Artikel u. Buchausz. |
BUCHAUSZUG |
Artikel u. Buchausz. | ||||||||||||||||
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Dr.
Arthur Janov GROSSE ILLUSIONEN Veröffentlicht
im Juni 2005 auf primaltherapy.com
„Freud wurde mehr zu einem Philosophen als zu einem empirischen
Forscher und zog ontologisches Grübeln den einst geschätzten
biologischen Mechanismen vor. Auch nachdem er das Trauma allmählich
wieder in eine Position setzte, die diesem große Bedeutung in der Ätiologie
der Neurose einräumte, blieb die unter Betracht stehende
Person dennoch
von ziemlich monumentalen Gesetzen der Phylogenese überschattet. Die
individuelle Erfahrung nahm beim Spiel der Mysterien, die der Spezies
innewohnten, auf den hinteren Reihen Platz.“
Arthur
Janov
Einführung zu den Kapiteln über
Psychoanalyse
Da
die Theorie Freuds und die Primärtheorie eine Anzahl von Formulierungen
gemeinsam zu haben scheinen, glauben einige, die Primärtheorie habe sich
direkt aus der Freudschen Theorie entwickelt. Aus einer historischen
Perspektive ist die Primärtheorie zweifelsohne die logische Erweiterung
von Freuds Standpunkt zu vielen Themen. Die Primärtheorie erwuchs jedoch
nicht aus der theoretischen Durchforschung der Freudschen Literatur, noch
ist Primärtherapie eine psycho-emotive Neuausgabe der Psychoanalyse. Primärtherapie
entstand aus einer Entdeckung, die zuerst wie das persönliche Erlebnis
einer einzelnen Person schien, die sich dann aber als eine usprüngliche
(primäre) Erfahrung herausstellte, die potentiell für die meisten
Menschen verfügbar ist. Das
soll nicht heißen, dass das Freudsche Gedankengut apperzeptiv keinen
Einfluss hatte. Ganz im Gegenteil: Die Entwicklung und wissenschafliche
Validierung der Primärtherapie ist in vielerlei Hinsicht ein Tribut an
Freuds bahnbrechende Auffassungen über die biologische Basis der Abwehr,
Verdrängung und Neurose. Diese Konzeptionen zeigen, dass Freud vor mehr
als achtzig Jahren der Psychobiologie des Fühlens „auf der Spur“ war
– eine Spur, die durch das Fehlen wissenschaftlicher Beweise, den
primitiven Status der Neurologie und Neurochemie und berufliche Zwänge plötzlich
endete. Tatsächlich war Freud der Wissenschaft seiner Zeit voraus. Es ist
nicht unvernünftig, darüber zu spekulieren, dass Freud, hätte er damals
das Wissen und die Technologie zur Verfügung gehabt, die wir in dieser
unserer Ära haben, zur Kern-Konzeption der Primärtheorie und –therapie
gelangt wäre: die dauerhafte neurologische Einprägung von frühem
Schmerz und dessen Freisetzung durch Fühlen.
____________________
KAPITEL 7 DIE EVOLUTION DER THEORIE FREUDS:DIE ZURÜCKFÜHRUNG DER NEUROSE AUF NICHT-EXISTENTE URSACHEN Die frühen Jahre
Freuds
erste Ahnung von der Natur psychischer Prozesse kam als Ergebnis seiner
Arbeit mit dem Wiener Arzt Joseph Breuer zustande. Zu dem Zeitpunkt, als
Freud 1982 seine Zusammenarbeit mit Breuer begann, hatte Breuer bereits
entdeckt, dass sich hysterische PatientInnen unter Hypnose an Erlebnisse
erinnern konnnten, an die sie sich im Wachzustand nicht erinnern konnten.
Der berühmte Fall der Anna O. faszinierte Freud, und er diskutierte ihn
„wieder und wieder“ mit Breuer.
Anna
hatte nach dem Tod ihres Vaters eine beunruhigende Reihe
hysterischer Symptome entwickelt. Ihre Sprache,
ihr Sehvermögen und ihre Gliedmaßen waren schwer beeinträchtigt.
Unter Hypnose erinnerte sich Anna an die traumatische Szene mit ihrem
Vater, in der sie an seinem Bett saß, als er im Sterben lag. Es stellte
sich heraus, dass es unerwartete Korrelationen zwischen den Details dieser
Szene und der genauen Stelle und Natur ihrer hysterischen Symptome gab. Zu
Breuers Überraschung ließen Annas Symptome mit wiederholter Erinnerung
ihrer traumatischen Erlebnisse unter Hypnose nach, die Anna selbst mit dem
Spitznamen " talking cure" („Redekur“ oder
"Gesprächskur")
bedachte.
Das
theoretische Ergebnis dieser Arbeit mit Anna O. (und mit anderen
hysterischen Patienten) war die Formulierung einer „Trauma-Theorie der
Hysterie“, die die Rolle des Unbewussten bei der Bildung neurotischer
Symptome beschrieb. Als Gemeinschaftswerk von Freud und Breuer markierte
die Veröffentlichung der Studien über Hysterie den historischen
Beginn der Psychoanalyse. In diesem Werk beobachteten Freud und Breuer
mehrere wichtige Faktoren:
(1)
Eine Erfahrung konnte gegen bewusste Erinnerung abgeriegelt werden,
wenn sie ausreichend schmerzhaft war.
(2)
Sie konnte dann unter Hypnose erinnert werden. Und:
(3)
Das hysterische Symptom entsprach einem bestimmten Detail der
traumatischen Erfahrung oder spiegelte dieses wider.
Sie
schlossen daraus, dass ein traumatisches Erlebnis einen anhaltenden
Einfluss ausüben konnte, der Jahre später Symptome hervorrief, auch wenn
die Erinnerung daran völlig unbewusst
blieb. Schließlich
behaupteten sie, dass nur dann, wenn die Erinnerung unter Hypnose
wiederaufgespürt wurde und
„von einer intensiven Reproduktion
der ursprünglichen Emotion, oft zusammen mit einer halluzinatorischen
Reproduktion des Traumas, begleitet war,…..das Symptom verschwand.“
[1] Sie nannten diesen Prozess emotionale Katharsis.
Hier
sehen wir die Saat mehrerer wichtiger Prinzipien psychischen und
physischen Funktionierens – von denen einige der Prüfung der Zeit
standgehalten haben und einige verfallen sind, um später wieder entdeckt
zu werden. §
Schmerz
und Trauma erzeugen Verdrängung. §
Verdrängung
resultiert in Symptomatologie. §
Es
gibt eine bedeutungsvolle Übereinstimmung zwischen psychologischen
Ereignissen und physiologischen Symptomen. §
Verdrängtes
Material übt einen anhaltenden Einfluss aus, bis es durch Erinnerung und
emotionale Katharsis freigesetzt wird.
In
der Tat machte Freuds frühe Arbeit mit Breuer neuen Boden urbar, auf dem
wir heute alle stehen, denn er schuf nicht nur die Grundlagen für die
Psychoanalyse als besondere „Schule“ der Psychologie, sondern legte
auch das Fundament für die Psychologie als Fachgebiet und Wissenschaft
mit ihrer eigenen Exaktheit.
Seite 2
Während
Hypnose in Breuers Arbeit weiterhin eine zentrale Rolle spielte,
verzichtete Freud bereits zu der Zeit, als die
Studien über Hysterie
tatsächlich
veröffentlicht wurden, auf ihren Gebrauch. Aus mehreren Gründen war er
mit Hypnose unzufrieden. Einer war, dass er herausfand, dass nicht alle
Patienten hypnotisiert werden konnten; ein anderer, dass die hypnotische
„Heilung“ der Symptome in der Regel nur temporär war; und noch ein
anderer war, dass sie viele Typen unbewusster Inhalte nicht beeinflussen
konnte. Nur solche, die „Ausdruck suchten“, so fand Freud, konnten
unter Hypnose zum Vorschein gebracht werden.
Während
seiner Arbeit mit Breuer entdeckte Freud, dass Patienten lange vergrabene
Erinnerungen und Motive ohne die Hilfe der Hypnose zurückrufen konnten. Er entwickelte dann eine Methode, die für
uns heute so naheliegend ist wie sie zu Freuds Zeiten gänzlich neu war:
Er machte den Patienten zum Zentrum der Untersuchung, indem er Fragen
stellte, zuhörte und die aufgedeckten Inhalte dann zu organisieren und
interpretieren versuchte.
Dieser
neue Ansatz wurde als „freie Assoziationstechnik“ bekannt, und Freud
war überzeugt, dass sie leistete, was Hypnose nicht schaffte: Sie
erschloss unbewusste Inhalte, holte die „tieferen, primitiveren und
phantasievolleren Komponenten der Psyche“ hervor, während der Patient
im Wachzustand war. Freud kam zu der Überzeugung, dass die gleichen (oder
besseren) Informationen ohne den ganzen Aufwand hypnotischer Prozeduren
wieder aufgespürt werden konnten.
Freuds
biologische Wurzeln: Der „Entwurf einer wissenschaftlichen
Psychologie“
Unmittelbar
nach der Fertigstellung der Studien über Hysterie
mit Breuer 1895
unternahm Freud eines seiner ehrgeizigsten Projekte: die Formulierung
einer „Psychologie für Neurologen.“ Freuds
Entwurf einer
wissenschaftlichen Psychologie, das drei Notizbücher umfasste (zwei
davon enthielten über 100 Manuskript-Seiten), war wahrscheinlich die
klarste Bekundung seines Wunsches, ein neurobiologisches Modell der Psyche
zu etablieren. Zur Erklärung über Sinn und Zweck des Projekts schrieb
Freud im Eingangskapitel:
Der
Inhalt des Entwurfs
war ehrgeizig: Freud schlug drei separate
Systeme neuronaler Aktivität vor, die für die unterschiedlichen
Funktionen der Wahrnehmung, des Gedächtnisses und Bewusstseins
verantwortlich sein sollten. Er schlug auch neurophysiologische Modelle für
die „Ich-Funktionen vor (wie Kognition, Beurteilung, Erinnerung), für
Schlaf- und Traumzustände und halluzinatorische und hysterische Zustände.
Trotz dieser ziemlich beachtenswerten Leistungen scheiterte Freud auf dem
Gebiet, an dem er am meisten interessiert war: die Entdeckung eines
biologischen Verdrängungs-Modells. Er hatte nichts Geringeres zu
erreichen versucht als „eine verständliche physiologische Erklärung
…..der präzisen neurologischen und chemischen Details der Verdrängung.“
[3] Da er die Probleme der Abwehr und Verdrängung als „des Rätsels
Kern“ sah, begründete seine Unfähigkeit, das Rätsel zu lösen, einen
bedeutenden beruflichen Verlust.
In
Briefen an seinen Freund Fleiss über die ersten zwei Notizbücher des
Projekts
lamentierte Freud, dass
das dritte, welches sich mit der ersehnten „mechanischen Erklärung der
Neurose“ befasste, nicht „zusammenhänge.“ 1896 hatte Freud das
gesamte Projekt aufgegeben. Dieses Scheitern war Auslöser eines
entscheidenden Wendepunkts in seiner Karriere, an dem er die
unerreichbaren biologischen Gesetze wehmütig zugunsten zugänglicherer
und weniger strittiger psychologischer Konzeptionen aufgab. Er schrieb:
Genau
das tat Freud in der Folgezeit.
Freuds erstes
Modell der Psyche: Ein zweigeteiltes System
Was
Freud 1895 ursprünglich in der neuroanatomischen Sprache des
Entwurfs beschrieben
hatte, beschrieb er jetzt erneut mit psychologischen Begriffen in seiner
historischen Traumdeutung
von 1900. Hier präsentierte er seine
vermutlich erste Formulierung der Struktur der Psyche, eine psychologische
Beschreibung des „psychischen Apparats.“
Die
unvermutete Entdeckung des Entwurfs
warf den Schatten einer
Kontroverse
über die Traumdeutung, die immer als Freuds erstes Meisterstück
betrachtet worden war. Im Lichte des Projekts
glaubten einige
Historiker, dass Freuds psychologische Neuformulierung in
Die Traumdeutung
auf nichts anderes
hinauslief als auf eine „zweckdienliche Dichtung, [die] den paradoxen
Effekt hatte, diese [biologischen] Annahmen zu
bewahren, indem sie
deren ursprüngliche Natur verbarg und indem sie die Funktionen des
Apparats auf einen begrifflichen Bereich übertrug, wo sie gegen
Korrekturen durch Fortschritte in Neurophysiologie und Gehirnanatomie
isoliert waren.“ [5]
In der
Tat eine Art begrifflicher Schönheitsreparatur. Sullaway urteilt:
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Wir
können nicht in Erfahrung bringen, ob Freud, wie Holt meint, bewusst oder
unbewusst beabsichtigte, seine Theorien mittels einer psychologischen
Neuformulierung zu isolieren und zu beschützen. Es scheint
wahrscheinlich, dass seine neue Terminologie ein legitimer Versuch gewesen
sein könnte, die psychoanalytische Theorie trotz des Mangels an
wissenschaftlicher Bestätigung aufrecht zu halten und Konzeptionen
vorzuschlagen, die für das Verständnis der menschlichen Psyche klinisch
nützlich sind. Wie Sulloway andeutet, ist in dieser Kontroverse nicht so
sehr bemerkenswert, was Freud zu tun versäumt hat, sondern was seine
Nachfolger beschlossenermaßen nicht
getan haben. Das heißt, die
psychoanalytische Theorie der modernen Zeit „innerhalb des fruchtbaren
Felds der Neurophysiologie, wo sie ihren Ursprung hatte“ zu verjüngen.
Freuds erstes
Modell psychischer Funktionen
Freud
teilte die Psyche anfangs in das unbewusste System und das vorbewusste
System ein. Inhalte im vorbewussten System, so theoretisierte er, konnten
ziemlich leicht Eingang ins Bewusstsein finden. Man müsse ihnen nur genügend
Aufmerksamkeit und Energie (Kathexis) geben, und sie würden ins bewusste
Denken übergehen (das „Übertragungsphänomen“). Ein selten gekaufter
Lebensmittel-Artikel, ein unwichtiger Telefonanruf, der Titel eines Buches
und so fort könnten zeitweilig ins Vorbewusste abgleiten und in
Vergessenheit geraten, könnten aber erinnert werden. Unbewusste Inhalte
jedoch hatten niemals
direkten Zugang zum Bewusstsein. Sie mussten
zuerst das vorbewusste System passieren, das sie in eine Form
modifizierte, die für bewusste Wahrnehmung geeignet war. Folglich:
Hier
sehen wir Freuds freien Gebrauch von Metaphern („sie
steht wie
ein Schutzschirm“), um Prozesse zu veranschaulichen, die er früher im
Entwurf
in Begriffen von Zell-Durchlässigkeit und –Undurchlässigkeit, von
„Trägheitsmustern neuronaler Entladung“ und dem Phi-, Psi- und
Omega-System der Neuronen beschrieben hatte. Man könnte sogar sagen, dass
diese Neufomulierung mit ihrer „kritischen Instanz“ und ihrer
„kritisierten Instanz“ die Unterbreitung und den Ausschluss von
Informationen zwischen den beiden Ideen –Richtungen vermenschlicht. Das
soll die Neuformulierung nicht abwerten, sondern nur deutlich machen, in
welchem Grad sich Freud in eine andere Richtung gedreht hatte. [8]
Im
Wesentlichen behauptet Freud, dass wir nichts direkt aus dem Unbewussten
beziehen können. Alle unbewussten Wünsche, Impulse und Motivationen
mussten zuerst zensiert und mittels einer „Passage“ durch den
„Schutzschirm“ des Vorbewussten abgeändert werden. Dieser
Abschirmprozess ließ sich am klarsten in der Traumaktivität beobachten.
Man konnte den ursprünglichen unbewussten Inhalt ableiten – sagen wir,
den Wunsch, die Mutter zu ermorden – und sehen, wie er aufgrund seiner
Passage durch das Vorbewusste eine neue Gestalt erhielt: in dem manifesten
Traum unternimmt der Träumer mehrere erfolglose Versuche, eine
‚verflixte’ Mücke zu töten. Und so fort.
Hier
ist interessant anzumerken, dass Freud auch an diesem frühen Punkt die
Mechanismen der Zensur und Verdrängung als nicht-pathologisch sah. Sie
konnten durch den neurotischen Prozess pathologisch
werden, aber
sie spielten zuallererst eine entscheidende Rolle bei der
Aufrechterhaltung normaler psychischer Gesundheit – in der Tat so
entscheidend, dass es zu Psychose führen würde, wenn sie versagten.
Freuds
zweites Modell der Psyche: Ein dreigeteiltes System
1914
hatte Freud seine Ansicht über Verdrängung neu formuliert. Ursprünglich
hatte er den Prozess so aufgefasst, dass er auf einfache und direkte Weise
ablaufe: Das Ego war der Agent der Verdrängung, und das Unbewusste war
der Empfänger des verdrängten Materials. Jetzt behauptete er, dass
„eine spezielle psychische Instanz“ für Verdrängung verantwortlich
war, die er Ego-Ideal
nannte, so genannt, weil es die Ideale des
Ichs enthielt und zu seinen Aufgaben Verdrängung, Moral, Gewissen, Zensur
usw. gehörten. 1923 hatte Freud den Namen dieser neuen Instanz in
Über-Ich
geändert und etablierte somit sein berühmtes dreigeteiltes Modell
der Psyche.
Kurz
gesagt klassifizierte dieses Modell psychische Aktivität in Begriffen
ihres Zugänglichlichkeitsgrades zum Bewusstsein (ob sie unbewusst,
vorbewusst oder bewusst war) und in Begriffen ihrer Funktion: ob sie
Bestandteil der Pflichten des Es, Ichs oder Über-Ichs war. Das Ich und Über-Ich
konnten sowohl auf bewusster als auch unbewusster Ebene operieren, aber
das Es blieb gänzlich unbewusst. Ich und Über-ich entstanden aus dem Es,
das die Ursprungsmaterie der Psyche war und enthielt „den Kern des
Unbewussten, die Quelle aller Leidenschaften und das biologisch Angeborene
im Menschen.“ [9]
Seite 8
Freuds
letzte Diskussion seines Modells der Psyche fand in
Abriss der
Psychoanalyse (1938)
statt. Hierin behielt er die entwicklungsfähige
Position des Es bei und bekräftigte nochmals dieselben allgemeinen
topographischen Einteilungen und Eigenschaften
psychischer Funktionen wie oben beschrieben.
Die
drei psychischen Teile in Freuds Gliederung beschreiben oftmals die
Interaktionen der drei Bewusstseinsebenen auf einer psychologischen Ebene.
Das Freudsche Modell entspricht nicht den realen neurologischen Strukturen
und Funktionen, die die Wissenschaft heute findet.
Nichtsdestotrotz
gibt es
Aspekte des
Freudschen Modells, die nicht allesamt einfach abgelegt werden können. Um
fair zu sein – die Freudsche Formulierung beinhaltet in groben Zügen
eine gewisse Übereinstimmung mit zu Grunde liegenden neurologischen
Strukturen (wenngleich sie diese niemals spezifiziert). Die
psychologischen Komponenten des Es, Ichs und Überichs werden als uns
allen gemein betrachtet und müssen deshalb auf diesen physiologischen
Eigenschaften beruhen, die wir als Mitglieder einer Spezies gemeinsam
haben. Mit anderen Worten muss die physiologische Seite der Körper-Psyche-Dualität,
deren Etablierung Freud sich anfangs als Ziel gesetzt hatte und die er
dann aufgab, nichtsdestotrotz als Hintergrund seines Denkens geblieben
sein. Die Tatsache allein, dass er die Verknüpfung nicht sehen konnte,
bedeutet nicht, dass er nicht mehr an ihre Existenz glaubte. Wir sind uns
sicher, dass Freud, hätte er die gleiche Erfahrung und das gleiche Wissen
gehabt, das uns jetzt zur Verfügung steht, ohne großes Zögern das
Es-Ich-Überich-Modell zugunsten einer Formulierung, die wechselweise
sowohl von Psychologie als auch Neurologie benutzt werden konnte,
aufgegeben (oder drastisch neu definiert) hätte. Schließlich hatte er
sich aufgemacht, genau das zu entdecken, als er sein
Entwurfs-Projekt
unternahm.
Freud
konnte das volle Unbewusste nicht „sehen“, also nannte er es
„blind.“ Da er nicht erkannte, dass es durch Fühlen direkt erfahrbar
war, entschied er, dass es „unerfahrbar“ sei.
Eine sexuelle
Ätiologie der Neurose: Der Weg vom Trauma zum Instinkt
Zusätzlich
zu seiner Arbeit über Die Traumdeutung
in den späten 1890er Jahren, formulierte Freud seine sexuelle
Theorie der Neurose. Da Patient um Patient von sexuellen Verführungstraumen
in früher und späterer Kindheit berichtet hatte, schloss Freud zuerst,
dass diese Erfahrungen die Ursache der Erwachsenen-Neurose sei: die
Erinnerung an das Trauma musste verdrängt werden, und so entwickelten
sich verschiedene neurotische Abwehrmechanismen. Im Mai 1897 jedoch
wechselte er zu einer Ansicht, die er als „großen Fortschritt der
Einsicht“ bezeichnete, in der er jetzt vielmehr
Impulse statt
Erinnerungen
als Ursache des Problems sah:
Folglich
sah Freud, was er ursprünglich als Resultat
persönlicher
traumatischer Erfahrung betrachtete, jetzt als Ergebnis
universeller
und angeborener Impulse.
Im
Juni 1897 hatte er den Ödipuskomplex (Hass des Kindes auf das
gleichgeschlechtliche Elternteil) begrifflich formuliert, und im Juli
„betrachtete [er] die Psychoneurose in Begriffen
eines dynamischen
Teufelskreises libidinöser Impulse, die kontinuierlicher Verdrängung
und Wiederbelebung unterliegen.“ [11] [Betonung zusätzlich]. Freud
selbst schrieb:
Im
September 1897 hatte Freud seine grundlegenden Schriften an seinen Freund
Fleiss über „das große Geheimnis, das mir in den letzten Monaten
langsam dämmerte“ vervollständigt. Das große Geheimnis war die
Erkenntnis, dass die Berichte seiner Patienten über frühe Verführungen
in den meisten Fällen einfach nicht wahr waren. Das war für Freud kein
leichtes Eingeständnis, zumal es die Gültigkeit der Psychoanalyse als
eine Methode psychologischer Nachforschung ernsthaft in Frage stellte.
Nach einigem inneren Aufruhr schloss Freud, dass die
Allgemeinheit der
Berichte an sich signifikant sei und dass sie sicher ein gewisses
zugrundeliegendes Prinzip des menschlichen Verhaltens reflektiere.
Freud
schickte sich jetzt an, dieses theoretische Dilemma zu lösen, indem er
einfach ein solches Prinzip vorschlug: Berichte von
Kindheits-Verführungs-Traumen
repräsentierten in Wirklichkeit
infantile Verführungswünsche.
Diese Wünsche waren sekundäre Manifestationen (Ableitungen) von
zugrundeliegenden (primären) instinktiven Impulsen. Mit anderen Worten,
Babys und Kinder haben angeborene sexuelle Impulse, die auf ihre Eltern
gerichtet sind.
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Diese
biologischen Impulse
rufen psychische Wünsche
hervor, die
aufgrund sozialer Sanktionen unterdrückt werden müssen. Der Wunsch kommt
dann im Erwachsenenalter als Trauma-Bericht an die Oberfläche, weil das
der einzige annehmbare Weg ist, um sie auszudrücken.
Was
ist die Bedeutung von Freuds theoretischem Wechsel? Sie scheint
zweigeteilt.
Zum
einen rückte Freud,
indem er die Rolle des Traumas bei Neurose
minimierte, den Brennpunkt der Psychoanalyse von konkreter persönlicher
Erfahrung ab und richtete ihn
auf
unpersönliche, nicht wahrnehmbare Instinkte und Impulse.
Einer von
Freuds Biographen, Ernst Kris, behauptete, dass Freud mit dieser Revision
„die Psychoanalyse in eine Psychologie der Instinkte umwandelte.“ Die
Ironie besteht hier darin, dass Freuds Nachfolger, obwohl Instinkte eine
legitime wissenschaftliche Auffassung darstellen, die Freudschen Instinkte
wissenschaftlicher (neurobiologischer) Gültigkeit nicht näher gebracht
haben, als sie zu Freuds Zeiten waren.
Der
zweite signifikante Aspekt in diesem Wechsel ist die Gültigkeit und
Bedeutung, die Freud inneren psychischen Prozessen zuordnete. Obgleich die
Erinnerungen an Verführungstraumen im Sinne äußerer Ereignisse nicht
stimmten, behauptete er, dass sie eine Art „Pseudoerinnerung“ repräsentieren,
die an sich selbst ein signifikantes und bedeutungsvolles Faktum seien.
Weiterhin setzte er voraus,
dass verdrängte Phantasien und Wünsche
(die sich als Pseudoerinnerung an das Trauma zeigten), dieselbe dauerhafte
Wirkung auf die Persönlichkeit haben konnten wie die wirkliche Erfahrung.
Dieser innovative Gesichtspunkt begründete wirklich eine neue Sicht der
Realität. Unfassbare Wünsche, Emotionen und Fantasien – kurz gesagt
die innere unsichtbare Welt des Menschen – sollte eine direkte
Auswirkung auf uns haben, die ebenso stark war wie die Auswirkung der
sichtbaren äußeren Welt.
Freuds
Mechanismen der Pathologie
Drei
weitere Auffassungen in Freuds Theorie über infantile Sexualität halten
einer Diskussion stand. Nach 1900 schlug Freud drei „fundamentale
Mechanismen pathologischer Entwicklung“ vor, welche die Vehikel der
Erwachsenen-Neurosen waren: Fixierung, Regression und die Beharrlichkeit
früher Eindrücke. Er bezog alle drei Konzeptionen von den biologischen
Wissenschaften und interpretierte sie neu in einem psychologischen
Zusammenhang.
Fixierung
Wie
wir wissen, glaubte Freud zu dieser Zeit stark an kindliche Sexualität.
Die Frage war nicht, ob
man eine bestimmte Art früher sexueller
Erfahrung gehabt hatte oder nicht, sondern was die Konsequenzen
dieser Erfahrungen gewesen waren. Wenn die Konsequenzen schmerzlich waren
oder Strafe nach sich zogen, würde es wahrscheinlich zu einer
„pathologischen Fixierung der Libido“ kommen, die das Kind geradewegs
auf die Straße zur Erwachsenen-Neurose brachte.
Freud
sah Fixierung im psychologischen Sinn als Fortdauer eines unbewussten
Wunsches, der auf einer früheren Entwicklungsstufe dominant war. Ein
einfaches Beispiel wäre der Erwachsene, der von zwanghaftem Überessen
geplagt wird:
mit
psychoanalytischen Begriffen würde er als auf die orale Entwicklungsstufe
fixiert beschrieben werden. Freud betonte anfangs die Auswirkung sexueller
Erlebnisse, die Fixierung erzeugten. 1905 jedoch hatte sich sein Denken in
eine neue Richtung gewendet, die jetzt Vererbung
(anstatt der
wirklichen sexuellen Erfahrung) als den kritischen Faktor festsetzte, der
das Ergebnis der Fixierung bestimmte:
Theoretisch
konnte eine Person mit den richtigen Genen ein sexuelles Trauma in der frühen
oder späteren Kindheit durchmachen und „normal“ aus ihm herauskommen.
Die Hauptvariable (wenn nicht die einzige) beim Problem der infantilen
Sexualität war somit die Vererbung. Sexuelle Erfahrungen geschahen
zwangsläufig; Fixationen geschahen zwangsläufig; aber Neurose würde nur
resultieren, wenn eine unglückliche „organische Disposition zur Verdrängung
der Fixierung“ bestand.
Regression
In
Freuds Auffassung der Regression rückte er mit seinem Denken zugunsten
hypothetischer Kräfte wieder von tatsächlichem Erleben ab. Laut Freud
wird die Regression, die beim „schweren Neurotiker“ stattfindet, vom
„angeborenen Erbfaktor“ geregelt. Dieser Faktor war selbst eine
Konvergenz dreier verschiedener Schichten der Erfahrung – die sich auf
Familie, Vorfahren und auf die Spezies bezogen – die entweder angeboren
oder vererbt waren. [14]
Seite 6
Die
Beharrlichkeit früher Eindrücke
In
der dritten Formulierung dieser Zeitperiode verkündete Freud „die
Beharrlichkeit früher Eindrücke“
als einen weiteren entscheidenden Faktor in seiner Kindheits-Ätiologie
der Neurose. Da er das Prinzip als „provisorische psychologische
Konzeption“ auffasste, bot er eine biologische Analogie aus Experimenten
an Embryonen an, um seine Person zu rechtfertigen: Wenn man eine Nadel in
embryonale Zellmasse steckt, resultiert daraus viel ernsterer Schaden,
wenn es während der frühen Wachstumsphasen geschieht. Die psychologische
Konsequenz war, dass die Auswirkungen eines Traumas umso schwerer und
dauerhafter waren, je früher es geschah.
Freud
glaubte, dass frühe Erfahrungen insofern wichtig waren,
als sie die
libidinöse Entwicklung beeinflussten und relativ geringfügige
Erlebnisse in der Neurose des Erwachsenen resultieren konnten. Sulloway
erklärt, dass Freuds „Glaube an den Vorrang früher Erfahrung…. Freud
erlaubte, die Neurosen Erwachsener relativ kleinen Störungen in der
libidinösen Entwicklung der Kindheit zuzuschreiben.“ [15] Folglich
blieb Instinkt
(libidinöse Entwicklung) der Mittelpunkt auch
dieses Prinzips; es diente dazu, die Rolle des Traumas und der Erfahrung
in der Erzeugung von Erwachsenen-Neurosen weiter zu minimieren, indem es
sie auf „relativ kleine Störungen“ reduzierte.
Ein
theoretischer Kompromiss: Trauma plus Instinkt
Bisher
haben wir Freuds ätiologische Theorie der Neurose in zwei Phasen. In der
ersten wurde das Kindheits-Sexualtrauma betont (die Verführungstheorie)
und in der zweiten wurden instinktive Triebe betont (die Libido-Theorie).
Sulloway zeigt auf, dass in dieser zweiten Phase „ Neurose als das verdrängte
‚Negativ’ einer Phase der Perversion interpretiert wurde.“ [16]
Freud beließ es jedoch nicht dabei.
Die
Veröffentlichung von Jenseits des Lustprinzips
etablierte die
dritte und letzte Phase von Freuds Theorie, in der er seine Betonung des
Kindheitstraumas als eine Ursache der Neurose erneuerte. Im Grunde
verschmolz Freud seine ersten zwei Gedankenstufen zu der Erkenntnis, dass
beide Faktoren – Kindheitstrauma und verdrängte Instinkte – als
Instrumente der Neurose funktionierten:
Sulloway
legt dar, dass diese Periode der Arbeit Freuds auch seine erneute
Anstrengung reflektierte, die zwei Wissenschaftsfelder zusammenzubringen,
die seiner Ansicht nach schließlich in einer vereinten Theorie über
menschliches Verhalten resultieren würden:
Es
gibt jedoch wichtige begriffliche Unterschiede zwischen Freuds
Entwurf
und seinem
Jenseits des
Lustprinzips Unterschiede –
Unterschiede, die zum Teil für die nicht-biologische Richtung
verantwortlich sein könnten, die die Psychoanalyse letztlich als Theorie
und Therapie einschlug. Konzeptionen im
Projekt
gründeten auf
„unmittelbar-kausalem Reduktionismus“, wobei die Mechanismen der
Psychophysik und Neurophysiologie benutzt wurden, um menschliches
Verhalten zu erklären. In
Jenseits
des Lustprinzips
wechselte Freud seinen Standpunkt zu einem
„ultimativ-kausalem Reduktionismus“, in dem historische und evolutionäre
Faktoren in den Vordergrund traten. Sulloway urteilt:
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Eine primärtheoretische
Bewertung
Sulloway
stellt heraus, dass vielmehr Historizismus als psychophysiologische
Mechanismen Freuds spätere Formulierungen charakterisieren. In diesen
Formulierungen sehen wir, dass Freud sich mehr für Hypothesen als für
Realität, mehr für „biogenetische Romantik“ und „evolutionäre
Odysseen“ als für gegenwärtige persönliche menschliche Erfahrung
entscheidet. Freud wurde mehr zu einem Philosophen als zu einem
empirischen Forscher und zog ontologisches Grübeln den einst geschätzten
biologischen
Mechanismen vor. Auch nachdem er das Trauma allmählich wieder in eine
Position setzte, die diesem große Bedeutung in der Ätiologie der Neurose
einräumte, blieb die unter Betracht stehende
Person dennoch von
ziemlich monumentalen Gesetzen der Phylogenese überschattet. Die
individuelle Erfahrung nahm beim Spiel der Mysterien, die der Spezies
innewohnten, auf den hinteren Reihen Platz.
Natürlich
ist die Phylogenese Teil des dynamischen Hintergrunds der individuellen
Erfahrung. Nichtsdestotrotz hat jede Person wirklich ein eigenes Leben mit
einer dafür spezifischen Evolution. Wenn wir gegen die Gebote der
Phylogenese ankämpfen müssen, dann wissen wir, dass unsere Sache
aussichtslos ist – und Kompromiss die einzige Lösung. Psychoanalyse
lehrt uns die Unvermeidlichkeit dieses Kompromisses und hilft uns, ihn zu
unterstützen. Es lehrt uns, das reale Selbst als bedrohlich zu fürchten,
denn angesichts all seiner angeborenen perversen Impulse besteht unsere
einzige Zuflucht darin, an Kontrolle und Sublimierung zu arbeiten. Aber
paradoxerweise ist es in Wirklichkeit die Kontrolle (Verdrängung) des
realen Selbst, die zu Perversion geführt hat, und es ist die Zulassung
(Erfahrung) des realen Selbst, die Sublimierung irrelevant macht.
Zweifelsohne
gibt es gewisse mächtige, einflussreiche Kräfte aus der verborgenen Welt
der Phylogenese, die uns unbekannt sind. Das ist jedoch kein Grund,
diejenigen, die wir finden, zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu machen
und ihnen die bekannten
Realitäten der individuellen Erfahrung
unterzuordnen. Wir können uns viel leichter auf unsere realen Erlebnisse,
realen Erinnerungen und realen Gefühle beziehen als auf universelle
Geheimnisse, von denen wir nur ein winziger Teil sind. Es ist sicher
schwer zu verstehen, wie wir uns von diesen realen Erlebnissen erholen
sollen, wenn wir versuchen, sie im Licht hypothetischer universeller
Prinzipien zu sehen.
Mit
der Libido-Theorie stellte Freud die berichteten persönlichen
Erfahrungen, auf denen seine Verführungstheorie basierte, in Abrede, um für
das genaue Gegenteil einzutreten. Nicht nur, dass seine Patienten durch
den elterlichen sexuellen Missbrauch, über den sie berichtet hatten,
nicht traumatisiert worden seien –
schlimmer noch:
Freud
behauptete jetzt, dass sie sich als Kinder in Wirklichkeit danach gesehnt
hätten. Dieses Verlangen nahm die Form eines unbewussten Wunsches an, der
selbst das Derivat eines biologischen Urimpulses
nach sexueller
Vereinigung mit dem Elternteil war.
Es
ist lediglich denkbar, dass ein Kind sich die sexuelle Vereinigung mit
einem Elternteil wünscht – oder zumindest den Anschein erweckt – aber
es ist kein angeborener instinktiver Impuls, wie Freud uns das gerne
glauben machen würde. Ein Kind braucht bestimmt keine sexuelle
Vereinigung. Wenn es überhaupt geschieht, dann deshalb, weil das Kind
irgendwie fühlt, dass Sex die einzige Möglichkeit ist, um den Kontakt
und die Liebe zu bekommen, die es wirklich braucht. Natürlich würde das
Kind die natürliche Form von Aufmerksamkeit bevorzugen, aber ein
verzweifeltes Kind nimmt, was angeboten wird. Trotz des äußeren Scheins
ist es jedoch nicht der Sex, den
das Kind will, sondern der
Körperkontakt. Das Bedürfnis
des Kindes könnte sexuell scheinen, weil das oft die einzige Art ist, wie
Eltern (und andere Erwachsene) sinnliche Bedürfnisse betrachten können.
Die Sexualisierung eines Kindheitsbedürfnisses geht nicht vom Kind aus
sondern vom Erwachsenen. Schließlich kann Sexualität nur von dem- oder
derjenigen kommen, die mit Sexualität ausgestattet ist.
Es
ist klar, dass Freud das Thema der Kindheitssexualität aus einer
umgekehrten Position sah. Zu oft wollen Eltern sexuellen Kontakt mit ihren
Kindern, auch wenn unter diesem Wunsch die eigenen vernachlässigten Primärbedürfnisse
der Eltern liegen.
Der
Neurotiker bekommt viele seiner Primärbedürfnisse durch Sex „erfüllt“,
weil Sex die Befriedigung aller Sinne bietet. Deshalb birgt er große
symbolische Möglichkeiten, die vergangene Vernachlässigung dieser Sinne
zu korrigieren. Hinzu kommt, dass neurotische Eltern ausnahmslos von ihren
Kindern all das wünschen, was ihnen in ihrer eigenen Kindheit versagt
wurde –Zuneigung, Stimulierung, Unterstützung, Aufmerksamkeit usw. Wenn
sich diese zwei Faktoren verbinden, agiert das Elternteil wahrscheinlich
seine Primärbedürfnisse durch sexuellen Kontakt mit seinem Kind aus. Das
kann das Kind zu dem unbewussten Schluss führen: „Wenn ich will, dass
Papi mich liebt, muss ich Papi geben, was er will.“ Dieser Gedanke verkürzt
sich dann auf: „Ich will, was Papi will“, was letztlich zu „Ich will
Papi“ wird – was dann völlig falsch als sexuelles Verlangen
verstanden wird. Der natürliche Wunsch nach Körperkontakt kam vom Kind;
Sex
kam vom Elternteil;
Wie
konnte sich diese irreführende Auffassung über Kindheitssexualität
festsetzen? Wenn Kinder sexuell wären, dann müssten sie in der Tat ihre
Instinkte aufgrund der schädlichen Möglichkeit von Inzest hemmen. Aber
Kinder sind nicht sexuell; sie sind sinnlich. Wen Sinnlichkeit als
Sexualität missverstanden wird, dann wird sie den Tabus unterworfen, die
für Sexualität und Inzest angemessen sind. Mit anderen Worten
entscheidet man sich zusätzlich für die Notwendigkeit,
Sexualität zwischen
Familienmitgliedern
zu verhindern, um ebenso die Unterdrückung der
Sinnlichkeit
zu unterstützen.
Infantile
Sexualität wird zu einer gefährlichen Konzeption, wenn sie klinisch
angewandt und als eine Ursache für Neurose und Schmerz des Erwachsenen
verkündet wird. Sie ist gefährlich, weil sie impliziert, dass das Opfer
– das Kind – sein eigener Täter ist. Dem neurotischen Erwachsenen
bleibt nichts anderes als seine oder ihre eigenen kindlichen inzestuösen
Wünsche, um seine Agonie und Erschöpfung zu erklären. Schlimmer noch
– die Auffassung an sich ist verführerisch. Es ist eine
Erwachsenen-Auffassung, die fälschlich die Erwachsenen entlastet, die sie
vertreten. Sie pervertiert die Realität des neurotischen Kindes, indem
sie die Deprivation ignoriert, die der bloßen Schaffung der Neurose eigen
ist.
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Wenn
es die sexuellen Wünsche des Kindes sind, die es letztlich krank machen,
und wenn es das kulturelle Tabu auf Inzest ist, das für solche
hysterische Ängste verantwortlich ist, dann müssen sich Eltern keine
Fragen über seine oder ihre Rolle stellen. Der Schuldige ist wieder eine
amorphe, unpersönliche und unveränderliche Kraft: die Tabus der
Gesellschaft. Die Implikation lautet, dass dieser Konflikt unvermeidlich
ist. Alle Kinder werden sich wünschen, Sex mit ihren Eltern zu haben; der
Wunsch wird immer strikt verboten werden; somit müssen alle Kinder
lernen, angesichts des Tabus bestmöglich mit ihren Wünschen zurecht zu
kommen. Diejenigen, die diese Aufgabe bewältigen, werden gesund sein;
diejenigen, die es nicht schaffen, werden neurotisch sein.
Hier
ist Freud weit von den schlimmen Lebensrealitäten des neurotischen Kindes
entfernt. Das Kind fürchtet kein abstraktes Tabu, es befürchtet, von
seinen Eltern auf konkrete Weise verletzt zu werden. Es hat Angst,
misshandelt, vernachlässigt, manipuliert, ignoriert, erniedrigt,
kontrolliert, unter Druck gesetzt, vergewaltigt zu werden. Es hat jedes
Mal Angst, wenn seine Bedürfnisse abgewiesen, übersehen oder abgewertet
werden. Es fürchtet, nicht ernst genommen zu werden; es fürchtet, keine
Macht darüber zu haben, wie es seinen Tag verbringt, was es ißt, wie es
spricht, was es fühlt.
Um
jemanden von Neurose zu heilen, muss die innere Realität des Patienten
auf
einer bestimmten Ebene als wahr akzeptiert werden.
Wenn
die Kindheitsentführungen auf physischer Ebene nicht stattfanden (allzu
oft ereignen sie sich wirklich), dann geschehen sie auf emotionaler Ebene.
Der Erwachsene mit Erinnerungen an Kindheitsentführung
wurde entführt.
Als Kind wurde er oder sie wiederholt verleitet, die Bedürfnisse und
Erwartungen der Eltern zu erfüllen, anstatt frei er oder sie selbst zu
sein. Es wurde wiederholt dazu verführt, auf eine Art und Weise zu
handeln, reden, gehen, denken oder sich zu benehmen, die die Eltern
beschwichtigte oder zufrieden stellte. Dies Art verdeckter Verführung ist
vielleicht noch schädlicher als „reale“ Verführung, weil sie so
heimtückisch ist. Unter dem Deckmantel elterlicher Autorität und
Gehorsamkeit entwickelt das Kind „aus keinem offensichtlichen Grund“
neurotische Ängste und Probleme. Das Kind
fühlt, dass es verletzt
ist, aber man sagt ihm, dass es das nun mal heißt, ein guter Junge zu
sein. Das Kind hat keine andere Wahl als zu glauben, dass alle seine Ängste
grundlos seien – weil der Grund nicht zugegeben wird. Die meisten Eltern
sind schuldig, ihren Kindern ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse
aufzuerlegen oder sie wiederholt so zu manipulieren, dass sie sind, was
sie selbst nie waren und tun, was sie selbst nie getan haben. Wenn Freuds
Konzeption der unbewussten Wünsche tatsächlich in Erscheinung tritt,
dann auf Seite der Eltern,
nicht auf der des Kindes.
Es sind die
unbewussten Wünsche der Eltern selbst, die das Kind aufgreift und die später
zur Entwicklung der Neurose beitragen.
Die
Bedeutung und Verzweigungen von Freuds Abrücken vom realen Lebenstrauma
der Verführungstheorie hin zu den hypothetischen Wünschen der
Libidotheorie sind weitreichend. Eine faszinierende und kontroverse
Einsicht in die möglichen verborgenen Motivationen für Freuds
theoretischen Wandel bietet Jeffrey M. Massons Buch
The Assault on
Truth: Freud’s Suppression of the Seduction Theory
(1984). [Der Angriff auf die Wahrheit:
Freuds Abschaffung der Verführungstheorie]
Masson
argumentiert überzeugend, dass Freud die Verführungstheorie wegen eines
fehlgeleiteten Wunsches aufgab, sich selbst und seinen Freund Fleiss zu
schützen. Offensichtlich hatte Fleiss eine Operation an einer von Freuds
Patientinnen, Emma Eckstein, verpfuscht. Die Operation wurde aufgrund
Fleiss’s dubioser und bizarrer Theorie vorgenommen, dass sexuelle
Probleme durch Nasal-Chirurgie geheilt werden könnten. Als Ergebnis der
Operation litt Eckstein unter massiven Blutungen, während derer sie
beinahe gestorben wäre.
In
einem Artikel im Atlantic Monthly
vom Februar 1984, der Auszüge
aus seinem Buch brachte, schreibt Masson:
Wie
Masson darlegt konnte Freud, nachdem er einmal beschlossen hatte, dass
Ecksteins Blutungen hysterische Symptome und das Resultat sexueller
Phantasien waren, ungehindert seine ursprüngliche Verführungstheorie
aufgeben. Masson verfolgt Freuds Kampf mit dem Problem des realen versus
des fantasierten Traumas und bemerkt, dass Freud 1897 zu erkennen begann,
dass Kinder aggressive Impulse gegen ihre Eltern haben. Wenn natürlich
Verführungen tatsächlich stattgefunden hatten, sagt Masson, dann waren
diese Impulse natürliche und gerechte Reaktionen auf unerträgliche
Verletzungen. Aber als Freud einmal überzeugt war, dass die Verführungen
nur Fantasien waren – dass die Eltern unschuldig waren – traten in
Freuds Theorien die Impulse vor der Verführung an erste Stelle.
Es
war keine Überrraschung, dass Jeffrey Massons Wiedereinsetzung der Verführungstheorie
auf Widerstand
aus der
psychoanalytischen Gemeinschaft traf. Er zitiert einen Brief von Anna
Freud, mit der er offenbar eine Reihe von Meinungsverschiedenheiten über
seine Enthüllungen hatte. Anna Freud schrieb:
Wie
Masson darlegt, ist dies ein entscheidender Punkt, da die meisten
Therapien „offen oder implizit auf Freudscher Theorie basieren.“
Masson
denkt nicht, dass Freud eine bewusste kaltblütige Entscheidung traf,
seine früheren Erfahrungen zu ignorieren. Nichtsdestotrotz, so glaubt er,
hatte Freud, als er so verfuhr, die wichtige Wahrheit vergessen, „dass
sexuelle, physische und emotionale Gewalt ein realer und tragischer
Lebens-Bestandteil vieler Kinder ist.“
Masson
sagt weiterhin, dass jeder Analytiker, der aus Erinnerungen Phantasien
macht, „dem Innenleben seiner Patienten Gewalt antut und in geheimem
Einverständnis mit dem steht, was sie oder ihn zuerst einmal krank
gemacht hatte.“ Erfolg im Sinne einer solchen Behandlung wird nach der Fähigkeit
der Patienten bemessen, ihre Erinnerungen und ihr Wissen über die
Vergangenheit zu verdrängen und zu glauben, dass die Emotionen, die sie
überwältigen, fehl am Platz seien. Das bedeutet die Verleugnung des
Selbst und die Verleugnung der Realität, was das Ende der Unabhängigkeit
der Patienten beschreibt, zumal ihre Gesundheit an die Auffassung gebunden
ist, die der Analytiker von ihnen hat. Masson sieht sich verleitet, die
Psychoanalyse zu verdammen, weil
„das
„Stillschweigen, das einem Kind von der Person abverlangt wird, die es
verletzt hat, gerade durch die Person fortgesetzt und verstärkt wird,
bei der es später um Hilfe ersucht.“
Masson
schreibt:
Es
ist denkbar, dass man diese Auffassung dahin erweitern könnte, dass sie
ebenso wie die Angst des Analytikers vor seiner Wissenschaft seine
Vergangenheit einschließt. In der Tat kann es das Bedürfnis des
Analytikers sein, seinen eigenen Schmerz zu verleugnen, das ihn davon abhält,
die trauma-volle Vergangenheit seiner Patienten zuzulassen.
In
Freuds Verführungstheorie ist der sexuelle Übergriff immer das zentrale
Ereignis in der Ätiologie der Neurose. Heute wird in vielen
Psychotherapie-Schulen anerkannt, dass sexuelle Übergriffe, obgleich sie
häufig geschehen und einen verheerenden Einfluss ausüben, nicht die
einzige Ursache einer schwächenden Neurose sind. Jede ernsthafte
Deprivation, Vernachlässigung oder jeder Missbrauch basaler Bedürfnisse
in der Kindheit ist ein Trauma, das zu Neurose im Erwachsenenalter führt.
Nichtsdestotrotz findet sich der Widerhall der Resultate von Freuds
fehlgeleiteter Theorie seit Jahren in der Psychologie.
Wie Masson in
The Atlantic Monthly
schreibt:
Massons
Werk bekräftigt unsere Überzeugung, dass die Psychoanalyse scheiterte,
weil sie Neurose auf die falschen Ursachen zurückführte. Tatsächlich
schrieb sie sie Ursachen zu, die nicht existieren. Das war ein Fehler, der
dazu beitrug, die Psychotherapie auf einen irrigen Kurs zu bringen – auf
einen Kurs, der von einem dialektischen Ansatz zur Neurose wegführte. Als
nachfolgende Theoretiker ihren Brennpunkt und ihre Methoden ablehnten,
begruben sie Freuds wichtige Auffassungen. Anstatt zurückzukehren und
ausfindig zu machen, wo die Psychoanalyse aus der Spur geriet, schlossen
sie die Tür hinter sich und kehrten nicht nur der Vergangenheit ihrer
Wissenschaft sondern ebenso der Vergangenheit ihrer Patienten den Rücken.
Als
er die Verführungstheorie aufgab, sorgte Freud für das Scheitern seiner
Behandlungsmethode, indem er seinen Kritikern eine Berechtigung aushändigte,
die Psychoanalyse abzulehnen. Heute sind moderne Freudianer zur Gegenwart
übergewechselt, indem sie die „Ego-Psychologie“ aufgenommen haben,
einen Ansatz, der sich auf gegenwärtige Anpassungen des Patienten
konzentriert, und haben somit einen stetigen Marsch in nicht-dynamische
Hier-und-Jetzt-Theorien und-Methoden begonnen, die das Unbewusste außer
Acht ließen und davon abkamen, sich mit den generierenden Ursachen der
Neurose zu befassen.
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Quellenangaben
und Anmerkungen [1] – [19] Siehe:
GRAND
DELUSIONS
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Übersetzung:
Ferdinand Wagner
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