Artikel u. Buchausz. |
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Artikel u. Buchausz. | |||||||||||||||||||||||
Original: GRAND DELUSIONS
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Am
Beispiel der Gestalttherapie und ihres Gründers Fritz Perls zeigt Janov,
wie stark die persönlichen (frühen) Lebensumstände
und die Neurose eines Gründers die Gestalt des Theoriengebäudes
beeinflusst, das dieser errichtet. Und das gilt gewiss nicht nur für die
Gestalttherapie. Ferdinand
Wagner ________________________________________________
Dr.
Arthur Janov GROSSE ILLUSIONEN Veröffentlicht
im Juni 2005 auf primaltherapy.com
„Ohne
die zentrale Antriebskraft von Perls’ Persönlichkeit, von der sie ihre
Identität ableitete, schien die Gestalttherapie nicht mehr zu wissen, wo
und wie sie ihre Definition erlangen sollte. Perls’ Nachfolger griffen
nach Prinzipien, mit denen sie die Elemente einer Theorie und Therapie
zusammenkleistern wollten, die ohne ihre Hauptsäule auseinandergefallen
war. Perls schaffte es nicht, seinen Anhängern eine in Übereinstimmung
mit Biologie und Psychologie stehende Theorie zu hinterlassen, auf der sie
eine effektive Therapie entwickeln könnten. Stattdessen
ließ er sie mit breiter Sentimentalität, vager Ideologie und dubiosen
Techniken zurück. So versuchten die Praktiker, nichts außer Acht zu
lassen, indem sie Elemente aus Mystizismus, Religion, Philosophie und
Psychologie einsammelten. Da diese Vermischung aus Methode, Technik und
Ideologie nicht auf der Wirklichkeit des Organismus beruhte, fand sich die
sogenannte Gestalt-Therapie mehr denn je in Stücken wieder. Ironischerweise
war die eine Sache, die der Gestalttherapie fehlte, eine Gestalt. „
Kapitel 12 _______________ GESTALTTHERAPIE:IM HIER UND JETZT LEBEN - UNERLEDIGTE GESCHÄFTE UNERLEDIGT LASSEN_________
Einführung
Gestalttherapie
ist eine der nicht-traditionellen „New-Wave“-Therapien, die in der
„Human-Potential“-Dekade der sechziger Jahre aufkamen. Sie wurde von
Fritz Perls entwickelt, einem in Deutschland geborenen Psychoanalytiker,
der in den 1940ern mit der Freudschen Theorie brach, um seine eigene
„Gestalt“-Ansicht des Menschen zu schaffen. Jedoch erlangten Perls
Ansichten erst durch den Aufruhr der 1960er Jahre weitverbreitete
Anerkennung. Aber mit der Anerkennung kam die Kontroverse, denn Perls war
seine neue Therapie, und Perls war bestenfalls unkonventionell, noch häufiger
provozierend und immer umstritten. Für einige war er nicht mehr als ein
„undisziplinierter, streitsüchtiger und lüsterner alter Mann“, der
mit der Führung ‚verrückter’ Encounter-Gruppen großspurig auftrat
und völlige sexuelle Freiheit befürwortete.“ Für andere war er ein
„bärtiger, brillanter, unberechenbarer, schurkischer alter Wunderknabe,
[der] die Hoffnung auf das Nirwana, auf
die Heilung anbot; darauf, auf einer Trage nach Lourdes zu kommen
und in der Lage zu sein, es auf eigenen Füßen wieder zu verlassen.“
[2] Einerseits
ist es schwer, Gestalttherapie getrennt von Perls als treibender Kraft
hinter ihr zu beurteilen, während es unfair scheint, Schlüsse über die
Therapie zu ziehen, die auf den persönlichen Exzentrizitäten ihres Gründers
basieren. Dass er mächtigen Einfluss auf die Leute hatte, die mit ihm in
der Ausbildung zusammenarbeiteten, ist ziemlich klar. Die am häufigsten
gegen Gestalttherapie gerichtete Kritik betrifft ihren konfrontierenden
Ansatz. Perls Therapiestil drehte sich ums Provozieren und Konfrontieren,
und seine Praktikanten benutzten ebenso Provokation und Konfrontation –
oft in einem nicht wünschenswerten Ausmaß. Abe Levitsky, ein Gestaltler
in San Francisco und ehemaliger Student von Fritz, fasste das Problem
treffend zusammen: „Spott war eine Waffe, die [Fritz] benutzte, und
leider habe ich das Gefühl, dass Spott von vielen Gestalttherapeuten
verinnerlicht und verewigt wurde. Aber das hat nichts mit Gestalttherapie
zu tun. Es hat schlicht mit der Reizbarkeit von Fritz zu tun, wobei sein
Stil statt seiner Botschaft imitiert wird.“[3]
Ich habe mir einige von Perls Tonbändern angehört, und ich muss
sagen, keines von ihnen ergab einen Sinn. Es war das zusammenhanglose
Umherstreifen eines Mannes, der zu „locker“ war. Er verwechselte
Ausagieren wie ein Affe oder wie irgendetwas anderes, das er sich
vorstellen konnte, mit Freiheit. In
welchem Ausmaß Perls jähzorniger, spöttischer Stil an Therapeuten der
zweiten Generation weitergegeben wurde (Perls starb 1970), ist schwierig
festzustellen. Wir können jedoch abschätzen, wie weit seine Kernideen
und –techniken bewahrt und ausgearbeitet wurden, indem wir das Gestalt
Journal aus den 1980ern durchlesen und die Sonderausgabe
des Journals vom Herbst 1993 durchsuchen, die des hundertsten
Geburtstags von Fritz Perls gedenkt. Perls
Botschaft war auf vielerlei Art kurz und punktgenau. „Mache deine eigene
Sache“, „Sei jetzt da“, und „Verliere deinen Verstand und komme
zur Besinnung“ sind Standard-Gestaltgebote. Tatsächlich schrieb Fritz
sogar etwas, das er Gestalt-Gebet nannte und das er häufig
verwendete, um seine Gruppentherapie-Sitzungen zu beginnen: Und nebenbei
bemerkt, nachdem ein Patient seine Zeit im heißen Stuhl abgesessen hatte,
küsste er oder sie Perls auf die Stirn; ein Zeichen des Respekts, so
glaubte man. Ich mache meine Sache, und du machst deine Sache. Ich bin nicht auf dieser Welt, um nach deinen Erwartungen zu
leben. Und du bist nicht auf dieser Welt, um nach meinen zu leben. Du bist du, und ich bin ich, Und wenn wir uns zufällig finden, ist es wunderbar. Wenn nicht, kann man nichts machen. [4] So
oberflächlich sich dieses „Gebet“ auch liest, es enthält tatsächlich
die drei Hauptprinzipien oder –werte, auf denen Gestalttherapie gründet: (1)
In der Gegenwart
leben; (2)
Leben und ausdrücken,
wer wir „wirklich“ sind, und (3)
Lernen, unsere
Projektionen von Fehlern und Tugenden auf andere einzugestehen.
Perls
Theorie: Die frühen Jahre Gestaltpsychologie
wurde in den frühen Jahren dieses Jahrhunderts entwickelt, um zu
erforschen, wie wir die Welt wahrnehmen. Das deutsche Wort Gestalt wurde
benutzt, um die Relativität der Wahrnehmung zu beschreiben und zu zeigen,
dass die Wahrnehmung des Ganzen mehr als die Summe seiner Teile ist. Fritz
Perls gefiel das Konzept, und so lieh er sich einfach das Wort als Namen für
seine Therapie. Seine Therapie hatte jedoch keine formale Verbindung mit
der Gestaltpsychologie als akademischer Gegenstand. Perls
Konzept der Gestalt erwuchs aus seiner schließlichen Opposition zu
Freuds Konzept von der Vorrangigkeit der Instinkte. Perls hatte sich
einige Jahre, nachdem er 1920 in Berlin seinen Doktortitel (med.) erhalten
hatte, einer Ausbildung zum Psychoanalytiker unterzogen. Anfangs hatten
Freuds revolutionäre Ideen über menschliche Sexualität und unbewusste
Motivation sein Interesse erregt. Als Teil seiner Ausbildung studierte er
Freudsche Theorie und unterzog sich selbst drei separaten und langwierigen
Analysen. Keine der Analysen war für Perls persönlich hilfreich, aber
dennoch arbeitete er an seiner Ausbildung unter Supervision bis zur vollen
Zertifizierung weiter. Dann
trat die Geschichte dazwischen und erleichterte Perls Bruch mit dem
Freudschen Gedankengut. Die Bedingungen im Vorkriegs-Deutschland deuteten
darauf hin, dass die Abreise die einzige sichere Alternative für die jüdische
Familie Perls war. Fritz beschloss, sich in Südafrika neu anzusiedeln,
und 1935 hatte er das South African Institute of Psychoanalysis als
Ausbildungszentrum für potentielle Analytiker gegründet. Scheinbar war
Perls noch immer dem Freudschen System verbunden, wenngleich ein Papier,
das er 1936 auf den International Congresses of Freudians vorstellte, von
seinen Kollegen kühl aufgenommen wurde. In diesem Papier schlug Perls kühn
eine Revision der traditionellen Freudschen Sicht der „oralen Widerstände“
vor. Voller „Groll“ über die „Zurückweisung“, die seine
Ketzereien hervorriefen, kehrte Perls nach Südafrika zurück und begann
einen „Kampf, um aus dem Treibsand der freien Assoziationen
herauszukommen.“ [5] Die geographische Distanz gab Fritz die Freiheit,
sich weitläufig über seine neuen Ideen auszulassen, neue Ideen zu
verinnerlichen, mit denen er sich auseinandergesetzt hatte (am
bemerkenswertesten die Wilhelm Reichs und mehrerer existenzialistischer Autoren),
und aufzuhören, ein Freudscher Analytiker zu sein, ein „Weisheitsscheißer“,
der „die Leute verwirrte.“ [6] Perls
erstes Buch Ego, Hunger, and Aggression: A Revision of Freud’s Theory
and Method wurde 1940 geschrieben und 1942 veröffentlicht. Es repräsentiert
Perls Unabhängigkeitserklärung von seinem Freudschem Hintergrund. Später
schrieb er zur Erklärung seines Bruchs mit der Orthodoxie:
Perls
Kollegen gingen nicht gerade wohlwollend an die in Ego, Hunger, and
Aggression präsentierten Auffassungen heran. Als er das Buch Maria
Bonaparte, einer Freundin Freuds, zeigte, sagte sie laut Überlieferung zu
ihm: „Wenn Sie nicht mehr an die Libido-Theorie glauben, sollten Sie
besser Ihren Rücktritt einreichen.“ [8] Tatsächlich resultierte das
Buch für Perls letztlich in nahezu völliger beruflicher Isolation, da
kein traditioneller Psychoanalytiker damit etwas zu tun haben wollte. Was
waren diese vermeintlich ketzerischen Auffassungen? Eines der
ketzerischsten Konzepte ersetzte Freuds Libidotheorie der Sexualität mit
einer nicht-libidinösen Theorie der Homöostasie. Während Freud
behauptet hatte, dass sexuelle Energie der Hauptmotivationsfaktor in der
Psyche sei, behauptete Perls nun, dass wir primär durch eine angeborene
organismische Tendenz , nach Ausgeglichenheit zu streben, motiviert
seien. In einem pragmatischeren Argument betont Perls, dass Hunger
(Selbst-Erhaltung) den Vorrang vor Sex [Erhaltung der Spezies] hat und
dass deshalb Essgewohnheiten für die Formung der Psyche fundamentaler
sind als sexuelle Instinkte. Des weiteren glaubte er nur teilweise an die
Gültigkeit der psychoanalytischen Theorie der Übertragung (eine weitere
Bastion des Freudschen Rahmenwerks) und setzte sich dafür ein, dass es
wichtig sei, die Rolle des Analytiker über die der objektiven anonymen
analytischen „Leinwand“ hinaus zu personifizieren. Am
signifikantesten für Fritz war wahrscheinlich der Schlussteil des Buches
mit der Überschrift „Concentration Therapy“. Hier veröffentlichte er
die Konzepte, die die Basis der Gestalttherapie werden sollten, Ideen,
die, wie er sagte, ihm persönlich „etwas geistigen Frieden brachten“.
In diesem Abschnitt präsentierte Perls erstmals seine
Hier-und-Jetzt-Philosophie, lehnte die Notwendigkeit „geschichtlichen Grübelns“
ab und erklärte seine Version des Konzepts der psychologischen
Projektion. Perls beginnt „Concentration Therapy“, indem er
hypothetisiert, dass die Konzepte in der Freudschen Theorie sich stark
vermehrt hätten, um mit jeder neuen Verhaltensmöglichkeit
zurechtzukommen: Zuerst gab es Übertragung; dann gab es negative
Übertragung; dann gab es latente negative Übertragung! Er
schlägt vor, diese Situation zu vereinfachen, indem er eine „neue
Technik“ präsentiert, deren Ziel einfach war, „das Gefühl für uns
selbst wiederzuerlangen“. Perls erklärt:
Er
fährt dann fort, indem er zur Geduld in der Erlernung der Technik mahnt
und den Prozess mit dem Lernen des Alphabets vergleicht: „Nur wenn Sie
den Erwerb der neuen Technik……mit der vollen Bewusstheit der
Schwierigkeiten betrachten, die sich vor uns auftürmen, werde ich in der
Lage sein, Ihnen dabei zu helfen, das Alphabet des „Sich-Selbst-Fühlens“
zu erlangen.“ [10] Der
Schlüssel für das Erlernen dieses neuen Alphabets war Konzentration,
die als Übung auf so alltägliche Sachen wie Essen gerichtet sein konnte.
Essen war in der Tat die sine qua non seiner neuen Theorie. Perls
besteht darauf, dass die Übungen in dem Kapitel mit der Überschrift
„Concentration on Eating“ die „Quintessenz“ von Ego, Hunger,
and Aggression seien, und er weist seine Leser an, „diesem Kapitel
Vorrang [vor] jeder anderen Übung einzuräumen.“ [11] Er bringt dann
eine Theorie „prä-dentaler und dentaler Stufen der oralen Entwicklung,
die viele Persönlichkeitscharakteristika des Erwachsenen mit dem Ess- und
Kaustil verbindet:
In
einem anderen Kapitel „Sense of Actuality“ verwirft Perls die Gültigkeit
vergangener Ereignisse. Gemäß Perls „bedeutet Wirklichkeitssinn nichts
anderes als die Anerkennung, dass jede Begebenheit in der Gegenwart
stattfindet.“ [13] Weil es für Perls nur gegenwärtige Realität gibt,
„ist es Zeitverschwendung, sich mit Verhalten außerhalb des
Hier-und-Jetzt zu befassen.“ [14] Laut
der Encyclopedia of Psychology in ihrer Erklärung der wesentlichen
Konzepte der Gestalttherapie war Perls Vorstellung von der vollen
Konzentration auf die Gegenwart gleichbedeutend mit „Bewusstheit“ oder
damit, „in Kontakt mit Gedanken, Gefühlen und Empfindungen zu stehen,
wie sie von Augenblick zu Augenblick geschehen“:
Laut
Perls ist es Zeitverschwendung, sich außer auf die gegenwärtigen Realität
auf etwas zu konzentrieren, weil es nicht existiert; ein Standpunkt, den
er „beweist“, indem er die orthodoxe Freudsche Auffassung der
Regression anficht. Perls behauptet, dass erwachsenes Abgleiten in
hilfloses oder erregbares kindgleiches Verhalten eher eine angeborene Persönlichkeitsschwäche
reflektiert als zeitlich-historische Altersebenen. Das „wahre Selbst“
des Erwachsenen kommt jetzt durch, es ist seiner Rollen-Abwehr entblößt
und enthüllt „eine Unterentwicklung, die niemals zu existieren aufhörte“:
Somit
haben wir keine Kindheitseinflüsse, nur eine schwache Konstitution. Wir können
nicht zu Kindheitsereignissen zurückkehren, nur zu endogenen Defekten. In
einem Kapitel über „Visualisierung“ beschreibt Perls in den frühen
1940ern, was später (in den späten 1960ern) eine populäre
therapeutische Technik werden sollte. Er beginnt damit, dass er aufzeigt,
wie Visualisierung für den Erwerb neuer Fertigkeiten wie Autofahren oder
Kurzschrift hilfreich sein kann ---- wie geistiges Visualisieren der zu
erlernenden Schritte oder Symbole die Zeit beschleunigen kann, die es
braucht, um sich den neuen Lernstoff anzueignen. Er fährt fort, indem er
ihren noch größeren Wert als therapeutische Technik erörtert, um zu
erlangen, was er als „emotionale Wiederbelebung“ bezeichnet. Hier
vollzieht Perls eine wichtige Abkehr von der traditionellen Freudschen
Theorie über die freie Assoziationstechnik, die, wie er behauptet, zu
„freier Dissoziation“ führt. Anstatt einem Traumbild zu allen und
jedem seiner Berührungspunkte zu folgen, so schlägt Perls vor, sollte
man sich nur auf das Bild an sich konzentrieren, mit dem Ziel, eine
detaillierte Beschreibung davon zu liefern. Diese Art von
Visualisierungsprozess, so beharrt er, führe weit effektiver als freie
Assoziation zu kathartischer Freisetzung:
Obgleich
er seiner Vorstellung widerspricht, dass es Zeitverschwendung sei, in die
Vergangenheit einzutauchen, leistet Perls in dieser Passage zwei wichtige
Beiträge mit seinen Beobachtungen, dass (1) „Konzentrieren“ auf ein
Bild oder eine Erinnerung aus der Vergangenheit in einer tief gefühlten
Wieder-Verknüpfung damit resultieren kann und dass (2) das Bewusstsein
der Verknüpfung therapeutisch wichtig für die Persönlichkeit ist.
Jedoch hören die Techniken der Gestalttherapie jäh damit auf, den
Patienten in die Lage zu versetzen, die authentische „tief gefühlte
Wiederverknüpfung“ zu vergangenen traumatischen Erfahrungen
zustandezubringen, die für die Heilung wesentlich ist. In
„Body Concentration“ sehen wir die Grundlagen dafür, was später
Perls „Sei das Ding“-Technik werden sollte, bei der der Patient
gebeten wird, jede Rolle und jede Person in dem Traum oder der
Lebenssituation zu sein. Wir sehen auch den Einfluss von Wilhelm
Reich [18], dessen ahistorische Brennpunkt- und Körperpanzer-Theorie der
Neurose viel dazu beitrug, Perls in eine andere, nicht-freudianische
Richtung zu bewegen. In dem Kapitel mit der Überschrift „Body
Concentration“ wird Reichs Einfluss am klarsten in Perls „Theorie der
somatischen Konzentration“. Hier schlägt Perls vor, dass Verdrängung
durch muskuläre Konzentration geschieht und dass Entspannung die
entspechende Lösung ist: „Wenn wir die Kontraktionen des Muskelsystems
als ‚Repressoren’ bezeichnen, dann scheint das Heilmittel für Verdrängung
offensichtlich Entspannung zu sein.“ [19] Obgleich er zugibt, dass jede
Art „absichtlicher Entspannung“ ein begrifflicher Widerspruch ist, rät
er, dass „Sie die bewusste Herrschaft über Ihr Muskelsystem
wiederherstellen müssen, um Verdrängungen ungeschehen zu machen.“ Dies
lässt sich zustandebringen, indem man sich ruhig hinsetzt und akribisch
jeden Krampf, Spasmus, jede Spannung oder Kontraktion im Körper
beobachtet; indem man die volle Verantwortung für die angespannte Zone übernimmt
(„Ich spanne meine Augenmuskeln“ anstatt „Meine Augenmuskeln sind
angespannt“); indem man die Situation dadurch kontrolliert, dass man die
Zone willkürlich „um ein Haar“ entspannt und strafft; und dann, indem
man herausfindet, was die Kontraktion ausdrückt, und es ausdrückt
(„Ich soll verdammt sein, wenn ich weine“). [20] Perls
folgert zu Recht, dass jeder Ausdruck des Verdrängten mehr Energie für
das gegenwärtige Leben freisetzt: „Jedes zugelassene Bild, jede
vergossene Träne stellt Ihrer bewussten Persönlichkeit ein bisschen
Energie zur Verfügung.“ [21] Dennoch gelangt er nicht wirklich zur
Quelle der Spannung – eine Quelle tief in der Vergangenheit, die gegenwärtige
Körperspannung generiert. Wie Perls behaupten würde, was immer es ist
– es ist die Schuld und Verantwortung des Individuums, etwas, das es bekämpfen
(sprich verdrängen) muss, indem es „die Kontrolle über die Situation
an sich nimmt“ und identifiziert, was es ist; was wirklich nichts
Profunderes ist als nur so weit zu gehen, dass man anerkennt, dass körperliche
Spannung eine Form von Angst ist. Mit
der Projektion zu arbeiten wurde für Perls Gestalttherapie in den 1960er
Jahren ein wesentlicher Brennpunkt. In dem mit „The Assimilation of
Projections“ überschriebenen Kapitel von Ego, Hunger, and Aggression
sehen wir seinen grundlegenden Standpunkt, der sich in den frühen
1940ern fest etablierte. Perls beschreibt akkurat die Art von Projektion,
die häufig zwischen Patient und Analytiker stattfindet: Der Patient
glaubt, dass der Analytiker in einem speziellen Bereich verurteilend oder missbilligend
sei, wenngleich er es nicht ist. Der Patient, erklärt Perls, projiziert
seine eigene Selbstverdammung auf den Analytiker. Der Patient sieht dann
den Analytiker als Widerspiegelung der Eigenschaften oder Haltungen, die
er in sich selbst nicht anerkennen will; „er [der Patient] reagiert auf
seine Projektion, ‚als ob’ der Analytiker und nicht er selbst
missbilligend sei.“ [22] Als
nächstes benutzt Perls sein Konzept der Projektion, um das Freudsche
Konzept der Übertragung zu entthronen.
Wie bereits früher erörtert, funktioniert der Analytiker in der
orthodoxen Sicht der Übertragung als eine Art unbeschriebene Tafel, auf
die der Patient signifikante Personen aus seinem eigenen Leben überträgt.
Auf diese Weise, so glaubte man, würde die analytische Beziehung
automatisch wieder die ursprüngliche psychologische Dynamik hervorrufen
und neue Lösungen und erwachsene Einsichten möglich machen. Der Patient,
der anfangs das Bild eines harten, Perls
greift diesen Eckstein Freudscher Theorie auf und behauptet, dass er
grundlegend falsch sei. Der Patient übertrage keine Kindheitsbilder
bedeutsamer Leute auf den Analytiker; er projiziere bloß seine eigenen
unakzeptablen Elemente. Somit projizierte nach dieser Ansicht der
Patient, der einen harten, vernachlässigenden Vater auf den Analytiker übertrug,
in Wirklichkeit seine eigenen harten, vernachlässigenden Eigenschaften:
Er
folgert, dass es „Zeitverschwendung“ sei, sich mit Übertragung zu
befassen und geht dann zur Beschreibung der Schritte über, durch die wir
unsere Projektionen „assimilieren“. Perls
Auffassung der Projektion war so beschaffen, dass sie zum allumfassenden
Brennpunkt der Gestalttherapie wurde Sie war der alles aufnehmende
Brotkorb für jedes Lebensproblem und die Basis für Veränderung und
Wachstum. Der
erste Schritt zur „Assimilation“, so schreibt Perls, besteht darin,
sich bewusst zu werden, dass Projektionen tatsächlich existieren. Da die
meisten von uns sich sträuben zuzugegeben, dass wir selbst projizieren,
schlägt er vor, dass wir unsere Träume betrachten als „die eine Sphäre,
in der es nicht schwierig ist, die Projektionen zu entdecken.“ [24]
Durch unsere Träume können wir den zweiten Schritt in diesem Prozess
ausführen, welcher darin besteht zu erkennen, dass die projizierten
Traumelemente tatsächlich Teile unserer eigenen Persönlichkeit sind:
„Die Person oder das Tier, das den Alptraum beherrscht, ist immer ein
unerwünschter Teil von Ihnen selbst.“[25] Wenn wir Projektionen als
Teil unserer eigenen Persönlichkeit erkennen, müssen wir sie
absorbieren, um ihren Einfluss zu beenden. Das erfordert die schwierige
Aufgabe der Identifikation:
Die
Encyclopedia of Psychology erklärt den Ansatz der Gestalttherapie
zur Assimilierung von Projektionen durch “Traumarbeit” wie folgt:
“Indem er jedes Objekt und jeder Charakter im Traum wird (belebt und
unbelebt) kann sich der Träumer mit Projektionen, Konflikten und
unerledigten Situationen, die sich im Traum widerspiegeln, identifizieren
und sich dadurch wieder zu ihnen bekennen. [27] Im
Weiteren betont Perls die Wichtigkeit, die „Tendenz“ zur Projektion
abzulegen, und wiederholt die Notwendigkeit, unsere unzähligen
individuellen Projektionen zu absorbieren. Eine Art das zustandezubringen
ist zu lernen, wie man sich ausdrückt, was durch die
vorher erwähnte Visualisierungs-Technik praktiziert werden kann.
Erstens: „Stellen Sie sich bildlich eine Person vor, gegen die Sie einen
Groll hegen. Sagen Sie ihr genau, was Sie von ihr halten. Lassen Sie sich
gehen; seien Sie so emotional, wie Sie nur können; brechen Sie ihr ihr
verdammtes Genick; fluchen Sie, wie Sie nie zuvor geflucht haben.“ Und
zweitens: „…Begreifen Sie, dass Sie die ganze Zeit nur Ihr eigenes
Selbst bekämpft haben. [28] In
diesen Übungen sehen wir den Vorläufer von Perls
„Lass-es-alles-heraushängen“-Thema, das zum Model für Encounter- und
Sensitivity-Gruppen in den sechziger Jahren wurde. Wir können auch die im
Grunde zusammenhanglose Natur seines Ansatzes sehen. Während es tatsächlich
konstruktiv sein kann, seine Gefühle zu identifizieren, zu lernen sie
besser auszudrücken und ihnen aggressiv Stimme zu verleihen, während man
sich die Person (z. B. ein Elternteil) bildlich vorstellt, der gegenüber
man nicht gewohnt ist, solche Gefühle an den Tag zu legen, kann das
nichts beitragen, um Neurose wirklich zu heilen. Im
Schlusskapitel von Ego, Hunger, and Aggression –„Dr. Jekyll and
Mr. Hyde“ macht Perls erneut seine Überzeugung geltend, dass
„Konzentration das effektivste Mittel ist, durch das neurotische und
paranoide Störungen geheilt werden können.“ Die
Schlussfolgerungen des Buchs diskutieren Idealismus als Mittel, durch das
Individuen, die von ihrem biologischen Selbst abgeschnitten sind, einen
„Lebenssinn“ in der Form von Idealen erfinden, um die Existenz zu
gerechtfertigen. Diese Ideale jedoch sind nur weitere steife innere
biologische Realitäten und führen zu Nervenzusammenbrüchen und
schizoiden Spaltungen, wie sie durch den Jekyll-Hyde-Charakter
veranschaulicht werden. Indem wir versuchen, ideale Personen zu werden,
betont Perls, schaffen wir gleichzeitig das Gegenteil: „Ohne Akzeptanz
ihrer biologischen Realität wird der ‚idealistische’ Dr. Jekyll und
der ‚materialistische’ Mr. Hyde weiterexistieren, bis die Menschheit
sich schließlich selbst zerstört hat.“ [29] Es
ist keine Überraschung, dass Perls Idealismus verachtete und ihn als
Urheber der Zerstörung sah, wenn man sich der Zeitperiode und der Umstände
erinnert, unter denen er schrieb. Als jüdischer Flüchtling in Südafrika
(und ebenso als Veteran des 1.Weltkrieges) hatte Perls Da
Perls jeglichen Brennpunkt in vergangenen Ursachen in Abrede stellte,
macht es Sinn, dass er nur die Mechanismen beobachtete, die über die
Projektionen der Person den gegenwärtigen oder unmittelbaren Zustand
ausdrückten. Projektionen zu erforschen kann in der Tat eine Art
Landkarte des gegenwärtigen Seinszustands der Person liefern, aber sich
nur mit Projektionen zu befassen ist, als würde man das Unkraut auszupfen
und die Wurzeln drinlassen. Perls bekam dieses Problem flüchtig zu sehen,
als er von der Notwendigkeit sprach, sich zusätzlich zur
‚Assimilierung’ der unzähligen individuellen Projektionen mit der Tendenz
zur Projektion zu befassen. [30] Er erkannte, dass diese „Tendenz“
ausgerottet werden musste, aber er erforschte nicht, was diese Tendenz
zuerst einmal geschaffen hatte. Stattdessen gehen seine Schriften implizit
von der Annahme aus, dass die Tendenz, negative Eigenschaften zu
projizieren, Teil und Partie der menschlichen Natur ist und dass sie zu überwinden
einen Willensakt und einige Dutzend Visualisierungs-Übungen erfordere. Das
soll Perls Beitrag nicht abwerten, der darin bestand die Notwendigkeit zu
betonen, dass man die Verantwortung für seine negativen Emotionen übernimmt---es
war in der Tat eine angebrachte Botschaft für den größten Teil der
Welt. Noch soll es den Grad mindern, in dem Projektion zu neurotischem
Verhalten beiträgt und es aufrecht erhält. Es soll nur nahelegen, dass
eine tiefere Dynamik involviert ist, mit der man sich befassen muss, wenn
die „Tendenz“ zu projizieren ausgelöscht werden soll. Wenn
der soziokulturelle Hintergrund der Ära des Zweiten Weltkriegs Perls
Leidenschaft für bestimmte Auffassungen zu erklären hilft, so hilft sein
persönlicher Lebenshintergrund sein Anathema für andere zu erklären---insbesondere
seine „Konzepte“ von vergangener Geschichte, persönlicher
Verletzbarkeit und von Bedürftigkeit. Perls leugnete die Gültigkeit in
der Vergangenheit liegender Ursachen nicht nur intellektuell ab, er
duldete keine Erwähnung dieses Themas. In seinen eher rationalen Momenten
bezüglich dieses Themas behauptete er, dass die vergangene Geschichte
einer Person nur ausführlicher behandeln könne, was man [ohnehin] hier
und jetzt in der Gegenwart beobachten könne. In seinen weniger rationalen
Momenten reagierte er auf die Erwähnung vergangener Ursachen einfach mit
Ärger bis hin zu vollem Zorn. In
der Tat repräsentierte der Gegenstand vergangener Ursachen und persönlicher
Verletzlichkeit Perls’ uneingestandene „Achillesferse“. Es ist an
diesem Punkt wichtig, einige Aspekte von Perls eigenen Primär-Beziehungen
zu erwähnen. Nach seinem eigenen Bekunden war sein Leben im Elternhaus
unglücklich. Seine Eltern hassten sich. [31] Sein Vater wurde regelmäßig
gegen seine Mutter tätlich. Der Vater hatte anscheinend Hass für den
kleinen Frederick übrig, den er „ein Stück Scheiße“ nannte. [32]
Als Teenager fand Fritz noch mehr Hass in der Schule, wo die Lehrer
„lieblos“ und „grausam“ waren. [33] In dieser Umgebung entwickelte
der Junge anscheinend, was Jeffrey Masson als „nahezu unergründlichen
Mangel warmherziger Gefühle für…seine eigene Familie“ beschreibt.
Masson zitiert Perls’ einzige Erwähnung seiner älteren Schwester in
seiner Autobiographie. „Sie war eine Klette….Sie hatte auch ernste
Augenprobleme…Als ich von ihrem Tod in einem Konzentrationslager hörte,
habe ich nicht sehr getrauert.“ [34] Perls—der
sich selbst gegen seine eigenes Kindheitsleiden abgehärtet hatte—war
wegen seiner Intoleranz gegen sensible oder bedürftige Männer berüchtigt.
Oftmals wurden in Perls Gruppe arglose Männer wegen der bloßen
Indiskretion, einen Satz mit „Ich will“ oder „Ich brauche“ zu
beginnen, „abgeschossen“.
Sein Biograph, der Psychiater Martin Shepard, schreibt: Fritzs
Härte stand stets in dirktem Verhältnis zu seiner eigenen Bedürftigkeit,
und er war zu dieser Zeit besonders bedürftig [die frühen 1960er, während
seines ersten Arbeitspensums auf Esalen]. Sein Benehmen und Verhalten
entmutigte jene, die ihn in die Rolle eines sorgenden Elternteils oder
Geborgenheit-Gebers setzen wollten. Er behandelte solche Wünsche….. spöttisch
oder mit einem logischen Argument; „Wozu braucht ihr mich?“ würde er
vielleicht fragen. „Wozu braucht ihr eure Eltern? Ihr habt Augen und
Ohren und Energie. Was wollt ihr tun?“ [35] Shepard
zitiert dann den San Francisco-Gestaltler Abe Levitsky, ein früherer
Student von Perls, der sagte,
dass sein Mentor „übermäßigen Wert auf die Kernpunkte Autonomie und
Selbsthilfe legte, von denen er meinem Empfinden nach beinahe besessen war
und die seine eigenen ungelösten Abhängigkeitsprobleme reflektierten.“
[36] Als
Vater glaubte Perls zweifelsohne daran, in seinen Kindern „Autonomie“
zu fördern. Seine Methode war, sie entweder zu ignorieren oder zurückzuweisen.
In seiner Autobiographie hat er nur einen markigen Kommentar für
seine Tochter übrig: „Renate ist eine Schwindlerin.“ Während er die
Art und Weise seiner Tochter nicht guthieß, ließ er sich nicht dazu
herab, seine Enkelin kennenzulernen. [37] Was das Verhältnis zu seinem
Sohn anbelangt, beschrieb der Sohn Jahre später (in einem Gespräch
1993), wie sich sein Vater grundsätzlich aus der Aufgabe, ihn zu
erziehen, heraushielt. Stephen Perls, ein klinscher Psychologe, berichtet,
dass er sich als Junge „ignoriert“ und „herabgesetzt“ fühlte.
Selten aß die Familie zusammen. Sein Vater, sagt er, „hätte sich nicht
noch weniger“ um ihn oder seine Interessen kümmern können. Fritz war
ganz auf sein eigenes Leben zentriert: seine Arbeit, Kollegen und
Freundschaften. Für
seine Kinder hatte er keine Zeit. Laut seinem Sohn hatte Perls „einen
blinden Fleck, wenn es zu interfamiliären Beziehungen kam. Er machte
seine Sache und ich machte meine Sache.“ Perls junior fügt hinzu:
„Bis ich etwa 30 war, trat ich für ihn nie als Figur in Erscheinung,
die sich klar von meiner Schwester und Mutter unterschied.“ Fritz warb
um seinen Sohn nur, indem er ihn einlud, ihm bei der „Ausführung“ des
Gestalttherapie-Trainings zuzusehen, so sinniert Stephen Perls. [38] Der
Biograph Shepard spekuliert, dass aufgrund der Tatsache, dass man Perls’
eigener Bedürftigkeit als Kind mit Härte begegnet war, es Perls’ Würde
verletzte, von anderen etwas zu wollen oder brauchen, und eine ähnlich
harte Reaktion auslöste. Deshalb „wollte Fritz etwas, aber er bat nicht
darum. Und so verdammte er die Bedürftigkeit anderer.“ [39] Nachdem
seine eigenen Kindheitsbedürfnisse ignoriert worden waren, vollzog Perls
an seinen eigenen Kindern und dann an einigen seiner Patienten eine
Wiederholungsvorstellung, indem er auf sie mit verschiedenen Arten von
Misshandlung reagierte. Shepards nennt das mit Recht Perls’ „Bedürftigkeits-Paradox“
und erklärt dann das Paradox auf sehr un(Gestalt)ische Weise im Hinblick
auf Perls’ Lebenserfahrungen in der Vergangenheit:
Shepard
verbindet Perls’ Aversion gegen Vergangenheits-Ursachen sogar ganz
speziell mit Schmerz aus seiner Vergangenheit:
Wenn
Perls Ego, Hunger, and Aggression in der Hoffnung veröffentlicht
hatte, etwas „ganz Besonderes“ zu werden, wurde er bitterlich enttäuscht.
Die einzige „besondere“ Antwort, die er von der professionellen
psychoanalytischen Gemeinde erhielt, war einmütige Ablehnung. Absichtlich
oder unabsichtlich vollzog er effektiv seinen Abfall von der
Freudianischen Gemeinde. Perls’
Theorie und Therapie: Die späteren Jahre
1946
zog Perls mit seiner Familie von Südafrika nach New York und etablierte
in der nächsten Dekade die Gestalttherapie als einen formalen
therapeutischen Ansatz. Sein zweites Buch Gestalt Therapy wurde
1951 veröffentlicht, aber seine Wirkung war „nahezu Null“. Perls
begann dann eine Reise von Stadt zu Stadt und initiierte kleine
Encounter-Gruppen sowohl für Profis als auch für Laien. Verstreute
Gestalt-Zentren entsprangen hier und dort in den 1950er Jahren, aber Perls
und seine Therapie blieben bis zu seiner Angliederung an Esalen in den
1960ern relativ unbekannt. In
gewissem Sinne brachte Esalen Perls und seine Therapie „auf die
Landkarte“. Die Leute gaben
jetzt häufig Perlsismen von sich, legten Lippenbekenntnisse ab, wie
wichtig es sei, „seine eigene Sache zu machen“, „jetzt hier zu
sein“ und ihre „Topdogs“
im „heißen Stuhl“ loszuwerden. Der heiße Stuhl, eine Eigenheit der
Gestalttherapie, ist eine Art therapeutischer elektrischer Stuhl, in dem
sich der Patient der oft konfrontativen Weisung des Therapeuten fügt. In
Ego, Hunger, and Aggression hatte Perls seine Konzepte in relativ
wissenschaftlichen Begriffen formuliert. Er hatte von „differenziertem
Denken“ geschrieben, von „organismischer Reorganisation“, von
„sensomotorischen Widerständen“ und von „Pseudo-Metabolismen“.
Jetzt ließ er alle Ansprüche auf wissenschaftliche Untermauerung fallen
und arbeitet geradewegs auf stark vereinfachende Schlagworte hin, die, so
glaubte er, die grundlegenden „Polaritäten“ beschrieben, auf denen
das Leben beruhte. Ein
speziell Perlsianisches Konzept ist die Vorstellung einer
Topdog-Underdog-Persönlichkeitsspaltung. Perls sprach vom Topdog
anstatt vom Freudianischen Superego, und folgerte dann: „Wenn es
ein Superego gibt, muss es auch ein Infraego geben. Wiederum
hat Freud den Job nur halb erledigt. Er sah den Topdog, das Superego, aber
er ließ den Underdog aus, der genauso eine Persönlichkeit ist wie der
Topdog.“ [42] Diese grundlegenden Einteilungen der menschlichen Persönlichkeit
waren gemäß Perls „zwei Clowns…, die das Selbstquäl-Spiel auf der
Stufe unserer Phantasie vollziehen.“ [43] Der Topdog ist der
verinnerlichte Elternteil—die moralistische, perfektionistische und
autoritäre Stimme, charakterisiert durch Soll- und
Muss- Anweisungen. Der Underdog auf der anderen Seite ist
das verinnerlichte Kind---der Teil von uns, der selbst-suchend, impulsiv,
defensiv, schmeichelnd, heulsusisch und machtlos ist (um einige von
Perls’ eigenen Adjektiven zu benutzen). Den Kräften des Freudschen Es
nicht unähnlich kämpfen Perls’ Topdog und Underdog endlos, denn der
Kampf zwischen ihnen „wird niemals vollendet.“ Diese
zwei Teile von uns entwickeln sich im Prozess schlechter Kindheitsreifung,
in dem Eltern nicht für
Was
war die Lösung? Fritz schrieb, sie bestand darin, „den Patienten dahin
zu bekommen, dass er herausfindet, was sein eigenes verschollenes
Potential ist, [indem er] den Therapeuten als Projektionsleinwand
[benutzt].“ [46] Der Patient würde vom Therapeuten genau das erwarten,
was er in sich selbst nicht mobilisieren konnte, und durch würde sich
durch eine neue Bewusstheit die Eigenschaft oder Fähigkeit „wieder
aneignen“, die er vom Therapeuten erwartet hatte. Wo
beendet dieser sogenannte Durchbruch die Topdog-Underdog-Teilung?
Theoretisch würde sie in Vergessenheit geraten, da die Person durch die
Wiederaneignung ihrer vielen projizierten Teile „ganz“ und „real“
wurde. In Wirklichkeit jedoch demonstrierte Perls eine unleugbare
Bevorzugung (und Vorliebe) für das, was man als leicht gereiften Underdog
bezeichnen könnte, als das ideale Erwachsenen-Verhalten. Das wäre der
Erwachsene, der „seine eigene Sache macht“, der impulsiv, spontan und
im Einklang mit seinen und nur seinen Bedürfnissen handelt. Das war für
Perls das Ideal, und er war anscheinend sehr stolz darauf, dieses
Verhalten persönlich zu modellieren. Ein
Beispiel aus Perls’ Biographie, in dem Perls beschreibt, wie er in einer
Gruppensitzung eine Frau satt hatte und sie dreimal buchstäblich
niederschlug, exemplifiziert gut seine idiosynchratische Auffassung
erwachsenen Verhaltens:
Shepard
zeigt auf, dass zu den Paradoxa der Gestalttherapie das folgende gehört:
während der Kern der Therapie angeblich auf Selbst-Ausdruck basierte und
darauf, seine eigene Sache frei von den Solls des Topdogs zu
machen, hatte Perls in Wirklichkeit seine eigene Liste hoch taxierter
Verhaltensrichtlinien für Männer und Frauen:
Perls’
Vorliebe fürs Philosophieren war seiner Vorliebe fürs Etikettieren ebenbürtig---
auch wenn er es als „Elephantenscheiße“ herabsetzte. „Ich betrachte Neurose als Symptom unvollendeter Reifung.“ „Jetzt-Erfahrung löst alle neurotischen Schwierigkeiten.“ „Angst ist nichts als der Spalt zwischen jetzt und später.“ „Verliere deinen Verstand und komm zu deinen Sinnen.“ „Nimm dich vor Helfern in Acht. Sie verderben dich und
lassen dich abhängig und unreif bleiben.“ [49] In
diesen Pseudo-Weisheiten sehen wir Perls’ elementaren Mangel an Verständnis
für die Dialektik der Neurose und Angst. Wir sehen auch seine Entwicklung
von einem Freudianischen „Weisheitsscheißer“ zu einem Weisheitsscheißer
in der Aufmachung eines selbst-wichtigen und unsympathischen Gurus, der
die Ausflüsse von Schmerz als „unvollendete Reifung“ mißversteht und
seine eigene Abscheu vor Bedürftigkeit in eine Theorie umwandelt, die die
Dialektik ignoriert und Verdrängung sanktioniert. Da
er den Existenzialismus als philosophische Basis der Gestalttherapie
beanspruchte, fügte Fritz häufig orientalische Aromen als zusätzliche
Untermauerung hinzu. Taoismus, Koans und Zen waren seine
Lieblingsreferenten, und er stellte sein Hier-und Jetzt-Konzept oft
als eine Art mysteriöses, enigmatisches Koan vor:
Entsprechend
ist im Schema der Gestalttherapie alles grundsätzlich bedeutungslos, was
Ihnen in der Vergangenheit passierte. Wenn Sie näher auf sie
[Vergangenheit] eingehen und sie als Grund gebrauchen, um andere (wie Ihre
Eltern) für Ihre Probleme verantwortlich zu machen, funktioniert sie als
Hindernis für jede Art persönlichen Wachstums. Die Enzyclopedia of
Psychology umrahmte diesen Kernpunkt in ihrer Kritik der
Gestalttherapie vom Standpunkt der Perlsschen Betonung „der Wichtigkeit,
Verantwortung für sein eigenes Verhalten zu übernehmen“:
Ich
nehme an, dass einiges für diesen klaren Blick auf persönliche
Verantwortung spricht. Wer schon würde sich entscheiden, sich lieber in
der Vergangenheit zu wälzen als mit seinem Leben weiterzumachen? Ein
anderes Konzept von Perls ist das „unerledigte Geschäft“ oder
„unvollendete Situationen aus der Vergangenheit, die von unausgedrückten,
nie voll erlebten oder entladenen Gefühlen begleitet werden.“ Dieses
alte Gepäck stört, wenn es ins gegenwärtige Leben mitgeschleppt wird,
„gegenwartszentrierte Bewusstheit und authentischen Kontakt mit
anderen.“ [52] Oberflächlich ist das eine attraktive Idee. Wer würde
nicht wählen, diese Lasten abzuwerfen, um seine Erfahrungen und
Beziehungen zu bereichern? Aber das Problem besteht darin, dass angesichts
der unbestreitbaren neurobiologischen Präsenz von Vergangenheits-Schmerz
in der gegenwärtigen Existenz des Organismus diese „nie voll erlebten
oder entladenen Gefühle“ fortfahren werden, sich auf unsere aktuellen
Gefühlszustände und Verhaltensweisen auszuwirken, gleich, wie sehr wir
uns darauf festlegen, die Vergangenheit hinter uns zu lassen, um nach
„Bewusstheit“ und Wachstum zu streben. Was
die Techniken der Gestalttherapie für die Auflösung der „unerledigten
Geschäfte“betrifft, erfordern sie typischerweise, „dass die ursprüngliche
Situation neu inszeniert wird und der assoziierte Affekt erfahren und
ausgedrückt wird.“ Das involviert in der Regel die Arbeit mit dem heißen
Stuhl, wobei der Patient die Topdog-Underdog-Aspekte seiner oder ihrer
Persönlichkeit ausagiert. „Auf diese Weise wird Vollendung erreicht,
das Vertieftsein in die Vergangenheit löst sich auf, und das Individuum
kann seine Aufmerksamkeit und Energie wieder auf neue Möglichkeiten
richten.“ [53] Bei
der Diskussion dieses „unerledigten Geschäfts“- Problems ist es
wichtig, Perls’ paradoxe Position bezüglich der Vergangenheit zu
wiederholen – als etwas, das nicht wirklich existiert. Nicht nur das;
laut Perls sind Erinnerungen von gestern und vorgestern nichts als Lügen
und Täuschungen, die wir heraufbeschworen haben, um unsere missliche Lage
zu rationalisieren. „Ihr alle wisst, wie sehr ihr lügt. Ihr alle wisst,
wie sehr ihr euch selbst täuscht, wie viele eurer Erinnerungen Übertreibungen
und Projektionen sind, wie viele eurer Erinnerungen zusammengestoppelt und
verzerrt sind.“ [54] Hier
gab Perls schon vor langem eine Vorschau auf die aktuelle Kontroverse bezüglich
des „Syndroms der verdrängten Erinnerung“ und der
„Pseudoerinnerungen“ an sexuellen Missbrauch, von denen Professionelle
glauben, dass Patienten sie heraufbeschwören. Das ist aber noch nicht
alles. Die Situation verschlimmert sich, da Perls im Weiteren die Realität
des Traumas an sich leugnet:
Perls
hatte offensichtlich das Gefühl, es sei für ihn das Beste, sich gegen
seine eigene schmerzhafte familiäre Vergangenheit abzuhärten – sich
auf einen autonomen Pfad zu begeben und sich nicht in Vorwürfen und
Ressentiments zu wälzen – und den Horror auszulöschen, der sein
Heimatland überwältigte, anstatt „seine Zeit [mit Rückschau] zu
vergeuden.“ Aber diese vorsätzliche Verleugnung des Traumas löscht
weder seine Realität aus noch die Traumen, die andere erleben. Ich kann
nicht umhin mich zu fragen, was er sagen würde, wenn er mit der Statistik
des Department of Health, Education and Welfare konfrontiert würde, dass
Kindesmisshandlung in diesem Land epidemische Ausmaße erreicht hat; oder
noch dramatischer, wie er Perls
Behauptung, das Trauma an sich sei nichts als eine selbst-dienliche
Erinnerungsverzerrung, ist absurd. Wir können Fälle von Trauma allzu
klar mit unseren eigenen Augen sehen. Aber was ist mit seiner
Feststellung, dass die Erinnerung auch eine Verzerrung sei? Seine Basis für
diese Behauptung ist die Erklärung (die er als prima facie-Statement
behandelt), dass Erinnerung eine „Abstraktion“ sei. [56] Seine Überlegung
geht dahin, dass Ereignisse, da sie sozusagen leibhaftig erlebt werden,
sich über Gedankenabstraktion leibhaftig nicht
akkurat wieder-repräsentieren
können. Von da sein Schluss, dass Erinnerung und Geschichte nie identisch
sein können. Nichtsdestotrotz
deuteten die 1959 veröffentlichten Forschungsarbeiten des kanadischen
Neurochirurgen Wilder Penfield darauf hin, dass Erinnerung tatsächlich
ein verschlüsseltes neurophysiologisches Ereignis ist, das genauso real
ist wie die Neuronen, die es vermitteln:
Mit
anderen Worten scheinen die Erinnerung und das Erlebnis, das erinnert
wird, ein und dasselbe zu sein. Penfields Arbeit wirft auch Licht auf die
sogenannte „Verfälschung“ der Erinnerung, die Perls so beunruhigte.
Die Verzerrung der Erinnerung kann einfach eine Angelegenheit der Größe
der Entfernung im Gehirn vom Ort der wahrheitsgetreuen Erinnerung sein
(der „Gefühlsort“) zu Orten sein, die in unmittelbar anliegen und
ein Symbol der Erinnerung erzeugen. Penfield zitiert den Fall einer
Gehirnoperation, bei der er eine Elektrode an einem Punkt im temporalen
Kortex platzierte und als Resultat erhielt: „Ich habe das Gefühl, dass
Räuber hinter mir her sind“. Wenn er sie direkt auf dem Gefühlsort
anbrachte, löste sie folgende Reaktion aus: „Ich erinnere mich, wie
mein Bruder eine Pistole auf mich richtete.“ Mit anderen Worten, wenn
man den tatsächlichen Gefühlsort einer speziellen Erinnerung stimuliert, führt das dazu, dass sie genau so aktiviert
wird, wie sie ursprünglich geschah. Wenn man angrenzende Orte
stimuliert, erzeugt man Symbole dessen, was tatsächlich geschah. Wenn
Perls behauptet, dass das Trauma selbst nichts anderes sei als eine
selbst-dienliche Verzerrung, irrt er sich gewaltig. Ein Trauma erzeugt
Verzerrungen, um das Bewusstsein nicht zu stören; andernfalls wäre man
dem Schmerz wehrlos ausgeliefert. Aber dieser Standpunkt ist in hohem Maße
misanthropisch: Jeder ist egozentrisch, sagt er (das wird er als ihm eigen
anerkennen müssen), jeder lügt und verzerrt, und es gibt keinen
wirklichen Kindheitsschmerz. Ist
Perls’ Sicht der Erinnerung einmal in Zweifel gezogen, was wird dann aus
seinem Hier-und-Jetzt-Konzept und aus seinem Es-gibt-keine-Vergangenheit-Konzept?
Weitaus reichhaltiger als Perls’ limitierte Formulierung ist die
erforschte Realität dessen, was Penfield ein „Doppelbewusstsein“
nannte:
Somit
kann das Leben in der „Gegenwart“, wie Perls es predigte, nicht
stattfinden, weil unsere Gegenwartsmomente mit dem Strom der Vergangenheit
erfüllt sind, genau wie wir die Zukunft mit dem Strom dessen erfüllen,
wer wir heute sind. Projektion
in der Gestalttherapie
Während
Perls’ Arbeit auf Esalen weitete und festigte sich sein Konzept der
Projektion –erstmals ausgearbeitet in Ego, Hunger, and Aggression—zu
einer Schlüsselposition in der Therapie. Perls machte jetzt geltend, dass
alles, was wir über eine andere Person oder über irgendeine
Situation in der Außenwelt fühlen oder denken, eine Projektion eines
bestimmten Teils von uns selbst sei. Wenn ich somit sagte „Ich mag Betty
nicht, weil sie zuviel tratscht“, würde es in Wirklichkeit bedeuten,
dass ich eine Klatschbase bin. Da ich nicht willig wäre, die
negative Eigenschaft in mir selbst zu erkennen und mich mit ihr zu
befassen, würde ich sie bereitwillig in einem anderen erkennen und
verurteilen. Es
ist nichts falsch an der Substanz dieser Lehre. Von Zeit zu Zeit
projizieren wir alle unsere unerwünschten Eigenschaften auf andere.
Gewiss scheinen wir besonders sensibel für Aspekte im Verhalten anderer
Leute zu sein, die widerspiegeln, was wir in uns selbst (bewusst oder
unbewusst) verurteilen. Wie schon an früherer Stelle eingeräumt, ist
Projektion ein legitimer psychologischer Abwehrmechanismus, wie die
Paranoia zeigt, bei der unerträgliche Feelings anderswo
„hingeschickt“ und anderen angelastet werden. „ ‚Sie’ wollen
mich verletzten.“ Es ist nicht so, dass die Person jemand anderen
verletzen will, obgleich es so sein kann, sondern dass sie in ihrer
Kindheit furchtbar verletzt wurde und die Erinnerung jetzt ihre
Wahrnehmungen von anderen dominiert. Denken
Sie an Perls’ frühere Aussage, dass „die Person oder das Tier, das
den Alptraum beherrscht, immer ein unerwünschter Teil von uns
selbst ist“. [Kursiv zugefügt] Das Beispiel, das Perls 1942 benutzte,
um seine neue und radikale Position zu veranschaulichen, erfüllte eine
positive Funktion, indem es einen Typ der Trauminterpretation vorschlug,
der eher auf die Persönlichkeit anwendbar war als die präsidierenden
Freudschen Typen. Er zitiert einen Traum, in dem Leider
jedoch untermauerte der Lauf der Zeit Perls’ rigide Auffassung von der
Rolle der Projektion nur noch weiter. Das Problem kommt mit Perls’
extremer Quantifizierung der Projektion als Phänomen, das alles
einschließt – jedes Traumelement, jede Phantasie oder jeden
Tagtraum, alle Reaktionen auf alle Leute, Situationen und Ereignisse. Da
es in Perls’ Formulierung keine legitimen Vergangenheitseinflüsse oder
verlässlichen Erinnerungen gab, konnten Projektionen nur den inneren und
unmittelbaren Seinszustand der Person darstellen. Diese Sichtweise
impliziert des Weiteren, dass es abseits der Machenschaften der Psyche
jedes Individuums keine äußere Realität geben kann. Ich kann nicht
einfach schwatzhafte Leute nicht mögen, weil ich solches Verhalten eine
auslaugende und negative Zeitverschwendung finde. Nein, in Perls’ Sicht
würde ich einfach meine negativen Gefühle über meine eigenen
schwatzhaften Tendenzen projizieren – zugegeben oder nicht zugegeben –
Punkt. In der Tat sind Verhaltensstandards und qualitative Bewertungen
selbst Aspekte der Projektion, die in den Bereich von Perls’
„Soll-nicht“-Anweisungen fallen. Es ist die Erhebung persönlicher
Pathologie in das Reich der Theorie. Mit
seiner Arbeit in Esalen in den 1960ern präsentierte Perls folgerichtig
(und vorhersagbar) das Dogma der Projektion, das unzweideutig die Möglichkeit
abstritt, dass Traumelemente (oder Reaktionen auf Leute und
Ereignisse) auch tatsächliche Leute, Ereignisse oder Traumen repräsentieren
oder symbolisieren könnten, die dem Individuum in seinem Leben
widerfahren waren. Gut
veranschaulicht sehen wir das in Gestalt Therapy Verbatim, das eine
Auswahl aus Tonbändern von Perls’ Wochenend-Traumarbeits-Seminaren enthält,
die zwischen 1966 und 1968 auf Esalen abgehalten wurden. Mit
gleichbleibender Präzision ergreift Perls methodisch, schnell und überzeugend
jede Reaktion, jedes Feeling, jede Empfindung, jedes Traumelement oder
jede Phantasie und etikettiert sie als Projektion. Aber was ist zum
Beispiel mit den erwünschten Teilen unseres Selbst, zu denen wir gerne
gelangen würden aber nicht können? Was ist mit einer sexuellen Reaktion,
die total unterdrückt ist, oder mit einem Lachen, das im Inneren
feststeckt? Perls lässt nur Raum für das Unerwünschte. Der
heiße Stuhl
Perls’
Gebrauch seines beühmten „heißen Stuhls“ war eine seiner zentralen
Techniken in der Ausführung seiner therapeutischen Lehren.
Er entwickelte diese Technik für etwas, das er seinen „Zirkus“
nannte – „Demonstrationen der Gestalttherapie vor hundert Leuten oder
mehr auf einer Bühne, die er montiert hatte.“ [60] Bei einem typischen
Encounter mit Perls ging die gewillte Person zu dem bezeichneten Bereich
hinauf, wo Fritz mit zwei leeren Stühlen saß. Einer der Stühle war der
heiße Stuhl – der Stuhl, in den sich die arbeitswillige Person setzte
– und der andere Stuhl war der Sitz, zu dem die Person sich begab, wenn
sie ihre unterschiedlichen Rollen ausführte. Einige betrachteten das, was
sich zwischen Fritz und seinem Kandidaten im heißen Stuhl abspielte als
brillant, einfallsreich und innovativ. Andere betrachteten es als
selbst-nachsichtig und unsensibel, sogar grausam. Seine Ex-Frau, die auch
Gestalttherapeutin ist, sah im heißen Stuhl „einfach eine Methode, die
ihn davor bewahrte, sich engagieren zu müssen.“ [61] Sein Freund und
Verleger, Arthur Ceppos, glaubte, „das ganze Geheimnis hinter Fritzs heißem
Stuhl [sei], den Leuten zu zeigen, wie sie sich selbst zum Narren
machten.“ [62] In der Tat schien Perls in der therapeutischen
Gemeinschaft ohne Beispiel, was seine Fähigkeit anbelangt, sogenanntes närrisches
Benehmen bei denen hervorzurufen, die ihm gegenüber im heißen Stuhl saßen. Die
Technik des heißen Stuhls war ein Ableger einer früheren Technik, die
man „Psychodrama“ nannte. Hier spielten Individuen verschiedene
Rollen, sodass sie ein Gefühl dafür bekämen, wie es ist, jemand anderer
zu sein, und sie sollten diese unterschiedlichen Rollen auch mit dem Ziel
spielen sich zu verändern. Aggressiv handeln anstatt passiv wäre eine Möglichkeit.
Ihre Auffassung und die von Perls war, dass schauspielen half, eine Person
zu verändern, ihr Blickfeld erweiterte und sie befähigte, sich selbst
objektiv zu sehen. Aber Schauspieler spielen natürlich die ganze Zeit
Rollen und ändern sich überhaupt nicht. Schauspiel
ist Spaß, manchmal kann es weh tun, aber im Wesentlichen ist es ein
Spiel, bei dem der Rädelsführer den Zirkus leitet. Der Brennpunkt liegt
auf dem Führer, der in der Regel vergöttert wird und der in jedem Fall
das letzte Wort hat. Es gibt kein grundlegendes Vertrauen in den Patienten
und seine Gefühle. Es gibt kein wirkliches Empfinden für die Tragödie
der Neurose, dafür, wie schrecklich unglücklich der Patient ist. Es ist
alles ein Spiel, man schlüpft in Rollen und wird vom Chef
„niedergemacht“. Ich
nahm an einem Seminar von Perls teil (und auch an einem von Rogers) und
mir fiel auf, dass sich die Theorien, die Psychologen konstruieren, direkt
aus deren Persönlichkeiten zu entwickeln scheinen. Als Studenten äfften
wir Perls’ Gruppenführung nach, rauchten Kette und sagten: „Sei ein
Aschenbecher.“ Sei eine Couch.“ Es war alles Laune und Grille. Aber in
gewissem Maß hatte es mit
Gefühlsbefreiung zu tun, was in seiner Epoche etwas Neues war. Nach einer
Gruppensitzung, in der eine Frau auf dem heißen Stuhl saß, kam es natürlich
wie erwähnt zu dem obligatorischen Kuss auf Perls’ Stirn oder Wange.
Der Meister erhielt sein Huldigung. Es war mehr eine Show als Therapie;
eine interessante Show, denn er war ein Showman, aber wissenschaftliche
Therapie stand außer Frage. Auf
ihre eigene Weise wendet Gestalttherapie, wie Fritz Perls und jene sie
praktizierten, die seine Arbeit fortführten, eine Form der Hypnose auf
seine Patienten an. Der Therapeut ist die zentrale Figur, das
Kommandozentrum. Der Patient erhält seine Fingerzeige über die
Wirkichkeit eher von dieser externen Figur als von den Wahrheiten seiner
eigenen Erfahrungen, die in seiner eigenen Psyche enthalten sind. Er
unterwirft sich auf die gleiche kindliche Weise wie das hypnotische
Subjekt den Suggestionen und der Autorität des Therapeuten, sodass die
nachfolgende Erfahrung für ihn weitgehend Hypnose
funktioniert durch seine Fähigkeit, sich die Spaltung des Bewusstsein
zunutze zu machen, die das Wesen der Neurose ausmacht. Therapie macht
dasselbe, obwohl nicht auf exakt dieselbe Weise. Perls erkennt Konflikte,
Polaritäten, Teilungen innerhalb des Selbsts an, jedoch führt er seine
Therapie durch Spiele aus, die er anstiftet und die den Spalt nicht nur
veranschaulichen sondern ihn auch vergrößern. Es ist Teil des
hypnotischen Prozesses, das Subjekt zu überzeugen, dass etwas geschieht,
das nicht geschieht.
In
der Gestalttherapie wird der Patient unbewusst gehalten, indem man ihn
gewahr sein lässt; eine Trennung, die dadurch aufrechterhalten wird, dass
man ihm die Illusion gibt, dass er bewusster geworden sei; dass er „in
Kontakt stehe mit Gedanken, Gefühlen und Empfindungen, wie sie von Moment
zu Moment geschehen“; dass er seinen Verstand verloren habe und zur
Besinnung komme; dass seine „aktuelle Hier-und Jetzt-Erfahrung die
einzige Realität bildet.“ Genau wie in der Hypnose ist das Bewusstsein
darauf beschränkt, für gegen Schmerz gerichtete Ablenkung und für eine
Barriere gegen die Gegenwart der Vergangenheit zu sorgen. Bewusstsein ist
auf die gegenwärtigen Ableger verdrängten Schmerzes in Form von
Projektionen im Hier-und-Jetzt eingeengt. Der Hauptunterschied zwischen Hypnose und Gestaltherapie
besteht darin, dass Hypnose Bewusstheit ausschließt, um die
Vereinigung des Bewusstseins zu vermeiden, wogegen Gestalt das Unbewusste
ausschließt, um dasselbe zu erreichen. Gestalttherapie
nach Perls: Ein Gerangel um die Definition
Wie
weit haben sich Perls’ ursprüngliche Konzepte erhalten? Wie weit hat
Perls’ Persönlichkeit das Gestalt-Erbe durchdrungen? Hat sich
Gestalttherapie entwickelt und sich neuen Richtungen zugewandt? Ein
Überblick über das Gestalt Journal liefert Antworten auf diese
Fragen. Zusammengefasst
blieben Perls’ Konzepte als Eckpfeiler der Therapie. Zwischenzeitlich
wurden neue Dimensionen und Ausarbeitungen hinzugefügt. Die
Eindringlichkeit von Perls’ Persönlichkeit blieb eine Quelle des
Nacheiferns für die einen und eine Quelle des Konflikts und der
Neubewertung für die anderen. Ein
Artikel mit dem Titel „Die Zukunft der Gestalttherapie“
dient als einleitende ‚Kollektion’ von Post-Perls -Trends,
-Standpunkten und –Problemen. [64] Das Symposium, über das dieser
Artikel berichtet, schien eine Retrospektive auf und ein Ende für die
Perlssche Phase zu repräsentieren und funktionierte teilweise als ein
Forum, das entscheiden sollte, wohin man als nächstes gehen sollte.
Obwohl vier Redner unterschiedliche Themen erörterten, tauchte in jeder
Präsentation eine gemeinsame Besorgnis auf: ob Gestalttherapie überleben
würde oder nicht, und wie man das Überleben am besten unterstützen könnte.
Man räumte ein, das die Bewegung durch eine Art Identitätskrise gehe.
Die Redner äußerten Bedenken dahingehend, ob die Therapie in der Lage wäre,
neue Ansätze zu integrieren und zugleich „ihre Integrität und Kohärenz“
zu bewahren. Sie stellten die Bedeutung der Therapie im Wechsel der Zeit
in Frage, überlegten, dass das „narzisstische Genießen“ der
Selbstentwicklungs-Ära der sechziger Jahre durch größere ökologische
und umweltliche Sorgen, die eher eine planetenorientierte als eine
selbstorientierte Zentrierung verlange,
ersetzt worden sei. Sie bekräftigten, dass Gestalttherapie weiter
anwendbar bleiben könne, weil „eine moralische Vison, die die Einheit
des menschlichen Lebens mit der Natur betrifft, die Wahrheit ist, die
Gestalttherapie verkörpert.“ [65] Das
Bedürfnis nach einer Definition in Begriffen, die Platz für das Überleben
der Gestalttherapie bieten würden, war während des ganzen Symposiums
klar. Ein Sprecher erklärte treffend: „Wenn wir weiterhin die
Notwendigkeit ignorieren zu definieren, wer wir in unserem Zentrum sind
und was unsere Grenzen sind, würde ich eine Zukunft voraussagen, in
der wir durch eine endlose Zahl neuer Techniken ersetzt werden und in der
unser Name als Entschuldigung für schlechte Therapie, schlechte
Ausbildung und schlechte Disziplin verwendet wird.“ [66]
[Kursivschrift zugefügt] Ein anderer Artikel des Journals über
Depression illustriert die traditionelle Perlssche Flanke der Therapie.
Neurose wurde voraussagbar in Begriffen von Perls’
„Topdog-Underdog“-Persönlichkeitsspaltung definiert. In dieser
Spaltung „scheitert das Individuum daran, den Konflikt zwischen zwei
diametral entgegengesetzten Komponenten seiner Persönlichkeit zu lösen
oder sich dessen voll bewusst zu sein.“ Diese Komponenten sind
Verhaltensweisen und Überzeugungen, die in füher Kindheit erworben
(„intro-jiziert“) werden und „unerledigte Geschäfte“ begründen.
Depression bedeutet aus Sicht der Gestalt(therapie), dass sich die Person
ihres Topdog-Underdog-Konflikts nicht voll bewusst ist und deshalb
zwischen den zwei polaren Gegenstücken hin und herzappelt. Weder
die Topdog- noch die Underdog-Seite wird voll ausgedrückt. Deshalb „ist
das neurotische Individuum weiterhin das verdrängte Ziel seiner eigenen
Aggression.“ Eine Lösung kommt zustande, indem man sich durch die
unerledigten Geschäfte arbeitet – was für Gestaltler der jüngsten
Zeit dasselbe bedeutet, was es für Perls bedeutete: den Topdog und den
Underdog unter völligem Ausschluss vergangener realer Lebenserfahrungen
als seine eigenen Eigenschaften auszuagieren. [67] Ein
über den Grad der in der Gestalttherapie verwendeten Strukturierung
besorgter Therapeut drückte den Konflikt und die Neubewertung aus, die in
den Jahren nach Perls’ Tod stattfand. Der Autor stellte fest, dass
Perls’ „wahrhaftig experimenteller Ansatz…(später) angepasst und
zur Routine gemacht wurde, um sofortige Einsichten und Heilungen zu
produzieren.“ Der Autor war besorgt über die negativen Konsequenzen
dieser routinisierten Strukturierung („Technik und Zwang hatten
Erfindungsgabe und Kreativität überholt“) und erklärte, dass Perls
solche Probleme wahrscheinlich dadurch vermeidete, dass er einfach Leute,
die von seiner „hohe Struktur-hohe Frustration-Form der Therapie“nicht
profitieren würden, „ausselektierte“ (i. e., eliminierte). [68] Eine
Gegenreaktion zu dieser anscheinend unauslöschlichen Prägung der
Perls-Persönlichkeit kann man in einem Ableger der Gestalttherapie sehen,
der als „transpersonale Gestalt“ bekannt ist. Diese Abweichung nahm
teils Perls’ Neigung zum Mystischen an und repräsentierte teils eine
Reaktion gegen den modus operandi Perlsscher Aggression. [69]
Transpersonale Gestalt behauptet, dass Perls’ Grundpfeiler-Prinzip des
Hier-und-Jetzt das Verbindungsglied zu solchen transpersonalen Konzepten
wie dem „Fluss des Tao“ und dem Jungschen „kollektiven
Unbewussten“ sei. Die Verlagerung weg von Perls’ Vermächtnis kann man
jedoch in der neuen Betonung der sanfteren Seite des Lebens finden. In der
transpersonalen Gestalt wird die traditionelle Technik der „kreativen
Frustration“ durch „eine Atmosphäre der Fürsorge und des
gegenseitigen Vertrauens“ ersetzt. „Sanftmut ersetzt die Attacke;“
und die „Geh-zum-Teufel“-Attitüde, die so oft mit dem Gestalt-Gebot
„Ich mache meine Sache und du deine Sache“in Verbindung
gebracht wird, wird durch folgende neue Formulierung
ersetzt: Du bist du und
du bist ich. [70] Transpersonale
Gestalt stellt die traditionelle Gestalt auf eine neue Ebene. Der Wert
dieser neuen Ebene ist jedoch ebenso dubios wie ätherisch. Wo die
traditionelle Gestalt sich mit dem Persönlichen beschäftigt, zentriert
sich diese neue Gestalt auf das „Kosmische.“ In der traditionellen
Gestalt wird jeder Aspekt eines Traums als Eigenschaft des Träumers
angesehen. In der transpersonalen Gestalt jedoch wird jede Person als
ein Aspekt oder eine Eigenschaft des Kosmos angesehen:
Wie
nützlich diese Art kosmischer Mutmaßung für eine Person ist, die
einfach die Kräfte zu verstehen versucht, die sein eigenes Leben
antreiben, ist bestenfalls fraglich. Die Schlussbemerkungen des Autors
legen eine Art beunruhigender Tangente zum Evangelium nahe:
Transpersonale Gestalt hat eindeutig wenig oder
nichts mit Psychotherapie zu tun. Eine gewisse unerbittliche
Ausgeglichenheit wird in den entfernten Seiten der Gestalt offensichtlich.
So unerschrocken, ja sogar unverschämt bodenständig Perls war, so
ätherisch, mystisch, körperlos – und letzendlich substanzlos – war
die transpersonale Flanke. Sie
ist definitiv „New Age.“ Ohne
die zentrale Antriebskraft von Perls’ Persönlichkeit, von der sie ihre
Identität ableitete, schien die Gestalttherapie nicht mehr zu wissen, wo
und wie sie ihre Definition erlangen sollte. Perls’ Nachfolger griffen
nach Prinzipien, mit denen sie die Elemente einer Theorie und Therapie
zusammenkleistern wollten, die ohne ihre Hauptsäule auseinandergefallen
war. Perls schaffte es nicht, seinen Anhängern eine in Übereinstimmung
mit Biologie und Psychologie stehende Theorie zu hinterlassen, auf der sie
eine effektive Therapie entwickeln könnten. Stattdessen ließ er sie mit
breiter Sentimentalität, vager Ideologie und dubiosen Techniken zurück.
So versuchten die Praktiker, nichts außer Acht zu lassen, indem sie
Elemente aus Mystizismus, Religion, Philosophie und Psychologie
einsammelten. Da diese Vermischung aus Methode, Technik und Ideologie
nicht auf der Wirklichkeit des Organismus beruhte, fand sich die
sogenannte Gestalt-Therapie mehr denn je in Stücken wieder. Ironischerweise
war die eine Sache, die der Gestalttherapie fehlte, eine Gestalt. Gestalttherapie
heute
1993
war Fritz Perls seit nahezu einem Vierteljahrhundert tot. Seine Theorien
und seine Therapie lebten weiter. In der Herbst `93-Ausgabe des Gestalt
Journals, in der man die hundertste Wiederkehr von Perls Geburtstag
feierte, blickt Norman Friedman, Direktor des Gestalttherapie-Zentrums in
Queens, auf die Genesis der Topdog-Underdog-Dichotomie zurück, erklärt
das Grundprinzip für den Gebrauch des „heißen Stuhls“ im
Topdog-Underdog-Rollenspiel und bringt Beispiele für die
Therapeut/Patient – Wechselwirkung a la Perls. Friedman
beschreibt, wie der Topdog-Underdog-Spalt in einer einzelnen Persönlichkeit
der Kindheit entspringt. Konkret entsteht diese neurotische Persönlichkeit
in einem frühen Alter, wenn die Eltern des Kindes eher verlangen, dass
das Kind „sich ihren eigenen unerfüllten Bedürfnissen fügt, als die
des Kindes zu erfüllen.“ Sie wollen ein ruhiges Kind, ein gehorsames
Kind, ein Kind, das die Familie gut aussehen lässt – während das Kind
andere Dinge von ihnen will und braucht, wie „ein angemessenes Maß an
Anerkennung, Bestätigung, Trost und Hilfe.“ Eltern und Kind wetteifern
um die Erfüllung ihrer Bedürfnisse, und das abhängige Kind verliert und
bildet Abwehrmaßnahmen --ignoriert
seine eigenen Bedürfnisse, ist
gefällig, unterwürfig, etc. – um zu überleben. „Aus diesem Kompromiß
heraus“, schreibt Friedman, „bildet sich eine Polarität, eine
intrapsychische Reflexion der tatsächlichen Situation: Die Stimme der
Eltern wird als Topdog verinnerlicht, während die des Selbsts des Kindes
zum Underdog wird.“ Später im Leben verursacht der Konflikt zwischen
den zwei Ursachen Angst und andere Probleme. Ich nehme an, es wäre
Ketzerei zu behaupten, dass es keinen Topdog-Underdog in unseren Gehirnen
gibt. Wenn meine Mutter bei einem Autounfall starb, als ich fünf war, ist
es keine Topdog- oder Underdog-Sache, es ist eine Sache großen Schmerzes
und der Frage, wie dieser mein Leben beeinflusst hat. Laut
Friedman „symbolisiert die Technik des ‚heißen Stuhls’, die in
Gestalt verwendet wird, die Verpflichtung, die eine Person eingeht,
die Angst in Angriff zu nehmen, wenn sie heraufkommt, um mit dem
Therapeuten zu arbeiten.“ Wie Perls’ Version sitzt der Patient bei der
„Stuhlarbeit“ im heißen Stuhl, wobei ein „leerer Stuhl“ einige
Meter entfernt platziert ist. Was folgt, ist ein „Dialog“ mit dem
Ziel, „beide Seiten des Konflikts“ in „Bewusstheit“ zu bringen.
Der Patient beschwört beide Rollen herauf oder agiert sie aus; der leere
Stuhl ist der Ort, wohin sich die Topdog-Projektion –vielleicht Mutter
oder Vater –bewegt. Die
erste Stufe der Stuhlarbeit ist dafür da, dass „die Polarität zu
Bewusstheit kommt und der Patient für beide Seiten Verantwortung übernimmt“,
und dass der Patient die Projektion „zurücknimmt“ und
„eingesteht“. Die Rolle des Therapeuten in all dem ist es nicht zu
erklären, interpretieren oder zu beruhigen, sondern „als objektiver Befähigender“
zu fungieren, der „für ein Model der Offenheit und Authentizität“
sorgt, um „den Konflikt so gut wie möglich herauszustellen, sodass er
zu Kopfe gebracht werden kann.“ Friedman kreiert den folgenden hypothetischen Dialog: P
(eine College-Studentin): Mein Englisch-Professor hat mir
gestern auf meine Arbeit
nur eine 2 gegeben. Ich glaube, er mag mich nicht. T
(Therapeut): Würden Sie ihm das bitte sagen? P:
„Warum machen Sie mich so runter? Mach’ ich nicht alle
Hausaufgaben?“ T: Schalten Sie jetzt um und seien Sie er. P: „Sicher machen Sie die ganzen Aufgaben. Aber Sie sind nur
eine Drohne, ohne Phantasie.“ T: Können Sie sich selbst hören? Wie klingen Sie? P: Wissen Sie, ich glaube, er sieht für mich ein bisschen wie
mein Vater aus! Der mochte nie, was ich tat. Die
nächste Stufe der Stuhlarbeit, schreibt Friedman, besteht darin, „beide
Seiten zu ermutigen, sich gegenseitig zu konfrontieren und den Konflikt zu
intensivieren.“ Mit anderen Worten zielt sie darauf ab, die
„Neuinszenierung“ des „unerledigten Geschäfts“ zu herbeizuführen,
die nach Perls’ Theorie wesentlich für die Erfahrung und Assimilierung
nicht eingestandener Feelings ist. Friedmans Dialog geht folgendermaßen
weiter: P: Mein Vater mochte nie, was ich tat. T: Wie fühlt sich das an? P: Es ist ein beschissenes Gefühl. Ich fühle mich wie Scheiße. T: Könnten Sie ihm das jetzt sagen? P: „Paps, du kritisierst mich immer, gibst mir immer das Gefühl,
dass ich nichts richtig machen kann.“ T: (Pausiert, um zu sehen, ob sie mitgeht mit dem, was
sie sieht, schlägt dann vor): Stellen Sie sich um. T: Könnten Sie ihr das nochmals sagen? Tun Sie es ganz offen. Der
Therapeut bittet dann darum, dass die Patientin (als ihr Paps) ihr sage,
was er von ihr braucht (Bestätigung) und dass sie ihm sage, was sie von
im braucht (dass er ihr sage, er liebe sie). Friedman sagt, dass hier
authentische Feelings erlebt und ausgedrückt werden, aber die zwei sind
in eine Sackgasse geraten: Keiner kann dem anderen geben, worum gebeten
wird. „Der ‚Vater’ fürchtet, seine Verletzlichkeit und Unzulänglichkeit
zu exponieren, während die ‚Tochter’ nicht all die Verantwortung dafür
übernehmen kann, ihn zu erfreuen, wenn sie sich selbst verletzlich
und unzulänglich fühlt.“ An dieser Stelle darf der Therapeut nicht
versuchen, der Patientin zu helfen, diese auswegslose Situation aufzulösen.
Weil „das Feststecken in der Sackgasse der grundlegende Wendepunkt von
Neurose zu Gesundheit [ist]“, „muss der Therapeut genügend persönliche
Therapie gehabt haben, um diesen Ort persönlich erlebt zu haben und somit
in der Lage zu sein, der Notwendigkeit nachzukommen, dass die Patientin
der Situation mutig entgegentritt anstatt sie zu ‚fixieren’.“ Indem
er ein aufmerksamer und mitfühlender Zuhörer ist, das Problem anerkennt
und so weiter, unterstützt der Therapeut die Patientin dabei, ihre Abwehr
fallen zu lassen und zu „implodieren“ oder voll zu fühlen, was
Friedman als „Nichts“, „Isolation“, unterschwellige Angst vor dem
Verlassenwerden“ und „Vernichtungsangst“ bezeichnet. In
der weiteren Entfaltung dieser Pseudo-Sitzung sagt der Therapeut der
Patientin, dass er ihr hilft, „bei dem Feeling des Feststeckens zu
bleiben.“ Die Patientin reagiert sarkastisch, und der Therapeut schlägt
vor, dass sie sich über ihn beklage. Sie einigen sich dann, dass das, was
sie wirklich braucht, nicht darin besteht, ihn zu konfrontieren sondern
wirklich zu fühlen, wie sie feststeckt. Scheinbar beginnt sie es zu fühlen;
das Atmen fällt ihr schwer, sie fürchtet sich und sagt schließlich:
„Gott, ich fühl’ mich so allein!“ Dann beschreibt sie, wie sie ein
„Fließen“….Fallen“ erlebt. Sie fragt den Therapeuten, was sie tun
soll. Er sagt ihr, sie solle sich ihrem Weinen überlassen. Friedman
beschreibt, was geschieht:
P:
(Ihr Gesicht verzieht sich, ihre Atmung scheint einen Moment auszusetzen,
sie hält ihre Hände vors Gesicht, ihre Brust und Schultern fangen zu
beben an, und sie beginnt zu schluchzen. Das ist eher konvulsiv als
Schreien oder Weinen. Sie hält abrupt inne): Heilige Scheiße! Was ist
hier los? T
(Sehr präsent aber unaufdringlich.): Verzweiflung. Lassen Sie es einfach
geschehen. P:
(Sie überlässt sich dem Schluchzen. Das dauert einige Minuten, hört
dann auf, beginnt dann erneut.) T:
Um wen trauerst du? P:
Um mich selbst. All diese vergeudeten Jahre. Verdammt! (Sie gerät in
Wut.) (Als Tochter): „Ich hasse dich, du verfluchter Versager! Fahr zur
Hölle, fahr einfach zur Hölle!“ (Allmählich
beginnt sie, Erleichterung zu verspüren. Ihr Atmen wird langsam, tief,
regelmäßig. Sie schaut sich um, blinzelt mit den Augen, ist sich nicht
bewusst, dass sie Tränen vergossen haben, und schnieft durch die Nase.
Sie lächelt. Bald
darauf erklärt die Patientin, dass sie sich gut fühlt und dass alles
„farbiger..schärfer“ scheint. Friedman betont, dass Gestalttherapie
charakteristisch in der Art sei, sowohl wie sie Feelings aufdeckt als auch
sicher stellt, „dass sie ihr richtiges Objekt suchen.“ Im Weiteren
stellt er die Frage, ob diese Art von „Durchbruch“ andauern werde oder
ob es mehr von Wie
in vielen anderen nicht-dialektischen Therapien ist hier Bewusstheit
(awareness) das Ziel. Das ist gut und schön, aber das Ziel muss Bewusstsein
(consciousness) sein, nicht nur zerebrale oder intellektuelle
Bewusstheit. Es gibt die Auffassung, dass Gedanken in der Form von
Bewusstheit und Einsichten Veränderung bewirken können. Unsere Forschung
weist darauf hin, dass es zu keiner tiefgreifenden Veränderung kommt, bis
der tiefe Schmerz, der im limbischen System und darunter
gespeichert ist, ins Bewusstsein aufsteigt.
Das bedeutet nicht ab und an ein paar Tränen. Es bedeutet, dass
Schmerz über Monate und Jahre immer wieder stundenlang erlebt wird. Ein
Großteil dieser Technik wurde von Morenos Psychodrama ausgeliehen, das in
den vieriger und fünfziger Jahren populär war, in dem Patienten in
verschiedene Rollen agierten. Schlussfolgerungen
Gestalttherapie
begann als persönliche Reaktion eines Mannes auf die allzu psychische
Zentrierung der klassischen Freudschen Analyse. Perls’ Ansatz schien nie
seine leidenschaftlich reaktionären Eigenschaften zu verlieren, was
vielleicht zur Erklärung beiträgt, warum seine Methode sich nicht zu
einer zusammenhängenden, systematischen Theorie und Therapie entwickelte.
Ihren Antrieb erhielt sie eher aus der emotionalen Rebellion gegen die
Psychoanalyse als aus teifgreifender Einsicht in die Natur menschlichen
Leidens. Perls schien einiges vom Bild der Neurose und von der der
Notwendigkeit zu begreifen, Gefühle auszudrücken, aber der Ausdruck
geschah niemals wirklich. Er stand unter seiner Kontrolle; was zu fühlen
war, wieviel und wann. Perls Ansatz schuf keine beweisbaren Hypothesen,
die das Kennzeichen einer wissenschaftlichen Therapie sind. Die
Stärken der Gestalttherapie liegen in ihrer grundsätzlichen Absicht und
in den Richtungen, in die sie deutete – nämlich auf die Erweiterung des
bewussten Erlebens. Perls erkannte die Mängel in Freuds Modell, wie
ehedem Freuds Schüler vor ihm. Er erkannte auch (1) die Notwendigkeit,
dass Therapie aus ihrem sprichwärtlichem „Kopf“ herauskommen musste
und (2) dass vielmehr Fühlen als Denken entscheidend war, um Gesundheit
wiederherzustellen. Seine Wertschätzung der nonverbalen Aspekte der
Erfahrung und der Notwendigkeit, sich mit mehr als nur Worten auszudrücken,
eröffneten neue Türen zum Bewusstsein, die lange Zeit verschlossen
waren. Aber
auch wenn Gestalttherapie in der richtigen Richtung begann, setzte sie für
jeden Schritt vorwärts mehrere Schritte zurück. Obwohl Perls im
weitesten Sinne oft verstand, was mit der Psychoanalyse und mit den
Individuen nicht stimmte, wusste er nicht wirklich, wie er die Dinge
richtig stellen konnte. Der
beständigste Aspekt der Gestalttherapie, Perls selbst, trägt zu ihrer
Begrenztheit bei. Ervin und Miriam Polster, Langzeit-Gestalttherapeuten,
die Autoren von Gestalt Therapy Integrated , Gründer und
stellvertretende Direktoren des Gestalt Training Center ind San Diego, räumen
ein, dass zu den „unglücklichen Vermächtnissen“ von Perls’ Arbeit
seine „simplizistische Anwendung des Bestehens auf Unmittelbarkeit“
gehörte, die zu „fixer
Nachahmung“ durch schlecht gerüstete Schüler ermutigte, die Perls
Theorien nur oberflächlich verstanden, so unvollständig sie auch sein mögen.
[74] Perls
verlangte totale Erfahrung. Aber paradoxerweise tat er das, während er
zugleich die Vergangenheit als verbotenes Territiorium abzäunte, Verdrängung
als ungültig und Erinnerung als verzerrt anprangerte. Er wollte geistige
Grübeleien zurückweisen und die Person durch Fühlen zum Leben erwecken,
konzentrierte sich aber dennoch auf Bewusstheit und Verstehen. Er bestand
darauf, dass die Leute so leben sollten, wie sie wirklich waren, dennoch
konstruierte er eine Therapie, deren Hauptmerkmale inszenierte Feelings
und Rollenspiele involvierten – Rollen, die er schrieb. Er
leugnete das Unbewusste ab, während er verkündete, dass Träume, die in
einem unbewussten Zustand entstehen, Sammlungen all dessen seien, was wir
sind. Übertragung wurde verneint, dennoch machte sich Perls durch seine
therapeutischen Bühnenauftritte und seine Selbstpräsentation als Seher
unvermeidlich selbst zu einer symbolischen Figur und somit zum Brennpunkt
übertragener Gefühle. Das Phänomen der Übertragung fallen zu lassen
bedeutete ebenso, Aspekte der totalen therapeutischen Erfahrung zu unterdrücken,
wie sein radikaler Anspruch, dass das Trauma ein Trugschluss sei.
Diese letztere Position war ironischerweise der des abgelehnten Freuds ähnlich,
welcher seine Theorie der Wunscherfüllung auf dem Schluss errichtete,
dass Patienten ein Kindheits-Verführungs-Trauma vielmehr phantasierten
als erinnerten. Eine andere Ähnlichkeit mit dem Freudschen Modell,
das er ursprünglich ablehnte, ist seine Auffassung von inneren Mängeln
und angeborenen Schwächen. Wie
das Beispiel Friedmans veranschaulicht, haben einige Gestalttherapeuten
weit mehr als Perls das vergangene Trauma in die Therapie eingelassen,
aber sie gehen nicht weit genung, gestatten „Neuinszenierung“ als
schwachen Ersatz für das volle Wiedererleben schmerzreicher Ereignisse,
suchen nach Bewusstheit anstatt nach vollem Bewusstsein. Eine Perlssche
Unvereinbarkeit gewährleistet weiterhin, dass die Therapie nicht zu
authentischem, integrierendem und befreiendem Fühlen führen wird.
Die theoretische Erkenntnis, dass „unerledigte Geschäfte“ oder wie
immer man es nennt der Neurose zugrundeliegen, ist mit therapeutischen
Techniken gekoppelt, die nicht leisten, was sie zu leisten behaupten:
vergangene Geschäfte zu ‚assimilieren’ oder „beenden“, um das
Individuum zu befreien, damit es „jetzt hier sein kann.“ Ihr
loses Gewebe aus humanistischer Gesinnung und intensiver therapeutischer
Aktivität verlieh der Gestalttherapie die Erscheinung einer
Therapie des Fühlens, die am Ende genau die Art von Scheinbarkeit
erzeugt, die sie so aufrichtig zu untergraben suchte. Sie gerät hauptsächlich
über dem Widerspruch ins Wanken, dass sie versuchte, der menschlichen
Erfahrung Tiefe zu geben, während sie sich nach Perls’ Beteuerung mit
der „äußersten Oberfläche“ befasste. Tief drinnen –im Schatten
ihres Showman-Gründers, der als Reaktion auf Abraham Maslow wie ein
Seehund robbte und bellte – ist Gestalttherapie sehr seicht. ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Übersetzung:
Ferdinand Wagner ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
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