinnerung zu produzieren. Aber wir wollen nicht, dass die Erinnerung von Qual und Leid überschwemmt wird.

 

Wie wir vorher gesehen haben, fanden Michael Meaney und sein Forscherteam heraus, dass unter Deprivation leidende Tiere, wenn sie später von einer liebevolleren Mutter aufgezogen wurden, partielle Erholung erfahren, weil Gehirnprozesse höherer Ebene einige Auswirkungen früher Prägungen außer Kraft setzen (Meaney et al., 1985). Der Neokortex kann eine Art Ausgleich für den Schmerz bereitstellen, kann die Einprägung maskieren, sie jedoch nicht auslöschen. Meaneys Ratten, die von Anfang an durch eine sich entfernende Mutter geschädigt waren und unter Deprivation litten, wurden später in eine angereicherte Umgebung gebracht, wo sie glücklicher schienen und miteinander spielten. Aber ihr Stresshormon-Spiegel war dennoch hoch; sie litten noch immer, wie es auch bei Menschen unter ähnlichen Bedingungen der Fall ist. Den Schmerz zu maskieren ist nicht dasselbe wie ihn aufzulösen,  und wir sterben vielleicht vorzeitig durch diese Maskierung. Man mag das einen Pakt mit dem Teufel nennen: Wenn wir den Schmerz maskieren, sterben wir vielleicht früh, aber wenn wir es nicht machen, leiden wir. Es gibt jedoch eine dritte Möglichkeit: Erlebe den Schmerz wieder, integriere ihn und sei fertig mit ihm. Es scheint vor dem Einsetzen der Methylierung ein Fenster günstiger Gelegenheit zu geben, eine Phase, während der die Prägung teilweise rückgängig gemacht werden kann (16). Aber es ist ein schmales, kurzlebiges Fenster. Danach bleibt die Prägung für sehr lange Zeit.

 

Unsere menschliche Prägung, so möchte ich sagen, findet sich in jeder Faser und Zelle unseres Seins und enthält eine präzise Erinnerung ihrer Vergangenheit. Die Prägung lässt sich nicht an einer speziellen Stelle im System lokalisieren, weil sie überall ist, vom hormonellen Gleichgewicht bis zu unserer Neurologie. Die Prägung sagt: "Das ist mit mir geschehen und das bin ich." Und weil die Prägung überall ist, kann es Änderungen im gesamten System geben, wenn wir sie wiedererleben. Deshalb müssen wir Erfahrungen wiedererleben: um die Sollwerte neu einzustellen und damit eine tiefgreifend neue Methode in der Medizin und Psychiatrie praktizieren. Wir müssen uns mit unserer gesamten Physiologie und unserem ganzen Sein "erinnern," nicht nur mit dem Neokortex. Vor allem brauchen wir Ärzte, die aufhören zu fragen: "Haben Sie vor kurzem ungewöhnlichen Stress gehabt?" Sie müssen die richtigen Fragen stellen, wenn sie die richtigen Antworten wollen. Da wir den Fötus nicht über seinen Stress befragen können, müssen wir das Nächstbeste tun und biologischen Schaden aufdecken, die Schmerzkette hinabsteigen, der Resonanz folgen, um die Fötalebene zu erreichen, und sehen, was wir vorfinden. Oft finden wir Anoxie in fast tödlichem Stadium. Resonanz führt unausweichlich zum Lebensanfang. Jede neue Schlüssel-Erinnerung findet ihren Partner auf tieferen Ebenen; alles, was wir machen müssen, ist, mit langsamen methodischen Schritten Zugang zu schaffen zur ersten  Ebene ganz oben, bis wir schließlich an der ersten Station ankommen.

 

Nehmen wir unsere Scheuklappen ab und schauen wir uns das ganze Gehirn an. Und vor allem den ganzen Mensch. Ja, es gibt eine chemische Therapie, die Erinnerung und Prägung beeinflussen kann, aber es ist zu bezweifeln, dass die gesamte Ausstaffierung dieser Erinnerung ebenfalls revidiert wird.

 

(16) In unserer bevorstehenden Forschung über Demethylierung in Zusammenarbeit mit Dr. Justin Feinstein vom Laureate Institute for Brain Research hoffen wir mehr Antworten zu finden. Unsere Hypothese ist, dass wir Demethylierung messen können, wenn wir eine bestimmte Probe (Lymphoblasten) aus dem Knochenmark nehmen und sehen, wie sie zu weißen Blutzellen werden. Vorläufig ist das nur eine Theorie, aber  in naher Zukunft gibt es vielleicht eine Möglichkeit zu sehen, welche Wirkung unsere Therapie oder andere Chemikalien auf Methylierung haben können.

 

 

Wie Traumen verankert werden

Ein vor kurzem erschienener Bericht der Northwestern University stellt fest, dass einige traumatische Erinnerungen wie z.B. chronische Kindesmisshandlung so schmerzvoll sind, dass sie tief im Gehirn vergraben und schwer zugänglich werden. (Jovasevic et al., 2015). Diese Erinnerungen wurden in einer bestimmten Stimmung/in einem bestimmten Gefühl oder in einem bestimmten Erregungszustand geschaffen und "lassen sich am besten wieder aufspüren, wenn das Gehirn zurück in diesem Zustand ist." Diese neue Gehirnforschung unterstützt meine Auffassung von Resonanz, die postuliert, dass spezifische Gefühle auf allen drei Ebenen über verwandte Frequenzen miteinander verbunden sind. In der Primärtherapie wird der Patient, wenn er in seinen Sitzungen zeitlich zurückgeht, sich mit Feelings verbinden, die tiefer im Gehirn gespeichert werden und mit derselben Gefühlslage resonieren, weil die eine Erinnerungsebene mit tieferen Ebenen verknüpft ist. Die Stimmung oder das Gefühl gehört zu einer Hierarchie von Einprägungen/Gefühlen, wobei jede Ebene Platz macht für tiefere und entferntere Ebenen, die alle in Stimmungslage und emotionaler Bedeutung miteinander verwandt sind. Die Verbindungen sind nicht nur ähnlichen Gefühlen zuzuschreiben, sondern reflektieren historische Prozesse; jede Verknüpfung trägt uns weiter zurück in unsere Ontologie, bis wir über die Art Erinnerung, wie wir sie kennen, hinausgehen. Wir kehren zurück in archaische Zeiten, wo es keine Worte und nicht einmal Gefühle gibt, sondern nur Instinkte. Aus diesem Grund wissen wir, wenn ein Patient Worte benutzt, während er scheinbar solche archaischen Ereignisse wiedererlebt, dass es Abreaktion ist, eine falsche Erinnerung. Wenn ein Patient auf eine uralte Gehirnebene zurückversetzt ist, gibt es keine Worte beim Wiedererleben, weil auf dieser Ebene keine Worte existieren. Ich möchte ganz deutlich werden: Das Wiedererleben ist wortwörtlich zu nehmen, weil der Patient in die Geschichte versunken ist und eine Zeit lang nur auf dieser tieferen Ebene lebt.

 

In dem Northwestern Experiment infusionierten Wissenschaftler den Hippocampus von Mäusen mit Gaboxadol, einer Droge, die extrasynaptische GABA-Rezeptoren stimuliert. Die Forscher beschreiben den Zustand, als hätten sie die Versuchstiere "ein bisschen betrunken" gemacht. Dann setzte man die Mäuse in eine Box und verpasste ihnen einen kurzen milden Elektroschock. Wenn die Mäuse am nächsten Tag in dieselbe Box zurückgebracht wurden, zeigten sie keine Anzeichen von Furcht und bewegten sich frei, was die Forscher zu dem Schluss führte, dass die Mäuse sich an den Schock tags zuvor nicht erinnerten. Gab man den Mäusen jedoch dieselbe Droge, bevor sie in die Box zurückgingen, erstarrten sie, als ob sie ängstlich einen weiteren Schock erwarteten.

 

Die Forscher schlossen daraus, dass die Droge die Art änderte, wie die Erinnerung ursprünglich kodiert wurde, sodass die Mäuse das stressende Schockerlebnis nur erinnerten, wenn sie in denselben Gehirnzustand zurückversetzt wurden, den die Droge erzeugt hatte. Mit anderen Worten glaubten sie, dass das Gehirn unter Drogen "völlig andere molekulare Pfade und Nervenschaltkreise benutzte, um die Erinnerung zu speichern." Und dann treffen die Autoren diese Primär-Aussage: "Der beste Weg, um auf diese Erinnerungen zuzugreifen, besteht darin, das Gehirn in denselben Zustand zurückzuversetzen." Scheint wie ein Zitat aus meinem Werk, ist aber nichts weiter als ein und dieselbe Realitätsfindung mit unterschiedlichen Methoden. Die Frage ist, wie wir es schaffen, den Patienten in diesen Zustand zurückzuversetzen.

 

Ich wiederhole, dass die Mittel, um zu diesen alten Erinnerungen zu gelangen, der Evolution folgen müssen; das ist Devolution oder umgekehrte Evolution. Wir müssen mit dem letzten oder spätesten Glied der Erinnerung beginnen und dann die Resonanz nutzen, um zeitlich dorthin zurückzureisen, wo die Schlüssel-Einprägungen liegen. Wir beschließen das nicht; der Patient macht diese Reise; oft ist er erregt durch ein Gegenwartsereignis und darin eingeschlossen gleitet er mühelos in die Geschichte zurück, indem er den Gefühlsverknüpfungen folgt. Seine Devolution beruht nicht auf Zufall; sie wird unausweichlich von Resonanz geleitet.

 

Ist Primärtherapie also nichts weiter als eine Zeitmaschine, ein Instrument um unsere Geschichte wieder aufzusuchen, um die Uhr zurückzustellen auf vorher neutrale, nicht-neurotische Zustände? Vielleicht klingt es weit hergeholt, aber immer mehr Beweise lassen vermuten, dass es wahr ist. Wissenschaftler lernen jetzt, wie man die Uhrzeiger der Entwicklung auf die mikroskopische Ebene zurückdreht - sie nehmen zum Beispiel eine aktuelle Hautzelle und behandeln sie so, dass sie zu einem vorher neutralen, nicht festgelegten Zustand zurückkehrt, zu einem embryonalen Zustand. Sobald das geschehen ist, kann die Zelle neu programmiert werden und zu einer anderen Zellart werden. Während dieses kritischen Fensters müssen bestimmte Bedürfnisse erfüllt werden, und wenn das nicht geschieht, werden die Zellen nachteilig geprägt.

 

Eine andere Art, es auszudrücken: Wenn die Zelle erst eine Markierung bekommen hat, werden wir dadurch psychologisch und physiologisch ein Leben lang beeinflusst, bis das anstachelnde Ereignis wieder aufgesucht und wiedererlebt wird. Und es kann unbewusst wiedererlebt werden durch den Resonanz-Prozess. Das heißt, ein Trauma, das in utero stattfand, kann wieder erfahren werden, ohne dass man sich dessen speziell bewusst ist, und zwar aufgrund der Tatsache, dass es Teil der Schmerzkette ist, sobald wir in den Erinnerungs-Schaltkreis eingeschlossen sind. Wenn wir in der Primärtherapie diese weit verzweigten Ereignisse erkunden und anfangen sie wiederzuerleben, verknüpfen wir drei Bewusstseinsebenen - die Gegenwart, unsere Kindheits-Vergangenheit und unsere Säuglings-/Schwangerschafts-Phase -, indem wir durch drei Ebenen der Gehirnentwicklung hindurch nach unten steigen.

 

Und wie ist das möglich? Glücklicherweise wird jede neue verletzende Erfahrung, die auf tieferen Ebenen unintegriert bleibt, später auf einer höheren Ebene des Nervensystems wieder repräsentiert, wo sie als Außenseiter oder Feind verschlüsselt wird. Einprägungen tieferer Ebene senden Hinweise nach oben ins Nervensystem. Diese Erinnerungen höherer Ebene werden mit ihrem weiter unten liegendem Ursprung verdrahtet. Sie bilden einen Nervenschaltkreis, eine Leitungsbahn. Und wenn Schaltkreise miteinander verdrahtet werden, neigen sie dazu, miteinander zu feuern; das ist der Grund für Resonanz. Wenn später ein Trauma existiert, kann es mit früheren Einprägungen resonieren und die ganze intakte Erinnerung auslösen. Hier kann es zu übermäßigen Reaktionen auf die banalsten Ereignisse kommen. Wir schrauben uns zurück zu den Ursprungsquellen, zur Basis des Fühlens. Auf diese Weise erleben wir  rein physiologische Stammhirn-Reaktionen wieder, ohne sie je zu erkennen. Auf diese Weise gelangen wir automatisch zu präverbalen Ereignissen. Wenn die Primär-Einprägung ihre Botschaft nach oben schickt, werden dem Impuls Gefühle hinzugefügt, und später dann werden Gedanken und Verstehen mit einbezogen. Zusammen bilden sie ein vollständiges Feeling. Alle diese Elemente sind schließlich für das Wiedererleben notwendig. Auf diese Weise kann ein Ereignis der Gegenwart, eine Zurückweisung, katastrophale Gefühle auslösen. Es ist ein organischer Prozess, der unter Bewahrung der ursprünglichen Gefühle mit präziser Ordnung ablaufen muss. Es kann sein, dass spezifische Gehirnfrequenzen diese Ereignisse miteinander verbinden. Bildlich gesprochen hat der Vorgang viel gemeinsam mit dem Stein, den man in den Teich wirft: ein Kräuseleffekt in der Art und Weise, wie sich Neuronen untereinander in gespiegelter Progression verbinden. Wenn es eine bestimmte Art von Auslösern gibt, zaubert das Gehirn seine damit verknüpfte Geschichte unversehrt hervor und entfacht "gleichgesinnte" Gefühle zusammen mit ihrer Physiologie.

 

Jüngste Forschung mit Primärpatienten und in neurowissenschaftlichen Labors zeigt, dass Schmerz-Unbewusstheit ein Überlebensmechanismus ist, ein Schutz gegen überwältigenden Input. Aber die eingeprägte Erinnerung bleibt und richtet weiterhin ihren Schaden an - ein Leben lang. Kurz gesagt ist sie nicht passiv. Sie hat eine Kraft, die unserer Anpassungsfähigkeit bedroht, wie ich gleich detailliert erklären werde. Je tiefer wir in das Gehirn hinabsteigen, umso stärker ist die Kraft der Erinnerung. Und deswegen muss sie umso unbewusster sein....zu unserem Schutz. Wenn das Trauma zu groß ist oder zu lange andauert, wird die Anpassungsfähigkeit schwächer und weniger fexibel. Das trifft besonders auf Langzeit-Vernachlässigung und -Misshandlung zu. Hier scheinen sich die Erinnerungen einzugraben und zu verfestigen und immun gegen Veränderung zu werden. Und wenn volles Bewusstsein sich verringert, fängt der Schaden an, sowohl psychisch als auch physisch. Wir sind dann teilweise unbewusst und nehmen den Schaden nicht wahr. Furcht-Erinnerungen werden über vielfältige Leitungsbahnen miteinander kombiniert unnd dann eingraviert.

 

Die neue Forschung zeigt, was ich schon die ganze Zeit sage: Dass man zu der Stimmung zurückkehren muss, die bestand, als das Trauma eingeprägt wurde. Aber wenn man das künstlich macht, kann es die Lage verschlimmern. Es ist weitaus besser, langsam und einem evolutionärem Zeitplan entsprechend dorthin zu gelangen. Bei ihren Mäuse-Experimenten machten die Northwestern-Forscher eine wichtige Entdeckung, die auf unsere menschlichen Patienten zutrifft: Es ist für Therapeuten schwierig,  den Zugang zu diesen Erinnerungen zu finden, weil die Patienten selbst die traumatischen Erlebnisse nicht erinnern können, die Ursache ihrer Symptome sind. Aus genau diesem Grund müssen wir langsam entlang der Schmerzkette  hinabsteigen und den Patienten bestimmen lassen, wie schnell er gehen kann. Das Team bemerkte, dass die Gehirnfunktionen in verschiedenen Zuständen einem Radio gleichen, das von AM nach FM umschaltet. "Es ist, als sei das Gehirn normalerweise auf FM-Stationen eingestellt, um auf Erinnerungen zuzugreifen, aber auf AM-Stationen eingestellt werden muss, um Zugang zu unbewussten Erinnerungen zu haben,"  stellte die leitende Forscherin Dr. Jelena Radulovic fest, Dunbar-Professorin für bipolare Erkrankungen an der Northwestern Feinberg School of Medicine. (17) Kurz gesagt müssen bestimmte Arten ernsthafter Erinnerungen richtig eingestellt werden, um schmerzvolle Botschaften zu empfangen. Ich würde es anders ausdrücken, aber wir stimmen darin überein, dass traumatische Erinnerungen im Gehirn gespeichert werden, wo sie fortbestehen und Schaden verursachen.

 

Das Forscherteam und ich stimmen darin überein, dass wir die genaue Frequenz des Feelings einstellen müssen. Mit anderen Worten müssen wir zeitlich zurückgehen zum eingeprägten Schmerz, wobei keine Nebenstrecken zulässig sind. Wir können nicht um das Gefühl herumgehen. Die Schutzmaßnahme ist hier, dass wir dem Patienten ermöglichen, auf präzise Weise dorthin zurückzugehen, sodass jegliche Abweichungen, die Nebenstrecken des Fühlens, vermieden werden. Und in unserer eigenen Forschung haben wir herausgefunden, dass es spezielle Frequenzen gibt, die mit den Gefühlen einhergehen. Sie waren nie schnell, was bdeuten würde, dass man über der Primal-Zone ist. Wir beobachteten, dass Gefühle einzudringen begannen, wenn wir die Frequenz (mit Licht) verlangsamten. Die Forscher behaupten genau wie ich, dass das Gehirn zur richtigen Frequenz zurückgehen und ein ganz bestimmtes Feeling anvisieren muss. Meine Beobachtung nach jetzt beinahe fünfzig Jahren ist, dass der natürlich-evolutionäre Weg der richtige Pfad ist, dem man folgen muss. Natur ist die sine qua non.

 

 

(17) Paul, M. (2015, August 18). News. Retrieved from http://www.northwestern.edu/newscenter/stories/2015/08/traumatic-memories-hide-retrieve-them.html

 

Über das Versagen unserer Anpassungsfähigkeit    

 

Vor einiger Zeit schrieb ich darüber, dass es der unablässige Input von Schmerz ist, der unsere Anpassungsfähigkeit strapaziert und das Versagen dieser Fähigkeit verursacht. Das Ergebnis ist eine Verwürfelung unserer Gehirnzellen und der Kollaps unserer Anpassungsfähigkeit. Was bedeutet das?

 

Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir nicht nur unsere klinische Erfahrung betrachten sondern auch die jüngsten Erkenntnisse der Gehirnforschung. In einer ganz neuen Studie mit dem Titel "Epigenetische Veränderungen im sich entwickelnden Gehirn: Auswirkungen auf das Verhalten" sahen sich Forscher der Rockefeller Universität in New York und der Universität von Cambridge in England an, wie Methylierung bei der Einprägung schmerzvoller Erinnerung funktioniert (Keverne, Pfaff & Tabansky, 2015). Wenn man Methylierung blockiert, verhindert man, dass sich Nervenzellen an Änderungen in ihrer Umwelt anpassen. Neues Lernen kann ohne erfolgreiche epigenetische Programmierung nicht stattfinden. Und da mache ich mir Gedanken über die heimtückischen Effekte dieses Prozesses, wenn so viele Waisenkinder lernbehindert sind, an Legasthenie leiden und nicht gut Sätze bilden können. Wenn tagein, tagaus Vernachlässigung, Gleichgültigkeit und Liebesmangel vorherrschen, ist schwerer Schaden die Folge und die Anpassungsfähigkeit schwindet.

 

Die Forscher stellten fest, dass es zu Schadwirkungen in den Gefühlsarealen des Hippocampus kommt. Kurz gesagt überlastet chronischer, unablässiger Schmerz die angeborene Anpassungsfähigkeit, und wir sehen die Resultate. Auf der Gefühlsebene behauptet der Mensch, es sei alles zu viel. Er gibt leicht auf und kann sich nicht anstrengen, um zum Erfolg zu kommen. Der Schizophrene erklärt es nicht verbal sondern durch seine Lebensweise. Er braucht Hilfe, um durch seinen Alltag zu navigieren. Er kann sich nicht an neue Gegebenheiten anpassen. Das ist das extreme Versagen der Anpassung. Die Anpassungsmechanismen helfen uns, dass wir uns entwickeln können und mit verschiedenen Umständen klarkommen können. Sie sind für unsere Entwicklung entscheidend. Wir können kleinere Rückschläge verkraften, z.B. einen oder zwei Tage allein gelassen werden, aber wenn wir über lange Perioden isoliert werden, erleidet unsere Anpassungsfähigkeit Schaden.

 

Wenn wir zur Bestätigung nach harten wissenschaftlichen Fakten suchen, finden wir sie hier. Forscher des Dana-Farber Krebs-Institus in Boston diskutieren Krebs in Bezug auf Methylierung. Ihre überraschenden Befunde werden beschrieben in einem Artikel mit der Überschrift "Chaos im Gen-Kontrollsystem ist ein bestimmendes Krebs-Charakteristikum", der auf der Webseite des der Harvard Medical School angeschlossenen Dana-Farber Lehr-und Forschungszentrums veröffentlicht ist (18). Ihre Schlussfolgerung: "Das Verhalten einer Krebszelle wird nicht nur von der Genetik diktiert - vom jeweiligen Satz mutierter Gene in ihr - sondern auch von der Epigenetik, dem System zur Kontrolle des Gen-Ausdrucks," erklärt Catherine Wu, M.D., eine leitende Autorin der Studie.

 

Wissenschaftler wissen, dass gefährliche Tumoren aus einer Vielzahl genetischer Mutationen innerhalb vieler verschiedener Zell-Untergruppen bestehen. Wu erklärte, dass die Forscher in dieser Studie herausfinden wollten, ob die dem Krebs eigene genetische Verschiedenartigkeit mit einer entsprechenden epigenetischen Diversität übereinstimmte. Zuerst erwarteten die Wissenschaftler, eine systematische Übereinstimmung zwischen den genetischen und epigenetischen Änderungen zu finden; anders gesagt dachten sie, die genetische Diversität im Tumor würde sich in der Bandbreite der Methylierungsmuster spiegeln. Die Forscher waren dann überrascht, Methylierungsmuster mit einem hohen Maß an zufälliger Unordnung zu finden. "Tatsächlich durchdringt regellose Methylierung den ganzen Tumor," stellt Alexander Meissner vom Broad Institut fest, der sich dem Forschungsteam anschloss.

 

Die online im Journal Cancer Cell veröffentlichten Ergebnisse offenbarten, dass diese Unordnung in der Methylierung eine der bestimmenden Krebs-Charakteristika ist (Landau et al., 2014). Und überraschenderweise, so theoretisieren die Forscher, sei die zufällige Störung der Methylierung kein Problem für die Krankheit sondern könne den Tumoren zu überleben helfen und sogar zu gedeihen, indem sie ihre Fähigkeit stärkte, sich an wechselnde Umstände anzupassen. "Krebs überlebt auf wild erfinderische Art," schlussfolgert Wu. "Methylierungs-Unordnung ist eine der Methoden, wie er die Bedingungen schafft, die ihn zur Anpassung befähigen."

 

Ich postuliere, dass Primär-Einprägungen in hohem Maß für diesen epigenetischen Tumult verantwortlich sind, weil der ganze Anpassungsprozess zusammengebrochen ist. Unter normalen Umständen ist Methylierung Teil der natürlichen Ordnung;  sie ist ein wesentlicher Anpassungsmechanismus. Und ich glaube, dass sie auf die eine oder andere Art verwürfelt wird und ihren Job nicht mehr machen kann. Sie hat ihre Kohäsion verloren. Ich glaube, die Ursache so vieler katastrophaler Krankheiten liegt in dieser Unordnung, weshalb sie so schwer zu behandeln sind. Die Boston Forscher fanden zum Beispiel heraus, dass bestimmte Leukämie-Patienten  kürzere Remissionen hatten, wenn ihr Tumorgewebe Anzeichen hochgradig ungeordneter Methlierung aufwies, die dem Tumor tatsächlich nützt, indem sie ihn weniger empfindlich gegen Anti-Krebs-Medikamente macht. Mit anderen Worten kann die zufällige Unordnung des Methylierungsprozesses die Behandlung der Krankheit erschweren.

 

Eine letzte Bemerkung zu dieser wichtigen Forschung. Die Forscher vom Broad Institut, das der Harvard Universität und der MIT angeschlossen ist, halfen die Technik zu entwickeln, um diese Deregulierung zu messen, indem sie einen als Bisulfit-Sequenzierung bekannten Prozess benutzen, um die Anwesenheit oder Abwesenheit von Methylgruppen auf bestimmten Sprossen der DNA-Leiter zu verfolgen. Sie ersannen auch eine einfache Messung, die sie PDR (Percent Discordant Reads) nennen und die der Quantifizierung ungeordneter Methylierung dient. Ich betrachte das als großen Fortschritt in der epigenetischen Forschung, der in Aussicht stellt, dass wir vielleicht bald in der Lage sind, den Grad des körperlichen und emotionalen Schadens zu quantifizieren, den ein Mensch erlitten hat, und letztlich auch den Grad an Schmerz-Auflösung, den wir in einer Therapie des Fühlens erreichen. Wir bekommen rasch die Werkzeuge, um unsere Ziele zu erreichen.

 

Meiner Meinung nach ist die gefährliche Zeit für permanenten Schmerz, der den Anpassungsprozess bedroht, die Phase im Mutterschoß während der Schwangerschaft. Hier werden chronisches Rauchen, Trinken oder chronischer Pillen-Konsum der Mutter oder ihre ständige Depression oder ihre Angstzustände für den Fetus unausweichlich, und er leidet. Schließlich wird es eingeprägt bleibt ein Leben lang bestehen. Es ist, als lebe er neun qualvolle Monate lang in einer Zwangsjacke und könne keinen Weg finden, um den Input zu beenden. Er geht zu einem Arzt, und der Arzt fragt: "Vor kurzem Stress gehabt?" Ja, es gibt Stress, aber Jahrzehnte bevor irgendjemand einschließlich des Patienten sich daran erinnern könnte. Also schüttelt er seinen Kopf und sagt: "Es ist alles in Ordnung seit einiger Zeit." Diese Prägungen/Einprägungen schreien auf die einzige Art und Weise, die ihnen möglich ist, nämlich durch das Körpersystem - Migränen, Asthma, Angst, Depression und so fort. Er kann sich nicht wohlfühlen in seiner Haut, weil unter dieser Haut ein Gebirge aus Verletzungen, Schmerz und Gefühlserregung liegt, das ihn nicht zur Ruhe kommen lässt. Warum Erregung? Weil der Schmerz eine Nachricht ans Bewusstsein sendet, dass es weiter unten ernsthafte Probleme gibt. Leider hört niemand zu. Und auch wenn da jemand wäre, sie oder er könnte die Nachricht nicht übersetzen, weil sie - äußerst wichtig - nicht auf Englisch ist. Sie ist in einer völlig anderen Sprache verfasst, in der keine Worte existieren. Wir müssen mit dem Patienten zu den inneren Tiefen reisen und selbst sehen. Und da liegt sie, die Agonie, direkt vor unseren Augen: das Ersticken, die Atemnot, die Qual auf dem Gesicht. All das sind endlich beobachtbare Zeichen, welche die Frage "Was stimmt nicht mit mir?" beantworten.

 

Epigenetische Wissenschaft kann dabei helfen, all das zu erklären. Methylierung ist der Agent der Verdrängung, die ihrerseits verhindert, dass der Mensch den Schmerz wegsteckt und weitermacht. Bestimmte Schalter gehen an und aus, um die schmerzvolle Intrusion auszugleichen; wenn ein bestimmtes Niveau erreicht worden ist, versagen die Bemühungen und "normale" Anpassung ist nicht mehr möglich. Das Ergebnis: Abnormalität in der körperlichen Entwicklung und in der psychischen Anpassungsleistung. Der Mensch kann nicht mehr neurotisch normal sein. Jetzt besteht schwere und dauerhafte Pathologie. Die Einprägung dauert buchstäblich ein Leben lang, wobei der Mensch die ganze Zeit versucht, normal zu werden, in der Psychiatrie ein- und ausgeht, diesen Arzt und jenen Psychiater aufsucht, und alles vergeblich. Die Symptome werden auf gegenwärtige Behandlungsmethoden nicht ansprechen, weil der Schaden da nicht liegt. Er ist mit den epigenetischen Schaltern verriegelt, die schon früh überwältigt worden waren und nicht mehr richtig funktionieren. Sie wissen fast nicht mehr, was sie an- oder abschalten sollen. Sie sind so hilflos wie der Patient, weil sie weit außerhalb der Reichweite des Verstehens liegen. Leider ist der Patient verdammt.

 

Aber es gibt einen Ausweg. Wenn er mit uns in die Zeit zurückreisen kann zu den vergrabenen Spuren des eingeprägten Schmerzes und sich mit dem Primär-Feeling verbinden kann, können wir die Strafe umwandeln. Weil die epigenetischen Schalter dann umgekehrt werden können und ein gesunder Zustand erreicht werden kann. Was bedeutet das? Dass wir bald in der Lage sind, entlang der Schmerzkette von gegenwärtigen zu vergangenen Einprägungen zurückzugehen, anhand der Methylspuren zu  beobachten, wie tief der Schmerz ist und zu wissen, wohin wir  gehen müssen, um zuerst die am wenigsten gefährlichen Schmerzen zu finden. Dass wir diese schmerzvollen vergrabenen Gefühle in geordneter Reihenfolge von der Gegenwart zur fernen Vergangenheit fühlen, um schließlich den Methylierungsprozess neu anzusetzen; das heißt, die Biochemie zu normalisieren und den genetischen Schaltern Normalisierung zu ermöglichen, sodass sie ihre Anpassungspflicht erfüllen können.

 

 

18 "Disorder in Gene-control System Is a Defining Characteristic of Cancer, Study Finds." Dana-Farber Cancer Institute | Boston, MA. December 8, 2014.http://www.dana-farber.org/Newsroom/News-Releases/Disorder-in- gene-control-system-is-a-defining-characteristic-of-cancer-study-finds.aspx.

 

Das Wunder der Erinnerung

Ich  sah mich in meinem Bekanntenkreis um, und mindestens ein Drittel von ihnen hatte die Krankheit, sich ständig bewegen zu müssen: Reisen organisieren, Anlässe finden, um nach hierhin und dorthin zu fahren, und sich ganz allgemein in Bewegung halten. Führt dieses ständige Kommen und Gehen zu Schlaganfällen und Herzattacken? Das glaube ich wirklich. Warum? Weil hinter dieser ganzen Betriebsamkeit ein gigantischer lautloser Schrei steckt, der grausamen Qualen, Ersticken und Feststecken entspringt; zuerst im Mutterschoß mit einer Mutter, die raucht und Drogen nimmt (unvermeidlich für das Baby), und darauf folgend ein Geburtsprozess, bei dem das Baby wiederum stecken bleibt und nicht leicht herauskommt. Deshalb jetzt der ständige Bewegungsdrang. Wenn ich das dem Durchschnittsbürger erzähle, hält er mich für wahnhaft. Aber ich versichere Ihnen, ich bin es nicht.

 

Ich habe Tausende Patienten gesehen, die jegliche Art Trauma wiedererlebt haben: Ein weitverbreitetes Schlüsseltrauma besteht darin, im Mutterleib in der Falle zu sitzen, zu ersticken und nicht entkommen zu können. Gefangen sein, ersticken, sich nicht bewegen können; das sind die beteiligten Schlüsselgefühle.  Sie konnten damals nicht schreien und sie können jetzt nicht schreien, aber wenn sie als Erwachsene in dem Feeling sind, können sie zuerst grunzen und versuchen sich zu bewegen und später bei der Geburt schreien. Es ist nicht das Schreien, das befreit. Es ist das Wiedererleben des wahren Gefühls - steckenbleiben - und dann der Schrei, um die Qual von all dem auszudrücken. Jetzt können wir den Schmerz wirklich beobachten. Wiedererleben verändert die Prägung/Einprägung, reduziert sie und setzt den Auflösungsprozess in Gang - Entmethylierung. Schreien alleine ist nicht das, worauf wir aus sind; es ist die totale Agonie des Wiedererlebnisses und dann die Reaktion - Schreien. Reaktionen allein bewirken nicht viel. Und das ist der Irrtum bei all diesen frühen Schrei-Klubs auf Universitäten, die mit der Veröffentlichung des Urschreis ihren Anfang nahmen. Ja, Schreien erleichtert den Druck, den die Reaktion beinhaltet, ändert aber nichts an der Einprägung. Wir sollten niemals glauben, dass Erleichterung gleichbedeutend mit Wiedererleben ist. Das eine ist Besserung; das andere Heilung.

 

Beim Wiedererleben der Geburt sehen wir lebhaft den zunehmenden gewaltigen Druck  nach dem frühen traumatischen Ereignis; nicht nur das Geburtstrauma sondern auch viele andere Traumen, wenn die Mutter Drogen nimmt oder raucht und trinkt und der Fetus nicht entkommen kann. Er kann seinen Kopf wegdrehen, als wolle er entkommen, aber leider sitzt er in der Falle. Und dieses einem verletzlichen Körper eingeprägte Gefühl bleibt dort als eingravierte Erinnerung und steuert danach sein Verhalten: "Ich muss mich bewegen. Ich muss hier raus." Das ist das Leitmotiv seines oder ihres Lebens. Und es verschwindet nie! Es ist eine chemische Verschwörung, die sicher stellt, dass wir uns nie befreit fühlen. Auch wenn das innere Gefühl darin besteht, gefesselt zu sein, können die Leute es nicht fühlen. Sie sind zu sehr mit dem Versuch beschäftigt, sich zu entfesseln, agieren den Versuch aus, sich zu befreien.

 

Ich finde es erstaunlich, dass das wirkliche Feeling nicht unmittelbar erlebt wird, wenn es sich ereignet; leider ist es zu schmerzvoll für den Moment, wenn das gesamte Wesen eines Babys so verletzlich ist. Der Preis, den wir zahlen, ist, dass wir unsere Gefühle nie kennen oder nie wissen, woher sie kommen. Oder können Sie sich jemand vorstellen, der zu sich selbst sagt: "Wow, ich bin in einem Mutterleibs-Gefühl gefangen!" In diesem Mutterschoß gibt es offensichtlich keine Worte oder Begriffe oder Szenen. Nur ein Körpergefühl - keine Luft bekommen, stranguliert werden, zerdrückt werden und ersticken. Wie also kann es da eine Erinnerung geben? Es gibt keine Erinnerung, die unserer Auffassung von Sich-Erinnern entspricht, aber der Körper erinnert sich genau. Er erinnert das Gefangen-Sein und Ersticken, weil genau das in einem Primal hochkommt und für uns sichtbar wird. Und im Alltagsleben schleppen wir diese Gefühle wie ein Gewicht mit uns herum, als würden wir ständig einen 10 Kilo-Barren aus Stahl mit uns herumtragen. Wir tragen diese teuflischen Chemikalien mit uns herum, die uns gefangen halten.

 

Und was ändert diese Chemikalien? Wenn Schreien es nicht schafft, was dann? Wie wär's mit Beruhigungsmitteln wie den SSRIs, den Serotonin-Verstärkern? Sie bringen den Schrei zum Schweigen, ändern aber nie, nie die Erinnerung, die Einprägung. Die Erinnerung ist nicht für Veränderung bestimmt. Sie bleibt, um erlebt und befreit zu werden. Das ist das Wunder der Erinnerung. Wir haben die Mechanismen für unsere eigene Befreiung in uns, wenn wir es nur wüssten. Und was ist mit Drogen, die uns beruhigen, sodass wir nicht so viel in Bewegung sind? Das unterstützt nur den Druck-Aufbau. Es verschärft das Problem und erhöht den Bewegungsdrang. Und wenn wir nicht genügend ausagieren können, dann wird sich die ursprüngliche Primär-Einprägung eingraben und Schlüsselzellen des Körpers und Gehirns schwer schädigen. Die Gene wandeln sich vielleicht in Onko-Gene um, und schwere Krankheit nimmt ihren Anfang.

 

Wenn wir also das ständige Sich-Bewegen sehen, verstehen wir, aber wir sehen nie die Agonie. Warum keine Agonie? Weil eifrig ausagiert wird, um die Qualen zu erleichtern, bevor sie gefühlt wird. So können wir sie unmöglich sehen, und der Mensch in Bewegung kann sie nicht fühlen. Der Gedanke ist folgender: Dass die Qual verschwinden möge, bevor sie offensichtlich ist. Jetzt wissen wir, warum Psychotherapie so in Verlegenheit ist. Und jetzt wissen wir, was hinter hohem Blutdruck und Migräne stecken könnte. Ich hatte eine Patientin, der sexuell nie befriedigt war. Wenn sie keinen Sex haben konnte, stieg ihr Blutdruck auf gefährliche Werte an. Medikamente konnten ihr nicht helfen. Was half? Den Druck permanent zu entladen, indem sie das Bedürfnis fühlte - ein Primal. Das half und....heilte. Nicht die Erleichterung des Drucks heilte; es war das Wiedererleben der Gefühle, die den Druck erzeugten. Bei Druckerleichterung gibt es kein Verstehen, sehr viel Verstehen jedoch beim Wiedererleben. Und das ist der entscheidende Punkt: Der Erleichterung folgen keine Einsichten, aber dem Wiedererleben folgen viele Einsichten. Das ist eine Möglichkeit von vielen, um wahre Gefühle ausfindig zu machen.

 

Warum Heilung? Weil die Therapie sich mit dem Ursprung von all dem befasst - mit der ursprünglichen Methylierung und Einprägung. Primals ändern die chemische Komposition - weniger Methylierung, vermindertes Serotonin - und verringern die Erinnerung, so dass wir unser Verhalten  und unsere Krankheitsanfälligkeit wirklich ändern können. Wie in aller Welt können wir Magersucht verstehen, ohne Bescheid zu wissen über die Verbindung zwischen Forschung über frühes Trauma und späteren Ess-Störungen? Die Forschung stellt fest, dass sie weitgehend auf wesentliche epigenetische Veränderungen zurückzuführen sind, die sehr früh in unserem Leben stattfinden und die fetale Programmierung und die Entwicklung des Fetus/Babys ändern. So sehen wir jetzt, warum Hunger oder reduzierte Kalorien im Mutterleib zu späterem übermäßigen Essen führen kann. Der Mensch isst für hier und jetzt und er isst aufgrund der Erinnerung. Das ist auch nicht anders bei dem verzweifelten Bedürfnis nach Wärme und Liebe nach einem Geburtstrauma, bei dem das Kind von einer kranken Mutter sogleich verlassen worden war. Es betrat eine kalte Welt ohne Beistand; keine Küsse oder Umarmungen. Das verzweifelte Bedürfnis beginnt hier und wird eingeprägt. Frühe Deprivation bedeutet, dass man  sie zu bewältigen versucht, indem man seine Bemühungen nach Liebe verdoppelt. Abhängig von anderen Faktoren ist Liebe ausgeschlossen, sobald Verdrängung und Schleusung eingesetzt haben, und zwar aufgrund eines Abwehrsystems, das sie nicht zulässt oder hereinlässt, weil sie alten Schmerz wiedererweckt.

 

Vergessen wir nicht das kritische sensorische Fenster, in dem diese Ereignisse für ein ganzes Leben eingraviert werden. Dorthin müssen wir Therapeuten gehen, zu diesem Fenster, wo das Trauma in das Gehirn und in das Gesamtsystem eingeprägt worden war. Wir müssen da ernsthaft hineinschauen. Wenn wir das nicht tun, können wir bei unseren Patienten Angstzustände oder Aufmerksamkeitsdefizit-Störungen nicht verstehen. Es geht nicht ums Hier-und-Jetzt. Dem Dort-und-Damals muss unsere Aufmerksamkeit gelten, weil das Dort-und-Damals weitgehend das Hier-und-Jetzt bestimmt. Wenn wir das Dort-und-Damals auschließen, würden wir nie wissen, dass das Verlangen meiner Patientin nach Sex seine Wurzeln in einer Einprägung der ersten Ebene hat, in einem Trauma, das auf physischer Ebene ungemein stark war, das aber keine Worte oder Schreie hatte. Hüte dich vor den Iden des Hier-und-Jetzt. Der Hirnstamm, der zu jener Zeit nahezu voll entwickelt war, absorbierte das ganze Trauma und ist deshalb schwer methyliert. Wir werden das nie sehen, es sei denn, wir bringen Patienten auf diese Ebene hinab; das aber könnte Monate dauern, und dann müssen wir wissen, wonach wir suchen sollen. Deshalb habe ich Jahrzehnte gebraucht, um dahinter zu kommen. Es ist nicht offensichtlich.

 

Wenn die Leute also in tiefem Schmerz stecken, warum laufen sie dann nicht schreiend die Straße entlang? Weil das kein akzeptiertes Sozialverhalten ist und zu Verhaftung oder Einweisung in die Psychiatrie führen könnte. Was sie aber tun können, ist, die Qualen via Migräne oder Herzverkrampfung (Angina) hinauszuschreien. Und wir eilen herbei und behandeln das Herzproblem oder die Migräne oder den hohen Blutdruck. Da wird das Problem offensichtlich, aber da liegt es nicht. Es liegt verborgen in der Erinnerung, die in den Lungen und ihrer Umgebung, in dem schmerzenden Rücken und in dem ständigen Sich-Bewegen eingebettet ist. Wir sehen, was wir sehen - das Offensichtliche -, und es entgeht uns, was wir nicht sehen können. Es wäre ideal, nach dem zu suchen, was wir nicht sehen können: Eine Linse, die Urschmerz vergrößert. Leider nicht wahrscheinlich.

 

 

Noch ein Blick auf das Wiedererleben

 

Wir müssen darauf achten, dass Wiedererleben in der Therapie für alle Arten der Neurose wichtig ist. Neurose bedeutet, dass es einen frühentraumatischen Input gibt, der Funktion und Verhalten ändert; nicht das eine oder das andere sondern beide. Das heißt, es gibt Schmerz und nicht erfüllte Bedürfnisse, die normales Funktionieren überwältigen und eine Abweichung verursachen. Wir sind nicht mehr normal; die Dinge laufen schief - neurologisch, biochemisch und verhaltensbezogen. Um das zu kurieren müssen wir das Gesamtsystem normalisieren, nicht nur Verhalten oder Biochemie. Andernfalls sind wir dazu verdammt, Verhalten und Physiologie als zwei getrennte Probleme zu behandeln, wenngleich sie untrennbar miteinander verbunden sind.

 

Das ist kurz und bündig die Geschichte der Neurose. Wir sind nicht mehr wir selbst; wir bewegen uns in neuen Funktionsbahnen. Um wieder zu uns selbst zurückzufinden, müssen wir die Funktion in jedem Aspekt wiederherstellen. Nicht nur das Verhalten. Und wenn wir abgelenkt und umgeleitet werden, gibt es Markierungen, die ihre Spuren hinterlassen; epigenetische Markierungen. Liebe minimiert die Markierungen auf den Genen. Nichtliebe vergrößert sie. Wenn wir zum Beispiel viel Liebe, Umarmungen und Körperkontakt bekommen, gibt es Änderungen im Gehirn, bei denen sich Methylierungsmuster verändern, sodass wir normal auf Stress reagieren. Wenn ein Trauma existiert, wird der Teil des Gehirns, der die Stressreaktion kontrolliert, mit Methylgruppen markiert und erzeugt Veränderungen darin, wie Gene ausgedrückt oder unterdrückt werden; ob sie stillgelegt oder eröffnet werden. Und das verändert uns auf tiefgreifende Weise. Unsere Persönlichkeit ändert sich; wir können offener sein oder verschlossener; depressiver oder ängstlicher - abhängig davon, welche Gene was machen.

 

Also haben wir jetzt diese Markierungen, die ein kommendes Leben vorhersagen und wie es gelebt wird. Wie ändern wir das alles? Wir müssen jene frühen wortlosen Erfahrungen wieder aufsuchen, zurückgehen und sie ungeschehen machen. Verändere die Geschichte und ihre chemischen Spuren. Wir müssen den Schaden ungeschehen machen, und das bedeutet in meinem Modell langsame Entmethylierung. Nur jeweils ein Erlebnis; oder ein Erlebnis mehrmals und oftmals. Wir müssen herausfinden, wie das System umgeleitet worden ist und es wortwörtlich in die Spur zurückbringen. Das geschah, weil der Schmerz sich selbst installierte und Veränderung erzwang. Und  diese kann gemessen werden; das Ausmaß der Methylierung lässt sich messen und ändern. Das ist ein bedeutungsvoller Prozess. Er informiert uns, wie Neurose sich ändert. In gewisser Hinsicht kann das Methylierungsniveau ein Kennzeichen sein, ob wir von Beginn an geliebt worden sind oder nicht geliebt worden sind. Wir könnten mehr sagen als die Behauptungen der Person, sie sei in der Kindheit geliebt worden, obgleich sie tatsächlich nicht geliebt worden war. Wieviel Verleugnung gibt es? Wir sehen, wie "unter-fundiert" das Konzept der kognitiven Therapie ist, wenn sie sich hauptsächlich mit Worten und Gedanken befasst; etwas, das zur Zeit der Schlüssel-Einprägungen/Prägungen nicht existierte.

 

Neurochemie ist vielleicht ein verlässlicherer Indikator, weil sie keinen Grund zu lügen hat oder eher keine Möglichkeit zu lügen. Sie kann ein Kennzeichen sein für posttraumatischen Stress oder dafür, wieviel Verdrängung bei ADS existiert oder wieviel Schmerz/Verdrängung es bei der Alzheimer Krankheit gibt. Wir haben in dieser Hinsicht bereits einige Informationen, weil Autopsien an Depressiven/Selbstmördern ergeben haben, dass sie im Hippocampus-Areal (Fühlen/Erinnerung) schwer methylisiert waren. In diesen Fällen wurde umso mehr Methylierung produziert je schwerer die Misshandlung war, welche die Personen als Kinder erlitten hatten. Wenn wir das zu unserer zukünftigen Forschung über Telomere und Kortisol hinzufügen, werden wir allmählich präzise Messwerte des Schmerzes in uns bekommen. Und wir werden wissen, wann eine Droge für uns zu gefährlich ist, vor allem die Drogen wie Marihuana, die dazu neigen uns zu öffnen, uns offen zu machen für unsere Gefühle und unseren Schmerz. Schließlich werden wir ein Kennzeichen haben für die Wirksamkeit bestimmter Psychotherapien. Macht die Therapie die Vergangenheit ungeschehen? Trägt sie dazu bei, Verdrängung und somit Depression zu reduzieren? Gibt es bei Angstzuständen großen Schmerz der ersten Ebene? Ich kann das bereits bejahen, nachdem ich viele unter Angst leidende Menschen behandelt habe.

 

Der beste Weg, um die Einprägung umzukehren, ist der langsame methodische Therapieprozess, bei dem man die geringsten Schmerzen zuerst integriert und schließlich zu den großen frühen Traumen hinabsteigt und dann die Resultate misst. Anders gesagt müssen wir der Natur und all ihren Prozessen vertrauen; chemische Aufhebung allein ohne Berücksichtigung des neurobiologischen Gesamtzustands ist viel zu allgemein und unspezifisch. Das ist wie eine Schrotflinte, wenn wir ein Gewehr mit Zielfernrohr brauchen. Mir scheint, dass der natürliche Weg weit weniger Möglichkeit für Kollateralschaden am System bietet. Wir brauchen die Natur als Bezugspunkt. Wenn wir die Natur hinter uns lassen, dann müssen wir uns auf Statistiken beziehen; nie so gut wie die Natur selbst.

 

Die Gehirn-Hemisphären

 

Eine natürliche Heilung muss mit unserem Wissen über die Gehirnstruktur übereinstimmen. Zuerst einmal wissen wir, dass das Gehirn zwei Seiten hat, eine mehr fühlende und eine (linke Seite) mehr denkende, grosso modo. Wir wissen auch, dass sich die rechte Seite früher entwickelt als die linke und somit viel frühes Trauma absorbiert, lange bevor wir es verstehen und benennen können. Wir werden von diesen Einprägungen der rechten Seite gesteuert, so dass wir vom Zeitpunkt der Geburt an allergisch, nervös und ruhelos sind, zu Koliken und schlechter Laune neigen, und so fort. Also werden wir zum Arzt gebracht, der verblüfft ist. Wir wissen definitiv, dass das rechte Gehirn aktiv ist, wenn wir alte Erinnerungen wiederfinden und wenn wir diese Erinnerungen wiedererleben, und es ist nur über dieses Gehirn möglich, zu diesen Erinnerungen zu gelangen, zu sehr frühen Erinnerungen, die auf der rechten Seite registriert worden waren. Wenn wir andererseits - egal, wie tief wir graben - diese Erinnerungen unangetastet lassen, werden sie uns weiterhin antreiben. (19) Aber letztendlich werden wir uns mit der Hilfe des tief-rechten orbitofrontalen Gehirns nach unten graben müssen, das wie ein Schwimmbagger funktioniert, der Instinkt-/Gefühls-Erinnerungen nach vorne und oben bringt. Und wir müssen das nicht einmal machen; das Gehirn selbst wird, wenn man ihm die Chance gibt, seine angemessene Funktion ausführen. Und wenn wir keinen Zwang ausüben, findet das Gehirn dafür den richtigen Zeitpunkt und verarbeitet nichts vorzeitig. Wir müssen sehr darauf achten, dass wir Traumen nicht zu früh ans Licht holen. Wir bekommen andernfalls vielleicht überflutete und überwältigte anstatt verknüpfte Patienten.

 

Um die Erinnerung wiederzugewinnen, müssen wir eine Zeit lang auf der Ebene ihrer Existenz "leben," das rechte Gehirn nutzen, um sie ins volle Bewusstsein zu heben, und Stück für Stück Teile der Erinnerung in das Gehirn und das Gesamtsystem integrieren. So müssen wir die Erinnerung entmethylieren. Solange wir das nicht tun, kann es bei niemanden tiefgreifende Änderungen geben - ungeachtet aller Behauptungen des Gegenteils. Keine Meditation, keine kognitive Therapie, keine Achtsamkeitstherapie noch Hunderte anderer Unsinns-Methoden, welche die Neurobiologie ignorieren. Niemand kann wirkliche Veränderung bewirken, wenn zwei Drittel unseres Gehirns nicht anerkannt werden. Wir haben den Schwanz und die Füße, aber wir wissen noch immer nicht, was es ist. Wie können wir es dann behandeln?

 

(19) See all of Wilder Penfield.

 

Wie früh ist zu früh?

 

In Wissenschaftskreisen lautete die Frage immer: "Wie früh ist zu früh?" Und hier ist die Epigenetik für unsere Diskussion von Bedeutung. Eine von Matthew Amway geleitete Gruppe an der Washington State University fand heraus, dass bei Tieren Erlebnisse im Mutterleib, welche die genetische Entfaltung beeinflussen, Auswirkungen auf drei Generationen haben können. Sie fanden heraus, dass schadhaftes Sperma während der Schwangerschaft bei erwachsenen Ratten viele Krankheiten -einschließlich Krebs- verursachen konnte. Weibliche Tiere vermieden, sich mit anderen Ratten zu paaren, die während der Trächtigkeit ebenfalls dem schadhaften Sperma ausgesetzt waren. Und das ging so weiter, nicht nur im Leben der erwachsenen Tiere sondern auch im Leben ihres Nachwuchses. Es scheint, dass das System weiß, wie es sich unter Vorgabe gewisser biologischer Fehler zu verhalten hat, und es tut dies entsprechend dem, was für die Vererbung am besten ist, was die beste Erfolgschance fürs Leben bietet. Wenn wir also einige Wesenszüge bei Erwachsenen nicht mit Vererbung erklären können, müssen wir mehrere Generationen zurückgehen, um die Antwort zu finden, nach der wir suchen. Das gibt uns eine neue Perspektive auf sogenannte psychische Probleme bei Erwachsenen. Wenn wir mit zukünftigen Patienten ein Aufnahme-Interview machen, muss es so gründlich  sein, dass es auch das pränatale Leben des Patienten einschließt und ebenso das der Eltern und manchmal auch das der Großeltern.

 

Ohne klinische Analyse können wir nur raten, welche Traumen im Leben einer schwangeren Mutter vielleicht stattgefunden haben und welche Anpassungen ihre Auswirkungen fortführend auch auf die Kinder und Enkelkinder haben. Natürlich ist es nicht einfach so, dass eine Mutter ein Trauma erlitt, sondern so, dass das Trauma ihre Grundphysiologie änderte und lebenslange Veränderungen in ihr selbst und in ihrem Nachwuchs erzeugte. Ereignete sich die Schwangerschaft in Kriegszeiten? War die Großmutter des Kindes depressiv? War sie in ihrer Schwangerschaft schwere Raucherin oder Trinkerin? Alle diese Fragen sollten wir stellen. Und in Wahrheit müssen wir unterscheiden zwischen Vererbung und epigenetischer "Vererbung", wenn wir je Krankheit rückgängig machen wollen. Wenn zum Beispiel auf bestimmten Angst regulierenden Zellen eine Markierung angebracht wurde, sind wir vielleicht so lange gestresst, bis diese Markierung wieder aufgesucht und wiedererlebt wird. Wie ich angemerkt habe, kann der Methylierungsprozess auch chemisch, zum Beispiel durch Entmethylierungs-Agenten, umgekehrt werden. Das macht uns glauben, dass bestimmte durch Drogen veränderte Gehirnregionen dieselben Areale sind, die vielleicht durch das Wiedererleben von intrauterinen Ereignissen beeinflusst werden.

 

Äußerst wichtig ist, dass Stress in der Mutter das Verdrängungssystem des Fötus beeinträchtigt, so dass es später schwierig wird, aufwallende Gefühle abzuschwächen. Einprägungen auf der unteren Ebene aus der Zeit im Mutterleib brechen durch die Verdängungsbarriere, überlasten das System und resultieren, da ein zusammenhängender Kortex fehlt, in Konzentrations- und Lernschwierigkeiten. Der präfrontale Kortex wird überwältigt, weil er dazu gezwungen wird, schmerzvollen Gefühlen entgegenzuwirken und sie zu unterdrücken.

 

Warum sind diese frühen Prägungen/Einprägungen so entscheidend? Weil nahezu jede bedeutende Widrigkeit im Mutterleib lebensgefährlich sein kann: Sauerstoffmangel, unangemessene Ernährung, zu viel Agitation, Überflutung durch Drogen oder Alkohol, etc. . All das beeinträchtigt lebenswichtige Organe und verändert dementsprechend das System des Babys. Niemals weglassen werde ich das Rauchen, das für den Reifeprozess des Babys tödlich ist. Stellen Sie sich vor, im Mutterleib zu sein, während eine Mutter alle Arten von Toxinen zu sich nimmt, Stunde um Stunde, Tag um Tag. Wer kann das überleben?

 

Persönlichkeitsentwicklung hat einen Anfang und wir dürfen sie nicht sofort der Genetik zuschreiben. Epigenetik ist möglicherweise wichtiger. Lebensumstände wickeln sich um die Gene und ändern, wer wir sind und was wir sein werden. Es sind diese Tage im Mutterleib, die den Schmelztiegel für den Persönlichkeitstyp formen; sie alle passen sich Lebensumständen an. Sie drehen sich um die Einprägung; und wenn wir Patienten tief nach unten bringen, finden wir den kleinen Klumpen, die Schlüssel-Prägungen, die alle diese Anpassungen erzwungen haben. Und wenn diese frühen Prägungen wiedererlebt werden und alle Vitalwerte gemeinsam absinken, wissen wir, dass wir auf Gold gestoßen sind. Wir haben das Nirwana gefunden, den Schmerzkern. Denken Sie daran, im reinen Nirwana-Zustand gibt es kein Leiden.

 

Die Ursache einiger Krebs-Arten: Nicht was Sie denken

 

In unserer Theorie geht es nicht um etwas "Nettes oder Interessantes oder Amüsantes:" Sie ist lebensrettend. Sie bedeutet, dass schwere psychische Krankheit umgekehrt wird. Wir sehen das die ganze Zeit. Viele von uns denken, dass gute Ernährung das Leben verlängern wird, und es stimmt. Aber wenige sind sich bewusst, dass uns Verdrängung krank macht und uns vorzeitig töten kann. Verdrängung tötet, weil sie die Grund-Physiologie verzerrt und die Gehirnentwicklung umleitet. Und Verdrängung erzwingt die Art ungesunder Ess-Gewohnheiten, die uns frühzeitig krank macht. Verdrängung tötet, weil sie uns unbewusst zwingt, dass wir uns jede Minute unseres Lebens mit eingeprägtem Schmerz befassen. Sie zwingt uns, Wege zu finden, um Gefühle auszuagieren oder sie zu unterdrücken. Das Wunder ist, wie wir es alle schaffen, tiefen Schmerz unter Verschluss zu halten, ohne ihn jemals zu erkennen.  Der Körper jedoch tut das und wird krank. Und der Schmerz macht uns auf tiefer Zellebene krank, die Ebene, auf der die frühen Einprägungen liegen. Der ganze Druck, um Schmerz unter Verschluss zu halten, gefährdet die Zellentwicklung; schließlich finden wir schwere Krankheit, die kein Geheimnis sein sollte sondern eine ausgemachte Sache.

 

Betrachten Sie die Forschung über Zwillinge, die von Wissenschaftlern des Londoner Instituts für Krebsforschung durchgeführt wurde; sie fanden heraus, dass die Ursachen von Leukämie pränatal sind (Ma et al., 2013). Die Forscher dort tauchten tiefer in den Krankheitsprozess ein, indem sie sich Fälle ansahen, wo beide Zwillinge akute lymphoblastische Leukämie etwickelt hatten, einen Krebs der weißen Blutzellen. Sie studierten die von beiden Eltern vererbte DNA und führten eine vollständige Genom-Untersuchung an ihren Versuchspersonen durch. Sie fanden heraus, dass die Zeit im Mutterleib schuld an der Entwicklung der Krankheit war. Sie glauben, dass die dafür verantwortlichen Mutationen aus dem Mutterleib kommen. Andere Mutationen sind vielleicht nach der Geburt gekommen. Die Ergebnisse veranlassten eine andere britische Biologin, Dr. Julie Sharp vom Cancer Research UK, vorzuschlagen, dass weitere Forschung zu besserer Krebsbehandlung führen könnte. Zitiert von den BBC News sagte Sharp: "Studien wie diese könnten neue Wege aufdecken, um die eigentlichen Wurzeln von Krebs anzuvisieren und uns zu einem besseren Verständnis verhelfen, wie sich die Krankheit mit der Zeit entwickelt. Die Überlebensraten sind in den vergangenen Jahrzehnten signifikant gestiegen, dank der Forschung, aber man muss noch mehr tun, um die die Behandlungen mit weniger Nebenwirkungen besser zu machen." (20)

 

Jetzt muss ich die Frage stellen: Wie wäre es herauszufinden, was im Mutterleib geschah, das diese Mutationen erwungen hat? Es scheint, dass man das als "Mission Impossible" nicht beachtet. Aber das ist sie nicht; wir können ziemlich genau herausfinden, was im Mutterleib geschah, das Mutationen hervorrief. Die Forscher zielen darauf ab, diese Mutationen zu ändern, indem sie die Mutationen an sich untersuchen. Aber die Basis von all dem ist, dass etwas im Mutterleib schiefläuft, währen die Mutter schwanger ist. Es können äußere Kräfte sein wie Krieg oder persönlichere Ereignisse wie ein Ehemann, der von Zuhause auszieht und eine chronisch ängtliche oder deprimierte Mutter zurücklässt. Die Umsetzungen sind vielfältig, aber das Ergebnis ist eine Prägung/Einprägung, die Abweichungen und Verästelungen vieler Funktionen verursachen kann, von den Gehirn-Schaltkreisen bis zu lebenswichtigen Organen.

 

Ich stelle die Hypothese auf, dass Primärtherapie zur Verhinderung von Krebs beitragen kann, wenn wir die Zeit haben, tief genug zu gehen.Ich behaupte das nicht in jedem Fall, aber wir haben wenig Krebs unter unseren Patienten und wir glauben, dass Primärtherapie ein Faktor sein kann. Kurz gesagt glaube ich, dass Krebs seine Ursachen tief im  Gehirn hat, oftmals im Mutterleib, und genau das behandeln wir. Wir behandeln nicht dieses oder jenes Stückchen; wir behandeln den zentralen Organisationsfaktor des Gesamtsystems.

 

20: Scientists track leukaemia's origins 'back to the womb' (2013, April 9). Retrieved from http://www.bbc.co.uk/news/health-31622341

 

Vor Jahren unternahmen wir eine Forschung, die zeigte, dass unsere Patienten nach einem Jahr Primärtherapie erhöhte Produktion von natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) aufwiesen. Diese Immunzellen halten Ausschau nach sich entwickelnden Krebszellen, attackieren sie dann und fressen sie. Ich nehme an, dass das bessere Krebskontrolle bei unseren Patienten bedeutet. Aber warum sollte das Wiedererleben dieser frühen Prägungen die Produktion von NK-Zellen erhöhen?

 

Hier muss ich eine These aufstellen: Wenn wir Traumen während der Zeit im Mutterleib haben, kommt es zu einer Deregulierung vieler biochemischer Substanzen, Hormone und Neurotransmitter. Kurz gesagt ändert sich das ganze System, um den Input auszugleichen, und das bedeutet Veränderung der Sollwerte. Woher wissen wir das? Weil wir in allen unseren Studien herausgefunden haben, dass sich die Sollwerte nach der Therapie zu ändern und zu "normalisieren" scheinen. So scheinen zum Beispiel NK-Zellen ihren Sollwert zu verändern und nach einem Jahr unserer Therapie zu Normalwerten zurückzukehren, genauso wie der Spiegel des Stresshormons Kortisol.

 

Es existieren viele Studien, die elterliche Misshandlung mit späterem Krebs korrelieren. Eine Stuide von der Purdue Universität fand, dass Erwachsene, die als Kinder emotional und körperlich misshandelt wurden, als Erwachsene eine viel größere Krebs-Wahrscheinlichkeit hatten (Morton, Schafer & Ferraro, 2012). Je intensiver die Misshandlung, umso wahrscheinlicher der Krebs. Stellen Sie sich jetzt vor, dass wir eine der größten aller Risiken aus dem Mix herausgelassen haben: ständige Misshandlung im Mutterleib - eine Mutter unter Drogen oder mit Depression, eine, die chronisch ängstlich, angespannt und wütend ist. Fügen Sie das zu allem hinzu und Sie haben eine der großen Ursachen von späterem Krebs.

 

Wenn wir also zu diesen generierenden Quellen zurückgehen, zu diesen frühen Einprägungen, scheint sich das System zurück zu regulieren zu dem, was es hätte sein sollen, bevor das Trauma eindrang. Unsere Therapie scheint den Input "auszulöschen" und den Zellen Normalisierung zu ermöglichen. Es ist, als ob das Trauma nie geschah; deshalb behaupte ich, dass wir zurückgehen können und unser frühes Leben ungeschehen und neu machen können. Der Mechanismus dafür kann durchaus das Muster der Methylierung sein, die das das Trauma "versiegelt", - Krebs ist charakterisiert durch "Methylierungs-Ungleichgewicht" (Baylln, Herman, Graff, Vertino & Issa, 1997) Zum Beispiel werden Depressive, die tiefe und entfernte Einprägungen wiedererleben, herausfinden, dass ihre Körpernormaltemperatur von 96 auf 98 Grad (Fahrenheit) ansteigt. Sie normalisieren sich, was bedeutet, dass sie nicht von 96 auf 101 gehen; das ist abnormal. Das Körpersystem such sich seine eigenen Grenzen. Hier sehen wir wieder, dass keine Notwendigkeit besteht, an der Körpertemperatur als solcher zu arbeiten. Wir arbeiten an zentralen Faktoren und das System passt sich ganz von sich aus an. Es gibt ebenso andere Faktoren, denen Biochemiker und andere Spezialisten jeden Tag aufs Neue auf die Spur kommen. Wir überlassen das diesen Experten. Aber es scheint, als würden wir diese frühen Änderungen umkehren, die eine Abweichung biochemischer Sollwerte verursachten. Zusammen damit erfolgte ebenso eine Umleitung von Gehirn-Schaltkreisen. Das neurotische System änderte sich.

 

Was also geschieht, wenn die Zahl der NK-Zellen ansteigt? Wir haben eine stärkere Armee, um Krebs zu bekämpfen, eine Armee, die durch Traumen geschwächt wurde, die während unserer Zeit im Mutterleib (und möglicherweise während des Geburtsprozesses) geschwächt wurde. Das System hat jetzt eine normale Menge zur Verfügung und kann größere Kräfte anhäufen, um Zellanomalie zu bekämpfen. Die Zellen scheinen zu wissen, wenn etwas fehlerhaft ist und eilen herbei, um es zu korrigieren, auf dieselbe Weise, wie Reparaturzellen herbeieilen, um den Blutfluss einzudämmen und bei der Heilung zu helfen, wenn wir uns schneiden. Wir sind ein sich natürlich heilendes System, wenn man ihm die Gelegenheit gibt; und das Wundervolle ist, dass wir in unserem Leben immer die Chance haben, zurückzugehen und das System neu zu stabilisieren. Aus diesem Grund kommt es zu einer Steigerung der Krebsbekämpfungsfähigkeit, wenn NK-Zellen aus Tumorzellen extrahiert, bearbeitet und wieder in das System eingeführt werden.

 

Hier ist die gute Nachricht: Wenn die NK-Armee gestärkt wird, gibt es weniger Krebs, und auch wenn es metastasierte Zellen gibt, können die NK-Zellen jede Erscheinung abnormaler Zellen bekämpfen, ganz gleich, wo sie sind, und sie zum Stillstand bringen. Das ist nicht wie Chemotherapie, ein Gift, das die bösartigen Zellen und zugleich auch gesunde Zellen zerstört. Hier geht es darum, die Gesundheit der Zellen zu steigern, um die Eindringlinge zu bekämpfen: ein viel gesünderer Weg; Mit anderen Worten hat das System jetzt eine normale Menge NK-Zellen, die sie von Anfang an hätte haben sollen, aber nicht hatte. Und dasselbe Trauma, das vielleicht die Sollwerte von NK-Zellen gesenkt hat, könnte auch die Wahrscheinlichkeit von Krebs erhöht haben. Was durchaus geschehen kann, sind epigenetische Veränderungen, welche die Tumor-Unterdrückungs-Gene beeinträchtigen und das System für späteren Krebs öffnen. Das Problem ist, dass die Distanz zwischen dem frühen Trauma und dem Erscheinen von Krebs mit 40 so weit ist, dass  die Ursache unbegreiflich bleibt. Erst wenn wir Patienten ermöglichen zurückzugehen und frühes Trauma wiederzuerleben, sehen wir die Verknüpfung. Gegenwärtig muss das noch eine Vermutung bleiben. Aber was wir tatsächlich sehen, ist, wie völlig systemisch die Auswirkungen von frühem eingeprägten Schmerz sind; wenn Terror und Schmerzen wiedererlebt werden, sind die Heilwirkungen weitgestreut.

 

Schlussfolgerung 

 

Wie könnten wir ohne eine Theorie des Schmerzes je Krebs, Herzkrankheit, Migränen und hohem Blutdruck auf den Grund kommen? Wenn wir keine Theorie vom Hirnstamm-Trauma haben, werden wir es nie verstehen. Und wenn wir keine solche Theorie haben, dann sind wir nicht auf Gleichstand mit psychologischem Wissen/Gehirnwissen.

 

Ich glaube, dass wir in unserer Therapie einiges umkehren können, aber ich glaube auch, dass es für uns umso schwieriger wird, die Prägung/Einprägung umzukehren, je früher und stärker sie ist. Wenn Zellen einmal ihre Prägung annehmen, lassen sie sich oft nicht bereitwillig ändern; ihre Identität bleibt unerschütterlich. Der Grund ist, dass die Einprägung felsenfest ist und selbst in mikroskopisch kleine Zellen eingraviert wird, die ihre Identität nicht leicht ablegen. Die Evolution der Gene ist umgeleitet worden. Epigenetik regiert. Das ist entscheidend; Erfahrung kann es nicht ändern. Deshalb können wir Neurose nicht weglieben oder ermahnen sich zu ändern, noch bewirkt flehen und bitten etwas "Gesundes." Es gibt keinen Ausweg aus der biologischen Tatsache der kritischen Periode, der Zeit und des Raums, wo man Liebe bekommen muss, oder es wird für immer zu einer Einprägung. 

 

Ich habe über die Unumkehrbarkeit von frühem Trauma, Schwangerschaft und Geburt geschrieben. Das schlimmste Szenario ist eine traumatische Geburt, der später eine lieblose Kindheit folgt. Diese Anhäufung kann das Verderben eines Menschen sein. Sie löst unüberwindliche emotionale Probleme aus, die geschädigte Individuen erzeugen. Aber nachdem das gesagt ist, gibt es etwas Hoffnung. Ein bestimmtes Maß an Trauma, das in utero oder bei der Geburt geschah, kann durch mildernde Faktoren gebessert werden, nämlich durch viel frühe Liebe. Sie löscht diese traumatischen Einprägungen nie aus, aber sie hält sie in Schach. Ich glaube, dass eine teilweise gute Kindheit die Auswirkungen von frühem Schmerz der ersten Ebene blockieren kann. Ein Nierenschaden während der Schwangerschaft wird durch spätere Liebe nicht rückgängig gemacht, aber er blüht vielleicht nicht zu schweren Symptomen auf. Sehr frühe Traumen werden nie durch spätere Liebe geändert oder abgeschwächt, nie durch Umarmungen und Küsse gemildert, aber sie haben nicht die Reichweite, nicht den Zugang zu höheren Ebenen, den sie ohne all diese Kindheitsliebe hätten. Liebe während oder nahe der Prägungszeit des sensorischen Fensters (wenn Bedürfnisse dringlich sind) kann Schmerz lindern. Nach einer schrecklichen Geburt können zum Beispiel viele Umarmungen und Küsse den Schaden minimieren. Dieselben Umarmungen sechs Jahre später werden nicht diese Wirkung haben. Deshalb wird ein Vater, der das Haus über Jahre verlässt und zurückkommt, weil er Akzeptanz braucht, diese nicht bekommen. Der Schmerz ist im Kind installiert und arbeitet in ihm. Das Kind will lieben, aber der Schmerz blockiert es.

 

Wie wir gesehen haben, hinterlässt eine nervöse Mutter im Nachwuchs eine Prädisposition für Angst, genau wie eine deprimierte Mutter eine Basis für Depression in ihrem Baby hinterlässt. Ob sie offensichtlich wird, hängt von diesen späteren Ereignissen und Traumen ab. Ich persönlich glaube, dass viel Liebe und gesunde Lebensweise beim ganz kleinen Kind diese schädlichen Auswirkungen abschwächen kann. Tatsächlich kamen frühgeborene Babys, die viel gestreichelt und liebkost wurden, früher nach Hause als Babys, die nicht so viel Körperkontakt bekamen. Diese frühen Küsse zählen viel und helfen die Persönlichkeit zu formen, ein liebevoller und warmer Mensch versus einem distanzierten. Das trifft besonders auf die Babys zu, die aus Institutionen adoptiert wurden. Sie haben von früh an ein großes Bedürfnis nach Liebe und Bestätigung. Wenn sie sie nicht bekommen, kann es irreversibel sein; das heißt, es kann ein Punkt kommen, wo Liebe keinen großen Unterschied mehr machen kann. Der Schaden ist angerichtet und ziemlich gut fixiert. Das ist die Forschung, mit der wir in naher Zukunft beginnen werden. Gibt es einen Zeitpunkt, ab dem Liebe früheren Schaden nicht mehr umkehren kann?

 

Wann ist dieser Zeitpunkt?

 

Wir können die Persönlichkeit nicht ändern, solange die Prägung bleibt und uns lenkt; und das bisschen Liebe, das wir später bekommen, ist vielleicht nicht genug, um uns eine Richtungsänderung zu ermöglichen. Und darüber hinaus kann das Abschalten, das mit dem Schwangerschafts-/Geburtstrauma einhergeht, so gründlich sein, dass wir hilflos davorstehen. Wir können Liebe nicht mehr hereinlassen; zuerst müssen wir qualvoll fühlen, dass wir von unseren Eltern nicht geliebt worden sind. Wir können uns nicht absichtlich öffnen, weil wir dann offen sind für großen Schmerz. Zuerst muss der Schmerz aus dem Weg geräumt werden.

 

Warum müssen wir uns zuerst ungeliebt fühlen? Weil es eine Erinnerung ist, die dank dem Methylierungsprozess versiegelt und eingraviert wird. Auch diese Chemikalie sorgt dafür, dass die Erfahrung in unserer Erinnerungsbank weiterlebt. Sobald wir uns mit der eingeprägten Erinnerung befassen und dazu beitragen, den Methylierungsprozess rückgängig zu machen, öffnet sich das System ganz von allein. Wir müssen Verdrängung rückgängig machen, damit wir wieder fühlen können. Wenn wir uns ungeliebt "fühlen," beginnen wir erneut zu fühlen. Wenn wir uns zu Beginn jedem Gefühl öffnen, werden wir von Schmerzen überwältigt. Wenn wir mit der Zeit langsam Zugang erlangen zu geringeren Verletzungen, werden wir nicht überwältigt. Dann sind wir auf dem Weg zu vollem Fühlen.

 

Ein Artikel im Journal of Epidemiology and Community Health wirft Licht auf dieses Problem, indem er die Qualität der Interaktionen zwischen Müttern und ihren Kindern analysiert. Forscher von der Duke, Brown und Harvard Universität führten eine Langzeitstudie mit 482 Erwachsenen durch, indem sie Daten aus dem National Collaborative Perinatal Project (NCPP) nutzten, eine auf Rhode Island und New Jersey bezogene Kohortenstudie schwangerer Frauen und ihrer Kinder (Maselko, 2010). Die Forscher beobachteten die Interaktionen zwischen Mutter und Kind im Alter von acht Monaten. Dieser Mutter-Kind-Austausch wurde dann als hochgradig oder wenig liebevolle Interaktion klassifiziert. Jahrzehnte später wurden die Kinder als Erwachsene wieder untersucht. Die Mütter, die als am liebevollsten beurteilt wurden, brachten Nachwuchs hervor, der wenig Angst, Feindseligkeit und wenig allgemeinen Dysstress zeigte. Der Unterschied auf der Angst-Skala zwischen geliebten und ungeliebten Kindern betrug mehr als sieben Punkte, und es gab einen drei-Punkte-Unterschied bei der Feindseligkeits-Bewertung. Ungeliebte Nachkommen sind feindseliger. Kurz gesagt sind die Dysstress-Werte um so niedriger, je größer die Wärme der Mutter ist.

 

Sagt uns das nicht eine Menge? Und es bedeutet, dass frühe Liebe so, so wichtig ist. Ohne sie haben wir eine beschädigte Seele, eine Person, die mit höherer Wahrscheinlichkeit krank wird und geringe soziale Kompetenz aufweist. Dieser Liebesmangel macht uns  unfähig, Jahrzehnte später mit anderen Erwachsenen liebevoll zu interagieren. Zuneigung ist alles, auch wenn wir Schmerz der ersten Ebene hatten. Sie können als Eltern nicht sagen: "Meine Kionder wissen, dass ich sie liebe. Ich kann es nur nicht zeigen." Bedaure, das ist nicht gut genug. Es ist, als würde man sagen: "Ich weiß, mein Kind ist hungrig, aber ich kann es nicht füttern." Es gibt dieses Bedürfnis nach Wärme, das man nicht abschaffen kann. Liebe ist Liebe und es gibt da keinen Kompromiss. Entweder man liebt oder man liebt nicht, und es wird sich Jahrzehnte später in den Gefühlen und im Verhalten der Person zeigen. Wir können eine geliebte Person "riechen;" sie strömen sie aus mit jeder Pore, mit jedem Wort und mit jeder Bewegung.

 

Ich habe über Jahrzehnte die Bedeutung früher Liebe betont für die Verhinderung von Leid, das wir bei so vielen unserer Patienten sehen, die sie nicht bekommen haben. Jetzt hat die Wissenschaft die Mittel gefunden, um diesen Standpunkt zu beweisen. Die Autoren der Mütter-Studie kamen zu folgendem Schluss: "Es ist auffällig, dass eine kurze Beobachtung des Niveaus mütterlicher Wärme in der frühen Kindheit mit Dysstress bei erwachsenen Nachkommen 30 Jahre später assoziiert ist." (Joanna Maselko, PhD, Assistenz-Professorin im Institut für Psychiatrie und Verhaltenswissenschaften an der Duke Universität). "Diese provozierenden Ergebnisse tragen zu den wachsenden Beweisen bei, dass die frühe Kindheit den Weg zu bereiten hilft für spätere Lebenserfahrungen, und unterstützen die Auffassung, dass früh verankerte biologische 'Erinnerungen' psychische und physiologische Systeme ändern können und später im Erwachsenenalter auftauchende latente Anfälligkeiten oder Problem-Resilienz hervorbringen können." (21)

 

Epigentik hat ganz mit Erfahrung zu tun, mit Umwelt über Anlage. Und in einem dialektischen Prozess kann die Umwelt zur Anlage werden; das heißt, das System behandelt den Eindringling der Erfahrung als genetisch und vererblich. Und wir verwechseln die zwei beim Versuch, das zu verstehen. In der Primärtherapie sind wir die Händler in Sachen Erfahrung/Erlebnis, weil wir gesehen haben, was Erfahrung mit uns macht, vor allem sehr frühe präverbale Erfahrung. Wenn man ein einziges Primal sieht, weiß man für alle Zeiten, wie entscheidend Erfahrung im Schema der Dinge ist. Selten ist die Ursache eine Gehirnkrankheit. Das ist eine Antwort, die sich Leute ausdenken, die an Neuronen und Synapsen herumfummeln und nicht sehen, dass das Gehirn auf Erfahrung reagiert. Wenn wir Erfahrung weglassen, sind wir dessen beraubt, was uns Antworten geben könnte. Wir sehen nur das Endergebnis und übersehen die Hälfte des Puzzles. Es ist, als würde man Diabetes betrachten und nie wissen, was die Leute essen. Wenn wir die ersten drei Jahre im Waisenhaus auslassen, können Sie sich dann ausmalen, dass wir nie wissen, was los ist? Zu denken, es sei eine Gehirnkrankheit, ist das Ergebnis einer weiteren ernsten Krankheit: Solipsismus.

 

Und das Problem existiert auch nicht "nur in deinem Kopf," in deiner Einbildung, wie Mindfulness und andere kognitive Therapien uns nahelegen. Wahre Heilung kann nie geschehen mit einer kognitiven Therapie, die nie tief liegende Einprägungen berührt, die das System abweichen ließen und abweichen lassen. Intellektuelle Therapien operieren nie auf den Ebenen, die Abweichungen in Gang setzen. Sie befassen sich mit den Derivaten, mit den Ausdünstungen der frühen Prägungen/Einprägungen wie z.B. Abweichungen in der Wahrnehmung, im Gedankenmuster oder beim Lernen. Das alles zu behandeln bewirkt nie eine tiefgreifende Änderung. Und wer leidet? Der Patient.

 

Aber geht es nicht darum in der modernen Medizin - um die Behandlung von Symptomen? Den Blutdruck senken, Medikamente gegen Allergie verschreiben, Verhalten neu strukturieren. Man nennt es "whack-a-mole." Jedes Mal, wenn sich ein Symptom zeigt, mach' es einfach platt. Und frag' nicht, woher das alles kam? Die Erfahrung sitzt auf den hinteren Rängen, wenn wir in die Tiefen und Details des Gehirn hineinschlittern und nach Antworten suchen, die dort nicht existieren und nie existieren werden.

 

Ich mache einen ziemlich unbescheidenen Vorschlag. In unserer kommenden Gehirnforschung hoffen wir den Prozess der Entmethylierung messen zu können, so dass wir ein quantitatives Maß des Fortschritts und der Verdrängungs-Abschwächung haben. Kurz gesagt werden wir Schmerz messen, und wie er gespeichert wird und wo. Auf diese Weise ist es vielleicht möglich, die treibende Kraft abweichenden Verhaltens und sich manifestierender Symptome rückgängig zu machen. Das heißt, dass wir darauf hoffen, die Primärspuren auf den Genen zu reduzieren, die unser Verhalten die meiste Zeit unseres Lebens gesteuert haben. Um die Unbescheidenheit noch zu vergrößern: Das bedeutet, dass wir die Geschichte umkehren und Einprägungen/Prägungen rückgängig machen, die unser Leben so eingeschränkt haben und unsere Verhaltensoptionen reduziert haben, und es bedeutet, körperliche Leiden zu reduzieren.

 

Wenn unsere Hypothesen unsere Erwartungen untermauern, wird dies, so glaube ich, das Gesicht der Psychotherapie, wie wir sie kennen, verändern. Wir werden die Antwort der Wissenschaft überlassen. Aber ich muss hinzufügen, dass wir in Ergänzung der Wissenschaft nahezu fünfzig Jahre lang genau das getan haben, nämlich die Einprägung umzukehren bei Tausenden von Patienten mit hochsignifikanten Ergebnissen. Auch das ist angewandte Wissenschaft. Wir wenden unsere Theorie auf die Behandlung von Patienten an, so dass wir schließlich das Reich der Theorie verlassen und die Ergebnisse im Fleisch und Blut unserer Leute sehen. Theorie wird greifbar im wortwörtlichen Sinn des Begriffs. Wir sehen es bei unseren Süchtigen, die Drogen weit hinter sich lassen, und wir messen diese "Heilung," durch die reduzierten Trauma-Spuren auf den Genen. Und natürlich sehen wir, dass sich ihr ganzes Leben nach der Therapie ändert. Sie denken nicht mehr an Drogen sondern treffen Entscheidungen im Leben, die nicht von Schmerz gesteuert werden sondern von Wahlfreiheit. Dann und nur dann können wir das Wort "Heilung" benutzen.

 

 

21: Brauser, D. (2010, July 28). High Levels of Early Maternal Affection May Lower Emotional Distress in Adult Offspring. Retrieved from http://www.medscape.com/viewarticle/725920 

 

 

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Übersetzung: Ferdinand Wagner

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