Artikel u. Buchausz. |
Buchauszug |
Artikel u. Buchausz. | ||||||||
Buchauszug:
Sie
finden hier die deutsche Übersetzung einiger Kapitel aus Dr. Janovs Online-Buch
GRAND
DELUSIONS
, das auf
primaltherapy.com in englischer Sprache zur Verfügung
steht. Dr. Janov befasst sich in diesem Buch eingehend mit
unterschiedlichen Ansätzen der Psychotherapie und erläutert,
warum diese verschiedenen Methoden letztlich keine tiefgreifenden
Wirkungen und dauerhaften Erfolge erzielen können: Laut Janov ist es der fehlende
Gefühlszugang zu traumatischen
Erinnerungen, die in unser Nerven- und Körpersystem eingeprägt sind,
welcher der Wirksamkeit all dieser Ansätze enge Grenzen setzt. Das Buch ist
in jeder Hinsicht ein äußerst anspruchsvolles Werk und richtet sich in
erster Linie an Fachleute, aber auch für uns Laien bietet sich hier eine
gute Möglichkeit, tiefere Einblicke in das Feld der Psychotherapie zu
gewinnen und die Unterschiede zur Primärtherapie und Primärtheorie
zu verstehen. Ferdinand Wagner _________________________________ GROSSE ILLUSIONEN Veröffentlicht
im Juni 2005 auf primaltherapy.com
Einführung ___________ DIE DIALEKTIK DES BEWUSSTSEINS__________________
Wir
Fachleute auf dem Feld der klinischen Psychologie befinden uns heute in
einer merkwürdigen Situation. Sowohl in als auch außerhalb unserer
Praxis sehen wir Leute, die unter einem heimtückischen Zustand leiden,
den man weder sehen, schmecken, ertasten noch an einem einzelnen Ort
lokalisieren kann. Der Zustand wird oft als psychische Krankheit oder
Neurose bezeichnet. Einige bezweifeln, dass das Leiden real ist,
beschreiben das Erlebnis als „Trip“, den man auskostet, und nennen
psychische Krankheit einen „Mythos.“ Andere sehen psychische Krankheit
lediglich als Funktion verzerrten Denkens, etwas, das mit neuen Gedanken
verschwindet. Von den Psychotherapie-Schulen, die die Existenz psychischer
Krankheit einräumen, hat jede ganz andere Vorstellungen von Neurose und
ihrer Genesis. Tatsächlich gibt es in keinem Bereich der Medizin eine
solche Unstimmigkeit über die Natur einer Krankheit, was ihre Symptome
sind und wie sie sich manifestiert, ganz zu schweigen von ihren Ursachen. Kurz gesagt präsentiert sich das Feld der
Psychotherapie heutzutage wahrlich chaotisch. Warum? Erstens, glaube ich, beginnen Ereignisse, die
psychische Krankheit oder Neurose verursachen können, so ungemein früh
und bleiben so sehr im Unterbewusstsein verbarrikadiert, dass die
Auffassung, dass ein frühes Trauma Einfluss darauf hat, wie wir im Alter
von -sagen wir- 45 Jahren handeln, jenseits gewöhnlicher
Vorstellungskraft liegt. Zweitens reagieren wir auf ein frühes Trauma mit
unglaublicher Vielfältigkeit und wir denken vielleicht, dass Phobien,
Migränen, Zwänge, Obsessionen, Depression, Sucht etc. alle
unterschiedliche Funktionen haben müssen. Drittens haben Psychologen als
Funktion ihrer eigenen Neurose Schwachpunkte – sie können den tiefsten
Schmerz ihrer Patienten nicht sehen oder können es nicht ertragen ihn zu
sehen – und lassen sich nur allzu gerne von Symptomen und Ideologien
ablenken, die sich nicht direkt mit dem Schmerz befassen. Als Ergebnis ist das Fachgebiet der Psychotherapie
durch einen bemerkenswerten Mangel an Kohäsion gekennzeichnet, und dem
Schmerz der Patienten wendet man sich bestenfalls auf
diffuse Weise zu. Einige Psychotherapeuten werden konsequent
Anti-Angst- und Anti-Depressions-Medikamente für unterschiedliche
Neurosen verschreiben; sie versuchen im Wesentlichen, den Schmerz der
Patienten abzutöten, identifizieren aber den Schmerz
und seine Herkunft nicht. Andere handhaben Symptome vielleicht mit
unterschiedlichen Techniken, die mit den verschiedenen Schulen der
Psychotherapie assoziiert sind: Sie veranlassen vielleicht, dass der
Patient sich „von einem Symptom dissoziiert“, wie in der
Hypnotherapie; dass er es kognitiv in Vergessenheit „analysiert“; dass
er das Symptom in der gestalttypischen Therapie symbolisch
„ausagiert“. Sie schlagen es mit milden Schocks zurück wie in der
Konditionierungstherapie; kreiden es „fehlerhaften Überzeugungen“ an,
die man einfach vorsätzlich ändern muss, wie in der rational-emotiven
Therapie; „kontrollieren“ es in der Biofeedback-Therapie; oder leiten
es im gelenkten Tagträumen und in der Bilder-Therapie um. Die Myriaden von Ansätzen in der Psychotherapie sind
vielmehr Behandlung als Heilung. Sie konzentrieren sich alle
auf die Symptome der Neurose, anstatt ihre Ursache zu erforschen. Es ist möglich,
dass sie alle ein wenig helfen; sie heilen jedoch nicht. Die einzige Hoffnung auf Zusammenhang und dauerhafte
Hilfe für Patienten besteht darin, sich den generierenden Ursachen von
Neurose und psychischer Krankheit zuzuwenden. Was und wo sind diese
Ursachen? Ich glaube, dass der Konflikt zwischen dem eingeprägten
Schmerz eines frühen Traumas und seiner Verdrängung der zentrale
Widerspruch ist, der neurotische Reaktionen sowohl innerlich
(physiologisch) als auch äußerlich in der Form von Verhalten erzeugt. Verdrängung
oder der Verlust des Zugangs zu Feelings und Empfindungen ist eine
entwickelte Funktion, die uns erlaubt, ungemilderten Schmerz früh im
Leben zu überleben. Der Schmerz bleibt jedoch unvermeidlich im Körper
– so unvermeidlich wie die Erfahrungen, die den Schmerz ursprünglich
verursachten. Und der Schmerz hält fortwährend eine Verschiebung oder
Entstellung psychischer und physischer Funktionen in Gang, um sich selbst
in ungefühltem Zustand zu bewahren, solange er ungefühlt bleibt. Therapien, die sich nicht mit diesem ursprünglichen
zentralen Konflikt an der Wurzel der Neurose befassen, können vielleicht
ein Symptommuster erfolgreich neu konfigurieren, aber nicht die
fundamentale Krankheit eliminieren. In diesem Buch werde ich erklären,
warum ich glaube, dass nahezu alle verfügbaren Psychotherapien –
einschließlich EMDR, OR-Hypnotherapie, Freudsche Psychoanalyse,
Gestalttherapie, Verhaltensmodifizierung, rational-emotive Therapie, Körpertherapien
und Medikamententherapie – zum Scheitern verurteilt sind. Um zu
verstehen, warum dies so ist, muss man zuerst eine der fundamentalen
Eigenschaften aller natürlichen Phänomene verstehen: den dialektischen
Prozess der Veränderung. Eine
kurze Geschichte des dialektischen Begriffs
Die
Konzeption der Dialektik ist in verschiedener Form seit Jahrhunderten
bekannt. Sokrates verwendete sie, um seine Methode Hegels
Schriften über das dialektische Prinzip, wie es sich in den Gedanken und
in der Natur manifestiert, konstituieren eines der weitreichendsten
philosophischen Systeme, die je von einem einzelnen Menschen ersonnen
wurden. In der Tat war Hegels Philosophie ein Versuch, das gesamte
Universum als systematisches Ganzes zu begreifen. Er sah dieses
„Ganze“ aus einem Muster aus Widerspruch und Ausgleich hervorgehen,
welches mit kosmischer Regelmäßigkeit kam und ging. Der dialektische
Prozess führte den Menschen durch zahlreiche Entwicklungsstufen –
mentaler, moralischer, ästhetischer, religiöser und philosophischer Art
– bis zu dem Punkt, an dem der Mensch sich endlich als eins mit Gott
erkennt und die Absolute Wahrheit besitzt. Die Dialektik war für Hegel
das Mittel, mit dem Gott „Natur und endlichen Geist“ schuf; sie war
auch das Mittel, mit dem „Natur und endlicher Geist“, die jetzt
offenkundig geworden waren, sich mit dem Gott, der sie geschaffen hatte,
wiedervereinen würden. Karl Marx, der in derselben Zeitepoche lebte, wurde
durch Hegels Methode des dialektischen Denkens tief beeinflusst, obgleich
er Hegels ontologische Auffassungen hinsichtlich der Natur des Universums
heftig ablehnte. Einfach ausgedrückt sah Hegel den Geist (Gedanke,
Verstand) als ursprünglich, und die Materie wurde aus dem Geist
geschaffen. Marx sah die Materie als ursprünglich, und der Geist tauchte
als jüngste evolutionäre Entwicklung der Materie auf. Ungeachtet solcher
gegensätzlicher Ansichten bezüglich der endgültigen Natur der
Wirklichkeit fand Marx, dass Hegels Formulierung mehrerer dialektischer
Naturgesetze von großem Wert sei, um die Natur der sozialen Evolution
zu verstehen. Die
Gesetze
Gemäß
Hegels Konzeption offenbart das Universum bestimmte Muster von Wachstum
und Veränderung, die grundlegende Naturgesetze konstituieren. Vier dieser
Gesetze sind für diese Diskussion besonders passend:
Die
Essenz dieser Gesetze kann man wie folgt zusammenfassen:
Ebenso:
Was
hat das alles mit Psychologie zu tun? Seit ihren ersten Anfängen treibt die
Psychologie in einer Stiefkind-Position von einer Zugehörigkeit zur
anderen. Von Religion zur Philosophie und zu den Sozialwissenschaften
scheint ihre Geschichte nirgendwo hin zu gehören. Erst seit kurzem hat
sie sich dank der Fortschritte in technologischen Fähigkeiten (z. B.
Psychometrie, Psychophysiologie) eine Basis in den Naturwissenschaften
geschaffen. Dennoch sehen viele in der Psychologie immer noch eher das
Fachgebiet der Seele – der ätherischen, körperlosen Psyche – als der
konkreten, quantifizierbaren Wissenschaft. Letztendlich
muss man erkennen, dass der Wirksamkeitstest für jedes therapeutische
System oder jede psychologische Theorie den Bezug zu unserer Natur erfordert
– eine Natur, die durch ein komplexes aber ergründbares System
biologischer Prozesse vermittelt oder ermöglicht wird. Die
biologischen Prozesse zu verstehen, die unsere menschliche, psychische
Natur zusammensetzen, bedeutet die Bausteine von Gesundheit und
Krankheit zu verstehen. Das dialektische Prinzip zu verstehen, das
die Bewegung und Evolution dieser Prozesse lenkt, bedeutet die Wege zu
verstehen, auf denen diese Gesundheit oder Krankheit entstanden war. Die
folgenden Abschnitte beinhalten die Gesetze hinter diesem Prozess und
deren Verbindung zur Neurose im Detail. Gesetz
1: Das Gesetz des Widerspruchs
oder der gegenseitigen Durchdringung der Gegensätze
Dieses
Gesetz erklärt, dass Veränderung und Bewegung in allen Phänomenen durch
das zu Grunde liegende Prinzip des Widerspruchs zustandekommen. Als sine
qua non der Veränderung im Universum ist Widerspruch der Eckpfeiler
oder Ausgangspunkt des dialektischen Prozesses. Ohne die interagierenden
Kräfte des Widerspruchs gäbe es keine dynamischen Veränderungen –
keine Bewegung, Wechsel oder Wachstum innerhalb oder unter Phänomenen –
nur eine Art statischer, mechanistischer Neuordnung derselben. Die
dialektische Auffassung des Widerspruchs entwickelte sich ursprünglich
als Gegensatz zur mechanistischen Sicht, die während des 18ten
Jahrhunderts entstanden war. Die mechanistische Sichtweise war natürlich
ein Produkt der Mechanik, die damals die höchstentwickelte
Naturwissenschaft war. Da die Mechanik aus einem elementaren Schritt-um
Schritt-Verfahren besteht, bei dem man Knopf 1 dreht, um Hammer 2 in Gang
zu setzen, der auf Bolzen 3 trifft, war es auch natürlich, dass eine
mechanistische Ansicht der Welt alle Phänomene als Ergebnisse dieses
mechanischen Paradigmas betrachtete. Somit glaubte man, dass sogar die
komplexesten Phänomene der Natur, einschließlich dem menschlichen Leben
und Geist, auf eine Art linearer, nicht-dynamischer Ordnung und Neuordnung
der Teile zurückführbar waren. In
mechanischen Gemischen bleiben Komponente A und Komponente B Seite an
Seite. Das unterscheidet sich stark von der dynamischen Wechselwirkung,
die in chemischen Verbindungen stattfindet, wobei sich die zwei
Komponenten vermischen und etwas völlig Neues formen. Mit dem Erscheinen
der Chemie und Physik während des neunzehnten Jahrhunderts war der
Mechanismus als wissenschaftlicher Standpunkt nicht länger haltbar. Er
blieb jedoch als philosophisches und phänomenologisches Gefüge – eine
Art Weltanschauung oder Orientierung – die nicht nur bis in die
Gegenwart überdauert hat, sondern, wie wir sehen werden, die meisten
zeitgenössischen psychologischen Theorien und Therapien charakterisiert. Vor
Hegels Erkenntnis des elementaren Prozesses des Widerspruchs, der allen
natürlichen Phänomenen innewohnt, sah man die Auffassung vom Widerspruch
als eine rein logische Beziehung zwischen zwei Gedanken-Elementen. Er
wurde noch nicht als primäres lenkendes Prinzip verstanden, das innerhalb
und zwischen allen Dingen, Prozessen und Ereignissen in der natürlichen
Welt operiert. Das
Phänomen des Widerspruchs existiert auf der fundamentalsten Ebene der
Teilchenphysik. Einem Teilchen, das eine bestimmte Masse und Lebensdauer
hat, wirkt sein „Anti-Teilchen“ entgegen. Das Antiteilchen hat
„symmetrische Eigenschaften“, die denen seines Bruder-Teilchens
gleichen, aber entgegengesetzt gerichtet sind. Seine Masse und Lebensdauer
sind identisch mit der Masse und Lebensdauer des Teilchens, aber seine
Ladung und sein magnetisches Moment sind genau umgekehrt gepolt. Dass
dieses Verhältnis zwischen Partikel und Anti-Partikel in seinem Wesen
vielmehr dynamisch als mechanisch ist, beweist der
„Vernichtungsprozess“, der aus ihrem Zusammenprall resultiert. Die
durch den Zusammenprall des Teilchens mit seinem Anti-Teilchen
freigesetzte Energie führt zur Vernichtung ihrer Masse und deren
Umwandlung in reine Energie. Das
dialektische Gesetz des Widerspruchs auf das Studium der Neurose
anzuwenden, bedeutet, endlich die elementaren Bausteine des neurotischen
Prozesses zu verstehen: Schmerz und seine Gegenkraft, die Verdrängung.
Schmerz lässt Verdrängung entstehen. Sie können keine Verdrängung
haben, ohne zuerst etwas Schmerzhaftes zu haben, das sie verdrängen müssen.
Dass das Eindringen von Schmerz [Pain] (ich verwende manchmal den Großbuchstaben
„P“, um primal pain, Urschmerz, zu bezeichnen; etwas, das zu überwältigend
ist, als dass es integriert werden könnte) in das menschliche System
seine eigene Gegenkraft erzeugt, steht jetzt als biologische Tatsache
fest: Schmerz löst die Produktion schmerztötender Neurotransmitter aus,
die als Endomorphine oder Endorphine bekannt sind. Darüber hinaus
erzeugen Schmerz und seine Verdrängung biologische Veränderungen, die
lebensbedrohlich sein können. Tierexperimente
haben aufgedeckt, dass katastrophale Krankheiten wie Krebs resultieren können,
wenn Endomorphine in sehr großen Mengen freigesetzt werden. Die Forscher
meinen, dass Krebs die grundlegend neue Eigenschaft ist, die aus der
Freisetzung der hohen Endomorphin-Spiegel hervorgeht – Spiegel, die der
Schmerzmenge entsprechen, die die Tiere erfuhren. In einer anderen Reihe
von Experimenten entwickelten gestresste Ratten Tumore in den Arealen des
Gehirns, in denen sowohl Stress als auch Verdrängung organisiert wurden.
Joan Smith-Sonneborn, die mit einzelligen Lebewesen experimentierte,
setzte Paramecia [Pantoffeltierchen] ultravioletter Strahlung aus, die
ihre DNA beschädigte. Den Schaden entfernte man dann durch den Gebrauch
von kurzwelligem sichtbaren Licht. Gleich darauf entdeckte sie, dass die
ursprüngliche Intrusion der Strahlung die Freisetzung von
Reparatur-Enzymen stimuliert hatte. Sie schloss aus ihrer Arbeit, dass
„ultravioletter Schaden DNA-Reparaturprozesse induziert.“ Mit anderen
Worten hatte der Schaden den Umkehrungsprozess der Heilung aktiviert. Der
entscheidende Punkt ist, dass Schmerz allein für eine bestimmte
Krankheit nicht verantwortlich ist. Es ist die Wechselwirkung des
Schmerzes mit seiner Gegenkraft, der Verdrängung, welche letztlich den
Organismus verändert. Gesetz 2: Das Gesetz der auftauchenden
Phänomene Dieses
Gesetz ist eng mit dem Prinzip des Widerspruchs verknüpft. Es besagt,
dass neue Phänomene aus der quantitativen Zunahme widersprüchlicher
Interaktionen entstehen, die dann an einem bestimmten kritischen Punkt in
etwas qualitativ Neues transformiert werden. Der Übergang zur
neuen Qualität lässt sich nicht nach und nach beobachten; vielmehr
taucht sie plötzlich auf. Sie ist nicht auf ihre Eltern-Qualitäten zurückführbar;
sie ist größer als die Summe ihrer Teile. Bei
Menschen bedeutet es, dass die Versagung von Bedürfnissen in früher
Kindheit (z. B. das Fehlen von Zuneigung, Liebe, Akzeptanz; physisches
Trauma; Sauerstoffentzug bei der Geburt) eine Anhäufung von Urschmerzen
verursacht. Diese Schmerzen werden verschlüsselt und gespeichert – bis
zu einem bestimmten kritischen Punkt, an dem sie nicht mehr reibungslos
integriert werden können. Beim Ausgleichen des Inputs von Urschmerz
erreicht das Verdrängungssystem ein kritisches Niveau, auf dem der
Organismus einen qualitativen Sprung zu einer neuen Art der Organisation
vollzieht, wobei er eine Kaskade von Veränderungen erzeugt, die man überall
findet. Wenn
dieser qualitative Sprung vollzogen ist, haben Sie ein neues System, eine
neue Biologie, Neurologie und Biochemie – Neurose. Der Schmerz ist eine
fremde Kraft, die uns nicht erlaubt, natürlich zu sein, uns nicht
gestattet, wir selbst zu sein. Stresshormonspiegel zum Beispiel
sind bei Neurose permanent erhöht. Wenn die Verdrängung
schwindet, wie es beim Wiedererleben von Urschmerz in Primärtherapie der
Fall ist, hat die Person ein Fieber. Ihr System müht sich, der fremden
Gegenwart, die als Urschmerz bekannt ist, entgegenzuarbeiten. Feelings,
Gefühle werden hier zur Gefahr, die mit allen Systemen unseres Körpers
zu bekämpfen sind. Die
Anwendung dieses Prinzips auf die Psychologie und auf das Studium der
Neurose ist besonders wertvoll, weil es darauf hinweist, dass Neurose eine
totale, systemische Veränderung involviert – dass sie in der Tat ein
qualitativ neuer Seinszustand ist. Schmerz lässt Verdrängung
entstehen, und das dynamische Wechselspiel beider besteht quantitativ
fort, bis es zu einem qualitativen Sprung zur neuen Qualität kommt,die
als Neurose bekannt ist. Vielleicht sind wir schon bald in der Lage,
den kritischen Punkt zu messen, an dem das normale menschliche System in
ein neurotisches ‚umgemodelt’ wird. Wir wissen, dass in Autopsien von
Psychotikern einige der Nervenzellen (Neuronen) im limbischen System des fühlenden
Gehirns entweder am falschen Platz oder vollständig umgedreht waren. Gibt
es bereits wissenschaftliche Beweise, die anzeigen, dass Neurose eine
systemische Krankheit ist, ein neuer Seinszustand? Ja. Neurologische
Forschungen lassen erkennen, dass sich die Gehirnstruktur selbst als
Reaktion auf Schmerz ändert. Die Neurophysiologen Morpugo und Spinelli
fanden in ihren Tierexperimenten, dass sich schmerzvolle Ereignisse
„ausbreiten“ und mehr Platz im Gehirn beanspruchen als neutrale
Ereignisse. Des Weiteren resultieren Schmerz-Einprägungen in Wahrnehmungsänderungen
solcher Art, dass neutrale Stimuli als schmerzvoll empfunden werden.
„Neue Schaltkreise werden durch die anhaltende schmervolle Erfahrung
eingraviert,“ schreiben Morpugo und Spinelli, sodass immer mehr Teile
der Neuromaschinerie darauf vorbereitet sind, Stimuli als schmerzvoll zu
erkennen, die in einem normalen Subjekt völlig unbemerkt bleiben würden.“
Mit anderen Worten errichtet die Umgebung (das Trauma) ein neues
Gehirnsystem, das wiederum
eine neue innere Umgebung produziert. Von Schmerz beeinflusste Zellen ändern
sich und werden zu einem Bestandteil der Schmerz verarbeitenden
Neuromaschinerie. Die Veränderung bis hinab auf die zelluläre Ebene
wandelt die Wahrnehmung und ändert die Art, wie man die Umwelt sieht und
auf sie reagiert. Im Einklang mit dem inneren Zustand wird eine neue
Umwelt errichtet, sodass neutrale Ereignisse schmerzvoll werden und man
entsprechend auf sie reagiert. „Kann ich dir helfen?“ wird zu
„Denkst du, ich bin hilflos oder dumm?“ „Ich bin nicht deiner
Meinung“ wird interpretiert als „Ich glaube, du bist ein Verlierer“,
und es provoziert eine anomale Reaktion. Das kommt daher, weil in diesem
Zustand jedes neutrale Ereignis die alte Einprägung auslösen kann. Durch
die Arbeit von Martin Teicher wissen wir, dass das „Verbindungskabel“
zwischen rechter und linker Hemisphäre des Gehirns aufgrund sehr früher
Traumen geschwächt oder verdünnt ist. Die
Tatsache, dass Neurose eine qualitative, systemische Veränderung
involviert, ist erst seit kurzem von einigen Forschern und Klinikern im
Fachgebiet erkannt worden. Das an früherer Stelle beschriebene „Stückchen-und
Teilchen“-System, wo eine Phobie eine Phobie ist, eine Obsession eine
Obsession ist und Symptome eben Symptome sind, ist leider noch immer geläufiger. Gesetz 3: Das Gesetz der Negation der
Negation
Das
Gesetz der Negation der Negation weist darauf hin, dass die Umkehrung der
Umstände, welche einen Widerspruch verursachten, sowohl den Widerspruch lösen
als auch jede qualitative Transformation ungeschehen machen wird, die aus
dem Widerspruch resultierte. Das Gesetz von der Negation der Negation enthält
tatsächlich den Schlüssel für das Ende der Neurose:
Das Gegenstück zu den Erfahrungen, die den Urschmerz/Verdrängungs-Widerspruch
begründeten, wird den Widerspruch auflösen und den neurotischen Zustand
beenden, den der Widerspruch verursachte. Bei einem frühen Trauma ist die
Verdrängung für den Organismus erforderlich, um zu überleben, wobei sie
einen Widerspruch zwischen Urschmerz und Verdrängung erzeugt (Gesetz 1).
Der Urschmer/Verdrängungs-Widerspruch kann zu dem qualitativ neuen
Zustand der Neurose führen (Gesetz 2). Nimmt man Schmerz als gegeben an,
kann die Verdrängung umgekehrt werden, indem man den Patienten dazu
bringt, dass er den ursprünglichen Schmerz voll fühlt (was er oder sie zu der Zeit, als er geschah, unmöglich tun
konnten ), wie es in Primärtherapie geschieht. Das Ergebnis ist, dass es
den SchmerzVerdrängungs-Widerspruch nicht mehr gibt, weil es die Verdrängung
nicht mehr gibt; und mit der Grundlage für den neurotischen Zustand
verschwindet auch der neurotische Zustand selbst. Ein
anderes Beispiel für den Negationsprozess im Bereich wachstumsgehemmter
Physiologie ist die Blockierung der Evolution des genetischen Kodes durch
Verdrängung. Verdrängung kann die richtige Synthese von Organsystemen
verhindern oder verzögern, indem sie Gehirn-Neurotransmitter auf solche
Weise neu arrangiert, dass das normale genetische Programm sich ändert.
Interessanterweise haben wir beobachtet, dass diese genetische Blockade
sich selbst umkehrt, wenn Patienten in der Primärtherapie Fortschritte
machen. Wir haben Männer gesehen, die in ihren dreißigern zum ersten Mal
Brust- und Gesichtshaar entwickelten, und Frauen, deren Brüste
wieder wuchsen, als diese Individuen in der Primärtherapie
vorankamen. Die Umkehrung der Blockierung ihrer genetischen Entfaltung
(Aufhebung der Negation) kam offensichtlich dadurch zustande, dass sie die
zentralen Widersprüche erlebten, die in ihrer Neurose einbegriffen waren.
Fühlen bildete die Negation der Negation, was wiederum ihre
physiologischen Prozesse befreite, sodass sie „wie geplant“
fortschreiten konnten. Der
Migräne-Kopfschmerz liefert ein treffendes biologisches Paradigma, um das
Gesetz der Negation zu verstehen. Zuerst sehen wir die Negation von
Urschmerz durch Vasokonstriktion. Die Vasokonstriktion ist ein
automatisches physiologisches Bemühen, den Schmerz zu blockieren oder
einzuschränken. Dann schafft die Vasokonstriktion eine
entgegenwirkende Tendenz in Richtung Überproduktion vasodilatierender Elemente
im Blutstrom, was das hämmernde Symptom namens Migräne erzeugt. Ein Migräne-Kopfschmerz
ist die Synthese dieser zwei opponierenden Tendenzen der Vasokonstriktion
und Vasodilatation. Die Symptom-Synthese wird umgekehrt, indem die
Negation der Vasodilatation aufgehoben wird: Der Schmerzpegel wird via
Feeling reduziert, sodass das
Blutsystem normal funktionieren kann. In der traditionellen medizinischen
Behandlung verabreicht man vasokonstringierende Medikamente, um das
Symptom zeitweise zu blockieren. Das ist jedoch keine Heilung. Ein
weiteres biologisches Beispiel ist ein Krebstyp, der abnormale Oberflächen-Antigene
trägt, die man als „Tumor-assoziierte-Antigene“ bezeichnet. Gegen
diese Antigene bilden sich Antikörper. Würde die Geschichte hier aufhören,
würde das Immunsystem normalerweise den Krebs durch die Bildung dieser
Antikörper heilen. Leider sind diese Antikörper meistens „blockierende
Antikörper“, die nicht gewebezerstörend sind. Stattdessen besetzen sie
Rezeptorstellen auf den Tumor-assoziierten Antigenen und verbergen somit
den Krebs vor den Teilen des Immunsystems, die in tatsächlich zerstören
könnten. Um die Sequenz zu durchbrechen, brauchen Sie eine Negation der
Negation: Sie benötigen eine Substanz, die den blockierenden Antikörper
blockiert und somit den Krebs den zerstörenden Antikörpern aussetzt, die
die Heilung bewirken können. Gesundheit
zu erlangen bedeutet für den Neurotiker, die Vergangenheit als
Energiequelle aufzuheben, sodass man nicht kontinuierlich gegen seine
Geschichte arbeiten muss. Ursprünglich wurde die Verdrängung aktiviert,
um den Organismus zu schützen; um das System davor zu bewahren, zuviel
Schmerz fühlen zu müssen. Die Negation wird durch das Aufsteigen der
ursprünglichen Gefühle ins Bewusstsein selbst negiert oder aufgehoben
– das heißt per Definition, dass die Verdrängung durch das Fühlen des
Schmerzes umgekehrt wird. Und in der Abwesenheit eines Urschmerz/Verdrängungs-Widerspruchs
beginnen die neurotischen Zustände zusammenzubrechen. Gesetz 4: Das Gesetz von der
Universalität des Besonderen und von der Besonderheit des Universums Nach
diesem Prinzip sind die Gesetze des Universums im winzigsten Teilchen
enthalten, und innerhalb der Funktionsweise jedes Partikels kann man
anfangen, das Universum zu verstehen. Das Allgemeine findet sich immer im
Spezifischen. Ein einzelnes Gehirn zu verstehen bedeutet, alle Gehirne zu
verstehen. Eine Neurose zu verstehen bedeutet, die Dynamik aller Neurosen
zu verstehen. Universalität
und Partikularität sind untrennbare Aspekte der Dialektik. Je tiefer wir
ein einzelnes Individuum ergründen, umso mehr universelle Gesetze
entdecken wir über die Psyche. Je mehr wir Schmerz und Verdrängung in
einer Person verstehen, umso mehr verstehen wir alle Aspekte. All die
unterschiedlichen Neurosen zu verstehen bedeutet, die Allgemeinheit einer
einzelnen Neurose zu verstehen. Unsere
Primärforschung zeigt, dass verschiedene emotionale Traumen dieselben
inneren Veränderungen erzeugen. Mit anderen Worten: Obwohl verschiedene
Neurosen sich auf verschiedene Arten manifestieren können, sind sie alle
in Wirklichkeit eine einzige Neurose. Je mehr unsere Patienten ihre
Traumen fühlen, was immer sie sein mögen (z. B. Erniedrigung,
Verlassenwerden, Ablehnung, Kritik), umso mehr bewegen sich ihre Körper
auf eine biologische, gesundheitliche Mitte zu. Gegen diese Homogenität
erhebt sich eine neue Heterogenität – die natürliche Verschiedenheit,
die sich ergibt, wenn Menschen die Freiheit haben, sie selbst zu werden. Im
Gegensatz dazu unterscheidet das psychiatrisch-diagnostische
Standard-Manual (das DSM-IV) vielerlei Neurosen voneinander und offenbart
damit einen mechanischen Ansatz. Dem entsprechend gibt es am Nationale
Institute of Mental Health für jedes separate neurotische Problem ein Gebäude
oder Büro – Alkohol, Drogenmissbrauch, sexuelle Abweichung, Migräne,
ad infinitum. Man könnte sagen, dass die Behandlung der Neurose die
Neurose selbst reflektiert: beide sind durch dysfunktionale Fragmentierung
gekennzeichnet. Ich glaube, wir brauchen lediglich zwei Gebäude: Neurose.
Psychose. Das ist eine Sache der Schmerzmenge. Wenn die Verdrängung zu
versagen droht, erhalten wir offene Symptome oder Drogensucht und
Alkoholismus. Wenn der Schmerzspiegel außergewöhnlich hoch ist, finden
wir vielleicht Psychose. Der
Schlüssel ist, dass der Körper zwischen Schmerzen, die ihm zugefügt
werden, nicht unterscheidet. Emotionaler und physischer Schmerz werden so
ziemlich auf die gleiche Weise verarbeitet. Deshalb hilft es nicht, sich
auf die Beschaffenheit eines jeden und aller äußerer Anzeichen, dass
etwas nicht stimmt, zu konzentrieren. Stattdessen müssen wir diese
besonderen Symptome auf die zentralen verarbeitenden Mechanismen zurückbeziehen,
die in allen neurotischen Störungen involviert sind, zurück auf die
ursprünglichen Widersprüche, die sie erzeugten. Die Partikularität
oder Besonderheit neurotischer Symptome über die Universalität
oder Allgemeinheit der Mechanismen zu stellen, die sie
vermitteln, bedeutet, einen eindimensionalen Ansatz in Richtung einer
endlos weiter ausgearbeiteten Nomenklatur und eines ewig unzulänglichen
Verstehens zu unternehmen. Die Grenzen nicht-dialektischer
Therapien Was
alle nicht-dialektischen Therapien gemeinsam haben, ist die einseitige
Konzentration auf eine Hälfte
des Problems. Zu jedem Phänomen gehören zwei Aspekte: seine Erscheinung
(Phänotyp) und seine Essenz (Genotyp). Nicht-dialektische Therapien
befassen sich eher mit Erscheinungen als mit Essenzen. Wenn eine solche
Therapie „fumktioniert“, funktioniert sie an der Oberfläche – auf
einer Seite des Widerspruchs – während das biologische System weiterhin
die systemischen Erschütterungen der Neurose offenbart. Somit wird ein
Sexproblem zu einer Frage der Technik, ein Kuss oder eine zärtliche Berührung
hier, ein paar Worte da; ein psychosomatisches Symptom wird zur Sache
einer Nadel (Akupunktur), einer Maschine (Biofeedback) oder von Worten
(Hypnose). Die Behandlung wird dem Patienten vom begünstigten Standpunkt
eines vorbestimmten und vorgepackten Systems auferlegt. Phobien
werden aus einer Person mittels eines vorinstallierten Programms namens
Desensibilisierung „herauskonditioniert.“ „Ego-Anpassungsprobleme“
werden durch die Anwendung der Einsichten eines Psychoanalytikers oder
Psychotherapeuten „gelöst.“ Sich
mit Fragmenten menschlichen Verhaltens zu befassen – an der „Psyche“
durch Psychoanalyse zu arbeiten, mit dem Körper durch Massage oder
Bioenergetik zu arbeiten, an der Haut oder am Blutdruck mittels
Biofeedback zu arbeiten – kann nur bruchstückhafte Korrekturen ergeben.
Die Dialektik zeigt uns, dass es nicht möglich ist, das Symptom von der
Quelle, die Biologie von der Psychologie, die Ursache von der Wirkung zu
trennen. Alle sind unauflösbar und dynamisch miteinander verknüpft. Dementsprechend
darf sich ein therapeutisches System nicht über die biologische Natur des
Patienten setzen, sondern sollte seine Theorien, Auffassungen und
Techniken vielmehr vom Patienten ableiten – von seinem Erleben
und von seiner Psychobiologie. Die Dialektik hinter sich zu lassen,
bedeutet, dass man die inneren Widersprüche und ihren Ausdruck als lösenden
Faktor nicht mehr erkennt. Das bedeutet, dass man vorhaben muss, äußere
Kräfte aufzubieten, um zu erklären, was sich in einem Menschen abspielt.
Somit braucht der Patient die Einsichten eines anderen darüber, wie er
sein Leben führen soll, oder um herauszufinden, was in seinem eigenen Körper
los ist. Diese Methode wird dem Patienten nicht helfen. Patienten kann man
nur auf dem Feld ihrer eigenen Phänomenologien helfen, unbehindert durch
vorgefasste Ansichten von Therapeuten. Psychotherapie und Dialektik heute Worum
es bei den meisten Psychotherapien heute geht, ist die Manipulation der
Leute, ihrer Ideen, Auffassungen und ihrer Gefühle. Überzeugung und
Verhalten des Patienten behandelt man, als wären sie ein separates
Universum der Abstraktion und des Diskurses, das sich nur dem Intellekt
offenbart oder nur durch den Intellekt offenbart werden kann, unabhängig
von der materiellen Welt im Inneren. Dennoch setzt sich Neurose nicht
intellektuell als Gedanke fest sondern als Erfahrung. Es ist die
Erfahrung, der wir uns zuwenden müssen. Der
zentrale Punkt meines Arguments ist, dass Widerspruch die treibende Kraft
der Veränderung ist. Wenn wir die Richtung der Veränderung verstehen und
sie kontrollieren wollen, müssen wir zuerst den ursprünglichen
Widerspruch verstehen. Das Wichtige am Widerspruch ist, dass es buchstäblich
Tausende von Widersprüchen auf allen Ebenen menschlichen Funktionierens
gibt. Der gesamte Körper ist eine Masse aus Widerspruch, aus Equilibrium,
aus Gleichgewicht. Nirgendwo wird das klarer als im Immunsystem. Immer
mehr Beweismaterial deutet darauf hin, dass individuelle Zellen im
Immunsystem mit psychischem Schmerz verknüpft sind und in der Tat eine
Form von Neurotransmitter absondern, der sich mit (frühem) Schmerz
befasst. In diesen Zellen sehen wir die Einheit von Körper und Psyche,
die Beziehung der Persönlichkeit zur Zelle, die Beziehung des Allgemeinen
zum Besonderen und des Teils zum Ganzen. Das
Fachgebiet der Psychologie gabelt sich zu einem großen Teil an der
Psyche-Körper-Dualität, bei der die Psyche als besonderer Zustand
abseits des Körpers existiert. Jede Psychotherapie ist
ihrem bloßen Wesen nach nicht-dialektisch, weil sie die wechselseitige
Einheit missachtet, die zwischen Körper und Psyche existiert. Viele
Therapien, die „holistisch“ zu sein scheinen und behaupten, einen
vereinten Ansatz widerzuspiegeln, sind und tun dies in Wirklichkeit nicht.
Ein wirklich holistischer Ansatz zur Therapie bedeutet, sich mit
allen Faktoren zu befassen, die ursprünglich in die Schaffung des
neurotischen Zustands einbezogen waren. Diese Faktoren bilden eine
historisch-psychologisch-neurobiologische Konstellation von Kräften, die
fortwährend im Einklang mit den Gesetzen der dialektischen Evolution
aufeinander wirken. Dialektik
ist kein System, das der Natur aufgezwungen wird, sondern sie leitet
sich von deren Beobachtung ab. Die Natur und die natürlichen Kräfte
werden somit zum grundlegenden Test für die Dialektik. Als Teil der
Naturgesetze ist die Dialektik ein System zur Ordnung von Phänomenen, das
das Grundgerüst für die psychotherapeutische Arbeit bereitstellen kann.
Wenn Neurose in einem dialektischen Rahmenwerk gesehen wird, zeigt die
offensichtliche Vielschichtigkeit neurotischer Symptomatologie plötzlich
zu Grunde liegenden Zusammenhang und Einheit. Diese basale Kohäsion und
Einheit wirft dann ein grelles Licht auf die Unzulänglichkeit der
diversen Behandlungsmodalitäten, die jetzt als legitime Heilmethoden
betrachtet werden. Die
Anwendung der dialektischen Gesetze gestattet uns endlich, unsere
psychotherapeutische Arbeit zu legitimieren, indem sie uns Richtlinien für
einen wirklich heilsamen Ansatz zur Neurose liefert. Neurose – man
vergisst es oft - ist eine
einzige Krankheit, die Myriaden von Manifestationen erzeugt. Ihre Heilung
sollte deshalb nur einen einzigen Ansatz einbeziehen. Ich
denke, es ist nur eine Frage der Zeit, bis die wissenschaftliche Relevanz
der Dialektik auf dem Feld der Psychologie in Betracht gezogen wird. Wir
werden bald messbare kritische Punkte der Transformation haben, wodurch
sowohl das Einsetzen als auch die Auflösung der Neurose aufgezeigt wird.
Wir werden neurobiologische Daten haben, die den spezifischen
Negationsprozess detailiert wiedergeben. Wir werden genau vorhersagen können,
wieviel Therapie (Fühlen) erforderlich ist, indem wir messen, wie viel
Schmerz überall in den Vitalfunktionen der Person registriert ist. Das
Fachgebiet der Psychologie muss heute eine wichtige Wahl treffen. Sie kann
die zwingenden Beweise ignorieren, die auf die dialektische Basis der
Neurose hinzeigen, bis die Wissenschaft sie voll verifiziert hat. Oder sie
kann zu ihrem eigenen qualitativen und visionären Sprung ansetzen, indem
sie ermöglicht, dass das dialektische System dem Fachbereich den ersten
einheitlichen Ansatz zum Problem psychischer Krankheit in seiner
Geschichte bereitstellt. ---------------------------------------------------------------------------------------
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