DIE ATEMBERAUBENDE KARRIERE DER SECTIO CAESAREA Eine Entwicklung, die einigen Leuten Atemprobleme bescheren könnte, hat die Kaiserschnitt-Geburt genommen. Wie Odent in seinem jüngsten Buch "The Caesarean" ausführt, ist aus der ursprünglichen "großartigen Rettungsoperation" ein "Konsumgut" geworden. In Brasilien ist der Anteil der Kaiserschnitt-Geburt bereits auf über 50% angestiegen. Odent sagt, wenn der gegenwärtige Trend anhält, wird sich die gleiche Statistik auch bald für viele andere Länder ergeben, für Indien, China, Taiwan, Thailand, Singapur, Südkorea, für die Mehrheit der lateinamerikanischen Länder, aber vielleicht auch für die Türkei, für Griechenland, Spanien und Portugal. In den USA liegt die Quote bei 26%, in England, Frankreich, Schweiz, Ungarn, Australien und Neuseeeland liegt die Quote zwischen 20% und 25%. In Deutschland hat die Kaiserschnitt-Quote nach jüngsten Angaben des Statistischen Bundesamts inzwischen die 25% - Marke überschritten. Es fällt auf, dass in allen Ländern, in denen die Sectio-Quoten in die Höhe schnellen, die Anzahl der ärztlichen Geburtshelfer die Zahl der Hebammen um ein Vielfaches übersteigt, bzw., dass dort die Hebammen nahezu völlig verschwunden sind. Es scheint, dass überall dort, wo männliches "Geburtshandwerk" ( Rockenschaub) sich ungehindert entfalten kann, der Kaiserschnitt langfristig unweigerlich zur Standardgeburt zu werden droht. Theoretiker denken bereits über eine neue Dimension des Gehirnwachstums nach, da ja das Hindernis des engen vaginalen Geburtskanals durch die Kaiserschnitt-Technologie umgangen werden kann, sodass der Geburt von "Babys mit Riesengehirn" nichts mehr im Weg steht. Es ist vielleicht etwas einfältig, zu denken, ein größeres Gehirn sei gleichbedeutend mit höherer Intelligenz. Vermutlich schleppt jede(r) von uns bereits jetzt einen beachtlichen Haufen an Nervenzellen mit sich herum, die wir überhaupt nicht nutzen können, weil sie synaptisch unzureichend miteinander verknüpft sind. Es ist bekannt, dass das Gehirn in bestimmten kritischen Perioden in den ersten Jahren nach der Geburt die Vernetzung seiner Zellen organisiert. Welche Bereiche in welchem Ausmaß synaptisch verknüpft werden, hängt von der Umwelt ab, genauer gesagt, vom emotionalen Engagement, das die Bezugsperson (die Mutter) ihrem Kind entgegenbringen kann (Siehe hierzu Allan Schore5 und andere). Kurz gesagt ist eine sichere Mutter-Kind-Bindung in der Regel der Garant für ein in vielerlei Hinsicht helles Köpfchen. Und in diesem Punkt könnten Kinder, die durch geplanten Kaiserschnitt (bei dem die Stimulierung des fetalen Systems durch Wehen völlig unterbleibt und auch keine fetale und mütterliche Hormonausschüttung zustandekommt) zur Welt kommen, im Nachteil sein, weil die Möglichkeit einer geburtshormonell induzierten und fundierten Mutter-Kind-Bindung nicht gegeben ist. Es könnte auch sein, dass die Wehen eine Art Startrampe für wichtige neuroendokrine Systeme bedeuten, zum Beispiel für das Dopaminsystem. Wenn die Stimulierung des Nervensystems durch die Wehen ausfällt, könnte das vielleicht Auswirkungen auf die spätere Fähigkeit haben, sich zu konzentrieren und beharrlich an einem Projekt zu arbeiten. Alles in allem sollte es nicht verwundern, wenn der evolutionsbeschleunigende Schuss mit der Kaiserschnitt-Kanone voll nach hinten losgeht. Auch im deutschsprachigen Raum entscheidet sich eine zunehmende Zahl von Frauen ohne medizinische Indikation für eine Sectio, nachdem eine zunehmende Zahl von Medizinern die Wunschsectio in ihr "Standardprogramm" aufgenommen hat. Natürlich gibt es medizinische Indikationen, die eine Sectio zwingend erforderlich machen. Aber diese Fälle sind sehr selten. Odent nennt unter anderem die plazenta praevia (die Plazenta versperrt den Ausgang) oder die Querlage des Fetus. In diesen Fällen besteht keine Chance auf eine vaginale Geburt. Meistens aber geht es um "debatable indications", um strittige Indikationen, zum Beispiel bei Steißlagen. Bei diesen verkehrten Kindslagen gibt es heute kaum noch Geburtsmediziner, die die Verantwortung einer vaginalen Entbindung auf sich nehmen wollen. (Wie ich aus gewissen Anmerkungen Odents und aus Kommentaren auf Internet-Seiten schließe, ist die Angst vor Gerichtsprozessen ein wesentlicher Faktor, der zu Verkrampfung und Verspannung in der aktuellen klinischen Geburtssituation beiträgt. Odent weist darauf hin, dass die Geburt ein natürlicher Vorgang ist, der manchmal furchtbar schieflaufen kann. Es ist nicht so, dass im Fall von Komplikationen immer ein Verschulden von Geburtshelfern vorliegen muss. Das ist ein Punkt, über den sich "Konsumenten" medizinischer Dienstleistungen im Klaren sein müssen). Die laut Odent weitaus häufigste strittige Indikation und der Hauptgrund für eine Sectio innerhalb der Wehen ist "failure to progress" (wörtlich: "Das Versagen/ Misslingen/Scheitern, fortzuschreiten/ voranzukommen/weiterzumachen") und eng damit verknüpft der "foetal distress", die Notlage des Fetus.
Odent steht mit seiner Einschätzung, dass die meisten Kaiserschnitte heute unvermeidlich seien, in deutlichem Widerspruch zu Rockenschaub, der auch heute noch eine Sectio-Rate von 1% für angemessen hält (Zu Rockenschaub weiter unten im Text). Odent nennt hier bereits einen seiner Ansicht nach wesentlichen Grund für die häufige 'failure to progress' - Situation: die nicht verstandenen physiologischen Bedürfnisse gebärender Frauen. Ein weiter Grund für die Probleme, die Frauen bei der Geburt haben, scheint Neurose zu sein. So schreibt Janov in der Einleitung einer längeren Fallgeschichte:
Eine normale Geburt mit ihren Wehen und ihrem "Hormonmix" bereitet das System des Babys (und der Mutter) angemessen auf den neuen extrauterinen Lebensabschnitt vor. Bei einem Kaiserschnitt, der durchgeführt wird, bevor die Wehen überhaupt eingesetzt haben, scheint etwas Wesentliches zu fehlen, und es sollte nicht verwundern, wenn viele dieser Individuen als Kinder und Erwachsene in bestimmten Bereichen signifikant mehr Probleme aufweisen als Normalgeborene. In einem auf der Internetseite www.geburtskanal.de (unter Aktuelles, "Zur Renaissance der Geburtshilfe") veröffentlichten Interview geht Prof. Alfred Rockenschaub, ehemaliger Chefarzt der Ignaz-Semmelweis-Klinik in Wien und Buchautor, mit der heutigen Geburtsmedizin hart ins Gericht. Er hält eine Kaiserschnittquote von circa 1% für angemessen. ((Die Quote, die die Semmelweis-Klinik unter seiner Leitung (1965-1985) bei einer Gesamtzahl von rund 45.000 Geburten aufweisen konnte)). "Was darüber hinausgeht, ist gemacht" (Rockenschaub). Er deutet einen Zusammenhang zwischen der modernen Geburtstechnologie und Phänomenen der Gegenwarts-Gesellschaft an: "Bemerkenswerterweise ist, seit die Kaiserschnittrate so offensichtlich anstieg, die Zahl der pädagogisch einer Sonderförderung bedürftigen Schulanfänger um ein Drittel angestiegen!" Das ist aber vorerst Spekulation. Eine genaue Untersuchung müsste zeigen, ob Zusammenhänge zwischen Lern- und Verhaltensstörung und Geburtsverlauf bestehen. Bemerkenswert ist auch, dass Rockenschaubs exzellente Bilanzen an der Semmelweis - Klinik in Wien ( mit einem Minimum an künstlichen Eingriffen in den Geburtsverlauf) nach seinen eigenen Angaben darauf zurückzuführen ist, dass er die amtierenden Oberärzte "vergraulte" und alle Hebammen auf seiner Seite hatte: "Es war irgendwie erquickend und zugleich erschütternd, wie man mit ein paar klugen und geschickten Hebammen ein halbes Dutzend geburtsmedizinisch indoktrinierter Kliniker ins Leere laufen lassen kann - und dies noch dazu nur zum Vorteil der Gebärenden." (Rockenschaub). Eine wichtige Lehre daraus könnte sein, dass Frauen für die Geburtshilfe grundsätzlich besser geeignet sind und bessere Ergebnisse erzielen als Männer, und das sogar ohne mehrjähriges akademisches Studium. So erbrachte eine kalifornische Studie, die von 1959-1966 in einer ländlichen Gegend (Madera County) durchgeführt wurde, folgendes nur scheinbar verblüffendes Ergebnis: Säuglingssterblichkeit in der Bevölkerungsgruppe, in der die Schwangeren ausschließlich von Gynäkologen und ärztlichen Geburtshelfern betreut wurden: 32,1 je 1000; vorzeitige Entbindungen in dieser Gruppe: 9,8%; in der ausschließlich von Allgemeinmedizinern betreuten Gruppe: 23,9 je 1000 und 11%; in der ausschließlich von Hebammen betreuten Gruppe: 10,3 (!) je 1000 und 6,4% (!). Eine Reihe weiterer Studien (auch ein Vergleich zwischen dem "Ärztebezirk" Wien IX und dem dünn besiedelten Osttirol) bestätigt dieses Resultat. (Quelle: Rockenschaub, Gebären ohne Aberglaube, Facultas, Wien, 2001, s. 11 und s. 35). Rockenschaub bietet für dieses Phänomen folgende Erklärung an: Geburtsmediziner neigen wesentlich schneller als Hebammen dazu, eine fetale Notsituation zu diagnostizieren und die Schwangerschaft vorzeitig durch operativen Eingriff zu beenden. ( Angst vor Gerichtsprozessen?). Folglich steigt die Quote der vorzeitigen Entbindungen und, da einige der Säuglinge diesen künstlichen Eingriff nur kurzfristig überleben, auch die Quote der Säuglingssterblichkeit. Wäre die von den Ärzten gestellte Diagnose einer fetalen Notlage in den meisten Fällen zutreffend, dann könnte man erwarten, dass in der von Hebammen betreuten Schwangerengruppe die Säuglingssterblichkeit deutlich über der Quote der von Ärzten betreuten Gruppe liegt, da Hebammen ja nicht befugt sind, operativ (Sectio) zur Beendigung des 'fetal distress' einzugreifen, und somit ein wesentlich höheres Risiko hätten, tote Babys zu "produzieren". Aber das Gegenteil ist der Fall: Hebammen erzielen eine Quote, die deutlich niedriger ist als die der Mediziner. Den Gesetzen der Logik zufolge bleibt nur der Schluss, dass es sich bei den vermuteten akuten fetalen Notlagen in den meisten Fällen um Fehldiagnosen handelt und dass die künstlichen Eingriffe die Ursache für die höhere neonatale Mortalität sind. ______________________
In Odents Datenbank befindet sich eine Reihe von Untersuchungen, die folgende statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen Geburtsphänomenen/Geburtseingriffen und späteren Störungen nachweisen. Bei folgenden Studien sind auch Schnittentbindungen involviert:
Was sich aus diesen wenigen Studien bis jetzt klar herauskristallisiert, ist, dass ein Zusammenhang besteht zwischen Kaiserschnitt-Geburt und dem verstärkten Auftreten von Atemwegsproblemen. Wie Odent anmerkt, unterscheiden diese Studien leider nicht zwischen einer Sectio ohne Wehen und einer Sectio mit Wehen. Odents Vermutung geht dahin, dass ein geplanter Kaiserschnitt ohne Wehen wesentlich häufiger Atemprobleme nach sich zieht als eine Sectio mit Wehen bzw. eine Vaginalgeburt. Er weist darauf hin, dass man heute davon ausgeht, dass der Fetus an der Einleitung der Wehen beteiligt ist. Eine wahrscheinliche Möglichkeit sei, dass er eine Signal-Substanz in die Amnionflüssigkeit absondere, die anzeige, dass seine Lungen reif sind. Außerdem, so sagt er, leisten die während der Wehen abgesonderten fetalen und mütterlichen Hormone wahrscheinlich einen wichtigen letzten Beitrag zur Reifung der Lungen. Die folgenden Zitate verschiedener Autoren sollen verdeutlichen, dass eine Kaiserschnitt-Geburt, vor allem eine geplante, bei der dem Kind keine einzige Wehenkontraktion zugestanden wird, eine Reihe von Problemen nach sich ziehen kann:
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Eine Studie der Ludwig-Maximilians-Universität in München unter Leitung von Dr. Sybille Koletzko an 865 Neugeborenen, die alle vier Monate lang gestillt wurden und deren Eltern alle unter einer Allergie litten, führte zu dem Ergebnis, dass die durch Kaiserschnitt entbundenen Kinder ein um annähernd 50% erhöhtes Risiko für Durchfallerkrankungen und ein um mehr als 100% höheres Risiko für eine Lebensmittelallergie gegenüber den vaginal geborenen Babys hatten.
Die Wissenschaftler sind der Überzeugung, dass der beim Kaiserschnitt fehlende Kontakt mit mütterlichen vaginalen Bakterien, die bei der normalen Geburt während der Passage durch den Geburtskanal auf das fetale System übergreifen und die Darmflora des Babys widerstandsfähiger machen, die Ursache für die auftretenden Nachteile bei den Sectio-Kindern sind. Man muss sich deutlich vor Augen halten, was diese Resultate aussagen: Deprivation (auch wenn es sich hier "nur" um vorenthaltene mütterliche Bakterien handelt) in einer kurzen kritischen Periode hat beachtliche Langzeitfolgen, ein Prinzip, das für alle frühen Lebensphasen und Bedürfnisse gilt. Wenn die Vorenthaltung mütterlicher Bakterien solche Wirkungen nach sich zieht, welche Langzeiteffekte hat dann vielleicht die Versagung mütterlicher Wehen? _______________ Über die psychischen Auswirkungen von Kaiserschnitt-Geburten finden sich bei Janov folgende Angaben:
____________ Dem Geburtsforscher Odent ist an Brasilien, "einem Land, in dem die Kaiserschnittquoten in die Höhe schießen und die Pro-Kaiserschnitt-Mentalität alldurchdringend geworden ist" [Odent, 2004], zum einen aufgefallen, dass ein enormer staatlicher Aufwand (durch Gesetzgebung als auch durch Medienkampagnen) betrieben wird, um das Stillen der Babys zu fördern. Seine Vermutung aus einer "physiologischen Perspektive" geht dahin, dass in einer Kaiserschnitt-Kultur Müttern längerfristiges Stillen nicht leicht fällt. Tatsächlich ergab eine Umfrage, dass gerade jene weiblichen Gesundheitsexpertinnen, deren spezielle Aufgabe es ist, den Müttern ausschließliches Stillen für mindestens sechs Monate zu empfehlen, im Schnitt selbst nur 98 Tage stillten. Eine andere Umfrage in Nordost-Brasilien ergab, dass die Frauen im Durchnitt bereits nach 24 Tagen anfangen, ihre Babys (zusätzlich oder ausschließlich) mit 'anderer' Milch zu füttern. Ein anderes Detail der erstgenannten Umfrage war, dass unter den Akademikerinnen im Brasiliens Gesundheitswesen die Sectio-Quote satte 85,7% (!!) beträgt. Zum anderen fiel ihm auf, dass in Brasilien in den letzten 10 Jahren die Anzahl der plastischen ('Schönheits'-) Operationen jährlich um 10-20 Prozent zugenommen hat. (Auch in China, einer anderen Kaiserschnitt-Hochburg, sind die Leute laut Information einer TV-Nachrichtensendung zunehmend auf solche 'plastischen Korrekturen' versessen). Eine brasilianische Umfrage unter 346 normalgewichtigen Männern und Frauen brachte an den Tag, dass 50% der Befragten mit ihrem Körper unzufrieden waren und dass sich 67% der Frauen und 28 % der Männer gerne einer plastischen Operation unterziehen würden. Kommentar der Psychologin, die die Untersuchung initiierte: "Einige von ihnen laufen von Arzt zu Arzt....aber sie sind nie mit ihrem Aussehen zufrieden." Odents Frage: "Ist das ein Ausdruck der weitverbreitet geschwächten Fähigkeit zur Selbstliebe?" Man könnte weiter fragen: Versuchen diese Individuen, im Nachhinein symbolisch den Liebesmangel auszugleichen, der ihnen in einer kritischen Periode am Lebensanfang widerfahren war? Versuchen sie, "ein allgemeines Gefühl der Unvollständigkeit zu beheben, wie bei Janov beschrieben? Die implizite Hoffnung mag sein: "Nach der Schönheitsoperation werde ich endlich geliebt." Versuchen diese Individuen letztendlich symbolisch, durch eine zweite (jetzt plastische) Operation die defizitären Folgen einer ersten Operation (Sectio) zu egalisieren? Es wird ein endloses Unterfangen sein, da sich in frühen kritischen Perioden Versäumtes später kaum nachholen lässt. Und so kann es nicht verwundern, dass diese Menschen von Arzt zu Arzt rennen, ohne je zufrieden zu sein. Die einzige Alternative wäre, in die Vergangenheit (auf eine tiefere Bewusstseinsebene) zurückzukehren und den Schmerz der Deprivation zu fühlen. Odents Datenbank wächst von Jahr zu Jahr. "Primärforschung" als eine Wissenschaft, die frühe Erfahrungen und deren mögliche Langzeitwirkungen untersucht, ist ein relativ junges Forschungsfeld. Odent steht unter dem Eindruck, dass Studien, die die Geburt betreffen, gegen die "political correctness" verstoßen und in der wissenschaftlich-medizinischen Welt oft auf starken Widerstand oder auf Desinteresse stoßen, wohingegen Untersuchungen, die sich auf die pränatale Phase konzentrieren, in der Regel problemlos akzeptiert werden. Das sollte nicht weiter verwundern, zumal bei der Geburt Ärzte, Geburtshelfer, Kliniken viel stärker involviert sind als in der Phase der Schwangerschaft. Es geht hier um das Image der modernen Medizin. Unter diesem Gesichtspunkt macht es einen Sinn, wenn versucht wird, solche Studien abzublocken oder ins Leere laufen zu lassen. Keine Klinik, kein Arzt möchte einen Beleg präsentiert bekommen, der Zusammenhänge zwischen ihren/seinen Geburtspraktiken und dem verstärkten Auftreten bestimmter Symptome nachweist. Das Problem - nicht nur bei der Geburt - besteht darin, dass in natürliche Abläufe eingegriffen wird, ohne dass ein ausreichendes Wissen darüber vorhanden ist, ob mit Langzeitfolgen zu rechnen ist oder nicht und wie beschaffen diese Folgen sind. Das alles geschieht entweder in dem Glauben, dass "menschliche Intelligenz" der "natürlichen Intelligenz" haushoch überlegen ist und dass deshalb alle Eingriffe nur zum Besten der Menschheit und des gesamten Planeten sein könnten, oder es entspringt einer hochgradig egoistischen, kurzsichtig-profitorientierten und bequemen "Nach-uns-die-Sintflut"- Haltung. Es gibt Skeptiker, die mutmaßen, dass wir uns mit unseren "gekonnten" Eingriffen in natürliche Prozesse und Lebensräume letztlich unser eigenes Grab schaufeln. Neurotische Gesellschaften neigen dazu, alles im Übermaß zu betreiben, weil ihre Mitglieder nahezu permanent damit beschäftigt sind, die Löcher zu füllen, die frühkindliche Deprivation gegraben hat. Neurotische Gesellschaften tragen das Potential zu ihrer eigenen Zerstörung in sich, aber in ihnen liegt auch die Macht, von Grund auf gesunde und langfristig überlebensfähige Individuen hervorzubringen. Janov spricht von einem Konflikt zwischen den "realen" und den "irrealen" Kräften einer Gesellschaft, und er lässt die Frage offen, wer schließlich den Sieg davontragen wird. Fest steht aber, dass die "Irrealen" eine imposante Übermacht aufweisen können, und dass die "Realen" vor der schwierigen Aufgabe stehen, diesen im wahrsten Sinn des Wortes "ver-rückten", asymmetrischen Zustand in Richtung einer größeren Ausgeglichenheit zu verändern.
Es ist durchaus angebracht, sich über die Merkmale und Eigenheiten einer nicht länger fiktiven Population Gedanken zu machen, in der die überwiegende Mehrheit durch einen geplanten Kaiserschnitt geboren wurde. Wenn man die Hinweise aufgreift, die Janov in seinen Büchern gibt, und die Fakten zur Hand nimmt, die Odent in seiner Datenbank und seinen Büchern anbietet, unter anderem auch die, dass Frauen, die durch Kaiserschnitt geboren wurden, ein sechsfach höheres Risiko haben, bei der Geburt ihrer eigenen Kinder auf dem vaginalen Weg zu scheitern und nur durch Kaiserschnitt entbinden zu können, und auch die, dass männliche Englische Bulldoggen (eine Rasse, die zu über 90% per geplante Sectio geboren wird) zeugungsunfähig sind, sodass der Fortbestand der Rasse nur durch künstliche Befruchtung gewährleistet werden kann, dann ist die Vision eines kränkelnden, schwächelnden depravierten, lieblosen, leidenden Volkes, das innerhalb weniger Generationen am Rand der Selbstauslöschung steht, vielleicht gar nicht so absurd. Man könnte zynisch werden und sagen, dass Brasilien, China, Indien und andere Staaten mit dem systematischen, geplanten Kaiserschnitt jetzt endlich eine zuverlässige Methode gefunden haben, um der Bevölkerungsexplosion langfristig endgültig Herr zu werden, aber die durchaus realistischen Qualen depravierter Individuen, die vielleicht ihr gesamtes Leben lang mit dem Versuch beschäftigt sind, die Defizite ihrer Sectio-Geburt und des daraus vielleicht resultierenden mangelhaften 'Bondings' auszugleichen, lassen jeden Ansatz von Zynismus unangemessen erscheinen.
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Quellen: Odent, The Caesarean, Free Association Books, London, 2004; Rockenschaub, Gebären ohne Aberglauben, Facultas, Wien, 2001; Janov, Why you get sick - How you get well, Dove Books, West Hollywood, CA, 1996 Janov, Frühe Prägungen, Fischer, 1984 Janov, Anatomie der Neurose, Fischer Taschenbuch, 1974 Janov, Revolution der Psyche, Fischer, Frankfurt, 1976 Nathanielsz, Leben im Mutterleib, List, 1995
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