Artikel u. Buchausz.

BUCHAUSZUG

Artikel u. Buchausz.
  Original:    GRAND DELUSIONS                                                                                                                              

Buchübersetzungen

 
 

 

Dr. Arthur Janov

 

  GRAND DELUSIONS

GROSSE ILLUSIONEN

  Psychotherapien ohne Fühlen

 

Veröffentlicht im Juni 2005 auf primaltherapy.com

<<Vielleicht sieht es Skinner rückwärts: Gefühle sind nicht die Nebenprodukte von Verstärkern, sie bestimmen Verstärker. Dinge wirken verstärkend aufgrund der Art und Weise, wie wir sie empfinden. Dinge, die als Verstärker wirken, variieren von Kultur zu Kultur und von Jahrhundert zu Jahrhundert. Aber die Gefühle, die wir erleben und die etwas zu einem Verstärker machen, bleiben konstant. Gefühle sind der Pfad der Beständigkeit, auf dem die Evolution fortschreitet. Wenn es, wie Skinner glaubt, kein Bewusstsein als bestimmende Kraft gibt, keine Gefühle, die uns leiten, dann ist unsere ganze Menschlichkeit nichts wert, und wir sind  nur Roboter, die man konditionieren muss. Es sind unsere menschlichen Gefühle, die uns freundlich und großzügig machen, uns dazu bewegen, dass wir uns um unsere Artgenossen kümmern, dass wir bauen, planen und schaffen wollen, nicht einfach gewisse „positive Verstärker.“>>

Arthur Janov

 

Kapitel 10

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BEHAVIORISMUS

GEFÜHLE UNTERDRÜCKEN ANSTATT  HERVORHOLEN

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Geschichte und Begriffe

Behaviorismus (Verhaltenstheorie und –therapie) geht auf Ivan Pavlovs berühmte Entdeckung des „konditionierten Reflexes“ um die Jahrhundertwende zurück. Während er mit Hunden experimentierte, kombinierte Pavlov einen Glockenton mit dem Erscheinen von Nahrung. Schließlich sonderten die Hunde als Reaktion auf die Glocke Speichel ab, auch wenn keine Nahrung sie begleitete. Pavlov nannte diese Speichelreaktion nach dem Hören der Glocke „konditionierter Reflex“, und die Glocke war der „konditionierende Reiz“.

Pavlovs Begriffe bildeten die Basis dessen, was als klassischer S-R (Reiz-Reaktion)-Behaviorismus bekannt wurde, der mit den Schriften von John B. Watson 1913 in Amerika seinen Anfang nahm. Seit jener Zeit sind mehrere Variationen des Behaviorismus aufgetaucht. Jeder bedeutende Verhaltenstheoretiker hat seine eigene Reihe von Begriffen und besonderen Auffassungen, mit denen er seine Theorie von denen anderer Theoretiker unterscheidet. Während diese Unterschiede innerhalb des Fachgebiets wichtig sind, kann man sie folgerichtig zu Gunsten einer Zusammenfassung beiseite legen, die die allgemeine Philosophie oder das Grundgerüst des Behaviorismus als Ansicht des Menschen reflektiert.

Nach dem Behaviorismus lernen die Leute durch einen Prozess der Konditionierung und Assoziation, auf bestimmte Weise zu reagieren. Reaktionen, die positiv verstärkt (oder belohnt) werden, werden Teil unseres Verhaltens, während solche, die negativ verstärkt (oder bestraft) werden, immer weniger werden. So lernt das kleine Kind, dass Nahrung verfügbar wird, wenn es die Kühlschrank anfasst und daran zieht (ein positiver Verstärker), und so wird es ziemlich geschickt im Öffnen und Schließen von Kühlschranktüren. Gleichzeitig lernt es, dass das Anfassen des heißen Herdes in Schmerz resultiert (ein negativer Verstärker), und lässt deshalb bereitwillig von der Praktik,  heiße Herde zu berühren. Konditionierung oder Lernen ergibt sich aufgrund des intervenierenden Verstärkers. Was auch immer geschieht - Verstärkung ist der Kernbegriff.

Auch andere Faktoren als Verstärkung beteiligen sich an dem Lernprozess. Zeitliche Nähe – die eine Sache der anderen zeitlich folgen zu lassen – ist erforderlich, wenn wir den Verstärker mit dem Verhalten verbinden wollen. Wenn also ein Kleinkind lernen soll, eine spezielle Aufgabe auszuführen, muss man ihm gleich sagen, ob er oder sie es richtig macht oder nicht. Und wie alle Mütter wissen, muss man das Kind sofort dafür rügen, dass es mit dem Nachbarsjungen streitet – nicht drei Stunden später.

Nach Ansicht der Behavioristen bedeutete Pavlovs Demonstration des konditionierten Reflexes, dass nahezu alles auf unsere Grund-Reaktionen konditioniert werden konnte, solange es zur richtigen Zeit und im richtigen Maß geschah. Es bedeutete auch, dass der Mensch im Grunde eine Anhäufung oder ein Konglomerat all dieser Konditionierungs-Erfahrungen ist. Jerome Kagan fasst die Ansichten des bekannten Behavioristen B. F. Skinner zusammen:

 

"Was ist der Mensch?“ war für Philosophen und Psychologen immer eine vorrangige Frage….Für B. F. Skinner ist [der Mensch] ein Reservoir möglicher Handlungen, deren verwirklichtes Profil von der Geschichte verschiedener Ergebnisse genau kontrolliert wird, die unmittelbar auf jede dieser Handlungen folgten. Die machtvolle Annahme allein, dass die Wirkungen unserer früheren Handlungen die Hände darstellen, die unsere gegenwärtige Verhaltens-Gestalt formen, führt - aufs Äußerste gebracht -  Skinner dazu, die autonome Kontrolle in Frage zu stellen, die jeder von uns über sein eigenes Verhalten hat, und diejenigen herauszufordern, die denken, der Mensch habe ein gewisses Maß an Freiheit.

…Hier kommt Skinner, ein kleiner Kopernikus, der uns erzählt, dass unsere Phänomenologie mangelhaft ist und wir uns täuschen, wenn wir glauben, dass wir unsere Handlungen kontrollieren. Sie stehen ganz im Gegenteil unter der strengen Verwaltung der Vergangenheit und werden ständig von den unsichtbaren Ereignissen von gestern überwacht, von Veränderungen, die tief in unserem Nervensystem zu den Zeiten geschahen, als wir in der momentan befindlichen Situation eine spezielle Handlung an den Tag legten. Eine solche Herausforderung an unseren Sinn für Freiheit und Würde hat viele erzürnt und energetisiert und nur wenigen Trost gespendet. [1]

 [Kursivschrift zusätzlich]

Seite 2

Der Mensch „als Reservoir möglicher Handlungen“ ist der Ausgangspunkt vieler Behavioristen, deren primäre Ziele es sind, die Gesetze des Lernens und Verhaltens zu entdecken, die „unsere gegenwärtige Verhaltens-Gestalt formen.“ Die Einwirkung äußerer Ereignisse auf uns wird als der dominante verhaltensformende Faktor in unserem Leben gesehen. Während wir an der Permanenz dieser Einwirkung nichts ändern können, können wir an den speziellen Ergebnissen etwas ändern. Das heißt, unser Leben ist eine kontinuierliche Abfolge konditionierender Erfahrungen; wenn wir die zu Grunde liegenden Prinzipien einmal verstanden haben, können wir lernen, ihre Wirkung auf uns zu kontrollieren. Folglich können wir, genau wie wir konditioniert werden, einen Aufzug zu fürchten, dekonditioniert werden, lernen, ihn nicht mehr zu fürchten.

Für die Behavioristen ist die deterministische Beziehung zwischen äußeren Ereignissen und resultierendem menschlichen Verhalten eine vollständige und dauerhafte. Wir wachsen nicht aus ihr heraus, wir transzendieren sie nicht, wir überwinden sie nicht. Wenn also jemand Höhenangst hat, könnte der Therapeut den Patienten auf einen hohen Balkon führen und die Hand des Patienten halten, bis er oder sie „lernt“, keine Angst zu haben. Es ist hier keine Rede von Bewusstsein oder komplexen psychischen Prozessen. Sie stellen nie die „Warum“-Frage. Wir lernen nur, wie wir unser Verhalten zum Besten unserer Fähigkeiten manipulieren können – die auch durch die konditionierenden Erfahrungen unserer Vergangenheit vorbestimmt worden sind! Eingeprägtes Verhalten muss „ausgeprägt“ werden.

Es ist der Philosophie einiger Eltern nicht unähnlich: Man bildet den Charakter, indem man hart ist, indem man „schlechtes“ Verhalten bestraft, sodass das Kind sich „gut“ benimmt. Auf vielerlei Art ist Behaviorismus elterliche Plattheit als Theorie verkleidet.

 

John B. Watson

Behaviorismus entwickelte sich in Amerika um die Jahrhundertwende, zu einer Zeit, als zwei größere Schulen das junge Feld der Psychologie beherrschten. Strukturalismus sah die Elemente des menschlichen Bewusstseins als eigentliche Domäne der Psychologie. Funktionalismus befasste sich mehr mit der Frage, wie wir mentale Prozesse benutzen, um uns an die Welt anzupassen, als mit der exakten Natur der Prozesse selbst. „Anpassung“ ist ein großes Wort in ihrer Welt. Und in der heutigen Zeit mit den Neo-Freudianern, die sich in Richtung Ego-Psychologie bewegt haben, ist sie wieder von Bedeutung.  Weil die Freudianer, die als historisch-dynamische Theoretiker begannen, in vollem Kreisbogen zu den Anfängen des zwanzigsten Jahrhunderts zurückgekehrt sind. Auch sie sind sehr an Anpassung interessiert und weniger an inneren Prozessen. Es war dieser frühe Anstoß, der die Psychologie zu einer „Verhaltenswissenschaft“ machte und die Psychologen vom Begriff des Unbewussten wegführte.

John B. Watson, ein Tierpsychologe und Gründer des Behaviorismus in Amerika, glaubte, dass diese Gedankensysteme beide auf unwissenschaftlichen und ungültigen Theorien basierten. In seinem berühmten Artikel „Psychologie aus Sicht des Behavioristen“ tat Watson klar kund, was seiner Überzeugung nach die Domäne der Psychologie sein sollte:

Es ist die Zeit gekommen, in der die Psychologie die Verweise aufs Bewusstsein ablegen muss. Ihre einzige Aufgabe ist Vorhersage und Kontrolle von Verhalten; und Introspektion kann bei ihrer Methode keine Rolle spielen. [2]

 

Watson missachtete die Auffassungen von Psyche, Bewusstsein, Emotion und Willensäußerung als flüchtige und mentalistische Überbleibsel aus dem 19ten Jahrhundert. Er behauptete, dass Psychologie „die Wissenschaft vom Verhalten“ sei und dass ihre Aufgabe sei, dieses Verhalten objektiv „in Begriffen von Reiz und Reaktion“ zu beschreiben. Das Ziel des Behaviorismuses bestand darin, eine Reaktion vorherzusagen, wenn der Reiz gegeben war, und umgekehrt den Reiz vorherzusagen, wenn die Reaktion gegeben war. (Ein einfaches Beispiel dieses Prinzips ist der Knie-Reflex. Sie können das Ausschlagen des Knies voraussagen, wenn das ‚Anklopfen’ mit dem Hammer gegeben ist, und Sie können das ‚Anklopfen’ mit dem Hammer aus dem Ausschlag des Knies ableiten.) Watson verkündete, dass dieses Grundprinzip auf so komplexes Verhalten wie Kindererziehung angewandt werden könnte. 1930 schrieb er:

Geben Sie mir ein Dutzend gesunder, wohlgeratener Babys und meine eigene spezielle Welt, in der ich sie erziehen kann, und ich garantiere Ihnen, dass ich ganz zufällig irgendeines nehme und so trainiere, dass es zu jeder Art von Spezialist wird, den ich mir aussuche – Doktor, Anwalt, Künstler, kaufmännischer Chef und, ja, sogar Bettler und Dieb, ungeachtet seiner Talente, Neigungen, Vorlieben, Fähigkeiten, Begabungen und Rasse seiner Vorfahren. [3]

 

In den Anfängen der behavioristischen Bewegung in Amerika ließ Watson Genetik und angeborene Persönlichkeits-Prädispositionen und-Fähigkeiten außer Acht. Tatsächlich sagte er, dass das neugeborene Kind eine tabula rasa oder leere Tafel sei, die unter der Voraussetzung der richtigen Konditionierungs-Erfahrungen zu jeder Art von Person geformt werden konnte, auch wenn zu jener Zeit wenig darüber bekannt war, wie man ein Konditionierungsverfahren aufbauen sollte.

Heute wissen wir, dass bestimmte Verhaltensänderungen in der Tat durch „Verhaltens- Modifizierungs-Techniken“ bewirkt werden können. Ein zurückgebliebenes Kind könnte zum Beispiel lernen, dass Geschenke oder Süssigkeiten dabei herauskommen, wenn es sein Zimmer sauber hält. Ein autistisches Kind könnte lernen, dass Schlagen mit dem Kopf zu einem leichten Elektroschock führt. Aber diese „Leistungen“ sind sehr begrenzt. Die Verfahren sind als Reaktion auf sehr spezifische und abgegrenzte Probleme errichtet worden.

Seite 3

Vor sechzig Jahren nahm sich Watson vor, all die Konditionierungs-Erfahrungen feststellen und etablieren zu können – von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr – die notwendig wären, um das Langzeitziel eines Doktors, Anwalts, Künstlers und so weiter zu erreichen. Obgleich Watson niemals die Gelegenheit hatte, sein „Dutzend gesunder Babys“ zu Erwachsenen zu formen, führte er zahlreiche Experimente an neugeborenen Babies aus, in denen er erforschte, ob Menschen zugeschriebene „Instinkte“ wirklich angeboren sind oder in Wirklichkeit ein Lernergebnis (Komditionierung) sind. Er kam zu dem Schluss, dass nur einige wenige Reaktionen – wie Niesen, Schreien, Saugen, Greifen mit der Hand und Augenzwinkern – angeboren sind. Alle anderen, so behauptete er, waren erlernte Reaktionen.

Um zu zeigen, wie neue emotionale Reaktionen erlernt werden konnten, führte Watson sein berühmtes Experiment durch, das „konditionierte Ängste“ in einem 11 Monate alten Jungen etablierte. Zu Beginn des Experiments hatte der kleine Junge keine Angst vor Tieren. Watsons Verfahren bestand darin, eine kleine weiße Ratte in Reichweite des Jungen zu bringen. Genau in dem Augenblick, als das Kind die Ratte berührte, ertönte ein lautes Geräusch hinter ihm. Watsons Absicht war zu zeigen, wie eine basale genetische Reaktion wie Angst vor lauten Geräuschen auf einen vorher neutralen Reiz (in diesem Fall eine weiße Ratte) konditioniert werden konnte, sodass dieser dann gefürchtet wurde. Seine eigene Beschreibung des Experiments ist bemerkenswert (und frostig):

 

(1) Weiße Ratte wurde plötzlich aus dem Korb geholt und Albert präsentiert. Er begann mit linker Hand nach Ratte zu greifen. Gerade als seine Hand das Tier berührte, wurde die Stange unmittelbar hinter seinem Kopf angeschlagen. Das kleine Kind zuckte heftig zusammen, fiel nach vorne und vergrub sein Gesicht in der Matratze. Er weinte jedoch nicht.

 

(2) Gerade als seine rechte Hand die Ratte berührte, wurde die Stange wieder angeschlagen. Wieder zuckte das Kind heftig zusammen, fiel nach vorn und begann zu wimmern.

 

….Um das Kind nicht zu schwer zu stören, wurden eine Woche lang keine weiteren Tests gemacht….

 

(1) Ratte plötzlich ohne Geräusch präsentiert. Es kam zu ständiger Fixierung aber vorerst zu keiner Tendenz, nach ihr zu greifen. Die Ratte wurde dann näher platziert, woraufhin vorsichtige Greifbewegungen mit der rechten Hand begannen. Als die Ratte die linke Hand des Jungen beschnupperte, wurde die Hand sofort zurückgezogen. Er begann, den Zeigefinger seiner linken Hand nach dem Kopf des Tieres auszustrecken, zog ihn aber plötzlich zurück, bevor es zur Berührung kam. Man sieht also, dass die zwei zusammenhängenden Stimulierungen der letzten Woche nicht ohne Wirkung blieben. Unmittelbar darauf wurde er mit seinen Klötzen getestet, um zu sehen, ob sie am Konditionierungsprozess beteiligt waren. Sofort fing er an, sie aufzugreifen, fallen zu lassen, mit ihnen zu hämmern etc.  In den übrigen Tests wurden ihm die Klötze häufig gegeben, um ihn zu beruhigen und seinen allgemeinen emotionalen Zustand zu testen. Sie wurden immer aus seiner Sicht entfernt, wenn der Prozess der Konditionierung im Gange war.

 

(2) Kombinierte Stimulierung mit Ratte und Geräusch. Erschrack, fiel dann sofort zur rechten Seite vornüber. Kein Weinen.

 

(3) Kombinierte Stimulierung. Fiel auf die rechte Seite und blieb auf den Händen liegen, den Kopf von der Ratte abgewandt. Kein Weinen.

 

(4) Kombinierte Stimulierung. Gleiche Reaktion.

 

(5) Ratte wird plötztlich allein präsentiert. Verzog das Gesicht, wimmerte und wandte den Körper scharf nach links ab.

 

(6) Kombinierte Stimulierung. Fiel sofort auf die rechte Seite und begann zu wimmern.

 

(7) Kombinierte Stimulierung. Erschrack heftig und weinte, fiel aber nicht um.

 

(8) Ratte allein. In dem Moment, als die Ratte gezeigt wurde, begann das Baby zu weinen. Nahezu im gleichen Augenblick wandte er sich scharf nach links ab, fiel um, erhob sich auf alle Vier und begann so schnell davonzukrabbeln, dass er nur mit Mühe eingefangen werden konnte, bevor er die Tischkante erreichte. [4]

 

In Systems and Theories of Psychology (1974) erklären Chaplin und Krawiec im Weiteren, dass “Watson weiterhin demonstrierte, dass Albert, obwohl er ursprünglich konditioniert war, eine Ratte zu fürchten, seine Furcht auf eine Vielzahl von Pelztieren generalisierte und auch Angst vor einem Pelzmantel und vor Nikolaus-Bärten zeigte. Watson legt nahe, dass viele Aversionen, Phobien, Befüchtungen und Ängste des Erwachsenen, für die das Individuum keine rationale Erklärung hat, durchaus viele Jahre vorher durch einen Konditionierungsprozess entstanden sein könnten.“ [5]

Hier sehen wir ein Kleinkind, das dazu gebracht wird, heftig zusammenzuzucken, sein Gesicht in der Matratze zu vergraben, zu wimmern, sich abzuwenden, umzufallen, heftig zu erschrecken, zu weinen und in panischer Flucht beinahe vom Tisch zu fallen. Die Ethik eines solchen Experiments ist sicher fragwürdig – ein Experiment, dass die mechanistische Vergesslichkeit der Behavioristen-Bewegung gegenüber den Realitäten menschlicher Erfahrung offenbart. Überdies besagt es sehr wenig, wenn man sagt, dass Phobien und neurotische Ängste von umweltlich-konditionierten Ereignissen stammen. Seit Jahrhunderten weiß die Menschheit, dass die paarweise Anordnung von Dingen in erlernter Assoziation resultiert.

Wir begehen einen logischen Irrtum, wenn wir eine irrationale Angst sehen und annehmen, ihr Ursprung sei so willkürlich und bedeutungslos wie die Zufallspaarung, die Albert erfuhr. Natürlich kann Watsonsche Konditionierung geschehen, und sie geschieht tatsächlich. Jedoch glaube ich, dass die irrationalen Ängste, die die Leute zur Psychotherapie veranlassen, viel öfters symptomatisch für den Spalt zwischen traumatischen Einprägungen und Verdrängung sind.

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Ein anderes von John Watson aufgestelltes Fanal ist das Interesse an den Themen der Verhaltens-Vorhersage und –Kontrolle. Man erinnere sich, dass Watson den „Ruf zu den Waffen“ ausgab, als er erklärte, dass die „einzige Aufgabe der Psychologie die Vorhersage und Kontrolle des Verhaltens ist“. Interessanterweise verschob Watson nicht nur den Brennpunkt der Psychologie vom Bewusstsein zum Verhalten, sondern rückte ihn speziell und exklusiv in die Bereiche der Verhaltens-Kontrolle und Vorhersage. Vorhersage und Kontrolle begründen das philosophische Gefüge des Behaviorismus und bestimmen den Zeitgeist, der zu einem sehr realen Bestandteil der amerikanischen Psychologie-Gestalt geworden ist.

 

Behaviorismus heute

Mehrere Namen sind auffallend mit der zeitgenössischen Behavioristen-Bewegung und mit der Verhaltenstherapie verbunden. Dazu gehören Andrew Salter (1914-), Joseph Wolpe (1915-) und B. F. Skinner (1904-1990). Salter und Wolpe sind führende Theoretiker der Verhaltenstherapie.

Andrew Salter

Andrew Salters Arbeit wendet das direkteste von Pavlovs Konditionierungs-Prinzipien unmittelbar auf die Psychologie an. In der Tat fasst der Titel seines Buches Conditioned Reflex Therapy: The Direkt Approach to the Reconstruction of Personality seine Technik treffend zusammen. Die klassische Behavioristen-Philosophie – dass der Mensch sich aus erlernten Reflexen oder Gewohnheiten zusammensetzt, die ein Resultat von Umwelteinflüssen sind – liegt Salters Ansatz zugrunde. Nach Salters Ansicht werden diese Einflüsse über eine Reflexreaktion in uns hineinkonditioniert, die jenseits von Willenbekundung und Entscheidungsfreiheit liegt. Wir sind allein das Produkt von Konditionierung, und Konditionierung ist unser einziges Heilmittel:

 

Mir scheint, der gesündeste Trend von allen in der Arbeit der höheren Schulen und Universitäten ist die Erkenntnis, dass der Mensch für praktische therapeutische Zwecke  weitgehend eine Gewohnheitsmaschine ist. Hier präsentieren Pavlovs Überlegungen die besten Gelegenheiten für eine schnelle und tiefe Veränderung der menschlichen Persönlichkeit….[denn] Pavlovs konditionierter-Reflex-Therapie erklärt, dass grundsätzlich  jeder das gleiche Problem und die gleiche Heilbehandlung hat…..

 

Es ist gar keine Frage, dass Therapie schnell und einfach ist, wenn der Therapeut einmal erkennt, dass das psychischer Krankheit zu Grunde liegende Problem immer exakt dasselbe ist. Dann wird dem Individuum der sinnlose Schmerz erspart, blind durch die Sümpfe früher Erfahrungen wandern zu müssen….Die Betonung liegt jederzeit auf der Gegenwart des Individuums – die Dinge, die er jetzt macht. Heilung kommt zustande, indem man jetzt gesunde persönliche Beziehungen erlernt und nicht, indem man über vergangenen emotionalen Frustrationen schmort. [6]

 

Laut Salter bildet Hemmung die Wurzel aller Neurosen. Eltern hemmen die Bedürfnisse und Gefühle ihrer Kinder, womit die Probleme beginnen. Das natürliche exzitatorische Verhalten (ihr spontaner Selbstausdruck) wird durch eine elterliche Liste von Geboten und Verboten gehemmt: „Mach dich nicht schmutzig,“ „Steh gerade,“ „Sei vorsichtig“, „Schlürf deine Milch nicht“ und so fort. Aufgrund dieser Konditionierung hat der gehemmte Erwachsene gelernt, seine wahren Emotionen zu verbergen. Wegen seines Wunsches, im Leben akzeptiert zu werden, versucht er vergebens, alles für jeden zu sein. Folglich ist er selbstbewusst, schüchtern, farblos, langweilig und ein Schwindler; er ist selbstsüchtig und egoistisch, fürchtet Leute und Verantwortung, ist rücksichtslos und aggressiv.

Salters glaubt, dass gute psychische Gesundheit durch spontanen, aus sich herausgehenden Ausdruck des Fühlens charakterisiert ist. Deshalb ist es Ziel seiner Therapie, gehemmte Reaktionen in spontane Reaktionen umzuwandeln. Da das Problem immer das gleiche ist – Hemmung – ist die Lösung ebenso immer die gleiche: die Person enthemmen, sodass sie von „den freien, kraftvollen und lohnenden Emotionen der Erregung“ geleitet wird. [7]  Der Haken ist, wie enthemmt man eine Person? Was sie wirklich meinen, ist Verhalten zu enthemmen, die äußere Manifestation des Fühlens; wie man ein Feeling ausagiert. „Ich fühle mich hoffnungslos und ganz allein, ich greife zum Telefon und rufe jeden an, dann bin ich nicht allein.“ Ihre Anstrengung geht dahin, das Ausagieren zu beenden, wobei sie das Feeling, das vielleicht Jahrzehnte zurückdatiert, alleine stehen lassen. Gefühle müssen nicht mit Worten sondern in der Sprache der Gefühle ausgedrückt werden. Seine Gefühle auszudrücken ist ein Oxymoron. Wenn unsere Patienten in Gefühle eingetaucht sind, können sie sie ausdrücken, aber nicht vorher.

Die Vergangenheit des Patienten ist für Salter nur soweit wichtig, als sie die vergangenen Konditionierungen beinhaltet, die ihn zu dem gemacht haben, was er heute ist.“Konditionierte Reflexe zu haben“, schreibt er, „bedeutet, Stücke vergangener Realitäten mit sich herumzutragen.“ [8] Salters glaubt, dass man diese vergangenen Realitäten ändern kann, indem man das Verhalten einfach neu konditioniert, sodass sich auch die Gefühle ändern, wenn sich das Verhalten geändert hat. Das ist eine Art umgestülpter Philosophie, in der Feelings dem Verhalten folgen anstatt umgekehrt. In der Evolution ging des fühlende Gehirn dem denkenden um Jahrmillionen voraus.

Die Strategie der Verhaltenstherapeuten führt zu der Auffassung, dass, wenn man Alkoholismus herauskonditioniert, die Gefühle darüber und über sich selbst sich ändern. Falsch. Noch Jahre, nachdem sie von Drogen und vom Trinken weg sind, fühlen sich die Leute genauso wie früher. Sie haben noch immer das Bedürfnis nach Liebe, das in der Kindheit wurzelt.

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Sie fühlen sich noch immer schlecht. Sind immer noch hilflos und wollen geführt werden. Die Bedürfnisse, mit denen man sich nie befasst hat, werden einfach verborgen und vergraben. Die Person ist einfach besser kontrolliert.

Da alle Probleme aus Emotionshemmung resultieren, ist der Beratungsprozess für alle Klienten ungeachtet ihrer Symptome der gleiche. Eine von Salters Methoden zur Enthemmung von Emotion besteht darin, den Patienten dazu zu bringen, dass er in einer fühlenden Weise frei spricht, eine Art freier Assoziation mit etwas Emotion. Er will, dass seine Patienten total enthemmt werden und ohne Rücksicht auf alle gesellschaftlichen Konventionen sagen, was ihnen durch den Kopf geht. Dann redet der Patient „mit dem Gesicht“ – zeigt seine Emotionen durch Gesichtsausdrücke. Er muss lernen, zu „widersprechen und anzugreifen.“ Er muss das Wort „ich“ sooft wie möglich benutzen. Er muss fähig sein, sich selbst zu loben, zu improvisieren und spontan zu handeln. Die Idee ist nicht weit von den Neo-Freudianern entfernt. Der Analytiker sagt Gutes über Sie, und Sie fühlen sich besser.

Salters glaubt, dass Patienten „nicht wissen, wovon sie sprechen,“ weshalb der Therapeut die Therapie sorgfältig lenken und strukturieren muss. Zu diesem Zweck berät, instruiert und überzeugt der Therapeut, er macht Vorschläge, zieht Schlüsse und erteilt dem Patienten sogar Befehle. Um dem Patienten zu helfen, neue Reflexe zu lernen, erteilt der Therapeut ihm Aufgaben. Die Idee, die dahintersteckt, ist, eine neue Gewohnheit zu praktizieren – Ausdruck – wie z. B. den Leuten ungeachtet der Situation zu sagen, was man denkt. Die Überlegung lautet: „Wenn Sie das Gegenteil dessen tun, was Sie Ihr ganzes Leben getan haben, werden Sie wahrscheinlich das Gegenteil dessen fühlen, was Sie jetzt fühlen.“ [9] Obgleich das Erlernen neuer Reflexe Zeit braucht, wird dem Patienten zugesichert, dass sich die neuen Reaktionen durch „überlegte Praktik“ zu Reflexen verfestigen. Das ist keine Therapie, das ist Ermahnung: Gehirnwäsche.

Hier ist eine Fallstudie aus Salters Buch Conditioned Reflex Therapy. Salters Patient spricht:

 

Mein Problem scheint eine psychopathische Störung meiner Atmungsfunktion zu sein. Ich scheine einen ständigen Spasmus in den Muskeln zu haben, die meine Atmung kontrollieren. Etwa die Hälfte der Zeit kann ich nicht tief einatmen, was sehr beängstigend ist. Ich bekomme schwere Kopschmerzen, unter denen ich japsend nach Luft ringe und stundenlang keuche. Diese Attacken kommen nach Mahlzeiten, oder wenn ich in einem Theater warte oder während wichtiger Geschäftskonferenzen. Es fällt mir schwer, ein längeres Gespräch zu führen, weil ich unfähig zu sein scheine, Atmen und Reden miteinander zu koordinieren.

 

Salter erzählt:

 

Er hat Dutzende von Psychiatern aufgesucht, was wahrscheinlich eine Übertreibung ist. Die Psychoanalytiker unter ihnen beziehen einen Ödipuskomplex ein; die anderen raten ihm, sich „nicht so viele Sorgen zu machen“ und „sich selbst in den Griff zu bekommen.“ Er verabschiedet sich und ist wieder ein umherwandernder Hypochonder.

 

Er ist unglücklich verheiratet mit einer modernen Xanthippe und hat viel Psychologie gelesen, aber nicht auf gescheite Art. Er zeigt sich sehr lernwillig und folgt bedingungslos jeder „psychologischen Diätliste“, die ich ihm gebe. Er besitzt einen Rennstall, und es ist für ihn leicht einzusehen, wie bedeutend es ist, gesunde emotionale Gewohnheiten sowohl bei Menschen als auch bei Pferden einzuüben….

 

Salter ermahnt den Patienten:

 

In dieser schlimmen Welt ist es einfach eine Frage, wie sehr sie für Ihre emotionalen Rechte kämpfen. Sie bekommen ihre Privilegien sowieso nicht. Sie wollen nichts, das nicht zu Ihnen kommt. Aller Wahrscheinlichkeit werden Sie, wenn Sie das Gegenteil dessen tun, was Sie Ihr ganzes Leben getan haben, das Gegenteil dessen fühlen, was Sie jetzt fühlen.

 

Salter erzählt:

 

Wir entledigen uns seiner Kindheit in wenigen Minuten. Er ist derjenige mit der überfürsorglichen Mutter, dem uninteressierten Vater, dem Haus voller Kinder und dem Zeitungsverkäufer-Job, als er zehn war. Oft macht es keinen Sinn, den Hintergrund des Falls zu durchleuchten.  Wir sehen den fehlkonditionierten Hund vor uns,  und sein Problem sagt uns alles, was wir über die Hütte wissen müssen, aus der er kam….

 

Salters Urteil:

 

Er hatte insgesamt fünf Stunden Beratung, und jetzt, zwei Jahre später, ist seine Klaustrophobie noch immer verschwunden. Er fühlt sich viel freier, und seine Magen-Symptome zeigen sich selten und mit verminderter Schwere. Seine Geschäftstätigkeit bedrückt ihn wesentlich weniger und im Allgemeinen ist er eine viel glücklichere Person. [10]

 

Salters Fallstudie ist ein exzellentes Beispiel für die dogmatische, mechanistische und sogar animalische Haltung des praktizierenden Verhaltenstherapeuten. Er setzt Therapie mit Pferdetraining gleich, und er setzt den Patienten mit einem fehlkonditionierten Hund gleich.

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Salters Ansatz ist grundlegend ahistorisch. Das heißt, er erwähnt die Vergangenheit des Patienten im Sinne konditionierender Erfahrungen und entledigt sich ihrer in wenigen Minuten zugunsten des sich präsentierenden Symptoms. Obwohl Salters glaubt, dass gute psychische Gesundheit mit dem Ausdruck von Gefühlen zu tun hat, versteht er nicht, dass es die in früher Kindheit blockierten Gefühle sind, die Ausdruck brauchen, und nicht die neurotisierten der Gegenwart. Sie können nicht wirklich wissen, was gegenwärtige Gefühle sind, wenn im Hintergrund ein Reservoir unausgedrückter Gefühle aus der Vergangenheit lagert. Die meisten verdrängten Leute haben keine Ahnung, was ihre wahren Feelings sind, auch wenn sie das ausdrücken können, was sie für Gefühle halten. Das ist Teil des Problems; sie müssen darüber nachdenken, was sie fühlen sollen, weil ihre realen Gefühle unzugänglich sind.

Wolpe

Joseph Wolpes Position ist etwas systematischer als die Salters. In seinem Buch Psychotherapy by Reciprocal Inhibition [11] skizziert Wolpe seine Philosophie, während er dem Jargon der Verhaltenstherapeuten einige neue Begriffe hinzufügt. Wolpe sieht Neurose als falsche Lerngewohnheit, die durch Neukonditionierung – auch negative Konditionierung oder reaktive Hemmung genannt – eliminiert werden kann. Neurotische Gewohnheiten dauern laut Wolpe an, weil sie verstärkt (oder belohnt) werden; jede neurotische Gewohnheit reduziert irgendwie den allgemeinen Angstpegel der Person und macht ihn so zu einem Verstärker. Je effektiver die spezielle neurotische Gewohnheit die Angst reduziert, um so stärker und durchdringender wird sie. (Trinken und Rauchen, um sich zu entspannen, sind glaubhafte Beispiele.)

Wolpe beabsichtigt, das fehlangepasste neurotische Verhalten auszulöschen, indem er es nicht-lohnend macht. Das geschieht dadurch, dass man die ursprüngliche Angst-Situation hervorruft, aber erst, nachdem „reziproke Hemmung“ hergestellt worden ist. Reziproke Hemmung bedeutet einfach, dass man nicht gleichzeitig ängstlich und entspannt sein kann. Um also der Angst entgegenzuwirken, lernt man, sich in der Situation entspannt zu fühlen, die ursprünglich die Angst weckte. Diese Technik, die passend Desensibilisierung genannt wird, ist in der Verhaltenstherapie weit verbreitet, vorwiegend als Strategie, um Phobien und phobisches Verhalten zu überwinden: Angst vor und Vermeidung von Aufzügen, Brücken, Höhen, Autobahnfahrten, Spinnen und so fort.

Desensibilisierung kann auf vielfältige Weise angewandt werden, aber einige Faktoren haben die meisten Anwendungen gemeinsam. Zuerst erstellt der Patient eine Liste seiner Ängste und ordnet sie ihrem Rang nach von der größten Angst bis zu den unbedeutenderen. Als Nächstes erklärt der Therapeut das Prinzip, dass Entspannung mit Angst nicht koexistieren kann und bringt dem Patienten Entspannungstechniken bei. Mehrere Sitzungen verbringt man vielleicht damit, um einfach die progressive Muskelentspannung vom Kopf zu den Zehen zu erlernen. Wenn die Person hypnotisierbar ist, bezieht man Hypnose mit ein. Nachdem der Patient gelernt hat, wie man sich entspannt, sagt man ihm, er solle sich den am wenigsten angsteinflößenden Punkt auf seiner Liste vorstellen. Wenn er sich diesen Punkt ohne die übliche Angstreaktion vorstellen kann, geht er zum nächsten über. Der Therapeut unterstützt die Phantasie des Patienten; im Geiste treibt er auf einem See, während er sich Schlangen vor Augen stellt. Das geht so weiter, bis er sich alle Punkte auf der Liste ohne Angst vorstellen kann.

Desensibilisierungs- und Entspannungs-Techniken können auch bei der Behandlung von Patienten mit sexuellen Problemen arrangiert werden. Zuerst sagt man dem Patienten, er solle sich nicht auf Sex einlassen, bis er ein positives Verlangen danach spürt, da jede unerfreuliche Erfahrung seine sexuelle Hemmung nur verstärken würde. Er ist angewiesen, sich sexuellen Bildern auszusetzen, während er in entspanntem Zustand ist, und sich schließlich zu wirklichen sexuellen Begegnungen zu steigern. Zusätzlich „sagt man dem Patienten, er solle seine Sexualpartnerin informieren (indem er den Therapeuten zitiert, falls nötig), dass seine sexuellen Schwierigkeiten auf absurde aber automatische Ängste in der sexuellen Situation zurückzuführen sind und dass er sie überwinden wird, wenn sie ihm hilft.“ [12]

In Wolpes System ist es die Aufgabe des Therapeuten, die Therapie sorgfältig in Übereinstimmung mit der „Reiz-Vorgeschichte“ der Vergangenheit des Patienten zu strukturieren: „Da die Vorgehensweise der Verhaltenstherapie davon abhängt, dass der Therapeut die Reiz-Vorläufer der unangepassten Reaktionen genau kennt, ist es offensichtlich, dass eine durchsuchende Verhaltensanalyse in jedem Fall eine unentbehrliche Vorbereitung ist.“ [13] Jedoch ist nur die unmittelbare Vergangenheit von echtem Interesse für den Verhaltenstherapeuten. Die geschichtliche Vergangenheit des Patienten wird als potentiell interessant betrachtet aber nicht als sonderlich relevant für die Lösung der gegenwärtigen Neurose: „Obwohl es interessant und vielleicht hilfreich wäre [die frühe Geschichte zu erforschen], ist es nicht notwendig: denn um seine neurotischen Reaktionen zu überwinden, ist es von größerer Bedeutung festzustellen, welche Reize sie in der Gegenwart tatsächlich oder potentiell hervorrufen.“ [14] Folglich ist der Patient ein ahistorisches Wesen. Wenn der Therapeut mit seiner eigenen Vergangenheit und mit seinen Feelings in Berührung wäre, könnte er bei der Behandlung von Patienten unmöglich die Geschichte ausschließen.

Wenn mangelndes Durchsetzungsvermögen das Problem des Patienten ist, verwendet Wolpe überhaupt keine Entspannungs- und Desensibilisierungs-Techniken. Er bringt dem Patienten stattdessen bei, sich selbstbewusst zu benehmen, was seiner Ansicht nach automatisch die Angstreaktion verhindert. Er erklärt dem Patienten, wie grundlos und hinderlich seine Furcht vor Kritik ist und ermahnt wie Salter den Patienten, sich voller auszudrücken. Wolpe hält „kleine Reden“, um zu demonstrieren, wie die Methode wirken kann und zeigt Möglichkeiten auf, wie der Patient sich in täglichen Lebenssituationen durchsetzen kann. Er erinnert den Patienten auch daran, dass wir im Allgemeinen eine niedrige Meinung von Leuten haben, die kein Rückgrat haben und sich nicht behaupten können:

 

Soviel Druck, wie nötig scheint, wird angewandt, um die tatsächliche Durchführung des erforderlichen Verhaltens bei passenden Begebenheiten zu motivieren…..Dieser Druck führt in den meisten Fällen zu dem erwünschten Verhalten, wenn auch nicht immer unmittelbar.

 

Die Möglichkeit, dass irrationale Ängste auf rationalen Reaktionen in der Kindheit basieren könnten, wird nicht in Erwägung gezogen. Niemand hat als Erwachsener automatisch Angst. Die Basis der Ängste Erwachsener liegt in der Vergangenheit begraben. Frühe Erfahrung bestimmt diese Ängste, die im Zusammenhang rational waren. Was verloren gegangen ist, ist der Zusammenhang, etwas, das man in der Verhaltenstherapie niemals findet.

Eine andere Technik, die Wolpe benutzt – direkte Konditionierung -, ist unter einigen Behavioristen zutreffender als aversive Konditionierung bekannt. Direkte Konditionierung ist tatsächlich das Gegenteil von Wolpes reziproker Hemmungstechnik, wobei eine konditionierte Entspannungs-Reaktion angewandt wird, um die Angst zu hemmen. Bei direkter Konditionierung wird eine konditionierte Vermeidungs-Reaktion aufgebaut, indem ein milder Schock in Gegenwart des „angstauslösenden Reizes“ verabreicht wird. Der sanfte Schlag erzeugt eine motorische Reaktion „konditionierter Vermeidung“, die theoretisch die ursprüngliche Angstreaktion abschwächt. In einigen Fällen, die Zwänge beinhalten, werden bei Auftreten der Zwänge oder wenn der Patient sich den Zwang vorstellt, schwere Schocks verabreicht. Der elektrische Schlag spielt noch eine andere Rolle, die Wolpe nicht erörtert; er stimuliert die Produktion repressiver Chemikalien, die helfen, den Schmerz stillzulegen. Wenn der Schmerz verdrängt ist, sind die Zwänge unter Kontrolle.

Wolpes Fallgeschichten demonstrieren, wie er seine Prinzipien auf die Therapie anwendet. Im ersten Interview wird die geschichtliche Vergangenheit des Patienten umgangen – tatsächlich vom Therapeuten grundlegend abgewiesen, trotz der offensichtlichen Bemühungen des Patienten, in sie hineinzugehen – wegen vermeintlich dringenderer Problem wie zu lernen, wie man sich behauptet, während man in der Schlange steht.

 

ERSTES INTERVIEW

 

Therapeut (T):  Guten Morgen, Mrs. Schmidt. Was ist Ihr Problem

 

Klientin (K):     Manchmal bin ich ziemlich durcheinander.

 

T:            Was bestürzt Sie?

 

K:            In jüngster Zeit die Kinder.

 

T:            Was an den Kindern bestürzt Sie?

 

K:          Äh, bevor ich hierher zog, wo ich jetzt bin, hörte ich – hörten sie auf 

              mich und all das. Es stört mich auch, dass mein Mann nicht genug bei

              ihnen zuhause ist. Er verbringt nicht genügend Zeit mit den Kindern, und

              ich hab das Gefühl, dass ich sie alleine erziehe.

 

T:        Was macht ihr Mann?

 

K:        Er arbeitet jetzt als Friseur.

 

T:        Was hält ihn davon ab, dass er genug zuhause ist?

 

K:        Er arbeitet lange.

 

T:        Wie sind seine Arbeitszeiten?

 

K:        Er geht um sieben und kommt um halb neun nach Hause.

 

T:        Bestimmt sehr lange. Nun, das ist ein praktisches Problem. Gibt es noch was, das   Sie             aufregt?

K:        Ja, vieles.

T:         Nun, zum Beispiel?

K:        Die Dinge, die ich in der Zeitung lese.

T:        Wie was?

     

 K:          Oh, wie, ähm, ich hab im Krieg so viele Leute sterben gesehen und jetzt fühle ich

              mich hier genau so. Zuerst als ich herkam….dachte ich, einen solchen Ort

              gibt’s kein zweites Mal… ich dachte, man könnte in Frieden leben und es

              gäbe nie Probleme. Man könnte…man würde von nichts hören und jetzt…

              …ich…ich höre immer mehr Sachen und bin sehr bestürzt darüber.

         

T:         In welchem Jahr kamen Sie hierher?

K:         1947

T:          1947. Wie alt waren Sie damals?

K:          21

T:          Lassen Sie mich nun eines klar stellen. Wenn Sie sich weiterhin so gefühlt

              hätten, wie Sie sich in diesen paar Jahren fühlten, dann wären Sie nicht hier?

 

K:          Ich müsste nicht herkommen.

 

T:          Richtig. Können Sie sagen, was geschah, das sie nachher unglücklich

              gemacht hat?

 

K:          Ich weiß nicht. Es könnte sein…sehen Sie, ähm, als ich geboren wurde, starb

              meine Mutter bei der Geburt, und sie wollte mich nicht einmal ansehen,

                       wie meine Großmutter mir immer erzählt hat. Sie wollte mich kein einziges

                       Mal halten, und als sie starb, tat es ihr Leid, dass sie das Haus zurücklassen

                       musste. Sie hatte ein Gefühl für das Haus, aber sie sagte nie, dass sie das

                       Kind zurückließ, und meine Großmutter redete immer davon, was sie nicht

                       hätte tun sollen. Und so schlimme Dinge, ich könnte über so viele Dinge

                       reden.

 

T:              War Ihre Großmutter mit Ihnen hier?

K:              Nein, meine Großmutter wurde getötet.

T:             Oh, nun… Aber können Sie mehr oder weniger sagen, in welchem Jahr Sie  

                     erstmals empfunden haben, dass Sie nicht mehr so glücklich waren?

       

       K:

Sehen Sie, ich wurde im Familienleben enttäuscht. Ich habe immer nach jemandem wie einer Mutter gesucht. Eine jemand. Und sie sagten mir, dass sie wie eine Mutter zu mir wären. Und dann fand ich verschiedene – viele Dinge heraus und seither – wie wenn ich jemanden finden und bekommen würde – ich ihnen nicht zu nahe kommen kann. Wenn ich zuviel Nähe habe, bekomme ich Angst, dass ich verletzt werde, und dann laufe ich weg. Es gab viele Zeiten, Tage, dass ich das Gefühl hatte, nicht mehr weiterleben zu wollen. Wenn ich den Mut hätte, hätte ich mich oft einfach umgebracht, und mir ist immer noch danach zumute. Mir war danach zumute, als ich ein Kind war. Wenn ich, äh, wo ich bei meinen Großeltern lebte, lebten mein  Onkel und meine Tante auch dort, und sie wollten mich einfach nicht. Sie gaben mir alle möglichen Namen, und meine Großmutter sagte zu mir immer, es wäre gut, wenn ich weglaufen würde, weil sie mich nicht wollten, und von da an fühlte ich, hatte ich einfach das Gefühl, dass ich nicht mehr weiterleben wollte.

T:       

Aha. Ich möchte Sie fragen, wie Sie in bestimmten ziemlich gewöhnlichen Situationen reagieren. Stellen Sie sich vor, Sie stehen irgendwo an, und jemand drängt sich vor Sie. Was machen Sie?

 

K:           Ich mache nichts. Ich bin einfach bestürzt.

 

T:

Wenn Sie in einen Laden gehen und, sagen wir, einen Wollpullover wie diesen kaufen und wenn Sie nach Hause kommen und ihn inspizieren und Sie sehen, da ist ein kleines Mottenloch im Ärmel, was machen Sie?

 

K:

Ich will die Leute nicht zu sehr belästigen. Ich will ihn nicht – aus diesem Grund will ich ihn nicht zurückbringen.  Ich – wenn etwas im Haus schief läuft – wenn sie etwas nicht richtig festmachen oder einfach nicht richtig machen, muss mein Mann mich zwingen, dass ich rede, und er, er sagt es oft, dass ich es nicht kann. Er sagt, dass mich die Leute deshalb ausnutzen, weil ich mich nicht traue, den Mund aufzumachen.

 

T:

Nun, dass ist sehr eine Sache der Gewohnheit. Jetzt ist es eine Sache, die zu ändern man lernen kann. Ich will Ihnen sagen, wie Sie es schaffen können. Sehen Sie, nehmen wir dieses kleine Beispiel, das wir zuerst benutzt haben, wo sich jemand vor Sie in die Reihe stellt. Stellen Sie sich vor, Sie haben es eilig, und jemand macht das. Sie werden böse. Sie sind verärgert. Aber wenn Ihnen der Gedanke kommt, irgendwas dagegen zu tun, hält Sie gleichzeitig das Gefühl zurück,  dass Sie seine Gefühle nicht verletzen wollen, Sie ihn nicht beunruhigen wollen, vielleicht kommt eine Szene dabei raus, sowas in dieser Art. Nun, was ich möchte, ist, dass Sie in Zukunft in dieser kleinen Situation diese Gefühle ausdrücken. Jetzt ist es natürlich schwierig, aber wenn Sie dieses Gefühl, das Sie haben, ausdrücken und sagen „Würden Sie sich freundlicherweise hinten anstellen?“, dann drängen Sie, indem Sie das tun, die Angstgefühle zurück. Sie unterdrücken Sie in gewissem Grad. Und wenn Sie das tun, wird es beim nächsten Mal ein wenig leichter fallen.

 

K:           Ich werd’s versuchen.  [Kursivschrift nachträglich]]

 

 

Alles, was Wolpe als Reaktion auf die ungewöhnlich traumatische Vergangenheit dieser Frau zu sagen hat, ist „Aha“ und „Wie reagieren Sie in bestimmten ziemlich gewöhnlichen Situationen?“ Das ist ein perfektes Beispiel für die kurzsichtige Konzentration des Verhaltenstherapeuten auf die Gegenwart. Und wenn diese Patientin sagt, sie habe nicht den Mut, sich für sich selbst einzusetzen, sagt Wolpe: „Nun, dass ist sehr eine Sache der Gewohnheit“, etwas, das „zu ändern man lernen kann.“ Er nennt die Nachwirkungen der Tatsache, dass sie ihre Mutter nicht wollte, dass sie von ihrer Mutter nicht einmal gehalten wurde, dass sie ihre Mutter wenige Stunden nach der Geburt an den Tod verlor, von Verwandten misshandelt wurde und dass man ihr offen sagte, sie sei nicht erwünscht,…..eine Sache der Gewohnheit.

Aber was bedeutet es wirklich, wenn man sagt, etwas sei eine Gewohnheit? Webster definiert Gewohnheit als „eine erworbene Verhaltensweise, die nahezu oder völlig unwillkürlich geworden ist.“

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Aber was ist die Kraft, die dahintersteckt, wenn man sich eine schmerzhafte oder unerfreuliche Verhaltensweise aneignet? Was zwingt uns, die schmerzhafte Verhaltensweise ständig unfreiwillig  zu wiederholen? Weder Natur noch menschliches Verhalten ist zufällig, und somit ist klar, dass schmerzhafte Gewohnheiten einen bestimmtem bedeutungsvollen biologischen Zweck erfüllen, der mit dem Speichern und Verarbeiten des Traumas verknüpft ist. Reverbierende Schmerz-Schaltkreise bilden die biologische Basis dessen, was Behavioristen neurotische „Gewohnheiten“ nennen.

Eine Frau, die ich vor einigen Jahren sah, hatte einen Schlosskontroll-Zwang. Sie musste die Schlösser in ihrem Haus mindestens zwanzig Mal am Tag überprüfen. Sie konnte sich nur wenige Minuten sicher fühlen, bevor das Gefühl der Unsicherheit zurückkam und sie wieder nachsehen musste, ob die Türen zugesperrt waren. Der Brennpunkt war auf die Gegenwart gerichtet, aber das Feeling kam aus der Vergangenheit. Sie lebte in ständiger Angst vor einem betrunkenen Vater und einer launischen und zornigen Mutter. Sie fühlte sich keine Minute sicher, und sie konnte nichts dagegen tun. Als Erwachsene ohne Zugang zu ihrer Vergangenheit konnte sie etwas dagegen tun: ihre Gefühle zwanghaft durch eine bestimmte Handlung kontrollieren, die jedoch symbolisch war.

Zurück zu Wolpes Klientin; ihre frühen Erlebnisse mit Verlassenheit und Ablehnung sind die Realität, die in ihr eingeprägt ist. Wenn sie diese Realität als Baby und Kind voll gefühlt hätte, hätte diese sie nahezu gewiss getötet. Denken Sie daran, dass die Körpertemperatur und Herzfrequenz in die Höhe schnellen können, wenn jemand in einer Primärsitzung ein Feeling erlebt. Ein solcher Schmerz kann sich nur nach und nach in einer allmählichen Anhäufung neurotischer Symptome verteilen.

Diese Frau muss die frühe Verlassenheit fühlen, die ihr nicht erlaubt, für sich selbst zu sprechen. Sie muss ihr System von dem gespeicherten Schmerz entlasten, indem sie ihn zum ersten Mal erlebt. Sie muss die Kraft hinter ihren neurotischen Gewohnheiten fühlen, die Kraft, die die Symptome zu einem neurotischen Ganzen zusammenstellt und bindet. Die einzige Möglichkeit, wie sie sich wirklich behaupten kann, ist zu fühlen, warum sie es nicht kann. Jede aktuelle Zurückweisung führt zu der ursprünglichen Zurückweisung, die katastrophal ist. Sie kontrolliert den Auslöseprozess, indem sie in der Gegenwart alles vermeidet, das die Vergangenheit auslösen könnte, und das bedeutet jede Zurückweisung.

Wenn ihre Selbstbehauptung echt sein soll, muss sie realen Kontakten mit ihren vergangenen Erfahrungen entspringen, sonst sind es nur Imitationen, die über ein Fundament der Verdrängung gezwungen werden. Wolpe liegt richtiger, als ihm klar ist, wenn er zu ihr sagt: „Indem Sie das tun, drängen Sie gewissermaßen die Angstgefühle zurück. Sie unterdrücken sie in gewissem Grad.“ Hier sagt er seiner Patientin genau das, was die These dieses Kapitels ist: dass Verhaltenstherapie weitere Verdrängung erfordert, weiteres Unterdrücken und Zurückdrängen, um „Erfolg“ zu haben.

Im zweiten Interview wendet Wolpe Entspannungs-/Desensibilisierungs-Techniken auf eine Situation an, die, wie Frau Schmidt ihm gesagt hat, ihre Angst verursacht:

 

ZWEITES INTERVIEW

Wolpe spricht:

 

Nun Frau Schmidt, ich zeige Ihnen jetzt, wie Sie Ihre Muskeln entspannen können. Wie Sie wissen, geht es ihnen besser, wenn Sie sich entspannen, und wenn Sie ängstlich sind, fühlen Sie sich weniger ängstlich. Jetzt werde ich Ihnen zeigen, wie Sie tiefe Entspannung zustande bringen, sodass Sie die Angst effektiver bekämpfen können, als Sie es in der Vergangenheit konnten.

 

Er zeigt ihr, wie sie am ganzen Körper Muskeln anspannen und lockern kann.

 

Nun, gehen wir jetzt zum nächsten Schritt über. Ich möchte, dass Sie Ihre Augen schließen. Nun möchte ich, dass Sie mit geschlossenen Augen versuchen, all die Information anzuwenden, die ich Ihnen gerade gegeben habe, und so entspannt wie möglich werden. So, gehen wir diese Muskeln in systematischer Reihenfolge durch. Ok, jetzt sind sie ganz schön entspannt. Halten Sie jetzt Ihre Augen geschlossen, und ich werde Sie jetzt bitten, sich einige Szenen vorzustellen. Sie stellen sich jetzt diese Szenen ganz klar vor, und im Großen und Ganzen werden sie Ihren Entspannungs-Zustand nicht beeinflussen. Aber sollte zufällig irgendwas Ihren Ruhezustand beeinträchtigen, können Sie mir das anzeigen, indem Ihren rechten Zeigefinger etwas anheben.

 

Jetzt möchte ich, dass Sie sich wieder vorstellen, dass Sie auf dem Bürgersteig gehen und Selma sehen, die sich auf Sie zubewegt, und Sie schicken sich an, sie zu grüßen, und sie scheint Sie zu sehen, geht aber weiter – sie grüßt Sie nicht.

 

Hören Sie jetzt auf, sich das vorzustellen. Wenn Sie dabei Beunruhigung spürten….

 

Sie hebt ihren rechten Zeigefinger.

 

…..Okay. Ich danke Ihnen. Bleiben Sie jetzt einfach entspannt. Denken Sie jetzt an nichts außer an Ihre Muskeln. Lassen Sie sich immer tiefer in diesen ruhigen, entspannten Zustand fallen. Stellen Sie sich wieder vor, Sie gehen den Bürgersteig entlang, und Sie sehen Selma näherkommen, und sie scheint Sie zu sehen, und Sie erwarten, dass sie irgenwie reagiert, aber sie geht einfach weiter. Hören Sie auf, sich diese Szene vorzustellen – entspannen Sie sich einfach. Denken Sie wieder nur an Ihre Muskeln. Seien Sie ganz ruhig und liegen Sie bequem.

 

Er wiederholt genau dieselbe Prozedur.

 

Stellen Sie sich wieder vor, dass Sie auf dem Bürgersteig entlang gehen, und Sie sehen Selma auf Sie zukommen, aber es sind auch andere Leute auf dem Gehsteig, und Sie denken, sie sieht Sie, aber sie geht direkt vorbei, ohne Sie zu grüßen. Jetzt beenden Sie die Vorstellung. Wenn Sie jetzt Beunruhigung empfunden haben, als Sie sich das beim letzten Mal vorgestellt haben, heben Sie jetzt Ihren Finger.

 

Sie hebt ihren Finger.

 

Okay, jetzt, wenn der Grad der Beunruhigung, die Sie empfunden haben, weniger wird, machen Sie nichts. Wenn sie nicht weniger wird, heben Sie wieder Ihren Finger

 

Sie hebt ihren Finger nicht.

 

Okay, bleiben Sie jetzt so entspannt wie möglich… Stellen Sie sich wieder vor, dass Sie den Gehsteig entlang gehen und Selma sich nähert und an Ihnen vorbeigeht, ohne Sie zu erkennen oder zu grüßen. Beenden Sie die Szene. Entspannen Sie sich einfach.

 

Sie hebt ihren Finger nicht.

 

Stellen Sie sich jetzt wieder vor, dass Sie auf dem Gehsteig entlangspazieren und Selma kommen sehen, und sie scheint Sie zu sehen, und dann gehen Sie aneinander vorbei, ohne dass sie Sie grüßt. Beenden Sie die Szene. Wenn bei diesem letzten Mal Beunruhigung aufkam, heben Sie Ihren Finger.

 

Sie hebt ihren Finger.

 

…Wenn der Grad der Beunruhigung weiter nachlässt, machen Sie nichts. Wenn er nicht nachlässt, heben Sie Ihren Finger. (Finger hebt sich nicht) In Ordnung. Entspannen Sie sich weiter. Denken Sie nur an Entspannung.

 

Er macht es noch einmal obendrein.

 

Sie gehen den Bürgersteig entlang, und Sie sehen Selma näherkommen. Sie erwarten, dass sie Sie erkennt und grüßt, aber sie geht geradewegs vorbei. Beenden Sie die Szene. Einfach entspannen….

 

Stellen Sie sich wieder vor, dass Sie auf diesem Gehsteig laufen, und Sie sehen Selma näherkommen, und sie scheint Sie zu sehen, und Sie wollen Sie grüßen, aber sie geht einfach ohne Beachtung vorbei. Beenden Sie die Szene. Wenn Beunruhigung aufkam, heben Sie Ihren Finger. (Finger hebt sich nicht) Okay, entspannen Sie sich jetzt einfach. Jetzt werde ich bis 5 zählen, und dann werden Sie Ihre Augen öffnen und sich ruhig und erfrischt fühlen. 1-2-3-4-5.

 

Und die Sitzung ist vorbei. [16]

 

Man muss erkennen, dass ein vorübergehender, trance-ähnlicher Entspannungszustand, der durch die mühsame Wiederholung von Suggestionen erreicht wird, nicht der gleiche Zustand andauernder Entspannung ist, der in einer Person zustandekommt, die in Berührung mit sich selbst und ihren Gefühlen ist.

Bei der Beurteilung von Wolpes Ansatz stellt Patterson einige bedeutende Probleme heraus. Zuerst stellt er die Berechtigung der Annahme in Frage, dass menschliche Neurosen experimentellen Neurosen bei Tieren entsprechen, und behauptet, das „Wolpes Argumente nicht sonderlich überzeugend sind.“ [17] Zweitens weist Patterson darauf hin, dass Wolpes Technik reziproker Hemmung dieselbe Auffassung wie Löschung oder Gegenkonditionierung sei, und dass das letztendliche Ergebnis von Wolpes Methode die Herbeiführung von Verhalten sei, das Wolpe selbst für therapeutisch erachtet. Wolpe erreicht das durch „Ermutigung, Unterstützung, Suggestion, Befehl und …Hypnose.“

Patterson behauptet, dass die Hauptkraft der Therapie Wolpes in Wirklichkeit nicht die objektive wissenschaftliche Anwendung der Lerntheorie sei, sondern die subjektive Wirkung von Wolpes Persönlichkeit auf seine Patienten. Um diesen Punkt klar zu machen, zitiert Patterson Rotters Kritik an Wolpe:

 

Was man in der Vergangenheit häufig als Geltungs-Suggestion angesprochen hat, ist die Methode, auf die er [Wolpe] sich am meisten verlässt.  Der Patient wird zu der Erwartung verleitet, dass seine Probleme gelöst werden, wenn er tut, was der Therapeut vorschlägt, und zumindest in vielen Fällen ist der Patient willens, dieses Verhalten auszuprobieren. [18]

 

Patterson schlussfolgert:

 

Wieder scheint es, dass die Beziehung [zwischen Therapeut und Patient], obwohl von Wolpe bagatellisiert, wichtig ist – eine Beziehung, in der der Berater dem Klienten helfen will, indem er Methoden benutzt, an die er stark glaubt und von denen er den Klienten überzeugen kann. [19]

 

Für alle Konditionierungs-Pläne Wolpes gilt, dass er den  Prototyp des altersweisen allwissenden Vaters gebraucht, an den das vertrauensvolle Kind voll und ganz glauben soll. Ironischerweise muss sich Wolpe, obgleich er jede Menschlichkeit aus seiner Theorie ausräumt, tatsächlich auf genau diese Menschlichkeit verlassen, wenn seine Methode „Erfolg“ haben soll.

Wolpe beansprucht für sich eine sehr hohe Erfolgsrate, de facto so hoch, dass Patterson schreibt:

 

Der Erfolgs-Anspruch (90 Prozent offensichtlich geheilt oder sehr verbessert) muss mit einigem Skeptizismus betrachtet werden. Wie Wolpe einräumt, muss man von zwei Voraussetzungen ausgehen, damit seine Zahlen mit den Daten anderer Methoden vergleichbar sind, die gewöhnlich viel niedrigere Erfolgsquoten melden. Die erste ist, dass die Klienten gleichartig sind und dass sie nicht auf eine Weise ausgewählt werden, die das Ergebnis verfälschend beeinflussen würde. Obwohl diese Voraussetzung nicht widerlegt werden kann, gibt es dennoch keinen Beweis, der sie stützt. Wolpe schränkt sein Kientel auf Personen ein, die als neurotisch diagnostiziert wurden. Die Fallbeispiele, die er gebraucht, deuten darauf hin, dass einige schwere Fälle darunter waren; andererseits scheint es, als würden viele - wenn nicht die meisten – eher geringfügige oder begrenzte Probleme aufweisen.

 

Die zweite Voraussetzung ist, dass die Erfolgskriterien denen entsprechen, die andere anwenden. Es gibt keinen Beweis für diese Voraussetzung. Die Auswertungen wurden nur von Wolpe gemacht. Einige seiner Klienten waren in diesen Tabellen nicht enthalten, da Klienten nur aufgeführt waren, wenn sie ein „angemessenes“ Maß an Therapie gehabt haben. Therapie wird natürlich bei jedem Patienten als angemessen betrachtet, der entweder offensichtlich geheilt ist oder sehr verbessert. Bei denen, die weniger profitiert haben, wird sie als angemessen betrachtet, wenn mit jeder der reziproken Hemmungstechniken, die auf den Fall anwendbar scheinen, ein vernünftiges Maß an Versuchen unternommen wurde. Eine solche Klientenauswahl muss bei jeder Auswertung in Betracht gezogen werden, sowohl hinsichtlich der Art von Problemen, auf die eine Methode anwendbar ist, als auch hinsichtlich der Ergebnisse mit Klienten, die angenommen werden. Stevenson bemerkt, dass die Erfolgsrate, wenn wir die gesamte Reihe von 295 Fällen nehmen würden, die Wolpe seinen Angaben nach zumindest zu einem Eingangsinterview gesehen hat, auf 65 Prozent fällt. [20]

 

Verhaltenstherapie lässt sich allgemein durch die überraschend hohen Erfolgsquoten charakterisieren, die Wolpe beansprucht. Das Problem mit solchen Statistiken ist, dass wir genau verstehen müssen, was sie berichten, um ihnen den Grad an Bedeutung zu geben, den sie verdienen. Zum Beispiel sagt Ihnen die Behauptung einer 85%igen Erfolgsquote bei der Behandlung von Phobien nichts über die Kriterien, auf denen die Messung gründete; es sagt Ihnen nicht, wie man auf die 85 Prozent kam. Basierten sie auf Patienten-Berichten, dass sie ihre Phobien nicht mehr erlebten? Auf Patienten-Berichten, die von Freunden und Verwandten bestätigt wurden (im Falle verzerrter oder willfähriger Darstellungen seitens der Patienten)? Auf objektiven Testsituationen, die vom Patienten in Anwesenheit eines objektiven Beobachters durchgeführt wurden? Gab es eine Langzeit-Nachfolgeuntersuchung, um zu verifizieren, dass die „Heilung“ von Dauer war und nicht an die therapeutische Beziehung oder ihre unmittelbaren Folge-Effekte gebunden war?

Aber auch wenn alle obigen Punkte in den Kriterien für die Heilungsbemessung enthalten wären, so wäre es nicht ausreichend. Die endgültigen Kriterien für Heilung – die endgültige Anzeige, dass das Symptom vollständig aus dem System der Person entfernt worden war – sollten objektive physiologische Messungen dieses Systems sein. Wenn die Angst in der Form eines Symptoms voll entfernt worden war, würde es sich in allen Vitalfunktions-Werten des Patienten widerspiegeln. Zum Beispiel haben wir in der Vergangenheit Stresshormon-Untersuchungen gemacht. Wenn der Patient seine Phobien verlöre, die Stresshormonspiegel aber immer noch hoch wären, hätten wir den Verdacht, dass der Therapeut dem Patienten einen Streich gespielt hatte, den Patienten überzeugt hatte, er oder sie sei gesund, während er oder sie tatsächlich unter großem Stress stand. Aber ich glaube nicht, dass es Verhaltenstherapeuten gibt, die sich damit befassen würden, solche involvierten physiologischen Messungen durchzuführen, weil sie im Allgemeinen glauben, dass Sie, wenn Sie das Symptom loswerden, die Neurose losgeworden sind. Dieser Glaube an sich umschreibt die Vorgehensweise, die sie wahrscheinlich bei der Bemessung ihrer Erfolgsquote anwenden. Wieder steht die phänotypische Behandlung von Erscheinungen gegen den genotypischen Ansatz (der sich mit Ursachen an der Wurzel befasst).

Erfolgsquoten, die Verhaltenstherapeuten wie Wolpe beanspruchen, können sehr irreführend sein. Das sich präsentierende Symptom kann augenscheinlich verschwunden sein, aber solange das Gesamtsystem der Person nicht überprüft wird, gibt es keine Möglichkeit festzustellen, ob es wirklich verschwunden ist. Für Symptome gibt es eine vernünftige Erklärung! Sie sind Teil der Abwehrstruktur.

 

B. F. Skinner

B. F. Skinner rückte vor einigen Jahrzehnten mit der Schaffung dessen in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, was als Skinner-Box bezeichnet werden sollte (aber nicht von ihm selbst). Skinner entwarf den Kasten, um zu demonstrieren, wie das Verhalten seiner Laborratten die Notwendigkeit einer neuen Konzeption des Konditionierungsprozesses anzeigte. Er nannte diese neue Auffassung „operante Konditionierung“ und zeigte, wie es sich auf signifikante Weise von dem früheren  Reizpaarungs-Konditionierungs-Paradigma unterschied, auf dem der Behaviorismus gegründet war. Bei der operanten Konditionierung wird die zukünftige Wahrscheinlichkeit eines Verhaltens durch das beeinflusst, was nach ihm geschieht. Einige Ereignisse machen ein gegebenes Verhalten wahrscheinlicher, einige Ereignisse machen ein gegebenes Verhalten weniger wahrscheinlich; diese Ereignisse werden Verstärker bzw. Bestrafer genannt. Bei der Konditionierung vorhandene Reize und motivationale Variablen (z. B. Hunger oder Sättigung) beeinflussen ebenso die Wahrscheinlichkeit eines zu einem zukünftigen Zeitpunkt eintretenden Verhaltens.

Skinner behauptete, dass die Anwendung wissenschaftlicher Methoden auf die Untersuchung menschlichen Verhaltens Wissen einbringen sollte, das die Welt zu einem angenehmeren Ort machen könnte. Obwohl er auf Empirismus und atheoretisches Herangehen an den Fachgegenstand Wert legte, verließ er sich sehr auf operante Konditionierung als Erklärung für menschliches Tun. Dafür wurde er in weiten Kreisen kritisiert. Mir scheint, er wandte seine Auffassung der Verstärkung mit solcher begrifflicher Exaktheit an, dass kein Hauch menschlichen Fühlens oder Lebens übrig blieb; alles reduzierte sich auf: „nicht das Fühlen sondern die gefühlte Sache.“ Da Verstärkung das alles entscheidende Verbindungsglied in Skinners Konditionierungskette ist, scheint die Frage fair (und logisch), warum etwas verstärkt wird. Was ist das Wesen der Verstärkung? Was vermittelt Verstärkung? Welche Bedingungen tragen zu Verstärkung bei? Chaplin und  Krawiec bemerken:

 

Wenn man nachdrücklich die Frage stellt, warum Verstärker verstärken, weist Skinner auf die offensichtliche biologische Bedeutung von Verstärkern wie Nahrung und Wasser hin. Unter einem umfassenden evolutionären Gesichtspunkt wird wahrscheinlich jede Reaktion verstärkt, die Deprivation reduziert, und das führt zur Wiederholung der Reaktion. Jedoch findet Skinner nicht, dass Versuche, die Natur der Verstärkung zu analysieren, in seinem System von praktischem Nutzen seien. [21]

 

Aber Skinner geht in Wirklichkeit weiter, indem er sagt:

 

Es gibt keine wichtige kausale Verbindung zwischen der verstärkenden Wirkung eines Reizes und den Gefühlen, die er hervorruft…. Reize sind verstärkend und erzeugen Bedingungen, die aus einem einzigen Grund als gut empfunden werden, den man in der Evolutionsgeschichte findet. Auch als Hinweis ist nicht das Gefühl sondern die gefühlte Sache wichtig. Es ist das Glas, das sich glatt anfühlt, nicht ein „Gefühl der Glattheit.“ Es ist der Verstärker, der sich gut anfühlt, nicht das Nahrungsgefühl.

 

Die Menschen haben das Fühlen guter Dinge verallgemeinert und sie Vergnügen genannt und ebenso das Fühlen schlechter Dinge und haben sie Schmerz genannt, aber wir geben einem Menschen nicht Vergnügen oder Schmerz, wir geben ihm Dinge, die er als angenehm oder schmerzhaft empfindet. Die Menschen arbeiten nicht, um ein Höchstmaß an Vergnügen und ein Minimum an Schmerz zu erreichen, wie die Hedonisten behaupten; sie arbeiten, um erfreuliche Dinge herzustellen und um schmerzliche Dinge zu vermeiden. Epikurus hatte nicht ganz Recht: Vergnügen ist nicht das ultimative Gute, Schmerz nicht das ultimative Schlechte; die einzigen guten Dinge sind positive Verstärker, und die einzigen schlechten Dinge sind negative Verstärker.

 

Was maximiert oder minimiert wird oder was letztendlich gut oder schlecht ist, sind Dinge, keine Gefühle, und Menschen arbeiten, um sie zu erreichen oder zu vermeiden, nicht wegen der Art, wie sie sich anfühlen, sondern weil sie positive oder negative Verstärker sind. (Wenn wir etwas als vergnüglich bezeichnen, tun wir vielleicht ein Gefühl kund, aber das Gefühl ist ein Nebenprodukt der Tatsache, dass eine vergnügliche Sache ziemlich wörtlich eine verstärkende Sache ist….Wir nennen einen Verstärker befriedigend, als würden wir ein Gefühl bekunden; aber das Wort bezieht sich eigentlich auf eine Veränderung im Zustand der Deprivation, der ein Objekt zu einem Verstärker macht.) [22]

 

Skinner verleugnet de facto die Realität innerer Seins-Zustände, während er die Bedeutung der „Dinge“ erhöht, auf die wir entweder als verstärkend oder bestrafend reagieren. Er sagt, dass die Reaktion oder das Gefühl nicht wichtig ist, nur die Sache, die es auslöste. Es gibt drei mögliche Positionen, die auf diese Streitfrage anwendbar sind. Sie können Skinners Standpunkt nehmen und sagen, dass es die verstärkende Sache ist, die wichtig ist. Sie können den gegensätzlichen Standpunkt wählen und sagen, dass es das Gefühl der Verstärkung ist, das einen Verstärker in erster Linie bestimmt, sodass dieses das wichtige Element ist. Oder Sie können den Prozess dialektisch sehen und erkennen, dass es eine dynamische Beziehung zwischen Mensch und Umwelt gibt, zwischen den Dingen, die verstärken, und den Gefühlen, die sie hervorrufen.

Skinners Stanpunkt ist so eindimensional, dass er sich letztlich im eigenen Kreis bewegt. Obwohl er sagt, dass „es keine wichtige kausale Verbindung gibt zwischen der verstärkenden Wirkung eines Reizes und den Gefühlen, die er hervorruft“, sind es gerade diese „Gefühle, die er hervorruft,“ die als interne Mechanismen von Bewertung und Urteilsvermögen agieren. Es sind unsere Gefühlszustände, die eine Erfahrung entweder als lohnend oder bestrafend erkennen, die uns mitteilen, dass wir die Belohnung wollen und die Bestrafung nicht wollen. Wenn wir aufgrund unserer Vergangenheit verzweifelt Anerkennung brauchen, dann kann uns jeder Schmeichler „kaufen“ und uns dazu bringen, nahezu alles zu tun. Aber wenn wir in unserem Leben Anerkennung erfahren haben, werden wir Schmeichelei als eine Art Manipulation sehen, die man nicht ernst nehmen darf. Tatsächlich sind es unerfüllte Bedürfnisse der Vergangenheit, die in der Gegenwart nach Belohnung verlangen. Innere Gefühlszustände sind die notwendige Vorbedingung für alles, was auf uns verstärkend wirkt.

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Während also Skinner jedes Verhalten auf Dinge, die verstärken und Dinge, die bestrafen, reduziert, ignoriert er die Verbindung, dass wir Verstärkung erleben müssen, um sie zu suchen, und Bestrafung erleben müssen, um sie zu meiden. Wenn er behauptet, was wichtig ist, sei „das Glas, das sich glatt anfühlt, nicht ein Gefühl der Glattheit“, verfehlt er den wesentlichen Punkt, dass es das Gefühl der Glattheit ist, das in uns geschieht und das unsere Reaktion auf das Glas als Verstärker bestimmt. Folglich wird das Glas zu einem Verstärker, weil wir das Gefühl der Glattheit „mögen“ (in diesem Gefühl ‚bestärkt’ werden).

Vielleicht hat es Skinner verdreht: Gefühle sind nicht die Nebenprodukte von Verstärkern, sie bestimmen Verstärker. Dinge wirken verstärkend aufgrund der Art und Weise, wie wir sie empfinden. Dinge, die als Verstärker wirken, variieren von Kultur zu Kultur und von Jahrhundert zu Jahrhundert. Aber die Gefühle, die wir erleben und die etwas zu einem Verstärker machen, bleiben konstant. Gefühle sind der Pfad der Beständigkeit, auf dem die Evolution fortschreitet. Wenn es, wie Skinner glaubt, kein Bewusstsein als bestimmende Kraft gibt, keine Gefühle, die uns leiten, dann ist unsere ganze Menschlichkeit nichts wert, und wir sind  nur Roboter, die man konditionieren muss. Es sind unsere menschlichen Gefühle, die uns freundlich und großzügig machen, uns dazu bewegen, dass wir uns um unsere Artgenossen kümmern, dass wir bauen, planen und schaffen wollen, nicht einfach gewisse „positive Verstärker.“

 

Über das Selbst

Für Skinner stellt das Selbst eine Personifizierung dar, wobei der Mensch versucht, sich selbst als urhebenden Grund der Handlungen in seinem Leben zu sehen. „Das Selbst,“ schreibt er, „wird am häufigsten als hypothetischer Handlungsgrund benutzt. Solange äußere Variablen unbemerkt bleiben oder ignoriert werden,  wird ihre Funktion einer verursachenden Kraft innerhalb des Organismus zugeschrieben.“ [23]

Skinner glaubt, dass vom Standpunkt wissenschaftlicher Methodik diese Auffassung vom Selbst als verursachender Kraft ungültig sei. Stattdessen erachtet er das Selbst als „einen Apparat zum Repräsentieren eines funktionell vereinten Systems von Reaktionen.“ [24] Er räumt ein, dass….

 

…..die Auffassung eines Selbst kann einen frühen Vorteil haben, indem es ein relativ zusammenhängendes Reaktionssystem repräsentiert, aber es kann uns verleiten, eine Konsistenz und funktionale Integrität zu erwarten, die nicht existiert. Die Alternative zu der Auffassung besteht darin, sich einfach mit demonstrierten Ko-Variationen in der Stärke der Reaktionen zu befassen. [25]

 

Plastischer ausgedrückt:

 

Das Selbst ist ein Verhaltensrepertoire, das einer gegebenen Reihe von Eventualitäten entspricht….das Bild, das aus einer wissenschaftlichen Analyse [des Menschen] entsteht, ist nicht das eines Körpers mit einer Person darin, sondern eines Körpers, der eine Person ist, in dem Sinne, dass er ein komplexes Verhaltensrepertoire an den Tag legt. [26]

 

Das ist wahrlich die Definition des Behaviorismus. Nichts anderes zählt; keine inneren Prozesse, keine eingeprägten Erinnerungen, die uns antreiben, nur was wir tun und wie wir es tun. Es ist der äußerste nicht-reflektive Akt. Es gibt keinen Menschen mehr, nur ein Verhaltensbündel, das zu analysieren ist.

Im Gegensatz zu Skinners Theorien ist es wahrscheinlicher, dass Verhalten nicht nur dem entspringt, was im „Jetzt“ vor sich geht, sondern unserer Vergangenheit entstammt – gesteuert von Prägungen, auf die wir vor anderen Überlegungen reagieren. Frühe Prägungen basieren auf Reaktionen, die mit Überleben zu tun hatten; die Abwehr ist lebensrettend. Deshalb durchsucht das System unter gegenwärtigem Stress seine Geschichte nach dem, was in der Vergangenheit funktionierte und verlässt sich darauf, um uns durchzubringen.

 

Über Emotion

Für Skinner sind „Emotionen….exzellente Beispiele für die fiktiven Gründe, denen wir Verhalten gewöhnlich zuschreiben.“ [27] Er glaubt, es sei nutzlos, Emotionen als innere Seinszustände zu betrachten, die bewirken, dass wir uns auf die eine oder andere Art verhalten. Vielmehr ist es die uns beeinflussende Umwelt, die bewirkt , dass wir so oder so reagieren:

 

Solange wir das Problem der Emotion als eines innerer Zustände auffassen, fördern wir wahrscheinlich keine praktische Technologie. Bei der Lösung eines praktischen Problems hilft es nicht, wenn man uns sagt, dass ein bestimmtes Merkmal im Verhalten eines Menschen auf Frustration oder Angst zurückzuführen ist; man muss uns auch sagen, wie die Frustration oder Angst herbeigeführt wurde und wie sie geändert werden kann. Letztendlich läuft es darauf hinaus, dass wir uns mit zwei Ereignissen befassen – dem emotionalen Verhalten und den manipulierbaren Umständen, von denen dieses Verhalten eine Funktion ist – welche den eigentlichen Gegenstand der Emotions-Untersuchung enthalten. [28]

 

Deshalb ist es im Skinnerschen Universum nicht wichtig zu sagen, dass ein Mann ein Verbrechen wegen Zorn oder Schmerz oder Furcht beging. Vielmehr sollten wir sagen, er beging das Verbrechen, weil er seine Arbeit verloren hatte und dringend Geld brauchte. Die Lösung wäre dann, die äußeren Bedingungen zu manipulieren, indem man dem Mann einen Job verschafft. Skinners Standpunkt ist bei diesem Beispiel plausibel. Es ist denkbar, dass ein gesunder Mann, der sich mit längerer Arbeitslosigkeit herumschlagen muss, während der seine Familie in der Luft hängt, versuchen könnte, irgendwas zu stehlen. Die Handlung wäre eine sehr begrenzte Handlung, die aus sehr begrenzten Umständen entsteht. Es ist auch denkbar, dass eine einfache Manipulation der äußeren Umwelt dahingehend für eine legitime Lösung sorgen würde, dass der Mann nie wieder ein solches Delikt begehen würde.

Jedoch sind die emotionalen Probleme, die Fachgegenstand der Psychologie und Psychotherapie sind, selten so begrenzt. Meistens sind die emotionalen Zustände, die sich in der Gegenwart manifestieren, von Umständen ausgelöst worde, die komplex mit der Vergangenheit verwoben sind. Die Wut und Verzweiflung, die jemand darüber fühlt, dass er gefeuert wurde, hat weniger mit dem Verlust der Arbeit zu tun als  mit schmerzvollen prototypischen Ereignissen aus der Vergangenheit. Eine einfache Manipulation der äußeren Umwelt wird deshalb nur als temporäre Maßnahme dienen, und wenn das nächste Mal ein ähnlich harter Schlag passiert, wird wieder die gleiche emotionale Reaktion ausgelöst.

Problematisch ist hier Skinners Annahme, dass gegenwärtiges emotionales Verhalten eine Funktion gegenwärtiger manipulierbarer Bedingungen ist. Jeder weiß, dass eine Person hinsichtlich Wohlstand, Freunde und Arbeit alles haben kann und vielleicht dennoch von Depressionen gequält wird, möglicherweise dennoch seine Frau und Kinder misshandelt, dennoch Alkoholiker ist. Welche äußeren Bedingungen würde Skinner dann manipulieren, um das Problem einer solchen Person zu lösen? Und was ist mit jemanden, der in einem Ghetto aufgewachsen ist, wo die äußeren Bedingungen so schlecht waren, wie sie nur sein konnten, der  aber dennoch nicht depressiv ist, seine Frau und Kinder nicht misshandelt und kein Alkoholiker ist? Würde er sich dennoch entscheiden, die Umwelt zu manipilieren? Sein Prinzip ist reizvoll, weil es stark vereinfachend ist. Drücken Sie auf Knopf zwei, und Sie können das Problem lösen. Steckt mehr Geld in das Verbrechens-Problem, baut mehr Gefängnisse, bestraft die Kriminellen härter, und ihr werdet das Verbrechens-Problem lösen.

Ob Sie es glauben oder nicht, das ist die vorherrschende Theorie der heutigen Zeit, vielleicht nicht so explizit ausgedrückt, aber es bildet die Grundlage unserer Einstellung zu allen Arten sozialer Probleme. In anderer Form ist es kognitive Therapie. Nimm, was du siehst, kümmere dich nicht um andere tiefere Faktoren und konditioniere es mit Bestrafung, Geld, Ermahnung, Moral uns so fort.

Die Beziehung zwischen der äußeren Umwelt und der inneren Umwelt ist eindeutig weitaus komplexer, als Skinners Modell es gerne hätte. Die äußere Umwelt ist das Anfangsproblem. Aber wir wissen jetzt, dass diese ursprüngliche Umwelt in der Form eines spezifischen traumatischen Ereignisses dann neurologisch in den Organismus eingeprägt wird. Der Hass auf den Vater wird nicht als Gedanke eingeprägt, der auf Vorträge oder Bestrafung reagiert, sondern als neurophysiologische Erfahrung. Um sie zu lösen, muss sie erlebt und ausgedrückt, nicht unterdrückt werden. Der Unterschied liegt zwischen Ausdruck und Verdrängung. Leute, die verdrängt sind, bevorzugen diese Art von Behandlung. Leute, die für ihre Gefühle offen sind, sind mehr an Ausdruck interessiert. Es ist nicht bloß eine Sache der Philosophie; es ist eine Sache der Persönlichkeit, die die Basis für jemandens Einstellung bildet. Skinner hätte nie gesagt, dass Gefühle fiktiv sind, hätte er in jener Zeit die Instrumente gehabt, um die Verarbeitung von Feelings und Einprägungen zu messen. Feelings sind alles andere als fiktiv. Wenn der Blutdruck während eines Feelings auf  über 200 ansteigt, haben wir es mit keinem fiktiven Zustand zu tun. Es ist ein Ereignis auf Leben und Tod, bei dem katastrophale Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit vorherrschen.

 

Über Verdrängung

Für Skinner bedeutet Selbstkenntnis, dass man weiß, welche Dinge als positive Verstärker agieren und welche Dinge als negative Verstärker agieren – denn es sind diese Unterschiede in der Verstärkung, die das „komplexe Verhaltensrepertoire“ bestimmen, das wir Mensch nennen. Der besondere Wechsel zwischen positiven und negativen Verstärkern stellt sich als verantwortlich dafür heraus, was gewöhnlich als Verdrängung angesprochen wird. Laut Skinner ist Verdrängung kein innerer Reaktions-Mechanismus oder-Prozess in sich selbst sondern eine äußere Verhaltensanpassung an aversive Stimulierung (Bestrafung): „Wir berufen uns nicht auf einen speziellen Verdrängungsakt, sondern vielmehr auf konkurrierendes Verhalten, das extrem machtvoll wird, weil es aversive Stimulierung vermeidet.“ [29]

Wenn also ein Kind bestraft wird, weil es weint, aber nicht dafür, weil es lacht, verstärkt sich das lachende Verhalten im Vergleich mit den Ergebnissen des weinerlichen Verhaltens automatisch. Lachverhalten wird dann das „konkurrierende Verhalten, das extrem machtvoll wird, weil es aversive Stimulierung vermeidet“, und es wird durch das weinerliche Verhalten hervorgerufen. Die Verdrängung des Weinverhaltens ist deshalb auf die Aktivierung des Lachverhaltens zurückzuführen, das kraft der umweltlichen (elterlichen) Verstärkungs-Möglichkeiten gewonnen hat.

Wir wissen jetzt so viel mehr über Verdrängung und die in den Prozess verwickelten Gehirnsubstanzen, um klar zu stellen, dass Verdrängung nicht einfach eine Sache negativer Verstärkung, der Vermeidung bestimmter Dinge und Annäherung an andere ist. Es ist eine Frage, wieviel Schmerz involviert ist und ob Nervenbahnen offen sind, um die Botschaft weiterzuleiten. Wenn der Schmerz zu groß ist, verschließen sich die Bahnen, und der Schmerz wird nicht weitergeleitet. Die Verdrängung ist jetzt in Kraft.

 

Über Psychotherapie

Skinner beschreibt das Gebiet der Psychotherapie als „reich an erklärenden Fiktionen“, von denen das Konstrukt der Neurose an erster Stelle steht:

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Häufig wird die Bedingung, die korrigiert werden soll, als „neurotisch“ bezeichnet, und die Sache, die mit Psychotherapie angegriffen werden soll, wird dann als eine „Neurose“ identifiziert. Der Begriff trägt nicht mehr seine ursprüngliche Bedeutung einer Störung des Nervensystems, aber er ist nichtsdestotrotz ein unglückliches Beispiel einer erklärenden Fiktion. Er hat den Therapeuten ermutigt, es zu vermeiden, das zu korrigierende Verhalten zu spezifizieren oder zu zeigen, warum es nachteilig oder gefährlich ist. Indem er einen einzigen Grund für multiple Störungen suggeriert, impliziert er eine Einförmigkeit, die sich in den Tatsachen nicht findet. Vor allem hat er den Glauben gefördert, dass Psychotherapie darin besteht, bestimmte innere Ursachen psychischer Krankheiten zu entfernen, wie der Chirurg einen entzündeten Blinddarm oder ein Krebsgeschwür entfernt oder wie unverdauliche Nahrung vom Körper abgeführt wird.

 

Wir haben genug an inneren Ursachen gesehen, um zu verstehen, warum diese Doktrin der Psychotherapie einen unmöglichen Auftrag erteilt hat. Es ist keine innere Ursache eines Verhaltens sondern das Verhalten selbst, das man – in der medizinischen Analogie der Katharsis – „aus dem System herausbekommen“ muss. [30]

 

Wenn die inneren Ursachen aus dem Weg sind, kann die Therapie mit der Neuordnung des Verhaltens fortschreiten.

 

Therapie besteht nicht darin, dass sie einen Sorgen bereitenden Impuls freisetzt sondern dass sie Variable einführt, die eine Geschichte ausgleichen oder korrigieren, die unerwünschtes Verhalten erzeugt hat. Nicht in der Lage zu sein, eine frühe Erinnerung abzurufen, erzeugt keine neurotischen Symptome; es ist selbst ein Beispiel ineffektiven Verhaltens. Es ist gut möglich, dass in der Therapie die angestaute Emotion und das Verhaltenssymptom vielleicht gleichzeitig verschwinden oder dass eine verdrängte Erinnerung zurückkommt, wenn fehlangepasstes Verhalten korrigiert worden ist. Aber das bedeutet nicht, dass eines dieser Ereignisse die Ursache des anderen ist. Beide können sie Produkte einer Umweltgeschichte gewesen sein, die die Therapie geändert hat. [31]

 

Wenn die meisten Ansichten der Psychotherapie erklärerische Fiktionen beinhalten, was beinhaltet dann effektive Psychotherapie tatsächlich? Skinner skizziert die folgende Sequenz von Ereignissen, indem er mit nicht-fiktiven Begriffen erklärt, wie Veränderung zustande kommt:

 

Wenn ein Therapeut einem Patienten zum ersten Mal begegnet, wird er mit einem „Problem“ konfrontiert. Der Patient zeigt gewöhnlich ein neues Muster nachteiligen oder gefährlichen Verhaltens, zusammen mit einer neuen Geschichte, in deren Sinn dieses Verhalten zu verstehen ist. Der genaue Therapie-Verlauf bei der Änderung oder Ergänzung dieser Geschichte wird vielleicht nicht sofort offensichtlich. Vielleicht jedoch sieht der Therapeut schließlich, „was falsch ist“ und ist in der Lage, einen heilungsfördernden Handlungsablauf vorzuschlagen; das ist seine Lösung des Problems.

 

Jetzt hat die therapeutische Erfahrung gezeigt, dass eine solche Lösung, wenn sie einem Individuum vorgeschlagen wird, vielleicht nicht effektiv ist, auch wenn sie, soweit wir wissen, korrekt ist. Aber wenn der Patient selbst auf die Lösung kommt, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass er einen effektiven Handlungsablauf annimmt. Die Technik des Therapeuten zieht diese Tatsache in Betracht. So wie der Psychoanalytiker vielleicht darauf wartet, dass sich eine verdrängte Erinnerung manifestiert, wartet der nichtanalytische Therapeut auf das Auftauchen einer Lösung, die vom Patienten ausgeht.

 

Aber hier können wir wieder leicht die kausale Beziehung missverstehen. „Eine Lösung finden“ ist keine Therapie, gleichgültig, wer den Fund macht. Dem Patienten zu sagen, was falsch ist, führt vielleicht zu keiner wesentlichen Veränderung bei relevanten unabhängigen Variablen, und deshalb zu wenig Fortschritt auf eine Heilung hin. Wenn der Patient selbst sieht, was falsch ist, ist es nicht die Tatsache, dass die Lösung aus seinem Inneren gekommen ist, die wichtig ist, sondern dass sich sein Verhalten, um seine eigene Lösung entdecken zu können, hinsichtlich seines Problems beträchtlich geändert haben muss….

 

Therapie besteht nicht darin, den Patienten soweit zu bringen, dass er die Lösung für sein Problem entdeckt, sondern ihn auf solche Art zu ändern, dass er fähig ist, sie zu entdecken. [32]

 

Die meisten Patienten zeigen kein „Problem“: Sie sind das Problem. Es ist ein unbehaglicher Seinszustand. Wie bestimmen Sie ihn? Was machen Sie mit chronischer Depression? Da gibt es nichts zu manipulieren. Es ist alles innerlich. Natürlich ist Neurose eine „Fiktion“, ein theoretisches Konstrukt, das viele physische Systeme umfasst. Aber sie ist auch insofern real, als es in diesen Subsystemen messbare Veränderungen gibt, die wir als Gestalt gesehen Neurose nennen. Sie involviert ein bestimmtes Verdrängungsniveau, einen gewissen Grad an Abweichung vom Normalen, nicht nur im Verhalten sondern in neurochemischen Systemen.

Die ganze Idee beim Behaviorismus ist, dass der Rest folgt, wenn Sie das Verhalten ändern. Als ob man Gehirn-Schaltkreise durch Verhaltens-Manipulation ändern könnte. Zum Beispiel stellt man sich vor, dass die Gefühle folgen, wenn man seine Wut kontrolliert. Die ganze Kontrolle trägt aber dazu bei, dass sich Wut bis zum Zerbersten aufbaut.

 

Über Originalität

Skinner behauptet, dass wir weder Wissen noch Fähigkeiten haben. Wir haben nur Verhalten, das aus „Möglichkeiten“ resultiert, „die eine große Vielzahl von Verstärkern involviert.“ Jemand ist nicht deshalb ein guter Autofahrer, weil er das notwendige Wissen und die nötige Fertigkeit hat, sondern „wegen der Möglichkeiten der Verstärkung, die sein Verhalten formten und es aufrecht erhalten.“

Entsprechend haben wir keine Originalität. Diese höchste Gabe, die vermeintlich zum Menschen allein gehört, gehört zur Umwelt. Original-Ideen entstehen laut Skinner aus neuen Möglichkeiten, die wiederum neues Verhalten generieren:

 

Wir können die Entstehung neuer Ideen im Sinn von Reaktionen, die nie zuvor unter den gleichen Umständen erfolgten, anerkennen, ohne ein einziges Element an Originalität in den Individuen, die sie haben, zu implizieren. Der Mensch hat jetzt viel mehr Kontrolle über die Welt als seine Vorgänger, und das legt Fortschritte bei Entdeckungen und Erfindungen nahe, in denen ein starkes Element von Originalität zu liegen scheint. Aber wir könnten diese Tatsache ebenso gut ausdrücken, indem wir sagen, dass die Umwelt jetzt den Menschen besser unter Kontrolle hat. Verstärkende Eventualitäten schaffen neue Verhaltensformen. Hier, wenn überhaupt, findet man Originalität. [33]

 

Einerseits sagt Skinner, dass die Umwelt für den Fortschritt in der Welt verantwortlich ist, in der wir leben: „Die Umwelt hat jetzt den Menschen besser unter Kontrolle.“ Andererseits sagt er auch, dass der Mensch „tatsächlich von seiner Umwelt kontrolliert wird, aber wir müssen daran denken, dass es weitgehend eine Umwelt seiner eigenen Schaffung ist“ [34] Aus einem Winkel werden Verstärkungs-Eventualitäten als Former der Umwelt gesehen, während es aus einem anderen Winkel um eine Umwelt geht, die weitgehend vom Menschen selbst geformt wird.

Skinner gelangt zu einer eindimensionalen Definition eines multidimensionalen Phänomens. Der obige Widerspruch veranschaulicht sehr gut die zwei Variablen, die Skinner vergeblich zu isolieren und im Sinne einer einbahnigen Ursache-und-Wirkung-Beziehung einzuordnen versucht. Er versucht, die Umwelt als entscheidenden Faktor für menschliches Verhalten auszuweisen, muss aber auch zugeben, dass die Umwelt ein Produkt dieses menschlichen Verhaltens ist. Es gibt keine Genetik, keine Geschichte, keine angeborenen Fähigkeiten und keine Vererbung. Es ist alles äußeres Verhalten.

Warum ist jemand so geschickt bei Basketball und ein anderer im Klavierspielen? Ist das alles einfach Verstärkung? Es gibt Leute, die ein paar Stunden im Klavierspiel nehmen und große Musiker werden. Andere, die studieren und Belohnung und Anerkennung erhalten und nichts erreichen. Es gibt eindeutig angeborene Unterschiede. Mit den Behavioristen ist es wie mit dem Schuster, der nur Schuhe in der Welt sieht. Was im Schema der Behavioristen fehlt, ist der Mensch; für sie ist er nur eine entwickelte Ratte.

 

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Anmerkungen und Quellen [1]-[34]: siehe Originalversion

 

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Übersetzung: Ferdinand Wagner

 

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