Wie
kommt es, dass Menschen wieder geboren werden, wenn das Leben sich von
seiner schlimmsten Seite zeigt? „Ich hatte meine Frau verloren. Mein Job
ging den Bach hinunter und mein bester Freund sagte, dass er mich wirklich
nicht mochte. Ich war gerade dabei, die Kneipe zu verlassen, als es mir plötzlich
wie Schuppen von den Augen fiel. Ich war von Gott ergriffen, der mir
sagte, ich könne wiedergeboren werden.“ Gott erscheint, oder zumindest
der Gedanke an Gott, wenn der Schmerz einfach zu viel wird. Wir können
uns jetzt imaginativ ausmalen, dass wir das bekommen haben, was wir
niemals gehabt hatten, einen Beschützer, ein fürsorgliches Geschöpf,
das über uns wachen wird....., wenn wir glauben. Wir machen es umgekehrt:
Wir glauben, dass er das alles tun wird, weil wir glauben. Wenn wir nicht
glauben, verlieren wir die Hoffnung und geraten in Schmerz. „Gott“
sagt, dass wir glauben müssen, und wir glauben. Das heißt, unsere
Gehirne stellen den Gedanken an Glauben und seine Beständigkeit her, um
die Qual frühen Kindheitsschmerzes fern zu halten. Wir erfinden die Idee
einer gottgegebenen Glaubensnotwendigkeit, und dann glauben wir; weil wir
denken, dass Gott uns dazu angewiesen hat. Und wir glauben, dass Gott uns
das gesagt hat, weil wir ihn geschaffen haben, damit er uns das sagt. Wie
in einem Traum, wenn wir den Dialog kreieren und dann staunen, dass der
oder die So-und-So so und so gesagt hat. Involviert ist ein und dieselbe
Gehirnstruktur. „Gott sagt, wir müssen glauben, um unser Seelenheil zu
finden.“ Nein. Wir fabrizieren Gott und geben Ihm das Manuskript, und
dann glauben wir, das Manuskript käme von ihm. Dann gehorchen wir
„Ihm“, wenngleich wir in Wirklichkeit unseren Gefühlen gehorchen.
Deshalb können wir für die Gottheit töten. Wir sind nur gehorsame
Diener. Wir glauben, um uns besser zu fühlen. So sagt er: „Wenn du
wirklich glaubst, dann rette ich dich.“ „Ich glaube, und ich bin
gerettet worden.“ Wovor? Vor einem harten Leben und vor schlechten Gefühlen.
Wir klammern uns leidenschaftlich an die Gottesidee, um uns nicht mit
schrecklichen Gefühlen von Verlust, Verlassenheit oder fehlender Liebe in
unserer frühen Kindheit befassen zu müssen. Wir gehorchen der Idee
eines „Gottes,“ der die Erfüllung unserer unbewussten Bedürfnisse
und Gefühle repräsentiert, vor allem, wenn es sonst niemand gibt. Wir
brauchen es, auch wenn wir jemand erfinden müssen.
In unserer Klinik haben wir die wirkliche Wiedergeburt gesehen und
gemessen. Sie hat mit dem Wiedererleben des Geburtstraumas zu tun: mit dem
Sauerstoffmangel bei der Geburt, mit der Unfähigkeit herauszukommen oder
mit der massiven Anästhesie, die der Mutter verabreicht wird und die das
System des Neugeborenen effektiv abschaltet. Der Schmerz all
dessen ist fürchterlich. Jahrzehnte später kann er zu der Idee der
Wiedergeburt beitragen; diesmal ohne den Schmerz. Somit ist
„wiedergeboren“ ein weiteres Symbol der wirklichen Sache. Es hat einen
dualen Zweck: zum einen ein
„schuldenfreier“ Neustart in ein Leben ohne die schlimmen Dinge, die
wir getan haben und die uns angetan worden sind; zum anderen geht es
darum, das Geburtstrauma aus unserem System zu entlassen, dasselbe
Geburtstrauma, das hinter einem Großteil des Alkoholismus und der
Drogenabhängigkeit steckt. Es steckt auch hinter der gewaltigen Kraft
einer Glaubensüberzeugung, es fixiert sie und macht sie zählebig. Wir
haben die Stresshormonspiegel vor dem Wiedererleben und danach gemessen.
Wenn es zu einem wirklichen Wiedererleben des Geburtstraumas kommt, sinken
die Werte des Stresshormons Kortisol signifikant. Es ändern sich auch die
Vitalfunktionen und die Signaturen der Gehirnwellen. Es ist ein reales
Ereignis.
Es gibt eine neue Therapieform, die auf der ganzen Welt an Boden gewinnt
und beinhaltet, dass jemand einen Zauberstab vor den Augen des Patienten
hin und her bewegt. Ob Sie es glauben oder nicht, EMDR (Eye Movement
Desensitization Response) behauptet, emotionalen Schmerz und Angst
reduzieren zu können – vor allem wenn vorher dem Patienten der Gedanke
fest eingepflanzt wird, dass es funktionieren wird -, indem ein Stab von
links nach rechts über das Gesicht der armen Seele bewegt wird, während
sie ein bestimmtes emotionales Ereignis vorträgt. EMDR hat eine ausgeklügelte
Begründung für diese Behandlung, lässt aber die eine Sache aus, die
heilt – die Beschäftigung mit der persönlichen Geschichte, indem man
zu seinem Lebensanfang zurückkehrt. Wir sind, ich wiederhole das,
historische Geschöpfe mit einer in unsere Neurophysiologie eingeprägten
Vergangenheit. Wir kommen nicht voran, wenn wir das ignorieren. Diese
Therapie ist das Äquivalent einiger Psychotherapie-Methoden, bei denen
wir jemand haben, der zuhört (wenn unsere Eltern das nie getan haben),
der sich sorgt, der beschützt und berät; das alles involviert Hoffnung
und gibt uns deshalb ein besseres Gefühl. EMDR lässt sich auch mit
Voodoo vergleichen – magische Gesänge und Gesten, die eine gewisse
magisch-symbolische Qualität haben. Und wir wissen, dass ein
„symbolischer Wert“ die Freisetzung schmerztötender Neurotransmitter
in Gehirn und Körper veranlasst, die uns denken lässt, dass wir uns
besser fühlen. Und wegen der Chemikalien scheint es uns tatsächlich
besser zu gehen. Wir werden abhängig. Wir stellen uns vor, es sei alles
wegen dieser Einsichten, die wir bekommen haben, oder wegen des
Zauberstabs, wenngleich es nur in Zusammenhang steht mit der Hoffnung und
Hilfe, die wir von einem freundlichen, besonnenen, warmherzigen
Therapeuten bekommen. Und je mehr wir denken, unser Therapeut sei ein
„Gott“, umso mehr Hoffnung gibt es in der Therapie und umso besser fühlen
wir uns. Und je besser wir uns fühlen, umso mehr glauben wir an die
Therapie. Deshalb können wir jahrelang zu einem Therapeuten gehen und
noch immer an der Hoffnung festhalten, dass es funktioniert. Also
verwechseln wir nicht Hoffnung und wirkliche Hilfe. Das ist ein
schwieriger Auftrag, weil unser Gehirn den Unterschied nicht feststellen
kann – wie sollen „wir“ das können? Wir stellen uns Hilfe vor, und
es werden dieselben beruhigenden Chemikalien abgesondert, als würden wir
die wirkliche Sache bekommen.
Wir behandeln Depression seit vielen Jahrzehnten. Der Tiefpunkt
dieser Krankheit ist tiefe Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Natürlich
wird jeder hoffnungsvolle Gedanke die Depression ein wenig anheben –
zumindest zeitweise. Wenn wir in bestimmten Therapien wegen einer Dosis
Hoffnung immer wieder kommen, werden wir schließlich süchtig. Aber es
gibt keine Heilung. Die Saat
der Heilung liegt im Problem – eine umgekehrte Umsetzung: vom Symptom
oder vom Glauben zurück zum Gefühl. Indem wir die tiefe
Hoffnungslosigkeit in ihrem ganz frühem Zusammenhang fühlen, können wir
auf die darauf beruhenden Glaubenssysteme verzichten. Wir messen
systematisch die Vitalfunktionen jedes Patienten vor und nach einer
Sitzung. Die Depressiven kommen in der Regel mit sehr niedrigem Blutdruck,
niedriger Herzfrequenz und Körpertemperatur herein; das geht einher mit
entsprechenden Gedanken – „Was hat das für einen Sinn? Das ist der Mühe
nicht wert. Ich will’s nicht mehr versuchen.“ Alle niedrigen Messwerte
normalisieren sich nach der Sitzung. Und die Gedanken ändern sich und
klingen weniger depressiv. Das geschieht nicht, wenn man ohne Zusammenhang
einfach weint oder schreit. Je tiefer ein Mensch die frühe
Hoffnungslosigkeit fühlt, umso wahrscheinlicher kommt es zur
Normalisierung. Und damit verbunden kommen auch neue Gedanken auf. „Ich
bin voller Hoffnung. Vielleicht kann ich es versuchen. Ich mach’ noch
einen Versuch.“ Somit ist alles aus einem Guss: die Gefühle, die
physischen Messwerte und die Gedanken. Es ist also nicht einfach ein
„Glaube“ an Gott, der Veränderungen bewirkt. Es ist so, dass dieser
Glaube die Sekretion schmerztötender Substanzen verursacht, die uns das
Gefühl geben, dass es uns besser geht, dass wir sicher und versorgt sind.
Das wird alles nicht artikuliert. Wir fühlen uns einfach besser.
DER
SPALT IM BEWUSSTSEIN
Bewusstsein
spaltet sich als Reaktion auf erschütternden elektrischen Input, der von
der Einprägung kommt. Ein Teil – die rechte Hemisphäre – befasst
sich mit unserem Innenleben, während der andere Teil – die linke Seite
– intellektuell bewusst, klug, analytisch und logisch ist. Die beiden
werden nie zusammenfinden. Der analytische Aspekt kann sich allem widmen
außer sich selbst.
PSYCHOSE: DER
ZUSAMMENBRUCH DER SCHLEUSEN
Einige
Leute haben psychotischen Zugang zu ihren Einprägungen. In der Tat kann
man Psychose definieren als zu viel Zugang zu eingeprägtem Schmerz. Das
Schleusensystem bricht zusammen, so dass die Gedankenebene der Person von
der Vergangenheit überflutet wird. Psychose ist die Art, wie wir damit
umgehen. Sie tritt ein, wenn ein völlig verwirrender Schmerzmix aus der
persönlichen Geschichte heranbrandet. Aus dieser Geschichte filtert der
Mensch deren Essenz heraus in Form von Gefühlen, und dann entstehen aus
diesen Gefühlen bestimmte Glaubensvorstellungen – was die Nachbarn
machen: „Sie werden mich töten.“ Das Ursprungsgefühl ist vielleicht:
„ Sie hassen mich, und ich wünschte ich wäre tot.“ Das ist derselbe
Prozess wie in einem Traum, wo ein Leben voller Gefühle seine evolutionäre
Reise zur obersten vorderen Ebene beginnt, nur in verdichteter Form. Wenn
man Zugang zu diesen Gefühlen hat, dann öffnen sie ein großes Fenster
der Vergangenheitserlebnisse. Einsichten informieren uns, inwieweit alle
diese verschiedenen Verhaltensmuster und Gedanken von ein paar wenigen Gefühlen
gesteuert wurden. Wir können entweder Jahre damit verbringen, den
verschiedenen Umwegen und Formen des Ausagierens nachzuspüren oder direkt
zum Wesentlichen gehen – Gefühle und Bedürfnisse.
Deprivation, fehlende Wärme, Grausamkeit, Verlassenheit, Verlust,
Misshandlung, Missbrauch, Verletzung und so fort können die Schleusen im
Gehirn überwältigen und den Neokortex überfluten; korrekter ausgedrückt
den sich entwickelnden Neokortex überfluten und schädigen, so dass das
ganze Schleusensystem für immer beeinträchtigt wird. Sehr oft wird das
Leben des Psychotikers mit massiven eingeprägten Geburts- und
Vorgeburtstraumen angefangen haben. Meine Überzeugung ist, dass diese Art
von Anfang auch auf die Mehrheit derer zutrifft, die „wahre Gläubige“
sind, ungeachtet dessen, woran sie glauben. Psychotiker oder wahrer Gläubiger
– das Individuum ist immer in der Position, dass er oder sie von der
Vergangenheit gesteuert wird. Die irrealen Vorstellungen des Psychotikers
versorgen ihn mit Erklärungen und sorgen auch dafür, dass er sich trotz
eines Übermaßes an frühem Schmerz relativ wohl fühlt. Ich möchte hier
klarstellen, dass ich meine Bemerkungen auf die psychologische Sphäre
begrenze. Es gibt viele Elemente, soziologische, kulturelle, ethnische,
etc., die eine Rolle bei Glaubensvorstellungen spielen. Ich erörtere nur
die psychischen Prozesse, durch die sich Glaubensvorstellungen entwickeln.
Der Schmerz des Psychotikers ist nicht so sicher verstaut wie die
geringeren Schmerzen des Neurotikers. Ein Kind, das jeden Tag mit einem
versoffenen grausamen Vater verbringt (oder jeden Tag mit einem abwesenden
Vater verbringt), jede Minute mit einer depressiven Mutter, erlebt
wiederholte Attacken auf das Abwehrsystem. Später im Erwachsenenleben
wird jeder Tag entweder eine dringliche, verzweifelte Suche nach einer
anderen Glaubensüberzeugung beinhalten oder das ebenso dringliche
Verlangen, den aktuellen Glauben zu stärken. Psychose tritt auf, wenn
Kindheits-Einprägungen zur Gegenwartsrealität werden; wenn die
Geschichte zur Gegenwart wird.
Wenn ich nur moderaten, neurotischen Zugang zu meinem archaischen Schmerz
habe und LSD, ein Halluzinogen, nehme, dann bin ich wahrscheinlich auf dem
Weg zu vollem psychotischen Zugang zu frühem Schmerz. Richtiger gesagt
hat der Schmerz dann leichten Zugang zu höheren Gehirnebenen, und das
Ergebnis ist Psychose. Wir nennen es Psychose, wenn der Schmerz das
Gedankengehirn erreicht, das dann sonderbare Ideen produziert. LSD mindert
die kortikalen Hemmungsfunktionen (die Schleusenfunktion), während es auf
tieferen Ebenen gespeicherten Schmerz freisetzt, oft den Schmerz, der bis
zur Geburt zurückreicht. Unter dem Einfluss von LSD wandelt sich mein
normal neurotisches Zugangsniveau zu Halluzinationen und
Wahnvorstellungen. Wüssten wir nicht, dass ich eine Droge genommen hatte,
könnten wir nicht sagen, was der Unterschied ist zwischen mir und einem
vollentwickelten Psychotiker. Ich wäre ein Kandidat für eine
Zwangseinweisung.
Stellen Sie sich Bewusstsein vor als kleine Öffnung, die jeweils nur Stückchen
unserer Geschichte zulässt. Wir können sehen, wie eine Droge, die diese
Öffnung erweitert, eine Überlastung erzeugen und den Kortex veranlassen
kann, sich zu verzerren, um sich auf die Flut einzustellen. Die verborgene
und angehäufte Geschichte bricht durch in Form undeutlicher Gefühle und
verschwommener Bilder. Da der logische Verstand versucht, ihnen einen Sinn
zu geben, greift er nach den Vorstellungen, die er gerade zur Hand hat,
egal, wie sonderbar sie sein mögen. Es sind die präverbalen, nonverbalen
Einprägungen, die den meisten Kummer machen; denn sie haben keine
Begriffe, keine Bilder an sich, an denen man sich orientieren könnte. So
fabrizieren wir für sie einen „Sinn“, der oft keinen Sinn macht:
„Sie senden Botschaften über den Fernseher, um meine Ermordung zu
befehlen.“ In einem anderen Buch habe ich ein Mädchen erwähnt, das
sich sicher war, in diesen TV-Botschaften gehe es darum, ihre Brüste
abzuschneiden und sie zu entstellen, damit sie so hässlich wäre, dass
niemand sie mehr wollte. Das reale Gefühl: „Ich muss hässlich sein,
weil ich so ungewollt bin.“
Wir müssen Gedanken aufbieten im Dienste der Verdrängung, weil wir
unsere Geschichte nicht auslöschen können. Wir können vorgeben, dass
sie nie existierte, aber das bedeutet nicht, dass sie verschwindet. Unsere
Vergangenheits-Wirklichkeit wird im System festgehalten, auch wenn wir es
vorziehen, andere Wirklichkeiten zu adoptieren.
Eine Versuchsperson unter LSD erklärt: „Ich bin jetzt in Kontakt mit
kosmischen Kräften.......ich habe Gott gesehen........ich operiere jetzt
auf einer höheren Bewusstseinsebene.“ Stimmt das? Vielleicht stimmt es
für ihn, aber es stimmt nicht wirklich. Um zu sehen, wie seicht diese
Glaubenssysteme sind, können wir der Person Tranquilizer geben; oft
schwinden dann die sogenannten Realitäten dahin, wie z.B.
kosmisches Bewusstsein und Gottesvisionen.
Die drogeninduzierten, selbstbetrügerischen Zustände der Gegenwart
rennen inkongruent an gegen die Flut der Primärrealität, die unter
der Oberfläche residiert. Anders gesagt können wir alle eine falsche
Realität konstruieren. Die notwendigen Bedingungen dafür sind gegeben,
wenn wahre innere Realitäten nicht mehr akzeptabel, konfrontierbar oder
integrierbar sind. Man könnte dann sagen, dass man gezwungen ist, eine
falsche Realität zu konstruieren. Ein von uns behandelter Mann, der sich
für die Therapie beworben hatte, hatte undichte Schleusen – litt ständig
unter Schmerz und Angst. Er fühlte sich verloren. Er nahm LSD und erfand
sich neu als verlorener Stammeshäuptling in den 1800er Jahren, der sein
Volk wiederfinden musste. LSD verursachte, dass zu viele schmerzvolle Gefühle
auf einmal sein Bewusstsein erreichten, und trieb ihn über die
angemessene Verknüpfung hinaus in eine symbolische Verknüpfung. Die neu
entstandenen Gefühle hatten damit zu tun, dass ihn seine Mutter früh in
der Kindheit an eine Pflegefamilie abgegeben hatte. In seiner ganzen
Jugend hatte er sich verloren und ungewollt gefühlt. Er musste seine
Familie finden. Das LSD wandelte eine solide Neurose in eine Psychose um.
Es brachte das Abwehrsystem zum Einsturz; neue Ideen wurden herangekarrt,
um die Lücke auszufüllen.
Wenn ich unverminderten Zugang zu meinem frühen eingeprägten Schmerz
habe, werde ich meine Geschichte leben und kaum fähig sein, meine
Gegenwart von meiner Vergangenheit zu unterscheiden. Die
Wahnvorstellungen, die ich mir einfallen lasse, sind mein Versuch, eine
gewisse Harmonie wiederzuerlangen angesichts des Schmerzes, der durch die
Schleusentore des Bewusstseins flutet. Meine Schleusen sind so undicht,
dass ich eine bizarre Vorstellung nach der anderen zwangsrekrutiere.
„Ich spiele mit dem Gedanken, einen Ort aufzusuchen, wo ich im antiken
Griechenland gelebt habe.“ „Weil mein Nachbar durch den Fernseher
Befehle bekommt, mich zu erschießen, muss ich von hier weggehen.“
„Diese Burschen drüben vor dem Lebensmittelladen lachen hinter meinem Rücken
über mich.“ (Die Psychotikerin symbolisiert vielleicht, wie ihre Eltern
vor langer Zeit versuchten, sie zu verletzen, und dies tatsächlich
taten.) „Seit ich diese Feier auf der anderen Seite der Schnellstraße
vor ungefähr zehn Jahren verlassen habe, folgen mir diese
Hermaphroditen-Aliens überall hin. Deshalb dreh’ ich mich ständig um,
wenn ich die Straße entlang gehe. Du musst deinen Rücken bedeckt halten,
weil sie überall sind.“ Ein
Mensch, bei dem der Schmerz langsam aussickert, hat wahrscheinlich mehr
Zeit, sich bereits vorgefertigte Glaubensvorstellungen auszusuchen, in die
er das Schmerz-Rinnsal einleiten kann. Bei Psychose ist die Sache
dringlicher.
An früherer Stelle habe ich das Nervenfaser-Netzwerk kurz angesprochen,
welches das limbische System und den zerebralen Kortex miteinander
verbindet und somit emotionale Erinnerung mit den höheren Ebenen verknüpft,
wo Gedanken hergestellt werden. Nervenfasern projizieren auch vom retikulären
Aktivierungssystem – der Alarmzentrale des Gehirns -
aufwärts und verbinden somit die Strukturen, die das Denken für
die Ideenbildung aktivieren. Wenn tiefer Schmerz in den Hirnstamm eingeprägt
ist, greift das retikuläre Aktivierungssystem ein und regt den Kortex zu
einer Abwehrhaltung an. Leider verursacht es in uns auch zwanghaftes Grübeln,
wenn wir einschlafen wollen. Die tiefe nonverbale Einprägung produziert
Gedanken, die Art Gedanken, die uns nicht loslassen: „Was ist, wenn dies
oder das passiert? Habe ich das richtig gemacht oder nicht? Habe ich das
Richtige gesagt?“ – „Bin ich schlecht?“ ist die wirkliche Frage.
Agitation tief unten im Gehirn, die aus eingeprägten präverbalen Traumen
entsteht (z.B. wenn man gleich nach der Geburt tagelang von der Mutter
entfernt wird), alarmiert das retikuläre System, das dann Informationen
an den Thalamus übermittelt, der sie dann an den Neokortex
weiterschaltet. Was geschieht, ist ein Ausfluss oder eine Kanalisierung
der von unten kommenden Energie. Der Thalamus ist eine Art Schalttafel,
die entscheidet, welche Information an den Kortex weitergegeben wird und
welche nach unten in den Speicher zurückgeschickt wird. Wenn der Thalamus
überlastet ist, kann er den Fluss nicht aufhalten; dann kommt es zur Überflutung,
und zur Blüte zwanghafter Gedanken.
Ein überstimulierter frontaler Neokortex kann zu allen möglichen
bizarren Ideen führen. Ich denke, dass „Channeling“ ein netter
Ausdruck ist für metaphysische Ideen, weil das wirklich im Gehirn
geschieht: die Energie der Einprägung wird in symbolische Ideenbildung
kanalisiert. Der Gedanke, dass man in früheren Leben gelebt hat, scheint
noch so ein atavistischer Sprung zu sein von vergangenen Augenblicken zur
gegenwärtigen Inkarnation. Weil man nicht fähig ist, sein Leben in der
Vergangenheit – besonders die eigene Geburt – wiederzuerleben,
springt man darüber hinweg und landet ein paar Jahrhunderte früher.
Bei den Tausenden Patienten, die sich bei mir einer richtigen Primärtherapie
unterzogen haben, habe ich kein einziges Mal ein „Vorleben“ gesehen.
Bei Leuten, die Pseudo-Primärtherpie bei Scharlatanen gemacht haben, habe
ich eine Menge davon gesehen. Diese Individuen (oftmals Opfer vorzeitiger
Geburtsprimals in als „Regressionstherapie“ bekannten Therapien)
schwappen vom wirklichen Erlebnis über in etwas Irreales; in eine
Gedankenformation, die sie gegen das wirkliche „Vorleben“ im
Geburtskanal oder unmittelbar nach der Geburt verteidigt. Das ist dann wie
ein Querschläger, der vom Geburtstrauma abprallt und in etwas
Erfreulicheres und Irreales einschlägt. Ist das von Bedeutung? Ja, weil
Realität, die es nie ins volle Bewusstsein schafft, uns schließlich
vorzeitig umbringen wird. Oder zumindest zu früher Krankheit führt. Es
ist ein ständiger Druck, vergessen Sie das nicht. Unter anderem regt es
das Herz auf. Und unsere Patienten, die mit Primärtherapie angefangen
haben, hatten sehr hohe Spiegel des Stresshormons Kortisol. Die
Wirklichkeit lässt sich nie auslöschen und vergessen.
Um es zu wiederholen: Körperliche Morphinproduktion findet man
prinzipiell in Arealen, die sich mit Emotion befassen. Der
Mittellinien-Thalamus – die Schaltstation – ist mit Opiatrezeptoren
geladen, die das Serotonin/die Endorphine binden, die wir herstellen. Wir
sekretieren sie in Übereinstimmung mit der Schmerzmenge, in der wir
stecken. Schmerz kann in dieser Schaltstation blockiert werden, sodass die
wirkliche Botschaft im vollen Bewusstsein nicht ankommt. Wir haben ein
biologisches System, um Bewusstsein zu verringern. Volles Bewusstsein zu
verringern kann das Leben retten oder wenigstens den Verstand; es kann die
Desintegration des denkenden nach außen orientierten Frontalhirns
verhindern. Man würde glauben, dass verstärktes Bewusstsein
lebensrettend wäre, aber tatsächlich ist das Gegenteil der Fall; wir müssen
unseren Verstand intakt halten, sodass wir in der Welt navigieren können.
Zuviel eingeprägter Schmerz verhindert das.
♦♦♦
Douglas
Religion
hat uns über die Jahrhunderte gelehrt, dass Schmerz und Leid
geheimnisvolle Gaben sind, die uns ein liebevoller Schöpfer geschenkt
hat, um uns zu stärken, zu reinigen und uns der ewigen Glückseligkeit im
Himmel würdig zu machen.
Ich wurde römisch-katholisch erzogen und lebte nach der Bibel, bis ich
achtundzwanzig Jahre alt war. Ich machte all die verlangten Sachen, die
ein guter Katholik machen soll, ging aber außerdem einen Schritt weiter
und versuchte, mein Leben „in Nachahmung Christi“ zu führen. Ich
erkannte, dass der einzige Grund, dass ich gemäß einer solchen Lehre
lebte, die Angst war. Sie haben einen sehr guten Job gemacht, als sie mich
dazu brachten, dass ich an die Existenz der Hölle glaubte. Mein Austritt
aus der Kirche wurde durch eine intellektuelle Krise ausgelöst. Sehr
tiefgreifende und (zumindest für meine katholische Mentalität) verstörende
Fragen waren nie zu meiner Zufriedenheit beantwortet worden. Sie lauteten:
-
Wie
konnten Maria und Josef als Idealfamilie betrachtet werden, wenn sie
ihre Ehe nie vollzogen haben und deshalb gemäß der eigentlichen
Lehre des katholischen Glaubens nicht verheiratet waren?
-
Wie
konnte ein unendlich liebender Gott seinen einzigen Sohn bitten, so
viel Leid zu ertragen für etwas, das er nicht getan hat?
-
Wie
kann eine Jungfrau ein Kind bekommen?
-
Wenn
Christus sagte „Die Wahrheit wird dich frei machen,“ warum habe
ich mich nicht frei gefühlt?
Als
ich aus der Kirche austrat, bekam ich sehr viel Angst. Mein Gefühl der
„Zugehörigkeit“ war nicht mehr da, und somit fing ich an, andere
religiöse Konzepte zu erkunden. Während die Widersprüche anderer Natur
waren, tauchte ständig dieselbe nagende Frage auf. „Warum fühle ich
mich nicht frei?“
Meine Suche nach dieser Antwort brachte mich zum Primal Center, und genau
hier sollte ich lernen, warum ich mich nicht frei fühlte. Hier wissen wir
vielleicht nicht, wie der Himmel aussieht, aber wir wissen definitiv, dass
unsere eigene persönliche Hölle, unser Schmerz, uns nicht von einem
liebevollen Gott gegeben wurde sondern vielmehr von grausamen, gefühllosen
Eltern.
Eines Nachts in der Guppe fing ich an, ernsten Schmerz auf der linken
Seite meines Gesichts und Körpers zu fühlen. Ich fing an zur Wand zu
krabbeln, wie ein Kleinkind es tun würde. Während ich mir meinen Weg zur
Abpolsterung erarbeitete, schaffte ich es, mich auf die Füße zu stellen.
Gleich nachdem ich aufgestanden war, hatte ich das Gefühl, nach links hinübergezogen
zu werden. Der Schmerz steigerte sich zu einem unglaublichen Maß, und
genau zu diesem Zeitpunkt wusste ich,was mit mir geschehen war. Sie hatten
mich festgebunden.
Ich hatte nie gewusst, warum mir mein ganzes Leben lang alles so viel
Angst machte, aber als ich dieses Primal fühlte, wusste ich es jetzt. Das
war mein erster Versuch gewesen zu bekommen, was ich wollte, zu meiner
Mutter zu gelangen, und deswegen hatten sie mich festgebunden. Es war für
mich leicht gewesen, an die Hölle zu glauben, weil alle Beschreibungen
der Hölle, die ich in der Kirche hörte, perfekt den Schrecken
beschrieben, den ich in jenem Krankenhaus spürte, in dem sie mich
festgebunden hatten. Es gab für mich keine Befreiung, weil meine Angst in
mein gesamtes Wesen eingewoben war.
Ich konnte nicht ich selbst sein, weil ich gelernt hatte, dass ich selbst
zu sein und zu bekommen versuchen, was ich wollte, fürchterlichen Schmerz
brachte. Die katholische Religion, die man mich lehrte, verstärkte dieses
Gefühl in mir, indem sie mich lehrte, dass alle in die Hölle kommen,
die es wagten, dieses Höchste Wesen, das uns geschaffen hatte, gegen
sich aufzubringen. Und sie hatten die ganzen Regeln, die jeder befolgen
musste, um seiner „gerechten“ Strafe zu entkommen.
Das Versprechen der
Schmerzfreiheit lag immer in der Zukunft. Das war der Kern ihres Glaubens:
„Mach’ heute, was man dir sagt, und du wirst morgen frei sein (wenn du
stirbst).“
Es
ist das „ Jetzt“, das wichtig ist, wenn man Freiheit thematisiert,
denn wenn der Mensch heute nicht frei ist, dann ist er nicht frei. Punkt.
Religion ist neurotisch, weil sie versuchen, reale Bedürfnisse mit
irrealen Lösungen zu beantworten: Dogma, Mythos, Ritual. Meine Religion
war auch militaristisch, weil ich keine Gedanken tolerierte, die ihrer
Doktrin widersprachen. Deshalb bekam ich immer mehr Angst, für mich
selbst zu denken, und übergab meine Gefühle und Vorstellungen vom Leben
an die kollektive Gesinnung des Glaubens, dem ich angehörte.
Als
Primärpatient glaube ich, das Verdrängung genau so lange existieren
wird, bis man sich auf einer realen Ebene mit dem Schmerz befasst. Solange
der Mensch sich weigert, das zu fühlen, was sich wirklich in ihm
abspielt, und weiterhin seinen Kopf in Fantasie vergräbt, wird er seine
wirklichen Bedürfnisse niemals fühlen; er wird ein Sklave seine ungefühlten
Schmerzes bleiben. Im Bemühen, dem Schmerz zu entfliehen, wird er anderen
Schmerz zufügen, indem er sie zu Sklaven seines Willens macht.
Menschen, die wirklich frei sind, wollen keine Sklaven haben, weil sie fühlen
können, was sie sind, und deshalb vollständig sind.
______________
Obige
Erörterung vergegenwärtigt eine Frage, die ich oft meinen Studenten
stelle. Wie kommt es, dass die tiefgläubig Religiösen politisch öfters
dem rechten Flügel angehören als nicht? Was hat religiöser Glaube an
sich, das jemanden eine anti-humane Grundhaltung einnehmen lässt? Zuerst
mein eigenes Vorurteil: Ich denke, dass die Tiefgläubigen reale Bedürfnisse
und Gefühle in ein Glaubenssystem umgesetzt und projiziert haben, sei es
ein politisches oder ein religiöses. Es besteht das Bedürfnis, die von
einer Autorität aufgestellten
Regeln zu befolgen, seien es die eines Führers oder die eines Buches wie
der Bibel. Es gibt dann keine Notwendigkeit mehr, für sich selbst zu
denken. Wenn man nicht von Gefühlen geleitet wird, dann ist man anfällig
für alle möglichen ideellen Systeme, die es gibt. Und wenn man in einer
Religion ersucht wird, persönlichen Bedürfnissen abzuschwören und sein
Leben einer Abstraktion zu übergeben, so wird das gemacht. Von da ist es
kein großer Sprung zu einem politischen System, das auch persönlichen
Bedürfnissen abschwört. Sobald man exklusiv in der Welt von Glaubensüberzeugungen
lebt, gibt es keinen anderen Bezugsrahmen mehr als den der Autorität. Das
Leben besteht nur noch aus Ritual, Katechismus und Gehorsamkeit. Genau so
funktioniert das Militär – blinder Gehorsam zielt darauf ab, Soldaten
ans Marschieren zu gewöhnen und an das Befolgen von Befehlen, sodass der
Gehorsam eingestanzt wird. Es gibt keine Fragen, keine unabhängigen
Gedanken, nur den Wunsch, „gut“ zu sein. Wenn das einmal in sie
eingestanzt worden ist, ist es ziemlich leicht, jemanden dazu zu bringen,
dass er Tausende von Meilen zurücklegt, um einen Bauern zu töten,
der etwas anderes glaubt. Das haben wahre Gläubige, das Militär und
Religiöse gemeinsam: Regeln und Gesetze und bedingungslose Loyalität.
Der Prozess, in dem Neuronen für die Verdrängung rekrutiert werden, ist
mühelos, lautlos und unbewusst. Die Psyche der Gedanken und
Glaubenvorstellungen weiß nicht, dass sie benutzt wird. Sie kennt auch
nicht den Grund, warum sie benutzt wird. Sie tut einfach das, was sie tun
muss. Sie symbolisiert äußere Irrealität für innere Realität, stellt
genaue Kopien der frühen traumatischen Umgebung her und filtert dann mit
ihnen jedes neue Ereignis. Sie formt ihre eigene Realität aus einer
Mischung früher traumatischer Einprägungen und reagiert dann auf
Gegenwartsereignisse im Lichte dieser frühen (und veralteten) Realität.
Sie konstruiert Geschichten, auch wenn wir schlafen, Geschichten, die wir
als Träume und Albträume kennen. In diesen Träumen gibt es Bilder und
Ideen –wenngleich primitiver Art-, die auch Einprägungen widerspiegeln.
Die Umsetzung von Gefühlen zu Gedanken findet in völliger Stille statt.
Es gibt keine Warnzeichen, keinen Beweis für die Metamorphose. Nur
lautlose Umwandlung einer Bewusstseinsebene in eine andere. So ist es
verständlich, dass wir dazu neigen, die Neugestalt zu behandeln anstatt
ihre frühere Inkarnation.
Beim unbewussten Individuum wickeln
Träume vergrabene Erinnerungen, Bedürfnisse und Gefühle mit Symbolen,
Bildern und verzwirbelten Handlungen ein. Wir wälzen uns hin und her in
der Nacht unter dem Angriff von Geschichten, die uns erschrecken und uns
mit Angst erfüllen; Geschichten, die automatisch vom Gehirn konstuiert
werden. Der Magen dreht sich, das Herz pocht. Da der logisch denkende
Kortex schläft, gibt es außer Traumgeschichten nichts, das den Aufstieg
der präverbalen Erinnerungen bewältigen könnte. Diese Geschichten sind
voller Bilder, welche die kortikale Ebene eine Etage tiefer hergestellt
hat. Je bizarrer und angsteinflößender der Traum ist, umso
symptomatischer ist er für ungefühlte Gefühle und für Empfindungen,
die in eine Zeit vor der vollen Entwicklung der Gefühls-/Bilder-Ebene zurückdatieren.
Angst hat mit den Eingeweiden zu tun, ein aufgewühlter Magen,
Schmetterlinge, Atemprobleme, Würgen, Strangulieren – das alles ist mit
Lebensanfangs-Traumen vor, während und nach der Geburt assoziiert. Wir können einen ängstlichen
Patienten mit Traumanalyse behandeln, weil wir den Wandlungsprozess nicht
erkennen, in dem tiefe Einprägungen – Strangulierung durch die
Nabelschnur, totale Asphyxie - einen
neuen Charakter annehmen. Der Traum mag damit zu tun haben, dass man
vergast, aufgehängt oder in einem luftleeren Raum eingeschlossen wird, -
alles verbunden mit den frühen Empfindungen, die mit der Geburt
einhergehen können. Wir sehen den Traum als Wesen an sich anstatt als
symbolische Umhüllung sehr primitiver Traumen. Wenn wir Zugang zu diesen
sehr frühen Empfindungen haben, verstehen wir sehr bald, was die
Traumsymbole bedeuten. Unterdessen ist eine der einfachen
Gedankenbildungen im Traum das direkte Resultat dessen, dass man zum
Beispiel bei der Geburt schwer betäubt wird; Empfindungen werden in Gefühle
und später in Gedanken umgewandelt.
Es ist als konventionelle Methode üblich, dass man bei einigen Patienten
ihre Träume analysiert, um ihre Probleme besser zu verstehen. Aber diese
Art intellektueller Übung ist ein weiteres Mittel, um Gefühle zu
vermeiden; eine Erinnerung tieferer Ebene auf eine höhere zerebrale Sphäre
anzuheben. Wir müssen die ursprünglichen Gefühle/Empfindungen erleben
anstatt über sie nachzudenken. Ein Mensch, der fließenden Zugang zu
tieferen Bewusstseinsebenen erlangt, zu den Traumen der ersten Linie, die
früh im Leben in ihm verdrahtet worden waren, wird
herausfinden, dass seine Albträume voller symbolischer Ängste und
Folterknechte aufhören. Es wird keine Notwendigkeit mehr geben, Gefühle
zu verkleiden – und dementsprechend wird sich das integrierte Individuum
nicht mehr in ein Glaubensgefängnis einsperren. Das rechte Gehirn befasst
sich also mit Gefühlen und Abbildungen des Schmerzes. Die höhere Ebene
des Linkshirns übersetzt den Schmerz in Gedanken. Wäre die Übersetzung
direkt und korrekt, würde die Person leiden; also muss die Übersetzung
Irrtümer enthalten. Sie muss uns in die Irre führen, uns von der
wirklichen Bedeutung („Sie lieben mich nicht.“ „Alles ist
hoffnungslos.“) wegschieben.
Ich gebe Ihnen ein aktuelles Beispiel. Wir ziehen Patienten regelmäßig
zu Personalsitzungen hinzu, um sicher zu stellen, dass ihre Therapie gut
verläuft und dass niemand durch das Raster fällt. Ein Patient, Hans,
fuhr auf der Autobahn zu unserer Klinik (Primal Center),
als er im Verkehr gefangen war zwischen einem Wagen links und einem
anderen rechts neben ihm. Ein anderer Wagen klebte an seiner Stoßstange,
weil er auf der Schnellspur zu langsam fuhr. Eine Panikattacke kam auf,
und er fühlte sich plötzlich tot, und ihm war auch, als säße ein Teil
von ihm – seine Seele - auf
dem Beifahrersitz. Was er wiedererlebte, war das Geburtstrauma -
festgeklemmt, eingequetscht, zerdrückt werden, kein Ausweg, keine
Handlungsoption, keine Hilfe. Der Schrecken kam hoch, ein Teil von ihm
starb gleichsam, und dann glaubte er, seine Seele säße neben ihm. Wenn
keiner an ein Geburtstrauma glaubt oder wenn keiner es versteht, kann man
das Problem oder die Lösung unmöglich begreifen. Diese „Seele“ war
die Bewahrung seines Selbsts, eines eingekapselten und beschützten
Selbsts, sodass er nicht alles von ihm verlieren würde. Der Schrecken kam
hoch, und sein Schleusensystem konnte einen Teil davon unten halten. Der
Rest wurde nach außen projiziert – die Spaltung. Viele von uns stehen
auf „Seele“ und andere Projektionen, sodass wir, wenn wir es hier
verstehen, es vielleicht auch woanders verstehen können. Es ist wie ein
wertvolles kleines Stück unsererselbst, an dem wir uns festhalten. Es ist
unmöglich, das zu verstehen, solange wir das Geburtstrauma nicht
anerkennen. Das heißt, es gibt keine Heilungsmöglichkeit für zerstörerische
Glaubenssysteme oder für andere Symptome, ohne dass man sich zur Basis
all dessen begibt. Heilung bedeutet, sich mit den endgültigen Ursachen zu
befassen.
Ende
des Kapitels
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Artikel
und Buchauzüge
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