Artikel u. Buchausz.

BUCHAUSZUG

Artikel u. Buchausz.
ORIGINAL  

Buchübersetzungen

  GD/7

 

Dr. Arthur Janov

 

  GRAND DELUSIONS

GROSSE ILLUSIONEN

  Psychotherapien ohne Fühlen

 

Veröffentlicht im Juni 2005 auf primaltherapy.com

 

„Freud wurde mehr zu einem Philosophen als zu einem empirischen Forscher und zog ontologisches Grübeln den einst geschätzten biologischen Mechanismen vor. Auch nachdem er das Trauma allmählich wieder in eine Position setzte, die diesem große Bedeutung in der Ätiologie der Neurose einräumte, blieb die unter Betracht stehende Person dennoch von ziemlich monumentalen Gesetzen der Phylogenese überschattet. Die individuelle Erfahrung nahm beim Spiel der Mysterien, die der Spezies innewohnten, auf den hinteren Reihen Platz.“

Arthur Janov

 

Einführung zu den Kapiteln über Psychoanalyse

Da die Theorie Freuds und die Primärtheorie eine Anzahl von Formulierungen gemeinsam zu haben scheinen, glauben einige, die Primärtheorie habe sich direkt aus der Freudschen Theorie entwickelt. Aus einer historischen Perspektive ist die Primärtheorie zweifelsohne die logische Erweiterung von Freuds Standpunkt zu vielen Themen. Die Primärtheorie erwuchs jedoch nicht aus der theoretischen Durchforschung der Freudschen Literatur, noch ist Primärtherapie eine psycho-emotive Neuausgabe der Psychoanalyse. Primärtherapie entstand aus einer Entdeckung, die zuerst wie das persönliche Erlebnis einer einzelnen Person schien, die sich dann aber als eine usprüngliche (primäre) Erfahrung herausstellte, die potentiell für die meisten Menschen verfügbar ist.

Das soll nicht heißen, dass das Freudsche Gedankengut apperzeptiv keinen Einfluss hatte. Ganz im Gegenteil: Die Entwicklung und wissenschafliche Validierung der Primärtherapie ist in vielerlei Hinsicht ein Tribut an Freuds bahnbrechende Auffassungen über die biologische Basis der Abwehr, Verdrängung und Neurose. Diese Konzeptionen zeigen, dass Freud vor mehr als achtzig Jahren der Psychobiologie des Fühlens „auf der Spur“ war – eine Spur, die durch das Fehlen wissenschaftlicher Beweise, den primitiven Status der Neurologie und Neurochemie und berufliche Zwänge plötzlich endete. Tatsächlich war Freud der Wissenschaft seiner Zeit voraus. Es ist nicht unvernünftig, darüber zu spekulieren, dass Freud, hätte er damals das Wissen und die Technologie zur Verfügung gehabt, die wir in dieser unserer Ära haben, zur Kern-Konzeption der Primärtheorie und –therapie gelangt wäre: die dauerhafte neurologische Einprägung von frühem Schmerz und dessen Freisetzung durch Fühlen.

 

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KAPITEL 7

DIE EVOLUTION DER THEORIE FREUDS:

DIE ZURÜCKFÜHRUNG DER NEUROSE AUF NICHT-EXISTENTE URSACHEN

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Die frühen Jahre

Freuds erste Ahnung von der Natur psychischer Prozesse kam als Ergebnis seiner Arbeit mit dem Wiener Arzt Joseph Breuer zustande. Zu dem Zeitpunkt, als Freud 1982 seine Zusammenarbeit mit Breuer begann, hatte Breuer bereits entdeckt, dass sich hysterische PatientInnen unter Hypnose an Erlebnisse erinnern konnnten, an die sie sich im Wachzustand nicht erinnern konnten. Der berühmte Fall der Anna O. faszinierte Freud, und er diskutierte ihn „wieder und wieder“ mit Breuer.

Anna hatte nach dem Tod ihres Vaters eine beunruhigende Reihe  hysterischer Symptome entwickelt. Ihre Sprache,  ihr Sehvermögen und ihre Gliedmaßen waren schwer beeinträchtigt. Unter Hypnose erinnerte sich Anna an die traumatische Szene mit ihrem Vater, in der sie an seinem Bett saß, als er im Sterben lag. Es stellte sich heraus, dass es unerwartete Korrelationen zwischen den Details dieser Szene und der genauen Stelle und Natur ihrer hysterischen Symptome gab. Zu Breuers Überraschung ließen Annas Symptome mit wiederholter Erinnerung ihrer traumatischen Erlebnisse unter Hypnose nach, die Anna selbst mit dem Spitznamen " talking cure" („Redekur“ oder "Gesprächskur") bedachte.

Das theoretische Ergebnis dieser Arbeit mit Anna O. (und mit anderen hysterischen Patienten) war die Formulierung einer „Trauma-Theorie der Hysterie“, die die Rolle des Unbewussten bei der Bildung neurotischer Symptome beschrieb. Als Gemeinschaftswerk von Freud und Breuer markierte die Veröffentlichung der Studien über Hysterie den historischen Beginn der Psychoanalyse. In diesem Werk beobachteten Freud und Breuer mehrere wichtige Faktoren:

 

(1) Eine Erfahrung konnte gegen bewusste Erinnerung abgeriegelt werden, wenn sie ausreichend schmerzhaft war.

 

(2) Sie konnte dann unter Hypnose erinnert werden. Und:

 

(3) Das hysterische Symptom entsprach einem bestimmten Detail der traumatischen Erfahrung oder spiegelte dieses wider.

 

Sie schlossen daraus, dass ein traumatisches Erlebnis einen anhaltenden Einfluss ausüben konnte, der Jahre später Symptome hervorrief, auch wenn die Erinnerung daran völlig unbewusst blieb. Schließlich behaupteten sie, dass nur dann, wenn die Erinnerung unter Hypnose wiederaufgespürt wurde und „von einer intensiven Reproduktion der ursprünglichen Emotion, oft zusammen mit einer halluzinatorischen Reproduktion des Traumas, begleitet war,…..das Symptom verschwand.“ [1] Sie nannten diesen Prozess emotionale Katharsis.

Hier sehen wir die Saat mehrerer wichtiger Prinzipien psychischen und physischen Funktionierens – von denen einige der Prüfung der Zeit standgehalten haben und einige verfallen sind, um später wieder entdeckt zu werden.

 

§         Schmerz und Trauma erzeugen Verdrängung.

 

§         Verdrängung resultiert in Symptomatologie.

 

§         Es gibt eine bedeutungsvolle Übereinstimmung zwischen psychologischen Ereignissen und physiologischen Symptomen.

 

§         Verdrängtes Material übt einen anhaltenden Einfluss aus, bis es durch Erinnerung und emotionale Katharsis freigesetzt wird.

 

In der Tat machte Freuds frühe Arbeit mit Breuer neuen Boden urbar, auf dem wir heute alle stehen, denn er schuf nicht nur die Grundlagen für die Psychoanalyse als besondere „Schule“ der Psychologie, sondern legte auch das Fundament für die Psychologie als Fachgebiet und Wissenschaft mit ihrer eigenen Exaktheit.

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Während Hypnose in Breuers Arbeit weiterhin eine zentrale Rolle spielte, verzichtete Freud bereits zu der Zeit, als die Studien über Hysterie tatsächlich veröffentlicht wurden, auf ihren Gebrauch. Aus mehreren Gründen war er mit Hypnose unzufrieden. Einer war, dass er herausfand, dass nicht alle Patienten hypnotisiert werden konnten; ein anderer, dass die hypnotische „Heilung“ der Symptome in der Regel nur temporär war; und noch ein anderer war, dass sie viele Typen unbewusster Inhalte nicht beeinflussen konnte. Nur solche, die „Ausdruck suchten“, so fand Freud, konnten unter Hypnose zum Vorschein gebracht werden.

Während seiner Arbeit mit Breuer entdeckte Freud, dass Patienten lange vergrabene Erinnerungen und Motive ohne die Hilfe der Hypnose  zurückrufen konnten. Er entwickelte dann eine Methode, die für uns heute so naheliegend ist wie sie zu Freuds Zeiten gänzlich neu war: Er machte den Patienten zum Zentrum der Untersuchung, indem er Fragen stellte, zuhörte und die aufgedeckten Inhalte dann zu organisieren und interpretieren versuchte.  Dieser neue Ansatz wurde als „freie Assoziationstechnik“ bekannt, und Freud war überzeugt, dass sie leistete, was Hypnose nicht schaffte: Sie erschloss unbewusste Inhalte, holte die „tieferen, primitiveren und phantasievolleren Komponenten der Psyche“ hervor, während der Patient im Wachzustand war. Freud kam zu der Überzeugung, dass die gleichen (oder besseren) Informationen ohne den ganzen Aufwand hypnotischer Prozeduren wieder aufgespürt werden konnten.

 

Freuds biologische Wurzeln: Der „Entwurf einer wissenschaftlichen Psychologie“

Unmittelbar nach der Fertigstellung der Studien über Hysterie mit Breuer 1895 unternahm Freud eines seiner ehrgeizigsten Projekte: die Formulierung einer „Psychologie für Neurologen.“ Freuds Entwurf einer wissenschaftlichen Psychologie, das drei Notizbücher umfasste (zwei davon enthielten über 100 Manuskript-Seiten), war wahrscheinlich die klarste Bekundung seines Wunsches, ein neurobiologisches Modell der Psyche zu etablieren. Zur Erklärung über Sinn und Zweck des Projekts schrieb Freud im Eingangskapitel:

 

Die Absicht ist, eine Psychologie einzurichten, die eine Naturwissenschaft sein soll: das heißt, die psychische Prozesse als quantitativ bestimmte Zustände spezifizierbarer Materie-Teilchen darstellt, und diese Prozesse somit verständlich und widerspruchsfrei macht. [2] [Kursivschrift hinzugefügt]

 

Der Inhalt des Entwurfs war ehrgeizig: Freud schlug drei separate Systeme neuronaler Aktivität vor, die für die unterschiedlichen Funktionen der Wahrnehmung, des Gedächtnisses und Bewusstseins verantwortlich sein sollten. Er schlug auch neurophysiologische Modelle für die „Ich-Funktionen vor (wie Kognition, Beurteilung, Erinnerung), für Schlaf- und Traumzustände und halluzinatorische und hysterische Zustände. Trotz dieser ziemlich beachtenswerten Leistungen scheiterte Freud auf dem Gebiet, an dem er am meisten interessiert war: die Entdeckung eines biologischen Verdrängungs-Modells. Er hatte nichts Geringeres zu erreichen versucht als „eine verständliche physiologische Erklärung …..der präzisen neurologischen und chemischen Details der Verdrängung.“ [3] Da er die Probleme der Abwehr und Verdrängung als „des Rätsels Kern“ sah, begründete seine Unfähigkeit, das Rätsel zu lösen, einen bedeutenden beruflichen Verlust.

In Briefen an seinen Freund Fleiss über die ersten zwei Notizbücher des Projekts  lamentierte Freud, dass das dritte, welches sich mit der ersehnten „mechanischen Erklärung der Neurose“ befasste, nicht „zusammenhänge.“ 1896 hatte Freud das gesamte Projekt aufgegeben. Dieses Scheitern war Auslöser eines entscheidenden Wendepunkts in seiner Karriere, an dem er die unerreichbaren biologischen Gesetze wehmütig zugunsten zugänglicherer und weniger strittiger psychologischer Konzeptionen aufgab. Er schrieb:

 

Von diesem Punkt an werde ich mir erlauben, die Frage nach der Auffindung einer mechanischen Repräsentation biologischer Regeln wie dieser unbeantwortet zu lassen…Vielleicht werde ich mich am Ende mit der klinischen Erklärung der Neurose begnügen müssen. [4]

 

Genau das tat Freud in der Folgezeit.

 

Freuds erstes Modell der Psyche: Ein zweigeteiltes System

Was Freud 1895 ursprünglich in der neuroanatomischen Sprache des Entwurfs beschrieben hatte, beschrieb er jetzt erneut mit psychologischen Begriffen in seiner historischen Traumdeutung von 1900. Hier präsentierte er seine vermutlich erste Formulierung der Struktur der Psyche, eine psychologische Beschreibung des „psychischen Apparats.“

Die unvermutete Entdeckung des Entwurfs warf den Schatten einer Kontroverse über die Traumdeutung, die immer als Freuds erstes Meisterstück betrachtet worden war. Im Lichte des Projekts glaubten einige Historiker, dass Freuds psychologische Neuformulierung in Die Traumdeutung  auf nichts anderes hinauslief als auf eine „zweckdienliche Dichtung, [die] den paradoxen Effekt hatte, diese [biologischen] Annahmen zu bewahren, indem sie deren ursprüngliche Natur verbarg und indem sie die Funktionen des Apparats auf einen begrifflichen Bereich übertrug, wo sie gegen Korrekturen durch Fortschritte in Neurophysiologie und Gehirnanatomie isoliert waren.“ [5]  In der Tat eine Art begrifflicher Schönheitsreparatur. Sullaway urteilt:

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Behielt Freud…..einfach altmodische neurologische Begriffe (z. B. „Kathexis“) bei, während er ihnen in Die Traumdeutung und nachfolgenden Werken eine neue und unabhängige psychoanalytische Bedeutung gab? Oder halten die veralteten neurologischen Konstrukte des neunzehnten Jahrhunderts, die im Entwurf so offensichtlich sind, noch immer das knarrende Gerüst der gegenwärtigen Psychoanalyse aufrecht, wie Robert Holt so nachdrücklich betont, und hat ihre kryptische Natur die Psychoanalyse gegen eine dringend benötigte Verjüngung innerhalb des fruchtbaren Feldes der Neurophysiologie isoliert, wo sie ihren Ursprung hatte? [6]

 

Wir können nicht in Erfahrung bringen, ob Freud, wie Holt meint, bewusst oder unbewusst beabsichtigte, seine Theorien mittels einer psychologischen Neuformulierung zu isolieren und zu beschützen. Es scheint wahrscheinlich, dass seine neue Terminologie ein legitimer Versuch gewesen sein könnte, die psychoanalytische Theorie trotz des Mangels an wissenschaftlicher Bestätigung aufrecht zu halten und Konzeptionen vorzuschlagen, die für das Verständnis der menschlichen Psyche klinisch nützlich sind. Wie Sulloway andeutet, ist in dieser Kontroverse nicht so sehr bemerkenswert, was Freud zu tun versäumt hat, sondern was seine Nachfolger beschlossenermaßen nicht getan haben. Das heißt, die psychoanalytische Theorie der modernen Zeit „innerhalb des fruchtbaren Felds der Neurophysiologie, wo sie ihren Ursprung hatte“ zu verjüngen.

 

Freuds erstes Modell psychischer Funktionen

Freud teilte die Psyche anfangs in das unbewusste System und das vorbewusste System ein. Inhalte im vorbewussten System, so theoretisierte er, konnten ziemlich leicht Eingang ins Bewusstsein finden. Man müsse ihnen nur genügend Aufmerksamkeit und Energie (Kathexis) geben, und sie würden ins bewusste Denken übergehen (das „Übertragungsphänomen“). Ein selten gekaufter Lebensmittel-Artikel, ein unwichtiger Telefonanruf, der Titel eines Buches und so fort könnten zeitweilig ins Vorbewusste abgleiten und in Vergessenheit geraten, könnten aber erinnert werden. Unbewusste Inhalte jedoch hatten niemals direkten Zugang zum Bewusstsein. Sie mussten zuerst das vorbewusste System passieren, das sie in eine Form modifizierte, die für bewusste Wahrnehmung geeignet war. Folglich:

 

Wir konnten die Traumbildung nur erklären, indem wir uns an die Hypothese wagten, dass es zwei physische Instanzen gebe, deren eine die Aktivität der anderen einer Kritik unterwarf, die ihren Ausschluss aus dem Bewusstsein involvierte. Die kritische Instanz, so schlossen wir, steht in engerer Beziehung zum Bewusstsein als die kritisierte Instanz: sie steht wie ein Schutzschirm zwischen letzterer und dem Bewusstsein. [7]

 

Hier sehen wir Freuds freien Gebrauch von Metaphern („sie steht wie ein Schutzschirm“), um Prozesse zu veranschaulichen, die er früher im Entwurf in Begriffen von Zell-Durchlässigkeit und –Undurchlässigkeit, von „Trägheitsmustern neuronaler Entladung“ und dem Phi-, Psi- und Omega-System der Neuronen beschrieben hatte. Man könnte sogar sagen, dass diese Neufomulierung mit ihrer „kritischen Instanz“ und ihrer „kritisierten Instanz“ die Unterbreitung und den Ausschluss von Informationen zwischen den beiden Ideen –Richtungen vermenschlicht. Das soll die Neuformulierung nicht abwerten, sondern nur deutlich machen, in welchem Grad sich Freud in eine andere Richtung gedreht hatte. [8]

Im Wesentlichen behauptet Freud, dass wir nichts direkt aus dem Unbewussten beziehen können. Alle unbewussten Wünsche, Impulse und Motivationen mussten zuerst zensiert und mittels einer „Passage“ durch den „Schutzschirm“ des Vorbewussten abgeändert werden. Dieser Abschirmprozess ließ sich am klarsten in der Traumaktivität beobachten. Man konnte den ursprünglichen unbewussten Inhalt ableiten – sagen wir, den Wunsch, die Mutter zu ermorden – und sehen, wie er aufgrund seiner Passage durch das Vorbewusste eine neue Gestalt erhielt: in dem manifesten Traum unternimmt der Träumer mehrere erfolglose Versuche, eine ‚verflixte’ Mücke zu töten. Und so fort.

Hier ist interessant anzumerken, dass Freud auch an diesem frühen Punkt die Mechanismen der Zensur und Verdrängung als nicht-pathologisch sah. Sie konnten durch den neurotischen Prozess pathologisch werden, aber sie spielten zuallererst eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung normaler psychischer Gesundheit – in der Tat so entscheidend, dass es zu Psychose führen würde, wenn sie versagten.

 

Freuds zweites Modell der Psyche: Ein dreigeteiltes System

1914 hatte Freud seine Ansicht über Verdrängung neu formuliert. Ursprünglich hatte er den Prozess so aufgefasst, dass er auf einfache und direkte Weise ablaufe: Das Ego war der Agent der Verdrängung, und das Unbewusste war der Empfänger des verdrängten Materials. Jetzt behauptete er, dass „eine spezielle psychische Instanz“ für Verdrängung verantwortlich war, die er Ego-Ideal nannte, so genannt, weil es die Ideale des Ichs enthielt und zu seinen Aufgaben Verdrängung, Moral, Gewissen, Zensur usw. gehörten. 1923 hatte Freud den Namen dieser neuen Instanz in Über-Ich geändert und etablierte somit sein berühmtes dreigeteiltes Modell der Psyche.

Kurz gesagt klassifizierte dieses Modell psychische Aktivität in Begriffen ihres Zugänglichlichkeitsgrades zum Bewusstsein (ob sie unbewusst, vorbewusst oder bewusst war) und in Begriffen ihrer Funktion: ob sie Bestandteil der Pflichten des Es, Ichs oder Über-Ichs war. Das Ich und Über-Ich konnten sowohl auf bewusster als auch unbewusster Ebene operieren, aber das Es blieb gänzlich unbewusst. Ich und Über-ich entstanden aus dem Es, das die Ursprungsmaterie der Psyche war und enthielt „den Kern des Unbewussten, die Quelle aller Leidenschaften und das biologisch Angeborene im Menschen.“ [9]

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Freuds letzte Diskussion seines Modells der Psyche fand in Abriss der Psychoanalyse (1938) statt. Hierin behielt er die entwicklungsfähige Position des Es bei und bekräftigte nochmals dieselben allgemeinen topographischen Einteilungen und Eigenschaften  psychischer Funktionen wie oben beschrieben.

Die drei psychischen Teile in Freuds Gliederung beschreiben oftmals die Interaktionen der drei Bewusstseinsebenen auf einer psychologischen Ebene. Das Freudsche Modell entspricht nicht den realen neurologischen Strukturen und Funktionen, die die Wissenschaft heute findet.

Nichtsdestotrotz gibt es  Aspekte des Freudschen Modells, die nicht allesamt einfach abgelegt werden können. Um fair zu sein – die Freudsche Formulierung beinhaltet in groben Zügen eine gewisse Übereinstimmung mit zu Grunde liegenden neurologischen Strukturen (wenngleich sie diese niemals spezifiziert). Die psychologischen Komponenten des Es, Ichs und Überichs werden als uns allen gemein betrachtet und müssen deshalb auf diesen physiologischen Eigenschaften beruhen, die wir als Mitglieder einer Spezies gemeinsam haben. Mit anderen Worten muss die physiologische Seite der Körper-Psyche-Dualität, deren Etablierung Freud sich anfangs als Ziel gesetzt hatte und die er dann aufgab, nichtsdestotrotz als Hintergrund seines Denkens geblieben sein. Die Tatsache allein, dass er die Verknüpfung nicht sehen konnte, bedeutet nicht, dass er nicht mehr an ihre Existenz glaubte. Wir sind uns sicher, dass Freud, hätte er die gleiche Erfahrung und das gleiche Wissen gehabt, das uns jetzt zur Verfügung steht, ohne großes Zögern das Es-Ich-Überich-Modell zugunsten einer Formulierung, die wechselweise sowohl von Psychologie als auch Neurologie benutzt werden konnte, aufgegeben (oder drastisch neu definiert) hätte. Schließlich hatte er sich aufgemacht, genau das zu entdecken, als er sein Entwurfs-Projekt unternahm.

Freud konnte das volle Unbewusste nicht „sehen“, also nannte er es „blind.“ Da er nicht erkannte, dass es durch Fühlen direkt erfahrbar war, entschied er, dass es „unerfahrbar“ sei.

 

Eine sexuelle Ätiologie der Neurose: Der Weg vom Trauma zum Instinkt

Zusätzlich zu seiner Arbeit über Die Traumdeutung  in den späten 1890er Jahren, formulierte Freud seine sexuelle Theorie der Neurose. Da Patient um Patient von sexuellen Verführungstraumen in früher und späterer Kindheit berichtet hatte, schloss Freud zuerst, dass diese Erfahrungen die Ursache der Erwachsenen-Neurose sei: die Erinnerung an das Trauma musste verdrängt werden, und so entwickelten sich verschiedene neurotische Abwehrmechanismen. Im Mai 1897 jedoch wechselte er zu einer Ansicht, die er als „großen Fortschritt der Einsicht“ bezeichnete, in der er jetzt vielmehr Impulse statt Erinnerungen als Ursache des Problems sah:

 

Die psychischen Strukturen, die bei Hysterie der Verdrängung unterliegen, sind eigentlich keine Erinnerungen….sondern Impulse, die von den Urszenen herrühren. [10]

 

Folglich sah Freud, was er ursprünglich als Resultat persönlicher traumatischer Erfahrung betrachtete, jetzt als Ergebnis universeller und angeborener Impulse.

Im Juni 1897 hatte er den Ödipuskomplex (Hass des Kindes auf das gleichgeschlechtliche Elternteil) begrifflich formuliert, und im Juli „betrachtete [er] die Psychoneurose in Begriffen eines dynamischen Teufelskreises libidinöser Impulse, die kontinuierlicher Verdrängung und Wiederbelebung unterliegen.“ [11] [Betonung zusätzlich]. Freud selbst schrieb:

 

Das Resultat (des Verdrängungs- und Wiederauflebensprozesses) sind all diese Erinnerungsverzerrungen und Phantasien entweder über die Vergangenheit oder Zukunft. Ich lerne die Regeln, die die Bildung dieser Strukturen bestimmen, und die Gründe, warum sie stärker sind als reale Erinnerungen, und habe somit Neues über die Eigenschaften der Prozesse im Unbewussten gelernt. Seite an Seite mit diesen Strukturen entstehen perverse Impulse, und die Verdrängung dieser Phantasien und Impulse… ruft neue Motive hervor, um an der Krankheit festzuhalten. [12] [Kursivschrift zusätzlich]

 

Im September 1897 hatte Freud seine grundlegenden Schriften an seinen Freund Fleiss über „das große Geheimnis, das mir in den letzten Monaten langsam dämmerte“ vervollständigt. Das große Geheimnis war die Erkenntnis, dass die Berichte seiner Patienten über frühe Verführungen in den meisten Fällen einfach nicht wahr waren. Das war für Freud kein leichtes Eingeständnis, zumal es die Gültigkeit der Psychoanalyse als eine Methode psychologischer Nachforschung ernsthaft in Frage stellte. Nach einigem inneren Aufruhr schloss Freud, dass die Allgemeinheit der Berichte an sich signifikant sei und dass sie sicher ein gewisses zugrundeliegendes Prinzip des menschlichen Verhaltens reflektiere.

Freud schickte sich jetzt an, dieses theoretische Dilemma zu lösen, indem er einfach ein solches Prinzip vorschlug: Berichte von Kindheits-Verführungs-Traumen repräsentierten in Wirklichkeit infantile Verführungswünsche. Diese Wünsche waren sekundäre Manifestationen (Ableitungen) von zugrundeliegenden (primären) instinktiven Impulsen. Mit anderen Worten, Babys und Kinder haben angeborene sexuelle Impulse, die auf ihre Eltern gerichtet sind.

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Diese biologischen Impulse rufen psychische Wünsche hervor, die aufgrund sozialer Sanktionen unterdrückt werden müssen. Der Wunsch kommt dann im Erwachsenenalter als Trauma-Bericht an die Oberfläche, weil das der einzige annehmbare Weg ist, um sie auszudrücken.

Was ist die Bedeutung von Freuds theoretischem Wechsel? Sie scheint zweigeteilt.

Zum einen rückte Freud, indem er die Rolle des Traumas bei Neurose minimierte, den Brennpunkt der Psychoanalyse von konkreter persönlicher Erfahrung ab und richtete ihn  auf unpersönliche, nicht wahrnehmbare Instinkte und Impulse. Einer von Freuds Biographen, Ernst Kris, behauptete, dass Freud mit dieser Revision „die Psychoanalyse in eine Psychologie der Instinkte umwandelte.“ Die Ironie besteht hier darin, dass Freuds Nachfolger, obwohl Instinkte eine legitime wissenschaftliche Auffassung darstellen, die Freudschen Instinkte wissenschaftlicher (neurobiologischer) Gültigkeit nicht näher gebracht haben, als sie zu Freuds Zeiten waren.

Der zweite signifikante Aspekt in diesem Wechsel ist die Gültigkeit und Bedeutung, die Freud inneren psychischen Prozessen zuordnete. Obgleich die Erinnerungen an Verführungstraumen im Sinne äußerer Ereignisse nicht stimmten, behauptete er, dass sie eine Art „Pseudoerinnerung“ repräsentieren, die an sich selbst ein signifikantes und bedeutungsvolles Faktum seien. Weiterhin setzte er voraus, dass verdrängte Phantasien und Wünsche (die sich als Pseudoerinnerung an das Trauma zeigten), dieselbe dauerhafte Wirkung auf die Persönlichkeit haben konnten wie die wirkliche Erfahrung. Dieser innovative Gesichtspunkt begründete wirklich eine neue Sicht der Realität. Unfassbare Wünsche, Emotionen und Fantasien – kurz gesagt die innere unsichtbare Welt des Menschen – sollte eine direkte Auswirkung auf uns haben, die ebenso stark war wie die Auswirkung der sichtbaren äußeren Welt.

 

Freuds Mechanismen der Pathologie

Drei weitere Auffassungen in Freuds Theorie über infantile Sexualität halten einer Diskussion stand. Nach 1900 schlug Freud drei „fundamentale Mechanismen pathologischer Entwicklung“ vor, welche die Vehikel der Erwachsenen-Neurosen waren: Fixierung, Regression und die Beharrlichkeit früher Eindrücke. Er bezog alle drei Konzeptionen von den biologischen Wissenschaften und interpretierte sie neu in einem psychologischen Zusammenhang.

 

Fixierung

Wie wir wissen, glaubte Freud zu dieser Zeit stark an kindliche Sexualität. Die Frage war nicht, ob man eine bestimmte Art früher sexueller Erfahrung gehabt hatte oder nicht, sondern was die Konsequenzen dieser Erfahrungen gewesen waren. Wenn die Konsequenzen schmerzlich waren oder Strafe nach sich zogen, würde es wahrscheinlich zu einer „pathologischen Fixierung der Libido“ kommen, die das Kind geradewegs auf die Straße zur Erwachsenen-Neurose brachte.

Freud sah Fixierung im psychologischen Sinn als Fortdauer eines unbewussten Wunsches, der auf einer früheren Entwicklungsstufe dominant war. Ein einfaches Beispiel wäre der Erwachsene, der von zwanghaftem Überessen geplagt wird:  mit psychoanalytischen Begriffen würde er als auf die orale Entwicklungsstufe fixiert beschrieben werden. Freud betonte anfangs die Auswirkung sexueller Erlebnisse, die Fixierung erzeugten. 1905 jedoch hatte sich sein Denken in eine neue Richtung gewendet, die jetzt Vererbung (anstatt der wirklichen sexuellen Erfahrung) als den kritischen Faktor festsetzte, der das Ergebnis der Fixierung bestimmte:

 

Er (Freud) erkannte, dass libidinöse Fixierungen drei mögliche Konsequenzen hatten – Neurose, Normalität oder Perversion – wobei das besondere Ergebnis weitgehend der Vererbung zuzuschreiben war – das heißt, der Frage, ob es eine organische Disposition zur Verdrängung der Fixierung gab. [13]

 

Theoretisch konnte eine Person mit den richtigen Genen ein sexuelles Trauma in der frühen oder späteren Kindheit durchmachen und „normal“ aus ihm herauskommen. Die Hauptvariable (wenn nicht die einzige) beim Problem der infantilen Sexualität war somit die Vererbung. Sexuelle Erfahrungen geschahen zwangsläufig; Fixationen geschahen zwangsläufig; aber Neurose würde nur resultieren, wenn eine unglückliche „organische Disposition zur Verdrängung der Fixierung“ bestand.

 

Regression

In Freuds Auffassung der Regression rückte er mit seinem Denken zugunsten hypothetischer Kräfte wieder von tatsächlichem Erleben ab. Laut Freud wird die Regression, die beim „schweren Neurotiker“ stattfindet, vom „angeborenen Erbfaktor“ geregelt. Dieser Faktor war selbst eine Konvergenz dreier verschiedener Schichten der Erfahrung – die sich auf Familie, Vorfahren und auf die Spezies bezogen – die entweder angeboren oder vererbt waren. [14] Obgleich die Bedeutung persönlicher Lebenserfahrung in dieser Formulierung wieder auf ein Mindestmaß zurückgeführt wurde, stellt Freud ihren Wert mit seiner dritten Konzeption wieder her.

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Die Beharrlichkeit früher Eindrücke

In der dritten Formulierung dieser Zeitperiode verkündete Freud „die Beharrlichkeit früher Eindrücke“  als einen weiteren entscheidenden Faktor in seiner Kindheits-Ätiologie der Neurose. Da er das Prinzip als „provisorische psychologische Konzeption“ auffasste, bot er eine biologische Analogie aus Experimenten an Embryonen an, um seine Person zu rechtfertigen: Wenn man eine Nadel in embryonale Zellmasse steckt, resultiert daraus viel ernsterer Schaden, wenn es während der frühen Wachstumsphasen geschieht. Die psychologische Konsequenz war, dass die Auswirkungen eines Traumas umso schwerer und dauerhafter waren, je früher es geschah.

Freud glaubte, dass frühe Erfahrungen insofern wichtig waren, als sie die libidinöse Entwicklung beeinflussten und relativ geringfügige Erlebnisse in der Neurose des Erwachsenen resultieren konnten. Sulloway erklärt, dass Freuds „Glaube an den Vorrang früher Erfahrung…. Freud erlaubte, die Neurosen Erwachsener relativ kleinen Störungen in der libidinösen Entwicklung der Kindheit zuzuschreiben.“ [15] Folglich blieb Instinkt (libidinöse Entwicklung) der Mittelpunkt auch dieses Prinzips; es diente dazu, die Rolle des Traumas und der Erfahrung in der Erzeugung von Erwachsenen-Neurosen weiter zu minimieren, indem es sie auf „relativ kleine Störungen“ reduzierte.

 

Ein theoretischer Kompromiss: Trauma plus Instinkt

Bisher haben wir Freuds ätiologische Theorie der Neurose in zwei Phasen. In der ersten wurde das Kindheits-Sexualtrauma betont (die Verführungstheorie) und in der zweiten wurden instinktive Triebe betont (die Libido-Theorie). Sulloway zeigt auf, dass in dieser zweiten Phase „ Neurose als das verdrängte ‚Negativ’ einer Phase der Perversion interpretiert wurde.“ [16] Freud beließ es jedoch nicht dabei.

Die Veröffentlichung von Jenseits des Lustprinzips etablierte die dritte und letzte Phase von Freuds Theorie, in der er seine Betonung des Kindheitstraumas als eine Ursache der Neurose erneuerte. Im Grunde verschmolz Freud seine ersten zwei Gedankenstufen zu der Erkenntnis, dass beide Faktoren – Kindheitstrauma und verdrängte Instinkte – als Instrumente der Neurose funktionierten:

 

Fortan erfuhren Traumen, die unabhängig von verdrängten Perversionen wirkten, wachsende Anerkennung als bedeutende Ursachen neurotischer Symptome….(Freud) erweiterte nachher die Rolle des Kindheits-Traumas dahingehend, dass sie eine regelrechte Serie von Entwicklungsstörungen oder „Bedrohungen“ der Libido beinhaltete: Geburt, Verlust der Mutter als Ernährungsobjekt, Verlust des Penis, Verlust der Mutterliebe und Verlust der Liebe des Überichs. [17]

 

Sulloway legt dar, dass diese Periode der Arbeit Freuds auch seine erneute Anstrengung reflektierte, die zwei Wissenschaftsfelder zusammenzubringen, die seiner Ansicht nach schließlich in einer vereinten Theorie über menschliches Verhalten resultieren würden:

 

Von allen Arbeiten Freuds bietet Jenseits des Lustprinzips vielleicht die engsten begrifflichen Verbindungen mit dem unveröffentlichten Entwurf einer wissenschaftlichen Psychologie, der ein Vierteljahrhundert früher abgefasst wurde. Was auffällt, ist die kühne und frei spekulative Tonart beider Werke und ebenso ihr gemeinsames Leitprinzip – der Versuch, Psychologie mit Biologie zu vereinen, um die fundamentalsten Fragen über menschliches Verhalten zu lösen. Bilogie war in der Tat, wie er in seinem späteren Werk nochmals versicherte, „ein Land der unbegrenzen Möglichkeiten.“ [18]

 

Es gibt jedoch wichtige begriffliche Unterschiede zwischen Freuds Entwurf und seinem Jenseits des Lustprinzips Unterschiede – Unterschiede, die zum Teil für die nicht-biologische Richtung verantwortlich sein könnten, die die Psychoanalyse letztlich als Theorie und Therapie einschlug. Konzeptionen im Projekt gründeten auf „unmittelbar-kausalem Reduktionismus“, wobei die Mechanismen der Psychophysik und Neurophysiologie benutzt wurden, um menschliches Verhalten zu erklären. In Jenseits des Lustprinzips  wechselte Freud seinen Standpunkt zu einem „ultimativ-kausalem Reduktionismus“, in dem historische und evolutionäre Faktoren in den Vordergrund traten. Sulloway urteilt:

 

In vielerlei Hinsicht ist Jenseits des Lustprinzips der Höhepunkt von Freuds biogenetischer Dichtung über menschliche Psychosexualität, eine Dichtung, die zum ersten Mal etwa zwanzig Jahre früher im Kielwasser seines problematischen Entwurfs einer wissenschaftlichen Psychologie gepflegt wurde. Es ist Historizismus, nicht Mechanismus oder Psychophysik, der die innovative Logik von Jenseits des Lustprinzips durchdringt. Es ist auch Historizismus und nicht Mechanismus, der Freud befähigte, seine biogenetische Dichtung von den ersten Ursprüngen des Lebens selbst über die evolutionäre Odyssee des Urmenschen schließlich auf die konfliktbeladenen Probleme des Psycho-Menschen der heutigen Zeit zu erweitern. [19]

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Eine primärtheoretische Bewertung

Sulloway stellt heraus, dass vielmehr Historizismus als psychophysiologische Mechanismen Freuds spätere Formulierungen charakterisieren. In diesen Formulierungen sehen wir, dass Freud sich mehr für Hypothesen als für Realität, mehr für „biogenetische Romantik“ und „evolutionäre Odysseen“ als für gegenwärtige persönliche menschliche Erfahrung entscheidet. Freud wurde mehr zu einem Philosophen als zu einem empirischen Forscher und zog ontologisches Grübeln den einst geschätzten

biologischen Mechanismen vor. Auch nachdem er das Trauma allmählich wieder in eine Position setzte, die diesem große Bedeutung in der Ätiologie der Neurose einräumte, blieb die unter Betracht stehende Person dennoch von ziemlich monumentalen Gesetzen der Phylogenese überschattet. Die individuelle Erfahrung nahm beim Spiel der Mysterien, die der Spezies innewohnten, auf den hinteren Reihen Platz.

Natürlich ist die Phylogenese Teil des dynamischen Hintergrunds der individuellen Erfahrung. Nichtsdestotrotz hat jede Person wirklich ein eigenes Leben mit einer dafür spezifischen Evolution. Wenn wir gegen die Gebote der Phylogenese ankämpfen müssen, dann wissen wir, dass unsere Sache aussichtslos ist – und Kompromiss die einzige Lösung. Psychoanalyse lehrt uns die Unvermeidlichkeit dieses Kompromisses und hilft uns, ihn zu unterstützen. Es lehrt uns, das reale Selbst als bedrohlich zu fürchten, denn angesichts all seiner angeborenen perversen Impulse besteht unsere einzige Zuflucht darin, an Kontrolle und Sublimierung zu arbeiten. Aber paradoxerweise ist es in Wirklichkeit die Kontrolle (Verdrängung) des realen Selbst, die zu Perversion geführt hat, und es ist die Zulassung (Erfahrung) des realen Selbst, die Sublimierung irrelevant macht.

Zweifelsohne gibt es gewisse mächtige, einflussreiche Kräfte aus der verborgenen Welt der Phylogenese, die uns unbekannt sind. Das ist jedoch kein Grund, diejenigen, die wir finden, zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu machen und ihnen die bekannten Realitäten der individuellen Erfahrung unterzuordnen. Wir können uns viel leichter auf unsere realen Erlebnisse, realen Erinnerungen und realen Gefühle beziehen als auf universelle Geheimnisse, von denen wir nur ein winziger Teil sind. Es ist sicher schwer zu verstehen, wie wir uns von diesen realen Erlebnissen erholen sollen, wenn wir versuchen, sie im Licht hypothetischer universeller Prinzipien zu sehen.

Mit der Libido-Theorie stellte Freud die berichteten persönlichen Erfahrungen, auf denen seine Verführungstheorie basierte, in Abrede, um für das genaue Gegenteil einzutreten. Nicht nur, dass seine Patienten durch den elterlichen sexuellen Missbrauch, über den sie berichtet hatten, nicht traumatisiert worden seien –  schlimmer noch:  Freud behauptete jetzt, dass sie sich als Kinder in Wirklichkeit danach gesehnt hätten. Dieses Verlangen nahm die Form eines unbewussten Wunsches an, der selbst das Derivat eines biologischen Urimpulses nach sexueller Vereinigung mit dem Elternteil war.

Es ist lediglich denkbar, dass ein Kind sich die sexuelle Vereinigung mit einem Elternteil wünscht – oder zumindest den Anschein erweckt – aber es ist kein angeborener instinktiver Impuls, wie Freud uns das gerne glauben machen würde. Ein Kind braucht bestimmt keine sexuelle Vereinigung. Wenn es überhaupt geschieht, dann deshalb, weil das Kind irgendwie fühlt, dass Sex die einzige Möglichkeit ist, um den Kontakt und die Liebe zu bekommen, die es wirklich braucht. Natürlich würde das Kind die natürliche Form von Aufmerksamkeit bevorzugen, aber ein verzweifeltes Kind nimmt, was angeboten wird. Trotz des äußeren Scheins ist es jedoch nicht der Sex, den  das Kind will, sondern der Körperkontakt. Das Bedürfnis des Kindes könnte sexuell scheinen, weil das oft die einzige Art ist, wie Eltern (und andere Erwachsene) sinnliche Bedürfnisse betrachten können. Die Sexualisierung eines Kindheitsbedürfnisses geht nicht vom Kind aus sondern vom Erwachsenen. Schließlich kann Sexualität nur von dem- oder derjenigen kommen, die mit Sexualität ausgestattet ist.

Es ist klar, dass Freud das Thema der Kindheitssexualität aus einer umgekehrten Position sah. Zu oft wollen Eltern sexuellen Kontakt mit ihren Kindern, auch wenn unter diesem Wunsch die eigenen vernachlässigten Primärbedürfnisse der Eltern liegen.

Der Neurotiker bekommt viele seiner Primärbedürfnisse durch Sex „erfüllt“, weil Sex die Befriedigung aller Sinne bietet. Deshalb birgt er große symbolische Möglichkeiten, die vergangene Vernachlässigung dieser Sinne zu korrigieren. Hinzu kommt, dass neurotische Eltern ausnahmslos von ihren Kindern all das wünschen, was ihnen in ihrer eigenen Kindheit versagt wurde –Zuneigung, Stimulierung, Unterstützung, Aufmerksamkeit usw. Wenn sich diese zwei Faktoren verbinden, agiert das Elternteil wahrscheinlich seine Primärbedürfnisse durch sexuellen Kontakt mit seinem Kind aus. Das kann das Kind zu dem unbewussten Schluss führen: „Wenn ich will, dass Papi mich liebt, muss ich Papi geben, was er will.“ Dieser Gedanke verkürzt sich dann auf: „Ich will, was Papi will“, was letztlich zu „Ich will Papi“ wird – was dann völlig falsch als sexuelles Verlangen verstanden wird. Der natürliche Wunsch nach Körperkontakt kam vom Kind;  Sex kam vom Elternteil;

Wie konnte sich diese irreführende Auffassung über Kindheitssexualität festsetzen? Wenn Kinder sexuell wären, dann müssten sie in der Tat ihre Instinkte aufgrund der schädlichen Möglichkeit von Inzest hemmen. Aber Kinder sind nicht sexuell; sie sind sinnlich. Wen Sinnlichkeit als Sexualität missverstanden wird, dann wird sie den Tabus unterworfen, die für Sexualität und Inzest angemessen sind. Mit anderen Worten entscheidet man sich zusätzlich für die Notwendigkeit, Sexualität zwischen Familienmitgliedern zu verhindern, um ebenso die Unterdrückung der Sinnlichkeit zu unterstützen.

Infantile Sexualität wird zu einer gefährlichen Konzeption, wenn sie klinisch angewandt und als eine Ursache für Neurose und Schmerz des Erwachsenen verkündet wird. Sie ist gefährlich, weil sie impliziert, dass das Opfer – das Kind – sein eigener Täter ist. Dem neurotischen Erwachsenen bleibt nichts anderes als seine oder ihre eigenen kindlichen inzestuösen Wünsche, um seine Agonie und Erschöpfung zu erklären. Schlimmer noch – die Auffassung an sich ist verführerisch. Es ist eine Erwachsenen-Auffassung, die fälschlich die Erwachsenen entlastet, die sie vertreten. Sie pervertiert die Realität des neurotischen Kindes, indem sie die Deprivation ignoriert, die der bloßen Schaffung der Neurose eigen ist.

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Wenn es die sexuellen Wünsche des Kindes sind, die es letztlich krank machen, und wenn es das kulturelle Tabu auf Inzest ist, das für solche hysterische Ängste verantwortlich ist, dann müssen sich Eltern keine Fragen über seine oder ihre Rolle stellen. Der Schuldige ist wieder eine amorphe, unpersönliche und unveränderliche Kraft: die Tabus der Gesellschaft. Die Implikation lautet, dass dieser Konflikt unvermeidlich ist. Alle Kinder werden sich wünschen, Sex mit ihren Eltern zu haben; der Wunsch wird immer strikt verboten werden; somit müssen alle Kinder lernen, angesichts des Tabus bestmöglich mit ihren Wünschen zurecht zu kommen. Diejenigen, die diese Aufgabe bewältigen, werden gesund sein; diejenigen, die es nicht schaffen, werden neurotisch sein.

Hier ist Freud weit von den schlimmen Lebensrealitäten des neurotischen Kindes entfernt. Das Kind fürchtet kein abstraktes Tabu, es befürchtet, von seinen Eltern auf konkrete Weise verletzt zu werden. Es hat Angst, misshandelt, vernachlässigt, manipuliert, ignoriert, erniedrigt, kontrolliert, unter Druck gesetzt, vergewaltigt zu werden. Es hat jedes Mal Angst, wenn seine Bedürfnisse abgewiesen, übersehen oder abgewertet werden. Es fürchtet, nicht ernst genommen zu werden; es fürchtet, keine Macht darüber zu haben, wie es seinen Tag verbringt, was es ißt, wie es spricht, was es fühlt.

Um jemanden von Neurose zu heilen, muss die innere Realität des Patienten auf einer bestimmten Ebene als wahr akzeptiert werden.

Wenn die Kindheitsentführungen auf physischer Ebene nicht stattfanden (allzu oft ereignen sie sich wirklich), dann geschehen sie auf emotionaler Ebene. Der Erwachsene mit Erinnerungen an Kindheitsentführung wurde entführt. Als Kind wurde er oder sie wiederholt verleitet, die Bedürfnisse und Erwartungen der Eltern zu erfüllen, anstatt frei er oder sie selbst zu sein. Es wurde wiederholt dazu verführt, auf eine Art und Weise zu handeln, reden, gehen, denken oder sich zu benehmen, die die Eltern beschwichtigte oder zufrieden stellte. Dies Art verdeckter Verführung ist vielleicht noch schädlicher als „reale“ Verführung, weil sie so heimtückisch ist. Unter dem Deckmantel elterlicher Autorität und Gehorsamkeit entwickelt das Kind „aus keinem offensichtlichen Grund“ neurotische Ängste und Probleme. Das Kind fühlt, dass es verletzt ist, aber man sagt ihm, dass es das nun mal heißt, ein guter Junge zu sein. Das Kind hat keine andere Wahl als zu glauben, dass alle seine Ängste grundlos seien – weil der Grund nicht zugegeben wird. Die meisten Eltern sind schuldig, ihren Kindern ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse aufzuerlegen oder sie wiederholt so zu manipulieren, dass sie sind, was sie selbst nie waren und tun, was sie selbst nie getan haben. Wenn Freuds Konzeption der unbewussten Wünsche tatsächlich in Erscheinung tritt, dann auf Seite der Eltern, nicht auf der des Kindes. Es sind die unbewussten Wünsche der Eltern selbst, die das Kind aufgreift und die später zur Entwicklung der Neurose beitragen.

Die Bedeutung und Verzweigungen von Freuds Abrücken vom realen Lebenstrauma der Verführungstheorie hin zu den hypothetischen Wünschen der Libidotheorie sind weitreichend. Eine faszinierende und kontroverse Einsicht in die möglichen verborgenen Motivationen für Freuds theoretischen Wandel bietet Jeffrey M. Massons Buch The Assault on Truth: Freud’s Suppression of the Seduction Theory (1984). [Der Angriff auf die Wahrheit: Freuds Abschaffung der Verführungstheorie] Masson argumentiert überzeugend, dass Freud die Verführungstheorie wegen eines fehlgeleiteten Wunsches aufgab, sich selbst und seinen Freund Fleiss zu schützen. Offensichtlich hatte Fleiss eine Operation an einer von Freuds Patientinnen, Emma Eckstein, verpfuscht. Die Operation wurde aufgrund Fleiss’s dubioser und bizarrer Theorie vorgenommen, dass sexuelle Probleme durch Nasal-Chirurgie geheilt werden könnten. Als Ergebnis der Operation litt Eckstein unter massiven Blutungen, während derer sie beinahe gestorben wäre.

In einem Artikel im Atlantic Monthly vom Februar 1984, der Auszüge aus seinem Buch brachte, schreibt Masson:

 

Freud hatte die Möglichkeit, [seinen und Fleiss’s Fehler] zu erkennen, ihn Emma Eckstein einzugestehen, Fleiss mit der Wahrheit zu konfrontieren und den Konsequenzen ins Auge zu sehen. Oder er konnte Fleiss schützen, indem er entschuldigte, was passiert war. Aber um das zustande zu bringen, um das äußere Trauma der Operation auszulöschen, würde es sich als notwendig erweisen, eine Theorie zu konstruieren, die auf hysterischen Fantasien basierte, eine Theorie, nach der die äußeren Traumen, die ein Patient erlitt, niemals geschahen und Erfindungen waren. Wenn Emma Ecksteins Probleme (ihre Blutungen) nichts mit der realen Welt (Fleiss’s Operation) zu tun hatten, dann könnten ihre früheren Berichte über Verführung sehr wohl Phantasien gewesen sein.

 

Wie Masson darlegt konnte Freud, nachdem er einmal beschlossen hatte, dass Ecksteins Blutungen hysterische Symptome und das Resultat sexueller Phantasien waren, ungehindert seine ursprüngliche Verführungstheorie aufgeben. Masson verfolgt Freuds Kampf mit dem Problem des realen versus des fantasierten Traumas und bemerkt, dass Freud 1897 zu erkennen begann, dass Kinder aggressive Impulse gegen ihre Eltern haben. Wenn natürlich Verführungen tatsächlich stattgefunden hatten, sagt Masson, dann waren diese Impulse natürliche und gerechte Reaktionen auf unerträgliche Verletzungen. Aber als Freud einmal überzeugt war, dass die Verführungen nur Fantasien waren – dass die Eltern unschuldig waren – traten in Freuds Theorien die Impulse vor der Verführung an erste Stelle.

 

Eine Handlung wurde durch einen Impuls ersetzt, eine Tat durch eine Phantasie. Diese neue „Realität“ sollte für Freud so wichtig werden, dass die Impulse von Eltern gegen ihre Kinder vergessen waren und in seinen Schriften nie wieder Bedeutung erlangen sollten. Es waren nicht nur die aggressiven Handlungen der Eltern, die dem Fantasieleben des Kindes zugeschrieben wurden; jetzt gehörten auch aggressive Impulse zum Kind und nicht zum Erwachsenen.

 

Es war keine Überrraschung, dass Jeffrey Massons Wiedereinsetzung der Verführungstheorie auf Widerstand  aus der psychoanalytischen Gemeinschaft traf. Er zitiert einen Brief von Anna Freud, mit der er offenbar eine Reihe von Meinungsverschiedenheiten über seine Enthüllungen hatte. Anna Freud schrieb:

 

Die Verführungstheorie aufrecht zu erhalten, würde bedeuten, den Ödipuskomplex aufzugeben und mit ihm die gesamte Bedeutung des Phantasielebens, bewusster oder unbewusster Phantasie. Ich glaube, es würde in der Tat danach keine Psychoanalyse mehr geben.

 

Wie Masson darlegt, ist dies ein entscheidender Punkt, da die meisten Therapien „offen oder implizit auf Freudscher Theorie basieren.“

Masson denkt nicht, dass Freud eine bewusste kaltblütige Entscheidung traf, seine früheren Erfahrungen zu ignorieren. Nichtsdestotrotz, so glaubt er, hatte Freud, als er so verfuhr, die wichtige Wahrheit vergessen, „dass sexuelle, physische und emotionale Gewalt ein realer und tragischer Lebens-Bestandteil vieler Kinder ist.“

 

Wenn diese ätiologische Formulierung stimmt und wenn es des Weiteren stimmt, dass solche Ereignisse den Kern jeder schweren Neurose bilden, dann ist es unmöglich, zu einer erfolgreichen Heilung der Neurose zu gelangen, wenn diese zentralen Ereignisse ignoriert werden.

 

Masson sagt weiterhin, dass jeder Analytiker, der aus Erinnerungen Phantasien macht, „dem Innenleben seiner Patienten Gewalt antut und in geheimem Einverständnis mit dem steht, was sie oder ihn zuerst einmal krank gemacht hatte.“ Erfolg im Sinne einer solchen Behandlung wird nach der Fähigkeit der Patienten bemessen, ihre Erinnerungen und ihr Wissen über die Vergangenheit zu verdrängen und zu glauben, dass die Emotionen, die sie überwältigen, fehl am Platz seien. Das bedeutet die Verleugnung des Selbst und die Verleugnung der Realität, was das Ende der Unabhängigkeit der Patienten beschreibt, zumal ihre Gesundheit an die Auffassung gebunden ist, die der Analytiker von ihnen hat. Masson sieht sich verleitet, die Psychoanalyse zu verdammen, weil  „das „Stillschweigen, das einem Kind von der Person abverlangt wird, die es verletzt hat, gerade durch die Person fortgesetzt und verstärkt wird,  bei der es später um Hilfe ersucht.“

Masson schreibt:

 

Freies und aufrichtiges Wiederfinden schmerzvoller Erinnerungen kann im Angesicht von Skeptizismus und Wahrheitsfurcht nicht stattfinden. Wenn der Analytiker vor der realen Geschichte seiner eigenen Wissenschaft zurückschreckt, wird er nie fähig sein, der Vergangenheit irgendeines Patienten gegenüberzutreten.

 

Es ist denkbar, dass man diese Auffassung dahin erweitern könnte, dass sie ebenso wie die Angst des Analytikers vor seiner Wissenschaft seine Vergangenheit einschließt. In der Tat kann es das Bedürfnis des Analytikers sein, seinen eigenen Schmerz zu verleugnen, das ihn davon abhält, die trauma-volle Vergangenheit seiner Patienten zuzulassen.

In Freuds Verführungstheorie ist der sexuelle Übergriff immer das zentrale Ereignis in der Ätiologie der Neurose. Heute wird in vielen Psychotherapie-Schulen anerkannt, dass sexuelle Übergriffe, obgleich sie häufig geschehen und einen verheerenden Einfluss ausüben, nicht die einzige Ursache einer schwächenden Neurose sind. Jede ernsthafte Deprivation, Vernachlässigung oder jeder Missbrauch basaler Bedürfnisse in der Kindheit ist ein Trauma, das zu Neurose im Erwachsenenalter führt. Nichtsdestotrotz findet sich der Widerhall der Resultate von Freuds fehlgeleiteter Theorie seit Jahren in der Psychologie. Wie Masson in The Atlantic Monthly schreibt:

 

Indem er den Schwerpunkt von einer wirklichen Welt der Traurigkeit, des Elends und der Grausamkeit auf eine innere Bühne verlagerte, auf der Schauspieler erfundene Dramen für ein unsichtbares Publikum  ihrer eigenen Kreation aufführten, begann Freud einen Trend weg von der realen Welt, der, so scheint mir, die Wurzel der gegenwärtigen Sterilität der Psychoanalyse und Psychiatrie überall auf der Welt darstellt.

 

Massons Werk bekräftigt unsere Überzeugung, dass die Psychoanalyse scheiterte, weil sie Neurose auf die falschen Ursachen zurückführte. Tatsächlich schrieb sie sie Ursachen zu, die nicht existieren. Das war ein Fehler, der dazu beitrug, die Psychotherapie auf einen irrigen Kurs zu bringen – auf einen Kurs, der von einem dialektischen Ansatz zur Neurose wegführte. Als nachfolgende Theoretiker ihren Brennpunkt und ihre Methoden ablehnten, begruben sie Freuds wichtige Auffassungen. Anstatt zurückzukehren und ausfindig zu machen, wo die Psychoanalyse aus der Spur geriet, schlossen sie die Tür hinter sich und kehrten nicht nur der Vergangenheit ihrer Wissenschaft sondern ebenso der Vergangenheit ihrer Patienten den Rücken.

Als er die Verführungstheorie aufgab, sorgte Freud für das Scheitern seiner Behandlungsmethode, indem er seinen Kritikern eine Berechtigung aushändigte, die Psychoanalyse abzulehnen. Heute sind moderne Freudianer zur Gegenwart übergewechselt, indem sie die „Ego-Psychologie“ aufgenommen haben, einen Ansatz, der sich auf gegenwärtige Anpassungen des Patienten konzentriert, und haben somit einen stetigen Marsch in nicht-dynamische Hier-und-Jetzt-Theorien und-Methoden begonnen, die das Unbewusste außer Acht ließen und davon abkamen, sich mit den generierenden Ursachen der Neurose zu befassen.

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Quellenangaben und Anmerkungen [1] – [19] Siehe: GRAND DELUSIONS

 

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Übersetzung: Ferdinand Wagner

 

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