Artikel u. Buchausz.

Buchauszug

Artikel u. Buchausz.

Buchübersetzungen

 
 
 

Buchauszug:  Sie finden hier die deutsche Übersetzung einiger Kapitel aus Dr. Janovs Online-Buch GRAND DELUSIONS  , das auf primaltherapy.com in englischer Sprache zur Verfügung steht. Dr. Janov befasst sich in diesem Buch eingehend mit unterschiedlichen Ansätzen der Psychotherapie und erläutert, warum diese verschiedenen Methoden letztlich keine tiefgreifenden Wirkungen und dauerhaften Erfolge erzielen können: Laut Janov ist es der fehlende Gefühlszugang  zu traumatischen Erinnerungen, die in unser Nerven- und Körpersystem eingeprägt sind, welcher der Wirksamkeit all dieser Ansätze enge Grenzen setzt. Das Buch ist in jeder Hinsicht ein äußerst anspruchsvolles Werk und richtet sich in erster Linie an Fachleute, aber auch für uns Laien bietet sich hier eine gute Möglichkeit, tiefere Einblicke in das Feld der Psychotherapie zu gewinnen und die Unterschiede zur Primärtherapie und Primärtheorie zu verstehen.

Ferdinand Wagner

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  Dr. Arthur Janov

 

  GRAND DELUSIONS

GROSSE ILLUSIONEN

  Psychotherapien ohne Fühlen

 

Veröffentlicht im Juni 2005 auf primaltherapy.com

 

  Einführung

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DIE DIALEKTIK DES BEWUSSTSEINS

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Wir Fachleute auf dem Feld der klinischen Psychologie befinden uns heute in einer merkwürdigen Situation. Sowohl in als auch außerhalb unserer Praxis sehen wir Leute, die unter einem heimtückischen Zustand leiden, den man weder sehen, schmecken, ertasten noch an einem einzelnen Ort lokalisieren kann. Der Zustand wird oft als psychische Krankheit oder Neurose bezeichnet. Einige bezweifeln, dass das Leiden real ist, beschreiben das Erlebnis als „Trip“, den man auskostet, und nennen psychische Krankheit einen „Mythos.“ Andere sehen psychische Krankheit lediglich als Funktion verzerrten Denkens, etwas, das mit neuen Gedanken verschwindet. Von den Psychotherapie-Schulen, die die Existenz psychischer Krankheit einräumen, hat jede ganz andere Vorstellungen von Neurose und ihrer Genesis. Tatsächlich gibt es in keinem Bereich der Medizin eine solche Unstimmigkeit über die Natur einer Krankheit, was ihre Symptome sind und wie sie sich manifestiert, ganz zu schweigen von ihren Ursachen.

Kurz gesagt präsentiert sich das Feld der Psychotherapie heutzutage wahrlich chaotisch. Warum?

Erstens, glaube ich, beginnen Ereignisse, die psychische Krankheit oder Neurose verursachen können, so ungemein früh und bleiben so sehr im Unterbewusstsein verbarrikadiert, dass die Auffassung, dass ein frühes Trauma Einfluss darauf hat, wie wir im Alter von -sagen wir- 45 Jahren handeln, jenseits gewöhnlicher Vorstellungskraft liegt. Zweitens reagieren wir auf ein frühes Trauma mit unglaublicher Vielfältigkeit und wir denken vielleicht, dass Phobien, Migränen, Zwänge, Obsessionen, Depression, Sucht etc. alle unterschiedliche Funktionen haben müssen. Drittens haben Psychologen als Funktion ihrer eigenen Neurose Schwachpunkte – sie können den tiefsten Schmerz ihrer Patienten nicht sehen oder können es nicht ertragen ihn zu sehen – und lassen sich nur allzu gerne von Symptomen und Ideologien ablenken, die sich nicht direkt mit dem Schmerz befassen.

Als Ergebnis ist das Fachgebiet der Psychotherapie durch einen bemerkenswerten Mangel an Kohäsion gekennzeichnet, und dem Schmerz der Patienten wendet man sich bestenfalls auf  diffuse Weise zu. Einige Psychotherapeuten werden konsequent Anti-Angst- und Anti-Depressions-Medikamente für unterschiedliche Neurosen verschreiben; sie versuchen im Wesentlichen, den Schmerz der Patienten abzutöten, identifizieren aber den Schmerz  und seine Herkunft nicht. Andere handhaben Symptome vielleicht mit unterschiedlichen Techniken, die mit den verschiedenen Schulen der Psychotherapie assoziiert sind: Sie veranlassen vielleicht, dass der Patient sich „von einem Symptom dissoziiert“, wie in der Hypnotherapie; dass er es kognitiv in Vergessenheit „analysiert“; dass er das Symptom in der gestalttypischen Therapie symbolisch „ausagiert“. Sie schlagen es mit milden Schocks zurück wie in der Konditionierungstherapie; kreiden es „fehlerhaften Überzeugungen“ an, die man einfach vorsätzlich ändern muss, wie in der rational-emotiven Therapie; „kontrollieren“ es in der Biofeedback-Therapie; oder leiten es im gelenkten Tagträumen und in der Bilder-Therapie um.

Die Myriaden von Ansätzen in der Psychotherapie sind vielmehr Behandlung als Heilung. Sie konzentrieren sich alle auf die Symptome der Neurose, anstatt ihre Ursache zu erforschen. Es ist möglich, dass sie alle ein wenig helfen; sie heilen jedoch nicht.

Die einzige Hoffnung auf Zusammenhang und dauerhafte Hilfe für Patienten besteht darin, sich den generierenden Ursachen von Neurose und psychischer Krankheit zuzuwenden. Was und wo sind diese Ursachen? Ich glaube, dass der Konflikt zwischen dem eingeprägten Schmerz eines frühen Traumas und seiner Verdrängung der zentrale Widerspruch ist, der neurotische Reaktionen sowohl innerlich (physiologisch) als auch äußerlich in der Form von Verhalten erzeugt. Verdrängung oder der Verlust des Zugangs zu Feelings und Empfindungen ist eine entwickelte Funktion, die uns erlaubt, ungemilderten Schmerz früh im Leben zu überleben. Der Schmerz bleibt jedoch unvermeidlich im Körper – so unvermeidlich wie die Erfahrungen, die den Schmerz ursprünglich verursachten. Und der Schmerz hält fortwährend eine Verschiebung oder Entstellung psychischer und physischer Funktionen in Gang, um sich selbst in ungefühltem Zustand zu bewahren, solange er ungefühlt bleibt.

Therapien, die sich nicht mit diesem ursprünglichen zentralen Konflikt an der Wurzel der Neurose befassen, können vielleicht ein Symptommuster erfolgreich neu konfigurieren, aber nicht die fundamentale Krankheit eliminieren. In diesem Buch werde ich erklären, warum ich glaube, dass nahezu alle verfügbaren Psychotherapien – einschließlich EMDR, OR-Hypnotherapie, Freudsche Psychoanalyse, Gestalttherapie, Verhaltensmodifizierung, rational-emotive Therapie, Körpertherapien und Medikamententherapie – zum Scheitern verurteilt sind. Um zu verstehen, warum dies so ist, muss man zuerst eine der fundamentalen Eigenschaften aller natürlichen Phänomene verstehen: den dialektischen Prozess der Veränderung.

Eine kurze Geschichte des dialektischen Begriffs

Die Konzeption der Dialektik ist in verschiedener Form seit Jahrhunderten bekannt. Sokrates verwendete sie, um seine Methode der Diskussion zu beschreiben, die Frage und Antwort involvierte. Plato benutzte sie, um eine Art höchstes Wissen zu beschreiben. Aristoteles gebrauchte sie, um eine spezielle Methode des Denkens zu kennzeichnen. Hegel verwendete sie, um den Bewegungsprozess zu beschreiben, der der Natur der Gedanken zu Grunde liegt, und Marx benutzte sie, um den Bewegungsprozess zu beschreiben, der der Natur menschlicher, sozialer und geschichtlicher Entwicklung zu Grunde liegt.

Hegels Schriften über das dialektische Prinzip, wie es sich in den Gedanken und in der Natur manifestiert, konstituieren eines der weitreichendsten philosophischen Systeme, die je von einem einzelnen Menschen ersonnen wurden. In der Tat war Hegels Philosophie ein Versuch, das gesamte Universum als systematisches Ganzes zu begreifen. Er sah dieses „Ganze“ aus einem Muster aus Widerspruch und Ausgleich hervorgehen, welches mit kosmischer Regelmäßigkeit kam und ging. Der dialektische Prozess führte den Menschen durch zahlreiche Entwicklungsstufen – mentaler, moralischer, ästhetischer, religiöser und philosophischer Art – bis zu dem Punkt, an dem der Mensch sich endlich als eins mit Gott erkennt und die Absolute Wahrheit besitzt. Die Dialektik war für Hegel das Mittel, mit dem Gott „Natur und endlichen Geist“ schuf; sie war auch das Mittel, mit dem „Natur und endlicher Geist“, die jetzt offenkundig geworden waren, sich mit dem Gott, der sie geschaffen hatte, wiedervereinen würden.

Karl Marx, der in derselben Zeitepoche lebte, wurde durch Hegels Methode des dialektischen Denkens tief beeinflusst, obgleich er Hegels ontologische Auffassungen hinsichtlich der Natur des Universums heftig ablehnte. Einfach ausgedrückt sah Hegel den Geist (Gedanke, Verstand) als ursprünglich, und die Materie wurde aus dem Geist geschaffen. Marx sah die Materie als ursprünglich, und der Geist tauchte als jüngste evolutionäre Entwicklung der Materie auf. Ungeachtet solcher gegensätzlicher Ansichten bezüglich der endgültigen Natur der Wirklichkeit fand Marx, dass Hegels Formulierung mehrerer dialektischer Naturgesetze von großem Wert sei, um die Natur der sozialen Evolution zu verstehen.

Die Gesetze

Gemäß Hegels Konzeption offenbart das Universum bestimmte Muster von Wachstum und Veränderung, die grundlegende Naturgesetze konstituieren. Vier dieser Gesetze sind für diese Diskussion besonders passend:

(1)    Das Gesetz des Widerspruchs oder das Gesetz der gegenseitigen Durchdringung der Gegensätze.

(2)    Das Gesetz der auftauchenden Phänomene.

(3)    Das Gesetz von der Negation der Negation.

(4)    Das Gesetz der Allgemeinheit des Besonderen und von der Besonderheit des Allgemeinen.

Die Essenz dieser Gesetze kann man wie folgt zusammenfassen:

(1)    Veränderung resultiert, wenn zwei gegensätzliche Tendenzen quantitativ aufeinander wirken.

(2)    Diese Veränderung erreicht einen kritischen Punkt, an dem eine qualitative Transformation stattfindet.

(3)    Die Umkehr der Bedingungen, die den ursprünglichen Widerspruch verursachten, wird den transformierten Zustand umkehren oder ungeschehen machen.

Ebenso:

(4)    Die Natur jedes Phänomens lässt sich entweder durch das Besondere (Spezifische) oder durch das Universelle (Allgemeine) entdecken. Universelle Gesetze sind in den einzelnen [besonderen] Elementen enthalten, und die Besonderheit von Elementen kann man entdecken, indem man das universelle Gesetz untersucht.

Was hat das alles mit Psychologie zu tun? Seit ihren ersten Anfängen treibt die Psychologie in einer Stiefkind-Position von einer Zugehörigkeit zur anderen. Von Religion zur Philosophie und zu den Sozialwissenschaften scheint ihre Geschichte nirgendwo hin zu gehören. Erst seit kurzem hat sie sich dank der Fortschritte in technologischen Fähigkeiten (z. B. Psychometrie, Psychophysiologie) eine Basis in den Naturwissenschaften geschaffen. Dennoch sehen viele in der Psychologie immer noch eher das Fachgebiet der Seele – der ätherischen, körperlosen Psyche – als der konkreten, quantifizierbaren Wissenschaft.

Letztendlich muss man erkennen, dass der Wirksamkeitstest für jedes therapeutische System oder jede psychologische Theorie den Bezug zu unserer Natur erfordert – eine Natur, die durch ein komplexes aber ergründbares System biologischer Prozesse vermittelt oder ermöglicht wird. Die biologischen Prozesse zu verstehen, die unsere menschliche, psychische Natur zusammensetzen, bedeutet die Bausteine von Gesundheit und Krankheit zu verstehen. Das dialektische Prinzip zu verstehen, das die Bewegung und Evolution dieser Prozesse lenkt, bedeutet die Wege zu verstehen, auf denen diese Gesundheit oder Krankheit entstanden war.

Die folgenden Abschnitte beinhalten die Gesetze hinter diesem Prozess und deren Verbindung zur Neurose im Detail.

Gesetz 1:   Das Gesetz des Widerspruchs oder der gegenseitigen Durchdringung der Gegensätze

Dieses Gesetz erklärt, dass Veränderung und Bewegung in allen Phänomenen durch das zu Grunde liegende Prinzip des Widerspruchs zustandekommen. Als sine qua non der Veränderung im Universum ist Widerspruch der Eckpfeiler oder Ausgangspunkt des dialektischen Prozesses. Ohne die interagierenden Kräfte des Widerspruchs gäbe es keine dynamischen Veränderungen – keine Bewegung, Wechsel oder Wachstum innerhalb oder unter Phänomenen – nur eine Art statischer, mechanistischer Neuordnung derselben.

Die dialektische Auffassung des Widerspruchs entwickelte sich ursprünglich als Gegensatz zur mechanistischen Sicht, die während des 18ten Jahrhunderts entstanden war. Die mechanistische Sichtweise war natürlich ein Produkt der Mechanik, die damals die höchstentwickelte Naturwissenschaft war. Da die Mechanik aus einem elementaren Schritt-um Schritt-Verfahren besteht, bei dem man Knopf 1 dreht, um Hammer 2 in Gang zu setzen, der auf Bolzen 3 trifft, war es auch natürlich, dass eine mechanistische Ansicht der Welt alle Phänomene als Ergebnisse dieses mechanischen Paradigmas betrachtete. Somit glaubte man, dass sogar die komplexesten Phänomene der Natur, einschließlich dem menschlichen Leben und Geist, auf eine Art linearer, nicht-dynamischer Ordnung und Neuordnung der Teile zurückführbar waren.

In mechanischen Gemischen bleiben Komponente A und Komponente B Seite an Seite. Das unterscheidet sich stark von der dynamischen Wechselwirkung, die in chemischen Verbindungen stattfindet, wobei sich die zwei Komponenten vermischen und etwas völlig Neues formen. Mit dem Erscheinen der Chemie und Physik während des neunzehnten Jahrhunderts war der Mechanismus als wissenschaftlicher Standpunkt nicht länger haltbar. Er blieb jedoch als philosophisches und phänomenologisches Gefüge – eine Art Weltanschauung oder Orientierung – die nicht nur bis in die Gegenwart überdauert hat, sondern, wie wir sehen werden, die meisten zeitgenössischen psychologischen Theorien und Therapien charakterisiert.

Vor Hegels Erkenntnis des elementaren Prozesses des Widerspruchs, der allen natürlichen Phänomenen innewohnt, sah man die Auffassung vom Widerspruch als eine rein logische Beziehung zwischen zwei Gedanken-Elementen. Er wurde noch nicht als primäres lenkendes Prinzip verstanden, das innerhalb und zwischen allen Dingen, Prozessen und Ereignissen in der natürlichen Welt operiert.

Das Phänomen des Widerspruchs existiert auf der fundamentalsten Ebene der Teilchenphysik. Einem Teilchen, das eine bestimmte Masse und Lebensdauer hat, wirkt sein „Anti-Teilchen“ entgegen. Das Antiteilchen hat „symmetrische Eigenschaften“, die denen seines Bruder-Teilchens gleichen, aber entgegengesetzt gerichtet sind. Seine Masse und Lebensdauer sind identisch mit der Masse und Lebensdauer des Teilchens, aber seine Ladung und sein magnetisches Moment sind genau umgekehrt gepolt. Dass dieses Verhältnis zwischen Partikel und Anti-Partikel in seinem Wesen vielmehr dynamisch als mechanisch ist, beweist der „Vernichtungsprozess“, der aus ihrem Zusammenprall resultiert. Die durch den Zusammenprall des Teilchens mit seinem Anti-Teilchen freigesetzte Energie führt zur Vernichtung ihrer Masse und deren Umwandlung in reine Energie.

Das dialektische Gesetz des Widerspruchs auf das Studium der Neurose anzuwenden, bedeutet, endlich die elementaren Bausteine des neurotischen Prozesses zu verstehen: Schmerz und seine Gegenkraft, die Verdrängung. Schmerz lässt Verdrängung entstehen. Sie können keine Verdrängung haben, ohne zuerst etwas Schmerzhaftes zu haben, das sie verdrängen müssen. Dass das Eindringen von Schmerz [Pain] (ich verwende manchmal den Großbuchstaben „P“, um primal pain, Urschmerz, zu bezeichnen; etwas, das zu überwältigend ist, als dass es integriert werden könnte) in das menschliche System seine eigene Gegenkraft erzeugt, steht jetzt als biologische Tatsache fest: Schmerz löst die Produktion schmerztötender Neurotransmitter aus, die als Endomorphine oder Endorphine bekannt sind. Darüber hinaus erzeugen Schmerz und seine Verdrängung biologische Veränderungen, die lebensbedrohlich sein können.

Tierexperimente haben aufgedeckt, dass katastrophale Krankheiten wie Krebs resultieren können, wenn Endomorphine in sehr großen Mengen freigesetzt werden. Die Forscher meinen, dass Krebs die grundlegend neue Eigenschaft ist, die aus der Freisetzung der hohen Endomorphin-Spiegel hervorgeht – Spiegel, die der Schmerzmenge entsprechen, die die Tiere erfuhren. In einer anderen Reihe von Experimenten entwickelten gestresste Ratten Tumore in den Arealen des Gehirns, in denen sowohl Stress als auch Verdrängung organisiert wurden. Joan Smith-Sonneborn, die mit einzelligen Lebewesen experimentierte, setzte Paramecia [Pantoffeltierchen] ultravioletter Strahlung aus, die ihre DNA beschädigte. Den Schaden entfernte man dann durch den Gebrauch von kurzwelligem sichtbaren Licht. Gleich darauf entdeckte sie, dass die ursprüngliche Intrusion der Strahlung die Freisetzung von Reparatur-Enzymen stimuliert hatte. Sie schloss aus ihrer Arbeit, dass „ultravioletter Schaden DNA-Reparaturprozesse induziert.“ Mit anderen Worten hatte der Schaden den Umkehrungsprozess der Heilung aktiviert.

Der entscheidende Punkt ist, dass Schmerz allein für eine bestimmte Krankheit nicht verantwortlich ist. Es ist die Wechselwirkung des Schmerzes mit seiner Gegenkraft, der Verdrängung, welche letztlich den Organismus verändert.

Gesetz 2: Das Gesetz der auftauchenden Phänomene

Dieses Gesetz ist eng mit dem Prinzip des Widerspruchs verknüpft. Es besagt, dass neue Phänomene aus der quantitativen Zunahme widersprüchlicher Interaktionen entstehen, die dann an einem bestimmten kritischen Punkt in etwas qualitativ Neues transformiert werden. Der Übergang zur neuen Qualität lässt sich nicht nach und nach beobachten; vielmehr taucht sie plötzlich auf. Sie ist nicht auf ihre Eltern-Qualitäten zurückführbar; sie ist größer als die Summe ihrer Teile. Es gibt zahllose Beispiele dieser Transformation in der Natur. Das einfachste Beispiel findet sich in der Küche. Wasser kocht und gefriert nur, wenn es gewisse kritische Temperaturen erreicht hat. Der Dampf und das Eis, die entstehen, unterscheiden sich qualitativ von der Eltern-Eigenschaft des Wassers, aus dem sie hervorgingen. Eine fundamentale Veränderung findet im Wasser an dem kritischen Punkt statt, an dem die quantitative Aufstauung von Hitze oder Kälte ausreicht, um die qualitative Transformation zu ermöglichen. Dieses Phänomen des kritischen Transformations-Niveaus dominiert die Chemie als auch die Physik. Im Verlauf der chemischen Verbindung wandelt sich eine chemische Substanz plötzlich in eine andere. Es gibt kritische Schmelzpunkte für Metalle, für die Transformation mechanischer Bewegung in Hitze und so weiter.

Bei Menschen bedeutet es, dass die Versagung von Bedürfnissen in früher Kindheit (z. B. das Fehlen von Zuneigung, Liebe, Akzeptanz; physisches Trauma; Sauerstoffentzug bei der Geburt) eine Anhäufung von Urschmerzen verursacht. Diese Schmerzen werden verschlüsselt und gespeichert – bis zu einem bestimmten kritischen Punkt, an dem sie nicht mehr reibungslos integriert werden können. Beim Ausgleichen des Inputs von Urschmerz erreicht das Verdrängungssystem ein kritisches Niveau, auf dem der Organismus einen qualitativen Sprung zu einer neuen Art der Organisation vollzieht, wobei er eine Kaskade von Veränderungen erzeugt, die man überall findet.

Wenn dieser qualitative Sprung vollzogen ist, haben Sie ein neues System, eine neue Biologie, Neurologie und Biochemie – Neurose. Der Schmerz ist eine fremde Kraft, die uns nicht erlaubt, natürlich zu sein, uns nicht gestattet, wir selbst zu sein. Stresshormonspiegel zum Beispiel  sind bei Neurose permanent erhöht. Wenn die Verdrängung schwindet, wie es beim Wiedererleben von Urschmerz in Primärtherapie der Fall ist, hat die Person ein Fieber. Ihr System müht sich, der fremden Gegenwart, die als Urschmerz bekannt ist, entgegenzuarbeiten. Feelings, Gefühle werden hier zur Gefahr, die mit allen Systemen unseres Körpers zu bekämpfen sind.

Die Anwendung dieses Prinzips auf die Psychologie und auf das Studium der Neurose ist besonders wertvoll, weil es darauf hinweist, dass Neurose eine totale, systemische Veränderung involviert – dass sie in der Tat ein qualitativ neuer Seinszustand ist. Schmerz lässt Verdrängung entstehen, und das dynamische Wechselspiel beider besteht quantitativ fort, bis es zu einem qualitativen Sprung zur neuen Qualität kommt,die als Neurose bekannt ist. Vielleicht sind wir schon bald in der Lage, den kritischen Punkt zu messen, an dem das normale menschliche System in ein neurotisches ‚umgemodelt’ wird. Wir wissen, dass in Autopsien von Psychotikern einige der Nervenzellen (Neuronen) im limbischen System des fühlenden Gehirns entweder  am falschen Platz oder vollständig umgedreht waren.

Gibt es bereits wissenschaftliche Beweise, die anzeigen, dass Neurose eine systemische Krankheit ist, ein neuer Seinszustand? Ja. Neurologische Forschungen lassen erkennen, dass sich die Gehirnstruktur selbst als Reaktion auf Schmerz ändert. Die Neurophysiologen Morpugo und Spinelli fanden in ihren Tierexperimenten, dass sich schmerzvolle Ereignisse „ausbreiten“ und mehr Platz im Gehirn beanspruchen als neutrale Ereignisse. Des Weiteren resultieren Schmerz-Einprägungen in Wahrnehmungsänderungen solcher Art, dass neutrale Stimuli als schmerzvoll empfunden werden. „Neue Schaltkreise werden durch die anhaltende schmervolle Erfahrung eingraviert,“ schreiben Morpugo und Spinelli, sodass immer mehr Teile der Neuromaschinerie darauf vorbereitet sind, Stimuli als schmerzvoll zu erkennen, die in einem normalen Subjekt völlig unbemerkt bleiben würden.“ Mit anderen Worten errichtet die Umgebung (das Trauma) ein neues Gehirnsystem, das  wiederum eine neue innere Umgebung produziert. Von Schmerz beeinflusste Zellen ändern sich und werden zu einem Bestandteil der Schmerz verarbeitenden Neuromaschinerie. Die Veränderung bis hinab auf die zelluläre Ebene wandelt die Wahrnehmung und ändert die Art, wie man die Umwelt sieht und auf sie reagiert. Im Einklang mit dem inneren Zustand wird eine neue Umwelt errichtet, sodass neutrale Ereignisse schmerzvoll werden und man entsprechend auf sie reagiert. „Kann ich dir helfen?“ wird zu „Denkst du, ich bin hilflos oder dumm?“ „Ich bin nicht deiner Meinung“ wird interpretiert als „Ich glaube, du bist ein Verlierer“, und es provoziert eine anomale Reaktion. Das kommt daher, weil in diesem Zustand jedes neutrale Ereignis die alte Einprägung auslösen kann. Durch die Arbeit von Martin Teicher wissen wir, dass das „Verbindungskabel“ zwischen rechter und linker Hemisphäre des Gehirns aufgrund sehr früher Traumen geschwächt oder verdünnt ist.

Die Tatsache, dass Neurose eine qualitative, systemische Veränderung involviert, ist erst seit kurzem von einigen Forschern und Klinikern im Fachgebiet erkannt worden. Das an früherer Stelle beschriebene „Stückchen-und Teilchen“-System, wo eine Phobie eine Phobie ist, eine Obsession eine Obsession ist und Symptome eben Symptome sind, ist leider noch immer geläufiger.

Gesetz 3: Das Gesetz der Negation der Negation

Das Gesetz der Negation der Negation weist darauf hin, dass die Umkehrung der Umstände, welche einen Widerspruch verursachten, sowohl den Widerspruch lösen als auch jede qualitative Transformation ungeschehen machen wird, die aus dem Widerspruch resultierte. Das Gesetz von der Negation der Negation enthält tatsächlich den Schlüssel für das Ende der Neurose:  Das Gegenstück zu den Erfahrungen, die den Urschmerz/Verdrängungs-Widerspruch begründeten, wird den Widerspruch auflösen und den neurotischen Zustand beenden, den der Widerspruch verursachte. Bei einem frühen Trauma ist die Verdrängung für den Organismus erforderlich, um zu überleben, wobei sie einen Widerspruch zwischen Urschmerz und Verdrängung erzeugt (Gesetz 1). Der Urschmer/Verdrängungs-Widerspruch kann zu dem qualitativ neuen Zustand der Neurose führen (Gesetz 2). Nimmt man Schmerz als gegeben an, kann die Verdrängung umgekehrt werden, indem man den Patienten dazu bringt, dass er den ursprünglichen Schmerz voll fühlt  (was er oder sie zu der Zeit, als er geschah, unmöglich tun konnten ), wie es in Primärtherapie geschieht. Das Ergebnis ist, dass es den SchmerzVerdrängungs-Widerspruch nicht mehr gibt, weil es die Verdrängung nicht mehr gibt; und mit der Grundlage für den neurotischen Zustand verschwindet auch der neurotische Zustand selbst. Der als „Deprivations-Zwergwuchs“ bezeichnete Zustand liefert ein ausgezeichnetes Beispiel für den „Negation-der-Negations“-Prozess. Schädliche Einflüsse in Form einer harten, lieblosen Umgebung verhindern bei einigen Kindern, dass sie körperlich wachsen. Es kommt zu einer biochemischen Unterdrückung (Negation) von Wachstumshormonen, die psychogen aktiviert wird; es gibt keinen bekannten organischen Grund. Aber wenn sich der Einfluss in Richtung einer liebevollen und sicheren Umwelt ändert, kommt es im Körper des Kindes zu einer Negation der Negation, wobei die Wachstumsprozesse wieder einsetzen und sich der Körper wieder zur Gesundheit wendet.

Ein anderes Beispiel für den Negationsprozess im Bereich wachstumsgehemmter Physiologie ist die Blockierung der Evolution des genetischen Kodes durch Verdrängung. Verdrängung kann die richtige Synthese von Organsystemen verhindern oder verzögern, indem sie Gehirn-Neurotransmitter auf solche Weise neu arrangiert, dass das normale genetische Programm sich ändert. Interessanterweise haben wir beobachtet, dass diese genetische Blockade sich selbst umkehrt, wenn Patienten in der Primärtherapie Fortschritte machen. Wir haben Männer gesehen, die in ihren dreißigern zum ersten Mal Brust- und Gesichtshaar entwickelten, und Frauen, deren Brüste  wieder wuchsen, als diese Individuen in der Primärtherapie vorankamen. Die Umkehrung der Blockierung ihrer genetischen Entfaltung (Aufhebung der Negation) kam offensichtlich dadurch zustande, dass sie die zentralen Widersprüche erlebten, die in ihrer Neurose einbegriffen waren. Fühlen bildete die Negation der Negation, was wiederum ihre physiologischen Prozesse befreite, sodass sie „wie geplant“ fortschreiten konnten.

Der Migräne-Kopfschmerz liefert ein treffendes biologisches Paradigma, um das Gesetz der Negation zu verstehen. Zuerst sehen wir die Negation von Urschmerz durch Vasokonstriktion. Die Vasokonstriktion ist ein automatisches physiologisches Bemühen, den Schmerz zu blockieren oder einzuschränken. Dann schafft die Vasokonstriktion eine entgegenwirkende Tendenz in Richtung Überproduktion vasodilatierender Elemente im Blutstrom, was das hämmernde Symptom namens Migräne erzeugt. Ein Migräne-Kopfschmerz ist die Synthese dieser zwei opponierenden Tendenzen der Vasokonstriktion und Vasodilatation. Die Symptom-Synthese wird umgekehrt, indem die Negation der Vasodilatation aufgehoben wird: Der Schmerzpegel wird via Feeling reduziert,  sodass das Blutsystem normal funktionieren kann. In der traditionellen medizinischen Behandlung verabreicht man vasokonstringierende Medikamente, um das Symptom zeitweise zu blockieren. Das ist jedoch keine Heilung.

Ein weiteres biologisches Beispiel ist ein Krebstyp, der abnormale Oberflächen-Antigene trägt, die man als „Tumor-assoziierte-Antigene“ bezeichnet. Gegen diese Antigene bilden sich Antikörper. Würde die Geschichte hier aufhören, würde das Immunsystem normalerweise den Krebs durch die Bildung dieser Antikörper heilen. Leider sind diese Antikörper meistens „blockierende Antikörper“, die nicht gewebezerstörend sind. Stattdessen besetzen sie Rezeptorstellen auf den Tumor-assoziierten Antigenen und verbergen somit den Krebs vor den Teilen des Immunsystems, die in tatsächlich zerstören könnten. Um die Sequenz zu durchbrechen, brauchen Sie eine Negation der Negation: Sie benötigen eine Substanz, die den blockierenden Antikörper blockiert und somit den Krebs den zerstörenden Antikörpern aussetzt, die die Heilung bewirken können.

Gesundheit zu erlangen bedeutet für den Neurotiker, die Vergangenheit als Energiequelle aufzuheben, sodass man nicht kontinuierlich gegen seine Geschichte arbeiten muss. Ursprünglich wurde die Verdrängung aktiviert, um den Organismus zu schützen; um das System davor zu bewahren, zuviel Schmerz fühlen zu müssen. Die Negation wird durch das Aufsteigen der ursprünglichen Gefühle ins Bewusstsein selbst negiert oder aufgehoben – das heißt per Definition, dass die Verdrängung durch das Fühlen des Schmerzes umgekehrt wird. Und in der Abwesenheit eines Urschmerz/Verdrängungs-Widerspruchs beginnen die neurotischen Zustände zusammenzubrechen.

Gesetz 4: Das Gesetz von der Universalität des Besonderen und von der Besonderheit des Universums

Nach diesem Prinzip sind die Gesetze des Universums im winzigsten Teilchen enthalten, und innerhalb der Funktionsweise jedes Partikels kann man anfangen, das Universum zu verstehen. Das Allgemeine findet sich immer im Spezifischen. Ein einzelnes Gehirn zu verstehen bedeutet, alle Gehirne zu verstehen. Eine Neurose zu verstehen bedeutet, die Dynamik aller Neurosen zu verstehen.

Universalität und Partikularität sind untrennbare Aspekte der Dialektik. Je tiefer wir ein einzelnes Individuum ergründen, umso mehr universelle Gesetze entdecken wir über die Psyche. Je mehr wir Schmerz und Verdrängung in einer Person verstehen, umso mehr verstehen wir alle Aspekte. All die unterschiedlichen Neurosen zu verstehen bedeutet, die Allgemeinheit einer einzelnen Neurose zu verstehen.

Unsere Primärforschung zeigt, dass verschiedene emotionale Traumen dieselben inneren Veränderungen erzeugen. Mit anderen Worten: Obwohl verschiedene Neurosen sich auf verschiedene Arten manifestieren können, sind sie alle in Wirklichkeit eine einzige Neurose. Je mehr unsere Patienten ihre Traumen fühlen, was immer sie sein mögen (z. B. Erniedrigung, Verlassenwerden, Ablehnung, Kritik), umso mehr bewegen sich ihre Körper auf eine biologische, gesundheitliche Mitte zu. Gegen diese Homogenität erhebt sich eine neue Heterogenität – die natürliche Verschiedenheit, die sich ergibt, wenn Menschen die Freiheit haben, sie selbst zu werden.

Im Gegensatz dazu unterscheidet das psychiatrisch-diagnostische Standard-Manual (das DSM-IV) vielerlei Neurosen voneinander und offenbart damit einen mechanischen Ansatz. Dem entsprechend gibt es am Nationale Institute of Mental Health für jedes separate neurotische Problem ein Gebäude oder Büro – Alkohol, Drogenmissbrauch, sexuelle Abweichung, Migräne, ad infinitum. Man könnte sagen, dass die Behandlung der Neurose die Neurose selbst reflektiert: beide sind durch dysfunktionale Fragmentierung gekennzeichnet. Ich glaube, wir brauchen lediglich zwei Gebäude: Neurose. Psychose. Das ist eine Sache der Schmerzmenge. Wenn die Verdrängung zu versagen droht, erhalten wir offene Symptome oder Drogensucht und Alkoholismus. Wenn der Schmerzspiegel außergewöhnlich hoch ist, finden wir vielleicht Psychose.

Der Schlüssel ist, dass der Körper zwischen Schmerzen, die ihm zugefügt werden, nicht unterscheidet. Emotionaler und physischer Schmerz werden so ziemlich auf die gleiche Weise verarbeitet. Deshalb hilft es nicht, sich auf die Beschaffenheit eines jeden und aller äußerer Anzeichen, dass etwas nicht stimmt, zu konzentrieren. Stattdessen müssen wir diese besonderen Symptome auf die zentralen verarbeitenden Mechanismen zurückbeziehen, die in allen neurotischen Störungen involviert sind, zurück auf die ursprünglichen Widersprüche, die sie erzeugten. Die Partikularität oder Besonderheit neurotischer Symptome über die Universalität oder Allgemeinheit der Mechanismen zu stellen, die sie vermitteln, bedeutet, einen eindimensionalen Ansatz in Richtung einer endlos weiter ausgearbeiteten Nomenklatur und eines ewig unzulänglichen Verstehens zu unternehmen.

Die Grenzen nicht-dialektischer Therapien

Was alle nicht-dialektischen Therapien gemeinsam haben, ist die einseitige Konzentration auf  eine Hälfte des Problems. Zu jedem Phänomen gehören zwei Aspekte: seine Erscheinung (Phänotyp) und seine Essenz (Genotyp). Nicht-dialektische Therapien befassen sich eher mit Erscheinungen als mit Essenzen. Wenn eine solche Therapie „fumktioniert“, funktioniert sie an der Oberfläche – auf einer Seite des Widerspruchs – während das biologische System weiterhin die systemischen Erschütterungen der Neurose offenbart. Somit wird ein Sexproblem zu einer Frage der Technik, ein Kuss oder eine zärtliche Berührung hier, ein paar Worte da; ein psychosomatisches Symptom wird zur Sache einer Nadel (Akupunktur), einer Maschine (Biofeedback) oder von Worten (Hypnose). Die Behandlung wird dem Patienten vom begünstigten Standpunkt eines vorbestimmten und vorgepackten Systems auferlegt. Phobien werden aus einer Person mittels eines vorinstallierten Programms namens Desensibilisierung „herauskonditioniert.“ „Ego-Anpassungsprobleme“ werden durch die Anwendung der Einsichten eines Psychoanalytikers oder Psychotherapeuten „gelöst.“

Sich mit Fragmenten menschlichen Verhaltens zu befassen – an der „Psyche“ durch Psychoanalyse zu arbeiten, mit dem Körper durch Massage oder Bioenergetik zu arbeiten, an der Haut oder am Blutdruck mittels Biofeedback zu arbeiten – kann nur bruchstückhafte Korrekturen ergeben. Die Dialektik zeigt uns, dass es nicht möglich ist, das Symptom von der Quelle, die Biologie von der Psychologie, die Ursache von der Wirkung zu trennen. Alle sind unauflösbar und dynamisch miteinander verknüpft.

Dementsprechend darf sich ein therapeutisches System nicht über die biologische Natur des Patienten setzen, sondern sollte seine Theorien, Auffassungen und Techniken vielmehr vom Patienten ableiten – von seinem Erleben und von seiner Psychobiologie. Die Dialektik hinter sich zu lassen, bedeutet, dass man die inneren Widersprüche und ihren Ausdruck als lösenden Faktor nicht mehr erkennt. Das bedeutet, dass man vorhaben muss, äußere Kräfte aufzubieten, um zu erklären, was sich in einem Menschen abspielt. Somit braucht der Patient die Einsichten eines anderen darüber, wie er sein Leben führen soll, oder um herauszufinden, was in seinem eigenen Körper los ist. Diese Methode wird dem Patienten nicht helfen. Patienten kann man nur auf dem Feld ihrer eigenen Phänomenologien helfen, unbehindert durch vorgefasste Ansichten von Therapeuten.

Psychotherapie und Dialektik heute

Worum es bei den meisten Psychotherapien heute geht, ist die Manipulation der Leute, ihrer Ideen, Auffassungen und ihrer Gefühle. Überzeugung und Verhalten des Patienten behandelt man, als wären sie ein separates Universum der Abstraktion und des Diskurses, das sich nur dem Intellekt offenbart oder nur durch den Intellekt offenbart werden kann, unabhängig von der materiellen Welt im Inneren. Dennoch setzt sich Neurose nicht intellektuell als Gedanke fest sondern als Erfahrung. Es ist die Erfahrung, der wir uns zuwenden müssen.

Der zentrale Punkt meines Arguments ist, dass Widerspruch die treibende Kraft der Veränderung ist. Wenn wir die Richtung der Veränderung verstehen und sie kontrollieren wollen, müssen wir zuerst den ursprünglichen Widerspruch verstehen. Das Wichtige am Widerspruch ist, dass es buchstäblich Tausende von Widersprüchen auf allen Ebenen menschlichen Funktionierens gibt. Der gesamte Körper ist eine Masse aus Widerspruch, aus Equilibrium, aus Gleichgewicht. Nirgendwo wird das klarer als im Immunsystem. Immer mehr Beweismaterial deutet darauf hin, dass individuelle Zellen im Immunsystem mit psychischem Schmerz verknüpft sind und in der Tat eine Form von Neurotransmitter absondern, der sich mit (frühem) Schmerz befasst. In diesen Zellen sehen wir die Einheit von Körper und Psyche, die Beziehung der Persönlichkeit zur Zelle, die Beziehung des Allgemeinen zum Besonderen und des Teils zum Ganzen.

Das Fachgebiet der Psychologie gabelt sich zu einem großen Teil an der Psyche-Körper-Dualität, bei der die Psyche als besonderer Zustand abseits des Körpers existiert. Jede Psychotherapie ist ihrem bloßen Wesen nach nicht-dialektisch, weil sie die wechselseitige Einheit missachtet, die zwischen Körper und Psyche existiert. Viele Therapien, die „holistisch“ zu sein scheinen und behaupten, einen vereinten Ansatz widerzuspiegeln, sind und tun dies in Wirklichkeit nicht. Ein wirklich holistischer Ansatz zur Therapie bedeutet, sich mit allen Faktoren zu befassen, die ursprünglich in die Schaffung des neurotischen Zustands einbezogen waren. Diese Faktoren bilden eine historisch-psychologisch-neurobiologische Konstellation von Kräften, die fortwährend im Einklang mit den Gesetzen der dialektischen Evolution aufeinander wirken.

Dialektik ist kein System, das der Natur aufgezwungen wird, sondern sie leitet sich von deren Beobachtung ab. Die Natur und die natürlichen Kräfte werden somit zum grundlegenden Test für die Dialektik. Als Teil der Naturgesetze ist die Dialektik ein System zur Ordnung von Phänomenen, das das Grundgerüst für die psychotherapeutische Arbeit bereitstellen kann. Wenn Neurose in einem dialektischen Rahmenwerk gesehen wird, zeigt die offensichtliche Vielschichtigkeit neurotischer Symptomatologie plötzlich zu Grunde liegenden Zusammenhang und Einheit. Diese basale Kohäsion und Einheit wirft dann ein grelles Licht auf die Unzulänglichkeit der diversen Behandlungsmodalitäten, die jetzt als legitime Heilmethoden betrachtet werden.

Die Anwendung der dialektischen Gesetze gestattet uns endlich, unsere psychotherapeutische Arbeit zu legitimieren, indem sie uns Richtlinien für einen wirklich heilsamen Ansatz zur Neurose liefert. Neurose – man vergisst es oft -  ist eine einzige Krankheit, die Myriaden von Manifestationen erzeugt. Ihre Heilung sollte deshalb nur einen einzigen Ansatz einbeziehen.

Ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, bis die wissenschaftliche Relevanz der Dialektik auf dem Feld der Psychologie in Betracht gezogen wird. Wir werden bald messbare kritische Punkte der Transformation haben, wodurch sowohl das Einsetzen als auch die Auflösung der Neurose aufgezeigt wird. Wir werden neurobiologische Daten haben, die den spezifischen Negationsprozess detailiert wiedergeben. Wir werden genau vorhersagen können, wieviel Therapie (Fühlen) erforderlich ist, indem wir messen, wie viel Schmerz überall in den Vitalfunktionen der Person registriert ist.

Das Fachgebiet der Psychologie muss heute eine wichtige Wahl treffen. Sie kann die zwingenden Beweise ignorieren, die auf die dialektische Basis der Neurose hinzeigen, bis die Wissenschaft sie voll verifiziert hat. Oder sie kann zu ihrem eigenen qualitativen und visionären Sprung ansetzen, indem sie ermöglicht, dass das dialektische System dem Fachbereich den ersten einheitlichen Ansatz zum Problem psychischer Krankheit in seiner Geschichte bereitstellt.

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  Übersetzung: Ferdinand Wagner

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  Artikel u. Buchausz.