Dr. Arthur Janov: Beyond Belief: Cults, Healers, Mystics and Gurus - Why We Believe |
LLC Reputation Books, ISBN-10: 0986203173, 03. Mai 2016 |
Kapitel 18
EST: Anhänger lassen sich bereitwillig verführen und werden Glaubens-Gefangene
Werner Erhard machte Millionen mit seiner speziellen Handelsmarke der Gehirnwäsche, die als EST (Erhard Seminar Training) bekannt wurde. Dieser selbsternannte Selbsthilfe-Guru passt in die Form, die ich beschrieben habe. Werner Erhard war der angenommene Name eines gewissen Jack Rosenberg, ein ehemaliger Gebrauchtwagen-Verkäufer, der behauptete, er sei "erleuchtet" worden, als er auf der Autobahn in Kalifornien unterwegs war. Im Jahr 1960, ungefähr zu der Zeit, als Rosenberg angeblich das Licht sah, verließ er seine erste Frau und vier Kinder; er sah die Kinder erst 1971 wieder. 1971 begann dieser Mann mit neuem Namen und neuer Mission "personelle Transformation" zu verkaufen. Laut dem People magazine setzte EST in den frühen 1980er Jahren, obwohl es bergab ging, immer noch 36 Millionen Dollar im Jahr um mit den Seminaren, die an seinen siebenundzwanzig Ausbildungszentren überall im Land veranstaltet wurden. (26) Bis 1984 hatten etwa eine halbe Million Leute in EST "graduiert."
Diese Auszubildenden, die für das Privileg zahlten, dem Guru zuhören zu dürfen, mussten seine autoritären, absoluten Regeln befolgen: nicht sprechen, nicht mit Freunden zusammensitzen, nicht essen oder trinken, sich keine Notizen machen, nicht im Raum herumgehen, keine Uhren tragen. Eine 18 Stunden Sitzung beinhaltete gewöhnlich eine kurze Essens-Pause und eine oder zwei Toiletten-Pausen. Somit übernahm der Führer in gegenseitigem Einverständnis die Kontrolle bis hinab zu den Grundbedürfnissen der Schüler, bis zum Punkt, wo sie von ihm abhängig waren, wenn sie pinkeln mussten. Zusätzliche Regeln leiteten dich an, wie du dein Namenschild zu tragen hattest, wie du zu sitzen, wie das Mikrofon zu halten hattest, wenn du hineinsprachst, wie die Berichte anderer Leute zu würdigen waren (egal, welcher Inhalt, du sagst "gut"), wie und wann man den Leuten in die Augen schauen musste. Vor allem musste man Instruktionen sofort und buchstabengetreu befolgen. Wenn zum Beispiel jemand eine Minute zu spät kam oder das Namensschildchen nicht genau auf die vorgeschriebene Art trug, wurde ihm oder ihr gesagt, er/sie breche eine "Vereinbarung," er oder sie wurde öffentlich erniedrigt und mit Ausschluss bedroht. Das ist eine Vereinbarung nach hierarchischem Muster, wie beim Militär, wo die Regeln vorgefasst und dann auferlegt werden. Das wiederholte bei vielen Teilnehmern deren Kindheit in autoritären Familien, in denen die Deprivation von Bedürfnissen unterschwellig zugefügt wurde, in denen Kinder beim Essen nicht redeten, warten mussten, bis sie vom Tisch aufstehen durften und nicht ohne Erlaubnis auf die Toilette gehen konnten. Man war "einverstanden," "gehorchte" und sagte "gut" wie ein guter Roboter oder man wurde andernfalls bestraft. EST konnte dich nicht in den Knast bringen, dir nicht den Hintern versohlen, keinen Hausarrest erteilen oder dir deine Weihnachts-Geschenke vorenthalten, also war die Strafe der Ausschluss vom Training. Und wahrscheinlich hatte man, was Geld und Hoffnung betrifft, zu großzügig bezahlt, als dass man mit den Regeln nicht einverstanden sein konnte. Insgesamt hatten diese Regeln den umgehenden Kontaktverlust mit der vertrauten Außenwelt zur Folge und ein gewisses Maß an Orientierungslosigkeit. Der Hotel-Konferenzraum wurde zur ganzen Welt. In diesem neuen schwebenden Umfeld fungierten die Trainer als absolute Autoritäten und Heilbringer, obwohl sie sich bei allen Regeln und Aktivitäten auf ihre absolute Autorität, auf Werner Erhard bezogen. Wenn sie gefragt wurden, warum eine bestimmte Technik angewendet wurde, reagierten sie mit einer Standardantwort. "Wir machen das, weil Werner sagt, dass genau das funktioniert." Mit anderen Worten: "Warum?" "Weil ich es sage, deshalb!" Wozu es diente, wurde nie erklärt; entweder man hatte es "kapiert" oder nicht. Man flüsterte nicht mit einem anderen Azubi - zum Beispiel um Meinungen auszutauschen über das, was sich abspielte - es sei denn, man wollte die Wut des Trainers heraufbeschwören. Man war wieder in der Grundschule, unter der eisernen Hand eines strengen Lehrers, darauf bedacht, nicht in die Ecke gestellt zu werden oder nicht hundert Mal zu schreiben "Ich werde in der Klasse nicht reden." Die Indoktrination funktionierte im Gewand des Lernens unter der Voraussetzung, dass kritisches Denken und Hinterfragen aufgegeben wurde. Es wurde erwartet, dass man sich passiv den Regeln unterwarf und das Dogma unkritisch in sich aufnahm, weil es zum eigenen Nutzen war. Die Kindheit wiederholte sich überall um einen herum. Mach, was deine Eltern sagen ohne zu fragen, oder du wirst bestraft. Bewege dich innerhalb der erlaubten Verhaltens-Parameter, äußere keine inakzeptablen Gedanken und bestehe nicht auf deinen Rechten, wenn du weißt, was gut für dich ist. Wieder wirst du gezüchtigt, indem dir deine Grundbedürfnisse versagt werden; ertrage das Unwohlsein einer vollen Blase acht Stunden lang oder scheitere als Gruppenmitglied. In einem typischen Führer/Anhänger-Muster, in dem es an sinnvoller Interaktion fehlte, führten ein paar Trainer eine Gruppe von Auszubildenden durch eine Reihe langer, sich wiederholender Übungen. Eine eingepflanzte Bilderwelt und Hypnose wurden benutzt in Verbindung mit einer Reihe absichtlich komischer, ja alberner Spiele - oder vermeintlich komischer Spiele, weil sie Elemente der Selbsterniedrigung und Beschämung durch den Trainer enthielten. Gruppenführer setzten Mitglieder herab, indem sie sie "Arschlöcher" nannten. Wenn man einmal so eingeschüchtert und erniedrigt war, wurde einem immer gesagt: "Du bist perfekt, genau so, wie du bist." Die volle Teilnahme - d.h. Unterordnung unter das Spiel - wurde verlangt, bevor einem Azubi erlaubt wurde aufzuhören. Nachdem den Auszubildenden Akzeptanz und Liebe angeboten worden war und sie dann lächerlich gemacht und eingeschüchtert wurden, wurden sie eingeladen, ihre Geheimnisse und Sünden zu gestehen, was dann ermöglichte, dass sie wieder gestreichelt und akzeptiert wurden und mit einem wundervollen Gefühl nach Hause gehen konnten. Der bezeichnete Zweck dieser Aktivitäten war, "gewöhnliche mentale Muster zu unterbrechen," loszulassen von "früheren Bändern und Aufzeichnungen." Nachdem das erledigt war, konnten neue Bänder die verworfenen ersetzen. Wenn du den Nerv hattest, mit etwas nicht einverstanden zu sein, und du protestiertest öffentlich, sagten dir die neuen Dogma-Quellen, dass du dein eigenes Glaubenssystem anwendest, um dich der "Lehre" zu widersetzen. Innere "Bänder" zu zerreißen kann in der Tat nützliche Therapie sein, aber im Kontext von EST bekam man lediglich Werner-Bänder, welche die Eltern-Bänder ersetzten. Zeit stellte ein kritisches Element dar bei EST, weil es eine ganze Weile dauerte, ehe alle Azubis unter einen Hut gebracht wurden in der Erfahrung, nach den Instruktionen der Führerschaft zu leben. Mit anderen Worten verlangten die Spielregeln, dass die Auszubildenden langsam aber sicher zu hirnlosen Drohnen programmiert wurden. Derart aufgefüllt mit Erhard-Gedankengut konnten sie richtige Reaktionen "entdecken" (die offizielle Linie nachplappern), konnten erfüllen, was erwartet wurde, - als Teil einer Peer-Gruppe, deren Mitglieder ähnliche "Gedanken"- Muster hatten. Die Azubis wurden auch angewiesen, das, was in EST-Sitzungen vor sich ging, nicht mit anderen Erlebnissen zu vergleichen. Auf diese Weise hielt EST seine dissasoziierte, abgetrennte Eigenschaft aufrecht - wie bei der sensorischen Deprivation die Versuchsperson, die stundenlang in einem Flüssigkeitstank treibt, wie die Alamos-Kirche, wie der Astronaut, der in einer Raumstation schwebt, der Marinesoldat im Ausbildungslager, der Kriegsgefangene oder die Geisel, die in einem kleinen Raum gefangen ist und nur Kontakt mit ihren Entführern hat. Allmählich und schleichend steigerten die isolierte Umgebung, die endlose Serie von Anweisungen, die starren Verhaltensmuster, die Wiederholung und Eintönigkeit das Ausmaß des unmittelbaren Erlebens. Verbindungen mit der Welt draußen, mit anderen Wissens-Quellen, anderen Glaubenssystemen gingen zurück und verschwanden. Nur der Trainingsraum - oder EST-Tank - schien real; er umfasste die ganze Welt. Die anwesenden Leute gehörten derselben Gesellschaft an, demselben Persönlichkeitskult, demselben Glaubensgefängnis, und sie verkörperten alle die Werte, die von der Bergspitze (Erhard) ausströmten und durch seine autoritären Boten/Trainer überbracht wurden. Die Wirklichkeit ist hier und jetzt, verkündete der Erhard-Gedanke. Sonst existiert nichts. Programmiert mit einem ordentlichen Glaubenssystem wurden die EST-Anhänger eher zu "Robotern für EST" als zu "Robotern für Gott." Im EST-Dogma ist alles das Ergebnis des Glaubens. Du bist gesund, wenn du denkst, dass du gesund bist. Du kannst sein, was immer du sein willst oder was immer du selbst denkst zu sein. Alles, was du siehst oder erlebst in der Welt, ist nur ein Auswuchs deines Glaubens, dass die Dinge genau so sind, wie du sie siehst und erlebst. (Um seinen Standpunkt zu beweisen, beschloss Werner Erhard, Rennfahrer zu werden - die gleiche Art, wie Koresh und Alamo ihre neuerlangten Reichtümer nutzten, um ihren Fantasien nachzugeben und Rockstars in ihren kleinen Herrschaftsgebieten zu werden. Erhard kaufte die besten Autos und beschäftigte professionelle Trainer, aber seine Aufführung reichte nicht an die Standards des professionellen Autorennens heran. In diesem Schema der Dinge ist Realität nicht mehr als eine Übereinkunft darüber, was real ist. Anders gesagt sind Realität und Glauben eins. Probleme, die wir vielleicht haben (fehlende Liebe und Zuneigung, Angst, Depression, Schüchternheit, geringe Selbstachtung, Zwangsverhalten, Paranoia), oder die es auf der Welt gibt (unsichere Straßen, wirtschaftliche Instabilität, die Zerrüttung von Familien und Werten, Ausbeutung, Verschmutzung, Hunger, Krieg, Völkermord, etc.), sind nur real, weil wir glauben, sie seien real. Tatsächlich existieren sie als Probleme nur in unseren Gedanken, und wenn wir diese Probleme nicht anerkennen, dann existieren sie nicht. Weder die Unterdrückung durch die Polizei in unserer Gemeinde noch die Unterdrückung von Schmerz in unserem Nervensystem müssen uns beunruhigen; wir ignorieren sie einfach, und sie sind verschwunden. Das ist die Machart des EST'schen Solipsismus, die es der Gruppe ermöglichte, einen großen Haufen Geld zu sammeln, nicht um die Hungernden zu nähren, sondern um "das Ende des Hungers zu visualisieren." Niemand weiß genau, wohin das ganze Geld ging, das sie aufbrachten, aber größtenteils wurde es für mehr "Training" ausgegeben. Wenig oder nichts wurde für Lebensmittel ausgegeben. (Die Forderung des IRS gegen Erhard in Höhe von 2 Millionen Dollar Steuerschulden ist vielleicht ein Hinweis). Hunger? Existiert nur im Gedanken-Gehirn. Außerdem, wenn du hungrig bist, ist es dein eigener Fehler oder zumindest deine Verantwortung, und wenn du hungrig bleibst, ist es, weil du es so willst und magst. Auch deine Geburt liegt in deiner Verantwortung. Da du vermutlich die totale Kontrolle über dein Leben im Hier und Jetzt hast, hattest du die totale Kontrolle über dein Leben seit der Zeit im Mutterleib. EST übernimmt jetzt die Kontrolle über dich und deine Gedanken, während sie dir sagen, dass du die Kontrolle hast. Ist das ein Paradoxon, ein Widerspruch? Oder einfach ein simpler Werbetrick und einer, der sich hier wie sonstwo als hochgradig profitträchtig erwiesen hat. Biete Wärme und Liebe an, setzte Ablehnung für ungläubiges Verhalten entgegen und sorge für die Möglichkeit der Wiedergutmachung und Akzeptanz. EST-Auszubildende wurden aus denen rekrutiert, die das Dogma ganz und gar angenommen hatten, die es anderen mit Überzeugung "beibringen" konnten. Nichtsdestotrotz gab es eine Zeit, in der Hälfte der Hollywood-Studio-Manager in EST involviert waren. Ein Studio schickte alle seine Bosse dorthin. Wenn sie sich nicht bedürftig gefühlt hatten, bevor sie den Isolationstank nach EST-Art betraten, waren sie als Kinder behandelt, bedürftig gemacht und so manipuliert worden, dass sie ihre Kritikfähigkeit verloren: Ihnen wurde Liebe angeboten (zu einem bestimmten Preis), dann wurden sie als Arschlöcher bezeichnet und gegeißelt (mit der Vorstellung, es sei zu ihrem Wohl), und dann gestattete man ihnen, die Komplimente und das Lob zu hören, auf das sie ihr ganzes Leben gewartet hatten: "Du bist perfekt, so wie du bist." Was einige Leute in Werner Erhards Umkreis Mitte der 1980er Jahre zu sagen hatten, als das EST-Imperium bereits auf Talfahrt war, zeigt die übrig gebliebenen Bedürfnisse auf beiden Seiten dieser Beziehung zwischen Suchenden: Trotz Rosenbergs/Erhards eigener "Erleuchtung" und seiner angeblichen Rolle dabei, einer Vielzahl von Leuten zu helfen, "bewusster" und "motivierter" zu werden, war sein eigenes Leben ein Scherbenhaufen. Der IRS war hinter ihm her, und seine zweite Frau hatte ihn wegen "ständigen Ehebruchs" verklagt. Seine Namensänderung hatte aus ihm keinen vertrauenswürdigeren Ehemann als beim ersten Mal gemacht. Führer und Anhänger glauben gleichermaßen gern an Illusionen und umgehen bewusst die Wahrheit. Bei EST und anderswo gibt ein außer Kontrolle geratener Führer vor, etwas zu sein, was er nicht ist, während er den Anhängern zeigt, wie sie vorgeben können, dass sie ihr Leben unter Kontrolle haben. Die Preisgabe des Selbst, des Fühlens und des Urteilsvermögens (bis zum Punkt, an dem man sich erniedrigen lässt) charakterisieren den Eintritt eines Erwachsenen in einen Kult. Diese Flucht vor dem Selbst ist ein integraler Aspekt religiöser Bekehrung. Aber die Selbstübergabe an ein von externen Urhebern auferlegtes Glaubenssystem ereignete sich, lange bevor das Individuum sich für das Wochenend-Seminar einschreibt und sich für die Indoktrination vorstellt. Das Modell und der Vorläufer für die Kapitulation des Erwachsenen ist die Kind-Eltern-Beziehung. Das Kind/der Anhänger beabsichtigt nicht, das Selbst aufzugeben, und seine Eltern beabsichtigten nicht, es wegzunehmen. Das Kind, das Liebe und Akzeptanz braucht, unterwirft sich der Autorität. Die Kapitulation beginnt mit der Entsagung von Grundbedürfnissen. Man ist jetzt in einem Abhängigkeits-Zustand, schaut zu den Eltern/zum Führer auf, wobei beide Parteien stillschweigend einen Vertrag abgeschlossen haben. Wenn du ihn bestimmen lässt, wie du zu leben hast, verspricht er dir zu helfen, in dieser Welt zu navigieren und das Glück zu entdecken, von dem du immer geträumt hast EST und andere Glaubenssysteme bringen die Teilnehmer auf eine gigantische Gedankenreise, auf der Gehirne sauber gewaschen und mit beruhigenden Ideologien besprüht werden. "Du bist total verantwortlich für dein eigenes Leben, dein eigenes Elend, dein eigenes Glück." "Du musst im Hier und Jetzt leben." Als ob das so einfach wäre - als ob Jahre, sogar Jahrzehnte der Agonie, des Lernens in Minuten ungeschehen gemacht werden könnten. Als ob das "Hier und Jetzt" etwas anderes wäre als ein symbolisiertes und umgewandeltes "Dort und Damals," ein leichter Streifen Kurzzeiterfahrung, der die tiefsten frühen Gefühle des Individuums überdeckt, eine vergangene Realität, die ständig geleugnet wird. Der Anhänger hat ein taubes Ohr für seine inneren Gefühle und findet eine Ersatzstimme. Gegen eine Kindheitsgeschichte der Kälte hüllt er sich in den warmen Mantel des Glaubens, der von einem manipulativen Führer gefertigt wurde. Jetzt bist du zuhause, an einem Ort, wo du das Gefühl hast, "dazuzugehören." Du brauchst keine Familie mehr, weil du jetzt von einer ausgedehnten Familie von zweihundert Leuten umgeben bist, die sagen, dass sie sich um dich "kümmern" und dich "lieben." Du kannst völlig aufrichtig sein, schreckliche Sünden gestehen und dennoch akzeptiert werden; wie sehr sich das von deinem tatsächlichen Familienleben unterscheidet. Du bekommst Umarmungen und Küsse und "Wärme" von Leuten, denen du vorher nicht begegnet bist und die du nie wieder sehen wirst. In dieser Gesellschaft hast du etwas Außergewöhnliches geleistet: Eine Umarmung von einem total Fremden gibt dir das Gefühl von Liebe. Und du hast einen Führer, der dich anerkennt, dir zuwinkt, dich segnet und dir sagt, dass du perfekt bist. Alles, was du tun musst, ist, zu wiederholen, was du vor langer Zeit getan hast, als du machtlos warst: Lasse zu, dass du wieder wie ein Kind behandelt wirst. Gib deine Kritikfähigkeit auf, verzichte auf dein weltliches Hab und Gut; begib dich in die Hände eines Meisters. In dieser Beziehung zwischen jemand, der kontrollieren will, und einem anderen, der kontrolliert werden will, wird das Gehirn dem Guru zur Programmierung dargeboten. Auf dieser blanken Schiefertafel schreibt er die "universellen Wahrheiten" ein, welche die Welt verständlich, geordnet, vorhersagbar machen. Er graviert auch die Regeln ein, die du befolgen musst, damit deine Bedürfnisse befriedigt werden. Wenn du willst, dass ich dich liebe, mach, was ich sage. Das Versprechen auf Erfüllung und die Benutzung von Schuld gehen Hand in Hand. Mit diesen wirkungsvollen Mitteln installiert der Führer intern die Kontrolle über die Anhänger. Seine Ideen werden in ihre Gehirne programmiert. Bei Schuld muss niemand da sein, der dich anleitet. Für das Problem der Verstärkung ist schon gesorgt; du machst es selbst. Du fühlst dich schuldig, wenn du etwas tust, dass der Führer (der Elternteil), wie du weißt, nicht billigt und somit tust du es nicht. Die in deinem Gehirn installierten Vorstellungen dieses Meisters sind jetzt deine Bibel. Du verhältst dich so, wie der Meister es wünscht, eingeschränkt innerhalb der Regulierungen, die er aufgestellt hat, und beschränkt von den ideologischen Zäunen, die er errichtet hat. Im Alltagsleben wollen Leute, die als "gute" Kinder aufwuchsen, dem Führer gehorchen, wollen ihm vertrauen und glauben, was er sagt. Und wenn die rechte Hemisphäre fehlerhaft ist - insbesonders die rechte Seite des limbischen Systems - , verhindert das natürlich die Wahrnehmung von Unaufrichtigkeit (die Wahrnehmung von echtem oder unechtem Gefühl in den Worten), und somit werden Worte für bare Münze genommen. Diese neugefundene Heimat, dieses Unterstützungssystem und diese Vater-/Mutter-Figur zu verlassen bedeutet darüber hinaus, dass man sich verlassen fühlt; dass man wieder mit den frühen katastrophalen Gefühlen der Ablehnung und Verlassenheit konfrontiert wird, Gefühle, die einen überhaupt erst dazu getrieben haben, sich zusammenzuschließen.
DEN FÜHRERN FOLGEN IM ASHRAM VON RAJNEESH UND BEI DEN MOONIES Zwei Filme, die vor einigen Jahren herauskamen, geben uns einen klareren Einblick, wie die Führer/Anhänger-Dynamik in einer Kult-Situation funktioniert. Einer davon, Ashram in Poona, ist eine Dokumentation über das Leben im Hauptsitz der Rajneesh-Stiftung in Indien, gedreht vom deutschen Filmemacher Wolfgang Dobrowolny. Wir erhalten einen kurzen Blick auf Hunderte Amerikaner und Europäer, die in einer Prozession in einen Kult eingeführt werden, angeführt von ihrem Guru, Bhagwan Shree Rajneesh. Er reiste aus seinem Ashram in Poona in die Vereinigten Staaten zur medizinischen Behandlung seines Rückens. In Poona übernahm er viele der aktuellen New-Age-Therapien. Seine Konfrontations-Methode ist mit der SS verglichen worden, so schlimm war der Missbrauch, der in diesen Gruppen erzeugt wurde. Hier ist eine typische Technik: "Der Führer wies sie an, "nein" zu sagen zu allem aus ihrer Vergangenheit, zu jedem menschlichen Verlangen, zu allem, das ihnen etwas bedeutet hatte, und "ja" zu sagen zu allem, das von Bhagwan kam." Der Brennpunkt ist immer vom Selbst weg- und auf den Führer gerichtet; auf diese Weise verliert man sich total. Die Gefahr der Wir-gegen-sie-Mentalität, sei es Rajneesh oder Synanon, liegt darin, dass der Kult sich früher oder später bewaffnet und gefährlich wird. Brände und Bombenexplosionen ereigneten sich auf dem Grundstück in Oregon. Es gab Berichte, dass Gemüse auf lokalen Märkten vergiftet wurde. "Bhagwan beschuldigt Sheela (Ex-Partnerin) und ihre Bande einer Vielzahl von Verbrechen, einschließlich versuchten Mordes durch Vergiften seines Privatarztes; Versuche, die Wasserversorgung zu vergiften, Diebstahl zwischen vierzig und fünfunfünfzig Millionen Dollar, Brandstiftung und Verschwörung zwecks Bombardierung des Wasco County Planning Office." (28) Die Frage lautet: Warum diese ganze Gewalt in so vielen Kulten? Weil alles auf einem Kartenhaus aufgebaut ist und die Bedürfnisse von niemand wirklich erfüllt werden. Letztlich muss zwangsweise Ärger, Frustration und Wut aufkommen. Und noch dazu sind die generierten Geldmengen außerordentlich; wenn solche Geldsummen ins Spiel kommen, beginnt die Gier. Der Leser kann Berichte lesen, aber die Fälle sind anwidernd ähnlich. Den Führer herauszufordern wird gefährlich, weil eine ausgeklügelte Ausbeutungs-Suprastruktur vorhanden ist, an der man nicht herumhantieren darf. Das Gleiche spielt sich in faschistischen Ländern ab, wo den Menschen Grundbedürfnisse versagt bleiben, und wenn sie revoltieren, werden sie ermordet. Die Dynamik ist durchwegs diesselbe. Als die Nachricht verbreitet wurde, dass Rajneesh verhaftet werden sollte, bildete sich um ihn herum eine bewaffnete Mauer aus Männern und Frauen, um das nicht zuzulassen. Ich glaube, dass die Demokratie die beste Versicherung gegen Kulte und Oligarchien ist. Sie ist ein Schutz gegen die Anhäufung von zu viel Macht an der Spitze. Sie lässt Meinungsverschiedenheit zu und hält die Wege offen für den Ausdruck von Bedürfnissen und Gefühlen. Keine Diktatur erlaubt das. Es ist in der Demokratie verwurzelt. Kulte bedeuten per Definition einen Führer, der diktiert. Nach einer Weile gibt es Leute, die die Nase voll davon haben, das man ihnen sagt, wann sie was zu tun haben. In diesem Fall muss der Führer seine Autorität wieder geltend machen und größeren Druck auf die Dissidenten ausüben. Es knistert im Gebälk. Wer gehen will, wird oft bedroht. Die Leute, die bei mir waren, fürchteten um ihr Leben. Alle Leute im Umkreis des Führers kontrollieren ihre Gefühle mit einer Ideologie. Wenn diese nachlässt, können sich schreckliche Gefühle manifestieren. Niemand bekommt seine Bedürfnisse erfüllt, außer auf symbolische Art: Du wirst im nächsten Leben belohnt werden. Unterdessen wird der Führer im jetzigen Leben reich belohnt. Manchmal wachen die Menschen auf und durchschauen alles. Das dauert oft Jahre, aber es geschieht tatsächlich. Der andere Film, Ticket to Heaven, zeigt einen jungen Kanadier, David, der in Sun Myung Moons Vereinigungskirche aufgenommen wird und später dann von seinen Freunden und Verwandten gerettet und deprogrammiert wird. Diese Filme dokumentieren Führer/Anhänger - Kontrolltechniken, die denen ähnlich sind, die von den Alamos und anderen Kulten angewendet werden. Zu diesen Taktiken gehören folgende: Keine Privatsphäre. David, der Protagonist in Ticket to Heaven, darf nie allein sein. Im Lager, wo er von den Moonies umerzogen wird, wird er sogar begleitet, wenn er zur Toilette geht. Desgleichen ist der Ashram von Rajneesh, der eher an ein "Wachstumszentrum" im kalifornischen Stil erinnert als an einen echten indischen Ashram, randvoll mit seinen Verehrern. Auch wenn wir wenig von den Wohnquartieren sehen, ist es offensichtlich, dass Privatleben unter solchen Bedingungen praktisch unmöglich wäre. Frenetische, stumpfsinnige Aktivität. Die Moonie-Rekruten werden überredet, während des Gehens "Choo-choo-choo-choo, yeah, yeah, pow!" zu rufen. Sie verbringen Zeit auch damit, durchs Lager zu marschieren und wie die Hühner zu gackern, und im Kreis auf dem Boden zu liegen und mit den Zehen zu wackeln. Unterdessen sehen wir auf der anderen Seite der Welt, wie die Sannyasins (Pilger) des Rajneesh "dynamische Meditation" betreiben, um "ihre Aggressionen auszuarbeiten." Diese Übung involviert Auf-und-nieder-Hüpfen und Herumfuchteln mit den Armen im Takt mit schneller indischer Musik. Die Sannyasins legen sehr viel Aggression an den Tag im Verlauf einer Encounter-Sitzung, während die Moonies alles andere als "locker" sind. In beiden Fällen haben die Leute gelernt, Anweisungen zu befolgen und sich anzupassen. Sexuelle Stimulierung ohne Freisetzung. Obwohl es viel Körperkontakt gibt unter den jungen Männern und Frauen im Moonie-Lager, ist es nicht erlaubt, über unschuldiges Händchenhalten hinauszugehen. Die Anhänger des Rajneesh gehen viel weiter. In einer der dramatischeren Szenen im Film stehen einige nackt im Kreis herum, als der Gruppenführer sie mesmerische (hypnotische) Zuckungen versetzt. Das Ergebnis ähnelt einer Sexorgie, außer dass die Beteiligten keinen Koitus vollziehen und die Männer nicht einmal eine Erektion haben. Einheitskleidung. Die Moonies haben David sein Haar kurz geschnitten, und er und die anderen neuen Rekruten eignen sich einen nahezu einheitlichen Kleidungsstil an. Im Ashram sind alle außer Rajneesh in orangen oder purpurnen Farbtönen gekleidet ("Sonnenaufgangsfarben"). Ideologische Indoktrination. Obwohl der Inhalt der Indoktrination praktisch irrelevant ist, wirkt jede intellektuelle Aktivität erlösend nach der strapaziösen Kraftanstrengung der Anhänger beim Marschieren oder bei der "dynamischen Meditation." In Ticket to Heaven hält ein ordentlich gekleideter Moonie-Angestellter den jungen Rekruten einen belehrenden Vortrag über den "Bau einer Stadt," obwohl er jede Erwähnung der Vereinigungskirche oder ihres Führers vermeidet. In der Dokumentation spricht der Bhagwan zu seinen Anhängern und teilt ihnen mit, dass sie keinen Meister brauchen, der ihnen sagt, was zu tun ist. In der nächsten Szene sehen wir zweitausend von ihnen, wie sie gekleidet mit der Kult-Uniform das Bild ihres Meisters auf einer mächtigen Halskette tragen (eine Mala) und ihm somit Ehre erweisen zu seinem siebenundvierzigsten Geburtstag. Schmerz-Umlenkung. Das ist die allerwichtigste Technik. Eine neue Moonie-Rekrutin sitzt mit ihren Freundinnen um das Lagerfeuer und weint über ihr unglückliches, promiskuitives Leben. Der Gruppenführer streckt die Hand aus und sagt "Wir können es nicht allein tun, Bonnie" und beraubt sie somit ihres Gefühls. Leider sehen wir nie, wie das bei David geschieht, weil der Film den genauen Augenblick überspringt, als er seine Entscheidung trifft zu konvertieren. Wir bleiben auf der fragwürdigen Erklärung sitzen, es sei auf einen Proteinmangel in der Ernährung zurückzuführen, die er im Lager bekommt. Ashram in Poona zeigt viel mehr von diesem Vorgang, was vielleicht ein Grund ist, warum die Rajneesh Stiftung sich von dem Film distanziert hat. Im Ashram ist jeder Sannyasin einer oder mehreren Therapiegruppen zugeteilt. Unter den Therapien angeboten werden Rolfing, Zen Meditation, Akupunktur, Encounter-Gruppe und erwartungsgemäß eine bizarre Version von Pseudo-Primärtherapie. Die Pseudo-Primärsitzung sieht aus wie das rückwärts gespielte Band einer echten Sitzung. Zuerst liefert die Patientin eine nicht überzeugende Wiedergabe eines Urschreis ab. Als nächstes weint sie und sagt, dass sie gehalten werden will. Schließlich nimmt der Therapeut sie in den Arm und bringt sie dadurch aus dem Feeling heraus. Zu keinem Zeitpunkt sprechen Therapeut oder Patient das heikle Thema Mutter und Vater an. Noch schlimmer ist die Encounter-Version von Rajneesh, in der eine junge Deutsche bis zu dem Punkt von ihren Gefühlen entfernt wird, wo sie freudig den Mann umarmt, der kurz zuvor versucht hatte, sie zu vergewaltigen. Als sie über ihr unglückliches Leben mit ihrem Vater - ein sturer Nazi - spricht, erwähnt sie ihr Bedürfnis nach jemand, der sie liebt und versteht. Der Gruppenführer gestikuliert dann bedeutungsvoll in Richtung eines der allgegenwärtigen Bilder von Rajneesh. Jetzt kann sie, anstatt ihn zu fühlen, ihren Schmerz ausagieren, indem sie ihrem Meister gehorcht. Wie der Vater so die Tochter, stellt man bedauernd fest. Jeder Kult hat seine natürliche Anhängerschaft: Junge Leute im College-Alter für die Moonies;Yuppies und intellektuelle Dilettanten für Rajneesh und EST; Schwarze aus der Arbeiterklasse für Jim Jones "People's Temple;" Ex-Strafgefangene und -Süchtige für Synanon; Hippies und andere Aussteiger für die Alamos. Aber wenn die Anziehungskraft eines Kults nicht so ausgedehnt ist wie z.B. die einer faschistischen politischen Bewegung, ist die Kontrolle, die er über seine Gefolgschaft ausübt, sogar noch absoluter. Innerhalb kurzer Zeit wird die Persönlichkeit der Rekruten total umstrukturiert. Sie denken nur, was zu denken man ihnen sagt, kleiden sich so wie angewiesen, und sie werden nahezu unfähig, eine Anweisung zu missachten, die ihnen im Namen ihres Kultführers erteilt wird. Wenn man ihn genau untersucht, kann jeder Kult die Grunddynamik aufweisen, aus der die Hitler gemacht werden. Das soll Ökonomie, Politik und Kultur nicht ausschließen. Aber die psychologische Grunddynamik ist dieselbe. Auch wenn Moons Anhänger ausnahmslos jünger und weniger gebildet sind als die Sannyasins, die in vergangenen Jahren nach Indien gingen, um zu Füßen des Rajneesh zu sitzen, scheinen diese zwei selbsternannten Heilbringer aus dem Osten ähnliche Ziele zu verfolgen. Indem sie das emotionale und spirituelle Unwohlsein ausnutzen, das sich bei Menschen in einem sehr verwundbaren Augneblick ihres Lebens einfindet, bieten sie vorgefertigte Spiritualität an und die sofortige Gesellschaft anderer gleichgesinnter Seelen. Im Austausch bekommen sie von ihren Anhängern blinde Ergebenheit, die auf politische und ökonomische Macht hinausläuft. Das Buch The Rajneesh Chronicles zeigt, wie gefährlich diese Kulte werden können. (29) Es gibt eine Notiz in dem Buch, dass die Gruppe zu einem bewaffneten Lager unter dem Leitgedanken "Wir-gegen-sie" wurde, als die Gesetzeskraft Anklage gegen sie erhob. Dieses Buch bezieht sich in hohem Maß auf Leute, die schon einmal Insider im Kult waren. Sie scheinen alle darin übereinzustimmen, dass er wenig mehr war als eine "kapitalistische Maschinerie zur Ausbeutung der Anhänger und zur Bereicherung der Führerschaft."
WAHRHEIT GEMÄSS REVEREND MOON Ich habe wiederholt gesagt, dass das Glaubenssystem nicht unbedingt der Schlüssel dazu ist, warum Leute Kulten und anderen Gruppen beitreten. Wichtiger ist die Möglichkeit, dass Führer und Anhänger einander unerfüllte Bedürfnisse befriedigen können. Reverend Moon passt in die Form eines selbstverkündeten Heilands, der wie die anderen behauptet, mit höheren Mächten kommuniziert zu haben. Er teilt uns mit, dass ihm seine Bestimmung eines Tages geschmiedet wurde, als er fünfzehn Jahre alt war. Als er in den Bergen wanderte, hatte er eine Vision von Jesus, der ihn um Hilfe bat, um seine Mission der Christenheit zu vollenden. Moon hatte auch Kontakt mit Moses und Buddha. Obgleich er zum Elektriker ausgebildet worden war, erhielt er seine Weihen von Gott, noch jemand aus seinem Bekanntenkreis. Reverend Moons Vergangenheit beinhaltete traumatische Erlebnisse und eine angemessene Ausbildung für einen zukünftigen autoritären Führer. Er verbrachte drei Jahre als Kriegsgefangener, erst bei den Japanern, dann bei den Nordkoreanern. Später, als er Jesus' Werk verrichtete, würzte er seinen Feuer-und-Schwefel-Evangelismus mit den Zutaten eines virulenten Antikommunismus. Und während er gegen reale und imaginäre Kommunisten geiferte, sprach Moon auch über das kommende Utopia. Das war das erklärte Ziel der Vereinigungskirche: ethnische, kulturelle und nationale Barrieren zu überbrücken und alle Leute zu vereinen. Um seine Vision der Hoffnung zu steigern, erzählte Moon seinen Anhängern vom kommenden Ende der Welt und von der Schaffung einer neuen, wo er als Messias über einen Himmel auf Erden herrschen würde. Das sollte 1981 geschehen; später verschob er das Datum auf das Jahr 2001, was der Vereinigungskirche eine weitere Generation schenkte, um "Mitglieder" anzuziehen. Wie Alamo und andere Gottesgesandte auf der Erde kombinierte Moon religiöses Missionieren mit unternehmerischem Tatendrang. Zwischen 1954 und 1971, als er und die Zentrale der Vereinigungskirche in die Vereinigten Staaten umsiedelte, häufte er ein Vermögen an aus dem Verkauf von Arzneien, Titan, Ginseng -Tee und anderen Produkten. Hierzulande expandierte sein Wirtschaftsimperium auf die Bereiche Fischerei, Immobilien und Zeitungsverlage. In den 1980er Jahren teilte Moon die illustre Gesellschaft anderer Glaubenshändler, als er wegen Steuerhinterziehung verurteilt und eingesperrt wurde. Moon hatte keine Probleme damit, Antikommunismus zu predigen, während er zugleich selbst in die Rolle des autoritären Diktators schlüpfte. Es gab Gerüchte, er sei ein CIA-Agent. Einige Methoden, die er benutzt, um anfällige Leute in seine Kirche einzuführen, entstammen eindeutig aus seiner Erfahrung als Kriegsgefangener: Schlaf- und Nahrungsentzug, ständige Aktivität, ideologische Indoktrination ohne andere Informationsquellen und so fort. Moon hat Macht über seine Schüler in dem Ausmaß, dass er entscheidet, ob und wann sie für die Ehe "bereit" sind und wen sie heiraten werden. Man muss wenigstens drei Leute für die Moonies rekrutieren, um des Ehestands würdig zu sein; zwei oder mehr Jahre Zölibat sind auch Teil der Vorbereitung. Wenn man diese und andere Forderungen erfüllt, ist man bereit, sich bei Reverend Moon für ein Verlöbnis zu bewerben. Die Massenhochzeiten, die Moon leitete, - bei denen zweitausend Paare gleichzeitig im Madison Square Garden getraut wurden, gefolgt von einer Hochzeitszeremonie für nahezu sechstausend Paare in Korea - passen zu einem verzwickten Glaubenssystem hinsichtlich des Sinns der Ehe gemäß Moon. Moons Ideologie besagt, dass der Bund zwischen Mann und Frau das Bild Gottes reflektiert. Da er nicht heiratete oder Kinder zeugte, versagte Jesus und benötigte Moons Unterstützung zur Vollendung seiner Mission. Sun Myung Moon selbst veranschaulichte erfolgreich die "kosmische Rolle" des Mannes, indem er heiratete und zahlreiche Nachkommen zeugte. Nach der Geburt seines zwölften Kindes führte Moon den messianischen Titel "Herr des Zweiten Advent" . Moons Durst nach Macht ist offensichtlich unstillbar. "Ich bin euer Gehirn" hat er zu seinen Anhängern gesagt. "Was ich wünsche, muss euer Wunsch sein. Ich will die Mitglieder unter mir haben, auch wenn sie sich vielleicht ihren eigenen Eltern und den Präsidenten ihrer Nationen widersetzen müssen." Anhänger, die damit drohen, die Vereinigungskirche zu verlassen, sind mit übernatürlichen Repressalien bedroht worden in Form dämonischer Besessenheit, frühen Todes oder totgeborener Babys. Die Horrorgeschichten in Verbindung mit den Moonies - Leute im Collegealter, die in die Gruppe gelockt und "hirngewaschen" wurden, später dann von den Eltern entführt und "deprogrammiert" wurden, gefolgt vom Gegen-Kidnapping durch die Moonies - sind wohlbekannt. Es entspricht konventioneller Lebenserfahrung, dass Kulte ihre Mitglieder der Denkfähigkeit berauben. Dennoch erklärt dies nicht, warum einige Kultisten effektiv in der Lage sind, sich der Deprogrammierung zu widersetzen oder unerschütterlich die Widersprüche und Extreme in der Ideologie ihres Führers zu rationalisieren - Manöver, die intellektuelle Anstrengung erfordern. Was wirklich geschieht, ist, dass die Kulte ihre Mitglieder dazu ausbilden, Gefühle zu verdrängen, was umgekehrt unverknüpftes und deshalb verzerrtes Denken erzeugt. Ein Teil des Kontrollmechanismus (in einer kultartigen Aufstellung oder im Schatten eines vollentwickelten Glaubenssystems) besteht darin, die Anhänger nicht nur vom Kontakt mit ihrer Vergangenheit fernzuhalten sondern auch von anderen Wahlmöglichkeiten in der Gegenwart. So zieht die Person in eine isolierte Kommune um, weg von der Familie und früheren Freunden, oder in ein abgesondertes Gebäude, das zu einer Welt für sich wird. Die Gruppe und ihr Führer werden zur neuen Familie und zur ganzen Welt des Anhängers. Sie oder er sind jetzt wahrscheinlich abhängig von dieser Gruppe und vor allem von ihrem Führer. In Jonestown bot Jones seinen Anhängern nicht nur eine neue Familie und ein neues Heim, sondern eine neue Gemeinde, eine "Stadt." In dieser Enklave des Wahnsinns, in die keine Wirklichkeit von außen eindringen konnte, lieferten sich Jones' Anhänger ihrem Führer aus, so dass sie weiter das tun konnten, was sie immer getan haben: gesagt bekommen, wie sie leben sollen. Er hat eine Methode gefunden, ihre Geschichte auszulöschen und sie zu veranlassen, sich ganz auf die Gegenwart und auf ihn zu konzentrieren. In fast jedem vollentwickelten defensiven Glaubenssystem gibt es wahrscheinlich Handlungen und Rituale, die als Teil der Tagesroutine zu vollziehen sind. Diese Handlungen sind oft symbolische Rituale, die dem Führer/der Führerin garantieren, dass er oder sie die Kontrolle hat. Wie militärischer Drill sollen sie totalen Gehorsam sicherstellen. Die Art des Rituals an sich ist unwichtig: im Lager herumlaufen und komische Laute von sich zu geben, sich in "dynamische Meditation" zu vertiefen, zu Füßen des Gurus zu sitzen, Klang- und Licht-Sitzungen und Bekenntnisse des Anhängers, welche Bilder er visualisiert hat, Chakra-Lesen, immer wieder "gut" sagen, Blumen in Flughäfen zu verkaufen, "Wein-Zeremonien" und Massenhochzeiten, ...was auch immer. Was zählt, ist, dass es Gewohnheit wird und nicht hinterfragt wird. Die Leute werden trainiert zu gehorchen und nicht, nach dem "warum" zu fragen. Wenn ein Glaubenssystem wie jenes, das in Jonestown funktionierte, bedroht wird, beginnen die Führer und Anhänger wahrscheinlich, ihren Schmerz auszuagieren, werden verzweifelt, sogar mörderisch und suizidal. Als Jones und seine Kohorten mit einer Anfrage im Kongress konfrontiert waren, stand Mord auf der höchsten Stufe ihrer Tagesordnung. Die Bewohner von Jonestown würden dafür sorgen, dass ihre Glaubensüberzeugungen nicht in Frage gestellt werden, damit sie sich nicht ihrem Schmerz öffnen müssten. Tatsächlich entschieden sie sich für den Tod anstatt den Gefühlen zu begegnen, die zu vermeiden Jones ihnen geholfen hatte. Dasselbe geschah in Waco. Warum solche Verzweiflung? Weil Gefahr besteht, dass die Glaubensdroge entzogen wird. Und warum ist das eine so große Bedrohung? Weil die Droge ein Leben voller Entbehrungen betäubt.
RAJNEESH: ALLES FÜR ALLE Bhagwan Shree Rajneesh und seine Gefolgschaft erlangten damals in den frühen 1980er Jahren traurige Berühmtheit, als sie eine Kommune im ländlichen Oregon gründeten. Sie gaben Millionen aus, um sie in eine ökologisch fortgeschrittene Stadt und Farm (Rajneeshpuram) umzuwandeln und wurden in politische Konflikte und Gerichtsprozesse verwickelt, in die lokale Anwohner, der Landkreis, der Staat und die Bundesregierung involviert waren. Nachdem er Indien verlassen hatte, hatte der Guru selbst ein "Schweigegelübde" abgelegt, wenngleich unter seinen wenigen öffentlichen Statements nach der Ankunft in Oregon typischerweise eine apokalyptische Prophezeiung war: dass ein Atomkrieg in den 1990ern die Welt zerstören würde und nur die Rajneesh-Ranch überleben würde, weil die Mitglieder Schutz fänden in den Höhlen auf den Hügeln, bereit für die erhabene Rolle des "neuen Menschen" für ein neues Utopia. Viele Rajneesh-Verehrer hatten ihre berufliche Laufbahn verlassen - als Psychologen, Psychiater, Architekten, Ingenieure - und sich und ihr Vermögen der Organisation des Meisters übergeben. Die Fähigkeit des Bhagwans, eine Menge so gut ausgebildeter Menschen anzuziehen, war wesentlich mitverantwortlich für seinen geheimnisvollen Nimbus. Obwohl er in den meisten seiner Jahre in Oregon auffällig ruhig war, demonstrierte Rajneesh lautstark seinen Geschmack für materielle Güter, indem er Luxus-Automobile kaufte und zu einem gewissen Zeitpunkt wenigstens neunzig Rolls Royce in den Garagen mitten auf seinem Kommunal-Experiment stehen hatte. Die Dinge nahmen andere seltsame Wendungen in Rajneeshpuram; die Ranch machte sich immer mehr Feinde, nahm parmilitärische Züge an und bewaffnete sich mit einem Arsenal, zu dem Helikopter, automatische Gewehre und Wachhunde zählten. Schließlich kamen einige Kultführer, die gierig waren nach Reichtum und politischer Macht, wegen verschiedener Verzweiflungstaten in Schwierigkeiten, wie zum Beispiel Wahlbetrug, versuchte Vergiftung von Landkreis-Beamten und möglicherweise ein Versuch, die Wasserversorgung der Kreisstadt zu vergiften. Letztendlich wurde der Bhagwan aus dem Land gejagt und Rajneeshpuram existierte nicht mehr. Ehemalige Rajneesh-Anhänger sagen, dass die Dinge erst aus dem Ruder liefen, nachdem die Gruppe nach Oregon umgezogen war. Vorher war die Bewegung kleiner, unbewaffnet, nicht mit Regeln überladen, noch nicht korrupt, sagen sie. Sie verübeln Vergleiche mit Kulten wie Jonestown und den Moonies, weil sie sagen, dass nicht Rajneesh sondern seine ehrgeizigen Stellvertreter alles vermasselt haben. Sie sagen, der Bhagwan war keiner, der die früheren Glaubenssysteme der Leute durch sein eigenes ersetzen wollte, sondern stattdessen vorschlug, uns dabei zu helfen, dass wir uns von den üblen sozialen Bedingungen und von dem emotionalen Gepäck befreien könnten, das wir herumschleppen. Rajneesh selbst kritisierte in seinen Vorträgen Jonestown, indem er sagte, dass die Anhänger von Jones auf Abwege geraten waren, als sie glaubten, ein Mann allein habe alle Antworten, und als sie ihm ihr Leben auslieferten. Ein Teil der Attraktivität des Rajnees lag tatsächlich im offensichtlichen Fehlen eines Glaubenssystems; mit hypnotischen Augen über einem wallenden weißen Bart verkündete er den kleinen und großen Versammlungen von Leuten, die gekommen waren, um ihm zuzuhören, dass niemand die Antworten oder die Bedeutung liefern könne, nach denen sie suchten; so eine Befreiung müsse von innen kommen. Nach meiner Ansicht lag die Genialität des Rajneesh zum Teil in seiner Fähigkeit, alles für alle zu sein. Der Ashram war eine Art Füllhorn der New Age Glaubenssysteme; du konntest dort hingehen und hineingeraten in was auch immer du wolltest, einschließlich einer Sexorgie. Wie in einem ausführlichen New Yorker Magazin-Report über die Gruppe beschrieben, war der Ashram in Indien ein "Hybrid zwischen einem indischen Ashram und dem Esalen-Institut." (30) Du konntest dort auswählen unter neun Meditationsarten und einem Sortiment anderer östlich-mystischer und westlich-therapeutischer Modalitäten, die dir dabei helfen sollten, "den Müll abzuladen, den du in dir verdrängt hast. Sie werden dich reinigen, und nur in einem klaren, reinen Herzen ist Gebet möglich.....wenn dein Wahnsinn herausgezogen und in den Wind geworfen wird, dann wird dir psychische Gesundheit geschehen." Wenn du dich verlieren und Gottseligkeit erlangen wolltest, sagte dir Rajneesh, dass "das Ego fallen muss, der Verstand verschwinden muss, um Gott zu sein. Du must verschwinden." Pseudo-Primärtherapie wurde im Ashram des Rajneesh praktiziert, und ein Teil der Rhetorik, die in Poona vom Stapel gelassen wurde, gab meine Arbeit wieder. "Dehypnotherapie" im Rajneesh-Stil zum Beispiel lehrte "Wege zur Öffnung des unbewussten Teils unserer Psyche, um Muster zu erkennen und dann zu löschen, die wir in der Kindheit formten und die unsere Entwicklung in der Gegenwart einschränken." Rajneesh unterschied sich vielleicht auf die eine oder andere Art von anderen Führern, aber wie die anderen hatte er offensichtlich fantastische kaufmännische Fähigkeiten, um sein Verlangen und Bedürfnis nach Bewunderung und Reichtum zu bedienen. Was seinen unersättlichen Bedürfnissen zu Grunde lag, mag etwas mit einem Ereignis früh in seinem Leben zu tun gehabt haben, das Rajneesh selbst als "Todeserfahrung" beschrieb. Im Alter von sieben Jahren war der junge Rajneesh neben seinem Großvater sitzend auf einem Ochsengespann die 32 Meilen von seinem Heimatdorf in die nächste Stadt gereist und hatte dabei seinen geliebten Großvater langsam sterben gesehen. Laut der offiziellen Biographie des Rajneesh hatte dieser traumatische Verlust tiefe Wirkung auf ihn: ".....Etwas sehr Tiefes geschah. Drei Tage lang blieb ich liegen. Ich konnte das Bett nicht verlassen. Ich sagte: "Wenn er tot ist, will ich nicht leben." Ich überlebte, aber diese drei Tage wurden zur Todeserfahrung....und danach konnte ich keine bindende Beziehung zu irgendjemand herstellen. Immer wenn meine Beziehung zu jemand intim zu werden begann, starrte der Tod mich an." (31) Wir wissen nichts über frühere todesähnliche Prägungen und andere Traumen im Leben des Rajneesh. Aber nach dem Tod seines Großvaters fabrizierte die Physiologie des Jungen Allergien, Asthma und andere Leiden. Als er alt genug war, um Gedanken zur Schmerz-Absorption herzustellen, nahm er Zuflucht bei der Meditation. Im Alter von einundzwanzig erlebte er, nachdem er sieben Tage lang meditiert hatte und fast gestorben wäre, eine "Wiedergeburt." Einige Jahre später wandelte sich das gramgebeugte Kind zum erwachsenen Guru mit einem hypnotischen Talent, Suchende aus dem Westen in seinen Umkreis zu ziehen, ihre Bedürfnisse zu manipulieren und aufreizende Versprechungen zu machen: Alles ist voller Bedeutung, aber vielleicht ist es nicht offensichtlich und unmöglich, es euch zu erklären. Je tiefer eure Fähigkeiten, mitfühlend zu sein, umso tiefer die Wahrheit, die aufgedeckt werden kann; je rationaler die Diskussion, umso geringer die Wahrheit, die aufgedeckt werden kann. Schreibt Frances Fitzgerald, der Autor des New Yorker-Reports über den Aufstieg und Fall des Rajneesh, dass der Bhagwan (Gott oder Gesegneter) " seinen Zuhörern das Gefühl gab, dass sie zu einer Elite wahrer Freidenker gehörten, die über den Aberglauben und die Sozialstützen in der Existenz aller anderen hinausblickten." (32) Eine andere Perspektive kommt von einem Bioenergetik-Therapeuten, der von den Ereignissen in Poona desillusioniert wurde und später das, was er dort sah, beschrieb als... "Massen-Autosuggestion. Anhänger von Rajneesh hatten es geschafft, zu einem infantilen Zustand zurückzukehren, die Verantwortung für ihr Leben einer Vaterfigur zu überlassen und abhängig zu werden von der Weisheit und Führung des Gurus und später dann verlassen zu werden (Wiederholung früher Muster?). Als Rajneesh und sein innerer Kreis sich eines Nachts hinausschlichen, gingen mehrere Millionen Mäuse, mit denen er bei der Regierung in Indien in der Kreide stand, mit ihm." Der Bhagwan tauchte in Oregon wieder auf, aber er war jetzt so schweigsam, wie er vorher unverblümt und redselig war. Offensichtlich war ihm der Gesprächsstoff ausgegangen; er schien nicht zu wissen, wie er mit dem Monster umgehen sollte, das durch dieses Zusammenspiel der Bedürfnisse geschaffen worden war. Als Hauptsitz eines Kults war Rajneeshpuram bemerkenswert wegen seiner frenetischen Aktivität. Die Rajneesh-Leute schienen gegen die Zeit (und Prophezeiung) anzurennen, um sich eine Stadt zu bauen. Gebäude wuchsen in die Höhe und Feldfrüchte begannen aus dem hochgelegenen Ödland zu sprießen. Busladungen an Touristen kamen, um sich die ernsthaften Anstrengungen der Sannyasins genauer anzuschauen. Flüchtlinge aus der Berufswelt beschrieben diesen Besuchern und Journalisten sanft, was sie taten, was sie zu erreichen hofften, und die Ideen des "Rajneeshismus," die sie inspirierten. Täglich konnte man Rajneesh sehen, wie er sich eine seiner Rolls Royce Karossen für eine Spritzfahrt aussuchte. Wenn er an seinen Anhängern vorbeifuhr, die alle in Sonnenuntergangsfarben gekleidet waren (symbolisch wiedergeboren durch Weisheit, auferstanden im Osten), jubelten und lachten sie und winkten dem schweigsamen bärtigen Gesicht hinter den abgedunkelten Fenstern zu. Sie waren glücklich, ihren Guru nahe bei sich zu haben, auch wenn er in den letzten Jahren zu keinem von ihnen auch nur zwei Worte gesagt hatte. Was auch immer in Indien existiert hatte, verfiel in Oregon. Die Macht verdarb viele Leute. Das "Experiment in menschlichem Bewusstsein" artete in einen Haufen Gerichtsprozesse aus ("Gott versus Das Universum"), und mündete in die Verzweiflung derjenigen, deren durch Bedürfnisse geschaffene Herrschaft über andere gefährdet war. Nachdem der Bhagwan eine Vereinbarung mit den Behörden getroffen und das Land verlassen hatte, mussten die Rajneesh-Leute, die zu ihm als "diesem großen Papa" aufsahen, "der sich um alles kümmern konnte," wieder für sich selbst verantwortlich werden und ihr Leben wieder normalisieren. Aber die Saat der Ereignisse war lange vorher gesetzt worden - auf dem emotionalen Rasen, wo viele Leute als Anhänger aufwachsen und wenige als Führer.
EINEM FÜHRER FOLGEN - EINE ART, MIT TOD UND LIEBESMANGEL UMZUGEHEN Das Ausmaß der Kontrolle, die die Hoffnungshändler besitzen, hängt nicht nur davon ab, wie sie mit unserer Lebensangst umgehen, sondern auch davon, wie sie mit unserer Angst vor dem Sterben umgehen, und das hat sogar Priorität. Für mich ist die wichtigste inakzeptable Lebenstatsache die des Todes. Er ist das endgültige Ende von allem. Das ist das Ende, es gibt nichts mehr, nichts darüber hinaus, keine Rückkehr, nur die Zersetzung ins Nichts. Jedes Glaubenssystem, jede Religion oder mystische Gruppe, die Anhänger sammeln will, muss sich letztlich um das Todesproblem kümmern, muss gewissermaßen unsere Sterblichkeit modifizieren, die grundlegende Wirklichkeit, mit der wir alle konfrontiert sind. Vielleicht leugnet das Glaubenssystem die Realität des Todes - indem es für Reinkarnation sorgt, verkündet, dass der Geist, die Seele weiterlebt, elektrische Energie übertragen wird und wir in jemand anderen transformiert werden, nachdem wir sterben. Vielleicht werden wir in die Erforschung unseres vergangenen Lebens geleitet oder man verspricht uns die Belohnung im nächsten Leben, so ähnlich wie im Grundprinzip der östlichen Vorstellungen von Karma und Dharma (Pflicht). Wenn du dich heute so oder so benimmst, wirst du in deinem nächsten Leben glücklicher sein. In der Tat ist der fundamentalste abwehrende Glaube, dass wir nie wirklich sterben. Wenn ein Führer, ein Glaubenssystem oder eine Religion eine solche Unsterblichkeit anbieten kann, haben sie ihre Anhänger besser im Griff. Nun laufen Ereignisse, die früh im Leben geschahen und eine totale Bedrohung unserer Existenz hervorriefen, auf dasselbe hinaus: Tod oder ihm furchtbar nahe zu sein. Andere frühe Traumen - im Stich gelassen werden oder sich von den Eltern als junger Mensch ungewollt oder ungeliebt fühlen - kommen einem Todesurteil gleich. Eine solche Geschichte kann dein Leben ruinieren und verkürzt es höchstwahrscheinlich. Wenn du anfängst, mit Gefühlen wie diesen wieder Verbindung aufzunehmen, dann kann Selbstmord attraktiv erscheinen. Wir sind uns der Abwehrmechanismen nicht bewusst, die wir aufbauen, um vom Tod getrennt zu bleiben. Todesangst geht Hand in Hand mit fehlender Liebe. Das Leben scheint keinen Sinn zu haben ohne Liebe. Liebe bedeutet Überleben, und ihr Fehlen bedroht es. Wie ich erörtert habe, ändert Liebesmangel unsere Biochemie und unser Gehirn, verzögert physisches und psychisches Wachstum und macht das Leben zur ewigen Qual. Die zentrale Funktion eines neurotischen Glaubenssystems ist, sich um die zwei vorrangigen Tatsachen im Leben eines Individuums zu kümmern: Tod und Liebesmangel. Das ist die Bedeutung von "Erlösung" : sich wieder geliebt zu fühlen, gewollt, verstanden, als Teil von etwas, akzeptiert,bestätigt. Und dass man nicht wirklich stirbt, dass etwas von uns weiterleben wird. Diejenigen von uns, die dem Tod früh im Leben traumatisch nahe gekommen sind, sind besonders anfällig für defensive Glaubenssysteme. Sie werden sich an den Patient von mir erinnern, der während eines Primals Blut schmeckte, als er die eingerissene Plazenta seiner Mutter wiedererlebte, ein Ereignis in ihrem dritten Schwangerschaftsmonat. Später dann, während seiner Geburt, erlitt seine Mutter einen Herzstillstand und starb beinahe an einer schweren Dosis eines Anästhetikums, das auch das Atmungssystem des Neugeborenen abschaltete und fast eine Totgeburt verursachte. Andere bedeutende Traumen für den Jungen folgten. Als er vier war, verließ ihn sein Vater, und als er acht Jahre alt war, begann seine Mutter, ihn zu verführen. Wir müssen daran denken, dass das Baby in Gefahr war zu sterben, als die Plazenta seiner Mutter einriss. Die eingeprägte Erinnerung ist die des Todes oder der Todesnähe. Es ist kein Wunder, dass er, völlig unbewusst, im Alter von fünfzehn von einem Glaubenssystem angezogen wurde und "Gott fand." Gott würde immer bei ihm sein, ihn immer beschützen, ihn nie im Stich lassen - ihm mit anderen Worten garantieren, dass es keinen endgültigen Tod in seinem Leben gäbe. Und sein Erwachsenen-Verhalten war wie alle Verhaltensweisen von Erwachsenen, die das Ergebnis früher Traumen sind, ein symbolischer Versuch der Auflösung und Bewältigung des völlig unbewussten Ereignisses. Weil er sich vom Tod bedroht fühlte, wurde er kontinuierlich und unbewusst hingetrieben zu omnipotenten, alles abschirmenden Gottesfiguren, folgte ihnen auf der Suche nach symbolischer Errettung vor dieser schrecklichen Berührung mit dem Tod, bis er die Erinnerung auflöste. Das Neugeborene, das bei der Geburt dem Tod nahe kommt, trägt den Tod als übergreifende unbewusste Realität mit sich. Später vielleicht wird der junge Mann von der Vorstellung von Tod und Vergeblichkeit gequält und konstruiert sich vielleicht sogar eine umfangreiche existenzphilosophische Basis für seine Argumentation - die in Wirklichkeit ein Echo des Todes ist, den er in seiner Physiologie birgt. Der Tod wird da sein, bis er ihm gegenübertritt und ihn wiedererlebt. Bis dahin wird er in eine Suche nach Liebe, Erlösung, Leben nach dem Tod und Reinkarnation gezogen, und das alles, um die Begegnung mit dem Tod zu vermeiden. Ich habe unzählige Patienten gesehen, die irgendeine Art von Vorstellung umklammern, wie wir nicht wirklich sterben - weil sie mit einer Todes-Einprägung wie die oben beschriebene ringen. Die Kämpfe auf Leben und Tod bei der Geburt provozieren Glaubenssysteme, die eine Leben-und-Tod-Beschaffenheit an sich haben. Der effektive Kultführer weiß, dass seine Anhänger der Realität ihres eigenen Todes nicht gegenübertreten können und werden, und er kann dieses Wissen nutzen, um ängstliche Anhänger zu manipulieren, indem er zum Beispiel ein Glaubenssystemkonstruiert, das verkündet, dass das Ende der Welt in ein paar Jahren kommt und dass nur wenige Auserwählte es überleben werden. Solche Glaubenssysteme - Millenarismus, Utopianismus, Apokalypse, die Existenz von Himmel und Hölle, vergangene und zukünftige Leben - sind nicht offen für Anfechtungen oder der Logik zugänglich. Ihre Logik ist die Logik eines Nahtod-Erlebnisses, das ein weit überzeugenderes - die Zellen und das Blut des Gläubigen durchflutendes - Argument darstellt als jedes Konzept, das ein Sterblicher erfinden kann. Glaubensvorstellungen über unseren Tod, wie in den Himmel transportiert zu werden oder dass unsere Energie weiterleben wird und sich in einem anderen Körper festsetzt, werden uns seit ewigen Zeiten überliefert. Wir können sogar noch einen Schritt weiter gehen und glauben, dass wir in unserem nächsten Leben reiche Prinzen und Prinzessinnen sein werden. Wir sind reif dafür, jedes Konzept vom Leben nach dem Tod zu glauben, das sich besser anhört als unsere gegenwärtige Zwangslage - mit ihren Gefühlen von Elend, Leere, Nutzlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Langeweile, Leblosigkeit. Wir müssen daran glauben, dass zum Ausgleich für unsere ganze harte Arbeit mit wenig Lohn, für unsere täglichen Kämpfe und Nächte, in denen wir zu müde sind, um irgendwas zu tun, für unseren Liebesmangel, unsere spirituelle Armut jemand da ist, der über uns wacht, jemand, der den Punktestand ausgleicht und uns höchste Gerechtigkeit bringt. Und vielleicht können wir reden mit dem einen, der die Aufsicht über unseren Tod hat, beten und betteln, so dass unsere Reise in unsere nächste Heimat angenehm sein wird. Es scheint etwas Beruhigendes in dem Umstand zu liegen, dass das Leben nicht endlich ist, - dass, auf die Anhänger von Jim Jones bezogen, diese sich mit ihrem Führer in einer besseren Welt wieder vereinen würden. Warum das attraktiv sein sollte, ist mir ein Rätsel, zumal dieses segensvolle Jenseits wahrscheinlich nicht von vollem Bewusstsein begleitet wird. Vielleicht mildern die Luftschlösser die Aussicht auf Sterblichkeit ein wenig, lindern die Angst vor dem Tod ein bisschen. Aber wenn wir die Realität "lindern," müssen wir einigermaßen irreal sein. Das ist immer der Preis dafür. Desgleichen erfordert, zu inbrünstig den Worten zu glauben "Du bist perfekt so wie du bist" oder "Arbeit ist Gottesverehrung" (mit anderen Worten: Arbeit ist Liebe), dass man Irrealität der Realität vorzieht. Schwäche den Tod und biete eine scheinbare Liebesgabe; von der Gottheit, dem Priester, Guru, New-Age-Weisen; das ist die ideale Alchemie. Ich werde folgen, wenn ich glaube, dass mein Führer mich versteht, mir vergibt, mich lobt und liebt. Aber der Trumpf ist sein Versprechen eines besseren Jenseits. Es ist eine verführerische, unschlagbare Kombination. Ich werde jetzt geliebt und ich sterbe nicht. Wer kann das schlagen? Niemand.
FÜHRER UND ANHÄNGER IN DER PSYCHOTHERAPIE Einige von uns zieht es zu "erleuchteten Meistern" hin, während andere wegen ihrer Probleme Zuflucht in der Praxis des Psychotherapeuten suchen. Psychotherapie ist eine Schlüsselinstitution der modernen Gesellschaft. Nahezu jede psychotherapeutische Interaktion repräsentiert eine weitere Version der Führer-/Anhänger-Dynamik. Wie bei EST oder jedem Kult erscheinen Psychotherapien mit ihren eigenen Glaubenssystemen bewaffnet, und der psychotherapeutische Patient schaut zum Therapeuten auf, um seine intellektuelle Abwehr gegen Bedürfnis und Schmerz zu stärken. Einige Führer sagen ihren Anhängern, sie könnten durch Meditation ein Nachlassen des Schmerzes erreichen; der Therapeut bietet das Wundermittel der "Einsichten" an. Wiederum sind es die Vorstellungen einer weisen Autoritätsfigur, die zur Rettung erscheinen und den Patienten/Anhänger angeblich von seine Sorgen befreien. Der Patient/Anhänger umklammert ein Glaubenssystem und erlangt dadurch eine Art Pseudo-Bewusstheit, die sich als echtes Bewusstsein verkleidet. Auch ähnlich dem, was in einer Kult-Aufstellung geschieht, betreiben Patient und Therapeut eine Art gemeinsames Ausagieren. Alles was der Therapeut und Patient früh im Leben nicht von den Eltern bekamen, versuchen sie jetzt voneinander zu bekommen. Liebe, Bewunderung, Hoffnung, Fürsorge, Akzeptanz, Macht, Respekt, Schwächung des Todes; was auch immer ihnen in der Kindheit fehlte. Intellektuelles Wortspiel wird zum Regenschirm, unter dem jede Person in ihrer jeweiligen Führer- oder Folger-Rolle mit dem anderen zusammenspielt, um symbolisch archaische emotionale Bedürfnisse zu erfüllen. Idealerweise verlassen wir uns darauf, dass der Therapeute uns hilft, durch defensive Glaubenssysteme zu navigieren. Aber paradoxerweise stecken Therapeuten aufgrund ihrer Berufsausbildung oft selbst fest im Griff eines der mächtigsten neurotischen Glaubenskonstruktionen. Freudianische Therapeuten zum Beispiel nehmen religiöse Dämonologie - mit dem Unbewussten als mysteriösen Speicher des ES, libidinöser und anderer Kräfte, die Dämonen gleichkommen, - und kleiden sie in eine psychologische Theorie. Ich bringe vor, dass viele Therapeuten mit der Mystifizierung psychischer Dynamik spielen, diese manipulieren und letztlich verstärken. Das Unbewusste wird immer noch als teuflischer Ort betrachtet, gegen den man sich schützen muss. Die Gefühle dort, so sorgfältig abgesondert, werden als pathologisch erachtet, wenn sie zur Oberfläche aufsteigen. Die Hauptaufgaben eines Psychoanalytikers sind erstens, den Patient von der Realität seines eigenen Glaubenssystems (Psychoanalyse) zu überzeugen, und zweitens, den Patient soweit zu bringen, dass er in den gleichen Begriffen denkt wie der Therapeut. So betreiben sie zum Beispiel Traumanalyse, die ein gutes Exempel für meinen Gesichtspunkt ist. Zu glauben, man könne durch das Verstehen seiner Träume sein Leben ändern, ist magisches Denken, ein wahnhaftes System, das Therapeut und Patient teilen. Es wird nicht gefragt, woher Träume kommen oder wie und warum sie erzeugt werden. Ohne Erörterung realer Lebensprobleme und vor allem ohne tiefes Sondieren der eigenen Vergangenheit ist es eine Art harmloses Spiel, in dem fantasievolle Interpretationen regieren. Signifikante Träume sind die symbolische Spitze des Eisbergs der verdrängten Gefühle, Gefühle, die so tief und verborgen sind, unbeschreibliche präverbale Kräfte, die keine Worte haben und nicht analysiert werden können. Es waren nicht unsere Träume, die uns früh im Leben neurotisch machten; warum erwarten wir von ihnen, dass sie unsere Neurose im Erwachsenenalter ungeschehen machen? Wir müssen uns mit den Gefühlen befassen und nicht mit den Symbolen. Andernfalls vertreiben die Symbole des Therapeuten einfach unsere eigenen Symbole. Traumanalyse als Form intellektueller Abwehr ist aus Patientensicht komfortabel, weil eine Patientin zum Beispiel es als schmerzvoll empfindet, auch nur die Notwendigkeit zu spüren, dass sie aufdecken muss, was die dunklen Tiefen des Unbewussten beinhalten. Sie ist aufgewühlt und ratlos, und ihre Bedürftigkeit zieht sie zu einem weisen und brillanten Therapeuten hin, der Liebe austeilen und reine Wahrheit verkünden wird. Das Problem ist, dass die Patientin vom Ergebnis der Therapie überzeugt ist, ehe sie ihr Haus verlässt. Sie kommt im Büro des Therapeuten an, begibt sich in die Hände dieses Menschen und ist vielleicht eine Weile im Reinen. Sie fühlt sich wohl mit dem Menschen, den sie als ihren Therapeuten gewählt hat. Anstatt wirkliche Bewusstheit zu suchen hat die Patientin sich einen Berater gesucht, der sie durch Traumanalyse oder durch eine andere Form von Gedankenabwehr gegen das Fühlen abschirmen wird. Offensichtlich ist das nicht unbedingt die beste Wahl, denn wahrscheinlich ist es ihr jetzt gelungen, jemanden zu finden, der sie beim symbolischen Ausagieren ihrer Bedürfnisse unterstützt. Sie wird ermutigt, "Einsicht" in ihre Träume oder Ängste zu gewinnen und fühlt sich wohl dabei, und das wird schließlich zu einer Methode, das Fühlen von Schmerz zu vermeiden, die sine qua non für Auflösung. Der "Friede," den sie erlangt, verflüchtigt sich unvermeidlich; ihre Tasse Hoffnung muss in der Therapiesitzung nächste Woche wieder aufgefüllt werden. Sie wird abhängig vom Therapeuten, von seiner Weisheit, von seiner Fähigkeit, sie zu beruhigen, ihr zu helfen, alles abzuwehren, das sie tief drinnen wirklich bedrängt. Das Ratsuchen, die Bewunderung, die Zuschreibung von Weisheit verführt den Therapeuten genau so sehr, wie die Patientin durch die betreuende, aufmerksame, beschützende Atmosphäre unter den Fittichen des Therapeuten verführt wird. Früher oder später wird ein Therapeut mit vergrabener, unaufgelöster, archaischer Bedürftigkeit all dem nicht mehr standhalten. Immer mehr wird er oder sie zum Guru-Therapeuten; verteilt Ratschläge, sagt den Leuten, was sie tun sollen, wohin sie gehen, mit wem und wie sie leben sollen. Wenn der Therapeut oder sein/ihr Supervisor das nicht kapieren, kann sich das zu einer vollentwickelten symbiotischen Beziehung auswachsen. Ein anderes Element des Psychotherapie-Paradox ist, dass wir durch Therapeuten sehr gefährdet werden, wenn Glaubenssysteme eskalieren und zu starren Litaneien werden. Denn an diesem Punkt wollen wir nicht mehr über uns selbst wissen; wir wollen weniger wissen, so dass wir nicht wissen, was in uns schmerzt. Damit wir unbewusst bleiben können, wollen wir neue "Fakten" aus dem Psychotherapie-Dogma erlernen, neue Techniken aus ihrer Wundertüte. Weil wir den Kontakt mit uns selbst verloren haben, verzweifelt sind, greifen wir leicht eine Therapiemethode auf, irgendeine von den Myriaden verfügbarer Therapien, und vertrauen darauf, dass sie funktionieren und unser Elend beenden wird. Einer der Gründe, dass konventionelle Einsichtstherapie zu "funktionieren" scheint, besteht darin, dass Einsichten eine weitere Form der Ideenbildung sind und wie Morphium funktionieren. Der Therapeut könnte sagen "Es ist nicht wirklich dein Fehler. Auch nicht der deiner Eltern, die auch nur Opfer waren." Und der Patient beginnt zu "verstehen." Er nutzt das Verständnis, nicht um seinen Schmerz zu überwinden sondern um seine Gefühle zu begraben. Er "fixiert" sich auf diese sogenannte Einsicht, aber die Wirkung klingt nach kurzer Zeit ab, er braucht neuen Stoff und muss zum Therapeuten zurückkehren - Jahr für Jahr -, weil man Schmerz nicht auslöschen kann, indem man eine Gedankengruppe durch eine andere ersetzt. Der Therapeut, der dem Problembeladenen Einsichten gibt, haucht dem Patienten buchstäblich Morphium ein. Und keine noch so große Menge "Gesprächstherapie" wird eine ganze Lebenszeit mit einem brutalen Vater oder einer dominierenden, fordernden Mutter aufheben können. Warum ist die Psychotherapie derart auf ein Nebengleis geraten? Als Institution entstammt Psychotherapie einem religiös-kulturellen Milieu, das Gefühle als weniger wichtig als Gedanken ansah. Logik, Denken, Analyse und Handlung wurden als Beweis für "Reife" betrachtet, während Emotion, Fühlen, Reflexion und Introspektion mit Schwäche assoziiert waren. Leute, die zu diesen Werten stehen, glauben vorbehaltlos, der denkende Kortex müsse der wichtigste Teil von uns sein, weil er erst in jüngster Zeit in der Evolution entstanden ist. Meiner Ansicht nach aber ist es eine krasse Verzerrung des Menschheits-Potentials, wenn man den Intellekt auf den Gipfelpunkt menschlicher Errungenschaft hebt. Therapie reflektiert unbeabsichtigt die Kultur insgesamt in ihrer Vergötterung von Gedanken und Konzepten, ihrem Verlangen nach "Anpassung" und "Einpassung" in den allgemeinen Zeitgeist. Anders gesagt, Eingliederung in eine Gesellschaft, die den Spalt zwischen Denken und Fühlen erweitert. Deshalb ist kognitive Therapie heute die vorherrschende Methode. Warum die Psychotherapie eine falsche Richtung eingeschlagen hat, hat nach meiner Ansicht zu tun mit dem konventionellen Wissen über das Unbewusste als vermeintlich verrückter Ort voller Lust und Gewalt und aller Art Negativität, eine Art unveränderlicher, zersetzender Hölle, mit der man nie in Kontakt kommen darf. Psychotherapien nehmen es als ihre Pflicht, Abwehrmaßnahmen gegen diese Dämonen zu verstärken. Sie dienen der puritanischen Ethik unserer Zivilisation, die "gutes, kontrolliertes" Verhalten fordert - kurz gesagt, Verdrängung. Wir als verdrängende Personen gehen also zur Therapie (oder schließen uns einem Kult an), und was bekommen wir? Noch mehr Verdrängung, mehr Ideen, um unsere gewalttätigen Gefühle zu verbergen und zu kontrollieren, mehr Rationalisierungen, um unsere Gefühle zu Tode zu erklären. Ein Glaubenssystem, gebildet, belesen, aber dennoch ein defensives Glaubenssystem. Wir bleiben uns unserer Probleme unbewusst, weil wir verdrängen; wir haben unsere Verdrängung aus dem Bewusstsein verdrängt. Der Therapeut sagt: "Wie fühlst du dich heute? Sag mir, was dich quält." Der Patient redet mit dem Therapeuten, raucht, um mehr von seinen Gefühlen zu verbergen, auch wennn er denkt, er "drücke sie aus": "Ich hasse die Eltern meiner Frau. Ich muss ständig daran denken, was sie getan haben." Er redet und diskutiert und drückt aus - und seine Gefühle verblassen im Sonnenuntergang. Das meine ich, wenn ich sage, dass Psychotherapie - genau wie Selbstbewusstseins-Seminare, kreative Visualisierung und Kult-Mitgliedschaft - Verdrängung unterstützt und begünstigt. Vorher hatte ich gesagt, dass das größte Leiden, das der Menschheit schadet, gleich neben der psychischen Krankheit deren Behandlung sei. Psychotherapie ist von der Auffassung schikaniert worden, dass Gedanken (oder Einsichten) uns gesund machen können. Indem sie an der Oberfläche bleibt, erzeugt sie eine tiefere Neurose. Sogar ein so bizarres Glaubenssystem wie Paranoia wird als Gedanken-Paket behandelt. So besteht der Hauptschub in modernen Psychotherapien darin, den Paranoiden von seinen Ideen abzubringen ("Jetzt komm, du weißt doch, dass die Leute auf der Straße nicht wirklich hinter deinem Rücken lachen"), anstatt nach unten zu tauchen und zu sehen, was diese Ideen provoziert. Ein bizarres Ideen-System wie Paranoia kommt von frühen Einprägungen. Wir stellen das auch deshalb fest, weil wir in den vergangenen zwanzig Jahren Leute mit paranoiden Ideen behandelt haben; wenn sie ihren Schmerz wiedererleben, ändern sich die Ideen radikal. Bis eine Person ihren Schmerz wiedererlebt, dienen Ideen/Gedanken als Beruhigungsmittel, indem sie das Trauma unten halten und aus dem Weg schaffen. Wenn jemand mit dieser Ideenbildung nicht richtig klarkommt, ist der nächste Schritt, den Schmerz mit Medikamenten zu beruhigen. Das Glaubenssystem, das dieser Methode zu Grunde liegt, ist, dass Tranquilizer auf das kognitive System als gedankenformende Mittel wirken. In Wirklichkeit jedoch sind es Wirkstoffe, die Einprägungen tieferer Ebenen beruhigen und ebenso die Agitation, die von diesen Einprägungen herrührt. Wenn der Psychiater Tranquilizer verschreibt, unterstellt er stillschweigend, dass Schmerz auf dem Grundboden paranoider Ideenbildung liegt, auch wenn er diese direkte Verknüpfung nicht herstellt. Und wenn therapeutische Ideen daran scheitern, den Patienten aus seiner paranoiden Gedankenwelt herauszuschütteln, dann erhält er vielleicht als letzten Ausweg Schock-Therapie, massive Stromstöße ins Gehirn, mit der Absicht, die Ideen einfach aus seinem Kopf herauszuschlagen. Alles, was dies bewirkt, ist natürlich, dass die Krankheit in die Tiefe gedrängt wird, wo sie vielleicht weniger auffällig ist aber bestimmt noch da. Ich bringe vor, dass wir wahrscheinlich am Ende unbewusster als zuvor sind, wenn wir in der Psychotherapie den Schmerz nicht lokalisieren und attackieren. Vielleicht kommen die Einsichten und Erkenntnisse eimerweise daher, vielleicht verstärken Medikamente und Schocktherapie den Verdrängungsprozess, aber wenn wir den zugrunde liegenden Schmerz nicht fühlen (der einzige Weg zur Auflösung), dann unterstützen und begünstigen psychotherapeutische Strategien nur Unbewusstheit. Eine Krankheit zu interpretieren ändert sie nicht. Wir können unsere Gefühle von Wertlosigkeit, Verlassenheit und Hoffnungslosigkeit niemals "besiegen." Wie der Guru kann der Psychotherapeut, der für andere gerne die "Antwort" liefert, eine Art magische Autorität über die Realität seiner Anhänger haben. Wir durchtränken diese Leute mit Weisheit, die sie vielleicht nicht haben, weil wir so verzweifelt auf der Suche sind nach einer Art Garantie, Sicherheit und absoluter Wahrheit in unserem Leben. Psychotherapeutische Konzepte oder die klugen Worte und Prophezeiungen eines Gurus haben, besonders wenn sie wie unpraktische, immaterielle, flüchtige, unsichtbare Atmosphärenteilchen ohne reale Substanz sind, eine enorme Macht, den Mensch biologisch zu transformieren, unsere Physiologie zu ändern, unsere Gehirnstruktur zu wandeln und uns sehen zu lassen, was nicht existiert. Das ist eine große Macht. Sobald Gefühle unzugänglich sind und den Intellekt des Menschen nicht mehr anleiten können, ist es möglich, an absolut alles zu glauben. Das gilt für die Wissenschaft genauso wie für alle anderen Gebiete. Es ist möglich, dass Neurologen oder Psychologen, die von ihren Gefühlen abgetrennt sind, an unverifizierte Ideen glauben, die als Theorien verschleiert sind. Und diese Theorien können oft so haarsträubend sein wie irgendein Kult-Glaubenssystem. Die Gefühlszentren sind stark mit den intellektuellen Zentren verbunden. Sie sollen den Verstand anleiten, so dass man ein intelligentes Leben führen kann. Intellektualismus erscheint, wenn die Verbindung unterbrochen wird und der Intellekt sich allein auf den Weg macht. Deshalb muss jede korrekte Theorie der Konstruktion des Gehirns folgen und die Verknüpfung zwischen Gehirnebenen, zwischen Bewusstseinsebenen in Betracht ziehen. Falls nicht, sucht sie Zuflucht allein im Reich des Intellekts und hat ihr solides Fundament verloren. ----------------------
26) Flippo, Chet, "Siege of the Alamos," People, 13. Juni 1983 (27) Jerry Mander, Four Arguments for the Elimination of Television, (New York: William MOrrow Paperbacks, 1984). (28) Ashram in Poona. Regie: Wolfgang Dobrowolny, München: Albatros Filmproduktion, 1979. Film. (29) Win McCormack, The Rajneesh Chronicles, (Portland: New Oregon Publishers, 1987). (30) Fitzgerald, Frances, "A Reporter at Large: Rajneeshpuram-I" The New Yorker, September 22, 1986. (31) Osho, D. Sambuddha, Glimpses of a Golden Childhood, (Osho International, 1985). (32) Fitzgerald, Frances, "A Reporter at Large: Rajneeshpuram-II" The New Yorker, September 29, 1986.
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