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Dr. Arthur Janov:   Beyond Belief: Cults, Healers, Mystics and Gurus - Why We Believe

LLC Reputation Books, ISBN-10: 0986203173, 03. Mai 2016

Kapitel 8

 Gedanken als Opiate

Im Winter 2001 gab es zwei grundverschiedene Ereignisse: Der Kopf der liberalen Fraktion der Anti-Taliban-Kräfte, Ahmet Massoud, wurde von zwei jungen Männern ermordet, die sich als Reporter ausgaben und Bomben an ihren Körpern befestigt hatten. Als sie nahe genug herangekommen waren, zündeten sie die Bomben, die den Anführer und sie selbst töteten. Zur selben Zeit wurde eine Studie von UCLA-Wissenschaftlern fertiggestellt, welche die Rolle von Placebos (harmlose inaktive Substanzen) bei der Behandlung der Depression untersuchte.

Die Frage lautet: Was verbindet diese zwei Ereignisse? Und wie könnte eine Placebo-Studie möglicherweise erklären, warum sich zwei junge Männer in die Luft gesprengt hatten? Die jungen Bombenattentäter waren einer bestimmten Vorstellung von Gut und Böse verpflichtet und an das gebunden, was ihr Allmächtiger bestimmte, ein Befehl, der von den höher gestellten Mullahs interpretiert wurde, die für die Gottheit sprechen. Sie sagen "Tötet den Ungläubigen!" Und sie taten es. Es war nicht gerade ein Ungläubiger, nur jemand, der andere Vorstellungen von der Zukunft ihres Landes hatte. In ihrer Welt gibt es keinen Platz für andere Ideen, und sei die Abweichung auch noch so gering. Diese jungen Männer waren einer Gehirnwäsche unterzogen worden; sie konnten über das Jenseits reden und darüber, dass das Leben auf der Erde sehr wenig bedeutete. Sie waren durch eine einvernehmliche Einschätzung aneinander gebunden: "Ich glaube, weil andere dasselbe glauben, und das bestätigt und stärkt unser Glaubenssystem."

Die UCLA-Studie fand heraus, dass Individuen, denen man eine harmlose Zuckerpille (ein Placebo) gab, dieselben Auswirkungen im Gehirn hatten als rezeptpflichtige Schmerztöter. Diese Studie untersuchte die Gehirn-Scan-Ergebnisse einer Gruppe von Depressiven; einige von ihnen nahmen wirkliche Schmerztöter und andere nahmen unwissentlich Placebos. Die Auswirkungen der realen Pille und des Placebos im Gehirn waren dieselben innerhalb dieser Areale, die mit Stimmung und Erinnerung zu tun haben. Es gab Unterschiede für die Placebo-Gruppe, die mehr Aktivität in dem Teil des präfrontalen rechten Kortex erzeugte, der sich mit Gefühlen befasst. Dieselben Schmerzkontroll-Netzwerke wurden aktiviert wie bei den rezeptpflichtigen Schmerztötern. Die Kontrollgruppe dachte, sie bekäme die reale Pille. Die Leute wurden durch ein Glaubenssystem indoktriniert, nicht anders, als wenn ein Therapeut eine Patientin hypnotisiert (eine Suggestion) und ihr dann sagt, dass der Bohrer des Zahnarztes auf ihren Zähnen keinen Schmerz produzieren wird. Und er tut es tatsächlich nicht. Der Gedanke neutralisiert den Schmerz. Oder noch besser, der Gedanke erzeugt einen Schmerztöter, der Schmerz zunichte macht.

Hatte der Gedanke oder die Vorstellung erst Einlass in die Psyche der Depressiven gefunden, waren die aktivierten Gehirnareale dieselben. Kurz gesagt unterschied das Gehirn nicht zwischen wirklicher Medizin und Pseudomedizin. Es konnte nicht unterscheiden zwischen einer Vorstellung von Medizin und der realen chemischen Sache. Das bedeutet, dass Gedanken Opiate sein können. Gedanken waren bei der Behandlung von Depression der chemischen Medizin ebenbürtig; oder vielmehr waren Gedanken chemische Medizin! Und das Gehirn behandelte sie auf dieselbe Weise. Also können wir an etwas glauben, um unseren Kindheitsschmerz aus emotionaler Deprivation abzutöten, oder wir können trinken, um ihn zu töten. In jedem Fall ist es ein Wegweiser zu frühem Schmerz, der im System beherbergt ist. Die Kraft des Glaubens ist so stark wie die Gefühle dahinter. Glaubensvorstellungen behalten ihre Stärke, solange diese Gefühle unverknüpft bleiben.

Die Lektion lautet hier, dass Gedanken stark genug sein können, um Änderungen im Gehirn zu bewirken und uns immun zu machen gegen Gefahr, Angst und Schmerz. Die Männer, die den liberalen Führer töteten, hatten Gedanken, die stark genug waren, um ihren Überlebensinstinkt zu unterdrücken. Ich kann mir keinen stärkeren Gedanken als diesen vorstellen. Ihr Tod hatte für sie wenig Bedeutung im Gesamtschema der Dinge. Für die "Sache" (den Gedanken) zu sterben war wichtiger als das Leben selbst. Ob sie dachten, sie würden im Himmel siebzig Jungfrauen treffen oder was auch immer sonst, war nicht von Bedeutung. Das Gehirn differenziert den Inhalt nicht. Es schenkt allem Aufmerksamkeit, dass die Hoffnung auf ein besseres Leben stimuliert, auch wenn das ein Leben nach dem Tod bedeutet. Sie würden ihr Seelenheil im Jenseits finden.

Sobald falsche Vorstellungen angenommen und fixiert werden, werden wir von eben diesen Gedanken als Geisel genommen. Wir zahlen ein hohes Schmerzlösegeld für diese Gedanken, weil sie das reale fühlende Selbst ersetzen und dabei helfen, ein inhumanes Selbst aufzubauen. Fest verankert werden sie von aktivierenden Neurohormonen, zu denen die Katecholamine gehören. Die Gedanken werden dann dazu einberufen, Gefühle in Schach zu halten. Diese Gedanken setzen unserer geistigen Reichweite Grenzen, beschränken die Wahrnehmung auf einen sehr engen Bereich, bis sie zu Scheuklappen werden. Sie können alles blockieren, was von unserer Menschlichkeit und unseren Emotionen übrig geblieben ist, sodass wir milde Gräueltaten begehen können, indem wir Kindern Leid zufügen ohnen einen Hauch von Verständnis. Das geschieht, weil der Mensch nicht mehr fühlt, was er tut - weil er sich allein von Gedanken leiten lässt anstatt von Gefühlen.

Wenn Kinder nicht geliebt wurden, kann sie gleichsam ein doppelter Hammer treffen, indem sie  überzeugt werden, sie seien wirklich geliebt worden, oder schlimmer noch, dass Liebe nicht ganz so wichtig sei. Noch schlimmer ist, dass Eltern nicht erkennen, dass Kinder Liebe brauchen. Sie glauben, Kinder müsse man herumkommandieren, und sie hätten zu gehorchen. Das Tragische bei all dem ist, dass sich niemand bewusst ist, was geschieht.

Wir können nicht gesund und psychisch stark sein, solange es keine Verknüpfung gibt: Solange ein Krieg im Gange ist zwischen den zwei Hälften des Gehirns, ist psychische Gesundheit nicht möglich. Neurose bedeutet, dass die Verbindung getrennt worden ist. Es ist nicht möglich gesund zu werden, indem man die Unterbrechung verstärkt, wie es in der Hypnose geschieht und in allen kognitiven Therapien; die linke Hälfte wird weiter von ihrem rechten Gegenstück weggetrieben.

Verknüpfung hat neurologische Wurzeln. Der schwedische Neurowissenschaftler David Ingvar fand heraus, indem er einen CAT-Scan des Gehirns nutzte, dass Schmerzwahrnehmung beide Seiten des präfrontalen Areals einbezog, die im Tandem arbeiteten. Wenn emotionaler Schmerz verdrängt wird, würde ich annehmen, dass die rechte Seite mehr involviert ist; die rechte Amygdala nimmt an Volumen zu. Wie ich an früherer Stelle betont habe, neigt die rechte Amygdala zum Anschwellen, wenn Gefühle vorhanden sind. Somit ist abgetrennter Schmerz mehr auf der rechten Seite aktiv als auf der linken.

Es sieht so aus, als gäbe es im Gehirn eine geheime Untergrundbahn, auf der neurochemische Botschaften (Schrecken, Wut) hin- und hergeschickt werden, aber auf der Seite, die für Bewusstheit zuständig ist, werden sie nicht erkannt. So "sagt" die rechte Seite mit gedämpften Ton der linken: "Schau, ich kann keinen Schmerz mehr ertragen." Und die linke sagt: "Ok, ich schütze dich vor diesen Gefühlen mit einem Gedanken-Hagel, der sie unter sich begräbt." Wir sehen das deutlich bei Gehirnspaltungs-Operationen (die chirurgische Trennung von rechtem und linkem Gehirn, in der Regel wegen schwerer Epilepsie), bei der der Chirurg Input ins rechte Gehirn eingibt, aber wegen der nicht vorhandenen interhemisphärischen Verbindung ist die linke Seite gezwungen ein Gefühl zu rationalisieren, das sie nicht einmal erkennt. Der Arzt führt der rechten Seite etwas Komisches zu, während die linke lacht und eine eigenartige Erklärung für ihr Gelächter ausheckt: "Der weiße Kittel, den sie anhaben, ist sehr komisch." Die Tatsache, dass die linke Frontalzone das Gefühl nicht erkennt, hält sie nicht davon ab, alle möglichen rationalen Erklärungen herzustellen. Kurz gesagt zwingt sie der rechtsseitige Input, Erklärungen zu schaffen, wie sie es sowohl bei Meditation und bei Neurose macht, wo die Trennung noch ausgeprägter ist. Und noch wichtiger ist, dass die linke Seite eine Gefangene der rechten ist. Sie wird unausweichlich zur Gedankenbildung gezwungen, egal welche. Und gar nicht so wunderlich symbolisieren die Ideen der linken Seite das, was in der rechten liegt. Jetzt versuchen Sie, der Person ihre "Philosophie" auszureden. Vergessen wir nicht, dass die meisten Theorien in der Psychologie allgemein erweiterte Vernunfterklärungen von Therapeuten sind: persönliche Neurosen auf das Niveau einer Theorie angehoben. Wir werden einem Therapeuten seinen kognitiven oder Freudianischen Ansatz nicht so leicht ausreden. Es ist eine Theorie aber auch eine Abwehr. Denken Sie daran, dass die linke Seite Gedanken erzeugt, die, wie stumpfsinnig auch immer, die Gefühle auf der rechten Seite reflektieren, auch wenn die linke Seite keine Ahnung hat, was sich genau auf der rechten befindet. Doch die Gedanken sind darauf beschränkt, sich dem Geschehen auf der rechten Seite anzupassen. Das ist so wichtig für das Verständnis der Psychose; wenn wir verstehen, dass Gedanken Gefühle reflektieren, und diese Gedanken sich in den psychotischen Bereich ausdehnen, wissen wir, dass bizarre Gedankenbildung höchstwahrscheinlich die erste Linie reflektiert, nonverbale Einprägungen, die Gedanken in die verrückte Zone befördern. Das sind Einprägungen, für die es offensichtlich keinen vernünftigen Grund gibt: "Du willst mich verletzen oder töten" ist ein Beispiel. Es gibt einen Schmerz tief in der Vergangenheit, den wir rationalisieren müssen. Hier wird er zu einer Wahnvorstellung. Wenn wir das Gefühl/die Empfindung kennen, auf der diese Vorstellung beruht, wissen wir, woher das alles kommt.

Neurose ist in vielerlei Hinsicht ein Split-Brain-Zustand. Das Wesen der Neurose scheint zu sein, dass man rationale Erklärungen für sein Verhalten ausheckt, das von unerkannten Kräften gesteuert wird. Deshalb kann man in raffinierte Verhaltens-Vernunfterklärungen eines anderen nicht eindringen. "Warum sollte ich mit dem Trinken aufhören, wenn es mir doch immer ein Gefühl von Wärme und Behaglichkeit gibt?" sagte ein Bekannter. Er hatte keine bewusste Kenntnis von der ständigen Spannung, unter der er litt. Solange Gefühle versteckt und verdrängt werden, muss die Abwehr intakt bleiben. Wenn der kognitive Einsichtstherapeut diese Abwehr attackiert und versucht, die Person von ihren Vorstellungen abzubringen, so ist das ein vergebliches Unterfangen.

Um Klartext zu sprechen:  Wenn ein Gefühl überwältigend ist, wie das Gefühl totaler Verlassenheit oder der Terror einer Kindheit mit einem gewalttätigen, trunksüchtigen Vater, kann das Gefühl nur stückchenweise erlebt werden. Wir benutzen Tranquilizer wie Prozac oder Zoloft ( die Serotonin-Anheber), um den Schmerz zu besänftigen, sodass man einen Teil davon fühlen kann. Wir können dann in der Therapie Gedanken mit hinzu nehmen, um die Barriere zu verstärken, die uns ermöglicht, dass wir uns schließlich wohl fühlen. Das menschliche Nervensystem ist nie launisch. Es belügt sich nur selbst, um Schmerz zu blockieren. Ansonsten sagt es die Wahrheit; die unteren Ebenen sind bestimmt Brunnen der Wahrhaftigkeit, weil sie nicht lügen können.

Frühes Trauma veranlasst das Gehirn, seine Kräfte dort zu versammeln, wo sie gebraucht werden, und sie dort zu stutzen, wo sie weniger gebraucht werden. Die Gehirnstruktur ändert sich! Als Ergebnis haben wir ein Gehirn, das aus dem Gleichgewicht geraten ist, mit geringerer frontal-kortikaler Kontrolle über Impulse und weniger Informationslieferung von ganz unten nach ganz oben. Trauma tendiert auch dazu, die Rechts-Links-Schaltkreise im Corpus callosum (das große Band aus Verbindungsfasern, das die zwei zerebralen Hemisphären vereint) auszudünnen, sodass Verbindung tatsächlich viel schwieriger wird. Das ähnelt sehr der Reduzierung einer vierspurigen Autobahn auf eine einzige Spur - nur ein verminderter Informations-Verkehrsfluss gelangt durch. Der Druck von dieser Überlast ist dennoch vorhanden. Also kompensieren wir auf bestimmte Weise - konstruieren Glaubenssysteme, um die Lücke auszufüllen.

Verknüpfung bedeutet, dass ein Fluss existiert zwischen Gefühlen, die dem unteren Gehirn entstammen, und dem frontalen Kortex auf höherer Ebene, wo Gedanken zustandekommen; noch genauer ein Fluss von der rechten Frontalzone zur linken. Eine Erörterung des Begriffs der Verknüpfung habe ich in der kognitiven Therapie oder in den Einsichtstherapien nie gesehen; nichtsdestotrotz ist Verknüpfung die sine qua non der Heilung. Wenn sich unsere Patienten in der Sitzung allmählich tiefen Gefühlen annähern, steigen die Messwerte der Herzfrequenz sehr stark an. Diese Werte fallen jäh nach der Verknüpfung. Die Frage, die jede Psychotherapie beantworten muss, lautet: Warum geschieht das?

Es deutet wieder auf die Tatsache hin, dass eingeprägte Gefühle gefährlich sein können und das Gehirnsystem mobilisieren, um sich der Bedrohung zu stellen, als wäre sie ein Virus. Und wenn in unserer Therapie Gefühle aufsteigen, dann steigt tatsächlich auch die Körpertemperatur. Bei sehr frühem Schmerz können wir einen Anstieg um drei Grad (Fahrenheit) innerhalb weniger Minuten sehen, und das ohne körperliche Anstrengung.  Was wir feststellen, ist, dass Gefühle eine fremde Macht sind, genau wie ein Virus, und dass sie von Körper und Gehirn als Bedrohung behandelt werden!

Wo verdrängter Schmerz existiert, wird ein Gerüst aus Gedanken um ihn herum gebaut. Deshalb können wir Leute nicht aus ihren Wahnvorstellungen  herausargumentieren. Sie sind eine notwendige Abwehr, und man sollte sich da nicht einmischen. Sie ermöglichen uns Distanz von unserem eingeprägten Schmerz. Sie geben, wenn sie sich aufreihen, ein tatsächliches verborgenes Gefühl wieder. Und wir wenden uns nur dann an Glaubensvorstellungen als Abwehrhelfer, wenn die Abwehrmechanismen tieferer Ebene schwächeln. Wir wenden uns an Gedanken als letzter evolutionärer Schritt in unserem Abwehrsystem. Gedanken haben sich in der Geschichte der Menschheit zuletzt entwickelt, und sie entwickeln sich zuletzt in unserer persönlichen Evolution.

Wir können ein paranoides Individuum nicht überzeugen, dass er sich nur einbildet, dass jemand versuche, seinen Kaffee zu vergiften, auch wenn Sie eine frische Dose Yuban aufmachen und ihn den Kaffee selbst machen lassen. Die Fakten zählen überhaupt nicht, weil die Wahnvorstellung verborgene Bedeutung enthält - verborgene Fakten, die den Glauben/die Wahnvorstellung rational machen; eine Bedeutung über den Fakten. Es ist die Art und Weise, wie der präfrontale Neokortex mit Überdruck umgeht. Das denkende, nach außen orientierte und zentrierte linke Frontalhirn absorbiert eingeprägte Traumen und versucht, eine Überlast abzuladen. Die linke Hemisphere ist so eine Art Müllhalde für das Abladen überschüssiger Energie; sie macht das, indem sie einen Springbrunnen aus Ideen erzeugt. Die Schmerzen können auf dem Weg nach oben in der Geschichte des Individuums zuerst Kolitis verursachen, dann Allergien und dann Glaubensüberzeugungen. Das sind keine voneinander getrennten Symptome sondern Wege der Evolution, sich an ihre Erinnerungen anzupassen. Sie stellen dar, wie jede Bewusstseinsebene Schmerz absorbiert und entlädt.

Die Tatsache einer in beiden Richtungen verlaufenden Faserbahn zwischen limbischen Strukturen und dem Neokortex bedeutet, dass andere unangenehme von außen kommende Information (eine Maschine, die schmerzvoll ein Loch in Ihren Zahn bohrt) auch blockiert und vom Eindringen abgehalten werden kann. Das Gehirn ist in der Lage, eine "Belästige- mich-nicht-mit-den-Fakten-Haltung" anzunehmen. Die junge Frau, die Reis in das ewige Feuer in ihrem Aschram wirft, um der Welt Frieden zu bringen, kann es mühelos ignorieren, wenn sie ihr sagen, dass gerade ein neuer Krieg auf dem Balkan ausgebrochen ist. Oder sie kann sich vom Ideenbaum ihres Gurus eine passende Vernunfterklärung herunterpflücken, warum es schließlich menschliche Konflikte für immer beenden wird, wenn sie weiterhin macht, was sie gerade macht. Was immer der Grundabwehr gegen Schmerz - bestimmten Vorstellungen - widerspricht, wird sofort umgeleitet und nicht akzeptiert. Sie können nicht aufgeschlossen sein, wenn Sie schweren Schmerz haben. Niemand kann sich selbst für Auslöser öffnen, die innere Qual lostreten könnten.

Wenn eingeprägter Schmerz so massiv ist, dass die inneren Erzeuger blockierender Substanzen nicht genug Vorräte absondern können, um den Schmerz zu unterdrücken, benötigt die Person zur Beruhigung etwas von außen. Medizinische Schmerztöter, andere Drogen, Alkohol werden manchmal herbeizitiert, um den Zweck zu erfüllen. Oder ein gutes, solides Glaubenssystem hilft. Denken Sie daran, es ist ein Zusatz für unsere inneren Drogenvorräte. Das Gehirn ist eine wunderbare Apotheke, die die notwendigen Medikamente auf Anforderung austeilt. Wer fordert sie an? Unser biologisches System: Wie ich betont habe, bestellt und nachbestellt unser Schmerz, wann immer es nötig ist, bis wir ausverkauft sind. Wenn zu lange zu viele Bestellungen laufen, erschöpfen sich die Vorräte. Dann müssen wir wortwörtlich zur Nachbar-Apotheke gehen, um Hilfe zu bekommen. Hier sehen wir, warum Leute mit schrecklicher Kindheit Kandidaten für Sucht sind; ihre natürlichen Schmerztöter sind der Aufgabe nicht gewachsen. Was manchmal geschieht, ist die Zuflucht zu Gedanken. Das Ergebnis kann Psychose sein - je tiefer und entfernter der Schmerz ist, umso eher gibt es ein Gerangel um die Erzeugung von Gedanken und Glaubensvorstellungen. Ein klares Beispiel ist paranoide Psychose: "Sie hassen mich. Sie wollen mich töten und verschwören sich hinter meinem Rücken." Es gibt keine andere Fluchtmöglichkeit als in die Tiefen des Gehirns, in die Tiefen, die letztlich ganz vorne und obenauf liegen. Dorthin fliehen wir, um Schutz zu suchen. Es ist das linke Gehirn, das den eindringenden Schmerz von der rechten Seite annimmt und sich mit ihm abmüht, indem es bizarre Gedanken und Glaubensvorstellungen produziert, um die Wahrheit nicht hereinzulassen.

Die Wahrheit bedeutet qualvollen Schmerz; der Neokortex ist da, um in zu blockieren. Es gibt keine andere Wahl, weil der Schmerz aus unserer Zeit im Mutterleib kommen kann und keine Szenen oder Worte im Anhang hat. Kurz gesagt ergibt er keinen intellektuellen Sinn. Wir versuchen, ihn mit einem Sinn zu umwickeln, aber nichtsdestotrotz bleibt er eigenartig; die Gedanken sind in der Tat eigenartig.

Forschung über Endorphine und Serotonin hat gezeigt, dass sich bei signifikantem frühen Schmerz ein höherer Spiegel zirkulierender Schmerzblocker einstellt. Stressvolle Erlebnisse gleich nach der Geburt scheinen zu einer signifikanten Größenzunahme der Rezeptorzellen für Endorphine zu führen, während der Stresshormon-Spiegel steigt. Wenn wir rückwärts überlegen, sehen wir, dass ein vergrößerter Umfang der Schmerzrezeptoren im Gehirn, wie bei Psychotikern der Fall, vielleicht auf die Existenz eines frühen Lebenstraumas hinweist. Neurotransmitter sind von zentraler Bedeutung, um Neurose zu verstehen. Sie helfen auch bei unserer Analyse, wie mystische Gedanken entstehen. Elektroden-Stimulierung bestimmter Gehirnteile kann die Produktion von Endorphinen in Gang setzen. Akupunkturnadeln können dasselbe bewirken. Und ebenso Gedanken.

 

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Warum enden kultähnliche Gruppen so oft mit Massenselbstmord? Warum genügen der Kult und seine Glaubenssysteme nicht, damit die Leute sich wohlfühlen? Diese Leute fühlen sich bereits elend, wie zahlreiche meiner Fallstudien aufzeigen. Sie sind anfällig für jeden Guru, der ein tolles Glaubenssystem fabriziert, das ihnen Liebe und Seelenheil verspricht. Letzlich jedoch überdeckt das Glaubenssystem das Elend nicht. Dann ersinnen sie Gründe für die Selbstzerstörung. Gewöhnlich bedeutet das, zu einem anderen Planeten zu fahren oder hier von der Sonne geläutert zu werden. Oder irgendwohin zu reisen, wo alles rein und gut ist. Die Ideen nehmen unzählige Formen an, und - egal wie verrückt - die Anhänger werden folgen, nicht so sehr wegen der Ideen sondern wegen des Bedürfnisses dazuzugehören, eine Elternfigur zu haben, die ihnen hilft und ihnen sagt, was zu tun ist. Ihr Bedürfnis, das ihnen in ihrer Kindheit so lange Zeit versagt blieb, treibt sie dazu, sich an einen Kult zu kleben, an einen Familienersatz. Letztlich werden die Ideen den Schmerz nicht überdecken können. Der Führer und die Anhänger müssen sich selbst zerstören, um noch mehr Schmerz zu vermeiden. Die Einprägung ist oft: "Wenn du mich nicht liebst, werde ich sterben." Es ist schwer zu begreifen, wie verzweifelt Kinder Liebe brauchen, wie absolut entscheidend es ist, dass sie dazugehören, dass sie beschützt und umsorgt werden. Alle diese guterzogenen und gebildeten Individuen sind immer noch depravierte Menschen, bei denen die Deprivation jede Art von Intellekt übersteigt. Sie wissen es nicht besser, weil das rechte Gehirn, der rechte frontale Kortex total darin verstrickt ist, sich mit dem Schmerz zu befassen. Die linke Hemisphäre kann nicht aushelfen. Sie ist nach außen orientiert, während der rechte nach innen orientierte Kortex von Schmerz überspült wird. Schließlich dominiert dieses Gehirn. Und dieses Gehirn, das die Nähe des Todes fühlt, erzeugt die Gedanken, dass der Tod wünschenswert sei, und zwingt das System, den letzten Lebensakt aufzuführen. Wenn Sie im Reich des Wahns und der Trugbilder so weit wie nur möglich gegangen sind, dann haben Sie keine andere Wahl, als diese Reise im Tod enden zu lassen. Denn der Schmerz ist noch immer da, der diese Vorstellungen ursprünglich angetrieben hat. Und diese Glaubensvorstellungen sind jetzt keine Hilfe mehr.

In jedem Kult, den ich untersucht habe, können die Ideen so bizarr werden, wie es die menschliche Vorstellungskraft zulässt, aber es gibt Elemente, die identisch sind: Sie wissen es besser; sie sind klüger, reiner und bewusster. Sie sind die 'In'-Gruppe. Was sie zusammenschweißt, ist nicht so sehr die Gedankenbildung sondern die Deprivation und der Schmerz, auch wenn sie sich dessen nicht bewusst sind. Sie sind nicht mehr in dieser Welt sondern in einer, die der Guru oder Führer geschaffen hat. Der Anhänger wird an jede Vorstellung glauben, bei der Bedürfnisbefriedigung versprochen wird. Es gibt viele Psychotherapien in derselben Position. Ungeachtet des jeweiligen Ideengebildes - Suche nach Macht,  Suche nach Sinn, das Es, Schattenkräfte -  gibt es immer viele Kunden, denn die sind nicht so sehr hinter den Ideen her, sondern vielmehr sind sie bedürftig. Ein alter, runzeliger Therapeut, der besorgt und freundlich ist, ist eine gute Wahl. Die Ideen helfen, weil sie keinen Schmerz versprechen sondern einfach eine intellektuelle Suche, zum Beispiel nach den Schattenkräften. Oder sie versprechen das Spiel der Traumanalyse, wo man die Bewegungen des Gesundwerdens durchspielt, indem man jede Realität meidet außer den Symbolen in einem Traum. Ich habe nie gesehen, dass jemand auf diese Weise gesund wird, aber es bietet Selbsttäuschung an, das Durchspielen der Therapiebewegungen ohne reale Therapie. Neurologisch macht Traumanalyse überhaupt keinen Sinn - eine Bewusstseinsebene versucht, die Arbeit einer anderen zu machen. Die Ebene des analytischen Gedankens deutet, was im limbischen Lagerhaus liegt.

Allgemein gilt, je bizarrer die Gedankenbildung ist, umso tiefer im Gehirn liegt ihr Ursprung. Der tiefste Schmerz steuert die sonderbarsten Ideen. Und in dem tiefen Schmerz liegt der Terror des Todes. Letztendlich muss er angenommen werden. Ideenbildung ist eine Flucht vor der Endgültigkeit des Todes; sie entwickeln die Vorstellung, dass niemand wirklich stirbt, dass man nur fortgeht an einen netten und sicheren Ort. So ist es natürlich verlockend, dorthin zu gehen; die Füße um ein Sonnensymbol herum zu platzieren - als gereinigte Seele zu gehen. Vergiss den ganzen intellektuellen Krimskrams, der das Gefühl überspült, oder dass man von Dämonen gequält wird, sag' es ganz einfach: Sie laufen alle vor dem Tod und der Deprivation davon. Sie können entweder das tiefe Gefühl fühlen - im Allgemeinen unmöglich ohne professionelle Hilfe - oder sie agieren es aus in der Zerstörung des Selbsts, des Selbsts, das leidet und bedürftig ist. Das ist das Ziel: den Schmerz zu töten; und leider muss man das reale Selbst töten, um das schmerzleidende Selbst zu töten. Alle in meinem Institut behandelten Patienten, die ihre frühen Gefühle und Traumen fühlen, verlieren nach und nach ihre bizarren Glaubenssysteme.

Warum führen diese Kulte so oft zum Tod? Ein Grund ist, dass das Leben für diese Leute sinnlos ist. Sie versuchen, Bedeutung im Kult zu finden. Sie müssen glauben, dass es mehr gibt, mehr als den Schmerz, in dem sie stecken, auch wenn sie diesen Schmerz nicht anerkennen. Ihr Schmerz und somit ihre tiefe Verdrängung macht das Leben bedeutungslos, weil Bedeutung im Fühlen liegt. Wenn man nicht fühlen kann, dann ist nichts von Bedeutung. Reden Sie mit einem Depressiven, und wir können die Wahrheit dieser Auffassung sehen. Bei einer leichten Depression hat die Person gelegentliche Gedanken, nicht weitermachen zu wollen. Aber bei einer tiefen Depression kommt es zu einer aktiven Suche nach den Mitteln, nicht weiterzumachen. In einem Kult verliert der Glaube früher oder später an Kraft. Hoffnungslosigkeit, die tiefliegende Einprägung, schwillt rasch an. Die Individuen ersinnen dann eine raffinierte Begründung dafür, warum der Tod notwendig ist. Schließlich der Suizid. Das Ende des Leidens.

Es gibt einen weiteren Grund: Inbegriffen in der frühen Einprägung ist der drohende Untergang - der Tod. Während des Geburtstraumas ist die Agonie manchmal entsetzlich. Der Tod scheint die einzige Lösung zu sein, nicht als Konzept sondern als wortlose Empfindung. Versieht man sie mit einem Etikett, wird sie nicht noch realer. Die Empfindung ist real genug. Dasselbe lässt sich sagen für frühe emotionale Deprivation nach der Geburt, wenn Liebe wesentlich ist für angemessene Entwicklung. Ich behandle jetzt jemanden, der ein Zwilling war und zu lange im Mutterleib gelassen wurde, weil sich Eltern und Hebamme nicht bewusst waren, dass es einen Zwilling gab. Er begann in der Steißlage herauszukommen. Die Hebamme griff ein und drehte ihn herum, sodass er richtig hinausgelangen konnte. Man sieht die Qual in dem Wiedererlebnis. Das Gesicht zerknautscht, grimassierend. Der Patient drehte sich tatsächlich automatisch selbst genau so, wie die Hebamme es gemacht hatte. Wir filmten die Sequenz, und der Schmerz ist unmissverständlich. Hier war der Tod eine mögliche Lösung. Es gab  eine so tiefe eingebettete Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit. Wenn er sich später im Leben in einer hilflosen Situation befand, wendeten sich seine Gedanken oft zum Selbstmord. Die Situation rief die frühe Erinnerung hervor durch ein Nervennetzwerk, das dem Gefühl zurück zu seinem Ursprung folgte. Umgekehrt sehen wir in einer Sitzung, wie die Einprägungen funktionieren. Ich habe betont, dass unsere Therapie umgekehrte Neurose ist. Wir folgen den Gefühlen innerhalb eines Glaubens hinab zu ihren Ursprüngen, bis wir bei dem prototypischen Ereignis ankommen. Wir stellen fest, dass tiefe Grundeinprägungen ausgearbeitet werden, da sich das Gehirn in der Geschichte und in unserer persönlichen Evolution weiterentwickelte. Die letzte Stufe, Glaubensvorstellungen, ist der Deckel, den wir auf das Gefühl setzen.

Es ist der Resonanzfaktor in der Schmerzkette, der uns unfehlbar vom aktuellen äußeren Glauben zum tief vergrabenen inneren Gegenstück führt. Wir müssen nicht raten, welches Gefühl welchen Gedanken provoziert hat. Aber angesichts einer bestimmten Reihe von Einprägungen können wir ziemlich gut erraten, welche Glaubensüberzeugungen wahrscheinlich angenommen werden.

Zum Teil ist die Anziehungskraft traditioneller Religion von einem psychologischen Blickpunkt aus nicht so schwer zu begreifen. In einer Welt voller Entfremdung begegnen Kirchgänger und Kultanhänger gleichgesinnten Individuen und fühlen sich weniger entfremdet. Indem sie mit anderen an Ritualen teilnehmen, bekommen sie das ersehnte Gefühl, zu einer Gruppe zu gehören, nicht anders als bei einer Gruppenpsychotherapie. Vielleicht schreiben wir Heilung der Therapie zu, wenn sie in Wirklichkeit darauf zurückzuführen ist, dass wir einfühlsame Leute um uns haben. Ein Teil der eifrigsten Gläubigen der Christenheit, des Hinduismus, Buddhismus und Islam lebt in ärmlichen Ländern und hält sich auch deswegen am Glauben fest, weil der Glaube ihnen Hoffnung auf eine bessere Zukunft gibt. Viele Menschen, die wir als "religiöse Fanatiker" bezeichnen - wie die Hindus in Indien, die Moslems töten wegen des Streits, ob eine Moschee oder ein Tempel an einem sogenannten heiligen Ort existieren soll, oder die erbärmlich arme alte Frau in Mexiko, die sich auf die Knie wirft und Hunderte von Metern weit kriecht, um den Schrein von Guadalupe zu erreichen -, haben wahrscheinlich gute Gründe, an "das nächste Leben" zu glauben, wenn man das Elend um sie herum betrachtet. Im Gebet finden sie Ablenkung, Magie, Bedeutung, Hoffnung.

Das Funkeln der Kerzen, der Widerhall der Glocken, die Beschwörungsformeln eines weisen Mannes hypnotisieren den Leidenden und helfen ihm, seine Sorgen zu vergessen. Seine Stimme einem Gebetschor zu leihen, mit anderen Gläubigen auf eine Pilgerreise zu gehen, erzeugt Solidaritätsgefühle und validiert den Glauben. Traditionelle Glaubenssysteme können wie alle Glaubenssysteme Schmerztöter sein.

Das traumatisierte Gehirn hat andere kognitive Fähigkeiten. Es ist nicht so sehr der Fall, dass ein einziges Trauma das Gehirn beeinträchtigt; vielmehr ist es angehäufter Liebesmangel, der das bewirkt. Wenn wir erwägen, dass sich das rechte emotionale/limbische Gehirn in den ersten Jahren, wenn Liebe und Berührung absolut entscheidend sind, in einem Wachstums-Spurt befindet, wird klar, dass fehlende Liebe lebenslange Folgen für unsere Emotionen haben wird. Das trifft besonders deshalb zu, weil das rechte Gehirn sich auf die linke intellektuelle Seite bezieht und sie informiert. Gegen Ende des zweiten Lebensjahres kommt es zu einem Wachstumsschub auf der linken Seite der frontalen Gehirnzone. Das ist die Andeutung aufkommender Gedanken und Glaubensvorstellungen. Die Umsetzung von Gefühlen in Gedanken findet auf zweierlei Art statt, wie ich früher erörtert habe; vom rechten zum linken Gehirn und vom unteren zum oberen. Ideen können sich entwickeln durch Erziehung, durch das Alphabet, die quadratische Gleichung, den Fahneneid, den Glauben an Amerika, an die Schule oder die Nachbarschaft. Diese Ideen beziehen sich nicht unbedingt auf Gefühle. Dann gibt es die emotionalen Lektionen: Rede nicht, es sei denn, du wirst angesprochen. Gib keine frechen Antworten und unterbrich nicht, wenn Erwachsene reden. Diese Lektionen sitzen. Es wird zur Gewohnheit, nicht um das zu bitten, was man braucht, und man agiert es aus, indem man die Bitte durch viele unterschiedliche Verhaltensweisen vorbringt, einschließlich Hilflosigkeit oder Glauben/Gebet. Man bittet eine Gottheit, weil man nie seine Eltern um Liebe und Schutz bitten konnte. Eltern, die nicht zuhören oder geben wollen, demonstrieren mit ihrer Gleichgültigkeit und Kälte, dass das Kind besser nicht um irgendwas bittet, wenn es sich keine ernste Verwarnung einhandeln will. So lassen wir in unserer Therapie Leute, die nicht glauben, auf den Teppich niederknien und mit verschränkten Händen beten. Hoch kommen die Bedürfnisse und der Schmerz. In einer Gruppe bat ich einen Atheisten, auf die Knie zu fallen und zu Gott um das zu beten, was er brauchte. "Lieber Gott, an den ich nicht glaube, kannst du mir helfen..... (Würgen)?" Er fing zu weinen an und glitt in ein Gefühl, in dem er seine Mutter um Liebe bat.

Wenn Einprägungen tieferer Ebene keine Informationen auf höhere Ebenen senden können, ist die Kommunikation schlecht und Verknüpfung wird schwierig. Die Neuronen, die sich ausstrecken und Kontakt nach oben suchen sollten, tun das nicht. Es gibt weniger synaptische Verknüpfung, weniger Dendriten (der Empfangsarm des neuronalen Systems), was zum Rückzug oder zur Schrumpfung von Neuronen aufgrund des Traumas führt. Das Gehirn, das diese Verknüpfung "kennt," scheint sich einzuschränken, indem es seine Nervenfasern zurückzieht, ehe sie andocken können. Die Distanz zwischen dem Erlebnis und seiner Bewusstheit wird weiter, und wir haben einen größeren "Janovschen Spalt." Denken Sie daran, Glaubensüberzeugungen sind oftmals Symptome. Wir nutzen sie, um ihren Ursprüngen in der Geschichte nachzuspüren, genau so, wie wir es bei Migräneattacken machen. Wir nehmen einfach die jüngste Manifestation, einen Glauben, und verfolgen ihn zurück entlang der Schmerzkette. Er führt uns zu den endgültigen Ursachen. Wir nehmen den Gedanken, dass "meine Freundin mir nicht zuhören wird," und ermöglichen dem Patienten, den Schmerz zu fühlen. Oft steuert das den Patienten zu denjenigen zurück, die wirklich nicht zugehört haben.

 Vertraue den Gefühlen: Sie sind das Vehikel, das uns in unsere Geschichte transportiert. Der Patient muss dorthin nicht gelotst werden; die Gefühle machen das selbst. Alle Gefühle sind untereinander verknüpft. Die Basis ist die Instinkt-Ebene tief im Gehirn, die sich dann entwickelt und das Gefühl verstärkt; und schließlich fügen wir den Gefühlen Gedanken hinzu. Sie vervollständigen ein einzelnes Gefühl, das aus Komponenten erster, zweiter und dritter Ebene besteht -  Stammhirn, limbisches Gehirn und Neokortex. Der Grund ist, dass das Niveau der Verdrängung proportional zum Niveau des Traumas ist und das System jederzeit unter hohem Druck stehen lässt. Wenn das Trauma also lebensbedrohlich war, kann das zu Leiden führen, die lebensbedrohlich sein werden, und zu Glaubensvorstellungen, die eine unmittelbare tödliche Gefahr deklamieren - Erdbeben, Fluten, Krieg, Verbrechen, usw. Um dem ein Ende zu setzen, brauchen wir eindeutig Verknüpfung.

 

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Der rechte orbitofrontale Kortex (OBFK) enthält ein Modell dessen, was mit uns früh im Leben geschah. Wenn wir keine sehr starke emotionale Beziehung zu unseren Eltern früh im Leben hatten, werden die Einprägungen in der rechten Hemisphäre zu einer Schablone fürs Erwachsenenleben, die ständig zerbrechende Beziehungen verursachen kann. Wir sind Opfer dieser Schablone. Deshalb können wir, wenn wir diese frühen Erfahrungen mit dem rechten OBFK wiederfinden, eine unmittelbare Verbindung herstellen zwischen unseren gegenwärtigen Symptomen - Herzpochen, Überessen, zerbrochene Beziehungen, Glaube an einen Guru - und diesen frühen Einprägungen. Mit dem Wiedererleben verschwinden die Symptome, und wir verstehen warum. Die Neurochemie des Gehirns, die Spiegel von Stresshormonen und anderer aktivierender Substanzen stehen alle unter Kontrolle des rechten Gehirns. Sie erzählen uns Ereignissen aus einer Zeit, bevor wir bewusste Erinnerung hatten. Die Hormone, Blut und Urin "erinnern" sehr frühes Trauma; wir müssen nur die Sprache lernen. Aber schon bald, wenn wir Worte und dann Begriffe entwickeln, folgen Glaubensvorstellungen hinterher.

 

DAS GEHIRN WIEDER VERKNÜPFEN

Wie ich erwähnt habe, kann es eine verknüpfte Erinnerung geben, wenn Einprägungen tieferer Ebene mit denselben Frequenzen höher oben im Gehirn resonieren. Wenn sich präfrontaler Kortex und Subkortex treffen, scheint es ein Muster des Erkennens zu geben; das ist so in der Art, als würden sich Seelenverwandte finden; wahrscheinlich steigen die Einprägungen tieferer Ebene auf, um ihre andere Hälfte weiter oben im Nervensystem ausfindig zu machen. Einmal vereint bildet sich ein integrierter Schaltkreis. Wenn das geschieht, nehmen Abweichungen von Nervennetzwerken ab, und damit einher geht eine Änderung bei den Glaubensvorstellungen.

Entscheidend ist hier das Konzept der Verknüpfung; die Zusammenführung verwandter Nervennetzwerke. Ohne Verknüpfung der tieferen Ebene mit höheren Ebenen betrachten wir nur das sich spät entwickelnde kortikale Gehirn und nicht das Gehirn als Ganzes. Wenn wir der Evolution keine Aufmerksamkeit zollen, werden wir nie wirklich wissen, was wir mit sonderbaren Ideen, Wahnvorstellungen und bizarrem Glauben machen sollen. Wir werden sie weiterhin als unabhängige Elemente ohne Wurzeln oder Geschichte behandeln. Dieser Ansatz verleugnet die Evolution - Gedanken nach Gefühlen, nicht vor ihnen.

Im Wesentlichen ist das Gehirn ein Frequenzanalysator. Aber wenn die resonierende Information unerträglichen Schmerz bedeutet, wird der Kontakt getrennt/unterbrochen. Das linke Gehirn sagt: "Ich werde nichts akzeptieren, das so weh tut." Das rechte Gehirn hält an der unwirklichen Hoffnung fest, dass die linke Seite einen Teil des Schmerzes absorbieren und die Last von der rechten nehmen wird. Hier haben die Glaubensüberzeugungen ihren Auftritt. So verkündet die linke Seite "Ich bin entspannt und ruhig. Er wacht über mich", während die rechte Seite schwer schmerzbeladen ist. Der Schmerz ist über diese Überzeugungen verstreut, er verleiht ihnen Kraft und Hartnäckigkeit. Wir debattieren nicht nur über Gedanken sondern über etwas viel Tieferes; wir streiten mit der Geschichte.

Verknüpfung bedeutet die Befreiung des rechten fühlenden präfrontalen Kortex von der Kontrolle durch die linke Seite. Die linke kann jetzt ihre wichtige Funktion der Integration erfüllen, anstatt in die Ideen-Stratosphäre loszusegeln. Und natürlich ist die Entspannung der Patientin und ihr Erleichterungsgefühl ein weiteres zentrales Beweisstück. Und am wichtigsten: Wenn das Einrasten von Gefühlen zustande gekommen ist, folgen die Einsichten.

Hier ist die Grundformel: Wenn Sie in der Therapie zutiefst fühlen, von Lebensbeginn an allein gewesen zu sein, müssen Sie nicht mehr glauben, dass jemand immer für Sie da ist. Sie sind kein Gefangener dieses Glaubens mehr. Wenn Sie fühlen/wiedererleben, dass sie unbeschützt und deshalb unsicher waren, weil sich Ihre Eltern nie kümmerten, wo oder wie Sie gespielt haben, brauchen Sie das Gefühl nicht mehr, dass Sie jemand beschützt. Allmählich befreien Sie sich aus den Ketten des Glaubens. Das Fühlen des Gefühls bewahrt uns davor, Gedanken für seine Blockade entwickeln zu müssen. Wenn wir keine Angst haben und uns nicht schwach fühlen, dann brauchen wir keine starke Gottheit oder einen selbst-gesalbten Guru, der über uns wacht und uns beschützt. Ohne tiefen inneren Zugang verlieren wir unsere Bezugspunkte dafür, was richtig oder falsch ist, wer die Wahrheit sagt, wer aufrichtig ist oder unaufrichtig. Wir können von unserem Bedürfnis zum Narren gehalten werden. Es ist die rechte Seite, die uns hilft, Unaufrichtigkeit bei jemandem zu riechen.  Und fehlender Zugang bedeutet, dass wir nicht sagen können, wann ein Führer uns betrügt. Er spricht in der Subtext-Sprache; er redet mit unserem Unterbewusstsein; mit unseren Bedürfnissen. Wenn ich "riechen" sage, sollten wir wissen, dass das uralte Reptilien-Geruchshirn Millionen Jahre später zu unserem Gefühlssystem ausgearbeitet wurde.

Der rechte orbitofrontale Kortex befähigt eine Person, volles Bewusstsein zu erleben - das heißt: volles Bewusstsein von Schmerzgefühlen zu haben, die von zu großer Kraft waren, als dass man sie hätte fühlen können. Der OBFK, der Teil des Neokortex, der direkt hinter den Augenhöhlen sitzt, erreicht seine Reife zwischen achtzehn und vierundzwanzig Monaten. Der rechte OBFK ist der Hüter der Verknüpfung mit unserer Geschichte. Schließlich muss er sein linkes Gegenstück informieren, wie er sich fühlt. Das ist das Nonplusultra der Entprogrammierung.

Einsichten, Gedanken oder Kognitionen können frühe Einprägungen verwischen, vernebeln und verdrängen und uns nebenbei überzeugen, dass es uns besser geht, dass wir Fortschritte gemacht haben in der Psychotherapie, dass wir keinen Schmerz mehr haben, was oft nicht stimmt. Diese Täuschung kann zustandekommen und erfolgt die ganze Zeit. Wir wenden uns an den abgetrennten linken frontalen Kortex, dass er uns bewusst macht - und im Namen der Bewusstheit werden wir unbewusst. Wir suchen in verschiedenen Litaneien, um Bewusstheit zu steigern, und alles, was wir erreichen, ist, es zu vermindern. Jemanden überzeugen zu wollen, dass seine Vorstellungen auf Schmerz gebaut sind, ist ein vergebliches Unterfangen. Seine Gedanken sind genau dafür da, um Schmerz zu blockieren.

Verknüpfung hat auch einen vertikalen Aspekt. Tief im Gehirn liegende Einprägungen bahnen sich ihren Weg nach oben und versuchen, sich mit der Mittelzone des präfrontalen Kortex zu verbinden. Abermals kein Glück gehabt. Das Gefühl wird zurückgewiesen, während die Frontalzone es symbolisiert. Und es dadurch maskiert. Es besteht keine Möglichkeit, durch das präfrontale Areal Zugang zu erlangen, weil es zusätzlich zur Integration auch zur Unterdrückung fähig ist - und es macht das ganz prächtig. Sie können versuchen, "ihrem Körper Achtsamkeit zu schenken," wie einige Therapien es vorschlagen, aber es ist eine vergebliche Übung.

Wie ich zu Beginn des Buches sagte, bringe ich vor, dass psychische Pathologie messbar ist, nicht mit psychischen Indizes, Gedanken und Wahrnehmungen sondern mit Neurophysiologie: mit den Biochemikalien, die in Bewusstsein und Unbewusstheit involviert sind, und mit den Mustern der Gehirnwellen-Aktivierung und -Amplitude. Betrachten Sie die hohen Kortisolspiegel bei denen, die unter posttraumatischer Stress-Störung leiden (PTSS). Und ich schlage vor, dass wir diesen Stress messen können, dass es vielleicht möglich ist, ein Schmerz- oder Verdrängungs-Raster zu entwickeln, das alle Auswirkungen der Verdrängung auf verschiedene Systeme einbezieht. Ist der Stresshormon-Spiegel hoch? Ist die Hirnwellen-Amplitude niedrig? Sind die Vitalwerte sehr niedrig? Das alles sagt uns etwas über Bewusstsein und gibt uns einen Maßstab für die Tiefe des Unbewussten, wie es unsere klinischen Beobachtungen tun. Wir müssen das wissen, damit wir zum Beispiel entscheiden können, welchen Tranquilizer und welche Dosis wir bei Leuten anwenden sollen, die zu viel Zugang zu ihren Gefühlen haben; Leute, die von aufsteigendem Schmerz überwältigt werden - weil das diejenigen sind, die anfällig sind für Wahnvorstellungen und paranoide Ideen.

Um es zusammenzufassen: Es gibt tiefe Einprägungen im Hirnstamm und in alten Teilen des limbischen/fühlenden Systems, die tendenziell durch Ereignisse in der Kindheit verstärkt werden. Es ist hauptsächlich das rechte Gehirn, das sich mit diesen Erinnerungen befasst, wenn sie zum vorderen Teil des Kortex aufsteigen, zum orbitofrontalen Kortex. Hier erfolgt eine allgemeine Organisation unserer emotionalen Geschichte. Wenn diese Geschichte nicht zu viel Schmerz enthält, pendelt Information zum vorderen Teil des linken Kortex, um Bedeutung und Verstehen hinzuzufügen. Wenn der Schmerz aus der frühen und späteren Kindheit überwältigend ist, wird das linke präfrontale Areal im Dunkeln gelassen. Es ist dann so frei und heckt alle möglichen Glaubensvorstellungen aus. Der Bezugsrahmen dafür, ob sie real sind oder nicht, kommt von den Vorstellungen anderer und nicht von den eigenen Gefühlen. Der Mensch wird zu einem Aufnahmebehälter für vorgefertigte Glaubensüberzeugungen. Die Lösung des Problems ist ganz klar der Zugang zu den eigenen Gefühlen.

 

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 Ende des Kapitels

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