Das
Gehirn funktioniert wie alle anderen Körperorgane. So wie sich die
Pupillen des Auges automatisch zusammenziehen, wenn sie mit sehr
unerfreulichen Szenen konfrontiert werden, wird sich das Gehirn als
Reaktion auf schmerzvollen Input verschließen. Schmerz bewirkt, dass sich
so ungefähr alles verschließt oder zusammenzieht, einschließlich
unseres Wahrnehmungsapparats. Das ist zuallererst ein Überlebensmechanismus.
Er erlaubt uns, gerade so viel zu fühlen, dass wir nicht überwältigt
werden und schubst uns dann von allem weg, das Erinnerungen auslösen könnte,
die den alten Schmerz hervorbringen und uns daran hindern würden, in der
Welt zu manövrieren.
Wenn wir etwas nicht sehen wollen, bedecken wir unsere Augen. Eltern können
ein schweigsames, mürrisches Kind anschauen und nie sehen, dass es
leidet; es ist von der Realität abgeschirmt, zuerst durch seine innere
Realität und dann durch die äußere Realität. Schmerz lenkt uns von der
Realität weg, so dass wir funktionieren können. Die Eltern sehen, was
sie sehen wollen – gutes Benehmen und ein nettes, ruhiges Kind, das auf
seine Manieren achtet. Eine Mutter kann den tyrannischen Raufbold
betrachten, den sie da großgezogen hat und immer noch „Mamas guten
Jungen“ sehen. Eltern, die an „Christian Science“ glauben, können
ihr krankes Kind sterben sehen und sich dennoch weigern, einen Arzt
aufzusuchen. Das Glaubenssystem hat von der ganzen Wirklichkeit Besitz
ergriffen bis zu dem Punkt, an dem der Tod des Kindes in Kauf genommen
wird. Wenn wir als Eltern Kinder benutzen, um alte schmerzvolle Bedürfnisse
zu befriedigen, sehen wir wahrscheinlich über diese Bedürfnisse nicht
hinaus und nehmen die Gräuel nicht wahr, die wir vielleicht begehen.
Aber neugeborene Babys fühlen, lange bevor sie denken können. Frühe
Traumen – kämpfen, um durch den Geburtskanal zu kommen, ständig von Lärm
attackiert zu werden, fallen gelassen werden und sich dadurch unsicher zu
fühlen, als Baby nicht genug Zuneigung zu
bekommen – sind für das Neugeborene unbegreiflich. Es hat keine
Logik zur Verfügung, die sich auf seine Qualen anwenden lässt. Der linke
präfrontale Zerebralkortex – oder die denkende Psyche – scheint erst
ab einem Zeitpunkt mindestens drei Jahre nach der Geburt reif
(symbol- und denkfähig) zu funktionieren. Jüngste Studien zeigen,
dass ein Kind erst nach dem Alter von drei Jahren symbolisch sein kann.
Das heißt, es kann etwas als Symbol von etwas anderem sehen. Eine
Landkarte kann ein Territorium darstellen; Gott ist Hoffnung oder Liebe.
Von da an ist das Kind fähig, etwas so zu sehen, wie es nicht ist –
seine Augen und Gedanken vor der Wirklichkeit zu verschließen – irreal
zu sein. Das ist der Anfang der zwei Selbsts; eines real, das andere
irreal.
Am Lebensanfang ist das Kind in derselben Lage wie unsere frühen
Vorfahren, die nur einen primitiven Neokortex hatten, um mit Widrigkeiten
fertig zu werden. Wie wir uns als Individuen entwickelten, rekapituliert
auf umfassende Weise die Entwicklung der Menschheit. Der logische,
rationale Kortex entstand erst ziemlich spät in der Phylogenese. Als vor
langer Zeit das Leben für den Frühmenschen zu hart wurde, waren die
Lebensbedingungen so beschaffen, dass wir Hilfe benötigten, um einen
Ausweg zu ersinnen. Das Überleben erforderte, dass Menschen neue
Abwehrmechanismen entwickelten. Widrige Umstände trieben und zwangen
unsere fernen Vorfahren dazu, problemlösende Fähigkeiten zu erschaffen
– kurz gesagt einen Kortex. Als Überlebensmechanismus wanderten Zellen
nach oben und außen, um den neuen Kortex oder den Neokortex zu formen.
Dieses neue Gehirn war fähig, seinen Besitzer auf eine neue Weise zu
verteidigen. Es konnte verstehen, rechnen, denken und rationalisieren. Es
konnte Ideen entwickeln.
Ich habe in anderen Büchern darüber geschrieben, wie sich unsere Psyche
in verschiedenen Evolutionsstufen entwickelte und wie die Psyche selbst in
drei unterschiedliche Sub-Psychen unterteilt ist. Das Folgende fasst kurz
Material zusammen, das in Primal Healing (5) enthalten ist.
Die Menschen als Spezies entwickelten zuerst die Überlebens-Psyche. Die
Überlebens-Psyche reguliert unsere Atmung, unseren Herzschlag und hält
unseren Blutdruck auf konstantem Niveau. Ein Stück weiter im
Evolutionsprozess entstand die Gefühlspsyche und dann die Gedankenpsyche.
In der Gefühlspsyche werden Gefühle oder Emotionen verarbeitet. Die
Gedankenpsyche ist mit Worten und Gedanken, mit Sprache und Logik
assoziiert.
Die Tatsache, dass wir „gehirntot“ sein können, verbildlicht die
Existenz dieser unterschiedlichen Psychen. Die Überlebens-Psyche gibt
weiterhin Atmungsbefehle, auch wenn die Gefühls- und Gedanken-Psyche
bereits unwiderruflich beschädigt sind. Kürzlich gebar eine „tote
Frau,“ die keine neurologische Reaktion zeigte, ein Baby. Jede dieser
Psychen entspricht einer Bewusstseinsebene:
Erste
Ebene
(erste Linie):
viszeral, sensorisch
Befasst
sich mit Empfindungen
Vermittelt
körperliche Impulse und Zustände
Mit
der Überlebenspsyche assoziiert
Zweite Ebene
(zweite Linie):
affektiv-expressiv
Involviert
in die Erzeugung und den Ausdruck von Emotion
Mit
der Gefühlspsyche assoziiert
Produziert
Bilder und Traumsymbole
Dritte
Ebene (dritte Linie): Kognition, Denken
Versteht,
unterscheidet und sorgt für Bedeutung im Zusammenhang mit Gefühlszuständen
Mit
der Gedanken-Psyche assoziiert
SCHLEUSUNG
Diese drei Bewusstseinsebenen arbeiten die ganze Zeit, jede mit ihrer
individuellen Funktion. Um die Verdrängung von Schmerz aufrecht zu
halten, benutzt das Gehirn einen Prozess, der als Schleusung bekannt ist.
Schleusung ist die Kommunikationsblockade von einer Bewusstseinsebene zu
einer anderen. Insbesondere gewährleistet das Schleusensystem, dass
Information aus dem Kraftwerk einer tieferen Ebene nicht auf die Ebene
vollen Bewusstseins aufsteigt. Eine Person, die von eingeprägtem Schmerz
dazu getrieben worden ist, ein Glaubenssystem anzunehmen, hat keinen
Zugang zu der Bewusstseinsebene, auf der das Trauma ursprünglich eingeprägt
wurde. Deshalb befindet sie sich in einer Art Koma, in dem sie von dunklen
Mächten gesteuert wird. So weiß sie nicht, dass ihr Glaubensbedürfnis
von machtvollen frühen Traumen stammt, von vereiteltem und unerfülltem
Bedürfnis. Die Ideen, die sie aufgreift, sind ein Symbol der eingeprägten
Erinnerung. Aber aufgrund der Schleusung gibt es keine Verknüpfung
zwischen beiden. Der Grund: Verknüpfung/Realität bedeutet Schmerz.
Anstatt sich also in Qualen zu winden und „Mutter, halte mich!“ zu
schreien/weinen, glaubt diese Person an die Wärme eines Gurus. Diese Wärme
ist immer lindernd, symbolisch, weil sie den Ursprung nicht kennt. Während
einer Sitzung wendet sie sich automatisch dem Glauben an einen liebevollen
Gott oder liebevollen Guru zu, der Liebe und Schutz verspricht. Aber der
Guru verlangt Gehorsam, und sie ist willig, entweder einem Priester oder
dem Guru zu gehorchen. In unserer Therapie greifen wir den Glauben auf und
lassen zu, dass das System selbst ihn in das Gefühl und Bedürfnis
umwandelt, das er in Wirklichkeit ist. Sobald wir die Ursachen entfernen,
bleiben die Symbole auf der Strecke. Es gibt nichts mehr, das ihnen als
Standbein dienen könnte.
Schleusung trennt Gedanken von Gefühlen und Gefühle von Empfindungen. Während
die Schleusen zu tieferen Bewusstseinsebenen geschlossen sind, können die
sogenannten „Wahrnehmungstüren“ im Kortex durch eine
Glaubensvorstellung beeinflusst und eingeschränkt werden, deren Form und
Inhalt die Barrikaden verstärken. Aber da die Schleusung eine Barriere
errichtet hat zwischen Kognition und eingeprägter emotionaler Realität,
etabliert sich das Glaubenssystem in der Psyche tatsächlich dadurch, dass
es durch die „Fehlwahrnehmungstüren“ Eingang findet. Wie funktioniert
Schleusung biochemisch?
ENDORPHINE
Schmerz und Neurose verändern buchstäblich das
Gehirn. Eine Reihe von Studien deuten darauf hin, dass mit zunehmendem
Schmerz immer mehr Neuronen eingesetzt werden, die sich mit ihm befassen.
Wenn wir leiden, tritt das Verdrängungs-Schleusungs-System des Gehirns in
Aktion und schirmt das Ereignis oder die Einprägung, die das Leiden
verursacht, vom vollen Bewusstsein ab. Schließlich wird ein Gutteil
des Gehirns zu einer schmerzverarbeitenden Maschine anstatt zu einem
realitätsverarbeitenden Organ. Neurale und kortikale Gewebe werden zum
Dienst einberufen, und die biochemischen Fabriken in uns sorgen dafür,
dass die Realität abgesondert bleibt und dass wir irreal bleiben.
Wir wissen jetzt, dass das Gehirn morphin-ähnliche Substanzen absondert,
die man Endorphine und Serotonin nennt. Endorphine sind natürliche
Schmerztöter (Morphinanaloge); unser Körper stellt sie her, um Schmerz
zu bekämpfen. Die Endorphine/das Serotonin werden überall im Gehirn
hergestellt, besonders aber in diesen Arealen, die Schmerz verarbeiten und
speichern. Wir haben einen ziemlich raffinierten Herstellungsprozess für
die Biochemikalien, die wir brauchen, um Schmerz zu unterdrücken – eine
hochentwickelte Apotheke, die ihre Aufträge direkt vom Gehirn
entgegennimmt; es bestimmt, welche Art von Schmerztötern zu produzieren
sind und in welcher Stärke. Und der frontale Kortex entscheidet, welche
Glaubensvorstellungen er benötigt. Wenn das Grundbedürfnis und Grundgefühl
Unsicherheit ist, weil niemand da war, um auf das Baby aufzupassen, wird
es der Glaube an jemanden sein, der/die „über uns wacht.“
Glaubensinhalte sind kein Zufall. Das Gehirn würfelt nicht mit seiner
Biologie. Es überlässt den Glauben nicht dem Zufall.
Das limbische System ist das Verarbeitungs- und Speicherzentrum für Gefühle
und emotionale Erinnerung. Es befindet sich in einem Ring von Strukturen
– einschließlich der Amygdala und des Hippocampus – unmittelbar unter
dem Neokortex der obersten Ebene. Limbische Strukturen speichern den
emotionalen Inhalt schmerzvoller Vergangenheits-Ereignisse. Seine
Strukturkomponenten sind mit Seroronin/Endorphin geladen; somit finden wir
an dem Ort, wo wir schmerzvolle Gefühle finden, auch ihre Gegenspieler.
Das limbische System bewerkstelligt nicht nur die Organisation von
Emotionen sondern auch deren Verdrängung. Schmerzvolle Gefühle scheinen
ihre eigene Verdrängung hervorzurufen; Schmerz mobilisiert das Gehirn
dazu, sich selbst vor einem Trauma zu schützen.
Eine Reihe von an Mäusen und Ratten durchgeführten Experimenten zeigt,
dass früher Lebensstress und frühes Trauma das Opiatrezeptor-System verändern,
so dass es später einer größeren Menge
dieser Neurotransmitter bedarf, um Schmerz zu betäuben. Das Gehirn
ist durch diese früheren Ereignisse tatsächlich verändert worden.
Anders gesagt verändert uns ein psychisches Ereignis physiologisch. Die
Gehirnstruktur wird verändert durch dieses flüchtigste und nebulöseste
aller Ereignisse, durch einen psychischen Stressor. Lange bevor wir
Alkohol entdecken, um den
Lebensschmerz zu betäuben, produzieren unsere Körper ihre eigenen
Schmerztöter, die Endorphine, das Serotonin und andere Opiate.
Die Psyche jedes Kindes entwickelt sich nach ähnlichem Muster. Ungefähr
vom dritten Monat nach der Zeugung bis etwa zum sechsten Lebensmonat des
Kindes werden Ereignisse auf der ersten Bewusstseinsebene registriert; das
heißt, dass widrige, schädliche Ereignisse die zu dieser Zeit höchste
Ebene neuraler Funktionen einbeziehen. Somit werden Ereignisse während
der Schwangerschaft nur auf der ersten Linie verarbeitet.
Nach dem sechsten Lebensmonat prägen sich Ereignisse auf der emotionalen
Ebene ein. Zum ersten Mal werden emotionale Bindungen und Gefühlszustände
organisiert. Aktivität der dritten Linie beginnt ein paar Jahre später.
Sie entwickelt sich weiter im Verlauf unserer Reifezeit bis in unsere
zwanziger Lebensjahre hinein und deckt sich mit der Entwicklung des
zerebralen Kortex.
Anders gesagt haben wir eine Reihe von Erfahrungen, lange bevor wir
versuchen können, aus dem schlau zu werden, was mit uns geschieht –
Erfahrungen, die Gedanken und Logik vorausgehen. Später graviert die Welt
um uns herum emotionalen Inhalt auf der Schieferplatte unseres
sensorischen Bewusstseins ein.
Ich erinnere mich, dass einer unserer Patienten ein Primal hatte ( ein
totales Wiedererleben eines frühen Traumas), in dem er Blut schmeckte.
Seine Mutter hatte eine eingerissene Plazenta, was sie ihm später bestätigte.
Verifizierung kam auch aus der Klinik. Seine Mutter hatte während des
Geburtsvorgangs einen Herzstillstand erlitten und war nahezu tot. Eine
enorme Dosis eines Betäubungsmittels hatte die Herzattacke katalysiert;
das Mittel hatte auch das Baby erreicht und legte sein Atmungssystem lahm,
so dass auch er beinahe tot geboren wurde. Diese Art traumatischer Geburt
– eine Situation, in der das Neugeborene erstickt, während es um sein
Leben kämpft - hinterlässt eine Einprägung von höchster Valenz auf der
ersten Bewusstseinsebene des Individuums. Sie ist ein gutes Beispiel für
Primärschmerz.
Dieser Patient war wochenlang nach seiner Geburt allein gelassen worden, während
seine Mutter sich erholte. Dieses Verlassensein wickelte noch mehr Trauma
in sein neurologisches System. Er hatte keine Worte oder Verstandeskräfte
zur Verfügung, keine Möglichkeit sich zu verteidigen. Als er vier Jahre
alt war, verließ sein Vater, ein Tyrann, seine Mutter (und ihn ebenso).
Seine Mutter wurde daraufhin völlig depressiv. Sie weinte die ganze Zeit,
funktionierte generell nicht mehr und kümmerte sich nie um das Kind –
eine erschütternde Verlassenheit. Als er acht Jahre alt war, begann seine
Mutter, die sich einsam und frustriert fühlte, den kleinen Jungen zu verführen
und ihn sexuell zu liebkosen; es war eine unlösbare Zweideutigkeit; das
Letzte, was er brauchte. Das war das Ende seines realen Selbsts und der
Anfang seines irrealen Selbsts.
Im Alter von fünfzehn Jahren – jetzt ausgerüstet mit einem der Aufgabe
angemessenen Kortex – fand er „Gott“ und wurde zu einem inbrünstigen
Gläubigen. Sein Kernglaube war: „Vertraue Gott. Er wird dich nie im
Stich lassen. Er wir dich nie verlassen. Er wird immer gut zu dir sein.“
Bevor er einen funktionierenden Kortex hatte, mit dem er „Gott“
herstellen konnte, war sehr viel Schaden über ihn gekommen. Tatsächlich
hatten seine Eltern ihn immer fallen lassen und waren nie gut zu ihm
gewesen. Gott trat für ihn als Lösung seiner Probleme in Erscheinung,
ein symbolischer Elternteil, der ihn vor dem Elend seines Lebens beschützen
konnte. Wieviel Schmerz überhaupt kann ein Mensch ertragen?
Die folgende Geschichte erzählte ein mit der Therapie beginnender
Patient, als er am Rande eines größeren Feelings stand. Vergessen Sie
nicht, dass aufsteigende Gefühle die Gedanken bildenden Neuronen dazu
antreiben, Glaubensvorstellungen anzufertigen. Solange Gefühle nach oben
und nach vorne drängen, muss der Kortex etwas tun, um seine
Unversehrtheit zu bewahren: Glaubensvorstellungen. Mit Gehirnbegriffen
ausgedrückt muss sich das rechte präfrontale Areal (wo Gefühle auf höheren
Ebenen organisiert werden) zurückhalten, zuviel Information an die linke
Hemisphäre zu senden. Wenn angehäufte Gefühle auf tieferen Ebenen ins
volle Bewusstsein durchzubrechen drohen, wird die linke Seite wirklich
aktiv (Schleusung findet auch zwischen rechter und linker Hemisphäre
statt). Es folgt der Bericht des Patienten. Er kannte die Herkunft seiner
Vorstellungen nicht; er war zu sehr damit beschägtigt, an sie zu glauben.
Eines der Schlüsseltraumen bei Frauen, die diese Art von Ideenbildung
hervorbringen, ist früher Inzest. Sehen Sie, was durch katastrophale Gefühle
ausgelöst wird: Man könnte sagen, dass er von Gott gerettet wurde. Ich würde
mir zu sagen erlauben, dass er von der Gottesidee gerettet wurde. (6)
♦♦♦
Gegen
Mitternacht hörte ich mit dem Beten auf, und ich wartete, und ich
wartete, und ich wartete und wartete und wartete. Mitten in der Nacht - in
einer wundervollen Nacht - saß ich in meinem Arbeitszimmer in Laguna
Beach im Schneidersitz vor meiner Bibel, ruhig, einfach wartend, hellwach,
nicht schlafend. Ungefähr gegen 1:30 morgens ereignete sich die folgende
Sequenz:
Ich sah eine Explosion blau-weißen Lichts hinter meinen Augen, es ging plötzlich
von meinen Augen auf meinen gamzem Körper über, und mein ganzer Körper
füllte sich mit blau-weißem Licht, heller als eine Blitzlampe, und
wiederum „löste ich mich auf,“ wie ich es Ihnen vorher auf diesem
Band beschrieben hatte, ich wurde ein Nebel, ein Dunst, ich verlor meine
Gestalt, meine Form, mein Gewicht, meine Schwere. Ich wusste nicht, wo
meine Hände und Füße waren. Ich hatte eine leichte Migräne auf meiner
linken Kopfseite. Sie war verschwunden. Ich hatte ein wenig Rückenschmerzen,
weil ich eineinhalb Stunden mit überkreuzten Beinen dagesessen war. Sie
waren verschwunden.
Und plötzlich hatte ich dieses starke Gefühl, dass ich plötzlich
irgendwohin bewegt wurde. Dann erblickte ich tatsächlich zwei oder drei
Sekunden später vor meinen geschlossenen Augen ein riesiges schneeweißes
Rechteck, dreidimensional, zehn Fuss breit, zehn Fuss tief und vielleicht
zwanzig Fuss hoch. Und als es für mich deutlicher wurde, erkannte ich,
dass ich auf einen Thron blickte. Und ich konnte durch ihn hindurchsehen.
Der Thron war aus Licht gemacht, und meine Augen wanderten nach oben und
gelobt sei Gott! Ich sah IHN, der auf dem Thron saß, und über eine
Minute lang blickte ich direkt ins Angesicht von Jesus Christus, des Königs,
des Heilands. Ich war dort. Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.
Es ist wahr. Er lebt.
Jesus Christus ist der Weg. Er sagte: „Ich bin
der Weg, die Wahrheit und das Licht, und niemand kommt zum Vater als durch
mich.“ Amen. Es ist wahr. Kein Mensch auf Erden sagte je diese Worte außer
Jesus Christus. „Ich bin die Wiederauferstehung und das Leben. Wer auch
immer an mich glaubt, wird leben, obgleich er tot war. Und wenn ein Mensch
lebt und an mich glaubt, wird er nie sterben.“ Unglaubliche, unglaubliche
Worte, und weißt du was? Sie sind wahr. Als ich dort war, als ich im Thronsaal war
und auf das Angesicht meines Erlösers starrte, auf dieses Antlitz der
Perfektion, der perfekten Ehrlichkeit, ein Antlitz ohne Arglist, ein
Angesicht voller Liebe, fühlte ich mich absolut verehrt, geliebt und
geachtet. Ich fühlte, dass mir alles verziehen war. Und ich war mir sehr
bewusst, dass ich in dieser und jener Hinsicht den Erwartungen nicht
entsprochen habe. Und plötzlich sah ich mit meinen Augen, und plötzlich
verstand ich, wie dreckig und verseucht und verschmutzt wir sind. Der
Psalmist König David hatte philosophisch und fragend in einem seiner
Psalme sinniert: „Oh Herr, was ist der Mensch, dass Du ihn beachtest?“
Und wissen Sie was? Dasselbe frage ich mich auch. Gott, warum hast du dich
gekümmert? Ich meine, du bist so vollkommen, und wir sind so erbärmlich.
Warum hast du dich gekümmert?
Nun, die Antwort findet sich in Johannes 3:16.
Eine Schrift, von der viele Leute gehört haben, aber sie ist absolut wahr.
„Gott liebte die Welt so sehr, dass er seinen einziggeborenen Sohn sandte
und dass wer auch immer an Ihn glaubt nicht sterben sollte sondern ewiges
Leben haben sollte.“ Und ich habe es dir vorher gesagt, und ich sage es
dir noch einmal. Er vertraute uns seine Liebe an, und obgleich wir doch Sünder waren, starb
Jesus Christus für uns. Es ist ein außergewöhnliches Ereignis in der
menschlichen Geschichte. Gott in Gestalt des Menschen, das WORT wurde
Fleisch, und er weilte unter uns, kam auf Erden und zahlte den Preis, so
dass wir frei waren.
Was bedeutet der Ausdruck „wiedergeboren“?
Wiedergeboren bedeutet, dass der Geist des lebendigen Gottes in dich kommt
und dass du aus dem Geist geboren wirst. In Johannes 3:2 ist ein Gespräch
verzeichnet zwischen Jesus und einem Pharisäer namens Nicodemus. Nicodemus
kam in der Nacht zu ihm und sagte: „Meister, du musst von Gott kommen,
den niemand könnte die Dinge tun, die du tust, es sei denn, er kommt von
Gott.“ Jesus nutzte die Gelegenheit, um das Thema zu wechseln, und ER
sagte: „Ich sage dir wahrlich, solange ein Mensch nicht wiedergeboren
wird, kann er das Königreich Gottes nicht sehen.“ Nicodemus, ein vernünftiger
und wohlerzogener Mann, sagte: „Wie kann ein ausgewachsener Mensch ein
zweites Mal in den Leib seiner Mutter gehen und ein zweites Mal geboren
werden?“ Jesus sagte: „Solange ein Mensch nicht von der Frau und vom
Geist geboren wird, kann er das Königreich Gottes nicht sehen, denn was
vom Fleisch geboren wird, ist Fleisch, und was vom Geist geboren wird, ist
Geist. Wahrlich, ich sage dir, du musst wiedergeboren werden. Wundere dich
nicht über das, was ich gesagt habe, du musst wiedergeboren werden.“
Ein Mensch, der das vielleicht liest, könnte sagen: „Okay, Doc, das ist
schön, wie werde ich denn wieder geboren?“ Nun, der Römerbrief 10:9
sagt: „ Wenn du mit deinem Munde bekennen wirst, dass Jesus Christus der
Herr ist und in deinem Herzen glaubst, dass er durch Gott von den Toten
auferstanden ist, wirst du gerettet werden.“ Und ich habe diesem Brief
eine Abhandlung beigefügt, die das Gebet des Sünders beinhaltet.
Und meine Frage an alle lautet: „Wer ist dafür bereit?“ Nun, ich
glaube, die einzige Antwort darauf ist: Die Leute, die wissen, dass sie
wissen, dass sie wissen, dass sie wissen, dass sie zu Gott gehören. Jetzt
hat Gott überall im Alten und Neuen Testament versprochen, sich um Sein
Volk zu kümmern in der Zeit der Wirren.
Der Gott, der Shadrach, Meshach und Abednego vor dem Feuer gerettet hat,
ist voll bereit, voll fähig und äußerst engagiert, seine Leute vor dem
Feuer dieser Zeit zu retten. Wisse jetzt mit Sicherheit, dass die
Botschaft des Evangeliums keine Botschaft der Furcht ist.
Gott will nicht, dass Leute durch Furcht zu Ihm kommen (aber ich vermute,
eine Menge Leute werden zu ihm durch Furcht kommen), aber das war nicht
beabsichtigt. Gott liebt dich. Er verehrt dich. Er liebt dich mit einer
immerwährenden Liebe, die niemals versagt. Er liebt dich so sehr, dass er
Seinen eigenen Sohn sandte, dass er für uns starb. Aber, Gott ist heilig,
Gott ist rechtschaffen.
Was ich von Jesus Christus auf seinem Thron sah, einen Gott des Lichts,
mit überhaupt keiner Dunkelheit, fand ich wieder in den Worten von Job.
Job hatte gesagt, als er Gott im Wirbelwind sah: „Ich hatte von dir gehört
duch das Gehör meiner Ohren, aber jetzt sehen dich meine Augen mit der
Erschauung meiner Augen, und dafür (interessantes Wort), dafür
verabscheue ich mich selbst, und ich tue Buße in Staub und Asche.“ Du
siehst, die meisten Menschen haben keine Vorstellung, was das Wort
„heilig“ bedeutet.
Lange ehe du und ich als
alte Männer und alte Frauen eines natürlichen Todes im Fleische sterben
werden, kommt Jesus Christus wieder zurück, und bevor er kommt, werden wir
den Tag des Herrn sehen. Du musst deine ganze Konzentration und
Aufmerksamkeit auf Ihn richten, der die Wahrheit ist, weil Jesus Christus
die Wahrheit ist.
Wenn du an Gott glaubst, wird er dich erlösen. Aber
du kannst Gott
nicht Ehre geben, du kannst für ihn nicht arbeiten, du kannst nicht
Zeugnis ablegen für ihn, solange du nicht wiedergeboren wirst. Jesus
Christus ist der Weg.
Wenn du grundsätzlich Gottes Weg wählst anstatt
Satans Weg, wird dich
Gott ins Königreich bringen, Sein Königreich, aber es muss nicht so grob
werden. Es könnte viel besser als das sein. Psalm 91 verzeichnet das. Er
beginnt mit diesen schönen poetischen Worten: „Er, der am geheimen Ort
des Höchsten wohnt, wird im Schatten des Allmächtigen verweilen.“ Und
dann steht weiter unten geschrieben: „Eintausend werden zu deiner Linken
fallen, dann Zehntausend auf deiner rechten Seite, aber es wird keine
Nacht über dich kommen.“
Ich denke, es gibt für Christen einen Weg, durch
die große Trübsal zu kommen, den Schutz des Höchsten. Wenn du Gott vertraust,
wird er dich
befreien. Aber du kannst Gott nicht Ehre geben, du kannst für ihn
nicht arbeiten, du kannst nicht Zeugnis ablegen für ihn, solange du
nicht wiedergeboren wirst. Jesus Christus ist der Weg.“
♦♦♦
Erst
viel später im Verlauf der Primärtherapie begann er, das Trauma
wiederzuentdecken, das seit dem Grauen seiner Geburt in seinem
Unterbewusstsein eingeprägt worden war.
Ich habe ausführlich über das Geburtstrauma geschrieben. Ich zitiere
hier aus dem Journal of the Medical Association: „Die Gefahren, denen
der Fetus ausgesetzt ist, erreichen während der Wehen einen Höhepunkt.
Die Geburt ist das gefährlichste Erlebnis, dem die meisten Individuen je
ausgesetzt sind. Der Geburtsprozess ist selbst unter optimalen,
kontrollierten Bedingungen ein traumatisches und potentiell verkrüppelndes
Ereignis für den Fetus.“ (7)
Das Neugeborene, das die Qualen der Geburt überlebt hat, das keine Worte
hat und keine Abwehr, das sich keine Packung Marlboros herausziehen oder
zum Kühlschrank gehen kann, um sich ein Bier zu holen, lässt die Dinge
einfach über sich ergehen. Die Erinnerung an das Ereignis kann man in
nahezu jeder Körperzelle finden. Sie hat die Kraft eines inneren
elektrischen Sturms, und sie erzeugt Verdrängungskräfte im Körper, um
sie zu deckeln. Die Deckel können Gedanken sein; bestätigt wird das
durch Gehirn-Scans, die zeigen, dass die Gefühlszentren weniger aktiv
sein, wenn die gedankenbildenden Sektoren aktiv werden. In der Art einer
Schaukel gleicht jedes Areal das andere aus und deutet schlüssig darauf
hin, dass Gedanken als Abwehrmechanismen gegen Gefühle benutzt werden.
Wir können diesen Sturm messen, wenn Patienten ein Geburtsprimal
durchmachen. Wir sehen massive Mengen an Gehirnneuronen im Einsatz, wobei
die Amplitude – das heißt die Gesamtmenge der mitwirkenden Neuronen –
sich verdoppelt und verdreifacht, bevor die Sitzung beginnt. Der Patient
liegt untätig da, so dass diese massive Ladung eindeutig kein Ergebnis
physischer Aktivität ist. Unterdessen geht seine Temperatur um zwei oder
drei Grad hoch, und sein Puls und Blutdruck können sich verdoppeln. Der
elektrische Sturm filtert in den Körper heraus und erzeugt erhöhte
elektrische Energie in den Muskeln, die sehr angespannt und stramm werden.
Ich habe das so oft gesehen, dass es keinen Zweifel daran aufkommen lässt.
Das Trauma ist immer da, und die elektrische
Kraft richtet immer Schaden der einen oder anderen Art an. Wir haben einen
Weg gefunden, den Deckel der Verdrängung anzuheben und etwas zu sehen, das sich Jahrzehnte früher
ereignet hat. Das geschieht mit Leuten in nahezu jedem Land auf der Welt,
und viele von ihnen haben nie von einem Geburtstrauma auch nur gehört und
würden nicht wissen, was es ist, wenn sie es sähen.
Derselbe elektrische Sturm bricht während des Schlafs aus, wenn die Verdrängung
an ihrem Tiefpunkt ist (lange, langsame Gehirnwellen) und die Erinnerung
ins Bewusstsein klettern kann. Der Schrecken, den man in einem Albtraum fühlt,
kann der des allerersten Lebenskampfes sein. Du bildest dir ein, dass es
wirklich der Alligator ist, der aus dem Fluss kommt, um dich zu holen,
oder dass die Häuser auf dich herabstürzen oder dass ein Räuber versucht,
dich
zu erwürgen, aber tatsächlich sind das die symbolischen Bemühungen des
Gehirns, das wirkliche Trauma zu verdecken und es vom vollen Bewusstsein
fern zu halten (z.B. Strangulierung an der Nabelschnur). Das ist die
Raison D’Être, der Daseinszweck für Unbewusstheit: Sie bewahrt uns
davor, dass wir uns die meiste Zeit unseres Lebens in Qualen auf dem Boden
winden. Das Schleusensystem lässt uns unbewusst bleiben und beschützt
uns dauerhaft vor der elektrischen Überlastung, die in uns verdrahtet
ist.
Es gibt einige Gefühle, die, so glaube ich, nahezu unfühlbar sind. Wenn
bestimmte Gefühle durch weitere verstärkt werden, dann haben sie eine so
überwältigende emotionale Ladung, dass sie den Kortex zwingen,
Glaubenssysteme zu erfinden, die gleichsam in Zement gegossen worden sind
– nämlich psychotische Ideenbildung. Wir können
dadurch erkennen, dass die Basis vieler Psychosen ein Trauma der
ersten Linie ist, dass die Gedankenbildung in Anpassung an den Schmerz völlig
überzogen ist – dass sie keine zerebrale Vernunft hat und sich
wahrscheinlich vor unserer Fähigkeit zur Vernunft ereignete. Glücklicherweise
lässt sich oben Gesagtes ändern, denn wir haben alle möglichen
Tranquilizer, die wir Patienten anbieten können, um die Kraft des
Feelings zu mindern und es fühlbar zu machen.
Meine klinische Beobachtung sagt, dass es
unwahrscheinlich ist, dass jemand sich entscheiden würde, ohne Hilfe auch
nur Bruchstücke dieser überwältigenden Gefühle zu erleben. Wenn du kein Primal gesehen hast, nicht gesehen
hast, wie Patienten Stunde um Stunde weinen, schreien, sich in Schmerz
winden, oder es nicht selbst erlebt hast, dann kannst du wahrscheinlich
die Menge verdichteter Gefühle, die im Nervensystem liegen, nicht einschätzen.
Es ist viel leichter, Glaubenssysteme als Ausweg aus dem Schmerz zu
formen, als Weg, um den Horror, der unseren tieferen Bewusstseinsebenen
innewohnt, zu transzendieren. Doch paradoxerweise nenne ich ihn einen
Schmerz, der nicht weh tut; Patienten haben es eilig, zum Fühlen ins
Primal Center zu kommen, weil sie wissen, dass Gefühle den Albtraum
schließlich beenden werden. Wenn der Schmerz gefühlt worden ist, wird er
zu einem integrierten Feeling und ist seiner Kraft beraubt – der Kraft,
die uns in bizarre Glaubensvorstellungen treibt.
Das Glaubenssystem war für diesen Patienten eine letzte Zuflucht. Solange
er und andere es als religiösen Glauben anerkennen, bleiben sie
anscheinend davon verschont, mit Schande bestraft zu werden. Aber ist der
Glaube maßgeschneidert, wird die Sache klebrig. Sein Kortex, der voll auf
der Flucht war, konstruierte mit starrsinniger Beharrlichkeit Gedanken,
die dem Schmerz angemessen waren. Er suchte sich nur Leute aus, die seinen
Glauben teilten, und mied alle, die es nicht taten. Es ist kein Wunder,
dass ein auf Schmerz beruhendes Glaubensbedürfnis uns dazu treibt, außerirdische
Kräfte und Wesen zu studieren, oder uns in die Hände eines Menschen
treibt, der verspricht, dass er uns liebt und beschützt und uns den Sinn
des Lebens erklärt. Das Fremde, Bizarre, Esoterische, sogar Pathologische
wird fazinierend, weil uns nichts in diesem Leben an das erinnern darf,
was hier auf der Erde mit uns geschah.
Ein anderer Patient von mir diskutierte mit mir
über die Kraft, die einige Gefühle haben. Um seine Meinung zu
illustrieren, brachte er folgendes Beispiel: Er hatte eine Operation wegen
Lungenkrebs gehabt – ein lebenslanger Raucher. Während er unter Narkose
war, wurde ihm von seiner rechten Schulter ein kleiner Hautkrebs entfernt.
Eine Woche nach dieser Prozedur begann er, die Operation wiederzuerleben.
Aber diesmal fühlte er sie ohne die Narkose, weil er auf einer anderen
Bewusstseinsebene war, auf der das Anästhetikum offensichtlich nicht
wirkte. Er spürte, wie das rohe Messer tief in seine Haut hineinschnitt.
Vor Schreck und Angst fing er zu schreien an. Gleichzeitig fühlte er, dass
er in einen dunklen Kegel fiel, der immer enger wurde, und er fiel, fiel,
fiel und er wusste, dass das Ende des Kegels der Tod war. Während er
hinabfiel, glaubte er, sterben zu müssen. Er schrie. Seine schrecklichen
Schreie ließen die Wände und Fenster erzittern. Plötzlich kam ihm die
Idee: „Gott wird dich retten“ Gott wird dich retten. Er machte Schluss
damit und wurde total nüchtern. Es gab keinen Schmerz mehr, kein nichts
mehr, und er fühlte, dass Jesus ihn gerettet hatte. Er hat sich einen
Erretter angefertigt; andernfalls müssen wir glauben, dass Gott über sechs
Milliarden Leute wacht und weiß, wann er eingreifen muss. Er muss schwer
beschäftigt sein. Glücklicherweise scheint das Gehirn schlauer als Gott zu
sein, denn es weiß wirklich, wann es eingreifen und Ideen entwickeln muss.
Das wurde in den langen Milliarden Lebensjahren auf diesem Planeten
erlernt: wie wir uns verteidigen können, kurz gesagt, aufgrund von
Darwin, wie wir überleben können.
In einem meiner früheren Bücher erörterte ich, dass selbst Pflanzen
Abwehrsysteme haben: Alles Leben ist für das Überleben gerüstet.
Wir sehen also wieder, dass er nicht „von Jesus gerettet“ wurde,
sondern von der Jesus-Idee, weil er in Gefühle gegangen war, die so tief
waren und solche Kraft hatten, dass das Gehirn das Gegenteil produzierte
– bizarre und irre Ideen. Nackt vor diesem qualvollen Schmerz stehend
musste der Patient ein wiedergeborener Christ werden und dann
leidenschaftlich auf dieser Konvertierungs-Erfahrung beharren, um nicht in
diese Gefühle zurückzufallen. Einige Gefühle sind so tief, dass es,
wenn sie durch frühen Lebensstress und Deprivation verstärkt werden,
schwer wird, sie zu erleben.
Elisabeth, die nachfolgend ihre Geschichte erzählt, verbrachte zwölf
Jahre als Anhängerin des Guru Maharaji. Er wurde in Indien geboren; ihr
Gott war dreizehn Jahre alt, als sie ihn zum ersten Mal reden sah. Wie
Koresh und Jim Jones und Rajneesh hatte dieser Guru eine utopische Vision.
Er sprach darüber, der Erde den Frieden zu bringen und uns angesichts
unserer jetzigen Lebensweise „die letzte Entwicklungschance“ zu geben.
Er sammelte eine weltweite Gefolgschaft, ganz zu schweigen von einem beträchtlichen
Vermögen. Elisabeth hielt ihn jahrelang für ein göttliches Wesen. Er
war ihr neuer Vater und seine Mutter war ihre neue Mutter. Wie so viele
Gefangene des Glaubens resultierten Elisabeths unerfüllte Kindheitsbedürfnisse
in ihrem „verzweifelten Bedürfnis, geführt zu werden.“ Ihr Vater,
ein Alkoholiker, war emotional nicht verfügbar, ihre Mutter war
hysterisch und missbrauchend. Ungeliebt und terrorisiert fand sie früh im
Leben einen Weg, um mit der Hysterie ihrer Mutter zurecht zu kommen. Sie
lernte, nicht zu widersprechen, nicht zu streiten, nicht selbstständig zu
denken oder Gefühle auszudrücken, die ihre Mutter vielleicht vor Zorn
explodieren ließen und sie veranlassen könnten, ihr ins Gesicht zu
schlagen. Ihr reales Selbst, das sie ihren „Geist“ nennt, starb und
wurde durch ein „gutes kleines Mädchen“ ersetzt, das „in einem
Koma“ war. Ihr irreales Selbst wurde später zu einem Schüler von Guru
Maharaji, der ihr Lebenssinn anbot anstatt Verzweiflung und ihre
Hoffnungslosigkeit durch Hoffnung ersetzen wollte. Sie glaubte, dass ihr
Gehorsam, ihr Dienst und ihre Meditation den Kampf für den Weltfrieden
unterstützen würden. Elisabeth überlebte ihre Kult-Erfahrung – anders
als die achtundsechzig Leute, die mit David Koresh starben, und die
neunhundert oder so, die mit Jim Jones starben. Aber in allen diesen
Jahren war sie gewissermaßen tot, befand sie sich immer noch in dem Koma,
zu dem sie ihre frühen Erfahrungen verbannt hatten. Wenn man sie gebeten
hätte zu beschreiben, wer Elisabeth war, hätte sie nicht gewusst, was
sie sagen sollte; höchstwahrscheinlich hätte sie ein Dogma von den
Lippen ihres Gurus benutzt, um sich und ihren Lebenszweck zu definieren.
Ihre Eigenwahrnehmung war nicht existent; sie hatte keine authentischen
Gedanken oder eigene Meinung. Sie hatte wenig Verknüpfung mit dem, was
sie fühlte.
♦♦♦
ELISABETH
Ich verbrachte zwölf Jahre mit dieser Gruppe, in
diesem Glaubenssystem. Der Guru Maharaji, ein Junge, war wie eine
Vaterfigur für mich. Mehr als eine Vaterfigur in unserer Organisation;
wir glaubten, dass er göttlich sei. Wir glaubten, er sei Gott. Nun, das
vermasselt dir wirklich dein Glaubenssystem über das Leben und dich
selbst, wenn du glaubst, ein anderes Individuum sei göttlich. Wenn du
wirklich denkst, jemand sei Gott, ist ihr Wille plötzlich dein Wille und
du hast keine Identität. Mein ganzes Leben war ich in einem Koma. Die
eine oder andere Art von Trance. Als ich mit meiner Familie aufwuchs, war
ich in einer Trance. Ich war nicht ich selbst, lebte nicht mein Leben. Ich
war nicht das Zentrum meiner Existenz. Stellte mich nicht der Realität,
welcher Art auch immer. Einfach ein gutes kleines katholisches Mädchen.
Ich stand immer an der Kante, versuchte es hinzukriegen. Ich ging aufs
College, nahm eine Menge Drogen und war in einer anderen Realität. Und
dann war ich bei dem Guru. Das war eine andere Trance. Der Guru verkündete,
dass er der Welt den Frieden bringen werde und dass er das durch etwas
machen werde, das er WISSEN nannte. Das war seine persönliche Mission,
und deshalb war es unsere Mission. Ich habe nie gewusst, wer ich wirklich
bin. Wer ist diese Person überhaupt?
Ich denke, ich bin etwa zu fünfzig Prozent die Person, die ich
sein will.
Meine Kindheit war sehr unerfreulich. Ich hatte einen trunksüchtigen
Vater und eine misshandelnde Mutter. Während ich aufwuchs, hatte ich
keinen Kontakt mit ihm. Wir hatten nie eine Unterhaltung. Ich frage mich
oft, wie er ohne Alkohol gewesen wäre. Er lebte mit uns in dem Haus, aber
er war selten zuhause, und wenn er nach Hause kam, stritten meine Eltern
jeden Tag. Gewöhnlich kam er nach Hause und versuchte sein Abendessen zu
sich zu nehmen und ins Bett zu gehen und uns gewissermaßen aus dem Weg zu
gehen. Aber meine Mutter ließ ihn nicht. Sie war eher das Problem als
mein Vater. Diese zwei passen sehr gut zusammen, der abwesende Vater und
die betrogene Ehefrau, die so viel Wut hat. Sie war eine tobende
Geisteskranke. Sie fing immer einfach mit den Abend-Ereignissen an, ständig
keifend und schreiend. Dann misshandelte sie uns körperlich. Sie nahm
sich gerne heraus, uns eine reinzusemmeln, eine sehr beschämende Art von
Verhalten. Sie hat diese Art von Misshandlung in ihrer Vergangenheit.
Meine Familie ist wie eine gestörte Familie aus dem Lehrbuch. Das war die
Atmosphäre ringsum das Haus. In meiner Familie sagtest du nie, dass du
etwas nicht tun wolltest. Du sagtest nie, dass du etwas nicht essen
willst. Meine Mutter war so volatil, dass du einfach nie etwas
angezweifelt hast. Und ich glaube, das hielt uns gewissermaßen genau so
bei der Stange wie jede Drohung, für alle Ewigkeit in der Hölle zu
schmoren. Ich wusste, mit ihr zu leben bedeutete, eine falsche Bewegung zu
machen und sie würde explodieren. Also haben wir nichts gemacht. Ich weiß
nicht, wie alt ich war, als ich das gelernt habe. Ich stelle mir einfach
vor, das von ganz klein auf gewusst zu haben.
Vor einigen Jahren war ich eine Zeit lang in Hypnotherapie. Wir machten
eine Menge regressiven Stoff. Ich wusste nie, ob es aus der Realität kam
oder nicht, die Dinge, die ich wahrnahm und interpretierte, oder ob sie
Fantasien waren oder was auch immer. Aber in einer meiner Sitzungen
erinnerte ich mich deutlich, wie ich als Baby in der Wiege lag und bewusst
sagte: „Weine nicht, weil wenn du weinst, dann kommt sie. Du willst
nicht, dass sie kommt.“ Sie war so eine furchterregende Macht. „Nein,
du willst diese Frau nicht hier haben, also weine einfach nicht.“ Und
das war sozusagen die Devise. Sie war so eine Narzisstin. Ihr Drama war
der Brennpunkt unserer Familie. Niemand von uns widersetzte sich, grundsätzlich
nicht. Wir hatten keine Gefühle. Wir hatten keine Meinungen. Wir redeten
nie. Wir existierten einfach nicht. Ihre Wut, ihr Zorn, ihre Verbitterung
war das Drama, das aufgeführt werden durfte. Und alles andere existierte
nicht. So bist du immer im Abseits gestanden. Das ist ein ziemliches Ding.
Bis heute tue ich mich unheimlich schwer, mich
auszudrücken, besonders wenn ich wütend bin oder verletzt. Ich gewöhnte
mich so daran, mit Schmähungen überhäuft zu werden und es nicht zu
bestreiten. Die Leute konnten mich einfach verbal misshandeln oder
emotional misshandeln, und ich akzeptierte es immer. „Okay, okay,“ sagte
ich trotz allem, um Frieden zu halten. Als
Mensch lerne ich gerade, wie ich mich um mich selbst kümmern kann. Ich
wurde katholisch erzogen. Spirituell war das mein Glaubenssystem. Ich ging
auf katholische Schulen und stellte es nie in Frage. Ich war ein gutes
kleines katholisches Mädchen. Ich glaubte an Gott.
Jesus, Familie, Amerika, Regierung, Rente, wenn man in den Ruhestand geht.
Die Regierung ist gut, Ich bin gut, alles ist gut – auch wenn ich in
meinem Zuhause die Hölle ausbrechen sah. Das einzige Mal, dass ich meinen
Glauben angezweifelt habe, war in der High School. Sonntagvormittag
spielte ich für die Messe die Orgel in der Kirche. Das war das einzige
Mal, dass ich mehr oder weniger entfernt war. Wenn du direkt in der Mitte
von etwas bist, kannst du es nicht sehen. Aber damals war ich ein bisschen
oberhalb, beobachtete, was da alles geschah. Es war ganz anders, ganz
fremd, wie: „Was machen diese Leute dort unten? Worum geht es da?“ Als
ich auf’s College fortging, ging ich am ersten Sonntag, der daherkam,
nicht in die Kirche – und es war meine Entscheidung, in die Kirche zu
gehen oder nicht, während ich vorher keine Wahl hatte, nicht mal den
Gedanken daran. Und von da an hörte ich einfach auf, ohne Schluckauf,
ohne Seelensuche oder Schuld oder irgendwas. Es war vorbei. Es war
erstaunlich für mich, wie schnell es einfach verschwand. Die katholische
Religion ist dogmatisch. Du glaubst an das Dogma mehr als an deine eigenen
Gefühle. Vielleicht war das der Nährboden für den Guru, weil ich dieses
Dogma annehmen konnte und meine Gefühle nichts bedeuteten. Ich war es
gewohnt, mich nicht darauf zu verlassen, dass meine Sinne und
mein Verstand mich führen würden. Ich war sehr daran gewöhnt,
einfach zu folgen. Egal, was ein anderer mir sagte, fein, genau das hab’
ich getan.
Ich war auf dem College, als sie Robert Kennedy und Martin Luther King Jr.
erschossen. Das tötete meinen Glauben an die Regierung. Nach zweieinhalb
Jahren auf dem College wurde ich allmählich politischer, fing an, ein
paar Drogen zu nehmen. Und ich hatte so das Gefühl, dass ich nicht Teil
des militärischen imperialistischen Establishments sein wollte, das
Vietnam schuf und das Klassensystem in Amerika schuf. Ich wollte nicht in
der Schule sein, sie fing an, mich zu indoktrinieren.
Damals war es uncool, auf die Schule zu gehen. Die meisten von uns stiegen
aus. Ich erinnere mich, wie ich zum Dekan ging und sagte: „Ich weiß
nicht, warum ich hier bin. Ich habe hier keine Perspektive.“
Was ich wirklich wollte, war, eine Künstlerin zu sein. Als ich ein
kleines Mädchen war, hat meine Mutter das nie gefördert. Als ich aufs
College ging, war das alles, was ich tun wollte, und sie ließ mich nicht.
Sie sagte: „Als Künstlerin wirst du nie Geld machen, also kannst du das
nicht machen.“ Als Erwachsene, vor drei oder vier Jahren – ich habe
immer allen die Grußkarten gemacht – bekam sie eine meiner Karten und
sie sagte: „Gott, du warst immer so eine große Künstlerin. Als du aufs
College gingst, warum hast du nicht Kunst genommen?“ Und ich sagte –
es war, als würde mein Magen gleich explodieren, und mein Herz fing zu
pochen an – ich sagte: „Weil du es nicht zugelassen hättest.“
Und weißt du, was ihre Antwort war? „Warum hast du auf mich gehört?“
Nachdem ich das College verlassen hatte, war ich ein „Hippie,“ ein
Blumenkind. Ich war an einem Punkt in meinem Leben, wo ich nichts wollte.
Ich wohnte mit ein paar anderen Leuten in einem kleinen Haus. Wir hatten
keine Elektrizität, kein Wasser. Unsere ganze Kleidung war bei der
Heilsarmee gekauft. Wir hatten keine Jobs. Wir lebten ein wirklich
einfaches Leben. Ich habe nichts als liebevolle Erinnerungen an jene Zeit.
Es war so eine Art John Lennon Sache, wo wir eine Revolution
wollen, aber stattdessen musst du deine Seele befreien. Wir erkannten
gewissermaßen, dass die Veränderung von innen heraus geschehen würde.
Wir wurden zu Spiritualisten.
Als der Guru Maharaji aufkreuzte, war das sehr fruchtbarer Boden für
seine Botschaft. Guru Maharaji war zu der Zeit wohlbekannt als ziemlich
junger Bursche, der von Indien kam. Als ich ihn zum ersten Mal sprechen
sah, war er dreizehn. Es war draußen in den Bergen von Colorado. An jenem
Tag saßen wir einfach da und hörten zu, wie er sprach. Er sprach davon,
den Frieden auf die Erde zu bringen. Darüber, Frieden und Verständnis in
unser individuelles Leben zu bringen. Und darüber, ihm zu folgen. Es war
ein sehr berauschendes Erlebnis. Tatsächlich halluzinierte ich. Es lag
buchstäblich etwas sehr Magisches in der Luft, und ich nahm keine Drogen.
Wirklich, sobald ich ihm begegnete, war Schluss damit. Ich nahm keine Drogen
mehr. In seiner Gegenwart zu sein und die Dinge zu besprechen, über die
wir redeten, versetzte mich einfach in einen gehobenen Geisteszustand. Ich
war sehr angezogen von ihm. Ich wurde seine Anhängerin. Eingeführt wurde
ich in Colorado. Er hatte Initiatoren. Sie zeigten uns einfach, wie man
meditiert. Es gab Techniken, die sie uns geheim zu halten baten. Es war
eine lange Prozedur, viele Stunden. Der ultimative Zweck von all dem war
die Hingebung an den Guru. Alles war darauf ausgerichtet, die Hingebung an
den Guru zu entwickeln und zu vergrößern. Meditiere, um deine Hingebung
zu verstärken. Weil wenn du meditierst, wirst du ein offenes reines Gefäß,
und diese Liebe kann durchkommen.
Zwei Monate lang ging ich mit einer Gruppe von fünfhundert Leuten nach
Indien. Wir charterten zwei Jumbo Jets – einen von Europa und einen von
Amerika. Wir waren alle da im größten Aschram, den der Guru in Indien
hatte. Er war in Haridwar. Er war wunderschön. Er hatte wunderschöne
Rosengärten. Das Grundstück lag direkt am Ganges. Der Himalaya war da.
Als Hippie, der in den Bergen gelebt hatte, war ich sehr ans primitive
Leben gewöhnt. Es gab dort sehr wenig Elektrizität. Es gab kein fließendes
Wasser. Wir kochten unser ganzes Essen draußen auf offenem Feuer, in
diesen großen Gußeisentöpfen. Wir wuschen unsere Kleider im Ganges.
Einfach zwei Monate sehr einfachen Lebens. Meditation. Dienst tun den
ganzen Tag. Dienst ist selbstloses Handeln in Hingabe an den Guru.
Jede Nacht redete er. Es war faszinierend, ihn zu beobachten, und er war
ein hübscher Anblick. Er hatte eine Form wie der Buddha. Sehr rund und
korpulent. Goldene Haut. Wunderschöne Augen. Unglaubliche Hände. Sie
waren sehr ausdrucksvoll; er nutzte sie, um zu kommunizieren. Ich liebte es, einfach
seine Hände zu beobachten, wie sie aussahen und wie er sie benutzte, wenn
er sprach. Und er trug nette Kleidung. Er war wunderschön. Jede Nacht war
wie eine Party. Es wurde immer gesungen. Hingebungsvolle Lieder. Indische
Musik, Sitars, Tablas. Wir waren im Himmel – es war eine sehr
berauschende Zeit. Ich hatte viele hocheuphorische Erlebnisse damals.
Spirituelles Erwachen. Erlebnisse mit ihm, die dazu führten, dass ich übertrieben
fanatisch wurde. Ich glaubte an ihn. Und ich glaubte, es sei meine
Mission, seine Botschaft zu verbreiten. Das würde der Weg sein, auf dem
der Friede auf die Erde gebracht werden würde. Wir würden diejenigen
sein, die Aschrams gründen. Das hoffte er. Er würde uns nach da nach
Indien bringen, und wir würden dieses kleine Saatgut sein, das er um die
Welt herum zurückschicken würde, und genau das geschah. Wir kamen zurück
und gründeten alle diese kleinen Zentren überall im Land. Wir fingen mit
der Missionierung an.
Das Hauptquartier entwickelte einige generelle Richtlinien, und wir
setzten sie einfach um. Jedes Haus hatte eine Person, die für alles
verantwortlich war, eine Person, die Kassenführer war. Eine andere Person
war die Hausmutter, die sich ums Kochen
und Saubermachen kümmerte. Diese Leute arbeiteten nicht draußen.
Sie waren in Vollzeit damit beschäftigt, den Aschram in Stand zu halten.
Alle Haushalte wurden immer sehr sauber gehalten.
Die anderen Leute arbeiteten draußen. Ihre Einkommen gingen direkt
in die Vereinskasse und ernährten uns alle. Ein großer Anteil von jedem
Haus ging an den Guru.
Der Aschram, den wir begonnen hatten, lag in der Randzone der Stadt, mit
ein paar Morgen Farmland. Ein ganz normales Haus: moderne Küche, ein großes
Wohnzimmer, das so eingerichtet war, dass Außenstehende nachts kommen und
die Botschaft hören konnten. Die einzige Dekoration an den Wänden war
ein Bild des Gurus und seiner Familie. Der wertvollste Besitz, den du
haben konntest, waren Bilder des Guru. Ich hatte wahrscheinlich eine der
besten Kollektionen ringsum – eine riesige Schachtel voller Bilder von
ihm aus der Zeit, als er ein sehr kleines Baby war. Alles war ziemlich
schlicht, spartanisch. Die Schlafzimmer hatten Etagenbetten. In einem
Schlafzimmer waren in der Regel vier Mädchen in zwei Etagenbetten. Es war
ziemlich voll. Als das Ganze zu wachsen anfing, bekamen wir große alte Häuser,
die eine Menge Schlafzimmer hatten, und immer mehr Leute lebten in einem
Haus, in einer Art Kommune. Es gab keine Privatsphäre. Ich habe immer noch Albträume darüber, in dem Aschram zu
sein, darüber, dass er so überbevölkert war. Du warst selten allein im
Bad. Um Ihnen zu zeigen, wie sehr ich es hasste: Ich lebe seit dieser Zeit
allein. Aber damals war mir nichts bewusst, das ich mochte oder nicht
mochte. Das war irrelevant. Der entscheidende Punkt war, dass wir ein
Leben in Hingebung an den Guru lebten. Nicht anders als eine katholische
Nonne. Wir glaubten an die Grundregeln der Armut, Keuschheit und
Gehorsamkeit. Du hattest mit niemanden ein körperliches oder emotionales
Verhältnis. Wir standen frühmorgens auf. Sangen diese Lieder und
meditierten. Dann gingen wir los, um zu arbeiten. Wir gingen nicht ins
Kino. Hielten uns nicht auf dem Laufenden mit den Nachrichten. Wir hatten
keinen TV. Wir waren strikte Vegetarier im Sinne von kein Fleisch, Fisch
oder Eier. Aber wir aßen sehr gut. Deprivation gehörte nicht dazu. Es
war sehr offen – nicht dass wir eine weltabgeschiedene Gruppe von Leuten
waren. Jede Nacht hatten wir hingebungsvolle Treffen. Es gab Musik, Musik,
die unserem Lebensstil dienlich war. Wir hatten ein bisschen was von Al
Jarreau.
Ich hätte es nicht als Kult bezeichnet. Und ich hasste es immer, wenn die
Leute es einen Kult nannten. Kult bedeutete für mich immer, du warst in
dieser wirklich abgeschlossenen Umgebung und da waren Leute mit Gewehren,
und Deprivation. Regeln. Wirkliche Indoktrination. Aber im Sinne von
"wir-gegen-sie", ja, da war es ein Kult. Wir bezeichneten alle anderen als
„die Außenwelt,“ wie z.B. „in der Außenwelt denken die Leute
so.“ Das ist nicht anders als wenn du heranwächst; meine Mutter verwies
immer auf die Familie auf der anderen Straßenseite. „Die Jones machen
es so,“ etcetera. Wir/sie ist eine Methode, um Angst zu erzeugen, die
die Herde eng zusammenhält. In der katholischen Kirche ist es die Angst
vor der Hölle. Wenn du nicht katholisch warst, würdest du zur Hölle
fahren, das war’s. Bei dem Guru dachten wir: „Die Außenwelt versteht
es nicht.“ Zum Beispiel
wurde es nicht unterstützt, dass wir in der Nähe der Familie waren. Das
war etwas, das wir wirklich hinter uns lassen sollten. Für mich war es
großartig, jemand, der mir sagte, es sei gut, meine Familie hinter mir zu
lassen. Der Guru war unser neuer Vater, und seine Mutter war unsere neue
Mutter. Die Familie konnte als Feind betrachtet werden, indem sie
versuchen würde, uns wegzunehmen. „Die Außenwelt“ war der Feind in
dem Sinne, dass ihre Ignoranz verhindern würde, dass der Frieden auf die
Erde gebracht wird. Und das war unsere Mission – eine ziemlich edle
Mission zu glauben, was du tust, trägt dazu bei. Ich erinnere mich, dass
der Guru selbst mehrmals sagte: „Gerade jetzt leben wir in einer
einmaligen Chance der ganzen Evolution.“ Genau das geschah. Ich hatte
das Gefühl, dass ich als Anhängerin nicht gut genug war. Ich vergab die
Chance der ganzen Evolution. Seine Initiatoren sagten: „Du warst
millionenfach verheiratet, du warst millionenfach reich. Du warst
millionenfach berühmt. Das ist jetzt die Lebenszeit, um hingebungsvoll zu
sein. Reinkarnation war die akzeptierte Sache. Du warst hier auf diesem
Lebensrad des Karma, und das war die Lebenszeit der Erleuchtung, so dass
du vom Lebensrad absteigen konntest.
So war unser Glaube. Ich hatte nie ein Gespräch mit ihm. Das war wie das
Höchste: In seine Gegenwart zu kommen und mit ihm zu reden. Wir taten
alles dafür. Ich sagte zu ihm vielleicht ein oder zwei Worte. Natürlich
war ich extrem nervös und verschüchtert. Ich sah ihn auf diesem
Festival. Ich hatte schwer für ihn gearbeitet, ohne Vergütung. Ich lebte
nicht in der Stadt, in der er lebte, aber mein ganzes Leben war auf ihn
zentriert. Ich rief an und fragte, ob ich kommen und ihn aufsuchen könne.
Und sie ließen mich zu ihm hinunterkommen. Ich war vielleicht fünf
Minuten bei ihm. Er war wirklich freundlich zu mir, sehr nett, sehr
liebevoll. Im Kern sagte er: Warum kommst du nicht und wohnst hier?“
Also habe ich das gemacht. Es war wie – so viel auszugeben, um einen
kleinen Krümel zurückzubekommen, einen Krümel Aufmerksamkeit. Es ist
ziemlich krank. Er war nie grob oder grausam oder so in der Art, aber es
war einfach nicht richtig. Er ist nicht göttlich. Aber auf eigenartige
Weise fühlte ich mich von ihm geliebt. Er war Gott, verstehst du. Ich
musste die ganze Zeit in meinem Herzen mit ihm reden. Da war dieses ständige
Beten und diese fortwährende Kommunikation. Ich glaubte, er könnte mich
hören. Er könnte hören, was meine Sorgen waren und meine Gebete
beantworten. Und ich glaube, in dieser Zeit habe ich einige gute Werte
erworben. Selbstlosigkeit, Leidenschaft für etwas. Disziplin. Lernen, wie
man das Beste aus sich herausholt, das sich manifestiert in dem, was du
tust. Wenn ich etwas für ihn getan
habe, habe ich es bestmöglich getan. Zuwendung. Ich empfand sehr viel
Liebe, wirklich sehr viel Liebe für die Leute. Es gab ein Familiengefühl,
das ich natürlich nie gehabt hatte.
Während meiner Zeit im Aschram war ich beinahe sieben Jahre lang in
jemanden verliebt. Schließlich zogen wir zusammen aus und waren zwei
Jahre zusammen. Aber ich lebte ein klösterliches Leben, und das war ein
großes Nein-Nein für Beziehungen. Die meiste Zeit, die ich mit diesem
Mann zusammen war, waren wir nicht sexuell, weil ich dafür einfach zu
ausgeflippt war. Ich bekam schreckliche Schuldgefühle und mir war, als hätte
ich die falsche Wahl getroffen. Ich hatte das Gefühl, mit meinem Weggehen
einen Fehler gemacht zu haben und dass ich mit meinem Wunsch, mit diesem
Mann zusammen zu sein, der materiellen Welt erlegen war. Ich fühlte, dass
ich „die Chance der ganzen Evolution“ verpasste. Ich beendete die
Beziehung und kehrte wieder zurück. Es war wirklich eine unglückliche
Sache. Wir liebten uns sehr.
Zuerst blieb ich jahrelang in der Umgebung des Aschram, denn ich glaubte
wirklich, was ich tat, war gut. Aber nachdem ich aus Schuldgefühl wieder
eingezogen war, wurde es hässlich. Ich arbeitete hart, wirklich lange
Tage. Es gab eine Menge Zeug zu tun, und ich arbeitete doppelt hart, um zu
beweisen, dass ich eine gute Anhängerin war. Wir planten Welttouren für
den Guru und alle seine Initiatoren. Spenden sammeln, das jährliche
Festival plannen, sein Haus in Schuss halten. Und ich begann, Fehler und
Risse in der Organisation zu sehen – das Verhalten unter den Leuten im
Umfeld. Der Machtrausch und so. Wir wurden die ganze Zeit angebrüllt,
weil wir nicht genug machten. Die Leute, die näher am Guru waren, hatten
eine bessere Lebensqualität. Die Häuser, in denen sie wohnten, die
Autos, die sie fuhren. Sie schienen ein paar „süße Mäuse“ um sich
zu haben. Während wir die Arbeitssklaven waren, und uns waren solche
Vergnügen nicht erlaubt. Der Guru hatte eine reizende Familie, eine Menge
Kinder, schicke Häuser, tolle Autos, während wir uns nicht einmal
verlieben durften. Ein Jahr oder zwei, bevor ich fortging, hatte ich einen
Zusammenbruch. Ich hatte Herzpochen, Ohnmachtsanfälle. Ich konnte die
meisten Lebensmittel nicht essen. Sie ließen mich eine Pause nehmen. Ich
nahm mir sechs Wochen frei und bekam meine Gesundheit zurück. Emotional
fiel ich auseinander. Ich war nur noch ein emotionales Wrack. Ich hatte
nicht viel Selbstwert. Ich hatte keine Identität mehr. Sie war mir nach
und nach ausgesaugt worden. Ich war die ganze Zeit so aufgewühlt. Ich war
einfach so unglücklich. Am Anfang war es euphorisch. Nach zwölf Jahren
war es schlicht Elend. Ich wachte ständig mit dieser Angst auf: „Oh
mein Gott, was ist, wenn die Außenwelt Recht hat?“
Die Entscheidung wegzugehen war vielleicht ein Prozess von sechs Monaten.
Ich fing an, darüber nachzudenken, hatte deswegen ziemliche Schuldgefühle,
redete mit den Leuten darüber. Sie kamen und redeten mit mir und sagten
mir, sie glaubten nicht, dass das ein weiser Zug sei, und dass ich mir
wirklich viel verscherzen würde. Sie waren besorgt, und sie wollten
sicher gehen, dass ich das Richtige tat. Niemand hat je versucht, mich
hinaus zu bekommen. Gleichzeitig versuchte ich, wieder mit meinem Freund
zusammenzukommen. Ich ließ ihn wissen, dass ich den Aschram verließ und
dass ich mein Leben mit ihm verbringen möchte. Aber es war zu spät. Ich
werde nie seinen letzten Satz vergessen. „Offen gesagt, mein Liebling,
pfeife ich drauf.“
Eine Frau, die eine Menge Arbeit direkt mit dem Guru gemacht hat, verließ
ihn ein Jahr oder zwei, nachdem ich weg war. Ich hatte ein Gespräch mit
ihr. Als auch für sie alles zu zerbröckeln begann, setzte sie sich eines
Nachts zu ihm an den Esstisch und fragte ihn, was wichtiger sei, ihre persönliche
Entwicklung oder ihre Hingabe an ihn? Er sagte: „Hingabe an mich.“ Da
sagte sie einfach „Tschüss.“ Für mich brachte es das auf den Punkt.
Es war alles für ihn. Ich hörte auf zu, ihn für etwas Göttliches zu
halten und begann, ihn als sehr fehlerhaften Menschen zu sehen, genau so
wie ich. Weißt du, im Alter von sieben Jahren sagte man ihm, er sei Gott
und dass seine Mission sei, Frieden auf die Erde zu bringen. Für ihn als
Kind war sein Glaubenssystem auch ein ziemliches Durcheinander. Als Gott
und der Guru, der den Planeten von allen seinen Krankheiten erlösen
sollte, führte er nur aus, was ihm auferlegt worden war.
Ich war zwölf Jahre lang in einer spirituellen Organisation, und das
Endergebnis war, dass ich keinen Gott hatte. Ich war entblößt von jeder
spirituellen Verbindung. Das ist die schlimmste Sache, die du einem
Menschen antun kannst. Als Kind war mir das angetan worden; meine Seele
wurde mir einfach ausgeschlagen. Dann wieder diese Situation. Zu der Zeit,
als ich den Guru verließ, war ich an dem Punkt von „auch wenn er Gott
ist, scheiße ich darauf, weil ich das nicht brauche. Wenn das Gott ist,
wenn das das ist, was Gott mit meinem Leben macht, will ich Gott nicht.“
Ich war so leer, so bitter, ich glaubte an niemanden und nichts. Ich
glaubte nicht ans Leben. Im Grunde hatte ich nichts mehr. Ein paar Kleider
und Bücher. Eine Schachtel voller Bilder des Gurus. Ich stieg in das Auto
und fuhr quer durchs Land – ganz allein dreitausend Meilen. Es war eine
Kombination aus sich frei fühlen, entsetzt sein, allein sein, verängstigt,
verwirrt. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken. Ich fuhr 600 Meilen am Tag,
fünf Tage hintereinander. Ich war wirklich aufgewühlt. Als ich nach
Needles kam, war ich völlig auseinandergefallen. Ich war körperlich
krank. Ich rief meine Schwester an und sagte ihr, dass ich nicht wisse, ob
ich noch weiterfahren könne. Ich weinte mir die Augen aus. Sie sagte nur:
„Du schaffst es, du schaffst es.“ Ich stieg ins Auto und fuhr weiter.
Ich kam um acht Uhr morgens in San Bernardino an. Verkehr Stoßstange an
Stoßstange, und ich musste nach L.A. . Und ich schrie aus voller Lunge: „Was mache ich hier?Was
habe ich getan?“ Die Leute in den Autos neben mir müssen gedacht haben,
dass ich eine entflohene Irre sei. An dem Punkt wusste ich einfach nicht,
wie das enden sollte. Schließlich erreichte ich das Haus meiner
Schwester. Ich hupte. Sie kam heraus. Ich konnte nicht einmal aus dem Auto
aussteigen. Sie trug mich ins Haus. Ich schlief einige Tage lang. Weinte
viel. Jedes Mal, wenn ich an den Guru dachte, wurde ich wütend. Wenn sie
meinen Freund erwähnten, brach ich immer in Tränen aus.
Danach war wirklich finstere Nacht für meine Seele. Ich hielt durch und
hatte genug Kraft, einen wirklich genauen und strengen Blick auf mein
Leben zu werfen und rauszufinden, wie ich die zweite Hälfte verbringen
wollte. Mit den Jahren habe ich die Bruchstücke nach und nach wieder
zusammengesetzt. Mein Ziel im Leben? Ich würde nur gerne wissen, wer ich
bin. Es ist wirklich einfach. „Wer ist der Mensch, der ich sein will?“
Das ist der Mensch, den ich fühlen will.
♦♦♦
(5) Arthur Janov,
Primal Healing: Access the Incredible Power of Feelings to Improve Your
Health (New Jersey: New Page Books, 2006).
(6)
Anmerkung des Autors: Die persönlichen Erlebnis-Geschichten in diesem Buch
sind von meinen Patienten geschrieben worden und werden hier mit Ausnahme
weniger grammatikalischer Korrekturen so dargestellt, wie sie mir übergeben
wurden.
(7)
Towbin, Abraham, "Organic Causes of Minimal Brain Dysfunction."
Journal of the Medical Association 217, no. 9 (1971) : 1213
ENDE DES KAPITELS
Artikel
und Buchauzüge
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