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DIE GEBURT - EIN
VERWINKELTER WEG MIT HINDERNISSEN?
Um die Geburt selbst schlingen sich viele Theorien. Der
Psychoanalytiker und Mitarbeiter Freuds, Otto Rank
14 (1884-1939), hielt sie
für ein grundsätzlich traumatisches Ereignis. Er war der Überzeugung, die Menschen
seien ihr ganzes Leben lang durch den Schock der frühen Trennung
gezeichnet und sehnten sich insgeheim danach, wieder in den Mutterleib
zurückzukehren. Andere Wissenschaftler bezeichneten die Geburt als das
potentiell lebensbedrohlichste Ereignis im Dasein des Individuums. Nie
wieder komme der Mensch dem Tod so nahe wie in dieser Übergangsphase zwischen
Mutterleib und extra-uteriner Welt.
Sowohl Janus als auch Odent weisen auf
einen evolutionären Konflikt hin, der sich aus dem Gehirnwachstum
einerseits und dem aufrechten Gang andererseits ergab. Das wachsende
Gehirn bedeutete einen größeren Kopfumfang des Fetus bei der Geburt.
Andererseits erforderte der aufrechte Gang ein möglichst enges Becken
und, wie Janus sagt, "eine Einbuchtung durch die S-förmige
Wirbelsäule". Das Resultat ist ein "abgeknickter
Geburtskanal, der im oberen Durchmessser queroval und im unteren
längsoval ist." Odent schreibt in seinem jüngsten Buch "The
Caesarean"2, die Geburt sei beim Menschen ein
"komplexes asymmetrisches Phänomen", bei dem es zu einer
"leichten Verformung des kindlichen Schädels" kommen
kann. Im Gegensatz zum Menschen beanspruche der Kopf des Schimpansenbabys
wesentlich weniger Platz im mütterlichen Becken und die "Vulva
der [Schimpansen-]Mutter [sei] perfekt zentriert, sodass die Geburt des
Babykopfes so symmetrisch und direkt wie möglich erfolgen kann."
Die Frage, die sich daraus ergibt, lautet,
ob die Geburt zwangsweise ein traumatisches Ereignis sein muss. Ich glaube
es nicht. Wenn eine Frau sich auf die physiologischen Vorgänge bei der
Geburt voll einlassen kann, wenn ihr System keine Abwehrmaßnahmen gegen
diese Vorgänge in Gang setzt, dann wird die Geburt für Mutter und Kind
zwar sehr anstrengend sein, aber nicht zwangsweise kompliziert und traumatisch.
Leider ist diese "Abwehr" gegen physiologische Vorgänge, die
von tieferen Gehirnzentren organisiert werden, bei vielen neurotischen
Menschen ein automatischer Vorgang, besonders wenn diese Vorgänge mit
"Erregung", "Konvulsion" , "Freisetzung" ,
"Öffnung" zu tun haben. Diese Abwehr tritt umso leichter und intensiver in Kraft, je
weniger auf die "physiologischen Bedürfnisse"
gebärender Frauen, auf die Michel Odent in seinen Büchern immer
wieder hinweist, Rücksicht genommen wird. Sein oberster
"Lehrsatz" lautet: "Stimuliere nie den
Neokortex einer Frau, die sich in den Wehen befindet!" Das
bedeutet für Odent in der Praxis: Kein helles Licht, keine unnötigen
Fragen an die Gebärende, kein Umfeld, in dem sie sich beobachtet fühlt,
sondern eine Umgebung, in der sie sich wirklich sicher fühlt. Odent
hält eine Hebamme, die
selbst autonom und natürlich geboren hat und sich im Hintergrund zu
halten weiß, für die ideale Geburtshelferin. Er macht kein Hehl aus
seiner Überzeugung, die seiner langjährigen Erfahrung als
Geburtsmediziner an der Pithiviers-Klinik in der Nähe von Paris und als
"männliche Hebamme", die viele Hausgeburten begleitet hat,
entspringt, nämlich dass wir langfristig wieder " zu unseren
Wurzeln", zu einer Hausgeburts- , Geburtshaus- und Hebammenkultur
zurückfinden müssen. Odent
sagt auch ganz deutlich, dass er den "foetus ejection reflex",
den "Fötus-Auswurf-Reflex" und das Phänomen, dass Gebärende
sich "auf einem anderen Planeten" (auf einer anderen
Bewusstseinsebene) zu befinden scheinen, nur bei Hausgeburten erlebt hat.
Dabei scheint es gerade dieses durch neokortikale Kontrolle und Abwehr und
durch künstliche Eingriffe nicht beeinträchtigte Gebären "auf
einem anderen Planeten" zu sein, dass die Hormone freisetzt, die zu
einer sicheren Mutter-Kind-Bindung führen. Gerade hier schlägt die Liebe
oft ihre Wurzeln.
"Die von Ethologen
eingeführten Konzepte werden jetzt durch Forschung untermauert, die die
Verhaltenseffekte der vielen Hormone untersucht, die in die Geburt und
auch in die verschiedenen Facetten der Liebe involviert sind. Gemäß
unserem aktuellen Wissen muss eine Frau einen komplexen Cocktail an
Liebeshormonen freisetzen, wenn sie gebärt. Die von Mutter und Fötus
während der Wehen und Geburt freigesetzten Hormone werden nicht sofort
eliminiert, und jedem von ihnen kommt bei der Interaktion zwischen Mutter
und Neugeborenem in der Stunde unmittelbar nach der Geburt eine spezielle
Rolle zu."
[Übersetzt aus: Odent, The Caesarean, Free Association Books, London,
2004, p. 37]
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Dass die Geburt grundsätzlich einen anhaltenden
Trennungsschock verursache, wie Otto Rank es postuliert hat, scheint wie
eine isolierte psychologische Theorie. Biologisch macht das wenig Sinn. Wenn in einer
bestimmten Phase im Leben eines Menschen alle Bedürfnisse ordentlich
erfüllt worden sind (bei der Geburt angemessene Stimulierung durch
Uteruskontraktionen, ungestörter Fluss von Geburtshormonen und ausreichende Versorgung mit Sauerstoff), dann kann
darauf eine neue Entwicklungsstufe aufbauen und sich entfalten, ohne dass
die Ereignisse der vorherigen Phasen sich hinderlich einmischen würden.
Nur eine tatsächlich traumatisch
verlaufende Geburt kann beeinträchtigende Auswirkungen auf alle
folgenden Lebensabschnitte haben, eben weil sie als lebendiges,
energiegeladenes Trauma ins Gehirn eingeprägt wird. Das ist dann keine
"Erinnerungsleiche", die irgendwo in den dunklen Katakomben des
Gehirns herumliegt, sondern ein echtes "Kraftpaket", das dem Organismus
größte Probleme bereiten kann. Eine traumatische Geburt besitzt eine Prägegewalt, die man in Anbetracht der kurzen zeitlichen Dauer dieses
Ereignisses oder Lebensabschnittes als geradezu ehrfurchtgebietend
bezeichnen muss. Wie Arthur Janov in seinen Büchern
ausführt, kann der Verlauf der Geburt
zum Beispiel wesentlichen
Einfluss darauf
haben, wie jemand als Erwachsener tendenziell auf Lebensprobleme reagiert, ob
passiv-resignativ, oder aktiv-kämpferisch, und er kann mitentscheiden, welche
Krankheiten im Erwachsenenalter auftreten werden. Janov
ist in seiner klinischen Praxis seit mehr als
dreißig Jahren mit den Langzeitfolgen traumatischer Geburten konfrontiert:
"Wer
hätte sich je träumen lassen, dass Migränen, Neurose, Phobien und sexuelle
Probleme im Erwachsenenalter aufgrund eines Traumas oder schlechter
Sauerstoffversorgung schon bei der Geburt ihren Anfang nehmen könnten, oder
dass diese Krankheiten durch das Wiedererleben des frühen Traumas umgekehrt
werden könnten?"
[ Übersetzt aus: Janov, Why You Get Sick - How
You Get Well, Dove Books, West Hollywood, CA, 1996, Einleitung ]
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Quellen:
Janov, Why You Get Sick - How
You Get Well, Dove Books, West Hollywood, CA, 1996
Odent, The
Caesarean, Free Association Books, London, 2004
Otto Rank, Das Trauma der Geburt und seine
Bedeutung für die Psychoanalyse, Psychosozial-Verlag, 1998.
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