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Dr. Arthur Janov:   Beyond Belief: Cults, Healers, Mystics and Gurus - Why We Believe

LLC Reputation Books, ISBN-10: 0986203173, 03. Mai 2016

Kapitel 19

Das Bekehrungserlebnis

Das Bekehrungserlebnis ist ein wichtiger Aspekt von Glaubenssystemen. Auf Grund eines umwälzenden Ereignisses sieht ein Mensch "das Licht," und wandelt sich unabänderlich. In der Regel geschieht dieser erleuchtende Moment urplötzlich und verwandelt einen leidenden, verzweifelnden Menschen in ein Individuum, das Frieden und Erlösung gefunden hat. Es ist eine anscheinend magische Erfahrung, die ohne ersichtlichen Grund geschieht.

DIE PRIMÄRKRISE

Viele meiner Patienten haben von ihren früheren Konvertierungen erzählt. Es muss jemandem schlecht ergehen - das ist die sine qua non für die Konvertierungserfahrung. Darüber hinaus müssen die Probleme eine gewisse Zeit angedauert haben, bevor das Abwehrsystem zu bröckeln beginnt. Die schwierige Gegenwartssituation des Individuums wird zusätzlich belastet durch Vergangenheitstraumata und kann von der Person nicht mehr bewältigt werden. Plötzlich kommt es zum Zusammenbruch und zur Konvertierung.

Ich erinnere mich, wie eine Patientin es ausdrückte: "Ich war pleite, geschieden und allein seit einiger Zeit. Eines Tages saß ich in der Abenddämmerung allein im Park, als ich spürte, wie mich etwas ergriff, und ich schrie: 'Ich bin gerettet worden!' Später entdeckte ich in der Therapie, dass ich vor einem Gefühl gerettet worden war, dass ich nie gerettet wurde, dass meine Eltern mich in meinem Elend ertrinken ließen, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie taten nichts, um mir zu helfen, warfen mich mit fünfzehn hinaus, weil ich mich nicht benahm, und ließen zu, dass ich mit Drogen und Alkohol durchs Leben taumelte, ohne je ihre Hilfe anzubieten."

Nackt vor dieser Vernachlässigung stehend, ungeliebt und allein floh sie in die Arme des Mystischen, wo sie sich nicht mehr allein oder ungeliebt fühlte. Jetzt, da sie "gerettet" worden war, musste sie nicht mehr fühlen, dass es niemand gab, der sie aus ihrer Kindheitshölle retten würde. Sie hatte jetzt die Hoffnung erneuert, dieselbe Hoffnung, die sie sehr früh in ihrem Leben verloren hatte. Das war die Essenz ihrer Bekehrung; sie hatte Hoffnungslosigkeit in Hoffnung gekehrt.

Darauf beruht das Paradigma für das Konvertierungserlebnis. Ich nenne es eine Primärkrise. In der Regel widerfährt sie den Leuten, wenn sie unter enormen Schmerz stehen oder kurz davor sind. Sie ist wirklich der Knackpunkt, und sie geschieht, wenn die Person nicht mehr abwehren kann. Jetzt kann sie nichts anderes mehr tun als von Gott "gerettet" zu werden.

Wenn meine Patienten an der Schwelle gewaltiger Gefühle stehen, besonders der Gefühle, die verbalen Fähigkeiten zeitlich vorangehen, beginnen sie, heftig zu beben und zu zittern; sie strampeln und krümmen sich, weil die Kraft des Schmerzes sie beinahe vom Boden hebt. Eine Patientin krümmte sich heftig und schrie, dass sie eine "Kraft" spüre, die sie durchschüttelt.

Das ereignete sich in einer persönlichen Krise, in einer Periode äußerster Verzweiflung und Hoffnunglosigkeit. Wochenlang hatte sie ernsthaft Selbstmord vorgehabt. Schließlich enthüllte ihr Konversionserlebnis, warum sie so sehr litt. Indem sie "wiedergeboren" wurde, war sie "gerettet" worden - gerettet vor der Entdeckung, dass sie absolut niemand hatte in ihrem Leben, nicht jetzt und niemals. Ihre "Wiedergeburt" ersparte ihr die tiefe Hoffnungslosigkeit, die mit der Erkenntnis kommt, dass sie völlig allein war in einem gleichgültigen Universum, dass niemand sie liebte.

Warum zittern und beben Leute, während sie eine "religiöse Bekehrung" durchmachen? Es ist wirklich ein sehr kurzer Sprung von dem Gefühl, das diese Konvulsionen antreibt, zur Empfindung einer neuen, magischen, wohlwollenden Kraft, die unser Schicksal kontrolliert. Es ist Kindheitsschmerz, der sich in den Glauben an Kindheitsmagie wandelt, in den Glauben, dass jetzt alles möglich ist. Die Form ist unwichtig: Jesus, Buddha, Allah, Pyramidenkräfte, Kommunikation mit einem allwissenden Propheten aus vergangenen Jahrhunderten. Man ist jetzt in einem anderen Reich und Universum.

Wir sehen in dem Bekehrungserlebnis, wie geschmeidig Gefühle sind; wie leicht sie sich in Ideen umwandeln lassen und wie diese Ideen die Kraft von Gefühlen haben. Dieser Prozess ist nicht so ausgeflippt, wie man vielleicht denken könnte, zumal er zum Überleben beiträgt.

♦♦♦

 

WERNER

Meine Frau und ich beschlossen, um die Welt zu segeln. Wir hatten viele Jahre lang gearbeitet. Das Leben langweilte uns - jeden Tag die gleichen Aktivitäten, die gleichen Leute, das gleiche kalte Wetter. Das konnte noch nicht alles sein. Wir verkauften alle unsere Sachen, kauften ein Boot und richteten es her. Wir installierten eine Küche, eine Stereoanlage, Bücherregale und andere Sachen, um es komfortabel zu machen. Dann verließen wir unsere Heimat, und wir wussten nicht, wann wir wiederkommen würden. Das war vor sechs Jahren.

 Vor ungefähr zwei Jahren geschah etwas Wunderbares. Wir waren zu der Zeit auf See, überquerten den Pazifik. Was geschah, war, dass wir Gott entdeckten. Wir beide. Er kam in unser Leben. Wir wurden Christen. Seit damals fühle ich mich besser als je zuvor.

Wie habe ich mich vorher gefühlt? Nun, nicht lange davor hatte ich beschlossen, dass mein Leben vorbei war. Ich wollte nicht mehr leben. Und ich versuchte mich umzubringen, ich hängte mich am Mast auf. Sie haben mich heruntergeschnitten, als ich fast schon tot war. Ich bin wirklich gestorben. Als ich aufwachte, war ich in einer Klinik.

Zu dieser Zeit kümmerte ich mich nicht sonderlich um meine Frau. Ich vernachlässigte sie. Sie fing deswegen dort in Costa Rica mit einem Mann etwas an. Je mehr Zeit ich mit dem Projekt verbrachte, umso mehr ließ sie sich auf ihn ein.

Schließlich wurde mir klar, dass ich einen schrecklichen Fehler gemacht hatte. Ich war drauf und dran, sie wegen Geldes zu verlieren. Also entschied ich mich, den Job zu kündigen. Aber es war zu spät. Der Schaden war dauerhaft. Mein Frau schwankte hin und her zwischen mir und ihm. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie war wirklich in einer schrecklichen Verfassung.

Es schien, dass es für uns keinen Zweck hatte, zusammen zu bleiben. Es war eine hoffnungslose Situation. Es konnte nie wieder dasselbe sein. Wegen meiner Dummheit hatte ich alles ruiniert. Die Zukunft sah für mich leer aus.

Wir waren immer noch in Costa Rica. Eines Morgens schickte ich meine Frau an Land, um Lebensmittel zu kaufen. Sie wollte nicht gehen. Sie wusste , wie deprimiert ich war, und sie wollte mich nicht allein lassen. Aber ich überredete sie, ich sagte ihr, sie solle sich um mich keine Sorgen machen.

Es war ein komplizierter Prozess, auf den Mast zu klettern und den Strick festzumachen, aber ich schaffte es. Und ich hing mich auf. Ich war drauf und dran zu sterben. An der Küste sahen einige Leute, was passierte. Sie kamen und erwischten mich und schnitten mich runter. Das alles war mir nicht bewusst. Ich fand das später heraus. Als ich aufwachte, war ich in der Klinik, und meine Frau weinte neben mir und flehte zu Gott, sagte, es sei ihre Schuld. Ich lag eine Zeit lang in der Klinik. Das Reden fiel mir schwer. Aber wir gingen eine neue gegenseitige Bindung ein und beschlossen, Costa Rica zu verlassen.

Es war einige Wochen danach, als ER in unser Leben trat. Wir kreuzten den Pazifik von Costa Rica nach Papua, Neuguinea. Wir waren wochenlang auf offener See gewesen. Nur wie beide, allein. Du weißt nicht, wie es ist, Tag für Tag die starre Horizontlinie zu beobachten. Nur das Geräusch des Wassers, das ans Boot schlägt, und der Wind, der das Segel bewegt. Nichts geschieht. Du bist wie hypnotisiert. Es geschieht etwas mit dir. Wir entdeckten Gott. Es war wie ein Wunder. Etwas im Sonnenschein, im Himmel, das zu dir sagt: "Keine Angst. Ich bin hier. Alles ist okay."  Und plötzlich, nach all der Höllenqual, war ich glücklich. Dieses Gefühl hielt den nächsten und übernächsten Tag an. Zuerst wussten wir nicht, welche Art von Gott es war. Später erkannten wir, dass es derselbe Gott war, an den zu glauben man uns lehrte, als wir klein waren. Vor langer Zeit hatten wir diesen Gott abgelehnt. Aber wir haben ihn wieder gefunden. Er ist immer noch bei uns. Er ist überall. Ich sehe ihn in allen Menschen und Dingen. Auch wenn sie nicht wissen, dass er mit ihnen ist,- ich weiß es. Vielleicht würdest du die Dinge nicht glauben, die ich jetzt sehen kann. Die Stimme Gottes ist nur ein Teil davon. Ich hatte andere übersinnliche Erlebnisse. Ich sehe Auren um Menschen. Es geschieht ziemlich oft.

Jetzt gehen wir zurück nach Deutschland. Wir freuen uns darauf, dort anzukommen. Ich habe genug vom Segeln. Es gibt noch mehr im Leben als über Windkonditionen nachzudenken, uns um unsere Yacht zu kümmern und zu wünschen, sie wäre einen oder zwei Meter länger. Unsere Reise ist vorbei.

Ich bin einmal schon fast gestorben. Ich wollte nicht leben. Es gab keine Hoffnung. Jetzt scheint es mir, dass das Leben ein Geschenk ist.

♦♦♦

 

Jemand, der "wiedergeboren" wurde oder anderweitig bekehrt wurde, fühlt sich nicht mehr ungeliebt, betrogen, allein, von Schuld oder Hoffnungslosigkeit überwältigt. Plötzlich erscheint eine Gottheit in seiner Seele; eine Art "kosmischer" Kraft, die von ihm Besitz ergreift. Sie war so lange Zeit von diesem Menschen abgetrennt, dass sie außerirdisch scheint. Er sieht Gott oder Jesus oder wen auch immer; im Grunde ist er von einer Kraft ergriffen worden, die in Wirklichkeit eine Primärkraft ist. Was in der Konversion geschieht, ist, dass die in frühem Trauma und unerfülltem Bedürfnis ("Niemals in meinem Leben werde ich geliebt werden") eingebettete Hoffnungslosigkeit von einer tieferen Bewusstseinsebene (die zweite Linie) in Hoffnung umgewandelt wird und die Hoffnung dann Symbole (dritte Linie) annimmt, die das Bedürfnis "erfüllen." Wenn also eine Geliebte oder ein Geliebter für immer geht, findet die Person einen "Gott," der sie liebt, anstatt die Hoffnungslosigkeit zu fühlen, im Jetzt  und als Kind je geliebt zu werden. "Gott" wirkt der Leere und Hoffnungslosigkeit entgegen. Der Gedanke an einen liebenden Gott ist der ideale Tranquilizer. Es ist der Gedanke, der "erfüllt;" er ist hohl und in Wirklichkeit unbefriedigend, weil er eine Abstraktion ist, ein Symbol.

Gefangen in überwältigenden Gefühlen wird das Opfer in ein geschlossenes Gedankensystem geführt, in dem nichts Neues eindringen kann, um die Dinge zu ändern. Nichts kann seine Wahrnehmungen oder sein Verhalten ändern. Kein von anderen angebotener Gegenglaube wird etwas ändern, weil kein sogenannter "realer" Glaube unerfüllte Bedürfnisse ungeschehen machen kann. Wir müssen immer daran denken, dass wir bei dem wahren Gläubigen keine Gedanken ansprechen sondern Schmerz. Die Person braucht Hoffnung, und sei es irreale Hoffnung. Andernfalls ist der Schmerz zu groß. Irreale Ideen, Gottheiten bringen das Schmerzniveau auf verkraftbare Proportionen herunter und ermöglichen der Person zu funktionieren. Die Gleichung sieht so aus: Hoffnungslosigkeit wird in Hoffnung transformiert, die wiederum in Hoffnungssymbole transformiert wird, die der Hoffnungslosigkeit entgegenwirken. Hoffnung wird zu einem Bedürfnis, wenn Hoffnungslosigkeit herrscht.

Die Ideologie/Theologie, die der Gläubige sich vorstellt, hat ihn von seinem Leiden befreit, hat ihn tatsächlich eingekerkert. Die Ideenkette, die er geschmiedet hat, bindet ihn jetzt mit unerbittlicher Festigkeit, weil er nie eine der Primärkräfte fühlt, die ihn wirklich befreien könnten. Vielleicht leuchtet er, weil er "das Licht gesehen" hat, vielleicht stellt er sich vor, dass er endlich überwunden hat, was ihn so lange quälte, und projiziert Glück und Zuversicht. Aber in Wirklichkeit ist sein Universum jetzt eng konzipiert und fest umschrieben innerhalb der Grenzen eines festen Systems von Glaubensvorstellungen. Deswegen lässt sich dieser Mensch später so leicht manipulieren von Gurus oder auch von Therapeuten. Deswegen können sein Geld, Sexleben, seine Ehe, Sozialkontakte, etc. vom Führer kontrolliert werden. Der Mensch ist jetzt eingebunden in ein Glaubenssystem, das diese Kontrolle zulässt, sogar notwendig macht. Da Gefühle die Person nicht mehr leiten, müssen Gedanken es tun. Das ideelle System wird angenommen, weil in ihm die Bedürfnis-Erfüllung in der Gegenwart inbegriffen ist. Das Opfer wird "geliebt," beschützt, geführt, so manipuliert, dass es sich wichtig und speziell fühlt.

 

WIEDERGEBOREN IN EINE IRREALE WELT

Es gibt eine ganze "Wiedergeboren"- Bewegung. Diese Leute fabrizieren Ideen, um ihren Schmerz zu unterdrücken. Das geschieht meiner Meinung nach folgendermaßen: Die Person hat einen Haufen Schmerz, der nicht aufhören will. An einem kritischen Punkt wird der Schmerz überwältigend, und der automatische Shutdown setzt ein. Das ähnelt sehr dem TENS-Verfahren, bei dem ein Mensch mit katastrophalem Krebsschmerz in ein elektronisches Gerät eingehakt wird, einen Knopf drücken und starke elektrische Impulse in sein Nervensystem senden kann, um Schmerz abzuschalten. Überlastung wandelt sich in ihr Gegenteil, in Nichtfühlen; sowohl bei den elektrischen Impulsen, die von einem Sender kommen, als auch bei den elektrischen Impulsen, die von Urschmerz herrühren. Bei der Abschaltung entsteht ein Gedanke: "Ich bin gerettet worden!" Der Mensch stellt sich vor, er fühle sich so gut, weil er "gerettet" worden ist, wenngleich er sich in Wirklichkeit die Rettung nur einbildet, so dass er sich gut fühlen kann. Es geschieht augenblicklich. Er hat Schmerz in einen Gedanken umgewandelt, einen Hoffnungsgedanken, um tiefe Hoffnungslosigkeit zu bekämpfen. Aber die Abschaltung hat im Augenblick des Gedankens bereits stattgefunden. Das ist der Punkt, an dem meine Patienten in ein tiefes Gefühl fallen. Weil das Opfer von Glaubensüberzeugungen keine Zugangsmöglichkeit zu Gefühlen hat, ja nicht einmal von deren Existenz weiß, hat es keine andere Wahl als in Glaubensvorstellungen zu entkommen.

Die Bekehrungs-Ideen binden die Energie der Hoffnungslosigkeit; Ideen sind der Schleier. Man kann den Schleier in den Augen der Person erkennen, in Augen, die ganz glasig sein können. Danach ist der Mensch nicht mehr wirklich da. Er lebt im Reich der Vorstellungen, nicht der Gefühle. Er hat kapituliert; er hat sich in die Hände und in den Dienst einer unsichtbaren "Kraft" begeben. Zu sagen, dass "ich mich und mein ganzes Leben für Gott aufgab", ist in der Tat eine Form der Wiedergeburt. Und paradoxerweise ist es oft der Geburtsschmerz (und der Schmerz des Ungeliebtseins), vor dem der Mensch flieht. Er wird wiedergeboren, weil das Wiedererleben der realen Geburt erschütternd sein kann.

Wenn der in den Körper eingeprägte Schmerz ausgeschlossen oder konvertiert wird, hat die Pesönlichkeit immer etwas Irreales an sich. Und diese irreale Eigenschaft ist gewöhnlich unmissverständlich. Das konvertierte Individuum hat eine ätherische, "Über-den-Dingen"-, "Nicht-in-dieser-Welt"- Ausstrahlung bei seinen Interaktionen mit anderen. Dieser Mensch ist durchtränkt mit einer Art gutartiger Zufriedenheit (wunderbarer Vergessenheit), die den physischen Körper transzendiert, konkrete Ereignisse bedeutungslos macht und seine reale Existenz überdeckt. Das reale Selbst hat sich einem irrealen Selbst gefügt. Von da aus ist es ein kleiner Schritt zu einer "außerkörperlichen" Erfahrung, denn wenn ein Mensch seine Gefühle hinter sich lässt, hat er tatsächlich seinen Körper verlassen, in dem diese Gefühle wohnen. Das ist der Preis, den man für die "Wiedergeburt" zahlt.

Wenn diese Wiedergeburt vollbracht worden ist, kann die Person denken, sie sei rechtschaffener als zuvor, weil sie eher von moralistischen Prinzipien und Ideen geleitet wird als von Gefühlen. "Woran ich glaube, ist, der Welt mehr zu geben als ich nehme," sagt sie vielleicht, indem sie wiedergibt, was ihr beigebracht wurde. Vielleicht wird sie wirklich altruistisch, großzügig und spendabel. So weit es sie betrifft, ist es kein Akt sondern eine Realität. Aber solange die realen Gefühle von Zorn, Schrecken, Hass und dergleichen begraben bleiben, muss man die tugendhaften Taten als Akt betrachten. Wir werden das in der Fallgeschichte von Joan sehen, die zwischen Tagen voller Sex, Drogen und Rock and Roll und Zeiten in einem Ashram schwankte.

Ich habe keinen Menschen gesehen, der glücklich, vergnügt und voll fühlend ist und zugleich eine religiöse Bekehrung erlebt. Man fragt sich, wie es kommt, dass jemand nicht zu Gott oder Jesus  finden kann, wenn alles gut läuft. Warum leitet sich das Bekehrungserlebnis immer von negativer Erfahrung ab? Ist Jesus nur verfügbar, wenn es einem schlecht geht?

Die Antwort ist klar, wie wir in der früheren Diskussion abwehrender Glaubenssysteme in ihren verschiedenen Formen gesehen haben. Leute, deren Bedürfnisse erfüllt worden waren - die die Wärme und den Schutz wirklich liebender Eltern genossen haben -, haben keine vergrabenen Bedürfnisse und keinen verdrängten Schmerz, der sie zwingen würde, kosmische Kräfte zu ihrer Errettung zu beschwören. Der Grund: Es gibt keine schmerzvollen Gefühle, vor denen man gerettet werden müsste. Sie sind bereits durch liebevolle Eltern gerettet worden. Es gibt keine vergleichbare Sicherheit. Wer völlig erledigt ist - wessen Schmerz im Inneren brodelt -, der oder die muss diesen Schmerz in Begriffe konvertieren; Leiden gewandelt zu Philosophien, Unbehagen zu Wohlgefühl.

Ich vermute, dass fast jeder "wiedergeboren" werden will. Wir träumen vom Neustart, wollen das Leben neu anfangen, als ob davor nichts gewesen wäre. Unbewusst müssen wir alle auf sanfte Weise unsere Geburt nochmals durchmachen und uns vorstellen, dass unser früheres Leben vorbei ist und ein neues anfängt. Die ganze Auffassung des Wiedergeborenwerdens ist sehr attraktiv und verführerisch. Bestimmt würden viele Leute gerne ihre Vergangenheit abschütteln, von der sie immerzu gehetzt und bedrängt werden, und eine zweite Chance aufs Leben bekommen. Ein Neustart ohne Leiden; ein Leiden, das so unbeschreiblich ist, dass es eine direkte symbolische Linie zieht von der Geburt zur Wiedergeburt und dabei den Schmerz transzendiert.

In der Regel haben die meisten von uns ein bisschen Bewegungsfreiheit im Leben. Wir können unsere Realität ändern; die Schule verlassen, einen neuen Job finden, einen neuen Freund, eine neue Freundin finden, neue Freunde, ein neues Zuhause und so fort. Aber wenn jemand sehr abhängig ist und dann plötzlich von einem langjährigen Partner verlassen wird, dann stürzt er oder sie natürlich in tiefe Verzweiflung. Wenn diese Verweiflung mit einer früheren Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit resoniert, dann wird das Gefühl überwältigend. Und dann ist das Gehirn so ausgelegt, dass es zu viel Input abschaltet.

Eine Patientin von mir hatte zu Gott gefunden, und zwar sehr bald, nachdem sie von ihrem Gatten verlassen worden war in einer Ehe, die sie für ideal hielt. Diese Verlassenheit wiederholte ihr erstes Lebensmonat, in dem ihre Mutter krank war und nicht zur Verfügung stand. Zu ihrem Glück und als Reaktion auf ihren lebenslang angehäuften Schmerz intervenierte ihr Kortex eilends mit seinen Trugvorstellungen, um sie vor dem Gefühl zu bewahren, dass sie verlassen, vergessen, allein war - dass niemand für sie da war.

Ich will diese Konvertierungs-Erfahrungen in keiner Weise schlecht machen; vielmehr versuche ich sie zu erklären. Mein Standpunkt ist, dass die erwähnten Individuen - und es gibt Hundertausende wie sie - sich auf einem Tiefpunkt befinden, wenn eine Gottheit auftaucht, um sie zu retten; wenn sie eine Gottheit heraufbeschwören, die sie rettet. Sie vergessen, dass es eine mentale Projektion ist.  Es gibt eine verhärtete, unerbittliche Wirklichkeit, mit der man klarkommen muss, eine so schwerwiegende Situation, dass sie sich nicht ändern lässt: Frau und Kinder sind weg, Mutter ist gestorben, den Job verloren, öffentliche Erniedrigung findet statt, eine Gefängnisstrafe droht. Ihre alten Abwehrmechanismen funktionieren nicht mehr und Schmerz türmt sich auf. Weil die Verdrängung nicht mehr die ganze Arbeit machen kann, muss man das Nächstbeste tun und symbolisieren: "Ich fiel auf meine Knie und schrie 'Gott, liebst du mich?' und er schrie zurück 'Ja, ich liebe dich.' Ich war gerettet:" die Transformation des Gefühls, ungeliebt zu sein, in den Gedanken, man werde geliebt.

 

EIN SOZIAL AKZEPTABLER NERVENZUSAMMENBRUCH

Das Bekehrungserlebnis - oder die Primärkrise - ähnelt dem, was Frederick Wertham in Bezug auf Gewalttätigkeit als "katathyme Krise" bezeichnete, und zwar auf Grundlage einer Entdeckung, die er vor mehr als fünfzig Jahren gemacht hatte. Es ist der Punkt, an dem jemand durchdreht und Gedanken in die Tat umsetzt; wenn er "es nicht mehr packt" und die Schwelle zur Gewalttätigkeit überschreitet.

Die katathyme Krise trifft auch auf die Konvertierung zu. Ein Mensch wird von angehäuftem Schmerz überwältigt: Der Schmerz ist zu viel, und der Mensch dreht durch. In Abhängigkeit von seiner Vergangenheit kann er gewalttätig ausagieren, oder er kann seine innere Gewalttätigkeit überschreiten und nur in seinem Kopf explodieren. Natürlich wird die Explosion und Fragmentierung nicht als solche gefühlt. In den heftigen Qualen einer Primärkrise ergreift eine mysteriöse Kraft Besitz.

In der Vergangenheit konvertierte man zu idiosynkratischen, sehr persönlichen Ideen: Die Kommunisten verschwören sich gegen mich, die Mafia kommt und tötet mich. Heute ist es oft harmloser. Gegenwärtige Konvertierung geht in Richtung einer gemeinsamen Vorstellung von einer gütigen Macht, die zu Hilfe kommt. Das ist ein ziemlicher Wechsel und gewiss eine sanftere Schmerz-zu-Gedanke-Konvertierung. Wir sind von zornigen Trugideen zu ruhigeren übergegangen; von Todesvorstellungen zu Heilsbegriffen. Darüber hinaus können diese Bekehrungs-Wahnvorstellungen die Leute jetzt vor dem Gefängnis bewahren, gewinnträchtig vermarktet  und sogar benutzt werden, um in ein Staatsamt gewählt zu werden.

Damals in den 1970ern brachte die Newsweek eine Story über Charles Colson, einer von Richard Nixons Helfern, der zum Watergate-Skandal gehörte. Sein Wiedergeburts-Erlebnis bewirkte, dass das Justizsystem ihm freundlicher gesonnen war. Colson beschrieb seine Konversions-Erfahrung: "Etwas begann in mich hineinzufließen. Als ich allein in meinem geparkten Wagen saß, mein Gesicht in den Händen verborgen und mit dem Kopf gegen das Lenkrad gelehnt, da vergaß ich den Männlichkeitswahn, und ich vergaß die Vortäuschungen und die Ängste, schwach zu sein; und dann kam diese sonderbare Empfindung - dass Wasser an meinen Wangen runterlief - und meinen ganzen Körper durchflutete. Es war reinigend und kühlend, als es lief. Das waren keine Tränen der Freude oder der Traurigkeit sondern Tränen der Befreiung. Immerzu wiederholte ich die Worte "Nimm mich!" Etwas in mir drängte mich aufzugeben.Ich war überhaupt nicht allein." (33)

Colsons Erleuchtung reflektiert, was bei nahezu allen geschieht, die eine Konversions-Erfahrung machen: Er konvertierte seine extreme Verlassenheit in Nichtalleinsein, ein Zustand, der nur in seiner Einbildung zutreffend war.Typisch für diese Erfahrung war, dass Colson in der Anfangsphase eines Primals steckte. Die Konversions-Erfahrung ist ein symbolisches Primal an Stelle eines realen. Aber damit wir nicht denken, dass sich Leute wirklich ändern als Ergebnis der Konversions-Erfahrung: Es wurde in der Los Angeles Times berichtet, dass diejenigen, die den größten Teil seiner sogenannten religiösen Kolumnen verfassten, nie Anerkennung und Geld bekamen für ihre Arbeit. (34) Und auch der Ko-Autorin seines Buches "How Now Shall We Live" zollte er keine Anerkennung. Er benutzte diese Leute, um sein eigenes Ego aufzubauen. Monatelange Mahnungen und Androhung möglicher Gerichtsverfahren waren nötig, damit sie die Anerkennung und den Verdienst bekam, der ihr zustand.

In Colsons Fall resonierte etwas mit vergangenen Gefühlen von Traurigkeit, Schwäche und Hoffnungslosigkeit. Er hatte keine Ahnung, was diese Gefühle waren oder wie er sie fühlen könnte. Ohne Anleitung drehte der Schmerz ihn weg von einer direkten Konfrontation mit den Gefühlen und ließ ihn in Symbolismus gleiten. ""Reinigendes und kühlendes" Wasser fließt hinein, um den Schmerz fortzuspülen. Es war auch sehr zweckdienlich, weil er mit einer langen Gefängnisstrafe konfrontiert war. Und was jetzt klar wird: Wenn jemand will, dass seine Gefängnisstrafe reduziert wird, dann ist es sehr wichtig, zu Gott zu finden.

Das Bekehrungs-Erlebnis involviert immer die Entwicklung eines Trugsystems, das mit kulturell akzeptierten Vorstellungen übereinstimmt, so dass die Wahnvorstellung unbemerkt passieren kann. Sie wird dann geschmückt als religiöse Mainstream-Doktrin oder als "Philosophie" - und wird zur gutartigen Psychose, die der Person hilft, nicht verrückt zu werden. Und was ist verrückt? Es ist die Überflutung durch Schmerz tieferer Ebenen, die die Unversehrtheit kortikalen Bewusstseins erschüttert, was dann auf sehr bizarre Vorstellungen hinausläuft. Es ist immer noch eine Sache von Trugsystemen; das eine sozial akzeptiert - das andere nicht.

Das konvertierte Individuum ist weder außer Kontrolle noch ein rabiater Geistesgestörter. Der Mensch ist jetzt ruhig, und er fügt sich ein. Er hatte einen unauffälligen, friedlichen Nervenzusammenbruch und niemand merkt etwas davon. Schließlich hat ein früherer Präsident der Vereinigten Staaten ein Konversionserlebnis gehabt. Niemand würde es wagen, von ihm zu denken, er habe einen Nervenzusammenbruch gehabt.

In den letzten Jahren ist religiöse Konversion "der Mode-Hit" oder das "absolute Muss" geworden, weil es ein Trugsystem ist, das man ohne Schande akzeptieren kann. Es dient auch als praktische neue Form des Tauschhandels - je leidenschaftlicher die Konversion ist, umso eher werden die Sünden der Vergangenheit vergeben.

Einige Leute (unter ihnen Charles Colson), die für lange Zeit ins Gefängnis gehen sollten wegen ihrer Verwicklung in Watergate, ließ man gehen, weil sie "zu Gott gefunden haben." Durch ihre neugefundene Allianz mit dem Christentum schafften sie es, ihre Vergangenheit reinzuwaschen. Ein wiedergeborener Christ zu werden, ist einer der leichtesten Wege, lange Gefängnisstrafen zu vermeiden, wie viele wegen Verbrechen verurteilte Leute herausgefunden haben. Tatsächlich ist in vielen Staaten der Muster-Gefängnisinsasse, der sich zur Religion bekehrt hat, sozusagen die Schlüsselmethode der Bewährung. Drogen aufzugeben und zu Gott zu finden kann sich ordentlich bezahlt machen. Je mehr man betet und "mit Gott spricht," umso eher kommt man heraus. Heutzutage sehen wir das ziemlich erstaunliche Phänomen, dass alle möglichen Gauner und Mörder "wiedergeboren" werden, "zu Gott finden" und sich selbst aus dem Gefängnis entlassen vorfinden. Ihre Verbrechen - die Leute, die sie betrogen haben, die Leben, die sie zerstört haben, - werden jetzt verziehen, weil sie "ihn" gefunden haben.

Wie kommt es, dass man Menschen um ihr Vermögen prellen kann, kleine Kinder belästigen, morden, Banken ausrauben kann, alle möglichen korrupten Taten im Staatsamt begehen, die Verfassung verletzen und dann eine Illusion entwickeln kann, die sozial gebilligt wird, und dass man dann wieder akzeptiert wird - nicht nur akzeptiert wird sondern zu neuem Leben erweckt wird und Verzeihung findet? Irgendwie herrscht da die Auffassung, wenn jemand so glaubt, "wie ich glaube," dann ist er jetzt ein emporgehobenes Wesen, das keines Verbrechens mehr fähig ist. Inbegriffen in diesem Glaubenssystem ist eine Art inhärente Moral. Wenn du an Gott glaubst oder wenn du "wiedergeboren" worden bist, wie kannst du da wohl wieder in die Welt der Kriminellen hinabsteigen? In der heutzutage grassierenden Oberflächlichkeit glauben die Leute wirklich, Verhalten sei eine Tiefenidee. Ändere deine Gedanken, und du bist nicht mehr motiviert zu rauben oder zu unterschlagen oder zu töten oder Drogen zu nehmen: "Sag einfach nein zu...." Das ist genau so, als würde man sagen, Schmerz sei nur eine Tiefenidee; eine Angelegenheit der richtigen oder falschen Gedanken.

Wenn du sagst, du seist bekehrt worden, wirst du wahrscheinlich beim Wort genommen. Fürchte Gott oder die Hölle und - siehe da - du bist keine Bedrohung mehr. Eine Flutwelle an Impulsen, auf einem ganzen Leben voller Erfahrungen gründend, verschwindet wie von Zauberhand - ein perfekter Trick für den Psychopathen, der diesen wundervollen Schwindel seinem Repertoir einverleiben wird. der wiedergeborene Psychopath hat eine Masche mehr gefunden. Es ist seine Art, sich aus Problemen rauszuhalten. Er verkauft keine Drogen oder Wählerstimmen oder Enzyklopädien oder Reinigungsprodukte mehr; jetzt verkauft er Gott.

Weil man zu glauben bereit ist, dass da ein "Licht" zu sehen ist, dass Gott einen wirklich berührt und mit einem spricht und dass man tatsächlich mit Gott über persönliche Probleme plaudern kann, um Anleitungen zu bekommen und gerettet zu werden, funktioniert der Schwindel.

Zweifellos gibt es Konvertiten, deren neugefundene Glaubensüberzeugungen sie wirklich aufrecht halten. Diese Überzeugungen fördern die Freisetzung der Endorphine, die Gefühle blockieren, die gräßlichen Impulse zerstreuen und die Person im Zaum hält. Die Tendenzen sind jedoch nicht verschwunden; sie sind nur besser maskiert.

Ein sorgfältig zusammengestelltes Paket institutionalisierter religiöser Ideen hilft den Leuten auch, es bis ganz nach oben zu schaffen; wie viele U.S. Senatoren und Präsidenten haben ihr öffentliches Image aufgepolstert, indem sie bekannten, dass sie an einem gewissen Punkt in ihrem Leben eine religiöse Bekehrung erlebten? Damit es sich auszahlt, muss es aber ein öffentlich akzaptables Trugsystem sein. Jerry Brown, der ehemalige Gouverneur Kaliforniens, der einst studiert hatte, um als Jesuiten-Priester zu wirken, entdeckte, dass sein neu gefundener Glaube an Zen Buddhismus und andere östliche Philosophien ihn ins Reich des Inakzeptablen versetzte und ihm den Ruf eines "Verrückten" einbrachte; Gouverneur "Mondstrahl." Seine Ideen entsprachen nicht dem Mainstream.

Das Paradox ist, dass der neue religiöse Glaube - obwohl als Methode beabsichtigt, Wahnsinn zu vermeiden - auch ein Anzeichen davon ist. Es ist ein Wahnsinn, der als Abwehr gegen Irrsinn benutzt wird, und, wie zuvor erörtert, ein Wahnsinn zur Verteidigung gegen volle Reaktivität und Tod. Wenn du draußen auf der Straße mit imaginären Widersachern redest, kannst du weggesperrt werden. Aber wenn du in der Kirche mit imaginären Wesen redest, bleibst du rechtschaffen. Es ist alles eine Sache des Kontexts. Du musst am richtigen Ort verrückt sein. Sogar der Präsident spricht jeden Sonntag mit einem imaginären Freund. Er muss seine Einbildungen öffentlich präsentieren. Wenn er das nicht macht, Gott nicht erwähnt während seiner "Rede zur Lage der Nation" oder bei einer Kriegserklärung übersieht, ab und an "Gott segne Amerika" zu sagen, wenn er nicht "zu Gott betet" für die Opfer von 9/11, dann hat er ein Problem.

Die Hauptsache ist, das zu glauben, was alle anderen glauben. Die Glaubensillusion der Massen ist im Interesse der politischen Führer und der Machtstruktur. Ebenso friert sie den Status quo ein und macht Konformität zu einem Muss. Sie verfestigt die Weltanschauung. Warum ist der Ungläubige so eine Bedrohung? Weil Glaube Hoffnung einbezieht; und die Anzweiflung des Glaubens bedroht die Hoffnung.

In einer Nation von Gläubigen wird keine Bewegung entstehen, um Fehler zu finden, zu kritisieren, zu organisieren, zu versuchen, Dinge zu ändern: keine bedeutende Rebellion wird sich erheben und keiner wird für Unruhe sorgen. Weil sie Leute "repräsentieren," die die Dinge, so, wie sie sind, akzeptieren und nicht anzweifeln, können unsere Führer weiterhin machen, was sie wollen. Und wenn sie in der Gegenwart nur Deprivation anbieten können (weil Bedürfnisse ignoriert wurden), können sie im nächsten Leben eine Belohnung anbieten. Sie haben eine moralische Front, eine ethische Fassade für alle Verhaltensweisen. Und sollte zufällig einer von ihnen inhaftiert werden, können sie wieder das Licht sehen, konvertiert werden, Vergebung und neue Akzeptanz finden - ein narrensicheres System.

Die Gottesidee ist eine soziale Notwendigkeit, wenn die Bevölkerung unerfüllte Bedürfnisse hat, die nicht gefühlt werden können. Sie ist eine Art von Zement, die das Land zusammenhält und einen nationalen Nervenzusammenbruch verhindert, da Bedürfnisse symbolische Erfüllung in allen Bereichen in den Schatten stellen. Ideen kosten keinem etwas. Wo Religion und Ideologie versagen, schreiten Drogen ein. Wenn Ideen keinen Einhalt gebieten können, gibt es immer noch Tranquilizer, die uns festzementieren und die innere Rebellion beruhigen. Tranquilizer sind der Leim, der die Gesellschaft vor einem Nervenzusammenbruch bewahrt.

 

MASSGEFERTIGTES SEELENHEIL

Die Terminologie des Wiedergeborenwerdens liefert die Struktur, mit der die Konvertierungs-Erfahrung den Schmerz umrahmt. Die Konvertierungs-Erfahrung erleben meistens Leute, denen es an psychischen Optionen fehlt. Das Individuum ist in die Enge getrieben und hat die Wahl zwischen überwältigender Agonie -sogar Tod- und Konvertierung.

Candy Barr, eine ehemalige Stripperin, die von einer eifersüchtigen Frau angeschossen wurde und jetzt im Rollstuhl sitzt, beschrieb ihre Konvertierungs-Erfahrung so: " Als meine Mutter mich in das Erholungs-Zelt rollte, fühlte ich mich so sauber und rein, als sei ich endlich etwas wert. Ich fand, was ich die ganzen Jahre gesucht hatte. Mein Leben hat sich jetzt erfüllt, indem ich hier in diesem Rollstuhl sitze." (35)

Gelähmt und abhängig von einem Rollstuhl steckte Frau Barr fest; sie konnte wirklich nichts tun. Sie konnte nicht herumreisen, Filme machen, strippen, mit Managern verhandeln, flirten und Affairen haben.Sie hatte keine andere Wahl als stillzusitzen, was bedeutete, dass sie endlich mit sich selbst konfrontiert war. Das Fehlen der üblichen Abwehrmechanismen und die überwältigende Realität ihrer schweren Behinderung und der mit ihr einhergehenden Verzweiflung führte dazu, dass sie in die Idee der Erettung "schlitterte."

Diese Konvertierung braucht wenig Erklärung. Eine Stripperin, die sich so wertlos, so unsauber und unrein fühlte, wird endlich bekehrt und gerettet, so dass sie sich wertvoll, "sauber" und "rein" fühlt. Und es stimmt. Sie hat in all diesen Jahren nach diesen Gefühlen gesucht, wie es bei jeder konvertierten Person der Fall ist.

George Foreman, der Boxweltmeister im Schwergewicht, hatte ein Konvertierungs-Erlebnis unmittelbar nach einer bedeutenden Niederlage im Ring. Nach dem Kampf wurde ihm klar, dass seine Karriere vorbei war; er sah Blut auf seinen Handflächen und Füßen, und es ging ihm durch den Kopf, dass er gleich sterben werde. Genau in diesem Moment hörte er Gott sagen: "Ich will dein Leben." Nie zuvor hatte er das Gefühl gehabt, dass Gott versuchte, in seinen Körper zu kommen. Entweder man glaubt, dass es so ist, - dass Gott wirklich mit George Foreman geredet hat - oder man muss eine Illusion vermuten. Die Tatsache, dass der Kämpfer gleich sterben würde (in seiner Einbildung), brachte ihn dazu, einen "Handel" mit Gott einzugehen. Was sonst konnte ein großer und starker, lädierter und alternder Mann machen mit seinem Schmerz, seinen Babygefühlen und Bedürfnissen? Konnte er wieder das kleine Baby sein und sein frühes Leid fühlen und weinen wie ein Kleinkind? Sehr unwahrscheinlich. Gefangen in seiner Physis, seinem Image und seinem Lebensstil war er wirklich ohne Optionen. Er konnte kein Baby mehr sein, aber er konnte ein Kind Gottes sein.

Leute, die eine religiöse Konversion durchmachen, suchen typischerweise das unschuldige, unverdorbene Selbst, das sie waren, bevor die Neurose sie verdrehte. Zum Beispiel ist klar, warum Alkoholiker von neuen Gedanken gerettet werden können und warum viele wiedergeborene Christen ehemalige Alkoholiker sind. Die Ideen kommen ins Spiel, wenn der Alkohol den Schmerz nicht mehr unten hält und umgekehrt. Mit funktionsunfähigen Abwehrmechanismen sind sie jetzt nahe bei ihren unbefriedigten Kindheitsbedürfnissen nach Fürsorge, Wärme und Schutz. Sie schließen sich einer Gruppe an, in der sie glauben, "es" zu bekommen: "Jesus liebt mich" dient als Barrikade gegen aufsteigende Gefühle. Die neugefundene  'Pfingstbewegung' (oder welche Idee auch immer)  des genesenen Alkoholikers ersetzt die Flasche; er hat jetzt eine neue Sucht.

Wenn ein Mensch, der kurz vor einer Konversion steht, einen Primärtherapeuten hätte, der ihm in seinen Schmerz hineinhelfen würde, dann hätte er ein Primal. Aber weil die Person allzu oft völlig allein ist auf der Welt, kaum hilfreiche Freunde hat und keinen professionellen Beistand, hat sie keine andere Wahl als in die Symbolwelt zu flüchten. Man lässt Schmerz nicht gerne ins Bewusstsein, wenn man die Vorteile dieses Zulassens nicht kennt. Leider verteufeln die meisten Psychotherapien den Schmerz und die Notwendigkeit, ihn zu fühlen, so dass das Opfer den doppelten Schaden hat.

Man kann argumentieren, dass die Abhängigkeit von Gott weitaus besser sei als die Abhängigkeit von Alkohol, weil Gott dir keine Geschwüre  oder Leberprobleme verpasst oder dich zu einer Bedrohung für dich selbst oder andere macht, wenn er hinterm Steuer sitzt. Die Wahrheit jedoch ist, dass man für diese symbolische Abhängigkeit später einen Preis bezahlen muss. Der Schmerz, der drinnen vor sich hin brodelt, muss im System umgeleitet werden - irgendwohin, irgendwie, irgendwann. Das bedeutet einen vorzeitigen Tod, egal, wie man es betrachtet. Wie ich andererorts bemerkt habe, leitet man nicht einfach Gedanken um; ein ganzes Gehirnsystem ist umgeleitet worden - mit physiologischen Konsequenzen. Einige Leute kümmern sich nicht um die Lebensdauer; sie wollen sich jetzt einfach besser fühlen. Das ist jedermanns Privileg, und Abhängigkeit von Gott erfüllt diesen Zweck, wie zahlreiche Leute entdeckt haben. Überall wo es Hoffnung gibt, gibt es größere Endorphin-Mengen; deshalb wird man abhängig von seinen Abwehrmechanismen.

Es gab ein Experiment, in dem Hunde Tag für Tag in gefühlsverarbeitenden Zonen "gezappt" wurden. Schließlich entwickelten sie die Symptome von Epilepsie. Wenn man jeden Tag seiner Kindheit durch fehlende Liebe "gezappt" wird, macht das limbische System Überstunden und man entwickelt schließlich ein Symptom. Dieses Symptom kann ein Gedanke sein. Und wir müssen daran denken, dass sonderbare Ideenbildung genau wie ein Geschwür ein Symptom ist. Die Glaubensvorstellungen absorbieren die überschüssige Energie.

Der Übergang zu Ideen ist bequem, mühelos, automatisch und unbewusst. Alle spricht dafür. Das Konversions-Erlebnis ist fast immer religiös, weil im Kern der Religion Hoffnung liegt, und Hoffnung ist der Schlüssel zum Heil. Gott ist ein Gefühl, zu dem man noch nicht gelangt ist. Er ist eine Vorstellung.

Nach der Konvertierung haben Leute, die nie mit ihren Eltern reden konnten, jetzt jemanden, dem sie ihre innersten Gefühle anvertrauen können. Sie haben ihr reales Selbst transzendiert, um sich einer neuen Brüderschaft anzuschließen, einer einladenden Gemeinde, einer Gemeinschaft von Umarmungen und von  "verständnisvollen" Unterstützern, und einer neuen warmen Familie bei den AA. Und es wird erwartet, dass man vertraut und bekennt. Je ausdauernder das Zugehörigkeitsgefühl, je andächtiger der Glaube, umso mehr Liebe kann man bekommen.

Wir sollten für das Konversions-Erlebnis dankbar sein. Ohne es gäbe es viele Leute, die andernfalls offen wahnsinnig wären und vielleicht eine Gefahr für die Gesellschaft und sich selbst. Der ganze aufgestaute Druck muss irgendwo hingehen - besser in den Kopf als ausagiert nach außen.

 

DU VERTEIDIGST DEIN GLAUBENSSYSTEM, WEIL ES DICH VERTEIDIGT

Das Konversions-Erlebnis ist nicht immer so dramatisch und offensichtlich wie die von mir gezeigten Beispiele. Man muss nicht "wiedergeboren" werden für eine Bekehrung. Psychoanalytische Patienten haben Konversions-Erfahrungen; sie werden zur Freudschen Lebenssicht bekehrt. Sie glauben an Traumarbeit und Träume als "Königsweg zum Unbewussten." Sie nennen es nicht Konvertierung; sie glauben einfach. Stanislav Grof gibt Versuchspersonen LSD und findet, dass sie oft Konversions-Erlebnisse haben. Dafür verantwortlich ist die plötzliche Schmerzflut, wenn man das Schleusensystem künstlich manipuliert. Was viele Therapien einschließlich der von Grof als heilsame Erfahrung loben, sehe ich als pathologisch.

Die meisten von uns konvertieren die ganze Zeit Gefühle in irreale Gedanken, nur dass die Vorstellungen nicht so organisiert, institutionalisiert oder dramatisch sind. Eine große Mehrheit geht ins Kino für ihr Konversions-Erlebnis. Sie haben ihre mystischen Offenbarungen mit Der Exorzist, Das Schweigen der Lämmer oder ähnlichen Filmen. Sie werden vom Teufel und von Dämonen in den Charakteren auf der Leinwand erregt. Und sie sind erleichtert, wenn diese (Primär-) Dämonen magisch ausgetrieben werden. Wenn du nicht weißt, was diese Kräfte genau sind, die dich dies oder das denken lassen oder dies oder das ohne ersichtlichen Grund tun lassen, musst du in der Dämonologie Zuflucht suchen.

Geht es nicht darum bei der Suche nach einem Guru oder nach einem allwissenden spirituellen Führer - jemand zu finden, der für uns mittels Magie und Hokuspokus unsere Dämonen beseitigen kann?

Ein Philosoph, der bei uns in Therapie war, wurde von ständigen Todesgedanken gequält. In seinen zwanziger Jahren war er zum Existenzialisten geworden, und er schrieb ausführlich über seine Philosophie. Seine Kernthese war, dass Menschen bei jedem ihrer Lebensschritte eine Entscheidung zwischen Leben und Tod treffen müssten, und dass das, was dem Leben Bedeutung verleihe, die Tatsache des Todes sei.

Diese Philosophie stellte nach meiner Meinung eine Form der Konversions-Erfahrung dar - eine langsame Konversion, die über viele Jahre stattfand und ausgearbeitet und verfeinert wurde, bis sie wie eine vollständig intellektuelle Angelegenheit aussah. Ihre Wurzeln lagen jedoch in einer Erinnerung der Todesnähe bei der Geburt - etwas, das er erst nach eineinhalb Jahren Therapie fühlte. Und der Existenzialismus hatte auf diesen Mann eine besondere Anziehungskraft, weil er gut zu seinen verborgenen Primärängsten passte. Die Philosophie war eine Verpackung, die ihn in Morpheus' Arme brachte.

Alle, die die Ideen dieses Existenzialisten abstritten oder attackierten, bewirkten nur, dass er neue Beweise für seinen philosophischen Standpunkt schuf. Diese vermeintlich "objektiven" Ideen gediehen auf dem Fundament einer sehr persönlichen. wenn auch unbewussten Realität. die seine Gefühle umgrenzte. Er hatte seine Philosophie energisch verteidigt, weil sie ihn verteidigte. Er verteidigte nicht seine Ideen als solche, er verteidigte seine Gefühle. Aber diese fixierten, hartnäckigen Gefühle fixierten auch seine Ideen; sie waren der Behälter, in den die Gefühle eingedrungen sind. Redet man jemandem seinen Glauben an die gütige Präsenz von Jesus Christus aus, so bedeutet das, dass man ihn verletzlich, ja abwehrlos macht, ihn in einen Zustand versetzt, der die Konvertierung in Gang setzte.

Außerdem müssen Gläubige andere bekehren, weil Ungläubige ihren Glauben bedrohen: "Wenn du nicht für mich bist, bist du gegen mich." Also geht der wiedergeborene Ex-Alkoholiker Tag für Tag zu den AA und spritzt sich täglich seine Dosis aus verschiedenen Katechismen. Dementsprechend werden sich die Anhänger von Reverend Moon damit beschäftigen, andere Schüler einzusperren, um mehr gleichgesinnte Gläubige zwischen sich und den Ungläubigen zu stellen, denen die ganze Auseinandersetzung fremd ist. Oder die junge Frau, die sich für ein Leben in einem Ashram entschieden hat, sagt zu einer ihrer Prä-Ashram-Freundinnen: "Du musst wirklich Hindi lernen." Versuche mit dieser Person über etwas zu reden, das mehr Mainstream ist - über ein Buch, das nichts mit Rama und Krishna zu tun hat, über einen Film, den du gerade gesehen hast -, und du wirst herausfinden, dass sie sich weit außerhalb konventioneller Reichweite befindet. Sie hat Zuflucht im Glauben gesucht, weil die Alternative Angst, Verzweiflung und Qual ist - kein gesunder Tausch. Die Leute um sie herum müssen bekehrt werden, so dass die idiosynkratische Realität der jungen Frau ständig gefestigt  und nicht in Frage gestellt wird. Wenn sie nicht bekehrt werden können, wird sie sie meiden oder so wenig Zeit wie möglich mit ihnen verbringen, während sie mit bereits bekehrten Leuten interagiert. Sie hat sich eine Glaubens-Zwangsjacke angezogen. Es gibt nichts Beruhigerendes als ein wechselseitig und gemeinsam benutztes System von Illusionen, egal welchen Inhalts. Es bedeutet: "Niemand macht sich an meinem Glaubenssystem zu schaffen; deshalb droht mir keine Gefahr mehr, das fühlen zu müssen, was darunter liegt."

Jeder Neurotiker filtert seine Realität. Auch ein Wissenschaftler hat vielleicht eine langsame, nahezu unfassbare, schleichende Konvertierungs-Erfahrung durchgemacht. Er ist zu wissenschaftlichen Glaubensvorstellungen bekehrt worden. Gleich, wie real sie sind, können sie durchaus eine symbolische Funktion erfüllen. Gefangen in seiner Arbeit, bis spät in die Nacht arbeitend, sein "Privatleben" vernachlässigend, kann dieser Forscher auf der Spur eines Nobel-Preises wirklich jemand sein, der im Schmerz gefangen ist, der in Arbeit übersetzt wird. Wenn Schmerz über die Ränder wissenschaftlichen Denkens schwappt, beginnt der Mystizismus.

Dr. S.F. Brena, Direktor der Schmerz-Abteilung des Fachbereichs für Anästhesiologie an der Medizinschule der Washington Universität, behauptet in einem umfangreichen, 1972 veröffentlichten Buch über das nahezu gesamte vorhandene Forschungs- und Wissensmaterial über Schmerz an einer bestimmten Stelle seines Werkes: (36)

Hier steht die Konvergenz von Religion und Wissenschaft: Letztere lehrt uns, dass Schuld die Wurzel neurotisch erlernten Schmerz-Verhaltens ist, während erstere  lehrt, dass Schuld oder Sünde entsteht aus dem Gefühl der Isolation des Menschen unter Menschen und des Menschen von Gott. Ich bringe vor, dass volle Integration und Stabilität in der Selbstachtung nur erreicht werden kann, wenn die aggressive Ego-Energie in reine Liebesenergie transformiert wird durch die Umgestaltung des Ego in das "Ich bin"-Bewusstsein, durch das Verblassen des "Adams" und das Weiterleuchten des "Christen" in uns selbst.

Sobald Brena den Halt in seiner Wissenschaft verliert, entschwebt er ins Reich des Mystizismus. Wissenschaft allein kann für ihn persönlich die Arbeit nicht schaffen. Dieser Mann gehört zu einer der renommiertesten Schmerzforschungs-Gruppen im Land, nichtsdestotrotz dehnt er sich weit über das hinaus, was in der Wissenschaft bekannt ist, und macht eine haltlose Aussage nach der anderen. "Die Erfahrung lehrt uns, dass regelmässige Gebets-Gewohnheiten.......wichtige an einem ausgeglichenen Wachstum unserselbst beteiligte Faktoren sind." Es erstaunt nicht sonderlich, dass Brena die Auffassung teilt, dass Gehirn und Geist wirklich zweierlei Wesen sind.

Aber ich denke, er sagt in einem frühen Abschnitt seines Buches genau, was er meint:

 

Wenn unsere kognitiven Aktivitäten (Glaubensüberzeugungen)............hinsichtlich Liebe, Weisheit und Friede zu Gott emporgetragen werden, lösen sie wahrscheinlich kortizifugale Einflüsse aus, die in der Lage sind, die spinale Schleuse (gegen Schmerz) zu schließen......  ein gut ausgebildetes Individuum, das willensfähig ist, seine kognitiven Prozesse in einem tiefen Gebet über sensorische Wahrnehmung zu heben........erreicht wahrscheinlich Schmerzkontrolle.

Wie viele von uns waren plötzlich in der Situation, einem neu wiedergeborenen Freund zuzuhören, als er die Wunder seines neuen Glaubenssystems verkündete - wie es ihn mit Zufriedenheit erfüllt und ihm geholfen hat, seinem Leben zum ersten Mal Sinn zu geben? Dieses Glaubenssystem funktioniert als eine Art Rettungsweste. Nimm sie weg, und das Individuum ist wieder in Gefahr, in Schmerz zu ertrinken.

 

DAS REBIRTH - ANALOGON

Die ganze Auffassung vom "Wiedergeboren"-Werden kann man sich als Rebirth-Analogon denken. So viele illusionäre Systeme entstehen aus dem Geburtstrauma, weil es so ein erschütterndes Ereignis war. Wiedergeboren zu werden - sicher, gründlich, beschützt und akzeptiert-, ist sehr attraktiv. Es gibt dir die Chance, deine Geschichte wegzuwischen, wobei du diese Geschichte nicht einmal kennen musst; eine Chance, neu zu starten und das Wiedererkennen des katastrophalen Traumas an deinem Lebensanfang effektiv auszublenden.

In gewisser Hinsicht haben die Konvertiten es richtig verstanden. Um das Trauma endlich loszuwerden, muss man sich tatsächlich mit der Geburt befassen, muss man wieder geboren werden. Aber die meisten Leute machen es symbolisch, und die Wiedergeburt findet im Zusammenhang einer Illusion statt. Ich habe so das Gefühl, wenn ich vor fünfundzwanzig Jahren die Straße entlang gegangen wäre und zu den Leuten gesagt hätte "Ich bin wiedergeboren worden", und wenn ich es oft genug gesagt hätte, dann hätte ich riskiert, in eine Klinik weggeräumt zu werden. Aber wenn man zusammen mit einer Menge anderer Leute einschließlich des Präsidenten der Vereinigten Staaten eine "Philosophie" entwickelt, hat man den Zustand einvernehmlicher Validierung erreicht. Ende des Risikos. Was die Konvertierung macht, ist, Schmerz in Symbole umzuwandeln; Primärtherapie wandelt Symbole in Schmerz um. Wir kehren Neurose um.

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(33) Woodward, Kenneth L. "Politics from the Pulpit" in Newsweek, September 6, 1976.

(34) Tim Rutten, "Digging for the Truth in Colson's Column,"  Los Angeles Times (2002)

(35) United Press International, "Ex-stripper Barr Finds Jesus", Sarasota Herald-Tribune, September 1, 1976.

(36) Steven F. Brena, Pain and Religion: A Psychophysiological Study (Springfield, Thomas, 1972)

  Ende des Kapitels

 

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