Artikel u. Buchausz.

Buchauszug

Artikel u. Buchausz.
 

  Buchübersetzungen                                                                    Originaltext:  GRAND DELUSIONS  

 
 

Das Kapitel über EMDR wurde  nachträglich ins Buch aufgenommen und ist offenbar noch nicht die endgültige Fassung. Der Leser wird das daran erkennen, dass in diesem Kapitel einige Passagen in nahezu identischer Form ein zweites Mal auftauchen. Ein bisschen déjà vu......

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  Dr. Arthur Janov

 

  GRAND DELUSIONS

GROSSE ILLUSIONEN

  Psychotherapien ohne Fühlen

 Veröffentlicht im Juni 2005 auf primaltherapy.com

 Kapitel 1

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 EMDR 

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Eine heiße neue Therapie für eine breite Vielfalt von Leiden ist Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) [etwa: Augenbewegungs-Desensibilisierung und Neuverarbeitung]. Viele Therapeuten und eine erhebliche Zahl von Spezialisten in Neurologie und Psychoneurologie befürworten sie. EMDR besteht aus einer Reihe von Techniken, die sich Elemente aus Hypnose, Verhaltenstherapie, gelenkten Bildern, kognitiver Therapie und Einsichtstherapie ausleiht. Das zentrale Merkmal von EMDR ist sein Gebrauch der „bilateralen Stimulierung“. Die bilaterale Stimulierung beinhaltet typischerweise, dass man den Klienten anweist, beobachtend einem Finger oder Stab zu folgen, der vor seinen Augen hin und her bewegt wird. Während Augenbewegungen dem EMDR seinen Namen gaben, betrachtet man andere Arten bilateraler Stimulation wie abwechselnd leichte Schläge auf beide Hände oder abwechselnd Klänge in beiden Ohren als effektiven Ersatz (David Grand, Emotional Healing at Warp Speed: The Power of EMDR, New York: Harmony Books, 2001).

Man behauptet, EMDR sei erfolgreich bei Phobien, Depression, Angst und Lampenfieber. Tausende von Therapeuten sind weltweit in EMDR ausgebildet worden. Es ist von einigen Versicherungsgesellschaften und HMOs übernommen worden, weil es schnell und theoretisch effizient ist. EMDR–Therapeuten beanspruchen für sich gute Resultate mit so erschütternden Ereignissen wie Inzest. Der Anspruch lautet, dass Individuen ein großes Trauma bewältigen können, ohne wieder traumatisiert zu werden – ein sehr attraktives Angebot.

Eine von der Kaiser Health Group geförderte Studie fand, dass sich Patienten nach drei EMDR-Sitzungen besser fühlten als diejenigen, die in Standardtherapie waren. Schlussfolgerung: EMDR ist wirkungsvoller, oder es scheint zumindest so. Nach kurzer Zeit trafen auf 77% der EMDR-Gruppe die Kriterien für das posttraumatische Stress-Syndrom nicht mehr zu, während dies für nur 50% derer galt, die in konventioneller Therapie waren (Los Angeles Times, März 25, 2002: „Trauma Therapy’s New Focus“).

EMDR-Behandlung beinhaltet ein präzises Protokoll und erfordert – wie Primärtherapie -  sorgfältige Ausbildung und Überwachung für seine richtige Ausführung. Eine grobe Beschreibung der Hauptschritte bei EMDR lautet wie folgt: Am Anfang der Behandlung wird der Klient gebeten, eine schmerzvolle Erinnerung zu identifizieren; eine negative, irrationale Wahrnehmung, die mit der Erinnerung assoziiert ist; eine physische Empfindung, die mit der schmerzvollen Erinnerung assoziiert ist; und eine positive, rationale Wahrnehmung, die benutzt werden kann, um die negative Wahrnehmung zu ersetzen. Die bilaterale Stimulation wird dann in drei Phasen angewandt: Desensibilisierung, Installierung und Körper-Scan. Für die Desensibilisierung bittet man den Klienten, sich auf die Erinnerung, auf die negative Wahrnehmung und die körperliche Empfindung zu konzentrieren, während er der bilateralen Stimulierung ausgesetzt wird. Während der Installierung bittet man den Klienten, sich auf eine Kombination aus der positiven Wahrnehmung und der Erinnerung zu konzentrieren, während er wiederum der bilateralen Stimulierung ausgesetzt ist. In der Körper-Scan-Phase untersucht der Klient seinen Körper auf Empfindungen, während bilaterale Stimulation benutzt wird, um positive Empfindungen zu verstärken oder negative zu zerstreuen (Steven M. Silver und Susan Rogers, Light in the Heart of Darkness: EMDR and the Treatment of War and Terrorism Survivors, New York: W. W. Norton, 2002).

EMDR wurde von Francine Shapiro gegründet, die 1987 zum ersten Mal einen Verbesserungseffekt der bilateralen Stimulierung entdeckte. In ihrem Buch EMDR (2001; New York: Guilford Press) erklärt Shapiro: „Das Vergewaltigunsgopfer fühlt zu Beginn vielleicht intensive Furcht oder Scham. Vielleicht sieht sie ständig Bilder der Vergewaltigung, die in ihr gegenwärtiges Leben eindringen und erlebt negative Gedanken wie ‚Ich bin schmutzig. Es war meine Schuld.’ Nachdem der Kliniker mit ihr gearbeitet hat, indem er EMDR-Prozeduren benutzt, um sich auf spezifische innere Reaktionen zu konzentrieren, ist das Vergewaltigungsopfer vielleicht in der Lage, die Vergewaltigung ohne Gefühle der Furcht und Scham zu erinnern“ (s. 2).  Das gibt der Patientin dann Kraft; sie kann sagen „Ich habe das gut gemacht. Ich hab’s geschafft, am Leben zu bleiben.“ Gemäß Shapiro erfährt die Patientin jetzt eine positive Veränderung ihrer Gedanken und Überzeugungen, und die aufdringlichen Gedanken an die Vergewaltigung verschwinden. Die Überzeugung, die sie jetzt verinnerlicht hat, lautet: „Ich bin eine starke, unverwüstliche Frau.“

Das Grundprinzip ist hier, dass negative Überzeugungen weniger wirksam werden und mit angemessenerer Information verknüpft werden: „Der Patient lernt aus der beunruhigenden Vergangenheitserfahrung, was notwendig und nützlich ist, und das Ereignis wird in einer angepassten, gesunden, nicht beunruhigenden Form wieder im Gedächtnis abgelegt.“ (s.2) Der Patient lernt aus negativen Erlebnissen der Vergangenheit, ist gegenüber aktuellen Auslösern desensibilisiert und verinnerlicht „Muster für angemessene zukünftige Handlung, die dem Klienten erlauben, individuell und innerhalb seines interpersonellen Systems hervorragend zurechtzukommen.“ (s.2)

In einem anderen Buch von Shapiro und Margo Silk Forrest (1997) diskutieren die Autorinnen Trauma und Schmerz: „Die Welt des Traumas zu betreten, ist, als würde man in einen zerbrochenen Spiegel schauen“ (s. 49); dort „entfaltet sich eine sonderbare neue Welt.“ Die Autorinnen zitieren den Fall einer 62jährigen Frau, die ihr Leben lang unter Panik und Furcht als Resultat des sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater litt. Shapiro und Forrest behaupten, dass die Person ihren Frieden hatte, nachdem die Erinnerung verarbeitet war. Sie sagen, dass es mit EMDR zu einer schnellen Reaktion kam.

Der Therapeut fragte die Patientin: „An welche Ereignisse, die Ihnen das Gefühl gaben, wertlos und nutzlos zu sein, erinnern Sie sich?“ (s. 51). Die Autorinnen sagen dann: „Das ist die ganze Information, die der Therapeut benötigt, um das Ereignis zu identifizieren und mit EMDR ins Visier zu nehmen.“ Shapiro glaubt, dass die negativen Überzeugungen, die wir mit uns herumtragen (z. B.: „Ich bin traurig“) oft der unangemessene Rückstand eines Traumas sind. Der Patient wird dann auf positive Haltungen hingelenkt. Shapiro und Forrest sagen: „EMDR geht über das Besänftigen von Schmerz hinaus…es gibt Erfolgsberichte über EMDR in klinischer Arbeit mit Alkoholikern und Drogensüchtigen. Es kann die zu Grunde liegenden Ursachen der Qual schnell aufzeigen und neu verarbeiten“ (s. 177). Shapiros Klienten benutzen ihr „Bewältigungsgeschick“, um zu lernen, wie man Stress ohne Drogen oder Alkohol handhabt.

Ein in einem Artikel der Los Angeles Times beschriebener Fall betrifft eine Sozialarbeiterin, die sich an ein Jahre zurückliegendes Ereignis erinnerte, das noch immer schmerzvoll war: Ein Professor war ihr während eines Übungs-Interviews ins Wort gefallen. Man wies sie an, an die Episode zu denken, während sie die Hände des Therapeuten beobachtete, die er „wie ein Metronom“ hin und her bewegte. „Der Therapeut sagte ihr dann, sie solle darüber nachdenken, wie sich ihr mentales Bild ändern solle….Urplötzlich wurde der Kopf des Professors so groß wie ein Ballon, und dann zerplatzte er in tausend Stücke, und er war nicht mehr da.“ Innerhalb fünf Minuten verflogen ihre Scham und ihr Groll. Und jetzt ist sie frei davon.

Der Neurologe und Traumaforscher Bessel van der Kolk beschreibt die Person, die unter posttraumatischer Stress-Störung (PTSD) leidet, als jemanden, der die Erinnerung eines frühen Traumas nicht integrieren kann und stattdessen im Sumpf „eines fortwährenden Wiedererlebens der Vergangenheit“ feststeckt (1994). Er erklärt, dass diese PTSD-Individuen unter einer nachhaltigen Aktivierung der biologischen Stress-Reaktion leiden. Teil dieser Reaktion ist ein verminderter Serotoninspiegel oder ein Mangel an Hemmung. Das übersetzt sich in die Unfähigkeit, allgemeine Erregung zu regulieren; deshalb Impulsivität, Reizbarkeit und Über-Erregbarkeit.

Nach van der Kolk wird ein frühes Trauma in das neurophysiologische System eingeprägt und produziert sich wiederholendes oder „neurotisches“ Verhalten. Oft kommt es zu verminderter Serotonin-Reaktion und deshalb zu mangelhafter Hemmung. Das eingeprägte Trauma „verbraucht“ die Serotonin-Vorräte und erzeugt lebenslange Defizite. Ich nenne es eine defekte Serotoninpumpe. Es gibt nur soviel Verdrängung, wie das System erzeugen kann. Van der Kolk behauptet, dass Medikamente, die die Serotonin-Aufnahme hemmen und im Gehirn einen höheren Serotoninspiegel aufrechterhalten, helfen, das Vergangene  in der Vergangenheit zu halten und dem Menschen somit erlauben, in der Gegenwart zu funktionieren. Das stimmt nicht ganz. Medikamente helfen, das System künstlich und – vor allem – nur vorübergehend zu normalisieren, aber die Einprägung ist unerbittlich und unveränderlich und dringt ins tagtägliche Leben ein; deshalb kommt es zu Migränen, hohem Blutdruck, Phobien etc. Das sind die Folgen des frühen Traumas. Sie sind Teil der Erinnerung.

Aber angenommen wir könnten die Serotonin-Spiegel durch rein natürliche Mittel erhöhen. Wäre das nicht vorzuziehen? Genau das machen wir in Primärtherapie. Wir haben an unseren Patienten eine Doppelblindstudie über Imipramin-Bindung durchgeführt und haben herausgefunden, dass sich die Spiegel nach einem Jahr unserer Therapie normalisieren. Unser Grundprinzip für die Imipramin-Studie ist, dass wir sie als Analogie zum Serotonin betrachten können; das heißt, was in den Blutplättchen geschieht, würde sich im Gehirn widerspiegeln. Zusätzlich zur Imipramin-Bindung haben wir auch das Speichel-Kortisol untersucht (Stresshormone). Wir haben gesehen, dass sich die Kortisol-Spiegel nach einem Jahr Primärtherapie normalisieren. (Siehe die Forschung über Imipramin-Blutplättchen-Bindung, die in Verbindung mit Open University, Milton Keynes, England durchgeführt wurde und in The Biology of Love  vom Autor zitiert wird).

Van der Kolk (1994; 2002) glaubt, dass wir ein hohes Erregungsniveau brauchen, um einen Patienten zu heilen. Er hat Recht; nicht irgendein Erregungsniveau, sondern dasselbe, wie es dem ursprünglichen Trauma eigen war (und wir müssen daran denken, dass eines der größten Traumen überhaupt darin besteht, in der Kindheit nicht genug im Arm gehalten worden zu sein). Des Weiteren gilt, wenn irgendeine Situation, einschließlich Sex, das Erregungsniveau des ursprünglichen Traumas erreicht, löst es die prototypische Überlebensreaktion aus und ‚überfällt’ den sexuellen Akt. Wenn es somit während des Geburtstraumas auf einem bestimmten Niveau aufgrund von Sauerstoffmangel zu einem totalen ‚Shutdown’ [Verschließen, Stillstand] gekommen war, kann das, wenn der Sexualakt ein bestimmtes Stimulationsniveau erreicht, erneut zu einem Shutdown and zur Unfähigkeit führen, einen Orgasmus zu erreichen. Die sexuelle Dysfunktion wird erst geheilt, wenn das ursprüngliche Trauma mit der gesamten Aufmachung physiologischer Reaktionen im Kontext wiedererweckt wird.

EMDR-Befürworter erwähnen, dass Erfahrungen, die zu schmerzvoll (traumatisch) sind, nie ausreichend „verarbeitet“ worden sind. Neben anderen Wirkungen kann ein Trauma in unserer Geschichte unsere Wahrnehmungen und Handlungen unter ähnlichen Umständen in der Gegenwart entstellen. Ein entscheidendes Zitat von Shapiro: „Wenn ein Ereignis ausreichend verarbeitet wurde, erinnern wir uns daran, erleben aber in der Gegenwart nicht die alten Emotionen und Empfindungen. Wir werden durch unsere Erinnerungen informiert, nicht aber von ihnen kontrolliert“ (s. 3).

Wir in der Primärtherapie stimmen dem zu, mit der Ausnahme, dass unsere Auffassung von „Verarbeitung“ sich sehr von der Auffassung von „Verarbeitung“ bei EMDR unterscheidet. Ich postuliere, dass EMDR im Grunde ein kognitiver Ansatz ist, der Einstellungen und Gedanken ändert und damit die Verdrängung stärkt. Primärtherapie trachtet danach, Verdrängung (oder Abwehr) vorsichtig zu entfernen, sodass der Schmerz wiedererlebt und schließlich voll gefühlt werden kann. Ein volles, bewusstes Wiedererlebnis – und ich glaube nur ein volles, bewusstes Wiedererlebnis – befreit die Person und ihren Körper endlich von der Notwendigkeit, in erster Linie verdrängen zu müssen.

Ich glaube, es ist mit den Techniken des EMDR physiologisch unmöglich, die Wirkungen eines frühen Traumas auszulöschen, und es ist potentiell gefährlich, etwas anderes anzunehmen. Was EMDR zu machen scheint, ist, dass es die Anfänge eines Trauma-Wiedererlebnisses nimmt und dem Patienten durch den Gebrauch bilateraler Stimulierung eine sehr effektive Ablenkung zur Hand gibt. Anstatt also sicher zu stellen, dass es ein Trauma bewusst wiedererleben kann, - was nicht unbedingt ein schneller Prozess sein muss – scheint EMDR das Gehirn zu veranlassen, das Trauma weiter vom Bewusstsein wegzuschieben.

Das Resultat ist, dass die Leute in der Tat Erleichterung verspüren – sie fühlen sich auf gewisse Weise und für gewisse Zeit besser, genau wie es durch bestimmte Drogen oder Religion der Fall sein kann. Unglücklicherweise, so glaube ich, bleibt die Einprägung des Traumas von EMDR unangetastet. Und es besteht das Risiko, dass diese Einprägung weiterhin Verwüstung im Körper des Opfers anrichten wird.

Die Los Angeles Times legte dar, dass Patienten nach einigen Durchläufen bilateraler Stimulation berichten, dass „sie in der Lage seien, sich von der traumatischen Erfahrung zu distanzieren.“ In der Tat scheint Distanzierung der Achsnagel des EMDRs zu sein. Erfolg kommt bei EMDR zustande, wenn der Patient sagt, er fühle sich besser, und wenn er berichtet, dass seine /ihre Erinnerungen/Feelings verblasst und nicht mehr beschwerlich seien. Parnell erklärt in Transforming Trauma: EMDRÒ (1997): „Viele erwachsene Klienten sind von anderen Therapeuten an mich verwiesen worden, weil sie glaubten, die Klienten seien als Kinder sexuell missbraucht worden. Viele dieser Klienten sind tatsächlich missbraucht worden, und das Trauma kommt in unserer Arbeit an die Oberfläche. Jedoch fand ich es interessant, dass bei der Verwendung von EMDR trotz starker Suggestionen der verweisenden Therapeuten in Richtung eines möglichen Missbrauchs in vielen Fällen keine Bilder oder Erinnerungen von sexuellem Missbrauch aufgetaucht sind“ (s. 180). Ebenso: „In unserer Kultur ist die Überzeugung fest verankert, dass man fürs Leben geschädigt ist, wenn einem einmal ein Trauma widerfahren ist. Was bei EMDR jedoch anders ist, ist die Tatsache, dass das Gefühl, permanent geschädigt worden zu sein, verschwindet“ (s. 95). Falsche Vorstellungen weichen, behauptet Parnell. Sie sagt, dass in vielen Fällen das Trauma in einer einzigen Sitzung verschwand.

Mir scheint, was bei EMDR verschwindet, ist volles Bewusstsein. Das heißt, Information aus dem Empfindungs- und Gefühlsbereich des Gehirns ist – für gewisse Zeit – davon abgehalten worden, auf die Teile des Gehirns einzuwirken, die Bewusstsein beinhalten. Das Trauma und die mit ihr assoziierte Physiologie gehen nirgendwohin. Sie sind noch immer da. Sie sind nur besser zugedeckt. Ich glaube, dass EMDR und andere Formen der Distanzierung von Feelings (z. B. kognitive Therapie, Hypnose, gelenkte Bilder, religiöse Therapie) ironischerweise in der Tat Langzeit-Probleme als Nebeneffekt bewirken können: Die Energie des Traumas wird vom Bewusstsein ferngehalten, bleibt dadurch intakt und macht die Person weiterhin für physische und psychische Leiden anfällig. Eine winkende Hand kann den Neokortex ablenken und die Abwehr für einige Zeit verstärken, aber in den tieferen Teilen des Gehirns brodelt die Einprägung des Traumas weiter.

Primärtherapie involviert eine sorgfältige und vorsichtige Vorgehensweise, deren Tempo der Patient bestimmt. Sie zielt darauf ab, Empfindungen und Gefühle aus Traumen der persönlichen Geschichte sicher in bewusste Erfahrung zu bringen. Der Höhepunkt dieses Verfahrens ist das vollständige Wiedererleben einer traumatischen Erfahrung. Anders als EMDR vermeidet Primärtherapie, den Patienten in diesem Prozess abzulenken oder zu unterbrechen. Wir sind bestrebt, die Aufmerksamkeit auf Empfindungen und Feelings zu richten und dem Patienten, wenn er und sein Körper bereit sind, zu ermöglichen, in den Schmerz hineinzugehen und ihn voll wiederzuerleben. Im Gegensatz zum Zeitpunkt des ursprünglichen Traumas kann der Patient dieses Mal endlich die Gefühle erleben, und er wird endlich von deren neurotogener Energie befreit.

Das Wiedererleben, das in Primärtherapie stattfindet, können sich jene vielleicht nur schwerlich vorstellen, die es nicht gesehen haben. Wenn jemand zum Beispiel Inzest wiedererlebt, sind nicht nur die Werte der Vitalfunktionen außergewöhnlich hoch – oft im tödlichen Bereich -  sondern die körperliche Haltung reflektiert, was in dem ursprünglichen Ereignis geschah; zum Beispiel die hinter dem Rücken zusammengebundenen Hände. Warum, so wollte man fragen, lassen wir diese gefährlichen Werte in der Therapie zu? Der Patient, der kurz davor ist, ein großes Trauma zu fühlen, hat Fieber. Hundertdrei Grad [Fahrenheit; in etwa 39,5 Grad Celsius] sind nichts Ungewöhnliches. Wir wollen das nicht, aber ohne dieses Fieber gibt es keine Heilung. Zweitens waren diese tödlichen Werte überhaupt erst der Grund für die Verdrängung. Anhaltender Blutdruck im Hypertensionsbereich hätte das Neugeborene getötet. Neuroinhibitoren wie Serotonin/Endorphin halten die Reaktivität innerhalb der Überlebensgrenzen und retten einem dadurch das Leben; eine Schlüsselfunktion der Verdrängung. Jetzt als Erwachsener ist das Individuum stärker und kann mit dem Wiedererleben des Traumas beginnen, wenn auch nur in kleinen titrierten Portionen.

Wer entscheidet die Dosis für eine Wiedererlebnis-Episode? Das neurophysiologische System der Patienten. Ihr Wiedererleben geht bis zu einem bestimmten Punkt, hört auf und setzt sich am nächsten Tag fort. Niemand befiehlt ihnen, die Sitzung zu beenden; sie wissen, wann es genug ist. In der nächsten Sitzung wird ein weiterer Teil des Feelings wiedererlebt. Die Vitalwerte nach der Sitzung zeigen einen gewissen Grad an Integration und Auflösung an. In der Regel fallen sie nach der Sitzung unter die Grundwerte. Wenn sie sich sporadisch entweder nach oben oder unten bewegen, haben wir es mit Abreaktion zu tun – die Entladung von Trauma-Energie ohne richtige Verknüpfung. Das ist niemals heilsam.

Wiedererleben ergibt automatisch Einsichten und kognitive Veränderungen. Wenn eine Person wiedererlebt, als Kind nie berührt worden zu sein, macht das den Grund für ihre Nymphomanie sofort klar. Es stellt das Bedürfnis nach Körperkontakt in die Vergangenheit, sodass es nicht mehr in der Gegenwart ausagiert wird. Man muss dem Patienten nicht sagen, wie er das Trauma einzuschätzen hat; alles erklärt sich innerhalb des Feelings, vorausgesetzt, es ist ein volles Wiedererlebnis. Wir scheinen eher zu glauben, dass Nymphomanie eine Art krankes Symptom ist, als sie als Überlebensmechanismus zu sehen; als Versuch, Körperkontakt zu bekommen, um einen schrecklichen frühen Mangel auszugleichen. Nahezu jedes Symptom kann man als Kompensationsmechanismus betrachten, der nicht ohne Beachtung der Wurzeln geändert werden sollte. Symptome sind in diesen Wurzeln verankert.

Wenn ich sage „vollständiges Wiedererleben“, kann das die Wiedererscheinung der blauen Flecken aus frühen Prügeln bedeuten oder der Zangenabdrücke aus dem Vorgehen bei der Geburt. Wir haben diese Abdrücke photographiert. Das ganze System muss in das Wiedererlebnis einbezogen sein, weil es das auch ursprünglich war. Das ist der Grund – und es wird immer mehr erkannt – warum sich das Problem nicht einfach dadurch bewältigen lässt, dass man das vergangene Trauma diskutiert. Die Diskussion des vergangenen Traumas ist im Großen und Ganzen eine kortikale Operation, die im Bereich der Gedanken bleibt. Es ist der übermäßige Schmerz-Anteil, der im limbischen System des Gehirns gespeichert und vom vollen Bewusstsein [conscious-awareness] ferngehalten wird. Und genau das konstituiert das Unbewusste. Es ist dieser Teil des Schmerzes, der wiedererlebt werden muss. Einen Stab vor den Augen hin und her zu bewegen, wird einem Mädchen sicher niemals helfen, darüber hinwegzukommen, dass sie vom Alter von zehn Jahren an vier Jahre lang immer wieder von ihrem Vater vergewaltigt worden war. Meiner Meinung ist das Wodu, keine Wissenschaft. Es ist magisches Denken, wenn man glaubt, dass die Misshandlungen durch eine alkoholkranke Mutter, die sich über zehn Jahre der Kindheit erstreckten, ausgemerzt werden können, indem man ein paar Finger vor den Augen des Patienten bewegt. Wenn der Leser die gewaltige Menge an Schmerz sehen könnte, die ein solches Trauma hervorbringt, würde er augenblicklich verstehen, wie unmöglich das ist.

EMDR- Theoretiker glauben, dass der Patient nach der Stab- oder Handbewegung eine andere Lösung für das Trauma braucht. Anstatt einen Patienten ein Ereignis total wiedererleben zu lassen, wie es geschehen war, sorgen sie für eine andere – und deshalb symbolische – Lösung, weil sie nicht begreifen, dass die Lösung in der Einprägung selbst liegt, nicht in einem anderen Ausgang. Die angebotene Lösung kann nur imaginär sein, eine falsche, weil sie sich nie ereignete.

Eine Möglichkeit, wie wir das am Primal Center nachweisen können, besteht, wenn die Vitalwerte sich nach einem Wiedererlebnis von ‚sehr niedrig’ nach ‚normal’ bewegen – die physiologischen Anzeichen für die Auflösung von Hoffnungslosigkeit. Der Patient berichtet gleichzeitig, dass er mehr Hoffnung hat. Über die Jahrzehnte haben wir Tausende von Patienten behandelt, und durch die fünfjährige Nachfolge-Untersuchung, die wir unternahmen (siehe Primal Man vom Autor), haben wir vorteilhafte Ergebnisse gesehen. Im Gegensatz zu EMDR muss in der Primärtherapie niemand dem Patienten beim Integrieren helfen; das neurologische System erledigt das ganz allein. Die auf tieferer Ebene eingeprägten Feelings bewegen sich zum frontalen Kortex, um dort verknüpft und iontegriert zu werden, wenn dieses Feeling nicht so beschaffen ist, dass es den Neokortex überschwemmt. Deshalb findet Integration über Monate oder Jahre statt, da der Neokortex immer mehr Schmerzen zur Verknüpfung mit dem vollen Bewusstsein [conscious-awareness] zulässt.

Wenn wir Schmerz befreien, befreien wir ein ganzes Bewusstseinssystem und erzeugen fühlende/bewusste Menschen. Erfahrung wird auf allen drei Bewusstseinsebenen organisiert. Wenn wir jemandem helfen wollen, ein bewusster/fühlender Mensch zu werden, müssen wir diese Ebenen einbeziehen.

Die Therapie, die das Individuum wählt, ist oft eine Reflexion des Problems. Die Kopflastigen wählen Einsichtstherapie, während die Passiven, die Magie wollen, zur Hypnose gehen. Man muss eine Therapie auswählen, bei der die Macht und Weisheit im Patienten residiert. Wo man sich primär dem zuwendet, das im Inneren real ist. Wo nicht der Therapeut bestimmt, was und wieviel zu fühlen ist, sondern derjenige, der sich den Feelings unterziehen muss. Der alte Spruch von Eldridge Cleaver, dem Black Panther: Sie sind entweder Teil der Lösung oder Sie sind Teil des Problems. Wenn Sie sich eine Lösung ausdenken, macht Sie das immer noch zu einem Teil des Problems.

Dr. van der Kolk beschreibt die Person, die unter posttraumatischer Stress-Störung (PTSD) leidet, als jemanden, der die Erinnerung eines frühen Traumas nicht integrieren kann und stattdessen im Sumpf „eines fortwährenden Wiedererlebens der Vergangenheit“ feststeckt (s. 3). Er erklärt, dass diese PTSD-Individuen unter einer nachhaltigen Aktivierung der biologischen Stress-Reaktion leiden. Teil dieser Reaktion ist ein verminderter Serotoninspiegel oder ein Mangel an Hemmung. Das übersetzt sich in die Unfähigkeit, allgemeine Erregung zu regulieren; deshalb Impulsivität, Reizbarkeit und Über-Erregbarkeit. Er behauptet, dass Serotonin-Aufnahme-Hemmer, die im Gehirn einen höheren Serotoninspiegel aufrechterhalten, dabei helfen, das Vergangene in der Vergangenheit zu halten, sodass die Person in der Gegenwart funktionieren kann.

Van der Kolk hielt einen Vortrag auf einer Konferenz über Bindung in Omaha, Nebraska und erneut an der UCLA (März 2002). Er betonte, dass konventionelle Therapie bei PTSD nicht wirke; dass unser Ziel sein müsse, den Leuten zu helfen, hier zu sein und nicht immer „dort“ (in der Vergangenheit). Das Problem ist, dass die Vergangenheit in unser neurologisches System eingeprägt ist und nicht dem Wunsch oder Willen unterliegt, „hier“ zu sein.

Er führte aus: „Wenn Sie in alten Erinnerungen feststecken, können Sie kein neues Verhalten entwickeln. Nur die Veränderung des Ausgangs vergangener Ereignisse kann in neuem Verhalten in der Zukunft resultieren, weil es Zweck der Erinnerung ist, Sie auf den Umgang mit zukünftigen Ereignissen vorzubereiten. Hinzu kommt, dass traditionelle Therapien sich darauf konzentrieren, Konflikte zu bereden oder auszuspielen, was Zugang zur linken Seite des Gehirns verschafft, während traumatische Erinnerungen in der rechten Seite des Gehirns gespeichert werden. Wenn die traumatischen Erinnerungen und Erfahrungen aufgelöst werden sollen, muss der Therapeut sich auf Aktivitäten einlassen, die auf die rechte Seite des Gehirns zugreifen. Traumatische Erinnerungen werden oft im limbischen System gespeichert, das für Aufmerksamkeit, Erregung und Bindung verantwortlich ist, aber in der Regel werden sie als somatische Erinnerungen (Körperempfindungen) gespeichert. Traditionelle Therapie nähert sich nicht einmal ansatzweise dem limbischen System, um das Trauma aufzulösen, und somit ist eine Therapie, die Zugang zu Körper-Erinnerungen hat (wie Bindungstherapie), viel effektiver. EMDR nützt bei der Auflösung vieler traumatischer Erinnerungen, obgleich überhaupt nicht klar ist, warum es funktioniert.“

Dr. van der Kolk vermutet, dass es funktioniert, weil die Ausführung der Augenbewegungen die Person von den traumatischen Erinnerungen ablenkt und ermöglicht, dass das Gehirn sich ändert. Er glaubt, dass jede physische Akktivität, die eine Person unternimmt, während sie sich an ein Trauma erinnert, ebenso gut funktioniert. Ist die rechte Seite des Gehirns erst angeregt worden, traumatische Erinnerungen zu produzieren, muss der Brennpunkt der Therapie zur Anregung der linken Seite des Gehirns wechseln, da sie die Fähigkeit hat, Kindern bei der Trauma-Lösung zu helfen, während das Feststecken im rechten Gehirn nur dazu führt, dass man in dem Trauma steckenbleibt. Der Therapeut muss dem Kind dann helfen, die Sprache (eine Linkshirnfunktion) zu gebrauchen, um ein bedeutungsvolles Schema für die traumatischen Erinnerungen bereitzustellen, sodass die Oberhand über die Erinnerungen gewonnen werden kann.

Dr. van der Kolk bemerkte auch, dass beim Klienten ein hohes Erregungsniveau gegeben sein muss, wenn die Therapie funktionieren soll (da die traumatischen Erinnerungen unter Bedingungen hochgradiger Erregung gespeichert wurden, kann ihr Auflösung nur zustandekommen, wenn hochgradige Erregung zugegen ist). Traditionelle Therapien konzentrieren sich gewöhnlich darauf, Erregung zu reduzieren, sodass sie überhaupt nicht helfen, die Resultate des Traumas zu verändern.

Ich glaube, dass ich – grosso modo – die Grundprinzipien der EMDR-Therapie dargestellt habe. Ich beginne mit van der Kolks Arbeit zuerst. Ich glaube, er ist hinter viele Grundsätze der Primärtherapie gekommen, aber auf eine weniger organisierte Weise. Zum Beispiel führt er richtigerweise aus, dass ein hohes Erregungsniveau gegeben sein muss, um ein Trauma aufzulösen, zumal das Trauma unter der Bedingung eines hohen Erregungsniveaus gespeichert wurde. Er betont, dass traditionelle Therapie sich auf die Reduzierung der Erregung konzentriert, entweder durch den Gebrauch von Tranquilizern oder indem anderweitig versucht wird, das Erregungsniveau des Patienten – auch als Angst bekannt -  herabzusetzen. Die Frage ist: Kann seine Therapie dieselbe Erregung erzeugen? Ohne Wiedererleben des Traumas glaube ich es nicht.

Während eines Wiedererlebnisses eines frühen Traumas, und das bedeutet eines Vorgeburts- oder Geburtstraumas, das im Sprachgebrauch der EMDR-Therapeuten nicht existiert, sehen wir die Körpertemperaturen in wenigen Minuten um mehrere Grad (F) ansteigen; der systolische Blutdruck liegt über 200 und die Herzfrequenz ist ebenso ungewöhnlich hoch. Wir haben Speichelkortisol-Untersuchungen (Stresshormon) vor und nach der Therapie durchgeführt und eine Reduzierung der Spiegel nach einem Jahr festgestellt; zusätzlich vier separate Hirnwellen-Studien, in denen wir unter anderem Veränderungen in der Kraftverteilung zwischen links und rechts herausfanden, genau das, was Kolks erreichen will. Wir kontrollieren jede Sitzung hinsichtlich der Vitalfunktionen.

Van der Kolk sagt, dass das Kind das Trauma nie psychisch richtig eingeschätzt hat und sich deshalb nie auf die Zukunft vorbereitete. Ich behaupte, dass die Einschätzung imTrauma selbst liegt. Wenn eine Person wiedererlebt, als Kind nie berührt worden zu sein, macht das den Grund für ihre Nymphomanie sofort klar. Es stellt das Bedürfnis nach Körperkontakt in die Vergangenheit, sodass es nicht mehr in der Gegenwart ausagiert wird. Man muss dem Patienten nicht sagen, wie er das Trauma einzuschätzen hat; alles erklärt sich innerhalb des Feelings, vorausgesetzt, es ist ein volles Wiedererlebnis. Wir scheinen eher zu glauben, dass Nymphomanie eine Art krankes Symptom ist, als sie als Überlebensmechanismus zu sehen; als Versuch, Körperkontakt zu bekommen, um einen schrecklichen frühen Mangel auszugleichen. Nahezu jedes Symptom kann man als Kompensationsmechanismus betrachten, der nicht ohne Beachtung der Wurzeln geändert werden sollte. Symptome sind in diesen Wurzeln verankert.

Wenn ich sage „vollständiges Wiedererleben“, kann das die Wiedererscheinung der blauen Flecken aus frühen Prügeln bedeuten oder der Zangenabdrücke aus dem Vorgehen bei der Geburt. Wir haben diese Abdrücke photographiert. Das ganze System muss in das Wiedererlebnis einbezogen sein, weil es das auch ursprünglich war. Das ist der Grund – und es wird immer mehr erkannt – warum sich das Problem nicht einfach dadurch bewältigen lässt, dass man das vergangene Trauma diskutiert. Die Diskussion des vergangenen Traumas ist im Großen und Ganzen eine kortikale Operation, die im Bereich der Gedanken bleibt. Es ist der übermäßige Schmerz-Anteil, der im limbischen System des Gehirns gespeichert und vom vollen Bewusstsein [conscious-awareness] ferngehalten wird. Und genau das konstituiert das Unbewusste. Es ist dieser Teil des Schmerzes, der wiedererlebt werden muss. Einen Stab vor den Augen hin und her zu bewegen, wird einem Mädchen sicher niemals helfen, darüber hinwegzukommen, dass sie vom Alter von zehn Jahren an vier Jahre lang immer wieder von ihrem Vater vergewaltigt worden war. Meiner Meinung ist das Wodu, keine Wissenschaft. Es ist magisches Denken, wenn man glaubt, dass die Misshandlungen durch eine alkoholkranke Mutter, die sich über zehn Jahre der Kindheit erstreckten, ausgemerzt werden können, indem man ein paar Finger vor den Augen des Patienten bewegt. Wenn der Leser die gewaltige Menge an Schmerz sehen könnte, die ein solches Trauma hervorbringt, würde er augenblicklich verstehen, wie unmöglich das ist.

Ein weiterer Punkt von van der Kolk: Wie ich darlegte, beschreibt er die Person, die unter posttraumatischer Stress-Störung (PTSD) leidet, als jemanden, der die Erinnerung eines frühen Traumas nicht integrieren kann und stattdessen im Sumpf „eines fortwährenden Wiedererlebens der Vergangenheit“ feststeckt (Seite 3). Er erklärt, dass diese PTSD-Individuen unter einer nachhaltigen Aktivierung der biologischen Stress-Reaktion leiden. Teil dieser Reaktion ist ein verminderter Serotoninspiegel oder ein Mangel an Hemmung. Das übersetzt sich in die Unfähigkeit, allgemeine Erregung zu regulieren; deshalb Impulsivität, Reizbarkeit und Über-Erregbarkeit.

Was er sagt, stimmt.  Das frühe Trauma wird in das neurophysiologische System eingeprägt und produziert sich wiederholendes oder „neurotisches“ Verhalten. Oft kommt es zu verminderter Serotonin-Reaktion und deshalb zu mangelhafter Hemmung. Das eingeprägte Trauma „verbraucht“ die Serotonin-Vorräte und erzeugt lebenslange Defizite. Ich nenne es eine defekte Serotoninpumpe. Es gibt nur soviel Verdrängung, wie das System erzeugen kann. Van der Kolk behauptet, dass Medikamente, die die Serotonin-Aufnahme hemmen und im Gehirn einen höheren Serotoninspiegel aufrechterhalten, helfen, das Vergangene  in der Vergangenheit zu halten und dem Menschen somit erlauben, in der Gegenwart zu funktionieren. Das stimmt nicht ganz. Medikamente helfen, das System künstlich und – vor allem – nur vorübergehend zu normalisieren, aber die Einprägung ist unerbittlich und unveränderlich und dringt ins tagtägliche Leben ein; deshalb kommt es zu Migränen, hohem Blutdruck, Phobien etc. Das sind die Folgen des frühen Traumas. Sie sind Teil der Erinnerung.

Aber angenommen wir könnten die Serotonin-Spiegel durch rein natürliche Mittel erhöhen. Wäre das nicht vorzuziehen? Wir machen das. Wir haben an unseren Patienten eine Doppelblindstudie über Imipramin-Bindung (ein Analogon des Serotonins) durchgeführt und haben herausgefunden, dass sich die Spiegel nach einem Jahr unserer Therapie normalisieren. Unser Grundprinzip für die Imipramin-Studie ist, dass das, was mit Imipramin geschieht, die Serotoninprozesse spiegelt. Das heißt, was in den Blutplättchen geschieht, würde sich im Gehirn widerspiegeln. Wir haben nicht nur die Imipramin-Bindung untersucht, sondern auch das Speichel-Kortisol (Stresshormone). Die Kortisol-Spiegel normalisieren sich nach einem Jahr Primärtherapie. (Siehe die Forschung über Imipramin-Blutplättchen-Bindung, die in Verbindung mit Open University, Milton Keynes, England durchgeführt wurde und in The Biology of Love  vom Autor zitiert wird).

Van der Kolk (1994; 2002) glaubt, dass wir ein hohes Erregungsniveau brauchen, um einen Patienten zu heilen. Er hat Recht; nicht irgendein Erregungsniveau, sondern dasselbe, wie es dem ursprünglichen Trauma eigen war (und wir müssen daran denken, dass eines der größten Traumen überhaupt darin besteht, in der Kindheit nicht genug im Arm gehalten worden zu sein). Des Weiteren gilt, wenn irgendeine Situation, einschließlich Sex, das Erregungsniveau des ursprünglichen Traumas erreicht, löst es die prototypische Überlebensreaktion aus. Zum Beispiel totales Verschließen oder Verdrängen als Reaktion darauf, dass man von der Nabelschnur stranguliert wurde. Das ist die „Gefrier“-Reaktion, die Kolk beschreibt. Sie setzt sich im Sex fort, und die Frigidität (die Gefrierreaktion) wird erst geheilt, wenn das ursprüngliche Trauma mit der ganzen Aufmachung physiologischer Reaktionen im Zusammenhang wiedererweckt wird. Aber van der Kolk hat eine in sich gegensätzliche Botschaft; er erklärt, dass wir mit derselben Intensität wiedererleben müssen wie ursprünglich, jedoch tendiert der Gebrauch von EMDR dazu, eine volle Reaktion zu blockieren und unterbindet deshalb den Heilungsprozess.

Noch einmal: Niemand muss dem Patienten beim Integrieren helfen; das neurologiche System erledigt das für sich allein. Die auf unteren Ebenen eingeprägten Feelings bewegen sich zum rechten und dann zum linken frontalen Kortex, um zur Verknüpfung und Integration zu gelangen. Wenn eine Therapie methodisch durchgeführt wird und nicht zuviel Schmerz auf einmal freigesetzt wird, kann das so ablaufen. Das ist der Grund, warum Integration über Monate oder Jahre stattfindet, zumal der Neokortex immer mehr Schmerz zur Verknüpfung mit dem vollen Bewusstsein zulässt.

Es gibt einen Punkt, in dem alle EMDR-Theoretiker ‚miteinander verschmelzen’. Sie glauben, dass der Patient nach der Stab- oder Handbewegung eine andere Lösung für das Trauma braucht. Van der Kolk erklärte: „Wenn Sie in alten Erinnerungen feststecken, können Sie kein neues Verhalten entwickeln. Nur die Veränderung des Ausgangs vergangener Ereignisse kann in neuem Verhalten in der Zukunft resultieren, weil es Zweck der Erinnerung ist, Sie auf den Umgang mit zukünftigen Ereignissen vorzubereiten.“ Es gibt einige Probleme mit diesem Ansatz: er ist im Grunde nicht-dialektisch. Anstatt einen Patienten ein Ereignis total so wiedererleben zu lassen, wie es geschehen war, sorgen sie für eine andere Lösung, da sie nicht erkennen, dass die Lösung in der Einprägung selbst liegt, nicht in einem anderen Ausgang, der, wenn wir darüber nachdenken, nur imaginär sein kann, ein falsches Ende, weil es nie geschah. Es ist ein Ende, das in der Psyche und Vorstellung des Therapeuten liegt.

Je tiefer man in die Agonie der Einprägung eintaucht, umso weniger Schmerz muss verdrängt werden. Die Person ist dann frei und kann sich mit der Gegenwart befassen. Je tiefer man seine ganz frühe Hoffnungslosigkeit fühlt (z. B. jemand, der gleich nach der Geburt keine ernährende Mutter hatte), umso mehr reale Hoffnung gibt es. Eine Möglichkeit, wie wir das am Primal Center nachweisen können, besteht, wenn die Vitalwerte sich nach einem Wiedererlebnis von ‚sehr niedrig’ nach ‚normal’ bewegen – die physiologischen Anzeichen für die Auflösung von Hoffnungslosigkeit. Der Patient berichtet gleichzeitig, dass er mehr Hoffnung hat. Über die Jahrzehnte haben wir Tausende von Patienten behandelt, und durch die fünfjährige Nachfolge-Untersuchung, die wir unternahmen (siehe Primal Man vom Autor), haben wir vorteilhafte Ergebnisse gesehen. Die Symptome scheinen sich dauerhaft aufzulösen.

Van der Kolk behauptet, dass man kein neues Verhalten entwickeln kann, wenn man in alten Erinnerungen feststeckt. Richtig, aber neues Verhalten ist nichts, das man dem Patienten aufsetzt. Neues Verhalten entsteht dialektisch aus dem Wiedererleben der Vergangenheit, aus einem simplen Grund: der Agonie-Anteil der vergangenen Einprägung ist noch nicht erlebt worden. Er hat ein Leben im Untergrund geführt und dabei Geschwüre, Migränen und hohen Blutdruck produziert. Wenn ich Agonie sage, glaube ich, dass man sich keinen Begriff von der Tiefe dieses Schmerzes machen kann, bis man ihn gesehen oder gefühlt hat; ein Phänomen, dass die Hirnwellen-Amplitude um mehrere Hundert Prozent erhöhen kann. (Hoffman, Eric: Long-term Effects of Psychotherapy on the EEG of Neurotic Patients. Res. Comm. Psychol. Psychiat. Behavior, Vol. 8, 1983, Seite 171-185. Siehe auch: Hoffman E., Goldstein, L. „Hemispheric Qualitative EEG Changes Following Emotional Reactions in Neurotic Patients. Acta Psych. Scand. Vol 63. 1981, s. 153-164).

Wenn ein Patient Anoxie oder Hypoxie bei der Geburt wiedererlebt, läuft er rot an und ringt um Luft, als wäre es eine Sache auf Leben und Tod, was es war und ist. Ein imaginäres Ende bestünde darin, den Patienten in einem entscheidenden Moment mit Sauerstoff zu versorgen, was unter anderem die Erinnerung abbrechen und den Heilungsprozess aufhalten würde. Der Patient beginnt eine Sterbesequenz, so dramatisch das auch klingen mag, und muss sie vollenden; er/sie ist ursprünglich nicht gestorben, und er/sie wird in dem Wiedererlebnis nicht sterben. Aber mit einem Thermistor, einem elektronischen Thermometer, das rektal eingeführt wird, sehen wir die Temperatur um viele Grad fallen, wenn der Patient sich dem „Ground Zero“ annähert. Warum ist das nötig? Weil das Trauma und die Gesamtheit der physiologischen Reaktionen eine Schablone für das Überleben formen – einen Prototyp, der zukünftiges Verhalten lenkt. Wiederum ist sogenanntes neurotisches Verhalten das Bemühen zu überleben. Warum sollten wir vorhaben, diesen Überlebensmechanismus zu ändern? Zuerst müssen wir schauen und es als das betrachten, was es ist. Um den Prototyp zu ändern, muss man zu seinen Ursprüngen hinabsteigen. Aus dem ursprünglichen Trauma entwickeln sich zahlreiche Verzweigungen, die verschiedene Verhaltenweisen und Symptome lenken, von Kolitis bis zu Herzproblemen wie häufigem Herzklopfen. Solange der Prototyp nicht wiedererlebt wird, ist das Beste, was wir tun können, tiefe Probleme symptomatisch zu behandeln. Grundsätzlich gilt, je tiefer das Symptom im Körper liegt, umso früher geschah das Trauma; nicht immer, aber oft.

Den Terror im Geburtskanal zu fühlen, reduziert die Angst vor eingeengten Orten, vor Aufzügen zum Beispiel, und beseitigt sie schließlich. Niemand muss eine Patientin an der Hand nehmen und ihr in den Aufzug helfen. Das ist Verhaltenstherapie und macht den Fehler, das scheinbare Problem für das wirkliche zu nehmen; man nimmt das Symptom und macht „es“ gesund anstatt die Person. Je tiefer man den Terror fühlt und integriert, umso weniger muss man sich damit befassen.

Um noch einmal van der Kolk zu zitieren: „Wenn die traumatischen Erinnerungen und Erfahrungen gelöst werden sollen, muss der Therapeut sich auf Aktivitäten einlassen, die Zugang zur rechten Seite des Gehirns haben.“ Darüber schreibe ich seit dreißig Jahren, und das ist, was wir tasächlich machen. Wir wissen, dass die frühesten Erinnerungen sich mehr auf die rechte Hemisphäre auswirken als auf die linke, weil sie früher entwickelt ist; sie ist es einige Zeit, bevor das Corpus callosum reif genug ist, um Erinnerungen von rechts nach links zu übersetzen; weiter, dass ein frühes Trauma das Funktionieren des Corpus callosum beeinträchtigt, sodass Information später nicht leicht auf die linke Seite übertragen werden kann. Martin Teicher hat kürzlich darüber geschrieben („The Neurobiology of Child Abuse“, Scientific American, März 2002, s. 68-75). Wie viele andere Forscher zuvor legt er dar, dass früher Stress die molekulare Organisation von Bereichen des limbischen Systems neu konfiguriert. Er fand heraus, dass früh misshandelte Individuen im rechten Kortex merklich weiter entwickelt waren als im linken. Es war und ist die rechte Hemisphäre, die aktiviert wurde, wenn frühe schmerzliche Erinnerungen abgerufen wurden. Und bei Kindern, die misshandelt oder vernachlässigt wurden, gab es Bereiche des Corpus callosum, die merklich kleiner waren. Eine Reihe von Forschern im Fachgebiet ist sich einig: „Früher Stress ist ein toxisches Agens, das den normalen, behutsam aufeinander abgestimmten Fortschritt der Gehirnentwicklung durchkreuzt.“ (Seite 75)

Das Wiederaufspüren einer frühen Erinnerung aktiviert die rechte Hemisphäre mehr als die linke. Wenn unsere Patienten tief in das Wiedererlebnis eines frühen Traumas eingetaucht sind, ist das limbische System voll aktiviert, und wir glauben, dass die Information dann auf die linke Hemisphäre zur endgültigen Integration übertragen wird. In unserer Gehirnforschung kommt es zu einer Energieverschiebung zur linken Hemisphäre.

Dr. van der Kolk vermutet, dass EMDR funktioniert, weil die Ausführung der Augenbewegung die Person von den traumatischen Erinnerungen ablenkt und ermöglicht, dass das Gehirn sich ändert.

Es gibt hier einen grundlegenden Widerspruch. Wenn Augenbewegungstherapie die Person von der Erinnerung ablenkt, vereitelt es die Fähigkeit, voll auf diese Erinnerung zuzugreifen; sie kann dann nicht integriert werden. Er hat Recht; Augenbewegung ist eine Ablenkung, die den Prozess der Verdrängung unterstützen, was exakt der Grund ist, warum die Person sich besser fühlt. Ein Gebet kann das leisten, „Om“ kann das leisten, sich andere Gedanken zu machen kann das leisten, gelenktes Tagträumen kann es, indem es andere Bilder anbietet anstatt der realen, etc. Die schnellste Methode ist eine Dosis Paxil.

Lassen Sie uns diskutieren, was Integration bedeutet. Schauen wir zuerst, was Desintegration bedeutet. Die Feelings, die auf tieferer Gehirnebene gespeichert sind – der Ort, wo vorgeburtliche, geburtliche und nachgeburtliche Traumen angesiedelt sind – können aufgrund ihrer Schmerzwertigkeit nicht zum frontalen Kortex aufsteigen, um verknüpft und integriert zu werden. Sie werden durch verschiedene Neurotransmitter gehemmt und unterhalb der Ebene des vollen Bewusstseins gehalten. Das ist Desintegration: die höheren Ebenen wissen nicht, was auf den unterschiedlichen tieferen Ebenen vorgeht, während sie nichtsdestotrotz von ihnen gelenkt und angetrieben werden. Tranquilizer, die auf tiefere Gehirnebenen wirken, können die Unterdrückung paranoider Gedankenbildung unterstützen, was auf die Herkunft dieser Gedanken der höheren Ebene hindeutet. Die Person ist sich der Einprägung tieferer Ebene nicht bewusst, wird durch sie aber dazu getrieben, sonderbare Ideen zu entwickeln. Sie muss nicht ein bisschen davon fühlen, sagen wir, in früher Kindheit verlassen zu werden oder im ersten Lebensjahr in einem Heim leben zu müssen, um dann gesagt zu bekommen, sie solle seine oder ihre Gedanken oder Verhaltensweisen ändern. Der Patient muss die frühen Traumen Stück für Stück über viele, viele Monate oder Jahre wiedererleben, bis die Gedanken, die von ihnen gesteuert werden, sich verflüchtigen. Und das tun sie. Lösungen, die ein Therapeut liefert, sind seine Lösungen, nicht die der Patienten; sie sind deshalb nicht real. Realität liegt in der Realität, so banal das scheinen mag. Realität liegt in der Wahrheit der Erinnerung und nur dort; sicherlich nicht im Gehirn eines anderen.

Wir können nur da gesund werden, wo wir verletzt sind. Die Saat der Heilung liegt im Problem. Wir am Primal Center belehren die Leute nicht, wie sie in der Zukunft leben oder verfahren sollen. Sind sie einmal frei von ihrer Vergangenheit, können sie es selbst herausfinden.

Wenden wir uns jetzt den anderen Autoren zu: Natürlich ist Dr. Shapiro die Schlüsselfigur, zumal sie die Erfinderin dieser Methode ist. Eine ihrer Techniken ist, den Patienten anzuweisen, er oder sie solle die Erinnerung eines schmerzvollen Ereignisses ‚festhalten’ und dann die Hände des Therapeuten beobachten, die sich vor ihm oder ihr bewegen, und dann an eine andere Lösung für das Ereignis denken, an etwas Wünschenswerteres. Da liegt der Haken: Erstens ist es selten, dass ein Patient ein wirkliches Trauma leicht erinnern kann. Je schmerzvoller es ist, umso verdrängter ist es tatsächlich und umso geringer ist die Wahrscheinlichleit, dass es sich wiederfinden lässt. Meine PatientInnen brauchen unter Umständen viele Monate des Wiedererlebens, bevor sie sich zum Beispiel dem Inzest auch nur annähern können. Der Schmerz ist unbeschreiblich, und niemand beginnt ihn zu lösen und zu integrieren, ehe er oder sie nicht viele, viele Monate des Wiedererlebens hinter sich hat. Aber nehmen wir an, sie können ihn erinnern. Ein Teil der Lösung besteht für Shapiro und ihre Scharen darin, den Patienten zu helfen, sich andere Lösungen vorzustellen; kurz gesagt, imaginäre Lösungen zu schaffen. Das müssen wir uns immer vor Augen halten, weil sie imaginär bleiben werden. Das greift auf die Technik der gelenkten Bildertherapie oder des gelenkten Tagträumens zurück.

Ich zitiere Ellen Currans Arbeit (Guided Imagery. Beyond Words Publishing. Hillsboro, Ore. 2001): “Heilendes Bilderleben ist eine Methode, die Vorstellungskraft auf konzentrierte Weise einzusetzen, um Seele und Körper zur Selbstheilung zu verhelfen.“ (Einführung) Sie behauptet, es mache einen offener für die unbewusste Psyche, „ermögliche es dem inneren Selbst, gehört und deshalb geheilt zu werden.“ Das sind wundervolle, liberale Gedanken, aber im Wissenschaftsbereich weisen sie leichte Mängel auf. Wir haben viele einfallsreiche Künstler behandelt, die keinen anderen wirklichen Zugang zu ihren Gefühlen haben als ihre Gemälde. Der Gebrauch ihrer Vorstellungskraft verschafft ihnen keinen Zugang zu tiefen inneren Feelings, weil kein Willensakt – eine kortikale Funktion – Zugang zu Feelings schaffen kann. Zugang funktioniert von unten herauf, nicht umgekehrt; er funktioniert im Sinne der Evolution. Er bedeutet, auf eine Ebene unterhalb der kortikalen Kontrollmechanismen hinabzusteigen und ein anderes Gehirn zu betreten; das ist die Bedeutung von ‚Zugang’. Wir haben die Techniken  dreißig Jahre lang entwickelt, um das zustandezubringen.

Wenn wir uns eine Lösung vorstellen, erhalten wir symbolische Auflösung, keine reale; und wir erhalten nicht die radikalen Veränderungen der Vitalwerte, die wir bei realer Auflösung erreichen. In unserer Therapie sehen wir das, wenn Patienten in Pseudo-Primärtherapie (die nicht ausgebildete Individuen praktizieren) aus einer Vorleben-Therapie (ein Oxymoron, wenn es je eines gäbe) zu uns kommen und in zügellos phantastische Vorstellungen abgleiten. Hier kommen sie einem realen Ereignis, dem Geburtstrauma, nahe, das wir erforscht und gemessen haben, und dann hüpfen sie darüber hinweg und fallen ins Land der Phantasie. Der linke frontale Kortex eilt zur Rettung herbei, da die Person mit schweren Einprägungen überschwemmt wird… In jedem Fall ist die Wertigkeit des Schmerzes so hoch, dass sie die reale Erfahrung unmöglich macht. Diese Therapie bietet keinen Zugang zu Feelings; das Gegenteil ist der Fall. Für uns ist es ein Zeichen mangelnden Zugangs und einer gestörten Persönlichkeit. Deshalb gehen wir langsam vor, sodass jeweils nur ein kleines Stück des Traumas gefühlt wird. Wir beginnen in der Gegenwart mit Gefühlen, die integriert werden können und benutzen dann das Schlüsselfeeling auf geordnete Weise als Vehikel zur Vergangenheit, bis wir Monate später die zu Grunde liegenden Empfindungen/Feelings erreichen. Nehmen Sie Hoffnungslosigkeit. Die Person hat ihren Job verloren, ist ohne Hoffnung und darüber hinaus tief deprimiert. Wir lassen diesen gegenwärtigen Kontext mit seiner Gefühlsladung geschehen und bringen dann den Patienten langsam auf die nächste Ebene hinab, wo ein tieferer Teil desselben Feelings angesiedelt ist.

Curran behauptet, dass Bilder Gedanken sind. Gedanken sind Gedanken, eine kortikale Funktion. Bilder sind subkortikal, oft limbisch. Träume stecken voller bildlicher Phantasie, aber sie geschehen, wenn Gedanken sich für eine Weile zur Ruhe begeben haben. Jetzt durchläuft diese ganze Idee, Bilder und/oder Gedanken zu ändern, eine breite Skala von Therapien, einschließlich Verhaltenstherapie, Ego-Psychologie, rational-emotive Therapie und viele andere.

Sie glauben, dass Sie Ihre Vorstellungen ändern müssen, um Ihr Verhalten zu ändern; oder umgekehrt Ihr Verhalten ändern müssen, um Ihre Vorstellungen zu ändern. Also gehen Sie in einen Aufzug, vor dem sie Angst haben, und stellen sich sehr entspannende Bilder vor – zum Beispiel, dass Sie auf einer Wolke schweben. Das gilt ebenso für Hypnose und EMDR. Sie können sich vorstellen, entspannt zu sein, aber die eingeprägte Erinnerung ist alles andere als entspannt, sodass der frontale Kortex Gedankenspielchen mit dem Rest des Gehirns und dem Körper treibt. Es bedeutet, sich selbst zum Narren zu halten, kann also keine reale permanente Lösung sein. Der linke frontale Kortex mit seiner unbegrenzten Fähigkeit zur Selbsttäuschung ist ein Experte in diesem Spiel. Aber ist das Heilung? Es ist Verdrängung und Anti-Heilung. Wenn Sie aufgrund eines Lebens voller Vernachlässigung angespannt sind, ändert die Vorstellung, dass Sie auf einer Wolke schweben, daran etwas? Es ist ein weiterer schneller ‚Schuss’, und wie alle schnellen ‚Schüsse’ kann er bestenfalls vorübergehend wirken.

Sie können sich vorstellen, jemandem „Bescheid zu sagen“, der sie in der Arbeit belästigt. Oder Sie können sich vorstellen, in einem Pool zu treiben, während Sie an ein besorgniserregendes Ereignis denken. Wenn Sie mit dem Vorstellen aufhören, wer sind Sie dann? Derselbe alte furchtsame Mensch, die Person, die vor Frauen zurückschreckt, weil sie eine Mutter hatte, die ein Monster war. Keine Handbewegung kann das auslöschen.

Der Kern der gelenkten bildlichen Vorstellungen ist die Annahme, dass „der Körper auf den Geist hört.“Wenn das wahr wäre, könnten die Ängstlichen und Deprimierten ihren Ausweg aus dem Problem über den Willen finden. Sie können es nicht. Der Körper hört nicht auf den Geist; im Gegenteil – der präfrontale Kortex ist der gehorsame Diener des Körpers oder der Einprägungen, die tiefer im Gehirn sitzen. Das ist - ich wiederhole – der Grund, warum Medikamente oder Drogen, die tief unten auf den Hirnstamm wirken, verhindern können, dass quälende Gedanken von uns Besitz ergreifen; warum Medikamente wie Klonidin, die auf den locus coeruleus (Hirnstamm) wirken, Phobien und andere Ängste hemmen können und uns von Zwangsgedanken abhalten, von Obsessionen, die uns nicht schlafen lassen. Wir nennen sie Gedankenstörungen, aber das sind sie nicht; es sind Störungen des limbischen Systems und Hirnstamms, die in verzerrten und ständig wiederkehrenden obsessiven Gedanken resultieren. Deshalb findet man einige Nervenzellen im limbischen System, im Hippokampus, bei Autopsien an Psychotikern so oft verdreht oder auf dem Kopf stehend vor.

Curran führt weiter über die gelenkten Bilder aus: „Unser Körper reagiert auf die sensorischen Bilder des Geistes… Die Praxis der bewussten, konzentrierten bildlichen Vorstellung kann Sie auf eine tiefere Ebene der Körper-Geist-Interaktion bringen, die wiederum Wohlbefinden erzeugen kann“ (Einführung). Das ist ein bisschen viel verlangt – Sie stellen sich vor, Sie sind gesund, und werden dann gesund. Die Bildertherapie benutzt tiefere Bewusstseinsebenen, aber immer einzeln; sie setzt den Schmerz nicht frei, der auf diesen Ebenen registriert ist. Das Gegenteil: sie zwingt die Aufmerksamkeit von den realen Erinnerungen fort und zu den phantasierten Lösungen hin. Sie bleiben imaginär, weshalb Hypnose selten Langzeitwirkung hat. Sie gebraucht auch die Vorstellungskraft: „Sie sind müde und treiben auf einem See, wo es keine Zigaretten gibt, und jedesmal, wenn Sie eine Zigarette sehen, wird Ihnen übel.“ Das Problem ist, dass jemand oft raucht, weil es in seiner oder ihrer Kindheit keine Liebe gab. Man ist angespannt und braucht Entspannung, weil die Erinnerungen, wie gleich nach der Geburt von einer kranken Mutter verlassen worden zu sein, fortbestehen und erfordern, dass man raucht. Wir wollen jemandem nichts wegnehmen, das ihn oder sie beruhigt, ohne seine oder ihre Geschichte in Betracht zu ziehen. Hier wird wiederum das augenscheinliche Problem genommen und gedacht, es sei das einzige. Bildliche Vorstellung kann jede Art zeitweiliger Veränderungen produzieren, indem sie Unwirklichkeit verstärkt. Was sie nicht kann, ist die Geschichte zu ändern. Dafür müssen Sie real werden.

Wenn eine Frau sich als Ergebnis der Vergewaltigung durch ihren Vater schwach und machtlos fühlt – eine Erinnerung, die in das zentrale Nervensystem eingeprägt ist – kann sie sich selbst instruieren (täuschen), indem sie ständig wiederholt, dass sie wirklich stark und nicht machtlos ist, aber Feelings sind immer stärker als Gedanken. Wir haben das Wiedererleben von Kindheitsereignissen und das Wiedererleben eines Geburtstraumas und das Weinen über etwas in der Gegenwart gemessen. Es gibt eine Hierarchie der Wertigkeiten. Die Messwerte der Vitalfunktionen sind bei der Geburt immer am höchsten, weniger hoch bei Gefühlen aus der Kindheit und weit weniger hoch, wenn man über die Gegenwart nachdenkt. Aus einem sehr guten Grund  ist das ein biologisches Gesetz. Traumen, die die Geburt betreffen, sind meistens eine Angelegenheit auf Leben und Tod und ‚elektrifizieren’ das System schlagartig in Richtung Überleben. Vorstellungskraft in der Gegenwart kann eine Körpertemperatur von 103,5 (F) nicht auf 98 Grad (F) senken. Vorstellungskraft kann die Körpertemperatur nicht dauerhaft um ein Grad absenken oder die Herzfrequenz um durchschnittlich zehn Schläge pro Minute mindern, wie wir in unserer Forschung gezeigt haben.

Schauen wir wieder auf die Schlüsselannahme des EMDR: Das theoretische Grundprinzip lautet hier, dass negative Überzeugungen an Gewicht verlieren und mit angemessenerer Information verknüpft werden: „Der Patient lernt aus der beunruhigenden Vergangenheitserfahrung, was notwendig und nützlich ist, und das Ereignis wird in angepasster, gesunder, nicht quälender Form wieder im Gedächtnis abgelegt.“ (s. 2). Ihr Glaube geht dahin, dass der Patient aus negativen Erlebnissen der Vergangenheit lernt und sich neue Muster für angemessenes zukünftiges Handeln aneignet. Der Patient erlernt ein neues Muster, das das alte „negative“ ersetzen soll. Er oder sie löst die Einprägung nicht auf (was sehr viel Zeit beanspruchen kann), sondern übertüncht sie mit verschiedenen „positiven“ Ideen, die man als neues Muster bezeichnet, welches leider nur ‚kortex-tief’ ist. Auch ein Neurologe wie van der Kolk ist sich nicht sicher, wie EMDR funktioniert. Ich glaube, es funktioniert in dem Sinn, wie 12-Schritt-Programme für Alkoholismus funktionieren – wenn man so oder so viele Monate vom Schnaps weg ist, wird das als „Heilerfolg“ gesehen. Aber dann sagen sie, dass man nie geheilt ist. Das ist wahr, weil sie nicht die tiefe Geschichte und das tiefe Bedürfnis betrachten. Solange Kindheitsbedürfnisse unerfüllt und ungefühlt bleiben, besteht immer die Gefahr der Rückfälligkeit.

Man muss bei der Dialektik bleiben: Der Zusammenprall (Widerspruch) zwischen Bedürfnis/Schmerz und Verdrängung schafft einen neuen Zustand – Neurose, zusammen mit ihren Syptomen. Wenn man nur einen Aspekt nimmt, das Symptom, und es ohne Beachtung des anderen Aspekts der Dialektik zurückzuschlagen versucht, ist man zum Scheitern verurteilt.

Die Patientin, die Opfer von Inzest geworden war, wird nicht von negativen Gedanken gequält; sie wird von der Wirklichkeit gequält. Es war furchtbar, und sie sollte sich furchtbar fühlen. Der Sache ein positives Gesicht aufzusetzen, ist kein positiver Schritt; es ist ein falscher. Das ist wirklich negativ. Die Methode, positiv zu werden, ist die „Negation der Negation“. Das bedeutet, diese schrecklichen Aspekte tief genug zu fühlen, bis der Schmerz ausgemerzt ist und das Ergebnis nun positiv ist.

Sie kann mit ihrem Leben wieder vorankommen, weil sie die Vergangenheit voll gefühlt und hinter sich gelassen hat. Warum? Weil das Feeling in der Vergangenheit liegt. Jetzt bleibt nur noch die Erinnerung ohne die mit ihm verbundenen Feelings zurück. Während eines Wiedererlebnisses ist man im Griff eines alten Gehirns, die Schreie sind die eines Neugeborenen oder Kleinkinds und entströmen dem Gehirn, das zur Zeit des Traumas aktiv war, ein Ereignis, das nicht nachgemacht werden kann. Kein Patient in den vergangenen fünfunddreißig Jahren der Primärtherapie war je in der Lage, dieses Schreien oder Weinen zu duplizieren, wenn die Sitzung vorbei war. Eine andere Kontrolle: Das Absinken der Körpertemperatur um zwei bis drei Grad (F) in einer Sitzung, wenn jemand tiefe Hoffnunglosigkeit fühlt, lässt sich auch nicht nachmachen, und es geht mit diesem infantilen Weinen einher. Das ist die wirkliche Bedeutung von ‚die Vergangenheit wiedererleben’. Bis das getan ist, bleibt die Vergangenheit in der Gegenwart, gleich, was wir denken oder uns vorstellen. Die Methode, einem Vergewaltigungsopfer Macht zu verleihen, besteht darin, zuzulassen, dass es sich voll machtlos fühlt; je tiefer sie oder er fühlt, umso weniger machtlos ist er oder sie, weil dieses Gefühl mit einer Erinnerung verknüpft ist, die jetzt ‚zu Grabe getragen wird’. Sie oder er kann kann normal reagieren, weil ihre Systeme sich normalisiert haben, wie durch die radikale Veränderung des Blutdrucks am Ende der Sitzung bestätigt wird. Der Patient handelt nicht nur normal, sondern das gesamte System stimmt mit diesem Verhalten überein. Es ist deshalb kein abgeleitetes, isoliertes psychisches Ereignis.

Wie oben erwähnt, behauptet Parnell, es sei falsch zu glauben, dass ein frühes Trauma Sie ein Leben lang schädigen könne. Nachdem ich Tausende von Patienten in unseren Kliniken gesehen habe, nachdem ich selbst traumatisiert worden bin, kann ich bestätigen, dass es sich ein Leben lang hinzieht. Wenn Sie den Patienten von etwas anderem überzeugen, besteht immer die Gefahr, dass er oder sie in das alte Verhalten zurückfällt, sei es Depression oder Drogenmissbrauch. Die Macht liegt im Schmerz, und der Schmerz ist das Ergebnis unerfüllter Bedürfnisse. Parnell diskutiert das alles, als wäre es eine Sache falschen Glaubens; so ist es nicht. Der Schmerz ist keine Glaubenssache; er ist ein realer physiologischer Zustand mit Veränderungen in allen Bereichen von der Gehirnwellenfunktion und Neurochemie bis zu den Vitalfunktionen; wir haben sie alle oft in Doppelblindstudien gemessen. Zum Beispiel haben wir die natürlichen Killerzellen des Immunsystems nach einem Jahr Primärtherapie normalisiert. Keine Stabbewegung bringt das zu Stande. Anstatt Nadeln in eine Puppe zu stecken, um das Böse zu vertreiben, winkt man mit einem Zauberstab; das Böse sind sogenannte negative Gedanken. Das ähnelt sehr der Teufelsaustreibung durch Exorzismus, als ob der Teufel wirklich existierte.

Glaubensüberzeugungen sind weder negativ noch positiv. Sie sind, was sie sind, und folgen lgisch aus der Erfahrung. Wenn die Erfahrung schmerzvoll war, ziehen die Überzeugungen nach. Der Glaube ist hier Medizin für Gefühle der Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit. Sie sind nicht negativ; sie sind real und oft notwendig. Wir können darüber entscheiden, was eine positive Überzeugung ist, und sie dem Patienten einimpfen, aber es ist ein „Blick auf die freundlich strahlende Seite der Dinge“, Polyanna-Stil. Das bedeutet gewöhnlich, die Wirklichkeit außer Betracht zu lassen. Sie können trügerisch gesund werden, mit positiven Überzeugungen, aber wenn der Grundspiegel der Stresshormone hoch bleibt, sind diese Überzeugungen simple Täuschung. Ich bin nicht sicher, ob die Leute scheingesund werden wollen, egal wie verführerisch das ist. Ohne Schmerz, anstrengungslos und schnell gesund zu werden, ist kaum zu schlagen. Die Versicherungsgesellschaften sind überglücklich. Der Patient denkt, es sei gesund. Die Gesellschaft muss Monate lang nichts auszahlen, der Therapeut glaubt, erfolgreiche Arbeit geleistet zu haben, und alle sind glücklich außer dem Unterbewusstsein des Patienten, das lautlos seine Agonie hinausschreit. Das Unbewusste leidet, während die Bewusstheits-Ebene frohlockt. Der Spalt zwischen beiden ist für spätere Krankheit verantwortlich. Je weiter der Spalt, umso ernster die Krankheit. Eine mörderische Schlacht ohne Sieger ist im Gange; der Neokortex bildet sich ein, er habe gewonnen, aber es ist ein Pyrrhus-Sieg. Letztlich werden wir von unserer eigenen Realität niedergestreckt.

Niemand kann auf die Schnelle den Herd einer Drogenabhängigkeit lokalisieren, wie Shapiro behauptet. Nur der Patient kennt ihn, und nur er wird ihn durch langsame kleine ‚Zuwächse’ an Wiedererlebnissen, die sich über einen erheblichen Zeitraum erstrecken, hervorholen. Wir sind immer überrascht, wohin der Schmerz führt. Kein Therapeut würde es wagen, diese Entdeckungen für den Patienten zu machen, weil der Therapeut das einfach nicht kann. Er kann nicht wissen, was im Unbewussten des Patenten liegt, besonders wenn sogar der Patient keine Ahnung hat und vielleicht viele Monate in der Therapie ahnungslos bleibt. Von einem Patienten:

„Erst seit letztem Jahr habe ich Zugang zu meinen tieferen Gefühlen, und ich bin allmählich in der Lage, die ganze Wahrheit meiner Kindheit zu erzählen. Der Grund war, dass ich die Bedeutung meiner frühen Feelings, die ich als Kind hatte, ignorierte und verleugnete. Ich hatte darüber eine bequeme Amnesie. Eine Amnesie dieser Art beschützte mich vor dem Schmerz und Trauma, aber es machte das Leben auch zu einer toten und deprimierenden Realität. Diese Emotionen liegen meiner Neurose und meinen psychosomatischen Problemen zu Grunde, und da ich sie erleben kann, wird das Leben reicher und befriedigender.“

„Ich wollte nur nur in Einklang mit der Stimme des Herzens leben, die aus meinem wahren Selbst kam. Warum war das so außerordentlich schwer?“ Aus Demian von Herman Hesse.

In einem anderen Werk (von Philip Manfield: Extending EMDR, W. W. Norton. N. Y. 1998) wird postuliert, dass EMDR für die Vergangenheitserfahrung des Patienten eine neue Bedeutung anbietet. Eine neu ‚ausgeheckte’ Geschichte, die optimistisch ist und der Selbstachtung Auftrieb verleiht. „Mittels sorgfältig aufeinander abgestimmter therapeutischer Instruktionen erwarben er oder sie spontan einen neuen Selbst-Begriff und neue Verhaltensmuster.“ (Einführung). Aus gewissen Gründen glauben Therapeuten, dass sie Patienten eine neue Einstellung zu den Ereignissen geben müssen. Man glaubt den Patienten Fertigkeiten beibringen zu müssen, die ihr oder ihm helfen, in der Zukunft zu funktionieren. Inzest zum Beispiel hat eine Vielzahl idiosynkratischer Bedeutungen; wir haben Patienten behandelt, wo er zu Anorexie führte, bei anderen zu sexuellem Exhibitionismus, etc. Vieles hängt vom ursprünglichen Kontext ab und von anderen familiären Faktoren, wenn das Kind aufwächst. Wenn eine Heranwachsende wie im Fall einer unserer Patientinnen sexuelle Aggression durch einen Freund dadurch abwenden kann, dass sie sofort Fellatio durchführt, dann wird das ihre Abwehr sein; etwas, das sie ursprünglich lernte, als sie vom Freund ihrer Mutter ständig sexuell attackiert wurde.

Alle adaptiven Fertigkeiten sind bereits im Inneren der Patientin, wenn sie sich erst normalisiert. In obigem Fall wird sie aus ihrer eigenen Erfahrung lernen und nicht aus der eines anderen.

Sie wird zum Beispiel wissen, dass es nicht mehr notwendig ist, Männer zu verführen, um sie sexuell zu entwaffnen. Man muss ihr keine neuen Fertigkeiten im Umgang mit Männern beibringen. Als sie ihre frühe Vergewaltigung voll erlebte und ihr prototypisches Verhalten begriff – Verführung als Überlebensmechanismus – konnte sie sich ändern. Diese Abwehr lag in der Vergangenheit und war nicht mehr notwendig. Das verführerische Verhalten war vorbei.

Manfield glaubt, dass Einsichten der Eckpfeiler der EMDR-Behandlung sind. Neurose wird nicht durch Einsichten geheilt und kommt nicht durch ihr Fehlen zustande. Sie sind nur so tief wie der Kortex; und leider haben wir darunter einen großen Brocken Gehirn, den man beachten muss. Über seine Gefühle Bescheid zu wissen, ist nicht dasselbe wie sie zu fühlen. Zwei verschiedene Gehirnsysteme.

„Ich fühle mich hilflos“ ist theoretisch eines dieser „negativen“ Gefühle. Aber wenn jemand in einem Haushalt mit einem betrunkenen Vater, der die Kinder ständig misshandelte, tatsächlich hilflos war, sollte er oder sie sich hilflos fühlen. Manfield erklärt Skeptikern seine Methode wie folgt: „Ich bitte sie, an eine leicht beunruhigende Erinnerung zu denken. Wenn sie das getan haben, bitte ich sie, meinen Fingern mit den Augen über 20 Augenbewegungen zu folgen (wobei ich meine Hand vor ihrem Gesichtsfeld hin und her bewege). Dann bitte ich sie, die Erinnerung nochmals abzurufen, um zu prüfen, ob sich etwas geändert hat. Die Leute berichten übereinstimmend von einer Distanzierung von der Erinnerung und beschreiben sie dahingehend, dass sie weniger intensiv, weniger lebendig, weiter weg ist. Ein häufiger Satz lautet: <Jetzt fühlt es sich an wie etwas, das einfach geschehen ist.>“ (Seite 4). Obwohl sie [die EMDR-Therapeuten] glauben, dass es eine Verknüpfung der isolierten schmerzvollen Erinnerung mit dem größeren Informationssystem der Psyche/des Geists reflektiert, hat es nichts mit Verknüpfung zu tun. Was durch den Zauberstab/die Zauberhand geschehen ist, ist die Ablenkung und Verdrängung der Erinnerung.

Es ist einfach diese absolute Unlogik, die über meinen Verstand geht; ich benutze die Vodoo-Metapher, weil es genau das ist. Die Person, die mit der Angst vor einem misshandelnden, explosiven Vater aufwuchs, kann nicht ‚zur Gesundheit gewinkt’ werden. Kein Stab wird den locus coeruleus mit seiner Schreckenslast zur Normalität transformieren. Die Behauptung lautet, dass EMDR die Verarbeitung unvollständig verarbeiteter Erinnerungen stimuliert. Das ist entscheidend, weil es nichts Derartiges tut. Denken wir neurobiologisch. Die Erinnerung ist nicht unvollständig; sie ist intakt und weiter unten im Gehirn eingraviert. Der Grund, dass sie fragmentiert ist, ist der, dass die Valenz des Schmerzes ursprünglich so beschaffen war, dass nur ein kleiner Teil der Erfahrung gefühlt werden konnte; der Rest wurde zur späteren Erforschung und für späteres Fühlen gespeichert. Im Interesse des Überlebens wurde das Feeling ‚entrindet’. [‚entkortexifiziert’] Das heißt, Feelings wurden automatisch vom vollen Bewusstsein abgetrennt, um die Reaktivität herabzusetzen, eine Reaktivität, die das Leben des Organismus bedrohen würde. Woher wissen wir das? Wenn wir das Abwehrsystem in einer Sitzung außer Kraft setzen, ist die Reaktivität wieder enorm, bis das Feeling gefühlt und integriert ist; dann kehren alle Vitalfunktionen zu normalen Werten zurück. So hat ein still liegender Patient, der sich  aber im Griff einer Erinnerung befindet, eine Körpertemperatur von 104 Grad (F) [40 Grad C]. Die volle Reaktivität ist wieder gegeben. Eine Patientin, die das völlige Fehlen von Berührung und Zärtlichkeit am Lebensanfang wiedererlebt, hat ein Fieber, als würde ein Virus das System angreifen. Sie fühlt ihre Verzweiflung und Deprivation und kommt aus dem Feeling mit der Einsicht heraus, dass ihre sexuelle Promiskuität ein Weg zu Körperkontakt war. Niemand muss Einsichten liefern; sie sind der kortikale Aspekt eines Feelings und erscheinen ganz von alleine als Begleiter des Gefühls. Wenn Feelings aus unteren Ebenen sich in den frontalen Kortex einklinken, kommt es von innen heraus zu unmittelbaren Einsichten.

Es gibt die Hypothese, dass die winkenden Hände die Wirksamkeit des Verbindungsbalkens zwischen den Hemisphären, des corpus callosum, verstärken. EMDR-Therapeuten denken, dass das Winken der linken Hemisphäre Energie zuführt, und das könnte zeitweise tatsächlich geschehen. Aber nur weil sich die Gefühle für kurze Zeit in bessere Kontrolle durch den denkenden, verdrängenden linken präfrontalen Kortex begeben haben, lässt sich nicht schließen, dass eine radikale Veränderung erfolgt ist. Es ist immer möglich, einen Aspekt menschlichen Lebens zu konditionieren. Man behandelt Drogenabhängigkeit und stellt sich vor, eine tiefgreifende Änderung zu Stande gebracht zu haben. Oder man kontrolliert hohen Blutdruck mit Pillen. Man hat nur das Verhalten geändert. Das ist manchmal wichtig, aber es ist keine Heilung. Ein Rückfall zeichnet sich immer ab.

Um zu wiederholen, was Manfield sagt: EMDR-Behandlung eignet sich gut für PTSD (schwere Traumafälle), weil sich „traumatische Erinnerungen leicht identifizieren lassen und lebhaft sind.“ (Seite 7) Einige Erinnerungen lassen sich leicht identifizieren; die große Mehrheit, niedergedrückt von den schweren Ketten der Verdrängung, jedoch nicht. Patienten erinnern, was sie erinnern können, und erinnern nicht, was sie nicht erinnern können, so vereinfachend das klingen mag. So existiert abgesondert im Gehirn ein ganzes Leben voller Traumen, von dem niemand weiß. Er sagt, dass es diesen Patienten an den emotionalen Ressourcen fehlt, die notwendig sind, um sich schmerzvollen Erinnerungen zuzuwenden und „eine adaptive Lösung zu erreichen.“ Hier haben wir wieder diese Vorstellung, dass man Patienten Anpassungsstrategien beibringen muss. Sie erlernen Anpassung, indem sie sich anpassen. Noch einmal: Alles, was ein Patient lernen wird, liegt in ihm oder ihr. Wir sind von Natur aus adaptive Wesen, wenn uns kein Schmerz stranguliert.

Nehmen Sie ein physiologisches Beispiel. Schmerz verursacht eine Unterbrechung oder Entstellung der Funktion der natürlichen Killerzellen. Nach unserer Forschung sind sie weniger wirksam. (St. Bartholomew’s Hospital, 1984. Wie in The Biology of Love berichtet) Das ist kritisch, wenn sie Ausschau nach sich neu entwickelnden Krebszellen halten sollen. Mit Primärtherapie normalisieren sich diese Zellen. Musste jemand diesen Zellen beibringen, normal zu agieren? Anpassung findet auf natürliche Weise statt. Das trifft auch auf den psychologischen Bereich zu. Muss ein Therapeut einen Patienten lehren, vor Aufzügen keine Angst zu haben? Ich habe gerade so eine Phobie behandelt. Die Person war nach der Geburt wochenlang in einem Inkubator eingeschlossen. Sie stellte diese Verbindung her, nicht ich. Und dann passte sie sich ganz alleine sehr gut an Aufzüge an.

Manfield erklärt, dass viele seiner Klienten keine Erinnerung haben, geliebt worden zu sein. Wenn das bei meinen Patienten passiert, sind sie eine Stunde oder länger in tiefer Agonie, Woche um Woche; kein Zauberstab wird das ausmerzen. Manfield erörtert einen seiner Fälle:

PM: Was willst du diesem kleinen Jungen sagen?

Klient: „Ich fühle, dass es eine solche Schande ist, dass dieses große Unglück geschehen musste und Male hinterließ, die ein Leben lang andauern würden. Ich möchte ihm sagen ‚Es tut mir so Leid, dass dir das passieren musste… Ich glaube, es ist die Ursache jeder traurigen Erfahrung, die du je gemacht hast.’ „ (Lichter-Knipsen durch den Therapeuten, Teil der EMDR-Therapie) Der Klient fühlt großes Mitleid für diesen kleinen Jungen.

PM: „Wieder bietet der Klient dem Kind spontan die fürsorgliche Erwachsenen-Perspektive an, die ihm zu der Zeit, als die Ereignisse stattfanden, nicht zur Verfügung stand.“ (Seite 24)

Der Klient erscheint zu weiteren Sitzungen. Therapeut: „Ich  habe mich entschieden, dass die Installation positiver Kognition [Wahrnehmung] ein angenehmer Weg wäre, die Sitzung zu beenden.“ (Seite 26)

Der Klient kann sich jetzt seinem Schmerz anpassen, „ohne eine große Sache daraus zu machen.“ In der nächsten Sitzung war er noch immer traurig, aber es  machte ihm keine Beschwerden, „beinahe als ob es einem anderen passiert wäre.“ Er hat jetzt eine gute Distanz zu seinen Gefühlen; das Gegenteil dessen, was geschehen sollte, wenn wir wollen, dass jemand zu einem vollen menschlichen Wesen wird. Wenn Sie von einem schrecklichen Liebesmangel in Ihrer Kindheit erzählen, scheint es mir, dass das letzte, das Sie sich wünschen würden, jemand wäre, der ein Blinklicht vor Ihren Augen hin und her bewegt. Warum nicht das Feeling sich vertiefen lassen, ohne das ganze Geschwätz? Was jede Sitzung leistet, ist mehr und mehr Ablenkung, wie die Mutter, die zu ihrem weinenden Kind sagt: „Oh, schau, das Vögelchen.“ Das Kind schaut und vergisst das Weinen. Geht’s ihm besser? Wir können die Blinklichter in theoretische Gewänder stecken, aber es bleibt schlichte Ablenkung. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich neu an anderer Stelle.

PM: „Die nächste Sitzung begann der Klient damit, dass er über seine Scheidung redete, die ihn nahezu die ganze Woche gequält hatte. Er hatte den Wunsch, aufzugeben….. er war niedergeschlagen und entsetzt, als hätte er keine Mittel mehr. Wir nahmen seine Empfindungen mit EMDR ins Visier.“ (Blinklichter. Seite 33) Der Klient berichtete dann, dass er sich lebendiger fühle und aufgeschlossener sei. Der Beunruhigungsgrad fiel auf Null, und er fühlte sich entspannt.

Er war effektiv verdrängt; und EMDR ist eines der wirkungsvolleren  der vorhandenen Verdrängungsinstrumente, obgleich einige Feelings involviert sind. Was der Therapeut mit dem Feeling macht, ist, dass er es ablenkt, mit Ratschlag versieht und neu ausrichtet; nichts davon ist nötig. Der Klient berichtete, dass sich seine Stimmung merklich gebessert habe. Genau das sehen wir bei denen, die aus der Pseudo-Primärtherapie zu uns kommen, wo sie auf Drängen des Therapeuten ohne Kontext und Brennpunkt schreien, weinen und gegen Wände schlagen. Sie setzen Spannung frei, fühlen sich wohler (kurze Zeit) und glauben, sie hätten Fortschritte gemacht. Erst nach Monaten (der Abreaktion) verstehen sie, dass sie keine Fortschritte machen und kommen zur richtigen Therapie.

Wenn Sie und ich Kaffee trinken, und Sie sagen zu mir „Ich bin traurig“, und dann fange ich an, mit meinen Händen so etwa 20 Mal vor Ihren Augen zu winken, ist das Therapie? Oder ist es unmenschlich? Aber Sie sagen „Jetzt bin ich nicht mehr so traurig.“ Natürlich nicht. Ich habe Sie Ihrer Gefühle beraubt. Wir können uns diesem Prozess in einem sanften, sicheren therapeutischen Umfeld erneut zuwenden und Psycho-Jargon reden, aber die Tatsache bleibt, dass die Person zu fühlen beginnt und ich gleichzeitig Blinklichter in ihrem Gesichtsfeld hin und her bewege. Ich schätze, Sie würden diesen kleinen Apparat von Ihren Augen wegschlagen wollen und sagen: „Jetzt hör’ mir mal zu. Du musst diesen ganzen Hokuspokus gar nicht machen. Ich will nur ein wenig menschliches Mitgefühl.“

Selbsttäuschung hält eine gewisse Zeit an. Man kann jede x-beliebige Zahl von Therapien nehmen und Patienten finden, die schwören, es gehe ihnen besser. Ich habe 17 Jahre lang psychoanalytische Therapie gemacht, und Patienten schworen, es gehe ihnen sehr gut. Erst als ich diese selben Patienten zurückholte und mit ihnen Gefühlstherapie probierte, erkannten wir beide, wieviel Schmerz wir ungelöst in ihnen zurückgelassen hatten. Wenn Sie Einsichtstherapie machen, und Sie erklären dem Patienten, warum er dieses oder jenes tut, hat er nach drei Jahren eine gigantische Rationalisierung für sein Verhalten aufgebaut, die bewirkt, dass er sich wohl fühlt; ein Triumph des frontalen Kortex über das limbische System. Oft dauert diese Rationalisierung an, und man könnte die Person niemals überzeugen, dass die Therapie ein Fehlschlag war. Sie hat Hilfe bekommen, fühlt sich besser, und das ist alles, was zählt. Wenn die Person das begreift und sich nicht weiter sorgt, dann ist es gut. Es gibt viele, die sich mit St. John’s Wort, Prozac, etc. wohl fühlen. Und sie fühlen sich wohl, weil das System eine Zeit lang biochemisch normalisiert wird. Wenn es den Patienten nicht kümmert, sollten wir uns auch nicht sorgen. Wir sind keine Priester.

Nachdem ich EMDR, wie einige denken könnten, „unbarmherzig“ kritisiert habe, würde ich jetzt hinzufügen, dass es für die Therapie einen Platz in Fällen des „schnellen Schusses“ gibt. Ich höre, dass Leute in Obdachlosengegenden EMDR erhalten, und es hilft ihnen, sich aufzuraffen und sich in Bewegung zu setzen, Arbeit zu suchen und von der Straße wegzukommen. Sie machen sich keine Illusionen darüber, und es hilft wie jede Therapie ohne „Warum“ von Hypnose bis zur Akupunktur. Dieser Ansatz ist bequemer, weniger beschwerlich und lässt sich von Therapeuten leicht erlernen. Er sagt denen zu, die sich an der Oberfläche des Lebens bewegen.  Es gibt Leute, die es vorziehen, so zu verfahren, die nicht über Monate oder Jahre Schmerz fühlen wollen. Ein schneller Schuss bleibt das dennoch. Eine Zigarette rauchen ist ein schneller Schuss. Es hilft einem, sich wohler zu fühlen, einer öffentlichen Rede ins Auge zu sehen, sich zu konzentrieren und so fort. Zigaretten narkotisieren. Die Person fühlt sich wohler.  Es gibt viele Möglichkeiten, sich zu narkotisieren, Tranquilizer nicht ausgeschlossen; das Ergebnis ist für gewöhnlich dasselbe - Verdrängung und verminderter Zugang zu Feelings. Wenn ständig alter Schmerz durchbricht, dann bewirkt alles, das ihn unter Verschluss hält, dass wir uns besser fühlen.

EMDR ist im Grunde Verhaltens-/kognitive Therapie mit ein wenig Fühlen dazwischen. Es enthält gelenkte Imagination oder Tagträumen, und schließt Hypnose und rational-emotive Therapie ein – beendet den Gebrauch alter Rationalisierungen und setzt neue ein. Alles, was ein Gemisch aus Dingen enthält, ist für mich keine Wissenschaft. Entweder folgt eine Technik wissenschaftlicher Methodologie und einer richtigen Theorie oder sie tut es nicht; sie basiert entweder auf Wissenschaft, oder sie ist New Age-Phantasie. In EMDR gibt es kein Vertrauen in Gefühle. Wenn wir der Methode, wie wir Patienten behandeln, eine Überfülle an Ansätzen hinzufügen, wird die Therapie dadurch nicht wirksamer; es bedeutet einfach den Gebrauch einer bunten Mischung von unwirksamen Ansätzen, wenn sie kombiniert immer noch unwirksam bleiben. Der eklektische Ansatz bekundet das Fehlen eines methodischen Angriffs auf die Neurose. Er impliziert, dass es keine Therapiewissenschaft gibt, sondern nur eine Kunstform, die viele verschiedene Wege wählen kann wie in der Malerei; ein bisschen Picasso, ein wenig Miro, ein Hauch von Renoir. Wir brauchen keinen Eintopf aus Zutaten, von denen jede ein bisschen wahr sein könnte. Wenn wir sie alle zusammenmischen, macht sie das auch nicht gültiger. Ich würde sehr gerne ernsthafte neurophysiologische Langzeitmessungen dieser Therapie sehen.

Wir wollen den Körper nicht hinter uns lassen, wenn wir Menschen behandeln, es sei denn, wir bitten sie, ihren Körper vor der Tür zu lassen, wenn sie die Sitzung betreten. Implizit ist es genau das, was wir mit einer ganzen Reihe von Therapien machen. Wir behandeln einen isolierten linken präfrontalen Kortex, verstärken seine Isolation und besiegeln die Trennung. Früher oder später ist das ein Rezept für ein Desaster.

Die Diskussion von EMDR und der verschiedenen Ansätze für psychische Probleme führt auf die Tage von Ludwig A. Feuerbach und seinem Logischen Positivismus versus Karl Marx und seine Dialektik zurück; der Vorrang des Geistes vor der Materie oder umgekehrt. Der Logische Positivismus entwickelte sich und wurde später von Bertrand Russell und dem zeitgenössischen Philosophen Ludwig Wittgenstein aufgenommen. (Früher bekannt als Wiener Zirkel, circa 1920. Jetzt als Cambridge-Bewegung bezeichnet). Dieser philosophische Ansatz wird von denen bevorzugt, die stark an formale, intellektuelle und philosophische Analyse glauben, die Psychoanalyse einschließt. Sie umfasst den Glauben an formale Logik und an den Nutzen symbolischer Techniken zur Klärung philosophischer Themen und psychologischer Probleme. Alles kann durch logische Analyse gelöst werden. Heute würden wir es einen „Kopf-Trip“ nennen. Es ist der Glaube an den Vorrang der Sprache, weshalb der Schwerpunkt auf Einsichten und ernsten Diskussionen mit dem Patienten liegt. Ein Beispiel ist Traumanalyse, ein anderes ist EMDR. Auf der anderen Seite gibt es eine ganze Aufmachung von Therapien und Techniken mit nahezu keiner intellektueller Diskussion, wie in den Bioenergetik/Körperpanzer-Schulen der Körpertherapie.

Die oben erwähnten  Philosophen des neunzehnten Jahrhunderts bildeten den Unterbau der unterschiedlichen Psychotherapie-Schulen – die Rationalisten gegen die Körpertherapien und die Empiristen; ob der Verstand oder die Erfahrung dominieren würden. Wenn wir den intellektuellen Ansatz zu seinem logischen Ende bringen, bekommen wir etwas, wie es in David Burns Buch (Ten Days of Self Esteem. Harper Collins. N. Y. 1993. Seite 37) erscheint. „Sie fühlen sich genauso, wie sie denken“ Das sagt alles. Gedanken, sagt er, haben Vorrrang vor Gefühlen und körperlichen Empfindungen. Burns behauptet: „Sie werden entdecken, dass negative Gefühle wie Depression, Angst und Wut nicht wirklich von den schlimmen Dingen herrühren, die Ihnen widerfuhren, sondern von der Art, wie sie darüber denken.“ (Seite 37) Es ist ein solipsistischer Ableger der Rational-Emotiven Therapie, bei dem Ihre schlechten Gefühle von unlogischen Gedanken kommen. Alles, was Sie tun müssen, ist, Ihre Gedanken zu ändern. Wenn es nur so leicht wäre….eine Art von „Denk dir deinen Weg zur Gesundheit.“Somit gibt es keine reale Erfahrung; nur die Art, wie Sie über die Erfahrung denken, eine reduktio ad absurdum; gewissermaßen ein endloses intellektuelles Labyrinth, die Suche nach der Bedeutung der Bedeutung. Ein intellektuelles Treiben, zweifach abmontiert.

Das Körpersystem war lange vor dem Denkapparat am Platze, sowohl in der Phylogenese (die Geschichte der Menschheit) als auch in der Ontogenese (die Geschichte des individuellen Menschen). Offensichtlich hat es Vorrang. Wir dürfen diesbezüglich die Evolution nicht übersehen – dass Empfindungen den Gefühlen vorausgingen; dass Gefühle vor den Gedanken da waren. Wenn wir die Evolution verfolgen, ist auch klar, dass Empfindungen sich entwickelten und zu Gefühlen verfeinert wurden, die sich dann in Gedanken artikulierten. Alle drei bilden ein vollständiges Feeling, aber die stärkste Kraft sind die Empfindungen, dann Gefühle und schließlich Gedanken. Gedanken sind eingeprägten Erinnerungen nicht gewachsen, insbesonders nicht, wenn es sich um Einprägungen auf Leben und Tod handelt. Auch hier wieder ‚empfiehlt’ man Selbsttäuschung vor der Realität und nennt es dann Therapie. Wir fühlen uns schlecht, weil uns schlimme Dinge passiert sind. Zu denken, dass diese Ereignisse bedeutungslos sind und dass nur von Bedeutung ist, wie wir sie interpretieren, ist eine Übung in geistiger Nachtarbeit. Zählt es, wenn man vom eigenen Vater vergewaltigt wird, oder ist es nur so, wie wir es sahen und sehen? Der Geist über der Materie? Oder zählt reale eingeprägte Erinnerung; letztlich wird diese Erinnerung zu einem Teil der Neurophysiologie. Der Hippokampus schrumpft als Reaktion auf diese Art von Traumen. (siehe die Arbeit von Murray Stein. U. C. San Diego). Schrumpft er, weil wir die falsche Einstellung haben, oder weil ein schreckliches Verbrechen gegen unsere Menschlichkeit stattgefunden hat? Und schließlich, können wir uns wirklich einfach durch einen Gedankenwechsel verändern? Können wir den Hippokampus verändern? Die Amygdala? Oder die Speichelkortisol-Spiegel? Sie können die Erinnerung nicht zum Narren halten oder die Geschichte täuschen. Sie können Ihren Verstand ‚verbiegen’ und anders denken, abgetrennte Gedanken, aber der Körper bleibt sich selbst treu und ehrlich. Und wenn Sie den Speichel fragen, ob das Individuum Fortschritte gemacht hat, wird er es Ihnen unzweideutig sagen.

Es ist immer möglich, durch geistige Kniffe temporäre, vorübergehende Veränderung zu erzeugen. Aber die Geschichte ist immer der Sieger. Wir könen weder unsere Physiologie noch unsere Geschichte besiegen, und sollten das auch nicht wollen. Noch einmal, eine Lüge des Geistes ist eine Verletzung des Körpers; eine unerbittliche biologische Wahrheit. Das Problem ist, dass sogar die Wahl einer besonderen Therapie ein Symptom begründen kann; die Wahl wird vielmehr getroffen, um die Neurose zu verstärken als um über sie hinwegzukommen. Diejenigen, die Magie wählen, wollen allzu oft magische Lösungen für reale Alltagsprobleme. Diejenigen, die Hypnose wählen, wollen unbewusst, dass es ihnen ohne wirkliche Anstrengung besser geht. Diejenigen, für die als Kinder „alles getan“ wurde, deren Leben total von ihren Eltern kontrolliert wurde, wählen jetzt eine Therapie aus, in der für sie „alles getan“ wird. Sie suchen sich einen älteren weisen Mann oder Guru aus, der ihnen das Geheimnis des Lebens gibt. Das Problem ist, dass es nicht existiert. Kein Außenstehender ist weiser als unser eigenes System; es birgt die Weisheit der Zeitalter in seiner genetischen Aufmachung. Es hat alle adaptiven Mechanismen eingebaut, die sich über die Jahrtausende akkumuliert haben.

Ich habe gesehen, wie Dr. Shapiro einen Stab bei einem Patienten angewandt hat, und ich hielt es wirklich für einen Appell an die Magie, ungeachtet dessen, was die Forschung ergibt.

Natürlich werden sich Patienten auf kurze Hinsicht mit EMDR besser fühlen als mit konventioneller Therapie, weil letztere nicht für schnelles Handeln bestimmt ist. Also findet die Forschung sie wirkungsvoller. Das ist auch ein Gebet, das ist auch Akupunktur und das ist auch jede ahistorische Therapie, die auf historische  menschliche Wesen angewandt wird.

Die Geschichte zu vernachlässigen bedeutet, sich vorzustellen, dass wir de novo in dieses Leben springen; es hilft uns, die eine Sache zu vermeiden, die heilsam sein kann. Warum das Symptom? Warum die Qual und Depression? Keine Therapie ohne ein „Warum“ kann heilsam sein, weil sie Vermeidung der Geschichte bedeutet. Sie bedeutet, die Dialektik zu ignorieren, die ein Schlüsselgesetz der Bewegung des Lebens ist. Glaubt jemand wirklich, dass die Vorstellung, wie der Kopf eines Professors in Stücke zerspringt, ein reales emotionales Problem zwischen zwei Menschen lösen kann?

Nachdem alles gesagt und getan ist, sollte es eine Diagnose des Patienten geben, die ihre oder seine Geschichte einschließt, nicht einfach „Angst mit depressiven Merkmalen“, wie ich es so oft in psychiatrischen Berichten sehe. Und die Diagnose sollte in der Lage sein, eine gleichzeitige Aussage über den psychischen und den neurologischen Zustand zu machen. Zum Beispiel rührt Angst weitgehend von sehr frühen Hirnstamm-Einprägungen her, was wir als Intrusion der ersten Linie bezeichnen. Sie beginnt in einer Phase, in der die höchste Ebene der Gehirnfunktion diejenige war, die die Viszera kontrollierte. Und Angst ist vor allem eine viszerale Reaktion – Schmetterlinge im Bauch, den Atem nicht mehr anhalten können, purer Terror, Druck in der Brust, etc. . Es hilft uns, wenn wir wissen, dass Hirnstamm-Strukturen bei Angstzuständen aktiviert sind, genauso wie einige limbische Bereiche. Es sind keine mystischen Kräfte mehr wie das ‚Es’, dunkle Schattenkräfte und dergleichen. Jede psychiatrische Diagnose muss letztlich mit neurologischen Prozessen übereinstimmen. Andernfalls hat man eindimensionale Ansätze, die das Gehirn aus dem Prozess heraushalten und handeln, als befände sich die Psychologie in einem esoterischen Bereich, der vom Gehirn weit entfernt ist. Es gibt Neurologen, die brillante Theorien über Schmerz anbieten, die auf Tierversuchen basieren, aber es fehlt an einer Theorie über „Leute unter Schmerz“. Die meisten Fachleute im Bereich psychischer Gesundheit haben jeden Tag mit Schmerz tu tun, aber es ist wie mit den Kleidern des Händlers – er wird nie erwähnt oder als solcher behandelt.

Ohne Erkenntnis der Tatsache, dass es einzelne Bewusstseinsebenen gibt, ist es beinahe unmöglich, eine lebensfähige Theorie und Therapie zu konstruieren. Seit den frühen Tagen der Neurologie, als Paul MacLean über das ‚Dreieinige Gehirn’ schrieb, weiß man von den unterschiedlichen Bewusstseinsebenen, aber sie sind bis jetzt in unserer psychologischen und psychiatrischen Arbeit ignoriert worden. Wir wollen immer wissen, auf welcher Ebene unsere Patienten gerade operieren. Sind sie im Grunde „first-liner“ (auf primitiven Bewusstseinsebenen operierend), bei denen massive Mengen an Hirnstamm-Einprägungen hochbranden und Konzentration und Schlaf stören? Wir können ebenso anhand der Beschaffenheit der Symptome sagen, wo die Ursprünge liegen: Migräne und Kolitis sind zum Beispiel weitgehend Geburtseinprägungen der ersten Linie. Wir wissen, wohin der Patient gehen muss, um vollständige Auflösung zu erreichen.

Symptome sind für uns Wegweiser. Sie leiten uns zum Schmerz; wir versuchen nicht, sie ohne Kenntnis ihrer Wurzeln auszurotten. Die neurologischen Schmerztheoretiker sind im Großen und Ganzen auf Schmerzkontrolle aus, nicht auf Wiedererleben. Sie sehen die Dialektik nicht; dass der Schmerz um so mehr aus dem System verschwindet, je tiefer er wiedererlebt wird. Dass nichts anderes diesen Schmerz ändern kann, weder den Patienten aufzufordern, er oder sie solle sich andere Lösungen vorstellen, noch der Gebrauch von Nadeln, um ihn zu kontrollieren,  noch Ablenkung oder Hypnose des Patienten und so weiter. Der Schmerz ist in das physiologische System eingebettet, und dort liegt er, bis er aufgelöst wird. Dort steuert er Verhalten und Symptome, egal wie stark die Willenskraft oder die Machenschaften des frontalen Kortex mit Wortschwällen, Einsichten und geänderten Vorstellungen sind. Er ist unversöhnlich und unbeugsam. Er hat die Kraft des elementaren frühen Bedürfnisses und des Überlebens.

Man macht einen wichtigen Sprung, wenn man versteht, dass wir es in der Psychologie und Psychotherapie immer mit Schmerz zu tun haben, und dass der Schmerz dem System innewohnt und keinesfalls allein ein psychisch-geistiger Vorgang ist. Er muss wiedererlebt werden, wie er abgelegt worden war, mit denselben Vitalwerten, Gehirnwellen und Hormonausstößen. Der Verknüpfungskreis muss zustandekommen. Es gibt einen kortikalen Aspekt zu dem Feeling, der einbezogen werden muss, auch wenn dieses Feeling/diese Empfindung keine Szenen und keine Worte hat. Das Feeling selbst muss mit dem vollen Bewusstsein verknüpft werden – der Schrecken, der Weltschmerz, unsagbare Traurigkeit, Finsternis, Alleinsein und Entfremdung. Das sind alles Einprägungen, die sich ereigneten, bevor wir sie mit Szenen verknüpft haben, bevor wir einen funktionierenden Kortex hatten, um ihnen einen Sinn zu geben. Wiedererfahren bedeutet, etwas zum ersten Mal auf allen drei Gehirnebenen zu erfahren – Empfindung, Gefühl und Gedanken über sie. Das ist Verknüpfung. Es bedeutet, den verborgenen Schmerz zu vollständigem Bewusstsein zu bringen, den Schmerz, der bis jetzt aufgrund seiner hohen Valenz nicht bewusst gemacht werden konnte.

Schmerz und Heilung sind eine dialektische Einheit; es gibt keine Heilung ohne Schmerz und keine Heilung außerhalb des Ortes, wo wir verwundet wurden. Die ursprüngliche Verletzung zu fühlen – bald nach der Geburt allein gelassen zu werden – bedeutet, alle ursprünglichen physiologischen Prozesse wiederzuerleben. Das wendet sich dann in sein Gegenteil – niedrigere Vitalwerte, Stresshormone und so weiter. Wenn wir uns in den Finger schneiden, werden sofort Heilungsprozesse in Bewegung gesetzt.Und nichts anderes geschieht, wenn wir eine psychische Verletzung erleiden. Das Problem ist, dass der Heilprozess durch Verdrängung, welche die für die Heilung notwendige Reaktivität unterbindet, abgebrochen wird. Wenn wir ganz früh verletzt werden, ist es, als hätte ein Virus das System angegriffen; Lymphozyten treten in Aktion und bereiten sich auf den Angriff vor. Der Körper unterscheidet nicht zwischen dem fremden Virus und den fremden Feelings, die nicht integriert werden können. Das Immunsystem erschöpft sich in diesem Kampf, bis es zum Wiedererleben kommt. Dann normalisieren sich zum Beispiel die natürlichen Killerzellen wieder. Dasselbe gilt für den Neuroinhibitor Serotonin. Es erschöpft sich in Langzeit-Depression, was wieder darauf hinweist, dass Depression schwere Verdrängung ist; das Serotoninsystem kommt gegen die konstante eingeprägte Schmerzlast nicht mehr an.

Je mehr man in den Schmerz hinabsteigt, umso mehr steigt man aus ihm heraus. Je mehr man ihn fühlt, umso weniger ist davon da.  Der Schlüssel liegt darin, dass die Gesetze der Entwicklung der Neurose mit den internen Widersprüchen in jedem von uns zu tun haben; mit dem Widerspruch in der Beziehung zwischen Schmerz und Verdrängung. Um wirkliche Veränderung zu verstehen und zustandezubringen, muss man sich immer mit diesem Widerspruch befassen; das ist bei EMDR und anderen ahistorischen Therapien nicht der Fall.

Wir sind schließlich historische Wesen. Jede wirkliche Veränderung muss sich auf diese Geschichte beziehen. Somit kommt es zu flüchtigen Veränderungen, illusionären Veränderungen, die mit EMDR zustandekommen können, aber es ist klar, dass sie in einem tieferen Sinn nicht von Dauer sein können. Sie können wegen der Neuorganisation der Gedanken bildenden Strukturen fortdauern, aber das muss illusorisch sein. Es ist buchstäblich eine Halteaktion, das Zurückhalten des Schmerzes durch kortikale Anstrengung. Die Geschichte ist immer der Sieger. Bewusstsein ist der grundlegende Heilungsfaktor. Es gibt kein volles Bewusstsein in EMDR, nur isolierte und abgetrennte Bewusstheit. EMDR sorgt für neue Gedankenbildung, um die Trennung zu verstärken, während Verknüpfung der Motor der Heilung ist. Mit dem erwachsenen Gehirn ein wenig Hoffnungslosigkeit zu fühlen und dann im Namen der „Anpassung“ neue Vorstellungen anzunehmen, bedeutet, die eine Sache hinter sich zu lassen, die heilt – vollen und tiefen Schmerz. Die depressive Person fühlt: „Was hat es für einen Zweck. Es bringt nichts, wenn ich es versuche. Nichts funktioniert oder gibt einen Sinn.“ Das sind Vergangenheitsgefühle, die in die Gegenwart durchbrechen. Wenn sie in Zusammenhang mit der Vergangenheit gebracht und gefühlt werden, gibt es kein Eindringen und keine Depression mehr. Aus diesem Grund sind wir bei tiefer und suizidaler Depression erfolgreich. Je mehr wir die Vergangenheit fühlen, umso mehr sind wir in der Gegenwart. Je mehr wir uns auf die Gegenwart konzentrieren, umso mehr dringt die Vergangenheit ein.

Die Implikation dessen ist, dass es aus dem zentralen Widerspruch zwischen Schmerz und Verdrängung heraus zu einer Ausstrahlung auf das ganze System kommt, die Funktionsverschiebungen in verletzlichen Bereichen verursacht, Schilddrüsenunterfunktion, Ausfall des Immunsystems, Serotoninmangel und so weiter. Wenn man sich mit dem zentralen Widerspruch befasst, würden wir zuerst wieder Veränderungen zur Normalität bei allen diesen Verschiebungen erwarten. Zu diesem Befund sind wir gekommen, und zu diesem Befund muss man kommen, wenn radikale Veränderung erzielt werden soll.  Wenn natürlich ein End-Organ-Schaden eingetreten ist, dann ist es zu spät für diese Veränderungen. Aber wenn das nicht der Fall ist, sollten wir überall in Gehirn und Körper Veränderungen sehen.

Je mehr man fühlt, umso schwächer wird die Verdrängung. Es kommt zu einer neuen Synthese – Gesundheit, Ganzheit und Normalität. Das System ist wieder im Gleichgewicht, es gibt keine Funktionsverzerrungen mehr. Wie haben die Negation negiert; wir haben die Verdrängung ungeschehen gemacht und dem System gestattet, sich auf jeder Ebene zu normalisieren – zellulär, hormonell, neuronal und psychisch. Es folgt das Gesetz der Transformation von Quantität in Qualität. Der Patient fühlt über viele, viele Monate jeden Tag jeweils ein wenig von dem Schmerz, bis ein radikaler Wechsel eintritt und die Kortisolspiegel sich ebenso normalisieren wie die Vitalfunktionen, wie zum Beispiel der Blutdruck. Diese neue Qualität repräsentiert den Wechsel von Neurose zu normal. Veränderung ist evolutionär, und die Evolution muss in Betracht gezogen werden, wenn man eine Therapie der Veränderung entwickelt. Wir können den Hirnstamm und die limbischen Systeme und die frühen vorgeburtlichen Einprägungen, die in diesen Systemen stecken, nicht ignorieren, wenn wir hoffen, reale Änderungen hervorzubringen. Illusion ist die Umkehrung der Wirklichkeit.

Lassen Sie mich ein Beispiel anführen, wie diese grundlegenden Tatsachen ignoriert werden. Adrian Raine, ein bekannter Neurowissenschaftler, hat Gewalttätigkeit untersucht. (Bericht in der Los Angeles Times, 29. April, 2002. „Roots of Violence May Lie in Damaged Brain Cells.“ Seite S1) Was man bei allen impulsiven Neurosen, bei Gewalttätigkeit, Selbstmord, etc. gefunden hat, sind niedrige Serotoninspiegel, und in Gehirn-Scans zeigt sich in diesen Fällen weniger präfrontale kortikale Aktivität als bei Normalen. Aber die Folgerung ist, dass diese Leiden durch niedriges Serotonin verursacht werden. Es gibt sehr viele Forschungen (siehe Allan Schore und seine Forschung), die indizieren, wie die Bereiche des frontale Kortex leiden und sich nicht richtig entwickeln, wenn es zu einem sehr frühen Trauma und/oder zu Liebesmangel kommt. Somit haben gewalttätige Individuen niedrige Werte bei den Neurochemikalien, die für Hemmung verantworlich sind – was wir erwarten würden; aber wir erwarten es aufgrund des sehr frühen Traumas, das die Serotoninspiegel ein Leben lang auf niedrigem Niveau hält. Sie haben auch genug Deprivation in ihrem Leben erfahren, die sie gewalttätig machen kann – eine gleichgültige Mutter, einen süchtigen, misshandelnden Vater und so fort. Alle diese Faktoren von der Zeit im Mutterleib an bis zur Geburt und danach müssen in Betracht gezogen werden, wenn man erwachsenes Verhalten verstehen will. Gehirnwissenschaft allein kann das nicht leisten, noch kann es die Psychologie. Alles muss in der Mischung enthalten sein und dann dialektisch angegangen werden. Das Gehirn allein zu untersuchen  ist immer noch ahistorisch; die Geschichte allein zu studieren lässt die Gegenwart aus. Wir brauchen eine allumfassende Theorie.

Der Grund, dass Schmerz das Bewusstsein bestimmt, besteht darin, dass er nicht nur eine weitere Erfahrung ist. Er ist der Schlüssel zum Überleben. Diejenigen, die der Schmerzerfahrung beraubt werden, überdauern nicht lange. Die Entwicklung des Menschen von der Amöbe aufwärts hat die Fähigkeit eingeschlossen, Schmerz auszuschließen. In der Wissenschaft nennt man es Vermeidung noxischer Stimuli. Die Methode, wie wir Schmerz ganz früh sogar schon im Mutterleib zu vermeiden lernen, wird zum Prototypen, der zukünftiges Lernen steuert. Wir müssen Schmerz und Bewusstsein untersuchen, nicht einzeln sondern das eine als Funktion des anderen. Jedes Gehirnsystem hat seine eigene spezielle Erinnerungsbank, die auf eine Weise niedergeschrieben wird, die zu sich selbst idiosynchratisch ist. Tiefe Hirnstamm-Ereignisse werden in Form physischer Empfindungen erinnert; husten, würgen, Druck auf der Brust und Erstickungsgefühle. Es gibt nur eine Art, sich zu erinnern, wie man von der Nabelschnur gewürgt wurde, nämlich wiederzuerleben, wie man stranguliert wurde, keine Luft bekam, würgte und erstickte. Es gibt keine Alternative, kein besseres Ende, das wir uns ausdenken könnten. Es war, was es war, wird genau so eingeprägt, wie es geschah und wird wie jene Erfahrung zu vollem Bewusstsein gebracht. Es kann nicht durch einen Willensakt bewusst gemacht werden. Das ist ein Oxymoron. Der Wille ist kortikal. Feelings sind subkortikal. Wir brauchen auch Zugang zum Gehirnstamm, wo weit entfernte Ereignisse registriert sind; das ist der entscheidende Unterschied. Wenn sie einmal gefühlt sind, wird alles darauf basierende Verhalten offenbar und verschwindet schließlich. Es sind keine Einsichten oder Diskussionen notwendig. Therapeuten sind immer noch in der Vorstellung gefangen, wir müssten allwissend sein. Müssen wir nicht. Trauen wir den Patienten. Ihre Gefühle sind die ganze Weisheit, die sie brauchen. Wir wollen nicht, dass sie unser Leben führen oder unsere Auffassung teilen, wie das Leben gelebt werden sollte; wir wollen, dass sie ihr eigenes Leben führen.

Wenn wir Schmerz befreien, befreien wir ein ganzes Bewusstseinssystem und  schaffen somit fühlende/bewusste Menschen. Die Therapie, die das Individuum wählt, ist oft eine Reflexion des Problems. Die Kopflastigen wählen Einsichtstherapie, während die Passiven, die Magie wollen, zur Hypnose gehen. Man sollte sich eine Therapie aussuchen, bei der die Macht und Weisheit im Patienten liegt. Wo man sich primär den inneren Realitäten zuwendet; und das nach einem Zeitplan, den das physische System des Patienten und seine oder ihre Toleranz für Schmerz und Fühlen bestimmt. Wo nicht der Therapeut festlegt, was und wieviel zu fühlen ist, sondern derjenige, der sich den Gefühlen unterziehen muss. Um die Worte von Elridge Cleaver zu wiederholen: Sie sind entweder ein Teil der Lösung, oder Sie sind ein Teil des Problems. Wenn Sie sich die Lösung bildlich vorstellen, macht sie das noch immer zu einem Teil des Problems.

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Übersetzung: Ferdinand Wagner

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  Artikel u. Buchausz.