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Janov-Zitate aus dem Gesamtwerk (1970-2017)
Zitate aus den ins Deutsche übersetzten Büchern im Zeitraum 1975-1993


1. „Die Primärtherapie zielt darauf ab, diese (Ur-)Schmerzen von Grund auf zu heilen. Sie ist revolutionär, denn sie schließt ein, das neurotische System durch eine gewaltsame Umwälzung zu zerstören. Genau das ist meiner Ansicht nach nötig, um eine Neurose zu beseitigen.“   [Der Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1975]

2. „Die große Primärszene ist das einmalige zutiefst erschütternde Ereignis im Leben des Kindes. Es ist der Augenblick der eisigen, kosmischen Einsamkeit, die bitterste aller Offenbarungen. Es ist die Zeit, da das Kind zu entdecken beginnt, dass es nicht um dessentwillen, was es ist, geliebt wird und auch nie geliebt werden wird.“   [Der Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1975]

3. „Wenn wir uns diese verleugneten Bedürfnisse und Gefühle als eine Kraft vorstellen, die den Organismus antreibt, dann erkennnen wir, dass der Neurotiker jemandem sehr ähnlich ist, der seinen Motor auf Lebenszeit angelassen hat. Nichts, was er tut, wird diesen Motor abstellen, bis diese Bedürfnisse und Gefühle mit all ihrer Qual genau als das empfunden werden, was sie sind.“                 [Der Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1975]

4. „Es kostet den Primärtherapeuten eine beträchtliche Anstrengung, den Organismus wieder in diese frühen Urschmerzen hineinzuzwingen…..,es muss immer ein Widerstand überwunden werden, um diese schmerzenden Gefühle zu empfinden.“       [Der Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1975]

5. „Wir wissen durch das Gesetz von der Erhaltung der Energie, dass Energie nicht vernichtet werden kann; sie kann nur umgewandelt werden. Ich sehe die ursprünglichen Gefühle als eine im wesentlichen neurochemische Energie an, die in kinetische oder mechanische Energie umgewandelt wird und ständige physische Bewegung oder inneren Druck erzwingt.“                                           [Der Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1975]

6. „Wir haben unterschätzt, wieviel Deprivation es in den ersten Lebensmonaten gibt und wie sich diese Deprivation für den Rest unseres Lebens auf uns auswirkt.“                                                     [Der Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1975]

7. „Auch Depression wird oft für ein Gefühl gehalten. Nach der Primärtherapie berichten die Patienten nicht von Depressionen. Bei diesem oder jenem Anlass empfinden sie ein Gefühl von Traurigkeit, aber diese Gefühle beziehen sich auf eine bestimmte Situation. Nach meinen Beobachtungen ist Depression eine Maske für sehr tiefe und schmerzhafte Gefühle, bei denen der Betreffende die Beziehung nicht herstellen kann.“        [Der Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1975]

8. „Und das Trauma ergibt sich aus einer schwierigen Geburt, was uns nötigt, Otto Rank, der zu Beginn des Jahrhunderts über das Geburtstrauma schrieb, in neuer Perspektive zu sehen. Rank glaubte nämlich, dass die Geburt selbst traumatisch sei (das Verlassen der Wärme und Geborgenheit des Mutterleibs), während ich glaube, das die traumatische Geburt traumatisch ist. Die Geburt ist ein natürlicher Prozess, und ich glaube nicht, dass etwas Natürliches traumatisch sein kann.“         [Der Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1975]

9. „Spannung ist der zentrale Antrieb des Neurotikers, der ihn ständig aktiviert. Weil die Aktivation eine irreale Reaktion ist, gibt es kein Feedback in das System, das dem Neurotiker sagt, wann er aufhören soll. Die Muskeln sind angespannt, Hormone werden abgesondert, das Gehirn ist wachsam, alles wegen einer Gefahr, die gar nicht mehr besteht.“                                                               [Der Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1975]

10. „Es ist nicht meine Absicht, die verschiedenen Arten psychosomatischer Leiden und ihre Bedeutung zu untersuchen. Es genügt festzustellen, dass viele grassierende Krankheiten, die als rein physisch angesehen wurden, so verstanden werden müssen, dass leidende Körper mit einem total kranken System verbunden sind, das unter sonst normalen Umständen bemerkenswert gut und gesund funktioniert.“             [Der Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1975]

11. „Wenn Sie versuchen, die Leere eines Neurotikers zu füllen, dürfen Sie nicht vergessen, was für ein Höllenschlund das ist. Der Neurotiker braucht unter Umständen sehr kostbare Geschenke, wenn sie die jahrelange Leere und Lieblosigkeit wettmachen sollen. Aber kein Geschenk bringt das zuwege, wie kostbar es auch sein mag; es gibt nicht genug Pelze auf der Welt, um lebenslängliche Kälte zu wärmen.“         [Der Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1975]

12. „Der Normale ist sensibel im wahren Sinne des Wortes. Er hat nicht nur ein seelisches Verständnis für die Bedürfnisse und Antriebe anderer, sondern auch eine total organismische Sensibilität, wenn Reize direkt auf seine Seele und seinen Körper einwirken.“          [Der Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1975]

13. „Der Normale ist nicht auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, denn der Sinn ergibt sich aus dem Fühlen……. Der Normale ist in seinem Inneren lebendig und hat nicht das Gefühl, dass etwas fehlt; kein Teil von ihm fehlt.“          [Der Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1975]

14. „Es ist logisch, dass Neurotiker unruhig schlafen – gestört durch reale Gefühle. Derselbe Urschmerz, der sie tagsüber antreibt, zwingt sie, Traumgestalten hervorzubringen, die sie des Nachts beschäftigt halten. Kein Wunder, dass der Neurotiker beim Aufwachen häufig erschöpfter ist als beim Zubettgehen! Er war die Nacht über eifrig damit beschäftigt, seine Gefühle abzuwehren.“        [Der Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1975]

15. „Ich bin der Meinung, dass Pillen, wie sehr sie auch propagiert wurden, auf lange Sicht Gemütskrankheiten nicht ernstlich beeinflussen können. Sie tragen nur dazu bei, das reale Selbst zu unterdrücken, weil sie mehr inneren Druck und mehr ernstliche Neurose hervorrufen. Die Einnahme von Beruhigungsmitteln und Schlaftabletten ist ähnlich, wie wenn man einen auf großer Flamme kochenden Topf mit einem dichtschließenden Deckel versieht. Zuletzt wird irgendein Teil des Systems, wenn nicht der ganze Organismus versagen.“   [Der Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1975]

16. „Meine größte Hoffnung ist, dass Fachleute eine revolutionäre Betrachtungsweise der Neurose in Betracht ziehen und vielleicht einsehen werden, dass jetzt fast ein Jahrhundert der Psychotherapie vergangen ist, ohne dass ein signifikanter Fortschritt bei Geisteskrankheiten erzielt wurde.“       [Der Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1975]



17. „Während eines Urerlebnisses, das im Wiedererleben des Urschmerzes besteht, ist es möglich, dass jemand, unter anhaltender Erschütterung durch Weinkrämpfe, ein Erlebnis nach dem anderen berichtet, seitdem er das Bedürfnis hatte zu schreien, es aber nicht konnte.“
[Anatomie der Neurose, Fischer Taschenbuch Verlag, 1976]

18. „Es ist von großer Bedeutung, was die Patienten über ihr Geburtsurerlebnis [Geburtsprimal] berichten. Sie sagen, dass sie unmittelbar davor irgendwie wissen, wohindurch sie während eines solchen Erlebnisses gehen, aber sie fühlen sich zu kraftlos, um das, was sie ahnen, abbremsen zu können, und es läuft dann gleichsam auf neurologischer Ebene ab. Das ist ein faszinierender Beweis für ihr gespaltenes Bewusstsein……….. Das Geburtstrauma wird dem bewussten Erleben zugänglicher, wenn man sich den Weg durch weniger schmerzvolle Urerlebnisse geebnet hat. War die Geburt ernstlich traumatisierend, hatte sie eine große Schmerzenslast zur Folge, dann kann der Organismus dieses Erlebnis erst ertragen, wenn andere Schmerzen beseitigt sind.“                                           [Anatomie der Neurose, Fischer Taschenbuch Verlag, 1976]

19. „Durch die Flut von Urschmerz, die durch die <<geöffnete Schleuse>> fließt, wird die Hirnrinde zu unnatürlichen Abwehrmaßnahmen wie psychotische Vorstellungsbildung und/oder psychedelische Reaktionen gezwungen. Die Hirnrinde kann bei niemand anderem als bei sich selbst Hilfe suchen.“     [Anatomie der Neurose, Fischer Taschenbuch Verlag, 1976]

20. „Worin besteht das neurophysiologische Korrelat gehemmten Urschmerzes? Es könnte in einem sich selbst erhaltenden Kreisprozess bestehen, in einer Schleife von Neuronen, die unterhalb des Bewusstheitsniveaus ihre Bahn zieht. Die Urschmerzerinnerungen verhalten sich wie verkapselte Nachrichten, die auf Ewigkeit im Gehirn umherkreisen…...Es wird also vorgeschlagen, dass Erinnerung in einer gebahnten Kreisbewegung besteht, die sich durch andauernde Benutzung zunehmend eingräbt……… Der Begriff der eingefangenen, zurückschwingenden Urerinnerungen ist für den gegenwärtigen Kontext bedeutsam; gäbe es nämlich keine unterbewussten Kräfte dieser Art, die unsere Wahrnehmungen, Handlungen und Reaktionen gestalten, so gäbe es auch keinen neurotischen Lebensstil und keine neurotischen Persönlichkeiten……. Auch wenn ein Mensch den Eindruck erweckt, er stehe nicht unter Stress, setzen ihn die rückschwingenden Erinnerungen unter Druck. So kann er Opfer einer Erkrankung werden, die sich aus einer Entgleisung des Hormonsystems entwickelt, obwohl der Betreffende in einer ruhigen und gelassenen Atmosphäre lebte.“                             [Anatomie der Neurose, Fischer Taschenbuch Verlag, 1976]

21. „Die Tatsache, dass konzentrierte kortikale Aktion eine Abwehr von Schmerz darstellt, lässt vermuten, dass es sich bei diesem Vorgang um einen Hauptfaktor in der aktuellen Entwicklung der menschlichen Hirnrinde handelt. Durch die Arbeit von Krech wissen wir, dass Rattengehirne als Folge einer Stimulation tatsächlich an Gewicht zunehmen. Und so weit hergeholt ist es nicht, wenn wir meinen, dass ein Hauptfaktor für die Entwicklung der menschlichen Hirnrinde ihr Wachstum war, das als Folge einer Schmerzstimulierung eintrat – oder auch als Folge der Schmerzgefahr.“ [Anatomie der Neurose, Fischer Taschenbuch Verlag, 1976]

22. „ Der Neurotiker muss schließlich zusammenbrechen. Wegen der anhaltenden Aktivierung seines Organismus wird der schwächste und empfindlichste Teil seines Körpers zuerst angegriffen. Eine Prädisposition zu Allergien wird letztlich in einer voll aufgeblühten Allergie der einen oder anderen Art enden. Eine symptomatische Entlastung ist immer möglich, aber solange die Aktivierung der niederen Hirnzentren nicht gelöst ist, werden immer mehr Symptome erscheinen. Krankheit verlangt ihe Symptome.“     [Anatomie der Neurose, Fischer Taschenbuch Verlag, 1976]

23. „Nirgends wird das Vorhandensein von Rückkoppelungsschleifen in der Erinnerung dramatischer illustriert als im Urerlebnis der Geburt, dem Geburtsprimal – im Wiedererleben von Traumen, die sich vor unserem Eintritt in die Welt ereigneten. Diese Traumen wurden vom Organismus aufgenommen, bevor sich ein Bewusstsein ausbilden konnte, um sie zu interpretieren und zu analysieren. Bislang hatten sie sich unserem Verständnis in der Psychotherapie entzogen, weil Psychotherapie meist eine analytische Form hatte.(.....) Wir sind in der glücklichen Lage, Erwachsene vorstellen zu können, die zum ersten Mal in der Geschichte bewusst über ihre Geburt berichten können…..Was geschieht, wenn zum Beispiel die Mutter während der Geburt narkotisiert wird?…..Solche Patienten sagen, sie seien später unter Stress wie gelähmt. Sicherlich ist größte Vorsicht geboten, ehe man bei einer Geburt irgendwelche Drogen anwendet.(…..) Lange Wehen sind ein weiteres fürchterliches Trauma für das Neugeborene, denn es kommt aller Energien und Reserven beraubt auf die Welt.“            [Anatomie der Neurose, Fischer Taschenbuch Verlag, 1976]

24. „Prototypische Traumen unberücksichtigt zu lassen, bedingt die Unfähigkeit, Verständnis dafür zu gewinnen, wie Symptome beginnen und wie der Teufelskreis der Neurose seinen Anfang nimmt. Ein Kind, das bei der Geburt zurückgehalten wurde, ist unweigerlich empfindlich und gereizt.“           [Anatomie der Neurose, Fischer Taschenbuch Verlag, 1976]

25. „Eine der Funktionen von Medikamenten wie Diphenylhydantoin ist es, die Weiterleitung nervlicher Aktivität…..zu verlangsamen. Auf diese Weise wird eine unkontrollierbare, massive Entladung von Gehirnzellen (ein Anfall) verhindert (..). Die Nervenzellen reagieren immer weniger auf wiederholte (primäre) Stimulation. Trotzdem bewirkt dieses Medikament nicht das Verschwinden primärer Stimulationen (...). Urschmerzen sind wiederholte Reizungen des Organismus(..). Der Anspruch der Primärtherapie ist es, diese Aktivierung für immer zu entfernen.“                                                   [Anatomie der Neurose, Fischer Taschenbuch Verlag, 1976]

26. „Wir können erkennen, dass die Medizin mehr oder weniger grundsätzlich zu einer Wissenschaft geworden ist, die Symptome unterdrückt und nicht heilt. Die Medizin war ausschließlich damit beschäftigt, Symptome auszutauschen, ein Symptom durch ein anderes zu ersetzen. Deshalb bilden Patienten, nachdem ein Symptom mit Hilfe von Medikamenten beseitigt ist, oft ein neues aus; die Spannung sucht sich andere Abfuhrwege.“           [Anatomie der Neurose, Fischer Taschenbuch Verlag, 1976]

27. „Im Grunde besteht keine Notwendigkeit für das heute übliche Verfahren, normale Frauen, die in den Wehen liegen, unter Drogen zu setzen. Aus den Beobachtungen der Geburtsprimals können wir erkennen, dass diese Drogen den Fötus beeinträchtigen und für einen betäubten Eintritt in die Welt sorgen. Es ist weit besser, das Leben lebendig, fühlend und vollempfindend zu beginnen……..Als ich selbst in den Wehen lag, half es mir, während der Kontraktionen zu schreien. Der Schmerz fühlte sich dadurch gut an…….solange ich schreien konnte, war alles gut. Nachdem das Kind geboren war, hatte ich nicht das Gefühl, große Schmerzen gehabt zu haben.“         [Patti Nicholas, Beraterin für natürliche Entbindungen, in Anatomie der Neurose, Fischer Taschenbuch Verlag, 1976]

28. „1938 wurde von zwei Wissenschaftlern ein Bericht veröffentlicht, in dem sie darauf hinwiesen, dass <<der Hauptanteil von Schädigungen des Nervensystems der Sauerstoffnot des Neugeborenen zugeschrieben werden kann, die durch betäubende und schmerzstillende Mittel, die man der Mutter während der Wehen gegeben hatte, verursacht wurden, und dass geringere Grade von Hirnschädigungen, die zu leicht sind, um die Aufmerksamkeit der Neurologen auf sich zu ziehen, auf die gleiche Weise entstehen können.>> Es gibt genügend Beweise dafür, dass Betäubungsmittel durch die Plazenta gelangen und den Fötus beeinflussen.“           [Anatomie der Neurose, Fischer Taschenbuch Verlag, 1976]

29. „Wenn wir an die überwältigenden Ergebnisse einer schwierigen Geburt denken, die von Tod bis zu geistigen Behinderungen, Lernschwierigkeiten, Überaktivität und schweren hormonalen
Störungen reichen, dann sehen wir, dass die Notwendigkeit, eine angemessene Geburt zu ermöglichen, von überragender Bedeutung ist. In tausendfacher Weise agieren viele von uns für den Rest ihres Lebens ihre Geburtsprimals aus……..Wenn wir uns zumindest zum richtigen Start ins Leben verhelfen könnten, dann hätten wir mehr Reserven, um mit späteren Stresssituationen, die uns zu erdrücken drohen, fertig zu werden. Wenn wir bereits ‚gebeugt‘ anfangen, gibt es wenig Hoffnung.“              [Anatomie der Neurose, Fischer Taschenbuch Verlag, 1976]

30. „In einer autoritären Gesellschaft werden Forschungsergebnisse zum Summum bonum, weil neurotisches Verhalten bedeutet, dass man nicht seinem Körper und seinen Gefühlen vertraut, sondern geistigen Abstraktionen. In der autoritären Gesellschaft lernen wir, Experten zu vertrauen – der Elite, der politischen wie der psychologischen. Nur ‚qualifizierte‘ Personen dürfen über den Zustand unserer geistigen Gesundheit ein Urteil abgeben. Und wodurch sind diese Fachleute qualifiziert? Viel zu oft durch ein Studium von Philosophie, Theorie und Statistik. Nach einem jahrelangen Studium überholter Theorien soll der geprüfte oder gar promovierte Therapeut sich plötzlich darüber äußern, wer gesund und wer krank ist.“       [Anatomie der Neurose, Fischer Taschenbuch Verlag, 1976]

   



31. „Während der Schwangerschaft bereitet der Fötus sich auf sein Menschsein vor. Sinneseindrücke lösen bei ihm gesamtkörperliche Vorgänge aus; sie beeinflussen die Sekretion, die Hormonbildung, die Gehirnentwicklung usw. Das heißt, Sinneseindrücke sind Vorläufer von Gefühlen. Katastrophale Ereignisse können eine Entwicklungsstörung einleiten, die sich nach der Geburt zu einer Neurose mit all ihren Begleitumständen auswächst.“    [Das befreite Kind, Fischer Taschenbuch Verlag, 1977]

32. „Der große Geburtsschmerz ist nach meiner Meinung in der Mehrzahl der Fälle auf eine Neurose zurückzuführen – auf ein unnatürliches Verhaltenssystem, das sich einem natürlichen Prozess verschließt…...Mangel an Flexibilität bei Neurotikern ist demzufolge nicht einfach ein Persönlichkeitsmerkmal, sondern ein neuromuskuläres Gesamtgeschehen.“                                                          [Das befreite Kind, Fischer Taschenbuch Verlag, 1977]

33. „Ein Kreißsaal mit Frauen, die vor Schmerzen schreien, ist besser als ein Kreißsaal mit folgsamen, unter dem Einfluss von Narkotika stehenden Frauen, denen es verwehrt ist, das wichtigste Ereignis ihres Lebens voll zu erleben: die Geburt ihres Kindes.“            [Das befreite Kind, Fischer Taschenbuch Verlag, 1977]

34. „Das Geburtstrauma dürfte für die Neurosenbildung von ausschlaggebender Bedeutung sein. Die Erfahrungen während der Geburt sind vermutlich prototypisch für die Art und Weise, wie jemand in seinem späteren Leben auf Gefahrensituationen reagiert.“              [Das befreite Kind, Fischer Taschenbuch Verlag, 1977]

35. „Nicht primärtherapeutisch behandelte Menschen, die zu Marihuana oder LSD greifen, zu Rauschmitteln, die die Schmerzbarriere niederreißen und aus ihrem natürlichen Zusammenhang gerissene Geburtsschmerzen auftauchen lassen, verlieren häufig den Verstand. Der Schmerz reißt ihren Verstand gleichsam in Stücke, das Denken wird zusammenhanglos, inkohärent. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass prototypische Abwehrmechanismen, die sich um das Geburtstrauma gebildet haben, die Persönlichkeit zementartig zusammenhalten. Die Abwehrmechanismen müssen vorsichtig abgebaut werden, man darf sie auf keinen Fall mit einem Schlag und insgesamt beseitigen.“        [Das befreite Kind, Fischer Taschenbuch Verlag, 1977]

36. „Es scheint, dass ein Index dafür, wieviel Stimulierung von welcher Art wir brauchen, die Größe des Gehirnbereichs darstellt, der mit dem jeweiligen Bedürfnis zu tun hat. Das Bedürfnis nach Körperkontakt, nach Berührung ist zum Beispiel an weite Bereiche des Gehirns gebunden. Nach meiner Ansicht ist dieses neurologische Faktum gleichsam ein Vermächtnis der Evolution, das die Wichtigkeit des Körperkontakts bezeugt…..Das ist insofern verständlich, als die Haut das größte Sinnesorgan darstellt; sie repräsentiert einen weitgefächerten Bedürfniskomplex. Es scheint, dass sich bestimmte Areale des kindlichen Gehirns in Einklang mit der Entwicklung der menschlichen Spezies früher ausbilden als andere. So dürfte die Myelinisation (Markscheidenbildung) des mit dem Hautsinn zusammenhängenden Gehirnbereichs früher beendet sein als die derjenigen Bereiche, die an der Denk- und Vorstellungsfähigkeit beteiligt sind.“                                                                   [Das befreite Kind, Fischer Taschenbuch Verlag, 1977]

37. „Das Limbische System ist ein Ring von Nervenstrukturen, der unter anderem Urschmerz speichert und dämpft. Somit hat gespeicherter Schmerz fast unmittelbaren Zugang zum Hypothalamus, jener für die Regulierung des Hormonhaushalts entscheidenden Gehirnstruktur. Ein sich ständig erneuernder primärer Hirnstromkreis beeinflusst unmittelbar und kontinuierlich die Hormonsekretion und hat entweder Überstimulierung oder Insuffienz zur Folge.“     [Das befreite Kind, Fischer Taschenbuch Verlag, 1977]

38. „Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass mit dem Leben im Uterus unsere Einstellung zur Welt sich zu bilden beginnt. Bereits im Mutterleib sind wir aufnehmende, wahrnehmende Lebewesen, und wenn der Mutterleib ein angenehmer Aufenthaltsort war, dann haben wir unter Umständen nach der Geburt von Anfang an eine positive Lebenseinstellung…..Wichtiger noch, ein guter Lebensbeginn kann zugleich ein gutes Lebensende bedeuten, zumindest ein nicht vorzeitig eíntretendes Ende“     [Das befreite Kind, Fischer Taschenbuch Verlag, 1977]

39. „Eltern fügen ihrem Kind vermutlich den größten Schaden zu, wenn sie es in ein Internat stecken. Einerlei wie man rational zu ihnen steht, Internate sind für gewöhnlich Abladeplätze für unerwünschte Kinder. Sie sind die Friedhöfe der Kindheit, weil sie dem Kind nur selten Gelegenheit geben, wirklich Kind zu sein. In Internaten wird den Kindern vielmehr Selbstsicherheit, Disziplin und Gefühlsunterdrückung beigebracht.“        [Das befreite Kind, Fischer Taschenbuch Verlag, 1977]

40. „Kind zu sein in einer Scheinfamilie ist eine Tragödie. Ein solches Kind wird mit Sicherheit Leiden auf sich nehmen müssen. Angesichts der Launen, Bedürfnisse und Wutanfälle seiner Eltern ist es zur Hilflosigkeit verdammt. Fast jedes Kind, das wir heute sehen, ist eine wandelnde Tragödie.“        [Das befreite Kind, Fischer Taschenbuch Verlag, 1977]

41. „Ehrlicherweise muss ich sagen, dass es falsch wäre anzunehmen, dass sich Patienten nach beendeter Primärtherapie Kinder wünschen. Die meisten haben diesen Wunsch nicht. Das ist wirklich bedauerlich, denn dadurch wird der ganze natürliche Ausleseprozess aufgehoben. Menschen, die geeignet wären, Kinder zu haben, wollen keine, und so wird die Kindererziehung den Neurotikern überlassen…...Menschen, die eine Primärtherapie durchgemacht haben, wissen auch, dass es in dieser Gesellschaft unmöglich ist, ein normales Kind aufzuziehen. Wie kann das Kind normal sein, wenn die ganze Gesellschaft auf Unwirklichkeit eingestellt ist – angefangen von dem, was es in den Geschichtsbüchern liest, bis zu den Geschäften der Politiker? Wie kann es normal sein, wenn es ohne weiteres in einem Krieg umkommen kann oder wenn es in jahrelangem Militärdienst um sein eigenes Selbst gebracht wird?“     [Das befreite Kind, Fischer Taschenbuch Verlag, 1977]

42. „Nach diesen Überlegungen sollte der Unterschied zwischen Urerlebnis und Abreaktion oder Katharsis klar geworden sein. Unter Abreaktion versteht man gewöhnlich einen gefühlsmäßigen Ausbruch im Gefolge einer Erinnerung. Man müsste die Bedeutung des Begriffs schon überdehnen, wollte man damit auch Phänomene wie Blutergüsse bei der Geburt erfassen. Es geht um den Unterschied zwischen Erinnern und Wiedererleben. Wenn plötzlich Blutergüsse auftreten, während man ein früheres Ereignis wiedererlebt, dann ist das keine Abreaktion, sondern ein Urerlebnis.“         [Das befreite Kind, Fischer Taschenbuch Verlag, 1977]

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43. „Die Bewusstseinsspaltung ist besonders offenkundig bei einem Ereignis wie dem Geburtsprimal, bei dem ein neurologischer Ablauf ohne bewusste Kontrolle stattfindet. Und doch gibt es ein gleichzeitiges schwaches Hier-und-Jetzt-Bewusstsein davon, dass ein solches Erlebnis in einem Behandlungszimmer stattfindet. Mithin gibt es ein nicht-verbales Bewusstsein von einem alten Erlebnis und ein gleichzeitiges von einem gegenwärtigen Erlebnis – letzteres ist das Bewusstsein, ein altes Ereignis wiederzuerleben.“ [Revolution der Psyche, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1976]

44. „Ein Fussballstar verlässt das Spielfeld und geht, um sich auf der Straße vor einem kleinen Mädchen zu entblößen. Ein Jurist trägt bei der Arbeit die Schlüpfer seiner Frau, während ein Soziologe ständig an den Schlüpfern seiner Freundin schnuppert. Ein Richter hat einen Schokoladentick und isst bei Gericht täglich zehn Tafeln Schokolade. Ein gefeierter Schauspieler belästigt kleine Kinder; ein bekannter Geschäftsmann ändert seinen Namen, tritt zur Religion der Christian Science über und verweigert seine Zusage zu einer lebenswichtigen Operation seiner Tochter. Ein Lehrer geht nach Hause und masturbiert seinen Hund; ein Zahnarzt besteht auf einem weiblichen Zuschauer, wenn er mit seiner Frau schläft. Die Liste geheimer Verrücktheiten ist endlos. Alle oben genannten Fälle sind nicht frei erfunden; sie entsprechen Tatsachen. Ich glaube, dass es qua Definition in jedem Neurotiker irgendeine geheime Verrücktheit gibt – irgendeine verborgene Krankheit, die hervorbricht…….. Perversionen haben immer vielschichtige Gründe; und nicht jede Perversion ist sexuell. Man kann die Essgewohnheiten pervertieren und von morgens bis abends unentwegt Süssigkeiten essen. Der Organismus kann pervertiert sein, so dass er nicht mehr richtig funktioniert; hinter einer glatten Fassade kann sich im Inneren eine schwere Kolitis verbergen…. Der Neurotiker ist ein Perverser. Seine natürlichen Gefühle sind unterdrückt und pervertiert worden. Welche Form sie letztlich annehmen werden, ist aus primärtheoretischer Sicht von geringer Bedeutung.“                                             [Revolution der Psyche, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1976]

45. „Drogen mit unterdrückender Wirkung halten eine unreale Gesellschaft zusammen. Angenommen, es gäbe heute keine solchen Drogen. Angenommen wir wären alle schlaflos und stünden ständig unter Ängsten und wären unfähig zu arbeiten. Angenommen, ein großer Prozentsatz von uns würde zusammenbrechen. Was würde dann mit unserer Gesellschaft geschehen? Drogen ermöglichen uns, mit dem Schwindel fortzufahren….und uns anzupassen. Sie erhalten das unreale System funktionsfähig. Was würden unsere Ärzte tun, wenn sie mit den Emotionen, den Magengeschwüren, den Kolitiden und Kopfschmerzen ihrer Patienten nicht mehr <<fertigwürden>>? Vielleicht müssten sie dann tiefer bohren und Heilmethoden finden. Vielleicht würde sie das zu der Erkenntnis führen, dass unreale Systeme notgedrungen Symptome hervorbringen.“   [Revolution der Psyche, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1976]

46. „Der Neurotiker will immer mehr….Ist er ein Intellektueller, der sich in seinen Kopf ‚geflüchtet‘ hat, dann will er mehr Fakten. Ist Essen sein Abwehrverhalten, will er mehr zu essen haben. Andere wollen mehr Geld oder mehr Macht. Das jeweils Vorhandene ist nie genug, weil ein reales Bedürfnis symbolisch erfüllt wird, anstatt dass gefühlt wird, was es tatsächlich ist. Mir ist das besonders klargeworden, als ich versuchte, Intellektuellen die Primärtherapie zu erklären. Einerlei, wie viele Daten man ihnen präsentierte, sie wollten immer noch etwas wissen. Wenn ein Mensch nicht fühlen kann, was richtig ist, ist er sich seiner selbst unsicher, und alle Fakten der Welt reichen nicht aus, um ihm dazu zu verhelfen, dass er sich sicher fühlt. Mithin sammelt der Intellektuelle Fakten, um seine Unsicherheit zu überdecken, so wie andere Nahrungsmittel horten, um sich innerlich nicht leer und hohl zu fühlen.“  [Revolution der Psyche, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1976]

47. „In unserem frühen Leben gibt es entsetzliche Angstgefühle….Das vernichtendste Gefühl für ein kleines Kind ist, dass sich niemand um es kümmert, dass niemand für es da ist; das allumfassende Gefühl, allein und unbeschützt zu sein. Dieses Angstgefühl ist niederschmetternd, wird verdrängt und führt zu chronischer Angst…(…) Eine der schwerwiegendsten frühen Ängste wird durch den Geburtsprozess erzeugt (…) Viele Menschen befinden sich während der Geburt buchstäblich in Todesgefahr – durch Beckenlage, Strangulation durch die Nabelschnur oder Sauerstoffmangel. (….) Später kann das Kind oder der Erwachsene ein sein Denken beherrschendes Grauen vor dem Tod haben. Sein Denken kreist um eine unbewusste, reale Erinnerung an eine reale Todesgefahr. Wenn diese reale Gefahr in einem Urerlebnis gefühlt wird, geht die übertriebene Todesangst (primäre Anlage) in dem Patienten erheblich zurück.“                                                                                   [Revolution der Psyche, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1976]

48. „Mein Vater ist vor kurzem gestorben. Ich musste mich ins Bett legen und hatte vier Tage lang ein Urerlebnis nach dem anderen. Ich möchte auf diese Urerlebnisse näher eingehen, weil sie Einsichten über das Wesen der Trauer vermitteln. Ich weinte über den Vater, den ich nie hatte. Ich weinte über mich. Das ist alles, was ein Neurotiker machen kann, wenn er von Schmerz erfüllt ist. Jeden Tag fühlte ich einen Gefühlskomplex, der jeweils von allen anderen gefühlen losgelöst war.“     [Revolution der Psyche, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1976]

49. „Das Selbst beginnt im Mutterleib, mit Begebenheiten, die sich in dieser Zeit ereignen. (…….) Alles, was wir je tun können, ist, unser Gesamtkörpersystem zu öffnen und unser Selbst so viel wie möglich zu fühlen, damit wir, was immer im Leben geschieht, voll und ganz als Selbst erleben können. Das reale Selbst ist nicht mehr als ein einheitlicher, offener psychobiologischer Organismus, der als ein Ganzes funktioniert.“    [Revolution der Psyche, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1976]

50. „Wie bereits gesagt, in einer primärtherapeutischen Gruppe ist es durchaus möglich, dass ein Patient ein Urerlebnis seines Therapeuten überwacht. Unsere Sekretärin kann an einem Tag im Empfangszimmer einen Patienten empfangen und am nächsten Tag in demselben Zimmer ein Urerlebnis haben. Nach ihrem Urerlebnis kann kann sie dann mit ihren Pflichten als Empfangsdame fortfahren. Bei uns herrscht eine allgemeine Atmosphäre des Fühlens. Ich bin überzeugt, einem Außenstehenden, selbst einem außenstehenden Psychiater, der das zum erstenmal sieht, würde das alles so absonderlich erscheinen, dass er versucht wäre, entweder Reißaus zu nehmen oder uns allesamt abtransportieren zu lassen.“                                                                                                        [Revolution der Psyche, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1976]

51. „Wie sieht das Leben nach der Primärtherapie aus? Für jeden Menschen anders. Das Leben keines Menschen ist beispielhaft für das eines anderen, und nur die Tatsache allein, dass dieser Mensch <<gesund>> ist, bedeutet nicht, dass er eine ganz bestimmte Lebensweise führen wird.
Urerlebnisse erzeugen keine homogene Gruppe. Ganz im Gegenteil. Der Postprimärpatient wird hochgradig individualistisch; er ist alles andere als ein <<Vereins-Meier>> und hält sich von allem, was organisiert ist, fern. (….) Sein Leben ist einfach, man könnte fast sagen primitiv. Aber er ist ausgesprochen zufrieden. Er ist selten krank; (….) Er ist nicht unruhig und nervös. Ihn treibt nichts, Dinge zu tun, die zu Selbsthass führen, wie zum Beispiel Trinken, Drogen nehmen, Rauchen, sexuelle Perversionen. Weil er fühlen kann, kann er letztlich auch geliebt werden.“                               [Revolution der Psyche, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1976]

52. „Systeme, reale wie unreale, neigen dazu, sich zu verewigen. Hat ein unreales System einmal die Vormachtstellung eingenommen, schafft es Subsysteme (..), die ihm selbst entsprechen. Jedes Subsystem ist gekennzeichnet durch die damit einhergehende Verdrängung des Realen. (……) Auch hier sehen wir uns der Dialektik gegenüber. Verdrängende Menschen erzeugen verdrängende Gesellschaftssysteme, und verdrängende Gesellschaftssysteme erzeugen verdrängende Menschen. (…) Das ist eine ständige Interaktion, da Individuum und Gesellschaft in einer Wechselwirkung zueinander stehen.(….) Fühlen wird die Rettung der Menschheit sein, so wie Gefühllosigkeit der Zerstörer der Zivilisation war. Fühlen wird die Menschheit wieder zu Menschen und die Gesellschaft wieder menschlich machen. Das wichtigste, was die Primärtherapie zu bieten hat, ist die Möglichkeit, Geschichte neu (und rückgängig ) zu machen. Der Gedanke, dass wir Jahrzehnte in unser frühestes Leben zurückgehen können und damals geschehene Dinge umlenken können, ist in der Tat eine erstaunliche Vorstellung. (……)                                                                                                     [Revolution der Psyche, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1976]



53. „Bewusstsein ist die Gesamtsumme der kooperierenden Aktivitäten der Gehirnstrukturen, die körperliche Prozesse vermitteln. (….) Es ist ein anhaltender Zustand des gesamten Organismus – und nicht lediglich eine Angelegenheit des Gehirns – mit fließenden Verbindungen zwischen den verschiedenen Gehirnstrukturen. Ein bewusster Mensch ist jemand, dessen Körper und Gehirn in Harmonie miteinander arbeiten, ohne dass ein Bereich des Gehirns von irgendwelchen anderen Bereichen isoliert ist.“   [Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

54. „Freuds große Entdeckung war das Unbewusste. Wollte man von der großen Entdeckung bei der Primärtheorie sprechen, so wäre es das Bewusste; das heißt, dass es das Unbewusste – unveränderbar, zeitlos, genetisch bedingt und universell – nicht gibt. Es gibt lediglich blockiertes Bewusstsein, und theoretisch ist es durchaus möglich, dass ein Mensch im hier erörterten Sinn kein Unbewusstes hat.“  [Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

55. „Der Entwicklungsprozess des menschlichen Gehirns verläuft derart, dass seine phylogenetisch älteren Teile als erste voll funktionsfähig und ausgereift sind. Eben dieser Tatbestand und die damit einhergehenden histologischen Wechselbeziehungen machen es mehr oder weniger zur Gewissheit, dass <<Körper-Erinnerungen>> existieren. Ein pränatales oder neugeborenes Kind ist funktionsfähig im Hinblick auf den zentralen Bereich seines Körpers und den zentralen Bereich seines Gehirns, und es nicht verwunderlich, dass diese beiden Bereiche einander entsprechen.“                                     [E. Michael Holden in Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

56. „Was nun die Frage nach unmittelbar mit der Geburt verbundenen Erinnerungen betrifft, so muss man jenen, die davon ausgehen, dass das Gehirn eines Neugeborenen <<zu primitiv>> für derartige Operationen sei, die Frage entgegenhalten: <<Zu primitiv wofür?>> Ein Gehirn, das wirklich zu primitiv wäre, könnte nicht einmal anabole Viszeration vermitteln und würde folglich zum Tod führen. Ein normales Neugeborenes mit einer normalen anabolen Viszeration ist ein Aktionssystem mit einer beachtlichen Vielfalt von Fähigkeiten und Anlagen.“
[E. Michael Holden, Neurologe, in Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

57. „Zum Beispiel riefen barsche Anweisungen von seinem Boss einen Hustenanfall hervor, weil sie ein Gefühl auslösten, er werde ‚ersticken.‘ Dieses Gefühl stand in Verbindung mit dem prototypischen Ereignis, dass er sich als Säugling verschluckt hatte und zu ersticken drohte. Erst das Primal ermöglichte die Verknüpfung, weil der Patient in der Therapie in der Lage war, entlang der Primärkette hinabzusteigen und die Basis für sein Symptom zu fühlen und das hätte auch der brillanteste Therapeut nie für ihn tun können. Deshalb ist der einzig mögliche Experte in einer Psychotherapie nur der Patient selbst.“   [Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

58. „Es gibt keinen Weg, die neuronale Reaktionskette zu durchbrechen. Der Prozess der Primärtherapie basiert auf der Annahme, dass bei gleichen Voraussetzungen jene Traumata, die den geringsten Schmerz beinhalten, als erste Zugang zum Bewusstsein haben; jede einzelne Ebene muss zuerst einmal behandelt und gelöst worden sein, ehe man zur nächsten Erlebnisebene hinabsteigen kann. Jeder künstliche Versuch, die Kette zu durchbrechen, wie zum Beispiel durch LSD, kann zu verheerenden Ergebnissen führen, auf die ich im folgenden noch näher eingehen werde.“                    [Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

59. „Wenn bei Menschen, die nicht in primärtherapeutischer Behandlung sind, Traumata der ersten Ebene reaktiviert werden, kann das tatsächlich zu Wahnsinn führen; der infolgedessen eintretende seelische Zusammenbruch ist die durch erschütternden, nicht integrierbaren Schmerz verursachte Fragmentierung. Allein das Wissen, dass es möglich und erstrebenswert ist, jenen schwarzen, namenlosen Schrecken oder Terror wiederzuerleben, der sich in den ersten Lebensmonaten ereignete, hilft Primärpatienten, sich zu stabilisieren, denn sie wissen, dass sie es mehr oder weniger ungestraft riskieren können, ihn zu fühlen. Ja, Feeling ist das eigentliche Gegenmittel gegen möglichen Wahnsinn.“   [Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

60. „Wie bereits an anderer Stelle betont, entspricht der Entwicklungsstand viszeraler Reaktivität (hinsichtlich der Mittellinie) und anaboler Viszeration zur Zeit der Geburt nachdrücklich dafür, dass das Reaktionsvermögen auf Schmerz im wesentlichen auf dieses System beschränkt ist. Das beinhaltet, dass Schmerz bei der Geburt oder in früher Kindheit sich später durch Symptome in der Viszera, also in der Mittellinie des Körpers manifestiert und durch den Hypothalamus und die Medianzone (das innere Neuropilem) des Gehirns integriert wird. Diese viszeralen Symptome oder Symptome erster Ebene bilden den Hauptteil psychosomatischer Krankheiten. Beispiele dafür sind neurotisches Naselaufen, Globus hystericus, Asthma, Zwölffingerdarm-Geschwüre, einige Formen von Herzarrhythmie, Dickdarmgeschwüre, sexuelle Frigidität oder psychische Impotenz.“   [E. Michael Holden, Neurologe, in Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

61. „Primärtherapie ist keine Psychotherapie, sondern eine psychophysische Therapie, die Zugang selbst zu zellularen Aufzeichnungen früherer Schmerzen hat. Während eines Urerlebnisses sind die
Schleusen für Schmerz erheblich gesenkt, so dass man Zugang zu alten Erinnerungen aus der frühen und frühesten Kindheit oder aus Zeiten vor der Geburt hat.                                                          [E. Michael Holden, Neurologe, in Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

62. „Ein Primal wird durch eine Sequenz physiologischer Veränderungen im Gehirn integriert, die einem Muster folgen, das uniform, konsistent und und in einigen Aspekten den bei Epilepsie zu beobachtenden Mustern ähnlich ist. Die entscheidenden Unterschiede wurden bereits angeführt, der Hauptunterschied soll jedoch noch einmal betont werden: Während ein Anfall zu einer vorübergehenden neuralen Desintegration führt, führt ein Primal zu einer vorübergehenden Veränderung des neurophysiologischen Zustands und erzeugt neurale Integration. Auf Anfälle erfolgt post-iktale Verwirrung. Auf Primals erfolgen Klarheit und Gedankenschärfe.“   [E. Michael Holden, Neurologe, in Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

63. „Ein Patient hat nur dann wahre Einsicht durch ein Primal, wenn eine Verknüpfung hergestellt wird, und zwar derart, dass er die Beziehung zwischen einem alten, frühen schmerzhaften Erlebnis und einem gegenwärtigen neurotischen Symptom intensiv fühlt und sich ihrer bewusst ist. (….) Die Verknüpfung in einem Primal ist vermutlich ein komplexes Muster neuronaler Depolarisation zwischen Limbischem System und parieto-temporalem Kortex. (…) Unserer Auffassung nach bedeutet ein Öffnen der Schleusen für Urschmerz in der Primärtherapie, dass der Hippocampus durch orbitofrontale kortikale Zellen nicht länger gehemmt wird. Umgekehrt wird der Hypothalamus von seinen Zugangsschlüsseln zu Urschmerz befreit und bringt die Homöostase zu biologischer Normalität zurück, die als objektives physiologisches Kriterium für den post-primärtherapeutischen Zustand angesehen werden kann. Sofern eine Therapie keinen Zugang zu den subkortikalen Strukturen des Zwischenhirns hat, die den neurotischen Zustand vermitteln, vermag sie Neurose nicht wirksam zu heilen.“                                                                                                                     [E. Michael Holden, Neurologe, in Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

64. „Als Neugeborene oder Säuglinge sind wir biologisch nur im inneren Gehirnbereich und im inneren Körperbereich angemessen funktionsfähig (vizerale Homöostase). Wenn wir zu diesem Zeitpunkt ein Trauma erleben, wird der Schmerz im inneren Gehirnbereich und Körperinneren registriert. Es entspricht einer oft gemachten Beobachtung, dass Psychotiker und Prä-Psychotiker bereits sehr früh in der Primärtherapie Geburtsprimals erleben. Das führt zu der Schlussfolgerung, dass Schmerzen erster Ebene psychotogen sind. Anders gesagt ist Psychose eine Störung, die ihren kausalen Ursprung sehr früh im Leben hat. Dafür gibt es zwei Hauptgründe. Erstens, die Schmerzen werden im inneren Kern registriert; dadurch werden sie später relativ unzugänglich. Zweitens, diese Schmerzen treten zu einer Zeit auf, in der die mittleren und äußeren Bereiche des Gehirns noch recht unausgereift sind und noch keine funktionsfähigen Verdrängungsmechanismen entwickeln können. Diese frühen Schmerzen sind nahezu immer lebensbedrohend, und ihr jeweiliger Wert oder Spannungsgehalt ist katastrophal.“                                                                                                 [E. Michael Holden, Neurologe, in Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

65. „Das Geschehen existiert auf seiner eigenen Bewusstseinsebene und kann nur auf dieser Ebene gelöst werden; und eben deshalb ist es sinnlos, auf der dritten Ebene ein Problem, das auf einer unteren Ebene existiert, verstehen zu wollen. Mit Sicherheit verändern sich dadurch nicht das gespeicherte Geschehen und dessen Auswirkungen auf unser Verhalten. Alles, was man damit bestenfalls erreichen kann, ist, es besser zu rationalisieren.“   [Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

66. „All das bedeutet, dass keine Bewusstseinsebene die Arbeit einer anderen leisten kann. Wenn Traumata und Funktionsstörungen sehr früh auftreten und Zellen der ersten Ebene betreffen, dann können diese und nur diese Zellen das Problem lösen und die Einheit wieder herstellen. Die dritte Ebene ist (..) unfähig, Traumata der ersten Ebene zu meistern. Und deshalb können Einsichtstherapien frühe Traumata nicht lösen. Vielleicht verstehen wir jetzt, was es mit Urschmerz alles auf sich hat. Was uns ‚weh tut‘, ist die strukturelle Zerrüttung der Zellen – die Störung unseres normalen Ruhezustands auf der untersten Strukturebene. Wir sind dann auf allen Ebenen unseres Organismus buchstäblich ‚aus dem Lot‘.                                                                                                        [Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

67. „Man könnte zu Recht fragen: ‚Warum hat ein völliges Wiedererleben früher Schmerzen eine heilende Wirkung?‘ Die Antwort lautet, dass partiell gefühlter Schmerz im Säuglingsalter und in der Kindheit aufgrund von Blockierung ‚partiell‘ ist – und diese Blockierung ist eine Schleusenoperation (ein höherer Schwellenwert), die den Organismus vor übermäßigem Schmerz schützt. Die Energie dieses Schmerzes schwindet nicht. Sie bleibt abgesondert im System erhalten und ist der Ursprung neurotischen Agierens nach außen wie nach innen; ersteres zeigt sich durch ein Ansteigen der EEG-Amplitude und durch psychosomatische Symptome (alle). Wenn der Schmerz in einem Primal voll und ganz gefühlt wird, ist Blockieren nicht mehr erforderlich, und die Neurose löst sich auf.“         [E. Michael Holden, Neurologe, in Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

68. „Für Primärpatienten ist es wichtig zu verstehen, dass Selbstmordgedanken während der Therapie monatelang, mitunter sogar ein oder zwei Jahre lang weiter bestehen können, einfach weil der prototypische Schmerz erster Ebene entweder noch nicht erreicht oder noch nicht vollständig gefühlt und aufgelöst ist; es braucht Dutzende von Primals, um den normalen Schmerz erster Ebene wiederzuerleben und aufzulösen.“   [Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

69. „Es ist keineswegs so, dass der Körper nur dann Energie investiert, wenn die Gefühle im Aufsteigen begriffen sind; er tut es vielmehr unbemerkt und unbewusst permanent, um die Verdrängung der Gefühle aufrechtzuerhalten. Das ist ein vollautomatischer Prozess. Aber gerade dieser chronische Energieverbrauch macht uns letztlich fertig; er ist ein grundlegender und entscheidender Faktor im Prozess des Alterns.“   [Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

70. „Und es ist kein reiner Zufall, dass die Korrelation zwischen hohem Blutdruck und Dickdarmkrebs am höchsten ist – beide sind auf der Mittellinie angesiedelt, wo die tiefsten Schmerzen und Verdrängungen liegen. Hoher Blutdruck zeigt einen Druck im Körperinneren an. Wir haben Krebspatienten in der Primärtherapie beobachtet. Wenn sie zu den Schlüsselschmerzen ihres Lebens vordringen, zeigt sich unmissverständlich, wie gigantisch der Druck ist. Patienten mit Magenkrebs fühlen bei Primals einen unglaublichen Druck im Magen; und das macht ihnen klar, wie sie sich jahrelang tagaus, tagein da unten geschunden haben.“     [Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

71. „Der Hypothalamus beeinflusst das Immunsystem des Körpers, und es ist nachgewiesen worden, dass Krebs in Verbindung mit einem Zusammenbruch des Immunsystems auftritt. Das Immunsystem vermag die Wucherung der Zellen zu hemmen. Der Hypothalamus ist eine äußerst wichtige Struktur, er ist einer der zentralen Schmerzvermittler. Er lenkt Schmerz um und leitet ihn in die diversen Organsysteme weiter. Er ist in vieler Hinsicht derviszerale Regulator des Körpers und übersetzt Schmerz in Symptome oder verändert die vitalen Körperfunktionen.“                             [Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

72. „Primals sind ein erstaunliches Phänomen; sie sind nicht nur in ihrem äußeren Erscheinungsbild, sondern auch in ihrem Erleben katastrophal. Jeder Patient, der ein Primal auf der ersten Ebene hat, weiß zum Beispiel genau, dass er etwas sehr Tiefgreifendes durchmacht. Er weiß auch beim ersten Mal, dass tief in seinem Gehirn Kräfte verborgen sind, die ihm bislang unvorstellbar waren. Er ist sicherer als je zuvor, dass ihn diese Schmerzen auf die eine oder andere Weise getötet hätten, und ist zutiefst beeindruckt, mit welch erstaunlichen Methoden der Körper die hässliche Wahrheit vor uns verbirgt und uns funktionieren lässt.“   [Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

73. „Ich bin überzeugt, dass unterdrückter Urschmerz genau wie ein elektronischer Stimulator auf den Hypothalamus wirkt. (….) Um es anders auszudrücken, viele von uns müssen im späteren Leben sehr darauf achten, was sie essen, weil der Schmerz den Hypothalamus veranlasst, die Produktion von Blutlipiden zu stimulieren. Diät ist eine Gegenmaßnahme für inneren Stress. (…) Wir müssen (…) ein Zuviel von diesem und jenem vermeiden, weil im Inneren bereits zu viel geschieht.“        [Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

74. „Wir hatten bei uns Therapeuten aus vielen Ländern der Welt in Behandlung, die angaben. Sie hätten vorher selbst Primärtherapie betrieben. Für uns war es offensichtlich, dass sie die Primärtherapie nicht richtig verstanden hatten, und auch ihnen wurde bald klar, dass das, was sie zuvor betrieben hatten, wenig Ähnlichkeit mit der fachmännischen Therapie hatte, die sie hier bei uns im Institut kennenlernten.
Uns liegt nichts daran, die einzigen zu sein, die Primärtherapie betreiben, doch wir wissen, wie ungemein gefährlich sie in ungeschulten Händen sein kann, und wir werden alles tun, um die Öffentlichkeit vor diesen Gefahren zu bewahren. Ich glaube, dass eine unkorrekt durchgeführte Primärtherapie gefährlicher sein kann als gar keine Therapie. (….) Die primärtherapeutischen Techniken sind (..) nicht veröffentlicht worden. Der Hauptgrund ist der, dass nichtfühlende Menschen keine fühlende Therapie betreiben können. Man kann alles über die Bewusstseinsebenen wissen und dennoch unfähig sein, Patienten entsprechend diesem Wissen zu behandeln.“    [Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

75. „Primals werden vor allem durch verschiedene Gebiete des Gehirns strukturiert und vermittelt. Mithin bilden Körper und Gehirn eine integrierte Einheit; statt zu sagen, dass die Trachea oder die Medulla Geburtsasphyxie erinnert, wäre es sinnvoller zu sagen, Dass der gesamte Organismus diesen Schmerz registriert, auch wenn die Engramme derartiger Registrierungen überwiegend in bestimmten Gehirn- und Körperstrukturen verzeichnet sind.“    [E. Michael Holden, Neurologe, in Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

76. „Diese Hypothese lautet, dass körperliche Krankheit auftritt, wenn der Schmerz eines ganzen Lebens permanent im Gehirn und im Körper eines Menschen registriert wird, und dass es dazu im Körper eines Menschen, der sich von diesem Schmerz befreit hat, selten oder niemals kommt. Ein Primal ist kein Pseudophänomen. Ein Primal ist vielmehr eine tiefgreifende, allesumfassende, totale Reorganisation der Biologie eines Menschen, eine Reorganisation vom psychotischen oder neurotischen Zustand zum postprimären Zustand.“
[E. Michael Holden, Neurologe, in Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]

77. „Der Primärmensch ist erstaunlich, nicht weil er ein Übermensch ist, sondern weil er einfach Mensch ist.“   [Das neue Bewußtsein, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1977]



78. „Vielleicht ist das einzige grundlegende Bedürfnis, das alle anderen unterordnet, das Bedürfnis zu fühlen. Das menschliche Wesen ist ein fühlendes Wesen; für den Organismus ist das von grundlegender Bedeutung. Die einzige Art, wie wir zu entspannten, zufriedenen Menschen werden können, liegt in einer vollständigen Erfahrung von uns selbst. Fühlen ist die Essenz des Lebens.“ [Gefangen im Schmerz, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1981]

79. „Nach zwölf Jahren der Beobachtung und Verbindung zu den ersten Patienten scheint es mir, als setzten sich Veränderungen weiter fort und hörten nie auf. Feeling wird zu einer Lebensweise,obwohl das nicht bedeutet, dass man lebt, um Urschmerz zu fühlen.“  [Gefangen im Schmerz, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1981]

80. „Das Gehirn ist konzentrisch in drei Schichten aufgebaut, die auch als Neuropile bekannt sind. Dabei handelt es sich um miteinander in Beziehung stehende Netzwerke von Nervenzellen, von denen jedes ein eigenes Bewusstsein und einen eigenen Erinnerungsspeicher hat. Jedes ist für ein anderes Gebiet menschlicher Tätigkeit verantwortlich. Die dritte Ebene kann nicht die Aufgaben der zweiten übernehmen; der Intellekt kann keine Feelings auflösen. Sie sind verschiedene elektrochemische Systeme. Sie interagieren zwar, doch sind sie nicht austauschbar.“                                           [Gefangen im Schmerz, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1981]

81. „Reales Bewusstsein ist nicht das gleiche wie Bewusstheit. Es gibt viele Formen von Bewusstheit, doch nur ein Bewusstsein, das heißt nur ein vollkommenes Bewusstsein. Vollkommenes Bewusstsein ist ein anhaltender organismischer Zustand mit fließendem Zugang der verschiedenen Gehirnstrukturen untereinander.“   [Gefangen im Schmerz, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1981]

82. „Der Darwinsche Evolutionsbegriff schreibt dem Zufall die Entwicklung einer neuen Gattung zu. Es kann gut sein, dass in der Evolution ein weiterer Faktor wirksam ist, der für die Entwicklung neuer Strukturen und auch neuer Gattungen verantwortlich ist. Dieser Faktor ist das dialektische Wechselspiel zwischen Organismus und Umwelt, das Strukturen hervorzubringen scheint, die es mit der Umwelt aufnehmen können, während veraltete abgeschafft werden.“     [Gefangen im Schmerz, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1981]

83. „Der Blutdruck ist ein sehr guter Indikator für die Belastung, unter der der Organismus steht; den wenn wir den Organismus von Druck – oder Primärschmerz – befreien, fällt der Blutdruck automatisch – und dauerhaft. (…) Wir haben bei vielen Borderline-Hypertonikern nach einem Jahr Primärtherapie einen signifikanten Rückgang des Blutdrucks festgestellt. Die Beziehung zwischen Urschmerz und Blutdruck wird von der Medizin unterstrichen, da Pillen, die Schmerz unterdrücken sollen, auch den Blutdruck senken – und umgekehrt wirken viele Medikamente gegen zu hohen Blutdruck auch als Tranquilizer.“
[Gefangen im Schmerz, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1981]

84. „Die Funktion der Verdrängung besteht darin, uns am Leben zu halten. Doch mit dem Älterwerden steigt der Preis unaufhörlich, den wir dafür zahlen müssen, unsere Urschmerzen begraben zu haben. Primärschmerz ist eine ständige Last, die den Stoffwechsel erhöht, was den Körper nach und nach zermürbt, Krankheiten hervorruft und schließlich zu einem vorzeitigen Tod führt.“         [Gefangen im Schmerz, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1981]

85. „Was ist Depression? Sie ist eine andere Form der Neurose, keine andere Krankheit. Sie ist ein Verdrängungszustand. Sie tritt auf, weil jeder Urschmerz, der nicht gefühlt werden kann, ein gleiches Maß an Verdrängung hervorruft, um ihn zu kontrollieren. Die subjektive Erfahrung ist Erschöpfung, mühsame Bewegung, ein Gefühl der Schwere und Sinnlosigkeit, Seufzen und sich niedergeschlagen fühlen. Dies sind Folgen eines inneren Konflikts, in dem Urschmerz gegen Kräfte kämpft, die ihn aus dem Bewusstsein fernhalten wollen. Der Mensch fühlt, wie die Verdrängung arbeitet, doch ist die subjektive Wahrnehmung Depression. Depression ist an und für sich kein Feeling, sie ist das Resultat vieler verdrängter und nicht geäußerter Feelings.“                                   [Gefangen im Schmerz, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1981]

86. „Kinder brauchen nicht all die Dinge, von denen wir annehmen, dass sie sie brauchten: Disziplin, Unterricht und Strafen. Was sie brauchen, ist, dass man ihnen zuhört, sich mit ihnen unterhält, mit ihnen berät, sie in den Arm nimmt, sie lieb hat und sie für das schätzt, was sie sind. Eltern können das nicht mechanisch, durch Drill und Ermahnungen erreichen. All das entspringt einer einfachen Sache: aus einem guten Gefühl zu sich selbst und Liebe zum Kind. Ist die Liebe einmal da, wird alles andere von selbst kommen. Man braucht keine Erziehungsbücher mehr im Kopf zu haben – es gibt keine Regeln mehr zu befolgen. Die Feelings besorgen das alles. Es ist nie so sehr die Frage, was du tust, sondern wer du bist.“                                                                                   [Gefangen im Schmerz, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1981]

87. „Aber es ist weniger so, dass die Umwelt die Arten, die zum Überleben am tauglichsten sind, <<selektiert>>, sondern so, dass vielmehr die Umwelt verschiedene Überlebensstrukturen produziert. Aus diesem Grunde hat der Schizophrene eine veränderte Gehirnstruktur – zur Vermittlung einer schweren <<Last>> von Primärschmerz. (…) Mir scheint, dass Darwins Theorie vernachlässigt, wie Organismen und Umwelt interagieren und sich gegenseitig formen. Bedürfnis determiniert die Struktur eines menschlichen Wesens. Wenn das Gehirn wegen Urschmerz mehr Dopaminrezeptoren braucht, schafft es sich diese.(…) Die Traumata der Säuglingszeit sind im Neokortex aufgezeichnet, und es könnte gut möglich sein, dass die Traumata der Säuglingszeit der Menschheit in der Tatsache der Existenz des Kortex ihren Ausdruck findet.“   [Gefangen im Schmerz, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1981]

88. „Die Institution der Psychotherapie haben wir geschaffen, um neurotisch zu bleiben. (…) Tatsächlich haben die verschiedenen Psychotherapien nur verschiedene Arten gefunden, das Selbst zu interpretieren, wo es doch darum geht, es zu befreien.“   [Gefangen im Schmerz, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1981]

89. „Zu viele Menschen träumen von dem Leben, das andere führen. Sie mögen glauben, das Leben sei etwas <<da draußen>>. Unablässig suchen sie nach Antworten auf die Geheimnisse des Lebens, ohne jemals zu erkennen, dass sie den Schlüssel dazu besitzen. Der Schlüssel dazu ist das Fühlen. Alles, was im Leben geschieht, ist ohne Feeling bedeutungslos.“                                                [Gefangen im Schmerz, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1981]

90. „Primärschmerz ist nicht einfach ein Begriff. Er ist eine Erfahrung. Ich habe mitzuteilen versucht, woraus diese Erfahrung besteht, doch sind Worte ein dürftiger Ersatz für die Beschreibung emotionaler Zustände, die auf Ebenen errichtet sind, auf denen Worte nicht existieren. Ein einziges Erlebnis von Urschmerz sagt mehr als dieses ganze Buch.“                                                            [Gefangen im Schmerz, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1981]



91. „Bei der Beobachtung dieser Geburtserlebnisse sahen wir (oft mit großer Bestürzung), wie Anoxie (Sauerstoffmangel) die unversehrt auf dem Boden liegenden Patienten überwältigte, wie sie nach Luft rangen und rot und blau im Gesicht wurden, während die frühe Einprägung von ihnen Besitz ergriff – und genau dasselbe Trauma reproduzierte, das vor Jahrzehnten aufgetreten war. Manche Patienten konnten solche Primals wochen- und monatelang haben, bevor sie erkannten, was geschah. Erst nach einer merklichen Auflösung des Geburtsschmerzes, nach einer nahezu vollständigen bewussten Verknüpfung damit, wussten sie mit Sicherheit, was sie wiedererlebt hatten.“   [Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]

92. „Schließlich ist es die allgemeine Verfassung der Mutter, die Art von Mensch, die sie körperlich und seelisch ist, die das Wachstum ihres Kindes formt. (…) Wie wir noch sehen werden, können Veränderungen der Körperchemie der Mutter dem sich entwickelnden Fetus eingeprägt werden, und auf diese Weise wird die Neurose (oder Nicht-Neurose) der Mutter an das Kind weitergegeben.“ [Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]

93. „Bevor ich geboren wurde, hatte meine Mutter ein Kind im fünften Monat verloren. Sie war toxisch geworden und hatte den Fetus vergiftet. Dasselbe passierte ihr auch mit mir, nur war ich sogar als Fetus irgendwie stark genug, um zu überleben. Heute fühlte ich die gleiche Toxizität und damit die Todesfeelings, die mich mein ganzes Leben lang gequält haben. (…) Ich sehe jetzt, dass ich dieses Vergiftungserlebnis im Schoß wieder agierte. Ich muss im Schoß den Impuls gehabt haben, mich zu erbrechen, um am Leben zu bleiben – und vielleicht war es sogar dieser Impuls oder eine primitive Spielart davon, der mich tatsächlich am Leben erhielt. Aber dieser Impuls brachte mich später beinahe um, als ich anfing, so viel Gewicht zu verlieren.“
[Eine an Magersucht (Anorexia nervosa) leidende Patientin in Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]

94. „Wenn umgekehrt eine Frau während der Schwangerschaft zu viel ißt, um ihren eigenen Urschmerz zu unterdrücken, kann ein hoher Fettspiegel im Blut mit emotionaler Ruhe und Wohlbefinden assoziiert werden – das, wie das Kind aufgrund seiner intrauterinen Erlebnisse lernt, mit dem Genuß großer Mengen von Fett verbunden ist. Das kann einen Menschen später zur Fettleibigkeit (...) verleiten, weil durch zustandsabhängiges Lernen die fettreiche Kost mit einem Gefühl des Wohlbefindens assoziiert wurde.“   [Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]

95. „Unglücklicherweise gibt es keinen Willensakt, keine Motivation, keinen Grad von Aufrichtigkeit, der für sich allein die unvermeidlichen Wirkungen der Neurose der Mutter aufheben kann. Daher sind die Alternativen sehr begrenzt: eine Frau muss sich entweder voll und ganz mit ihrem eigenen Urschmerz auseinandersetzen, bevor sie ein Kind empfängt, oder ein sehr hohes Risiko eingehen, ihre Neurose an das Kind weiterzugeben.“   [Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]

96. „Wenn der Geburtskanal sehr beengend war und der Fetus kämpfen musste, um auf die Welt zu kommen, wird die charakteristische lebensrettende Reaktion ( das Ende des Trauma-Zugs) Kampf, Aggressivität, Wut und Tatkraft sein. War der Fetus bei der Geburt stark narkotisiert und konnte er absolut nichts tun, außer zu atmen zu versuchen, so kann die lebensrettende Reaktion Resignation, Passivität und – noch nicht begriffliche – Empfindungen (Feelings) von Sinnlosigkeit und Verzweiflung sein. Die Kontinuität der Reaktionen ist durch die Erinnerungsspur gegeben.“                             [Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]

97. „Wenn sich jemand in seinem Primal dem Urschmerz nähert, steigt der Blutdruck kontinuierlich bis manchmal gut über 200 – und das bei einer Person, die ruhig auf dem Rücken liegt und einfach einen sehr, sehr frühen Schmerz wiedererlebt. Das gilt auch für die Hirnwellenmuster. Schmerz ist buchstäblich eine bioelektrische Kraft. Wenn wir verstehen, dass er ein echter physischer Druck ist, eine zeitlich erstarrte Empfindung, ist der Ursprung chronischer Migräneanfälle, chronischen Asthmas oder chronischer Herzleiden kein Geheimnis mehr.“                                                                     [Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]

98. „Die Kräfte der ersten Ebene sind es, die den Körper zu impulsiven Handlungen verleiten. Daher handelt der impulsive Mensch zuerst und denkt später. Und genau so entwickelt sich das Gehirn: zuerst kommt der Impuls, dann das Denken. Der impulsive Mensch ist buchstäblich jemand, der unter den Impulsen des Geburtstraumas leidet.“                                                                                    [Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]

99. „Durch meine Geburts-Feelings habe ich den Ursprung mehrerer Symptome entdeckt, die mich mein Leben lang gequält hatten: eine verstopfte Nase, Bronchitis und Halsentzündungen. Bevor ich die Geburtsverknüpfung mit diesen Symptomen fühlte, entwickelte ich eine so große geschwollene Halsdrüse, dass ich zur Behandlung ein Ambulatorium aufsuchen musste. Der Arzt wusste nicht, was sie verursacht hatte. Ungefähr eine Woche später hatte ich ein Primal, in dem ich ein Baby mit etwas Flüssigkeit im Hals war, die mich zu ersticken drohte. Im Feeling weinte ich und erbrach mich. Es war etwas in meinem Hals, das nicht da sein sollte, und ich bin sicher, dass der mysteriöse Klumpen ein Vorläufer des Feelings war. Ich musste dieses Feeling sehr oft haben, und es ist noch nicht vollständig verschwunden.“   [Bericht einer Patientin in Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]

100. „Niemand kann bisher sagen, dass das Geburtstrauma Homosexualität ‚verursacht‘, aber wir haben die Beobachtung gemacht, dass die Homosexuellen, die wir in der Therapie sahen, katastrophale Geburten hatten. Erlebnisse in utero zusammen mit dem Geburtstrauma können männliche und weibliche Geschlechtshormone permanent in einer Richtung beeinflussen und gewisse Neigungen oder Tendenzen hinterlassen. (…) Die Implikationen sind nicht nur, dass das Schmerzniveau für die Homosexualität signifikant ist, sondern auch, dass das betreffende Trauma in vielen Fällen aus sehr frühen, ja sogar pränatalen Ereignissen stammen kann. Das würde dazu beitragen zu erklären, warum manche Homosexuelle das Gefühl haben, sie seien so ‚geboren‘, und warum diese Menschen große Schwierigkeiten haben, die Ursprünge ihrer Homosexualität zu fühlen und aufzulösen.“    [Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]

101. „Was ich in den Geburts-Feelings fühlte, war ein langer und qualvoller Kampf. Unglaubliche Drücke zerquetschten mir den Kopf und den Rücken. Meine Mutter konnte mir überhaupt nicht helfen. Ich war steckengeblieben, und ich wusste, dass ich nur auf mich selbst zählen durfte, um hinauszukommen und zu leben. Ich tat also die ganze Arbeit selbst und schob und schob mehrere Stunden lang, bis ich völlig erschöpft war. In diesem Augenblick gab ich auf, weil ich einfach nichts mehr tun konnte.“                                                                                                                           [Bericht eines Patienten in Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]

102. „Viele unserer Patienten, die durch Kaiserschnitt auf die Welt kamen, haben das Gefühl, sie müßten an den Ausgangspunkt zurückgehen, um sich vollständig zu fühlen. Sie haben ein allgemeines gefühl der Unvollständigkeit – dass nichts im Leben ‚geregelt‘ ist. Und tatsächlich gibt es etwas, zu dem sie zurückkehren müßten. Es wurde etwas unvollständig gelassen; es gab einen entwicklungsmäßigen Mangel, der verwirrend ist. Ein sehr wichtiger Teil des Wachstums und der Entwicklung wurde bei ihrem Geburtserlebnis abgekürzt. Man ist tatsächlich nicht vollständig, wenn die Geburtssequenz nicht natürlich beendet wurde.“  [Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]

103. „Ein anderer Patient wurde bei der Geburt übel zugerichtet. Er kam voll blauer Flecken und missgestaltet zur Welt, seine Reise durch den Geburtskanal war eine einzige Qual gewesen. Später entdeckte er, dass er jederzeit bereit war, sich mit jemandem zu schlagen, der ihn auch nur leicht streifte. Er fühlte sich schon so geschunden, dass er bei der leisesten Berührung zurückzuckte und dass sofort seine Wut und Aggressivität ausgelöst wurden.“   [Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]

104. „Aber die Psychose ist eine andere Geschichte. Manche glauben, ihre Ursache sei biochemischer Natur, andere sprechen von Vererbung, wieder andere machen die Umwelt verantwortlich. Interessanterweise könnten sie unter einem bestimmten Gesichtspunkt alle recht haben: eine Psychose verursacht tatsächlich schwere biochemische Störungen, sie wird pränatal durch das Milieu im Mutterschoß ‚weitergegeben‘, und sie wird in der Kindheit durch ein fortgesetztes Trauma verstärkt.“   [Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]

105. „Eine Psychose entsteht, wenn der Druck ‚im Kopf‘ nicht verringert werden kann. Wir brauchen Ideen (im Kopf), von denen wir verrückt werden können, und das bedeutet, dass wir einen reifen, zur Ideenbildung fähigen Geist brauchen, damit es zur Psychose kommen kann. Die Psychose, wie wir sie kennen, ist die letzte evolutionäre Alternative für die Entladung überschüssiger Primärenergie. Tiere kennen diesen Luxus nicht. Sie können nicht ein Netz von Ideen spinnen, um ihren Schmerz zu verringern. Aber der Hund, der jeden beißt, den er zu fassen bekommt, weil er sein ganzes Leben angekettet und misshandelt wurde, drückt nichtsdestoweniger seine eigene Art von Psychose aus.“   [Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]

106. “Die Macht und Kraft, die in unverknüpftem Schmerz der ersten Ebene stecken, sind explosiv und können ungeheuer destruktiv sein. Wir brauchen nur unsere Gefängnisse zu betrachten, um uns davon zu überzeugen. Psychopathisches und psychotisches Verhalten sind in Wirklichkeit nur zwei Gabelungen derselben Straße frühen, katastrophalen Urschmerzes. Die aufgestaute Gewalttätigkeit, deren Ursache die ursprüngliche Frustration, nicht aus dem Geburtskanal zu kommen, ist – ein Trauma hoher elektrischer Valenz - , und dazu die Verstärkung durch Jahre emotionaler Deprivation können später entweder psychopathisches oder psychotisches Verhalten zur Folge haben. Gewalttätigkeit gegen einen Menschen kann bei der Geburt beginnen und dann früher oder später ihre Entladung finden.“   [Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]

107. „“Psychotische Reaktionen sind Reaktionen auf Prägungen. Je nach den prototypischen Tendenzen und der Lebensgeschichte eines Menschen unterscheiden sich diese Reaktionen. So spricht man von Katatonie (einer Form der Schizophrenie), manisch-depressiver Psychose, paranoisch-halluzinatorischer Schizophrenie etc. Das sind keine verschiedenen Krankheiten oder Unterteilungen von Krankheiten. Sie zeigen denselben massiven Urschmerz und dieselbe massive Funktionsstörung an - die aber unterschiedliche Formen annehmen. (….). Viel hängt vom ursprünglichen Geburtsprototyp ab. Wenn bei der Geburt ein großer Drang nach Leben auftritt, der durch eine massive Abschaltung mittels Narkotika mit einem daraus resultierenden Erlebnis der Todesnähe unterbrochen wird, kann die Grundlage für manisch-depressive Stimmungsschwankungen im späteren Leben geschaffen worden sein.“                                                                                                 [Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]

108. „Beweismaterial für die Verbindung zwischen Schmerz und Krebs stammt aus verschiedenen Gebieten. Das eine betrifft unser eigenes Immunsystem und seine Überwachungsfunktion in bezug auf Krankheit. Es scheint, dass Krebszellen periodisch im Körper eines jeden Menschen erscheinen, gewöhnlich aber von den Lymphozyten genannten weißen Blutzellen zerstört werden. Ist das Immunsystem durch Stress überlastet, so funktioniert es schlecht, und die Krebszellen können wachsen und sich vermehren. Wir wissen, dass psychischer Schmerz auf dieselbe Weise verarbeitet wird wie physischer. Offensichtlich führt Primärschmerz zu einer höheren Produktion unserer körpereigenen Endorphine. Das bedeutet, dass Primärschmerz durchaus imstande sein könnte, die Lymphozytenfunktion zu beeinträchtigen, was eine schwere Erkrankung zur Folge hat. Die Blockierung von Urschmerz kann verheerende Folgen haben. Meine Hypothese lautet, dass die Verdrängung von Urschmerz einen Menschen einer erhöhten Krebsgefahr aussetzt.“    [Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]

109. „Die Primärtheorie über das Geburtstrauma steht im Einklang mit dem, was man heute in der Neurologie weiß. Sie erklärt, wie Schmerzen auf den verschiedenen Bewusstseinsebenen innerhalb des sich entwickelnden Nervensystems festgehalten wird. In Bezug auf die eingeprägten Traumata arbeitet die Primärtherapie im Sinne dieser umgekehrten Evolution: das heißt, wir arbeiten zuerst mit den letzten Repräsentationen des Geburtstraumas – dem äußeren Gehirn und seinen kognitiven Aspekten; dann mit dem mittleren, fühlenden Gehirn und zuletzt mit dem inneren Gehirn, wo die schmerzhaften körperlichen Empfindungen der Geburt zu finden sind.“   [Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]

110. „Worum es in der Therapie im Grunde geht, ist, dass man dem inneren Prozess vertraut – diesen präzisen neurologischen Mechanismen, die Geist und Körper verbinden. Das Gehirn und der Körper kennen die unbeendeten Aufgaben. Schleim wird während einer Sequenz produziert, die das Ertrinken in Flüssigkeit beinhaltet, aber er wird nicht mehr produziert, sobald einmal dieser Teil der ganzen Sequenz abgelaufen ist. Während eines Geburts-Primals kommen keine Tränen, und es werden keine kindlichen Schreie während des Wiedererlebens einer Zeit ausgelöst, in der das Neugeborene noch unfähig war, solche Laute hervorzubringen. Patienten, die sich rhythmisch auf dem Boden winden, können nicht anfangen, diese Bewegungen zu imitieren, wenn sie das entsprechende Feeling nicht mehr haben.     [Frühe Prägungen, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1984]



111. „Die Welt hat einen Nervenzusammenbruch. Die Menschen sind reizbar, aggressiv, angespannt und ängstlich. Die Neurose ist auf dem Vormarsch. Sie galoppiert in vollem Tempo voran, und keiner scheint zu wissen, was sich abspielt oder warum. Vor allem scheint niemand zu wissen, wie man diesen unerbittlichen Marsch in die Zerstörung aufhalten kann. Jahr um Jahr gibt es mehr Krankheiten, mehr Selbstmorde, mehr Gewalt, mehr Alkoholismus und Drogensucht. Die Welt fällt an den Rändern auseinander. Valium ist der Leim, der sie zusammenhält.“                                [Der neue Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993]

112. „Primärschmerz bringt immer Verdrängung ins Leben. Das Maß der erzeugten Verdrängung hängt von der Ebene oder Wertigkeit des Schmerzes ab. Die morphinähnlichen Substanzen, die wir innerlich erzeugen, um emotionalen Schmerz zu verdrängen, können hundertmal stärker sein als kommerziell zubereitete Morphine. Als Freud über Verdrängung schrieb, konnte er nur spekulieren. Jetzt haben wir ein viel klareres Bild davon, wie sie wirkt und wo im Gehirn sie am Werk ist.“   [Der neue Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993]

113. „Der Urschmerz ist das große, verborgene Geheimnis unserer Tage, Teil der Massenunbewusstheit – die unbewusste Verschwörung, bei der wir uns alle darauf geeinigt haben, die zentralen Realitäten unserer Zeit, unser zweifelhaftes Erbe aus verdrängten Bedürfnissen, Gefühlen und Schmerzen zu leugnen.“   [Der neue Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993]

114. „Man hat festgestellt, dass die einfachsten Erinnerungen weite Bereiche des Gehirns mit Millionen Nervenzellen einbeziehen. Wenn es einen großen Speicher mit schmerzhaften Erinnerungen gibt, kann man die Milliarden arbeitender Nervenzellen nur erahnen. Es scheint nichts zu geben, das das Gehirn und dann sein Schleusensystem so aktiviert wie Schmerz.“                                                 [Der neue Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993]

115. „Die gegenwärtige Forschung weist darauf hin, dass alles, was Schmerzen dämpft – seien es Beruhigungsmittel, Anästhetika oder endogene Schmerztöter -, auch das Immunsystem dämpft. Schon eine einzige Morphinspritze beeinträchtigt die natürliche Reaktion der Killerzellen. Natürliche Killerzellen sind die Zellen des Immunsystems, die eindringende Antigene, die Träger von Krankheit, umbringen. (….) Tiefer Schmerz bedeutet tiefe Verdrängung, und die wiederum vergrößert das Krebsrisiko.“   [Der neue Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993]

116. „Psychotiker sind oft die sensibelsten, einsichtsvollsten und am schärfsten wahrnehmenden Menschen, weil sie ohne Abwehr sind. Deshalb kann der abgeschottete intellektuelle Neurotiker nicht spüren, was der Verrückte sehen kann. Der Neurotiker will Beweise für das, was er nicht fühlen kann. Dies erklärt, warum eine führende wissenschaftliche Zeitschrift kürzlich feststellte, es gebe keinen Beweis für die Erinnerung an frühen Schmerz. Wir brauchen nicht auf Zahlen zu warten, die zeigen, dass Schmerz erinnert werden kann, denn jeder leidende Mensch vermag das zu demonstrieren.“ [Der neue Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993]

117. „Es ist paradox. Menschen, die behaupten, einen Zustand von Seligkeit und kosmischer Ruhe erreicht zu haben, kommen in unser Forschungslabor, und dort finden wir eine Psyche, die mit einer Meile pro Minute dahinrast, und einen Körper im Panikzustand. Milliarden Neuronen sind mit der Aufgabe der Verdrängung beschäftigt. Sie funktioniert, und die Person glaubt, sie sei ruhig oder habe das Nirwana erreicht. Die Verdrängung ist dazu da, uns zu täuschen. Nichts ist so unendlich wie die Selbsttäuschung – die große Gabe unserer fortgeschrittenen Zivilisation.“                             [Der neue Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993]

118. „Der Psychiater William Gray glaubt, dass alles Denken in Gefühlstönungen eingebettet ist, die helfen, die Erinnerungen zu kodieren und Gedanken zu integrieren, wenn sie geformt werden. Seine Arbeit wurde von Paul La Violette weitergeführt, einem Systemtheoretiker, der meint, Erfahrung werde im Gehirn in neuroelektrischen Wellenformen kodiert und gespeichert, die von frühen Ereignissen hervorgerufen werden, die ähnliche Wellenformen haben. (….) Die Verwendung des Begriffs Resonanz zur Beschreibung dieses Prozesses ist nicht nur figurativ. Es scheint eine präzise Frequenz zu geben, die in der Rezeptormembrane der Amygdala mitschwingt. Das löst dann eine neuronale Entladung aus, d. h. emotionale Reaktionen. (…) Das hereinkommende Signal scheint einen ähnlichen Kode zu haben wie die Signale, die bereits im emotionalen Lagerhaus gespeichert sind.“   [Der neue Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993]

119: „Wir müssen die Vorstellung aufgeben, Erinnerung sei ein Synonym für das denkende Gehirn, sei das, was verbal wieder hervorgerufen oder kognitiv erinnert werden kann. Jede Zelle des Körpers enthält Erinnerung. Deshalb sehen wir so große Veränderungen im Funktionieren der Zellen, nachdem die Prägung wiedererlebt und gelöst worden ist, und deshalb gibt es wichtige Veränderungen in der Gehirnfunktion und im Ausstoß von Hormonen. Dies gilt vor allem für das Wiedererleben präverbaler Geschehnisse, bei denen keine Chance bestand, sie auf normale Weise zu erinnern. Wir dürfen daher bei der Erörterung von Immunfunktion und schwerer chronischer Krankheit niemals das Geburtstrauma und das vorgeburtliche Trauma vergessen.“                                                        [Der neue Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993]

120. „Die meisten von uns können im Alltagsleben funktionieren, wenn sie es nur mit dem Schmerz ihre früheren Stresses zu tun haben. Sie tun dies, indem sie rauchen, trinken Beruhigungsmittel einnehmen und dergleichen. Wenn aber etwas verheerendes in der Gegenwart einen Widerhall bei etwas aus unserer Vergangenheit erzeugt, dann leiden wir unter dem ‚Stresssyndrom.‘ Dann wird uns empfohlen, wir sollten unseren Ehepartner oder unseren Arbeitsplatz verlassen und in eine andere Stadt gehen, weil die gegenwärtige Situation als einzige Ursache des Zusammenbruchs angesehen wird. In Wirklichkeit aber hat die gegenwärtige Situation eine Wertigkeit von vielleicht drei, verglichen mit der Wertigkeit zehn des ursprünglichen Traumas.“                                                             [Der neue Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993]

121. „Das Zeitalter der Angst scheint dem Zeitalter der Verdrängung gewichen zu sein. Wir fühlen uns wohler mit unseren Neurosen, weil die Gesellschaft neurotische Werte und ihren großen Ehrgeiz und Antrieb belohnt. (….) Erst wenn der Antrieb uns aus der Hand gleitet, machen wir uns Sorgen. Das Vergehen des Zeitalters der Angst ist in gewisser Weise der Verlust unserer Unschuld. Verdrängung wird verherrlicht, während neurotische Energie auf die Ziele von Erfolg, Prestige, Ehre und andere symbolische Ziele gelenkt wird. Wir haben aufgehört, uns ängstlich zu fühlen, weil wir zu fühlen aufgehört haben.“   [Der neue Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993]

122. „Eingeprägter Schmerz scheint auf vielen Ebenen des Bewusstseins Unbewusstheit zu erzeugen, einschließlich der Immunebene. Das bedeutet, dass diese Zellen nicht mehr fähig sind, ihre Feinde zu erkennen. Darum kann das System sich selbst angreifen. Auf der am wenigsten schädlichen Ebene hinterlässt Schmerz das Immunsystem in einem chronisch unterdrückten Zustand, wodurch einige von uns empfänglicher für Infektionen und Erkältungen sind. (…) Es ist sehr wichtig, dass die natürlichen Killerzellen des Immunsystems ihre Vitalität bewahren. Man weiß heute genug (auch aufgrund unserer eigenen Forschung), um zu zeigen, dass Schmerz und Stress die Wirksamkeit dieser Zellen signifikant verändern. Es unterliegt kaum einem Zweifel mehr, dass ein vitales System natürlicher Killerzellen tatsächlich die Entwicklung von Krebs beim Menschen abwenden kann.“   [Der neue Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993]

123. „Es ist teuflisch und ungerecht, dass das, was uns am meisten leiden lässt, gewöhnlich am schwersten zu finden ist. Der Behandlungsvorgang ist schwierig, weil die Wahrheit des Zustands – der Zusammenhang zwischen einem vergangenen Trauma und einer gegenwärtigen Krankheit – nur im Patienten liegt, nicht im Kopf eines Experten. Tatsächlich versucht die Wahrheit sich in uns allen dauernd auszudrücken, nur um von der schweren Hand der Verdrängung zurückgeschlagen zu werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Verdrängungssystem im Lauf von Millionen von Jahren vervollkommnet wurde; selbst der niedrigste Erdwurm hat den Mechanismus zur Verdrängung (indem er Endorphine herstellt).“   [Der neue Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993]

124. „Menschen können ohne die Primärtherapie fühlen und taten das zweifellos schon lange vor der Existenz der Therapie. Wir sind nur deshalb gezwungen, Techniken zum Ausgraben von Gefühlen zu entwickeln, weil die Abwehrsysteme so labyrinthisch geworden sind. Wären sie dies nicht, könnte jeder Freund das gleiche leisten. Es wird von uns erwartet, dass wir weinen, wenn wir traurig sind, oder uns entsprechend verhalten, wenn wir Wut haben. Dazu sind wir ausgestattet. (…) Es gibt keine Abkürzung und keinen leichten Weg, so gern ich so etwas auch anbieten würde. Ich glaube, der einzigartige Beitrag der Primärtherapie besteht darin, Zugang zu den tiefsten Schichten des Unbewussten zu gewähren, die zuvor unerreichbar waren.“                                                                          [Der neue Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993]

125. „Wenn Sie sich zufrieden, entspannt, ungetrieben und wohl fühlen, sind Sie normal. Der Schlüsselsatz lautet hier: <<Wenn Sie sich fühlen.>> Wenn Sie das nicht tun, geht Ihre Phantasie ans Werk, um Sie glauben zu machen, Sie seien normal. Der mystische Neurotiker fühlt sich nie einfach nur wohl. Er fühlt sich <<geradezu wundervoll>>.“                                                                       [Der neue Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993]

126. „Intensives Weinen, wie wir es in unserer Therapie sehen, ist keine Hysterie, sondern eine einzigartige neue Kategorie, welche die Heilung einbezieht. Es ist das erste konvulsivische Phänomen, das mit dem Heilungsprozess verbunden ist. Hier macht das erwachsene Gehirn dem kindlichen Gehirn Platz und reist zurück zu einem genauen Gefühl, einem genauen Moment und einer Szene, in der es zum Weinen hätte kommen sollen, aber nicht kam – zeitlich durch die Qual der Erfahrung aufgehobene Tränen. Die Regression vom erwachsenen Gehirn zum emotionalen Gehirn und dann zum perinatalen Gehirn <<vor den Tränen>> ist die exakte Umkehrung der zerebralen Entwicklung.“   [Der neue Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993]

127. „Der Ablauf des Wiedererlebens kann nicht beschleunigt werden. Es ist so wie die stapelbaren Teller in einem Restaurant. Sie nehmen einen Teller, und der nächste bietet sich zum Gebrauch an. So ist Erinnerung angelegt. Sie erleben einen Teil wieder, und nun bietet sich der nächste Teil an. Es verläuft nicht immer so klar, aber im allgemeinen ist das die Reihenfolge. (….) Oft sehe ich Patienten, die ihre Geburt wiedererleben, und frage mich, warum es notwendig ist, solche Schmerzen zu durchleben. Warum müssen sie sie vielleicht hunderte Male im Laufe vieler Jahre ertragen? Diese Qual und das Erstickungsgefühl bei der Geburt durchleben? Das liegt daran, dass die Kraft dieser Geschehnisse das Leben für immer formt. Sie ist letztendlich tödlich. Ein reifer Erwachsener mit etwas wie einem Abwehrsystem ist nötig, um sie zu fühlen, und selbst dann ist sie entsetzlich.“   [Der neue Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993]

128. „Ist die Primärtherapie etwas für eine spezielle Art von Personen? Ich glaube nicht. Wir haben Depressive gesehen, buchstäblich Hunderte versuchter Selbsttötungen, Mörder, Migräne- und Krebspatienten, Vergewaltiger, Angstgeplagte, Psychotiker aus Anstalten, einen Wohlfahrtsfall, der drohte, seine Kinder umzubringen, wenn er nicht akzeptiert würde, Inzestopfer, Kolitispatienten, Exhibitionisten und so ungefähr alles, was man sich vorstellen kann. Und doch geht es immer um Schmerz und Bedürftigkeit. Die Psychotiker haben mit den Film- und Rockstars etwas gemeinsam – eine ganz unglaubliche Last aus Schmerz. Von der ganzen Welt geliebt werden zu wollen erfordert eine besondere Art Schmerz und Antrieb.“  [Der neue Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993]

129. „Bei den vielen hundert Klinikern auf der Welt, die meinen Namen benutzen und fälschlich behaupten, von mir ausgebildet worden zu sein, habe ich nie gesehen, dass die Therapie korrekt praktiziert worden wäre. Wir verbringen etwa ein Drittel unserer Zeit damit, Patienten zu behandeln, die von Möchtegern-Primärtherapeuten kommen.“                                                                         [Der neue Urschrei, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993

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