Primal Healing 1
 

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TEIL II A

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KAPITEL 5

DAS LINKE UND RECHTE GEHIRN: DER MENSCH IM GLEICHGEWICHT

 

Im Gehirn sind mehrere Hauptsysteme im Einsatz. Diese Systeme verlaufen von unten nach oben (wir erörtern das später) und von rechts nach links. Das Gehirn hat zwei Seiten, eine linke und eine rechte. Jede Seite oder Gehirnhemisphäre hat andere Funktionen. In groben Zügen könnte man sagen, dass die rechte Seite für Fühlen verantwortlich ist, während die linke Seite denkt, plant und entwirft. Die linke Hemisphäre verwaltet die Außenwelt, während das rechte Gehirn unser Innenleben verwaltet. Das eine ist der Wissenschaftler und das andere verwickelt sich oft in Mystizismus. Das rechte Gehirn formt einen Großteil unserer Persönlichkeit, steuert viele unserer biochemischen Prozesse und lenkt unser Leben in weit größerem Maße, als die meisten von uns wahrnehmen. Das bedeutet, dass Gefühle unsere Entscheidungen, Interessen, Berufe, Partner und Liebschaften regieren. Das linke Gehirn befasst sich weitgehend mit der Quantität der Dinge; das rechte mit der Qualität.

 

Wenn wir von "Lebensqualität" reden, befassen wir uns mit dem Fühlen. Also haben wir ein Gehirn, das fragmentiert ist, und das andere, das das Ganze sieht. Um ganz zu werden, müssen wir es schaffen, die Bruchstücke unseres Lebens zu einem vollständigen Bild zusammenzusetzen; dafür brauchen wir zwei Gehirnhemisphären, die harmonisch zusammenarbeiten. Das ist eine Definition des Bewusstseins und seiner Unterscheidung von Bewusstheit. In der Therapie sehen wir, wie das funktioniert, wenn der Patient nach einem Feeling mit einer Litanei beginnt: "Deshalb habe ich dies getan und deshalb das." Das fragmentierte Verhalten ergibt allmählich einen Gesamtsinn. Es hat einen Gestalt-Zusammenhang: Bewusstsein aus Unbewusstheit.

 

Die rechte Seite erzeugt Bilder und Reime und stellt räumliche Verbindungen her, wogegen die linke nüchterner ist. Sie schaut in die Zukunft und sieht die Konsequenzen unserer Handlungen. Linksseitige Intellektuelle brauchen Ordnung und Vernunft,

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die ihnen die Welt erklären, während Künstler, die mit dem rechten Gehirn arbeiten, eine solche Ordnung verschmähen. Leute, die einen Witz nicht "kapieren," sind oft eher linkshirnorientiert, weil ihnen die Nuance entgeht, das unterschwellige Gefühl oder der subtile Humor. Sie reagieren auch weniger auf Musik, Rhythmus und Klang. Leute, die die Unehrlichkeit oder den psychologischen Unterton eines anderen nicht "spüren" können, sind eher linkshirngebunden. Sie nehmen Leute oft beim Wort und sind auf Worte fixiert. Im Gegensatz dazu können fühlende Leute, den Ton oder Unterton in dem spüren, was andere sagen. Sie fühlen auch, was ihre Kinder brauchen. Bei ganzen Menschen herrscht ein Gleichgewicht zwischen rechts und links; sie sind sensibel, fühlend und scharfsichtig. Alles in allem meine ich in diesem Zusammenhang "verknüpft," und deshalb bewusst.

Wie ich im vorigen Kapitel bemerkte, gestalten Gefühle der Mutter die Gefühlszentren des Babys. Ein geliebtes Baby wird eine gute Balance zwischen der linken und rechten Hemisphäre entwickeln, gesunden Zugang zu seinen Gefühlen haben und fähig sein, sie zu gebrauchen, um gute Entscheidungen zu treffen. Es wird in der Lage sein, sich selbst "objektiv" zu sehen. Wir sehen das in der Therapie, wenn Patienten, die den rechten und linken präfrontalen Bereich miteinander verknüpfen, freiweg die Fehler sehen, die sie mit ihren Kindern oder Ehepartnern gemacht haben. Ein geliebtes Kind ist auch sensibler für die Gefühle anderer. Die rechte Seite erinnert Liebe und Nichtliebe und versucht, dies der linken präfrontalen Zone mitzuteilen. Sie spricht mit chemischen Begriffen: "Keine Liebe, das ist furchtbar. Schick' die Stresshormone herein." Nähe, Liebe und emotionale Bindung - oder ihr Fehlen - beeinflussen das rechte Gehirn des Kleinkind während der Fötalphase und in den ersten drei Lebensjahren mehr als in einer späteren Phase. Es ist die entscheidende kritische Periode. Aus diesem Grund ist es für die Gesamtgesundheit des Babys so wichtig, von Anfang an - einschließlich der Zeit im Mutterleib - Liebe von der Mutter zu bekommen, weil die Liebe der Mutter die Entwicklung des Babygehirns aktiv reguliert. Ereignisse in dieser Zeit ändern das Gehirn sowohl funktional als auch strukturell.

Wenn wir in Erwägung ziehen, dass das rechte emotionale/limbische Gehirn in den ersten Jahren, wenn Berührung und Liebe absolut entscheidend sind, sich in einer Phase beschleunigten Wachstums befindet, ist es klar, dass deren Fehlen lebenslange Folgen für unsere Emotionen haben wird. Die Neurochemie des Gehirns, der Spiegel von Stresshormonen und anderer aktivierender Substanzen ist weitgehend unter Kontrolle des rechten Gehirns. Wenn diese sich ändern, beeinflussen sie, wie wir uns auf andere und auf uns selbst beziehen.

Was sich zwischen Mutter und Kind abspielt, ist eine Konversation zwischen ihren rechtsseitigen limbischen Systemen. Wenn die Mutter auf die Gefühle des Babys eingestellt ist, befindet sich ihr rechtes limbisches System im Einklang, und sie kann fühlen, was das Baby fühlt und angemessen reagieren. Je mehr elterliche Liebe es gibt,

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umso aktiver sind die Dopamin-Neuronen im rechten Gehirn, die dem Kind ein Wohlgefühl vermitteln. Je wohler sich das Baby in seiner Umwelt fühlt, umso optimaler ist die Dopaminaktivierung im rechten Gehirn. Was geschieht, wenn wir Mutters Liebe bekommen, ist, dass wir uns physiologisch gut fühlen.

Die rechte Hemisphäre ist tatsächlich ein Modell dessen, was mit uns früh im Leben geschah. Wenn wir früh im Leben keine starken emotionalen Beziehungen mit unseren Eltern hatten, wird die rechte Hemisphäre zu einer Schablone, die ständig scheiternde Beziehungen im Erwachsenenleben verursachen kann. Es ist auch das rechte limbische Gehirn, das unsere Anfälligkeit für spätere psychosomatische Leiden bestimmt. Wenn wir anfangs nicht genug Liebe bekommen, werden wir deswegen später leiden; Herzkrankheit ist nur eines von vielen Beispielen. Warum ist das so? Weil sehr frühe Traumen, die im Hirnstamm und in alten limbischen Strukturen registriert werden, direkte Verbindungen zu verschiedenen Organen haben, nicht zuletzt zum Herzen. Eine frühe Einprägung kann das Herz etwas schneller schlagen lassen, was im Lauf der Zeit zu Verschleiß führen und sein Funktionieren beeinträchtigen kann. Spätere Herzkrankheit kann ihr Leben beginnen, bevor wir unser soziales Leben auf Erden beginnen. Liebe lässt nicht nur die Welt sich drehen, sie lässt auch das Gehirn so funktionieren, wie es geplant war. Alles das spielt sich in der kritischen Periode ab, in der Erfahrung das Gehirn auf vielfältige, oft permanente Weise verändern wird.


Das einzig Heilsame besteht darin, tief ins Gehirn hinabzusteigen und den Prototyp wiederzuerleben – die grundlegende Persönlichkeit, die bereits vor der Geburt verankert wurde, die Feuerprobe für den späteren neurotischen Überbau.



Kein noch so großes Maß an Befriedigung kann ein frühes Defizit an Liebe und Zuwendung ersetzen. Das bedeutet, dass kein noch so großes Maß an Zuwendung durch einen Therapeuten beim Patienten tiefgreifende Veränderung bewirken kann. Er oder sie hat die kritische Periode längst hinter sich. Um es zu wiederholen: Man kann Neurose nicht weglieben. Natürlich kann Zuwendung in der Gegenwart als Verteidigungsaktion dienen und die reale Deprivation kurze Zeit in Schach halten; es beruhigt, kann aber nicht heilsam sein. Und man muss die ganze Zeit beruhigen, damit der Schmerz nicht hochwallt. Deshalb suchen viele Patienten ad infinitum eine konventionelle Therapie auf.

Das einzig Heilsame besteht darin, tief ins Gehirn hinabzusteigen und den Prototyp wiederzuerleben - die grundlegende Persönlichkeit, die bereits vor der Geburt verankert wurde, die Feuerprobe für den späteren neurotischen Überbau. Kurz gesagt, die Nicht-Zuwendung

 

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der Eltern (es gab keine Hilfe) immer und immer wieder zu erleben, bis die Verdrängung dieses Schmerzes behoben ist, und dann die fehlende Hilfe bei der Geburt wiederzuerleben. Dann können wir wieder Liebe hereinlassen und zulassen, dass uns geholfen wird. Je mehr Schmerz das System verlässt, umso weniger braucht man Verdrängung.

Kann man wirklich "Nicht-Hilfe" in einer Situation wiedererleben, in der es keine Worte gab? Man kann die späteren Aspekte wiedererleben, die in der Tat Worte haben: "Mein Vater half mir nie", was dann die Person in eine Zeit zurücktransportiert, in der es die (nicht artikulierte) Empfindung nicht vorhandener Hilfe bei der Geburt oder gleich danach gibt.

Ohne Harmonie zwischen den zwei Seiten unsers Gehirns können wir nicht ganz und integriert sein. Weil der Hirnstamm und limbische Strukturen auf der rechten Seite weitgehend das Unbewusste ausmachen, besteht die Aufgabe darin, das rechte Gehirn in Symmetrie mit dem linken zu bringen. Denken Sie daran, Ereignisse sind unbewusst, weil ein frühes Trauma das rechte Gehirn viel schwerwiegender beeinflusst als das linke, und dieses Gehirn verliert den Kontakt mit dem vollen Bewusstsein. Seine Verknüpfungen werden durchtrennt.

Ich ignoriere nicht Vererbung, Ernährung oder Umweltfaktoren. In der Gegenwartsliteratur gibt es eine Unmenge an Diskussionen über all das. Die Gesundheitsseiten in verschiedenen Zeitungen sind voller diesbezüglicher Diskussionen. Was ihnen fehlt, ist ein Verständnis der Primärfaktoren, über die ich schreibe.

MECHANISMEN, DIE ZUR DURCHTRENNUNG DER VERKNÜPFUNG BEITRAGEN

Eine zentrale Art und Weise, wie Liebe - oder deren Mangel - das Gehirn formt, besteht darin, dass sie bestimmt, wie gut wir mit unseren Gefühlen verbunden sind. Unsere Fähigkeit, mit unseren Gefühlen Verbindung aufzunehmen, hängt von einer Schlüsselstruktur im Gehirn ab, die als Brücke dient zwischen dem Verstehen des Feelings - eine Funktion der linken Seite - und dem Feeling selbst, das vom rechten Gehirn verwaltet wird. Diese Brücke nennt man corpus callosum. Es ist die wichtigste mehrerer Highways , welche das linke und rechte Gehirn miteinander verbinden; 80 Prozent der Gefühlsinformation überquert diese Struktur. Frühe Erfahrung kann diesen Informations-Highway von einer Gehirnhemisphäre zur anderen wirkungsvoll blockieren. Das bedeutet buchstäblich, dass die linke Seite nicht weiß, was sich in der rechten befindet.

Im Fall eines frühen Traumas leidet das Corpus callosum, und seine Fasern sind ausgedünnt und aufgrund einer geringeren Zahl verbindender Nervenzellen weniger wirkungsvoll. Mit weniger Nervenzellen erschwert diese Brücke die normale Interaktion zwischen dem rechten und linken Gehirn. Zum Beispiel kann eine vorzeitige Geburt das Corpus callosum schwächen, so dass die Verbindung später effektiv unterbrochen ist. Andere frühe Traumen neigen dazu, die Zellen buchstäblich zu stutzen, und schaffen damit eine schlechte Verbindung; eine Seite kann die andere nicht hören und hat keine Ahnung, was sie zu sagen versucht. Als

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Ergebnis verlieren wir den Kontakt zu unseren Gefühlen, die dann in der rechten "unbewussten" Psyche begraben werden. Nichtdestotrotz werden wir von diesen Kräften getrieben und gesteuert, ohne dass wir es je wissen. Das linke Gehirn reagiert auf den Druck der Nachricht, wie verstümmelt sie auch scheinen mag. Das große Alleinsein, wenn man sich um ein Neugeborenes unmittelbar nach der Geburt nicht kümmert, prägt sich ein und kann uns später dazu bewegen, dass wir unaufhörlich Freunde anrufen, wenn wir allein sind. Der Grund: Alleinsein kann das verheerende Originalgefühl wieder hochbringen und deshalb zu dem Drang führen, sich mit anderen in Verbindung zu setzen, um das Gefühl in Schach zu halten. Die Person verspürt den Drang zu telefonieren und Leute zu treffen nicht deshalb, weil sie ‚sozial' ist, sondern weil sie sich auf einer wilden Flucht vor dem Gefühl des Alleinseins befindet. Ein anderes Beispiel: Ein Mann hatte einen Lebensanfang, der die Hölle war, und so klammerte er sich an den Kommunismus als Versprechung des Paradieses auf Erden. Seine Überzeugungen - das Verlangen nach einer Alternative zur Hölle - waren in das Gefühl verkrallt. Was seine Überzeugungen bestimmte, war Hoffnung, die sich aus der tiefen Hoffnunglosigkeit ableitete.

Ein wiederholter Mangel an Liebe am Lebensanfang kann die Krankheit erzeugen, die als posttraumatische Stress-Störung (PTSD) bekannt ist. Ein Schlüsseleffekt von PTSD ist der Schaden, der dem Corpus callosum zugefügt wird, und der somit die Fähigkeit eines Menschen reduziert, sich mit seinen Gefühlen zu verbinden; oder buchstäblich die Fähigkeit des linken Gehirns, sich mit dem rechten zu verbinden. In einem Artikel im Scientific American beschreibt Martin Teicher von der Harvard Medical School seinen Befund, das Jungen, die missbraucht oder abgelehnt worden waren, ein signifikant kleineres Corpus callosum hatten als normale Kinder. Bei Mädchen, so fand man heraus, war sexueller Missbrauch mit einer deutlichen Größenreduzierung des mittleren Teils des Corpus callosum assoziiert. Dr. Teicher nennt einen entscheidenden Punkt: "Unser Team begann die Forschung mit der Hypothese, dass früher Stress ein toxisches Agens sei, das den normalen, geschmeidig orchestrierten Fortschritt der Gehirnentwicklung beeinträchtigt. Stress-Ausgesetztheit erzeugt molekulare und neurobiologische Effekte, welche die neurale Entwicklung auf eine adaptive Weise ändern, die das erwachsene Gehirn darauf vorbereiten, in einer gefährlichen Welt zu überleben und sich zu reproduzieren." 1 Dr. Teicher fügt hinzu, dass ein kleineres Corpus callosum zu "weniger Integration zwischen den zwei Gehirnhälften" führt, was unsere klinischen Beobachtungen bekräftigt. Die Person "bekommt sich nicht zusammen", im wahrsten Sinne des Wortes.2 Ob sich das Corpus callosum im Anschluß an Primärtherapie zu normaler Größe auswachsen kann, ist ein Forschungsbereich, den wir hoffentlich fortsetzen können. Schaden am Corpus callosum ist eine entscheidende Beeinträchtigung des Gehirns und beeinflusst Lernen, Koordination und emotionale Stabilität. Wir werden später sehen, wie die linke Seite normal "agieren" kann, während die rechte Seite völlig durcheinander ist.

Zweifelsohne verändern Stress und Vernachlässigung am Lebensanfang das Gehirn. Deswegen wachsen wir mit einem anderen kognitiven Apparat auf, der nicht so fähig ist wie

 

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"normale" Gehirne. Wir denken, dass dieses Gehirn fehlangepasst sei, aber tatsächlich hat es sich geändert, um sich an ein frühes Trauma anzupassen, das sich jetzt im unteren Gehirnsystem eingenistet hat. Der resultierende Spalt zwischen der linken und rechten Hemisphäre des Gehirns - ich betone das - ist buchstäblich eine schlechte Verknüpfung im Gehirn, ein Maß für die Disharmonie im System. Das linke Gehirn ist nicht auf das rechte abgestimmt.

Diese Durchtrennung oder Nicht-Verknüpfung ist adaptiv in dem Sinn, dass sie uns davor schützt, blockiertem Schmerz qualvoll ausgesetzt zu sein. Dennoch muss man auf den Druck seiner Botschaft reagieren. "Du wirst nicht geliebt" treibt uns dazu, dass wir uns Liebe vorstellen, wo sie nicht existiert. Der Glaube an einen liebenden Gott ist ein Beispiel. Das linke Gehirn fabriziert alle möglichen Vernunfterklärungen für sein Verhalten. Genau das geschieht in Split-Brain-Studien. Zum Beispiel kann eine komische Szene, die einem abgetrennten rechten Gehirn gezeigt wird, die Person zum Lachen bringen. Wenn man die Versuchsperson fragt, warum sie lachte, bemerkt sie, ohne sich des komischen Materials bewusst zu sein, das der rechten Seite zugeführt wurde, dass der Doktor einen komischen Mantel anhat. Kurz gesagt fabriziert und rationalisiert die linke Seite Input, dessen man sich nicht bewusst ist. Das ist ein Paradigma für Neurose. Es gibt Input von unten, der zum rechten frontalen Kortex aufsteigt aber die Callosum-Brücke nicht überqueren kann. Die Person fabriziert einen Grund für ihr Verhalten. "Ich würde nicht verrückt, wenn du mich das nicht hundertmal fragen würdest" mag sie auf eine harmlose Frage entgegnen, während der Ärger tatsächlich von tieferen Gefühlen stammt, zu denen sie keinen Zugang hat. Jemand, der ständig von seinen Eltern mit der Forderung schikaniert wurde, seine Hausaufgaben zu erledigen, wird nicht freundlich reagieren, wenn ein anderer darauf besteht, dass er eine bestimmte Aufgabe erledige. Das linke Gehirn ist im Großen und Ganzen der Interpret der Erfahrung. Wenn wir einen wahrheitsgetreueren Bericht wollen, müssen wir uns an das rechte wenden.

Die gefährliche Welt, von der Dr. Teicher spricht, ist, so behaupte ich, die Gefahr eingeprägter Feelings, die von dem "toxischen Stress" (Trauma) hinterlassen wurden, den er erwähnt. In seiner Arbeit fand er heraus, dass bei missbrauchten Patienten die rechte Hemisphäre voll entwickelt war, die linke aber hinterher hinkte. Er fragt sich, ob misshandelte Kinder verstörende Erinnerungen in der rechten Hemisphäre speichern. Aus Sicht unserer klinischen Erfahrung und nahe zu aller jüngsten Forschungen scheint das richtig zu sein.

Teichers Arbeit ist wichtig, weil sie verifiziert, dass früher Stress eine "unauslöschliche Einprägung" hinterlässt und eine "Kaskade molekularer und neurologischer Effekte" induziert, "die die neurale Entwicklung irreversibel verändern." Wie wir sehen, ist die Einprägung kein theoretisches Gespinst, sondern eine neurophysiologische Tatsache. Die Einprägung ist die alles überspannende Tatsache. Die Veränderungen in der neuralen Struktur und Biochemie sind Aspekte dieser Tatsache; der Zusammenhang, der ihr Sinn verleiht.

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Der Neurologe Dr. Bessel van der Kolk hat auch Beweise geliefert, dass ein verdrängtes Trauma spezifische neurale Schaltkreise im Gehirn hat.3 Ein Trauma gleicht einem Ereignis, das in einem nonverbalen neuralen Strom "blitzartig eingefroren" wird. Wenn es einmal zeitlich eingefroren ist, sondert es als Reaktion auf inneren Terror Stresshormone ab. Unser Ziel ist es, Erinnerungen von den nonverbalen zu den verbalen Zonen des Gehirns zu bringen, sie zu verknüpfen und integrieren. Hilflosigkeit ist ein gutes Beispiel und "Ich schaff'es nicht" ist noch eins. Ein Patient fühlte, dass er es in der Schule nicht schaffen würde, bis er "Ich schaff' es nicht" im Originalzusammenhang fühlte. Der Patient konnte dem unaussprechlichen Gefühl Worte verleihen. Diese Worte erklärten das Gefühl auf allen drei Bewusstseinsebenen.

DAS PROBLEM MIT LINKSHIRN-ZENTRIERTER PSYCHOTHERAPIE

Leider tendieren wir dazu, Linkshirn-Aktivitäten unter Vernachlässigung des rechten zu glorifizieren. Wir erwarten vom linken Gehirn, dass es unsere Schlachten schlägt, besonders gegen die inneren Feinde. Wir machen das, ohne in Betracht zu ziehen, dass die Linkshirn-Entwicklung viel später in der Evolutionsgeschichte und in unserem persönlichen Leben in Gang kam als das rechte Gehirn, zum Teil als Methode, um uns von der anderen Seite abzukoppeln. Die eine Art von Gehirngewebe kann nicht die Arbeit eines anderen machen. Das linke Gehirn entwickelte andere Fähigkeiten, um Redundanz zwischen rechtem und linkem Gehirn zu vermeiden. Die Aktivität des linken Gehirns hilft, uns zu besänftigen und zu beruhigen. Sie erlaubte und erlaubt uns weiterhin, dass wir uns gegen Gefühle verteidigen, die zu intensiv waren, als dass man sie ertragen hätte können. Wir benutzen die linke Hemisphäre, um eine Verletzung oder eine Beleidigung zu rationalisieren, so dass sie nicht soviel Schmerz erzeugt. Oder weil wir Bedürfnissen ausgeliefert sind, deren wir uns vielleicht nur verschwommen bewusst sind, kann das linke Gehirn alle möglichen Bedürfnisse auf ein romantisches Objekt verfrachten und sich vorstellen, dass sie wundervoll sei, nur um zwei Jahre später auf der ganzen Linie enttäuscht zu sein, weil das linke Gehirn nicht die Wahrheit wahrgenommen hat. Es hörte nicht auf das rechte, weil die Kommunikation entweder reduziert oder nicht-existent war. Wenn die Wahrnehmung von Bedürfnis und Gefühl losgelöst ist, nehmen wir falsch wahr. Wenn wir zum Beispiel einen starken Beschützer brauchen, übersehen wir die Schwächen der Person und ignorieren ihre Fehler. Wir "sehen" Schutz, wo vielleicht keiner existiert, oder wir erhalten Schutz, der mit totaler Beherrschung einhergeht.

Der linke frontale Bereich ist auch der Ort, wo wir Glaubensüberzeugungen heraufbeschwören oder annehmen. Einsichten, die uns ein Therapeut gibt, sind letztlich Glaubensüberzeugungen, die Schmerz besänftigen und erleichtern sollen.

 

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In der Tat können die Worte eines Therapeuten unsere Qualen besänftigen, egal ob sie richtig oder falsch sind. Es ist nicht nur der Inhalt dessen, was der Therapeut sagt, sondern einfach der besänftigende Ton in seinen Worten. Eigenartigerweise beeinflusst dieser Ton das rechte Gehirn, nicht das linke. Der Inhalt der Einsicht verbleibt im linken. Wir können uns zu dem Glauben verleiten lassen, dass es der Inhalt einer Einsicht ist, was uns besser fühlen lässt, aber in Wirklichkeit ist es die ganze Zeit der beruhigende Ton. Er dämpft rechtsseitigen Schmerz - den Schmerz über einen Vater, der sich nie kümmerte, nie sanft war und dessen Tonfall unerbittlich hart war. Die Gegenwart des Therapeuten sagt: "Ich bin jetzt da. Alles wird gut." Einfach in seinem Büro zu sein kann bewirken, dass wir uns besser fühlen. Anders gesagt gestattet uns die linke Seite, dass wir uns selbst gegenüber teilweise blind sind. Das ist besonders krass, wenn es um Psychotherapie geht, die seit mehr als 100 Jahren traditionell linkshirnzentriert ist.

Es lässt sich schwer erkennnen, was auf Menschen zutrifft, wenn wir allein Worte  als Zeichen der Realität nehmen.



Aufgrund neuer Forschungsergebnisse, die in Hülle und Fülle vorhanden sind, ist jetzt klar, dass Psychotherapie sich mit dem rechten Gehirn befassen und in Erwägung ziehen muss, wie sie Rechts-Links-Gehirnverknüpfungen beeinflussen kann - weil Gefühle auf diese Weise integriert werden. Psychotherapie muss so funktionieren, dass sie nicht nur unserem psychischen Zustand hilft sondern unserem gesamten neurophysiologischen System. Das ist der Unterschied zwischen dem Gebrauch von Worten (linkes Gehirn) und dem Gebrauch von Bildern, Szenen und Gefühlen (rechtes Gehirn). Ersteres geschieht, wenn wir über unsere Vergangenheit "reflektieren," während echtes emotionales Wiederfinden, das für Integration und echte Heilung nötig ist, Zugang zu den Gefühlsstrukturen des rechten Gehirns erfordert. Wiederum sehen wir, dass es nicht möglich ist, Vorstellungen und Gedankenprozesse zu benutzen, die buchstäblich erst Millionen Jahre später in der Gehirnentwicklung auftraten, um zu beeinflussen, was tiefer im Gehirn steckt und sich Millionen Jahre früher entwickelte.

Die unterschiedlichen Funktionen des linken und rechten Gehirns sind offensichtlich, wenn wir sagen: "Ich versuche mich selbst davon zu überzeugen, das Rauchen aufzugeben." Welche Selbsts sind das? Das linke versucht, das Bedürfnis auf der rechten Seite zu ersticken, ist aber nie so stark wie beide zusammen. Das rechte Gehirn kennt nur sein inneres Universum. Es "sagt" dem linken in einer verschlüsselten Botschaft, es solle zur Zigarette greifen, und das linke gehorcht. Es befiehlt dem linken, an Reinkarnation, Vorleben und andere übernatürliche Ereignisse zu glauben, und das linke gehorcht. Es befiehlt von seiner

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Festung herab, die aus den Traumen der Vergangenheit errichtet ist - Verlassenheit in der frühen Kindheit, schreckliche Isolation, Einsamkeit und Angst. Hier sehen wir, wie unsere Wirklichkeit Unwirklichkeit konstruiert, eine Unwirklichkeit, die der Valenz oder Kraft der verborgenen Wirklichkeit entspricht. So können der Wissenschaftler und der wahre Gläubige zur selben Zeit in derselben Person existieren, ein nahtloses Miteinander der zwei Hälften des Gehirns, und jede ist sich der anderen unbewusst oder ihr gegenüber wenigsten gleichgültig. Das Teuflische am Glauben an vergangene Leben ist, dass daran etwas Wahres ist - ein reales vergangenes Leben, das den Kortex dazu treibt, Glaubensvorstellungen zu erfinden. Die Person hat einfach die Realität übersprungen, aufgrund deren hoher Valenz. Jeder von uns bekommt nur ein Leben, aber wenn Todesgefühle drohen, entscheiden wir uns für mehr Leben. Es ist möglich, dass es in einer Kultur eine Vergiftung durch Gefühle und Glaubensvorstellungen gibt, welche die Art von Glauben umschreibt, den man annehmen wird. Der Inhalt bedeutet wenig, weil das Gehirn den Unterschied zwischen Allah, Buddha und Gott nicht erklären kann. Es muss einfach glauben. Der präfrontale Kortex beschwört Glaubensvorstellungen herauf, um sich an das Bedürfnis anzupassen. Das Gefühl jedoch im Inneren des Glaubens ist Hoffnung - auf ein besseres Leben, Führung und Schutz.

Die grundlegenden Naturgesetze, die sich auf Gefühle anwenden lassen, existieren: unsere Aufgabe ist es, sie zu entdecken. Das wird sehr schwierig, wenn wir keinen Zugang in die Tiefe des rechten Gehirns haben. Noch schwieriger, wenn wir uns der Einprägungen nicht bewusst sind, ist die Entschlüsselung, wie und wo sie verankert werden. Es ist doppelt schwierig, wenn wir uns der unterschiedlichen Funktionen der zwei Hemisphären nicht bewusst sind. Wir müssen keine intellektuellen Theorien über menschliches Verhalten erfinden; wir müssen Naturgesetze entdecken. Das sollte unsere Aufgabe leichter machen, wenn wir erst einmal das Intellektuelle hinter uns lassen. Es lässt sich schwer erkennnen, was auf Menschen zutrifft,wenn wir Worte allein als Zeichen der Realität nehmen.

Wenn ein Tier die Schmerzlaute seines Nachwuchses hört, springt das rechte Gehirn in Aktion. Viele Mütter berichten, dass sie Spannung in ihren Warzen oder ein Fließen von Brustmilch erleben, wenn sie irgendein Baby schreien hören. Der ganz frühe Schmerz, den wir im Mutterleib erfahren, wird weitgehend auf der rechten Seite registriert. Somit brauchen wir, um die Unaufrichtigkeit von anderen oder die verborgene Bedeutung hinter ihren Worten zu verstehen (Denken Sie an Politiker), rechtsseitigen Zugang, genau wie wir ihn brauchen, um Sarkasmus oder den Humor in einem Witz zu verstehen. Wenn wir einen guten Therapeuten wollen, muss es vor allem jemand sein, der versteht, was Leute heimlich fühlen. Er muss das Unausgesprochene in Verhalten und Bekundungen der Menschen sehen. Die rechte Seite gibt uns einen Überblick über unsere innere/emotionale Welt; die linke Seite ist weitgehend auf die kognitive Welt beschränkt. Die Anhänger der kognitiven Therapie bleiben auf der Ebene des Offenen und Offensichtlichen und vernachlässigen das Unbewusste und seine Kräfte.  In der Freudschen

 

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Welt wird das Unbewusste wenigstens anerkannt, aber es gibt keinen Königsweg dorthin. Weil den "Kognitivisten" tendenziell der Zusammenhang der Ereignisse entgeht und weil sie das augenscheinliche Problem als das Problem behandeln, sind ihnen die Ursachen für immer genommen. Das ist prima für die Beratungstherapie, wenn ein Paar gewissen Rat braucht - und ich verweise oft Paare zur Beratungstherapie - aber es ist nicht prima, wenn es um die Behandlung tiefer Probleme geht.

Wir brauchen die Zusammenarbeit der rechten und linken Seite, um auseinanderliegende Teile so zusammenzufügen, dass Symptome für uns einen Sinn ergeben. Tiefe Ängste können eine Phobie erzeugen, sagen wir, vor geschlossenen Räumen. Wenn die eingeprägte Originalerinnerung linksseitig bewusst gemacht worden ist, kann die Angst ihre Ableitung in Phobien beenden und sich mit dem vollen Bewusstsein verbinden. Phobien sind hier Ableitungen, Wegstationen und Umleitungen, weil die Angst nicht dorthin gehen kann, wohin sie sollte.

Es gibt Körpertherapien, die Alexander-Bioenergetik-Methode und die sogenannte Gefühlstherapie der Gestalt-Schule, die sich auf unkortikale Weise nur auf Fühlen konzentriert; und dann gibt es die Kognitivisten, die sich auf kortikale Art auf Gedanken und Überzeugungen konzentrieren. In einer geeigneten Psychotherapie sind beide Gehirn-Bereiche wesentlich, weil wir aus zwei Hemisphären bestehen, nicht aus einer. Wir brauchen Text und Kontext, Vergangenheit und Gegenwart, Fühlen und Verstehen. Wenn wir etwas davon vernachlässigen, kompromittieren wir jede Therapie, die wir ausführen.

Eine akribische Person ist in der Regel linksseitig dominant. Leute, die später im Leben Sprachen leicht erlernen, haben Rechtshirn-Zugang; sie spüren die Nuancen und Unterschiede im Klang und fühlen mehr. Sie fühlen den Rhythmus und die Akzente einer Sprache. Das heißt nicht, dass sie "normaler" sind. Rechtsseitler können hysterische Chaoten ohne linksseitige Kontrolle sein. Sie können Wutanfälle haben, um die Wette schreien und ausagieren und völlig ohne (linksseitige) Kontrolle sein. Die Linksseitler lernen die Worte, sonst aber wenig, und gewöhnlich lernen sie nie den Akzent und Klang einer Sprache. Nichtdestotrotz sind linkshirnige Leute wahre Kanonen in grammatischer Hinsicht. Noch einmal, es dreht sich alles um die Feinheiten in anderen und in der Sprache. Es geht darum, was uns zu guten Eltern macht - keine Kindererziehungs-Handbücher sondern Gefühle, die Bedürfnisse des Kindes spüren, weil man selbst mit seinen eigenen in Berührung ist. Was in einigen Rechtshirnlern geschieht, ist, dass sie mit Input von unten geladen sind, so dass sie, wenn zuviel Input von außen kommt, überwältigt sind und oft hysterisch werden. Die erste Ebene sprudelt hervor, und sie sind ganz in Gefühlen aufgelöst. Somit kann äußere Stimulation (zum Beispiel zu viele Leute auf der Party) in Kombination mit der inneren Stimulation viel zu viel werden. Sie schreien, explodieren im Zorn und so fort. Das ist

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Teil der Grundlage für Sozialangst. Die Notwendigkeit, Input von außen zu vermindern, um sich selbst im Gleichgewicht zu halten.

Wichtig ist, dass rechtsdefiziente Leute sich nicht in Zusammenhang mit der Veränderung verändern können. Sie agieren in der Gegenwart weiterhin die Vergangenheit aus und tun sich schwer, sich an das Neue anzupassen. Sie sind deshalb (im Allgemeinen) rigider in ihren Methoden. Veränderung droht. Es gibt Leute in der Neurowissenschaft, die diesen Punkt verstehen, dennoch aber eine Variante der kognitiven Therapie benutzen, wenn der Patient einmal Gefühle diskutiert. Es gibt dennoch diese Ausrichtung aufs Diskutieren, diese Konzentration auf die Beziehung zwischen Patient und Arzt anstatt auf die Beziehung zwischen dem Patient und seinem Selbst. Wir gehen zur kognitiven Therapie, um die Armee der Worte gegen die Reihen der Gefühle aufzustellen. Wenn wir das verstehen, können wir sehen, wie vergeblich es ist, bei der Behandlung der Auswirkungen tief eingegrabener Traumen Gedanken zu benutzen. Es sind nicht nur Gedanken, die in die Therapie involviert sind. Der Therapeut ist nicht nur Gedankenlieferant sondern auch Erfüller von Bedürfnissen (symbolisch), und somit können wir auch nur symbolisch gesund werden; Therapie ist nur eine andere Form des Ausagierens. Real ist das ungelöste Kindheits-Bedürfnis des Patienten und die (psychophysischen) Verzerrungen, die es vor langer Zeit verursacht hat. Keine gegenwärtige therapeutische Zuwendung kann Kindheits-Deprivation ungeschehen machen.

Denken Sie daran, dass Einsichten ein Satz von Glaubenssystemen sind. Sie sind verschieden bei den Jungianern und den Freudianern. Was ein Therapeut dem Patienten mitteilt, ist oft Teil seiner eigenen apperzeptiven Masse, seiner eigenen Überzeugungen, die der Patient annehmen muss. Einsichten sind nicht neutral; sie sind auf vielfache Weise festgelegt. Hinter ihnen steht ein theoretischer Bezugsrahmen, ein Glaubenssystem, das dem Patienten eingeschärft wird. Oft benutzt der kognitive Therapeut Worte, um den linken präfrontalen Bereich des Patienten zu aktivieren, wodurch er die Abwehr verstärkt. Die Freudianer nennen es nicht kognitiv, aber sie verlassen sich schwer auf Worte, um ihr Ziele zu erreichen. Sie wollen den Patienten wieder auf vernünftigere Denkweisen ausrichten. Somit haben wir hier ein Paradox: Die Worte des Therapeuten stärken die Linkshirn-Abwehr, während der Tonfall das rechte Gehirn beruhigt; zusammen scheinen sie zu helfen. Es ist aber nicht der Inhalt der Einsichten, die ein Therapeut gibt, sondern die Tatsache der Einsichten an sich, was hilft; Gedanken anbieten als Balsam für jene inneren Wunden, die nicht bluten.

Was ist die Bedeutung oder der Unterton in den Einsichten des Therapeuten? "Ich kümmere mich. Ich höre zu. Ich will helfen. Ich rede mit dir voller Empathie. Du bist es wert, dass man mit dir redet." Das alles ist der "heilsame" Unterton, der symbolisch ist. Was immer unsere Abwehr verstärkt, bewirkt tendenziell, dass wir uns besser fühlen. Es streicht eine Salbe aus Gedanken/Vorstellungen über die Verletzung, so dass wir sie nicht fühlen, wenngleich es doch das Gegenteil ist, das stattfinden muss. Keine Psychotherapie kann unsere ungelösten Kindheitsbedürfnisse

 

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und das Ausagieren ändern, das sie in Gang halten, wenn sie einmal besiegelt sind. Wir können Rauchen oder Trinken durch Schläge oder Ermahnungen entfernen, aber die Kraft, die diese Gewohnheiten hervorruft, bleibt. Oder wir können zur Psychotherapie gehen, wo der Therapeut uns ermutigt, unsere Eltern zu verstehen und ihnen ihre Schwächen zu vergeben, während unser System aufgrund der Deprivation große Qualen leidet. Es ist das linke Gehirn, das verzeiht, während das rechte leidet, und Vergebung wird dieses Leiden niemals ändern. Vergebung ist eine religiöse Auffassung, keine wissenschaftliche. Vergebung überlässt man am besten der Kirche.

Wir neigen zu dem Glauben, dass Gedanken unser Verhalten ändern, wenngleich es tatsächlich unsere Gefühle sind. Es ist bedeutungslos, ob unsere Gefühle bewusst sind oder nicht; sie beeinflussen dennoch alle unsere biologischen Mechanismen, einschließlich Hormone, unser Kreislaufsystem, Muskeln und so fort. Linkshirn-Einsichten, die wir Jahrzehnte später in der Therapie haben werden diese physiologischen Einprägungen, unsere Erinnerungen, unsere entscheidende Rechtshirn-Geschichte nicht ändern, weil sie mit dieser Geschichte nicht direkt verknüpft sind. Tatsächlich sind sie von dieser Geschichte abgetrennt.4 Die wirkliche Herausforderung in der Therapie liegt darin, wie man sich ohne Worte an das rechte Gehirn eines anderen Menschen wendet. Die rechte Seite sagt immer die Wahrheit, weil die Einprägung ihr keine Wahl lässt; nichtsdestotrotz zwingt diese Wahrheit die linke Seite oft zu lügen, meistens uns selbst zu belügen. In der Oktober-2005- Ausgabe des British Journal of Psychiatry gibt es eine Studie, die erkennen lässt, dass die Fähigkeit oder Anlage für zwanghaftes Lügen - was nicht überraschen kann - im präfrontalen Kortex liegt, weit weg von der Gefühlsebene.


Wir gehen zur kognitiven Therapie, um die Armee der Worte gegen die Reihen der Gefühle aufzustellen.



Ohne Rechtshirn-Zugang werden wir viele körperliche Probleme nicht lösen, ganz zu schweigen von den psychischen Problemen, die Abkömmlinge von frühen verborgenen Gefühlen sind. Jedes psychische Problem hat sein somatisches Gegenstück. Wir können sie zu Studien- und Behandlungszwecken voneinander trennen, aber letztlich sind wir organische Wesen. Und so gehen wir zu drei verschiedenen Spezialisten wegen der drei verschiedenen Arten, mit denen wir auf ein und dasselbe frühe Trauma reagieren. Der Internist befasst sich mit Geschwüren, wie er es sollte; die Psychologin befasst sich mit Phobien, wie sie es sollte; und der Psychiater befasst sich mit einer verzweifelten Gemütsverfassung, indem er Beruhigungsmittel anbietet, die manchmal notwendig sind. In der Primärtherapie befassen wir uns mit der ganzen Person, beobachten, wie die Auflösung des Traumas Symptome auf jeder

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Repräsentationsebene zu zerstreuen scheint. Das soll nicht heißen, dass man nicht jedes Symptom behandeln muss. Man muss. Fordauernde Symtome stellen immer eine Gefahr dar. Wenn wir die Wahrheit hinter dem Verhalten eines Menschen wollen, müssen wir nur auf das Unbewusste zugreifen, auf die tiefen rechten Bereiche des limbischen Systems und der Amygdala, und wir werden sie finden.

So viele unserer Patienten hatten vor der Therapie alle möglichen Symptome, die ihnen ein Rätsel waren, nicht zuletzt Depression. Wenn die Verbindung erst hergestellt ist, sind diese Symptome kein Rätsel mehr; darüber hinaus existieren sie gar nicht mehr.



Um das Gleichgewicht wieder herzustellen, müssen wir zu den Ereignissen zurückkehren, die das Ungleichgewicht verursachten. Glücklicherweise können wir die Person dorthin zurückbringen, wo einige der Schaltkreise umgeleitet und neu verdrahtet wurden. Die rechte Seite gibt uns eine Chance, unsere Vergangenheit zu rekapitulieren, sie wiederzuerleben und zu verändern; eine Herkules-Aufgabe, aber durchaus möglich. Wir müssen uns nicht auf Theorien der linken Seite verlassen um zu verstehen. Vor allem müssen wir unsere Theorien nicht mehr unseren Patienten aufzwingen; wir können unsere Theorien aus dem Munde unserer Patienten entwickeln. Ihre Gefühle erklären, was wir wissen müssen. Zurückzugehen und sich von den eigenen Eltern ungeliebt zu fühlen ist heilsam. Es ist die beste Chance auf Liebe, die wir haben, weil es bedeutet, dass wir emotional nicht mehr verschlossen sind; wir haben uns uns für unseren Schmerz und unsere Emotionen geöffnet, und das wird hoffentlich etwas von dem Schaden gutmachen.

Wenn eine bessere Verknüpfung besteht, werden sich unsere Beziehungen verbessern; vielleicht gibt es weniger Scheidungen, weil alle von uns die Realität sehen und weil wir aufhören, unsere Bedürfnisse auf andere zu projizieren. Wir werden nicht aus den falschen Gründen heiraten, weil wir einen schärferen Blick für unsere Bedürfnisse haben. Scharfsichtig zu sein bedeutet, dass wir unsere Gefühle integrieren und in Kontakt mit unserem intuitiven Selbst stehen. Gute Verknüpfungen zum rechten präfrontalen Bereich unserer Erinnerungen helfen uns, dass wir über unser Innenleben gut informiert sind, so dass wir nicht überrascht sind, wenn wir mit zunehmenden Alter ein blutendes Geschwür entwickeln oder in eine Depression fallen. Tatsächlich wird nichts davon geschehen, weil wir verstehen, woher unsere Stimmungen kommen, mit ihnen Verbindung aufnehmen und sie deshalb kontrollieren können. Das setzt voraus, dass es solche unerklärten Stimmungen überhaupt gibt.

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Will ich sagen, dass wir diese Symptome nicht haben werden, wenn wir verknüpft sind? Zwar nicht immer oder nicht in jedem einzelnen Fall, aber in der Mehrheit der Fälle - offensichtlich ja. So viele unserer Patienten hatten vor der Therapie alle möglichen Symptome, die ihnen ein Rätsel waren, nicht zuletzt Depression. Wenn die Verbindung erst hergestellt ist, sind diese Symptome kein Rätsel mehr; darüber hinaus existieren sie gar nicht mehr. Wenn wir mit Ereignissen auf Leben und Tod bei der Geburt verknüpft sind, die Herzklopfen in Gang setzten, und mit 40 Jahren diese Ereignisse durch ein Wiedererlebnis (Primal) voll erfahren, wird es solche Symptome nicht mehr geben.

Wenn wir erst verstehen, dass nur der Patient sich selbst transformieren kann, dann können wir über den Versuch hinausgehen, ihn zu etwas zu machen, was er nicht ist. Die Realität liegt in ihm, nicht im Kopf des Therapeuten. Wir müssen ihm helfen, diese Realität zu finden.

 

FALLSTUDIE: NATHAN

Neulich war ich am Rand der Verzweiflung. Tatsächlich war ich dabei, mich zu verlieren, aber mit gutem Grund. Jeder konspiriert gegen mich, sogar die Therapeuten. So ging ich am Dienstag in meine Sitzung. "So, du glaubst also, ich rauche wieder "Dope" und du hast es allen Therapeuten gesagt, und jeder hasst mich jetzt." Valerie (meine Therapeutin) reagierte nicht sonderlich, außer dass sie sagte: "Wie fühlst du dich dabei?" Ich bin immer der Dumme; irgendeiner ist immer darauf aus, mich zu kriegen. Für irgendwas gibt man mir immer die Schuld, und es läuft immer darauf hinaus, dass mich jeder hasst aus dem einen oder anderen Grund. Wie ich das sage, spüre ich einen Spannungsknoten in meinem Magen und eine tiefe Traurigkeit. Meine Augen werden allmählich verschwommen und das Reden fällt mir schwer. Was geschieht? Valerie sagt, dass ich fühle, dass ich nicht gut genug bin, nicht genug tun kann und nichts, das ich tue, je genug sein wird! Ich kann nicht jedem gefallen. Ich kann nicht perfekt sein! Ich fange an zusammenzubrechen und zu weinen.

Dieses Gefühl durchdringt mich weiter, und mein Weinen wird ernst. Ich verliere jedes Zeitgefühl und dann, wie aus heiterem Himmel, platzt diese Rückblende in meinen Kopf. Ich bin auf der Highschool in der Computerklasse, verberge mein Gesicht in meinen Armen und gebe vor zu schlafen, während jeder fleißig seine Aufgaben macht. Damals ging es mir miserabel, und ich verbrachte meine Tage in der Klasse gewöhnlich schlafend oder tat so, als würde ich schlafen. Die Lehrerin rief mich zu sich an ihr Pult und ich dachte "Oh, Scheiße,ich krieg' schon wieder Ärger", oder vielleicht würde sie mich fragen, ob etwas nicht stimmt. Ich wollte, dass sie mich fragt: "Stimmt etwas nicht, Nathan? Was ist los? Kann ich dir helfen? Du kannst mit mir reden. Ich hör zu." Aber nein, sie stellte mir eine blöde

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Frage über meine Hausarbeit, ich antwortete und ging an mein Pult zurück und schlief.

Jetzt fließen die Tränen in Strömen, weil niemand sehen kann, wie sehr ich leide, weil niemand mir helfen will, niemand sich kümmert und ich mich wertlos fühle! Meine Muskeln beginnen sich zusammenzuziehen, und ich fange zu husten an.Ich huste und huste und huste bis an den Punkt, wo ich das Gefühl habe, gleich kotzen zu müssen. Ich kotze aber nicht. Nach diesen Hustenanfällen scheint der Druck nachzulassen, und ich liege einfach schlaff und tränenüberströmt da. Ich beruhige mich ein bisschen und Valerie sagt: "Bitte um Hilfe."

"Nein, ich will nicht!"

"Bitte."

"Nein, ich will nicht; sie hätten etwas sagen können. Sie hätten sehen können, wie schlimm mein Schmerz war, wie sehr es mir weh getan hat."

"Bitte."

"Helft mir! Bitte helft mir! Ich brauche Hilfe!" Und ich bin wieder drin, volles Weinen, Krämpfe, Muskelanspannung und Husten. Es geht so weiter, bis ich mich an das Telefongespräch erinnerte, das ich geführt hatte.

Erst vor ein paar Tagen, am Muttertag, eher aus einem Schuldgefühl heraus, rief ich meine Mutter an. "Alles Gute zum Muttertag," sagte ich. Aber alles was ich von ihr hörte, war, welche tollen Sachen mein Bruder macht. Er hat gerade ein neues Motorrad gekauft, hat gerade einen neuen Hund bekommen, gerade dies und das gemacht. Und ich fühle mich beschissen, weil mein Leben beschissen ist und ich es nicht in die Reihe kriege. Sie reibt mir das einfach unter die Nase, macht, dass ich mich wertlos fühle. Nichts, was ich tue, ist gut genug. Ich kann nichts richtig machen; ich bin so eine Enttäuschung! Hier kommen wieder die Tränen. Ich erkenne, dass diese Gegenwartsgefühle von daher stammen. Diese Erinnerungen, mein ganzes Leben lang vernachlässigt und manipuliert worden zu sein. Aber nicht nur das, als die Sitzung sich weiter abspult, sagt mir meine Therapeutin, dass sie nicht dachte, ich rauche "Dope" und dass sie den anderen Therapeuten nichts dergleichen gesagt hat. Es war alles in meinem Kopf! Die Feindseligkeit ist nicht real, die Verschwörung ist nicht real, jeder gegen mich ist nicht real. Es war alles nur ein Feeling, ich hab ein Feeling ausagiert. Und für mich ist das die härteste Sache. Erkennen, dass meine Gefühle die Realität so sehr verzerren, dass ich nicht einmal mehr sagen kann, was wirklich ist, und dann zu erkennen, dass es in meinem ganzen Leben so war.Wieder und immer wieder diesen Teufelskreis zu wiederholen. Ich überlege, wie viel Zeit ich damit vergeudet habe, diesen falschen Vorstellungen nachzujagen. Alle die unwahren Dinge, die ich geglaubt habe, weil meine Gefühle mich dazu verleitet haben, und wie das mein Leben völlig durcheinander gebracht hat.

 

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Aber ich fühle mich erleichtert, wenn die Sitzung endet, als ob eine gewisse Last gerade von mir genommen worden sei. Und das macht diese Therapie so erstaunlich. Das macht diese Therapeuten so erstaunlich. Sie können diese Dinge aus dir herausziehen, Dinge von denen du gar nicht wusstest, dass sie da sind, und die du nicht nur erkennst sondern auch fühlst, so dass du sie ändern kannst und dein Leben neu aufbauen kannst - ein reales Leben!

 

 

 

 

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KAPITEL 6

KOGNITIVE THERAPIE: WARUM WORTE NICHT GENÜGEN

 

 

Ich habe viel über meine Perspektive der kognitiven Therapie geschrieben. Um Ungerechtigkeit zu vermeiden, sollten wir von den Fachleuten auf unserem Gebiet hören, die sie praktizieren.

Ein Fallbuch für die klinische Praxis aus dem Jahr 1996 erörtert viele Aspekte der kognitiven Therapie. Ein Kapitel über die Aufrechterhaltung des Gesundungsprozesses von D.F. O'Connell und Henry O. Patterson betont, dass wie beim rational-emotiven Ansatz von Albert Ellis "mehrere dsyfunktionale Überzeugungen für den Patienten identifiziert worden sind. Wir bieten diese den Patienten an, um ihnen zu helfen, die folgenden Überzeugungen aufzulösen, und ihnen zu helfen, sie durch rationalere zu ersetzen: <<Ich brauche die Zustimmung anderer, um zu beweisen, dass ich angesehen bin.<<  <<Ich habe nicht die Macht zu bekommen, was ich will.<< " Im Weiteren sagen sie, wie man diesen Überzeugungen durch positivere Gedanken entgegenwirken kann, die an ihre Stelle treten.1

Nun, warum fühlt sich jemand so - machtlos und wertlos? Ist das eine Laune oder ist es das Ergebnis der Lebenserfahrung? Kein wirklich geliebter Mensch fühlt sich entweder machtlos (es sei denn, er ist in einer gegebenen Situation mit der IRS) oder bedürftig nach der Zustimmung anderer. Aber hier haben wir in der Therapie wieder einen guten Papi oder eine gute Mami, die sich um uns kümmern und uns ermutigen. Natürlich sorgt das dafür, dass man sich besser fühlt - für gewisse Zeit.

Die Autoren behaupten, dass Substanzen missbrauchende Individuen oft diese Überzeugungen hegen. Hat man diese Überzeugungen einmal an die Oberfläche gebracht, so sagen sie, dann kann der Therapeut " das volle Spektrum kognitiver Interventionen einsetzen, um sie in Frage zu stellen und sie durch rationalere Annahmen zu ersetzen." Im Grund meinen sie mit kognitiven Interventionen, dass sie Gedanken und Verhalten eine neue Richtung geben. Sie ersetzen alte Gedanken mit neuen, aber es sind noch immer Gedanken.

 

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Ich nehme nie an, dass ich rationaler sei als meine Patienten. Glücklicherweise muss ich es nicht sein. Ihre Überzeugungen die, wie ich den Leser erinnern möchte, adaptiv sind, sind rational und folgen ihren Gefühlen. Sie sind nur im Gegenwartskontext irrational, weil neurotische Vorstellungen deshalb als neurotisch definiert werden, da die Reaktionen aus dem Zusammenhang gerissen sind. Paradoxerweise sind es die Gefühlszentren des Gehirns, die rational bleiben, während das sogenannte rationale, denkende Gehirn oft irrational ist. Der Drang zur Rationalität ist ein Überlebensmechanismus - die Wirklichkeit zu sehen und sich mit ihr so, wie sie ist, zu befassen.

Das Problem ist, dass der Therapeut nicht wissen kann, wie beschaffen diese Gefühle sind, wenn er nicht direkt zu den Ursprüngen geht. Der linke Kortex des Therapeuten versucht genau so emsig wie der linke Kortex des Patienten, etwas herauszukriegen, das sich in den rechten limbischen Strukturen oder in denen des Hirnstamms versteckt. Es ist ein Ratespiel, ziemlich anspruchsvoll, aber nichtsdestotrotz ein Ratespiel. Die Vertreter der kognitiven Therapie "ersetzen" schlechte Gedanken durch gute. Aber ersetzen sie auch das schreckliche Bedürfnis nach einem Vater, der starb, als das Kind 5 Jahre alt war? Oder das Bedürfnis nach einer Mutter, die die Kinder verließ, um mit einem anderen davonzulaufen? Ersetzen sie den eingeprägten Schrecken, wenn jemand miterleben musste, wie die Eltern bei einem Autounfall starben? Es ist nicht notwendig, diese Gedanken zu ersetzen. Gedanken kommen aus einem Gesamtsystem und nicht nur aus einem Neokortex.

Diese Autoren fahren fort: "Nur die Gegenwart ist real, die Vergangenheit ist vorbei, und die Zukunft ist noch nicht da." Da haben wir's; es gibt keine Vergangenheit, mit der man ringen müsste. Der Patient ist ahistorisch. Das vereinfacht die therapeutische Aufgabe gewiss. Und darum geht es übrigens bei der neuen Ego-Psychologie, dem Lieblingskind der Versicherungsgesellschaften. Das Hier-und-Jetzt zählt und muss erörtert werden, und das muss in ganz wenigen Sitzungen vollbracht werden. Vergesst Inzest, Waisenhäuser, zerbrochene Elternhäuser und alkoholsüchtige Mütter. Die widerspiegeln sich in inneren Zuständen - Erinnerungen, die man nicht direkt sehen kann.

Das Problem ist, dass die Kognitivisten Reaktion im Sinne von "Verstandes"-Reaktion sehen, nicht als totale physiologische Reaktion. Wenn wir also in unserer ganzen Kindheit von einem tyrannischen Vater geschlagen werden, ist es einfach so, wie wir es sehen - die Gedanken, die wir darüber haben? Nicht die Realität und der schreckliche Schmerz, der darin liegt?

Die Drogensüchtigen, die ich gesehen habe, haben oft den fürchterlichsten Lebensanfang. Ich denke gerade an einen meiner Patienten, der auf einer Armeebasis geboren wurde, wo sich seine Mutter unmittelbar nach der Geburt selbst umbrachte. Der Vater wurde versetzt, und ihn überließ man in den ersten drei Lebensjahren einer kalten und gleichgültigen Pflegemutter. Er hatte in dieser Zeit effektiv keine Eltern. Der Vater, ein Major, war lieblos. Dieses Kind litt schrecklich. Als Jugendlicher und Erwachsener brauchte er Drogen, um den Schmerz abzutöten; es war nicht einfach

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seine Wahl. Sein System drängte ihn dazu, das Gleichgewicht zu wahren und zu versuchen, es im Leben zu schaffen, in einem Job zu funktionieren. Diesen Menschen zu überzeugen, dass er keine Drogen brauche, ist eine fragwürdige Wendung. Er wird mit den Drogen aufhören und leiden. Wo liegt der Sinn im Leiden? Aha, ich habe die falsche Frage gestellt, weil religiöse Lehren in Verzicht und Leiden eine Tugend sehen. Theoretisch bildet es den Charakter. Leiden bildet auch Elend.

Aber das ist seine Wahl, sagen sie; "Der Homosexuelle wählt seinen Lebensstil." Ich habe mehr als 100 Homosexuelle behandelt, Männer und Frauen; es ist nie einfach eine Wahl ihrerseits. Tatsächlich wären einige nicht homosexuell, wenn sie die Wahl hätten. Ihr Lebensanfang bestimmte es. Die Ansicht, dass es keine Realität gibt, für die wir nicht verantwortlich sind, hat verschiedene Richtungen eingeschlagen. Werner Erhard und sein "Est" befürworteten diese Idee. Die Ansicht wurde so engstirnig, dass sie die Wirklichkeit verzerrte.

Dieser Ansicht nach wählen wir unsere Gefühle und können sie deshalb wieder "abwählen." Nach Einschätzung der Kognitivisten sind Gefühle ihrem Wesen nach launenhaft. Das kommt der Position der Anti-Darwinisten gleich, die glauben, es gebe keine Evolution. Diese Therapeuten verleugnen die Evolution und ihre Wirkungen sowohl in phylogenetischer als auch ontogenetischer Hinsicht; somit gibt es keine Gehirnevolution. Der denkende Kortex ist alles, was zählt. Sie fangen mit ihm an und hören mit ihm auf.

Therapeuten fungieren immer noch als freundliche Eltern, machen Vorschläge und bieten ihre Gedanken an. Der Unterton lautet: "Ich kümmere mich um dich. Ich will, dass du erfolgreich bist." Die Sache ist sehr persönlich. Der Therapeut ist zu intellektuell, als dass er offen " Ich liebe dich" sagen würde, aber sein Verhalten vermittelt es sehr wohl. Wenn die Eltern uns liebevoll in die Augen schauen, aufmerksam zuhören und sich sorgen, nennen wir das Liebe. Dasselbe geschieht bei einem Therapeuten. Meine Vermutung ist, dass, wenn der Patient jeden Tag in der Woche käme und der Therapeut jeden Tag sehr besorgt wäre aber keine Einsichten von sich gäbe, das Ergebnis dasselbe wäre. Es ist nicht das Bedürfnis nach Einsichten, das einen Menschen in die Einsichtstherapie treibt; es ist das Bedürfnis nach Liebe. Einsichten sind der Preis, den man zahlt.

Die Verdrängung des Fühlens scheint die denkenden, glaubenden Bereiche als eine Art defensives Manöver zu aktivieren.



Einsichten, die Währung vieler aktueller Therapiemarken, sind eine Form von Glaubensüberzeugungen. Sie fördern die Sekretion der inhibitorischen Nervensäfte, die dafür sorgen, dass wir uns besser fühlen, indem sie innewohnenden Schmerz unterdrücken. Weil niemand

 

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wirklich weiß, was im Unbewussten eines anderen liegt, müssen Einsichten persönliche Konstrukte sein - Glaubenssysteme, die der Therapeut vermittelt. Eine der basalen Einsichten, zu denen Therapeuten ihre Patienten ermutigen, besteht darin, die negativen Gedanken zu identifizieren, "die man zu sich selbst sagt." Die Idee ist die, die negativen Gedanken herauszupicken und ihnen dann mit vernünftigeren Gedanken entgegenzuwirken. In der kognitiven Therapie zum Beispiel soll der Patient mehr Lorbeeren für das Gute, das er getan hat, in Anspruch nehmen. Denke die guten Gedanken! Wie ich früher bemerkt habe, welches Selbst trägt welchem Selbst wiederholt negative Sätze vor und was bedeutet das? Wer überzeugt wen von was? Das linke Gehirn muss auf Gefühle auf der rechten Seite antworten und versuchen, die rechte von ihren Irrwegen zu überzeugen. Das rechte Gehirn versucht dem linken von seinen Gefühlen zu erzählen, dass es nie geschätzt, immer kritisiert und heruntergesetzt wurde, und sagt: "Nichts, was ich tue, ist was wert."

"Unsinn," sagt das linke, "du suhlst dich nur in negativem Denken. Ich helfe dir, diese Gedanken in positivere umzuwandeln."

"Nicht so schnell," behauptet die rechte Seite, "ich tue nur, was meine Gefühle wollen. Ich bin nicht irrational; im Gegenteil - ich reagiere wahrheitsgetreu auf diese Gefühle, die du nicht einmal sehen kannst. Du bist irrational. Du willst, dass ich meine innere Wahrheit verleugne. Das kann ich guten Gewissens nicht tun. Weil wir gerade von Gewissen reden: Ich überlasse es dir, diese Funktion auszuüben. Ich habe es hier mit Impulsen zu tun, um die ich mich kümmern muss."

Die rechte Seite wendet sich wieder an die linke: "Schau', ich bin um einiges älter als du, und ich hab' mehr Ahnung davon, was da drinnen los ist. Ich bin unseren Gefühlen verpflichtet. Ich meine, es sind unsere, weißt du. Ich bin Bindungen und Verpflichtungen eingegangen, aus denen ich nicht heraus kann. Du denkst, du kannst dich frei entscheiden, weil du mehr Freiheit hast, in der intellektuellen Landschaft herumzuwandern, aber so ist es nicht. Deine Freiheit ist illusorisch; ich kontrolliere das Spiel. Auch wenn ich Probleme nicht so wie du lösen kann, werde ich schließlich die Oberhand gewinnen. Ich bestimme dein Leben. Du bist dir des ganzen Zeugs draußen in der Welt bewusst, aber du hast keinen Schimmer, womit ich mich die ganze Zeit befassen muss. Wenn du dich mir gegenüber öffnest, können wir beide ausspannen. Wir müssen öfter zusammen sein. Bist du einverstanden, wenn ich dir nach und nach die Wahrheit erzähle?"

Es gibt jetzt experimentelle Beweise dafür, wie verdrängte Gefühle ihre Energie zum orbitofrontalen Kortex (OBFK) durchlassen, was in allen möglichen Glaubensüberzeugungen und sonderbaren Vorstellungen resultiert.2 In einem Experiment, in dem Gefühle stimuliert wurde und die Versuchsperson dann aufgefordert wurde, das Gefühl zu unterdrücken, verringerte sich der Output der Amygdala nahezu vollständig, während die Aktivität des linken OBFK beträchtlich anstieg. Kurz gesagt scheint die Unterdrückung des Fühlens

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die denkenden, glaubenden Bereiche als eine Art defensives Manöver zu aktivieren. Nahezu jedes defensive Manöver zielt darauf ab, Bewusstsein zu schützen. Das bedeutet, dass wir nicht zu sehr bewusst werden wollen, wenn der Schmerz auf der Lauer liegt. Man muss es in kleinen Zuwächsen erreichen; deshalb ist Rebirthing oder der Gebrauch halluzinogener Drogen so gefährlich. Es gibt keine Wochenend-Erleuchtung, wo man eine neue Art Bewusstsein erlangen kann.

Jetzt sehen wir, wie jemand Schnaps und Drogen aufgeben und Gott finden kann. Gefühle beginnen aufzusteigen und Gedanken übernehmen die Regie, um unsere innere Drogenfabrik in Gang zu setzen. Wenn der Süchtige eine Strafpredigt über das Teuflische an Drogen erhält, sinkt die Aktivität in der Amygdala, während gleichzeitig die Aktivität im OBFK nach oben geht, da er auf die Worte und Überzeugungen des Vortragenden reagiert. So setzen sich die Gedanken vor die Gefühle und unterstützen die Verdrängung. Es ist eine sine qua non, dass man, wenn man die Sucht aufgeben will, sich eine Reihe von Glaubensvorstellungen aneignen muss, die eine andere, genauso hartnäckige Sucht bilden, welche innere Schmerzkiller ankurbelt. Es ist nicht so, dass man eine Droge für Vorstellungen aufgibt; es ist so, dass man eine äußere Droge für ein und dieselbe innere Droge aufgibt.

Worauf dieses Experiment und unsere klinischen Beobachtungen hindeuten, ist, dass Energie von weiter unten die präfrontale Zone des Gehirns erreichen kann und Obsessionen, einen rasenden Geist, der nicht schlafen kann, ständige Besorgtheit oder glühenden Glaubenseifer antreibt. Der Druck muss irgendwo hin, und wenn wir ihn im limbischen System blockieren, geht er zur nächsten evolutionären Stufe - zum präfrontalen Kortex. Es ist wie ein Fluss, der in einem Lauf blockiert ist und sich dennoch einen anderen sucht. Abwehrmechanismen bilden eine Hierarchie; Schmerzen der ersten Linie können vom limbischen System mit seinen Bildern blockiert werden und werden dann auf höherer Ebene von Gedanken, Überzeugungen und Auffassungen blockiert. Jede Ebene hat ihr eigenes Schleusensystem, aber wenn es ins Wanken gerät, übernehmen die Schleusen höherer Ebenen.

WAS MACHEN DIE KOGNITIVISTEN WIRKLICH?

David Burns, M.D., ist ein wohlbekannter Autor und Praktiker der kognitiven Therapie. In seinem Massenmarkt-Bestseller Feeling Good: The New Mood Therapy und in anderen Büchern erklärt er kurz und bündig das Leitmotiv seines Ansatzes. Sinngemäß: Nummer 1: Du fühlst dich, wie du denkst; du wirst entdecken, dass negative Gefühle wie Depression, Angst und Wut nicht wirklich von den schlechten Dingen herrühren, die dir passieren, sondern von der Art, wie du darüber denkst. Nummer 2: Die meisten schlechten Gefühle kommen von unlogischen Gedanken. Nummer 3: Du kannst ändern, wie du dich fühlst, indem du änderst, wie du denkst.3

 

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Im Grunde gibt es keine Realität; es gibt nur das, was du gedanklich für Realität hältst. Die Wirklichkeit ist, was immer du aus ihr machst. Es ist alles eine Sache der Interpretation. Ändere die Interpretation und ergo wird alles gut sein. Das ist im Grunde die Essenz jeder kognitiven Therapie, einschließlich der Einsichtstherapie. Die Kognitivisten wollen, dass der Patient auf die Wirklichkeit reagiert, wenn er es doch bereits getan hat. Man kann es nur nicht sehen.

Auf der Rückseite eines seiner Bücher wird Burns wie folgt zitiert: Sie können sich größerer Glücklichkeit, Produktivität und Intimität ohne Drogen oder langwierige Therapie erfreuen." Er sagt das, weil er den Schmerz in allen seinen frühen Manifestationen einschließlich Inzest nicht gesehen hat. Er nennt sie "negative Gefühle," obgleich es reale Gefühle sind. Wir müssen über die Auffassung von "negativen" Gefühlen hinwegkommen. Unsere Gefühle stimmen mit Schlüsselrealitäten überein; sie sind weder negativ noch positiv. Sie sind, was sie sind. Der Schlüssel liegt darin, die sogenannten negativen Einstellungen in den ursprünglichen Zusammenhang zu bringen, der sie ins Leben rief, und nicht, sie zu verleugnen und zu verändern.

Es ist nicht logischer zu denken, dass Gedanken Instinkte, ein Überlebenssystem, ändern können als zu glauben, eine einfache Änderung der Gedanken könne Gefühle, ein anderes Überlebenssystem, verändern.



Ein Kind, ein Mädchen, das früh im Leben nicht geliebt wird, wird ein fest verankertes Gefühl haben: "Mit mir stimmt etwas nicht." Das ist ein wiederkehrendes Thema unter den meisten meiner Patienten. Sie weiß nicht, dass sie ungeliebt ist; da sie von Beginn ihres Lebens an nie geherzt und geküsst wurde, weiß sie nicht, dass ihr etwas fehlt. Sie entscheidet sich nicht dafür, so zu fühlen oder zu denken; sie reflektiert die Realität auf einer unbewussten Gefühlsebene. (In unserer Therapie bleibt es ein Geheimnis - bis sie eines Tages fühlt : "Sie lieben mich nicht.") Wenn sie älter wird, hat sie das nagende Gefühl, dass etwas nicht stimmt oder etwas mit ihr nicht stimmt. Sie geht zur kognitiven Therapie, um sich ihre Gedanken neu ordnen zu lassen; man hilft ihr, auf die helle Seite zu schauen, weil man glaubt, das diese "negativen" Gedanken sie herunterziehen.

Therapeuten können das verkleiden, aber es ist immer noch die "Macht des positiven Denkens." Es sind YMCA-Ratschläge, die in wissenschaftlichem Patois geschrieben sind. Es ist "Setz deinem Gesicht ein Lächeln auf, und du wirst dich glücklicher fühlen." So vereinfachend das klingt - es ist im Wesentlichen das, worum es bei Verhaltens- und Kognitionstherapie geht: Verhalten verändert Gefühle im Gegensatz dazu, dass Gefühle Verhalten steuern.

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Ja, die Kognitivisten können versuchen, Patienten eine positivere Einstellung entwickeln helfen, aber das Gesamtsystem des Patienten kann sehr wohl in eine pessimistische verstrickt sein, die sich seit der Geburt eingeschliffen hat - eine eingravierte Physiologie des Pessimismus. Das Schlimmste geschah bereits ganz früh, und das Schlimmste zu erwarten ist bei dieser gegebenen Geschichte eine natürliche Einstellung. Nichtsdestotrotz kann auch vorübergehende Hilfe und Ermutigung angesichts katastrophaler Krankheit hilfreich sein. Und wenn sich die Leidtragenden einmal in der Woche treffen - umso besser. Nichtsdestotrotz ist Pessimismus nicht einfach eine Einstellung; es ist ein physiologischer Zustand, der  am laufenden Band Einstellungen produziert. Wir können versuchen, diese mit Unterstützung in der Gegenwart zu ändern, aber diese Anstrengung muss man ständig weiterbetreiben. Wenn wir diese Unterstützung bekommen können, können wir wenigstens funktionieren. Es hilft im menschlichsten Sinne. Aber wir kämpfen gegen Ereignisse in der kritischen Periode. Deshalb müssen die Anstrengungen kontinuierlich sein. Wenn ein Ereignis einmal in der kritischen Periode versiegelt worden ist und zu einer Einprägung führt, ist Veränderung unwahrscheinlich.

Erinnern Sie sich, wir fühlen schon lange, ehe wir Gedanken haben. Gefühle gehen Gedanken in der Evolution und in der Struktur des Gehirns voraus. Es ist nicht logischer zu denken, dass Gedanken Instinkte, ein Überlebenssystem, ändern können als zu glauben, eine einfache Änderung der Gedanken könne Gefühle, ein anderes Überlebenssystem, verändern. Letzteres muss automatisch und unmittelbar funktionieren, um uns dabei zu helfen,  uns anzupassen und Gefahr zu vermeiden . Ja, es ist zeitweise möglich, sich über Gefühle hinwegzusetzen, aber das kann kein dauerhafter Zustand sein. Und es kann in der Tat gefährlich sein und das Überleben bedrohen. Wir können die Anzeichen einer drohenden Herzattacke oder eines Schlaganfalls ignorieren, und es gibt oft solche Zeichen, die uns sagen, dass etwas mit uns nicht stimmt, aber das wird die Katastrophe nicht verhindern.

Es gibt ein Buch mit dem Titel The Blank Slate von Steven Pinker. Dr. Pinker ist ein wohlbekannter Autor über Gehirnangelegenheiten. Seine Spezialität ist kognitive Neurowissenschaft. ("Kognitive Neurowissenschaft" scheint ein weiteres Oxymoron zu sein. Wenn sich Neurowissenschaft auf das Studium des denkenden Gehirns beschränkt, wird der Rest des zentralen Nervensystems und seine Wechselbeziehungen mit dem denkenden Bereich wahrscheinlich ignoriert.) Pinker behauptet in seinem gesamten Werk, dass Erziehung und Umwelt nie der Natur, der Vererbung gewachsen sei. Er weist darauf hin, dass Kriminelle selten rehabilitiert werden, was, wie er glaubt, beweist, dass kriminelle Tendenzen vererbt werden müssen. Was er nicht in Betracht zieht, ist erstens der Einfluss des frühen Lebens bei der Formung späterer Krimineller und zweitens, dass vielleicht unsere Behandlung von Kriminellen falsch ist, besonders wenn er ein Advokat des kognitiven Ansatzes ist, der bei Kriminellen zwangsweise scheitern muss. Die Logik setzt sich dann fort: Wir können den Kriminellen deshalb nicht gesund machen, weil es eine vererbte Tendenz ist. Natürlich stellt diese Überlegung seinen therapeutischen Ansatz nicht in Frage.

 

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Wenige Fachleute, falls überhaupt welche, haben die Tiefen des Unbewussten gesehen und den dort eingeprägten Schmerz beobachtet. Deshalb können sie nicht wissen, was Erziehung wirklich ist und was sie uns antun kann. Das ist doppelt wahr, wenn die Monate der Schwangerschaft und die ersten Monate der Kindheit ignoriert werden. Weil es in den ersten drei Lebensjahren kaum nennenswerte Kognition gibt, ignoriert man, wenn Kognition der Brennpunkt ist, zwangsweise die entscheidensten prägenden Zeiten im Leben.

Gedanken werden fabriziert, um uns vor Gefühlen abzuschirmen wie: "Meine Mutter war nie für mich da." Man könnte das Gefühl rationalisieren: "Sie hatte so viel zu tun." Aber das Bedürfnis/ der Schmerz bleibt. Das Ergebnis ist: "Ich bin bedeutunglos." Wenn wir etwas über sogenannte "Selbstachtung" erfahren wollen, können wir es hier finden. Die Mutter hatte viel zu tun, aber für ein Kind ist es vernichtend. Wenn das geschieht, ändern die dem Neokortex ihres Kindes eingeprägten Gedanken der Mutter niemals die Gefühle oder Bedürfnisse des Kindes. "Sie hatte soviel zu tun" überdeckt jetzt das Bedürfnis. Ich habe nie einen Patienten über "Achtung" weinen gehört. Das ist die Vorstellung eines anderen von uns, kein richtiges Gefühl. Es ist sonderbar: wir können uns unwichtig (ungeliebt) fühlen, aber nicht wichtig. Wenn wir für unsere Eltern wichtig waren, werden wir uns gesund, gut und fähig fühlen, aber nicht wichtig, weil das kein Gefühl ist; es ist die Vorstellung eines anderen darüber, wer und was wir sind.

Was Albert Ellis in der rational-emotiven Therapie seinen Patienten eigentlich sagte, war: "Wer sagt, dass es wichtig ist, dass du immer geliebt werden musst? Du sagst ständig zu dir selbst ‚Ich brauche Liebe, ich brauche Liebe.' Stattdessen musst du einen anderen Satz immer und immer wieder sagen: ‚Nein, ich kann nicht die ganze Zeit von allen geliebt werden, eine solche Liebe brauche ich nicht wirklich." Er glaubt, dass wir jetzt erwachsen sind und keine Kinder und dass wir uns immer noch anderen gegenüber so verhalten, als wollten wir sie dazu bringen, dass sie uns lieben. Ich glaube, das tun wir. Aber es sind nicht die Sprüche, die wir aufsagen; es sind die übriggebliebenen Bedürfnisse aus der Kindheit - das verzweifelte unerfüllte Bedürfnis nach Liebe. Wir agieren dieses Bedürfnis jeden Tag auf jede Weise aus, und es wird nicht verschwinden, bis wir fühlen, wie sehr wir Liebe brauchten. Wir mögen alt werden, aber unsere Gefühle werden es nie. Auch wenn wir leugnen, dass wir Liebe brauchen, geht das Ausagieren vielleicht weiter.

Das Problem mit allen wissenschaftlichen Daten sind die Kriterien, auf denen sie basieren. Wenn ich sechs Monate lang mit dem Trinken aufhöre und das ein Kriterium für den Fortschritt in der Behandlung von Drogensucht ist, bin ich dann gesund? Es kann ein erster Schritt sein, aber es bedeutet nicht, dass man gesund ist. Ein ganzes neurophysiologisches System steckt hinter diesem Verhalten. Forschungsergebnisse können sich abhängig von den Kriterien, die man benutzt, ändern. Auch wenn der Süchtige seit fünf Jahren von seiner Droge weg ist, ist er dann gesund? Es ist unbedeutend, wie lange er weg ist, wenn er die treibende Kraft nicht aufgelöst hat. Er befindet sich in einer Warteschleife und wartet auf seinen nächsten Absturz. Er wird abstürzen, vielleicht weil sich sein Bedürfnis nie ändert und weil er es nie voll erlebt; das

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Bedürfnis, das ihn dazu treibt, nach Schmerztötern zu suchen. Es sind unter Schmerz stehende Leute , die Schmerztöter brauchen, so offensichtlich das auch scheinen mag. Es ist schwer zu glauben, dass ein Ereignis, das bei der Geburt geschah, im Alter von 30 Jahren den Impuls zu trinken auslösen kann, aber es ist so. Es ist das bestgehütete Geheimnis in den 12-Schritt-Methoden. Es ist ein wechselseitig unbewusster Pakt; niemand von uns will die Auswirkungen der Geburt bezeugen; deshalb ist sie ein Nicht-Ereignis. Wenn wir die Einprägung anerkennen, wissen wir, dass sich die Erfahrung überall in unseren Systemen einquartiert hat und dass Ergebnisse in der Therapie auch in systemische Begriffe gefasst werden müssen. Ja, es ist sehr wichtig, mit Drogen aufzuhören, aber es lässt den Menschen voller Schmerz zurück; um dieses Bedürfnis muss man sich kümmern.

Kognitive Therapie ist massive Ablenkung. Der Patient fühlt sich manchmal besser, fühlt sich sogar oftmals besser, aber Selbsttäuschung ist keine Therapie; es ist Gehirnwäsche. Verleugnung ist ein netter temporärer Notbehelf; sie macht das Leben erträglich, aber der Preis kann später hoch sein - möglicherweise vorzeitiger Tod oder frühe Krankheit und die Rückkehr zu Symptomen. Dennoch funktioniert Verleugnung für einige, wenn nicht zuviel Schmerz da ist. Es gibt Schmerzebenen; die auf den tiefsten Ebenen des Nervensystems verzeichnen den höchsten Belastungswert. Zum Beispiel können wir, unmittelbar bevor jemand Zugang zu einem Feeling hat, ein Fieber von 103 Grad (F) sehen. Das System behandelt die Einprägung genau wie ein Virus als fremden Eindringling. Alle Systeme beteiligen sich an dem Kampf gegen das Fühlen. Der Kampf - man glaubt es kaum - richtet sich dagegen, dass das Gefühl Eingang ins volle Bewusstsein findet. Wir erkennen das auch aufgrund des radikalen Absinkens der Körpertemperatur unmittelbar nach der Verknüpfung des Feelings.

Die Los Angeles Times brachte auf ihren Gesundheitsseiten einen Bericht über den Kognitionspsychologen Martin Seligman.5 Seligman will einen Entwurf vorlegen, um " uns selbst glücklicher zu machen." Dazu, so glaubt er, müssen wir wissen, "wie wir von Moment zu Moment auf unsere Gedanken achten. Und wie wir uns selbst ganz vergessen." Er schlägt vor, dass wir katastrophalen Gedanken entgegenwirken, zuerst, indem wir den verzweifelnden Gedanken erkennen, und dann, indem wir ihn mit den realen Gegebenheiten vergleichen. Die Verzweiflung wird als gegeben hingenommen (woher sie kommt, weiß keiner), und dann bieten die Kognitivisten Techniken an, um diesen Gedanken zu entgegnen. "Indem Sie mit sich selbst diskutieren, können Sie Glauben und Tatsache auseinanderhalten und viele pessimistische Annahmen zerstreuen, indem Sie sie der Logik und den offensichtlichen Gegebenheiten entsprechend bearbeiten." Ich glaube, das Kennzeichen der Neurose ist, dass wir "uns selbst ganz vergessen." Seligman zitiert dann Studien, die zeigen, dass deprimierte Leute, die lernen, diese Art von reflexivem Pessimismus zu erkennen und zu entwaffnen, sich von Gefühlen der Wertlosigkeit, Erschöpfung und anderen Symptomen befreien können. Sie sind nicht mehr deprimiert, behauptet er. Sie haben sich aus ihrem tiefen Loch herausgezogen. Die Grundidee ist die, dass wir uns aus dem Pessimismus herausargumentieren, indem wir auf die offensichtlichen Gegebenheiten achten. Aber wir achten auf innere Gegebenheiten und sind im Hinblick auf unsere Geschichte zwangsweise pessimistisch.

 

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Die modernen Kognitivisten haben anscheinend Vieles von der Kirche übernommen; ihre Ermahnungen sind die gleichen. Der einzige Unterschied besteht darin, dass man es Therapie und nicht Religion nennt. Aber es ist Religion im Namen der Therapie. Tatsächlich geht es in wirklicher Therapie nicht darum, Individuen aus der Tiefe herauszuziehen sondern sie darin einzutauchen, denn dort liegt die Basis der Depression. Sie werden erst wissen, wie gut das Leben sein kann, wenn sie sich von ihrem tiefen Schmerz befreit haben.

Die Therapie der heutigen Zeit sagt im Wesentlichen: "Betrachte das Leben von der heiteren Seite," oder "Komm einfach darüber hinweg." Das haben uns unsere Eltern gesagt, als wir Kinder waren: "Hör' auf zu jammern und mach' weiter. Sieh's nicht immer von der trüben Seite. Alles hat auch seine positive Seite. Wenn du in Pessimismus versinkst, wirst du krank. Schlafende Hunde weckt man nicht." Kognitivismus/Einsicht ist eine populäre Therapie, weil es keine Therapie ist; sie ist eine Ansammlung von Moralpredigten, die in einer intellektuell-ausgeklügelten Sprache zusammengefügt sind. Sie passt perfekt zum Zeitgeist.

Das Problem bei der Psychotherapie war bis heute, dass es die Psychologie des Verhaltens und nicht des Fühlens war. Wenn der Therapeut jemanden sah, der in einem Konzentrationslager gewesen war und sich sehr gut anpasste, war das gut genug; ein Zeichen, dass es ihm gut ging. Wenn wir jetzt Psychotherapie in eine echte neurobiologische Wissenschaft umändern - was sie auch sein muss - dann werden wir diesen Fehler und diese Fehlkalkulation nicht wieder machen. Wir werden ein Auge haben auf den Kortisol-, Oxytozin-, Dopamin-, Noradrenalin-Spiegel und so fort; anders gesagt werden wir die ganze Person betrachten, nicht nur eine entleibte Psyche, die handelt und denkt.

Der Schlüsselspruch lautet hier wie in allen Einsichtstherapien: "intellektuelle Bewusstheit der Gefühle." Wenn sie vorhanden ist, sollen die Gefühle sich ändern. Wir haben gesehen, dass sie es nicht tun und auch nicht sollten. "Intellektuelle Bewusstheit und Gefühle liegen auf verschiedenen zerebralen Planeten. Aber das Leitmotiv jeder intellektuellen Therapie lautet, dass Bewusstheit uns hilft, Fortschritte zu machen. Ich gestehe zu, dass Bewusstheit hilft; aber voll bewusst zu sein heilt.

Es ist kein Zufall, dass sich in unseren zahlreichen Hirnforschungsstudien eine Veränderung der Lateralität in den Gehirnen unserer Patienten abzeichnete; das Gehirn war harmonischer, verteilte die Gefühlslast gleichmäßig auf beide Seiten des Gehirns. Die kognitive Therapie erzeugt ein einseitiges, links-dominantes Gehirn. Wir streben ein ausgeglichenes an.

Das Ideal in der kognitiven Therapie besteht darin, die Gedanken zu kontrollieren, um diesen schwerfassbaren „gesunden Zustand“ zu erreichen.

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Eine weitere kognitive Technik ist die, dem Patienten zu helfen, dass er seine Eltern versteht und ihnen verzeiht. "Schließlich taten deine Eltern ihr Bestes. Sie hatten auch eine ziemlich harte Kindheit." "Oh ja, ich verstehe. Sie hatten es schwer und ich vergebe ihnen," ertönt es von der linken Seite. Dennoch schreit natürlich die rechte Seite ihre Bedürfnisse und ihren Schmerz hinaus, und wir machen den Rest unseres Lebens mit ihrem lautlosen Schrei weiter. Um das Bedürfnis kommt man nicht herum. "Vergebung" ist ein Gedanke, der in der Therapie keinen Platz hat. Wir sind nicht dafür da, um Eltern zu verzeihen; wir sind dafür da, um uns mit den Bedürfnissen der Patienten zu befassen und damit, was fehlende Befriedigung ihnen angetan hat.

Leider muss ich sagen, dass es bei einem Großteil der gegenwärtigen Therapie und besonders der kognitiven Therapie um eine moralische Position geht; gut verborgen, in Psychojargon gekleidet, aber im Grund ist es Moralisieren. Der Therapeut wird zum Richter über korrektes Verhalten. Letztlich versucht der Therapeut, das Verhalten des Patienten in Richtung eines vorgefassten Ziels zu verändern. Dieses Ziel hat eine weltabgeschiedene Moralposition: Du sollst keine Drogen nehmen, deine Frau nicht anschreien, nicht zu viel essen, keinen Groll gegen deine Eltern hegen und so fort. Wir helfen dir, das zu ändern. Kognitive Therapie bedeutet im Wesentlichen Gedankenkontrolle. Das scheint vielleicht wie eine Übertreibung, aber überlegen Sie, dass wir unseren Gedanken nicht trauen können. Andere sagen uns, was wir denken sollen. "Sie" wissen es besser. Ich denke, dasselbe trifft auf den Zustand des Menschen zu. Gedankenkontrolle (oder welchen Euphemismus wir ihr anheften - eine totalitäre Auffassung) unterdrückt Grundbedürfnisse in Ehrerbietung vor einer Idee oder einem Ideal. Das Ideal in der kognitiven Therapie besteht darin, die Gedanken zu kontrollieren, um diesen schwerfassbaren "gesunden Zustand" zu erreichen. Immer wenn Bedürfnisse aus dem theoretischen Schema weggelassen werden, sei es das des Staates oder das des Individuums, muss die Antwort reaktionär sein. Die Person wird zu kompensatorischem Verhalten gezwungen, genau wie die Gesellschaft neue Krankenhäuser und Kliniken bauen muss, um diejenigen zu kontrollieren, deren Bedürfnisse außer Kontrolle geraten. Sowohl die Therapie als auch der faschistische Staat müssen danach trachten, die Ausbrüche von Bedürfnissen zu kontrollieren anstatt sie zu befriedigen. Es ist immer gefährlich, den Leuten zu sagen, was sie denken sollen. Und es ist zwecklos, ihnen zu sagen, wie sie sich fühlen sollen.

Gedankenkontrolle funktioniert auf subtile Weise in der Familie. Ein kleiner Junge vermisst und braucht seinen Papi. Man sagt ihm, dass Papi arbeiten muss und die meiste Zeit nicht da ist. Der Junge versteht und bekommt ein bisschen "Liebe" dafür oder wenigstens Zustimmung für sein Verständnis. Er bekommt, was als Liebe gilt, einen Gedanken, eine Vorstellung, aber keine reale Liebe. Der Junge "vermisst und braucht" seinen Papi nicht mehr. Man hat ihm gesagt, wie er denken soll, wenn auch ziemlich subtil. "Ja, sie taten ihr Bestes. Mein Vater musste seine Kinder ernähren." Das Bedürfnis ging verloren, und mit ihm ein Teil der Menschlichkeit.

 

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Das Verbrechen verdoppelt sich, wenn der jetzt Erwachsene zur Therapie geht und man ihm wieder die Vernunfterklärung gibt: "Sie taten ihr Bestes." Oder schlimmer noch, im Fall von Albert Ellis: "Wer sagt, dass du überhaupt Liebe brauchst?" Das bedeutet eigentlich, dass man sagt: "Gib die Liebe auf. Du brauchst sie nicht." Wie könnte jemand das tun, dem oder der die Eltern jahrelang Bedürfnisbefriedigung versagt hatten? Wir können ein Bedürfnis nicht aufgeben. Es ist fest eingebaut und eine Überlebenssache. Ja, das Bedürfnis liegt damals in der Kindheit zurück, aber vergessen wir nie die Einprägung. Ein Bedürfnis, das in der kritischen Periode nicht erfüllt wird, dauert an.

Immer wenn Bedürfnisse aus dem theoretischen Schema weggelassen werden, sei es das des Staates oder das des Individuums, muss die Antwort reaktionär sein.



Gedankenkontrolle ist eine Methode, den Patienten zu zwingen, das Leben des Therapeuten zu führen. Zum Beispiel einem Patienten zu sagen, er brauche keine Drogen, wenn sein ganzer Körper danach schreit, weil er von Schmerzen getrieben wird, die abgeschieden unterhalb der Erkenntnisebene liegen. Oder zu versuchen, jemanden vom Ladendiebstahl als schlechte Gewohnheit abzubringen, wenn er oder sie immer für Liebe und Anerkennung von den Eltern arbeiten musste und jetzt etwas umsonst will. "Liebe mich bedingungslos. Lass' mich nicht um jedes Stückchen Liebe kämpfen." Natürlich soll man es nicht billigen, aber wir müssen die Dynamik dahinter erkennen. Warum wirken Gedanken und Abraten nicht gegen Ladendiebstahl, wenn die Person doch jedes Mal Gefängnis riskiert? Weil das Wissen über das Risiko und die Bewusstheit von der Gefahr keine ebenbürtigen Gegner sind für alte Bedürfnisse.

Therapeuten können anderen Menschen keine Wahrheiten verleihen. Für jeden von uns gibt es präzise Wahrheiten. Jede Wahrheit kann nur vom Patienten entdeckt werden. Der Gedanke, dass wie in der Traumanalyse jedes Symbol eine universelle Bedeutung hat, stimmt nicht. Patienten können abhängig von ihren Lebenserfahrungen sehr ähnliche Träume mit ziemlich unterschiedlicher Bedeutung haben. Patienten müssen mit ihrer Vergangenheit kommunizieren, nicht mit dem Therapeuten, oder wenigstens zweitrangig mit dem Therapeuten. Zuerst müssen sie sich selbst konfrontieren.

Lassen Sie mich ein Beispiel anführen. Eine Geschichte in einem Magazin erinnert an einen Mann, der eine "Bekehrungserfahrung" hatte. Dieser berichtete, dass er in der Nacht mit großem Druck auf der Brust aufwachte; ein kleines Männchen saß auf seiner Brust, strangulierte ihn und ließ ihn nicht atmen. Er hielt seine Arme fest und band seine Füße zusammen. In diesem Augenblick wusste er, dass er

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von einer ausserirdischen Macht besucht wurde. Bringen wir das alles in den richtigen Zusammenhang; während der Geburt gab es Sauerstoffmangel und ein Strangulierungsgefühl mit dem damit einhergehenden Druck auf der Brust. Die Arme waren in der fetalen Position fixiert und die Beine waren geschlossen, wie sie es in einem Geburtsprimal sind. Das Gefühl war befremdend, also wurde es dann als fremde Kraft projiziert - Aliens, Ausserirdische. Kein Therapeut kann dieses Erlebnis interpretieren. Wir wüssten nicht einmal, wo wir anfangen sollten.

Ich muss hier gleich eine Warnung anbringen. Nahezu jede auf Kognition/Einsicht beruhende Gesprächstherapie erfüllt die Bedürfnisse des Patienten symbolisch. Der Patient - sagen wir eine Frau - agiert neurotisch in der Hoffnung, gesund zu werden. Sie ist eine gute, kluge, hilfreiche Patientin. Der Therapeut konzentriert sich nur auf sie. Wie lange ist es her, dass jemand ausschließlich ihr seine Aufmerksamkeit widmete? Und eine ganze Stunde lang! Ist es ein Wunder, dass ihre Therapie sie süchtig macht; die Einsichten sind eine kleine Beigabe zu dem Ganzen. Entscheidend ist die Aufmerksamkeit. An anderer Stelle weise ich darauf hin, dass die Wahl der Therapie oft ein weiteres Ausagieren ist. Die Patientin kommt zurück wegen Liebe, Zuwendung und Zustimmung. Sie bekommt sie, und es ist ein weiterer symbolischer Akt, und deshalb verstärkt sich ihre Neurose. Der Therapeut gibt uns genau das, was wir von unseren Eltern brauchten; leider ist es 20 oder 30 Jahre zu spät. Es ist ein Fass ohne Boden, das keiner füllen kann.

Einsichtstherapien sind ein Ableger altertümlicher Religion, in der der Prediger uns vom lauernden Teufel erzählt und wie wir ihn vermeiden müssen. Wir lernen von Therapeuten, wie wir bei dem Versuch, uns selbst zu verstehen, denken müssen. Wir werden zu gehorsamen Novizen. Es ist wieder ein Elternteil, ein wohlwollender, der uns Kindern sagt, was mit uns nicht stimmt und wie wir uns benehmen sollten. Und wir hören zu, weil wir "gute" Kinder sind und geliebt werden wollen. Und sie sind die Autorität, die freundliche, sanfte Autorität, aber sie tragen die Macht. Sie wollen wirklich, dass wir gute Kinder sind, die die guten Gedanken denken.

Elend ist ein Seinszustand. Es sollte nicht Aufgabe der Therapie sein, die richtigen Worte zu finden, die uns Wohlbehagen schenken, sondern die richtigen Gefühle zu finden, die uns unser Elend fühlen lassen - so dass wir mit ihm fertig werden. Jedesmal, wenn die Macht in der Therapie außerhalb unserer selbst liegt, kann diese Therapie nicht erfolgreich sein. Führung - ja, Beratung - ja. Aber keine tiefe Therapie. Der Preis dafür, dass wir innere Macht an andere abtreten, ist mehr Rauchen, Trinken und Tranqilizer, weil der Körper weiß, dass er sein eigenes Leben führen sollte und nicht das eines anderen. Ja, wir können also eine Zeit lang oder sogar dauerhaft von Drogen loskommen, weil unsere Ärzte darauf bestehen, aber unsere Bedürfnisse haben sich nicht geändert.

 

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DIE BIOLOGIE HINTER SICH LASSEN: FLUCHT IN PSYCHOLOGISCHES WIRRWARR

Von einem neurowissenschaftlichen Standpunkt aus besteht das Problem bei den kognitiven Therapien darin, dass sie die Patienten so weit in die linke frontale Zone verschieben, dass diese effektiv gegen ihre Wahrheiten und Feelings versiegelt sind. Der ganze Vorstoß zielt darauf ab, den Patienten von seiner Geschichte zu entfernen, den Spalt zu vergrößern und die Harmonie im Gehirn zu sprengen. Kein Wunder, dass sie berichten sich besser zu fühlen; kein Wunder, dass der Klient in der Augenbewegungs-Desensibilisierungs-Reaktion (EMDR) berichtet, er oder sie fühle sich gut.

EMDR ist eine Therapie, die ein bisschen Voodoo mit etwas Einsicht und einem sehr ausgefeilten Erklärungssystem kombiniert. Im Grunde involviert sie abwechselnden Input von einer Seite des Gehirns zur anderen. Eine Erklärung lautet, dass sie sowohl die Gefühls- als auch die Gedankenhemisphäre stimuliert und ein neurologisches Gleichgewicht schafft. Patienten sagen, dass der Schmerz nach einer Sitzung nur noch eine entfernte Erinnerung ist, etwas, dessen sie sich entfremdet fühlen. Das bedeutet, dass sie von sich selbst entfremdet sind, von dem Selbst, in dem die Gefühle liegen. EMDR verstärkt die Verdrängung. Das ist keine psychische Gesundheit; es ist Täuschung im Namen psychischer Gesundheit, wobei die linke Hemisphäre geistige Handstandüberschläge ausführt, um sich zu überzeugen, dass die rechten/limbischen Kräfte nicht existieren. Wenn man die Geschichte ignoriert, ist jeder Ansatz eine Illusion.

Direktives Tagträumen oder direktive Vorstellungstherapie ist ein anderer Ansatz, der sich auf Worte, Suggestion und Bilder verlässt. Sie können sich vorstellen, dass Sie entspannt sind, den ganzen Tag auf einer Wolke schweben, und dennoch Angst haben, die tief drinnen wühlt. Wir sind nicht auf einer Wolke und nicht entspannt, ausgenommen in unserem frontalen Kortex. Es ist nicht die Realität. Wie können wir auf der Basis von Irrealität gesund werden? Unser Körper sagt, wir sind in der Hölle, und unser Verstand sagt, wir schweben auf einer Wolke. Es ist ein bewusst-willkürlicher, betrügerischer (Selbsttäuschungs-)Akt, der unter der Anleitung eines anderen und unter dem Deckmantel der Therapie stattfindet. Stattdessen sollte unser Kopf da sein, wo unsere Gefühle sind.

Vor einiger Zeit gab es eine Studie von Nicholas Hall vom George Washington University Medical Center über direktives Tagträumen. Er benutzte positive Bilder, um die Immunsysteme seiner Patienten und die Symptome von Asthma zu ändern. In manchen Fällen war das Bild, das man dem Patienten suggerierte, "kleine Männchen, die mit Hämmern auf die Krebszellen schlugen." Die Lymphozytenzahl erhöhte sich für kurze Zeit, kehrte dann aber zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Worte waren eine Zeit lang hilfreich, aber das System schlug zurück und kehrte wieder zu seiner

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Neurose zurück, indem es die Anzahl zirkulierender Lymphozyten wieder absinken ließ. In der Regel besteht das Problem darin, dass die Anzahl weißer Zellen abstürzt, wenn man aufhört, sich etwas vorzustellen.

Ich beschreibe Krebs manchmal als Verrat - unser Körper wird zu unserem Feind. Ich komme um den Gedanken nicht herum, dass Gefühle zu unserem Feind werden können, wenn sie uns fremd werden. Dann fügen sie uns Schaden zu - aus Versehen. Obwohl es nicht genau dem Thema entspricht, erlauben Sie mir noch eine reine Spekulation. Ich habe in den vergangenen Jahren mehrere Freunde verloren, und in den meisten Fällen war es ein Schlaganfall; meiner Beobachtung zufolge sind es solche verdrängenden Individuen, die sich in ihren Kopf zurückzogen, welche dem Schlaganfall erlagen. Es scheint, als hätte das linke Gehirn zuviel von der Last zu schultern gehabt, die die Unterdrückung von Gefühlen dem System aufbürdet. An einem gewissen Punkt wurde das Gehirn überwältigt und ging zugrunde. Schließlich ist es wahrscheinlich, dass das linke Gehirn ins Taumeln gerät, wenn das rechte großen Druck nach links weitergibt. Wieviel Druck? Wenn man meine Patienten sehen könnte, die nicht besonders kränker sind als die Durchschnittspopulation, wie sie Woche um Woche und Monat um Monat so tief weinen, wie es nur möglich ist, können wir gerade erst anfangen, eine Vorstellung von dem gewaltigen Druck zu bekommen, der in so vielen von uns liegt.

Vorstellungstherapie ist, was immer auch ihr Name besagt, ein Gedankenspiel, das kurioserweise von innerer Realität wegführt. Es ist EMDR unter anderem Namen: Ablenkung. Direktives Tagträumen, das den frontalen Kortex und limbische Bilder benutzt, kann vielleicht zeitweise ein Symptom wie Obsessionen und Angst überwinden, aber es ist weder von Dauer noch bringt es uns zum Hirnstamm hinab, wo das Geburtstrauma und der Ursprung der Angst liegt. Die Geschichte, die wir in einem Traum oder sexuellen Ritual fabrizieren, ist nur eine Hülle für reale Gefühle; aus diesem Grund bringen wir Patienten in der Gruppe zum Ausagieren, damit sie ihr Ritual benutzen, um zu ihren Gefühlen zu gelangen. Die Bedeutung des Traums und/oder Rituals liegt im Feeling, genau wie es im Leben der Fall ist. Der Traum, in einem eingeengten Raum festzustecken kann ein direktes Bild aus dem Gefühl heraus sein, bei der Geburt steckengeblieben zu sein; ein Gefühl, das sich durch ein Familienleben verschlimmerte, in dem das Kind sich gefangen und "steckengeblieben" fühlt. Individuen können das Gefühl ausagieren, (in einer Ehe, Beziehung oder in einem Job) festzustecken, indem sie versuchen, sich loszulösen. Aber egal, was passiert, wie oft man eine Beziehung verlässt, das Gefühl des Freiseins wird sich niemals einstellen.

Ständig in Bewegung zu sein ist ein gutes Beispiel dieses Ausagierens; eine wilde Flucht vor dem Gefühl, so wie andere, die sich als Versager fühlen, verzweifelt versuchen, sich wie Sieger zu fühlen. Die Definition des Ausagierens ist, wie ich erwähnt habe, Verhalten aus unbefriedigten Bedürfnissen heraus. Unbefriedigte Bedürfnisse betätigen den Gashebel. Sogar bei Depression, die total nach Lethargie und Passivität aussieht, haben wir ein hochaktives System.

 

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Denken Sie daran, die sich später entwickelnden kortikalen Neuronen sind dafür bestimmt, uns die Wahrheit über unser Innenleben nicht zu sagen, eine Wahrheit, die mit unserer Geschichte begraben wurde. Ich bezweifle nicht, dass es möglich ist sich vorzustellen, dass der Aufzug kein angsteinflößender Raum ist sondern ein Ort der Ruhe und des Friedens, wo man wie auf einem See dahingleitet. Aber unterdessen sagt der Hirnstamm über den Aufzug: "Das ist ein schrecklicher Raum, weil er die alte Angst im Inkubator wachruft." Wir haben also den Spalt zwischen Denken und Fühlen erweitert - eine Handlung, die niemals heilsam sein kann.

Freud schrieb dem Es eine tiefe, unabänderliche, vielleicht genetische Kraft zu, weil er nie sah, was mit uns von früh an geschehen konnte. Er dachte, "früh" bedeutet frühe Kindheit, und die meisten Therapeuten der Gegenwart denken dasselbe. So dachten die Freudianer, mich selbst vor Jahrzehnten eingeschlossen, dass der Patient sich an seine Kindheit erinnern könne, darüber weinen und von uns omnipotenten Seelen Einsichten bekommen könne, und alles sei gut. Die Gefahr rührte wirklich von den Dingen her, die der Patient nicht erinnern konnte.

In der Primärtherapie jedoch würde er oder sie sich erinnern. Der Unterschied besteht darin, dass, obgleich es kein verbales Erinnern früher Traumen und Deprivation gibt, der Körper sich mit seiner Haltung, seinem Gesichtsausdruck, chronischem Husten und ständigen Ängsten sich erinnert. Wir müssen Erinnerung mit dem organischen Gesamtzustand abstimmen. Es ist nicht machbar, wenn der Patient aufrecht in einem hell erleuchteten Raum sitzt und objektiv über die Dinge diskutiert. Es gibt viele Erinnerungssysteme, nicht zuletzt unser Immunsystem, das eine Impfung über Jahrzehnte "erinnert."

Wir können also sehen, dass alles, was sich selbst kognitive Therapie nennt, gelinde gesagt begrenzt ist. Täuschen Sie sich nicht, ich betrachte Psychoanalyse als kognitiven Ansatz, der mit ein paar Tränen besprenkelt ist, um ihn von anderen Methoden abzugrenzen. Es geht immer noch um Einsicht und Gedanken. Über die Vergangenheit eines Patienten zu diskutieren bedeutet, eine Gehirnebene des Patienten zu benutzen, die zu jener Zeit nicht präsent war und somit nicht wahrnehmen konnte, was sich abspielte. Dieses Gehirn ist ein Fremder. Es kann nur raten, was sich drinnen im Unbewussten befindet, und die Vermutung eines jeden anderen ist genauso viel wert. Die Vermutung eines Therapeuten, die aus einer alten Theorie heraus zustandekommt, ist bestenfalls ungültig. Aber sie kann den Klang, die Authentizität einer wohlkonstruierten Theorie haben und deshalb glaubwürdig sein.

In meinen psychoanalytischen Tagen verbrachte ich lange Zeit damit, Träume zu analysieren. Es war ein nettes intellektuelles Spiel, aber ich habe nie gesehen, dass sich daraus Fortschritte ergaben. Die Traumanalyse stellt die Evolution auf den Kopf. Sie benutzt einen sich spät entwickelnden frontalen Neokortex um herauszuknobeln, welche Gefühle sich im limbischen System verbergen - das System, das die Bilder in einem Traum fabriziert. Im Fall von Eva hatten wir es mit sehr frühem eingeprägten Schrecken zu tun, der in ihr Leben und in ihre

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Träume drang. Evas Träume waren oft voller Schmerzbilder. In ihren Träumen fühlte sie sich verletzt, einsam, isoliert und ohne Hilfe. Diese Schmerzschicht lag unmittelbar unter der Gedankenebene. Als sie die Ursache des Schreckens fand und ihn fühlte, gab das ihrem Traum Bedeutung. Um der Evolution zu folgen müssen wir die limbische Sprache sprechen, in die Gefühle des Traums versinken, die immer präzise sind, und die Bedeutung wird sich ganz von selbst aus diesen Gefühlen ergeben. Zwischen verbaler Sprache und Gefühlssprache liegen Welten. Die Bedeutung von Traumbildern ist ein direkter Ableger des Gefühls selbst, das sehr tief im Gehirn liegen kann. Träume haben keine universelle Bedeutung, sondern nur eine persönliche. Die einzige Person, die weiß, was ein Traum bedeutet, ist eben diese Person.

Ich praktizierte Freudsche Einsichtstherapie in den ersten 17 Jahren meiner Praxis und musste immer raten, was sich im Gehirn des Patienten abspielte. Die Vermutung basierte immer auf erhaltenem Wissen - übernommen aus Theorien, die jetzt mehr als 100 Jahre alt sind. Das ist jetzt nicht mehr nötig.

PATIENTEN HELFEN DORTHIN ZU GELANGEN, WO SIE HINGEHEN MÜSSEN

Aufzugphobie liefert ein gutes Beispiel, wie Erinnerung funktioniert - und wie Erinnerung schließlich der Schlüssel zur Heilung ist. Wir betreten einen geschlossenen Raum. Wir sind ängstlich. Wir haben keine Gedanken oder Erinnerungen, warum das so ist, aber wir sind sehr nervös. Aber das untere Gehirn "erinnert sich" daran, wie wir zum Beispiel gleich nach der Geburt in einen Inkubator gelegt wurden. Warum sonst sollten wir plötztlich nervös werden? Es ist hier klar, weil die Angst spezifisch, begrenzt und eindeutig definiert ist. Im Allgemeinen haben wir bei Angst nicht so viel Glück. Die Angst ist weitgestreut und nicht auf eine Sache zentriert. Aber ein einzelner Umstand wie ein Aufzug oder eine Höhle können eine Erinnerung und einen Schrecken auslösen, ohne dass man sich der Begebenheit verbal oder gedanklich entsinnen könnte. Es ist eine Körpererinnerung. Wenn der Patient, anstatt dass man versucht, die Phobie mit Vernunfterklärungen wegzuargumentieren oder sie durch eine verhaltenstherapeutische Methode wegzukonditionieren, sich fügt und in diese Angst eintaucht, können wir sie bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgen. Es ist ein Prozess des totalen Eintauchens. Oder bei Angst im Allgemeinen helfen wir dem Patienten, indem wir spezielle Techniken benutzen, in den physiologischen Schrecken und dann in seine Einprägung zu gelangen. Es bedeutet, dass man sich der Empfindung hingeben muss.

Wir bemühen uns sehr in unserer Therapie, den Patienten zur Quelle des Wissens zu machen. Es ist die Aufgabe des Primärtherapeuten, historische Realität ausfindig zu machen, wohin sie auch führen mag. Der Therapeut ist ein Katalysator, der dem Patienten folgt und ihn dorthin führt, wohin er gehen muss. Es bedeutet, dass er keine vorgefassten Ideen darüber hat, welche Gefühle der Patient zu fühlen hat, und keine vorgefassten Einsichten.

 

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Vielleicht bagatellisiere ich die Rolle des Therapeuten in der Primärtherapie, denn schließlich sind sechs Jahre Ausbildung nötig, um die von uns verwendeten Techniken zu erlernen. Auch fortgeschrittene Primärtherapeuten besuchen jede Woche Trainingssitzungen. Und unser Training basiert auf einer unabänderlichen Gleichung: Das Maß an Zugang und Empathie, das wir anderen gegenüber haben, ist ein direktes Ergebnis des Maßes an inneren Zugang zu uns selbst. Je näher wir uns selbst sind, umso näher können wir anderen sein und für sie empfinden. Je mehr wir fühlen, umso mehr können wir die Gefühle in unseren Patienten spüren. Aber in unserer Therapie gehört die Macht mit Recht dem Patienten, nicht einem allwissenden väterlichen Therapeuten. Wir wollen den Patienten nicht seiner Neugier und Entdeckungen berauben. Alles, was er entdecken muss, liegt bereits in ihm und wartet auf Befreiung.

Der linke frontale Kortex kann darüber nachdenken, was mit uns in der frühen Kindheit geschah, aber er hat nicht die Macht, Gefühle auszugraben. Überdies muss Einsicht immer vom Patienten kommen, nicht vom Arzt, und sie muss der Entwicklung des Patientengehirns folgen: erste Linie zuerst, zweite Linie als zweites und Verknüpfung und Einsicht auf der dritten Linie zuletzt. Einsichten müssen aus dem rechten Gehirn kommen, und wir sehen das unter anderem an dem mühelosen Gedankenfluss, nachdem ein Patient ein Feeling gehabt hat. In der kognitiven Therapie wird das nicht ersichtlich. Wir können im Gesicht des kognitiven/analytischen Patienten sein Nachdenken sehen, wenn er versucht, aus dem linken Gehirn heraus eine gewisse Einsicht zu entwickeln. Im Gegensatz dazu scheinen keine Gedankenprozesse abzulaufen bei Patienten, die in einer Primärsitzung gerade aus einem Feeling herausgekommen sind. Ihre Einsichten haben so eine Aura der Wahrheit um sich, und dann sagt der Patient: "Deshalb habe ich das getan." Wenn die Gefühle erst wiedergewonnen sind, kann der denkende Kortex seinen Beitrag an Brillianz dem Gefühl hinzufügen und zurückschauen und sehen, wie dieses unbewusste Gefühl welches neurotische Verhalten und welche Symptome produziert hat. Der Patient findet endlich die Erklärung für sein lebenslanges Verhalten. Ich glaube, es ist vielleicht eines dieser biologischen Gesetze: Wenn wir über eine Einsicht nachdenken müssen, ist es keine wahre Einsicht. Wenn nicht, dann ist sie es. Die Einsicht muss uns von unten treffen, ein "Aha!"-Erlebnis. Ich denke, dass der wesentliche Unterschied zwischen unserer Methode und der kognitiven der ist, dass sie den Kopf des Patienten "frontal gerade" richten wollen und dass wir ihnen ihr Leben zurückgeben wollen. Das bedeutet Gefühle, die der Kern des Lebens sind.

Einsicht muss immer vom Patienten kommen, nicht vom Arzt, und sie muss der Entwicklung des Patientengehirns folgen: erste Linie zuerst, zweite Linie als zweites und Verknüpfung und Einsicht auf der dritten Linie zuletzt.

 

 

Fortsetzung Buch Seiten 141 - 181

 
TEIL I A , SEITEN 1 - 35         TEIL I B, SEITEN 36 - 70               TEIL I C , SEITEN 71 - 106 TEIL II A, SEITEN 107 - 140      TEIL II B, SEITEN 141 - 181     TEIL II C, SEITEN 182 - 208
TEIL III A, SEITEN 209 - 240                TEIL III B, SEITEN 241 - 272   BUCHÜBERSETZUNG: BÜCHER VON A. JANOV                                             HOME