Bedeutung beinhaltet Fühlen.
Diejenigen Individuen, die bei mir in den vergangenen Jahren in Therapie
waren und die das Gefühl hatten, ein bedeutungsloses Leben zu führen,
verdrängten am meisten. Das trifft auch auf Leute zu, die nach außen hin den
Anschein erwecken, ein interessantes und aufregendes Leben zu führen. Wie
ein Patient zu mir sagte: "Ich habe einen faszinierenden Job. Zu dumm, dass
er mich nicht interessiert." Fehlende Liebe ist der Kern der Verdrängung,
und vor langer Zeit in ihrer Kindheit vergruben diese Leute ihre Gefühle.
Sie verdrängten Bedürfnis und Schmerz; mit ihnen verschwand auch alles
Fühlen. Als Erwachsene haben sie das Gefühl, dass das Leben "dort draußen"
ist, und dass sie in einer gläsernen Blase leben. Sie können wirklich nicht
ins Leben gelangen, weder ins Leben draußen noch ins Leben im Inneren.
"Was hat das Leben für einen Sinn?
Was soll das alles? Fast jeder von uns sagt das manchmal zu sich selbst.
Aber depressive Menschen stellen sich ständig diese Frage. Warum? Weil sie
unter dem Gewicht der Verdrängung ihre Gefühle verloren haben. Es ist alles
egal. Nichts gibt ihnen ein gutes Gefühl und deshalb ist nichts von
Bedeutung. Eine köstliche Tasse Kaffee am Morgen bedeutet nichts, wenn man
nicht voll schmecken kann. Man schaut die Berge an, sieht aber keine
Schönheit. Man kann nicht liebevoll sein zu seiner Freundin, weil in
Zuneigung so viel Schmerz liegt (eine Erinnerung an das, was früher im Leben
fehlte). Sex ist langweilig, weil so viele Hemmungen verhindern, dass es ein
wunderbares Erlebnis ist. Man macht sich nichts aus Essen, weil die Würze
aus dem Leben genommen wurde.
Weil diese Menschen nie geliebt
wurden, können sie nicht fühlen. Unfähig zu fühlen haben sie keinen Sinn
oder keine Bedeutung für ihr eigenes Erleben. Was bleibt also? Leute, die
ihre Gefühle verdrängt haben, fangen zu studieren an, um den Sinn des
Lebens zu finden. Und es gibt allzu viele Leute, die willens sind, Antworten
für die Verzweifelten zu liefern.
Mit Gedanken schaffen wir
Ersatzbedeutungen; solche, die wir in Religionen, Kulten, Philosophien,
politischen Gruppen finden. Oder wir finden Ersatzbedeutung, indem wir
anderen helfen, eine Kampagne gegen Drogen organisieren, Verbrechen
bekämpfen, die Umwelt beschützen - welches äußere Symbol auch immer, an das
wir unsere verdrängten Bedürfnisse hängen können. Und das Glaubenssystem,
das wir hervorzaubern, nimmt jetzt den Platz des Fühlens ein. Politische
Macht, Prestige, Geld, Ruhm nehmen teil am Sinnspiel. Der
leistungsstarke Manager fliegt um die Welt, macht Geschäfte, erwirbt neue
Firmen, verknüpft Bedeutung mit Übernahmen und Zahlen: niedrige Zahlen
gleichen einer Depression, hohe Zahlen einem Hochgefühl. Das sind die
symbolischen Bestrebungen, die kein Fühlen erfordern.
Jemand, der geliebt wird, hat bereits
Bedeutung. Sie ist in seinem Körper, in seiner Zunge, seinen
Geschmacksknospen, Lippen, Fingern, Augen. Volles und reiches Erleben - die
Art, die mit Fühlen einhergeht - das ist die Bedeutung des Lebens. Wer den
notwendigen Körperkontakt und die Liebe früh im Leben hatte, muss nicht
fragen: "Was hat das alles für einen Sinn?" Weil er sich geliebt fühlt,
deshalb ist er glücklich.
"Was ist der Sinn des Lebens?" Die
wahre Bedeutung dieser Frage ist: "Wozu sind alle meine Anstrengungen gut?
Ich habe mich nie geliebt gefühlt. Ich fühle mich nie geliebt. Ich fühle
mich nie gut. Und egal, wie sehr ich mich bemühe, nichts kommt dabei raus.
Niemand wird mich verstehen, mir zuhören oder sich um mich kümmern."
Fühlen ist das Rezept für Bedeutung.
Wenn es von früh auf keine Liebe gab, gibt es später kein Fühlen. Ein Leben
ohne Liebe oder Fühlen ist bedeutungslos, egal, wie emsig man danach sucht.
Ideen können wie Bedeutung ausschauen, aber sie sind nur ein Faksimile. Der
Suchende findet den wahren Sinn erst, wenn er seine Gefühle wiedergewinnt.
DIERDRE
Vor ungefähr fünf Jahren engagierte ich mich in einem Ashram. Eine Freundin
brachte mich dorthin. Ich hatte eine Blinddarm-Notoperation mit
ernsten Komplikationen gehabt. Ich war allein in die Notaufnahme gegangen,
und da ich keine Krankenversicherung hatte, schickten sie mich ins
Kreiskrankenhaus. Ich hatte noch nicht lange in L.A. gelebt, und ich hatte
keine Freunde. Eine alte Bekannte, die ich an diesem Abend in dem Restaurant
treffen sollte, in dem ich arbeitete, folgte mir auf dem Weg in die Klinik.
Sie war die einzige Person, die mir helfen konnte. Ich wurde von der Klinik
nach Hause geschickt, als ich noch ziemlich krank war. Ich konnte mir
unmöglich Lebensmittel kaufen oder für mich selbst sorgen. Ich brauchte
diesen Mensch auf Leben und Tod.
Sie ist ruhig und zurückgezogen, ich
neige dazu, ängstlich zu sein, viel zu reden, alles "auszuspucken." Sie
hatte sich dem Ashram angeschlossen, als sie mit einer Tragödie konfrontiert
war, die sie nicht bewältigen konnte. Als ich mich erholte, schlug sie vor,
ich solle mit ihr in den Ashram kommen zum Meditieren. Sie dachte, es würde
meine Heilung unterstützen und meine Angst vermindern.
Ich hatte
häufige Panikattacken und hyperventilierte, manchmal täglich. Ich hatte
Schlafstörungen und ein allgemeines Angstgefühl. Manchmal konnte ich nicht
ausgehen und nicht autofahren. Ich wollte mich nicht mehr so schlecht fühlen
und Kontrolle über mein Leben gewinnen. Ich glaubte, Meditation würde mir
helfen, ruhiger zu werden und mit diesen Ängsten fertig zu werden.
Argwöhnischer war ich, was das Singen und die Vorlesungen über Vorleben
betraf. Ich hatte mich für Mystizismus und verschiedene Philosophien
interessiert und sie erforscht, als ich jünger war, und kam zu dem Schluss,
dass es nichts für mich war. Es hatte keine Bedeutung fürs Leben.
In
den Abendprogrammen, die ich besuchte, gab es Gesang, Meditation und
Gastredner, die Geschichten erzählten, die "Weisheitslektionen"
beinhalteten. Die Geschichten waren unterhaltsam und schienen einen Sinn zu
machen. Der Gesang half mir nicht. Die Meditation entspannte mich bis zu
einem gewissen Grad. Es fiel mir sehr schwer, einen klaren Kopf zu bekommen
oder mich zu konzentrieren. Gewöhnlich blieb ich voll bewusst mit Gedanken
in meinem Kopf, die in der MInute eine Meile zurücklegten. Ich habe nie
irgendeine Art von glückseligem Zustand erreicht. Ich hatte allein so viel
Zeit "in meinem Inneren" verbracht, dass ich anscheinend nicht weiter
in die Tiefe wollte. Ich wollte nach außen.
Eines Abends war ich zu
meinem ersten Treffen für Neumitglieder gegangen, um ein Mantra zu erlernen
(ein Wort, dass du ständig wiederholst, um dich in einen meditativen Zustand
zu versetzen) und zu meditieren. Ich fühlte mich unwohl, wie mit allen neuen
Leuten. Nachdem ich mit meiner Freundin geredet hatte, fing ich zu weinen
an, weil ich ihr dankbar war für ihre Hilfe und weil ich mich so schlecht
fühlte, da ich um so viel bitten musste. Ich war verletzt, als sie sich mir
gegenüber ablehnend benahm, und ich hatte das Gefühl verrückt zu werden, als
sie hartnäckig behauptete, dass ich alles umstoße. Ich denke, ich war
auch sehr wütend wegen ihrer Kritik, aber hauptsächlich fühlte ich mich
erniedrigt und schwach, weil ich gezwungenermaßen so sehr von ihr abhängig
war. Ihre Ablehnung mir gegenüber war sehr schmerzlich.
Ich fühlte
da, dass diese Frau für mich der einzige Mensch ist, der mir helfen kann,
und dass sie mich nicht einmal mag (das ist die einzige Mutter, die
ich habe, aber sie hasst und ignoriert mich). Die Situation war so, dass ich
von ihr abhängig war, aber sie war wirklich nicht mit mir einverstanden. Und
ich spürte, dass sie mich genau wie meine Mutter kontrollieren wollte. Ich
fühlte mich schlecht deswegen, und dass es falsch war, Hilfe zu brauchen,
und dass ich kein Recht habe zu existieren. Ich hatte eine Situation auf
Leben und Tod ohne Hilfe überlebt, niemand, den es kümmerte, was mit mir
geschah, und das zwang mich, klar zu sehen, wie hilflos und allein ich auf
der Welt war. Ich wollte das Gefühl haben, dass ich irgendwo dazugehörte, wo
sich die Leute um mich kümmerten. Ich hatte das nie von meiner Familie
bekommen und mich nie von ihnen geliebt gefühlt.
Ich hoffte, in den
Ashram zu gehen würde mir ein Zugehörigkeits-Gefühl geben, eine sofortige
Familie. Zweitens spürte ich, dass ich mich ändern musste, um meiner
Freundin zu gefallen, meine Gefühle unterdrücken musste und nicht so viel
zeigen durfte . Es war wie bei meiner Mutter, die mich immer kritisierte,
aber ich brauchte sie so sehr, dass ich alles getan hätte, um ihr zu
gefallen. Ich dachte, es muss etwas mit mir nicht stimmen, wenn sie mich
nicht liebt. Ich dachte, wenn ich meditieren lernte, würde ich mich besser
fühlen und weniger bedürftig sein und diesen "Frieden" finden, von dem alle
gesprochen haben. Ich suchte nach einem Hoffnungs-Schnipsel, dass das, was
mit mit passierte, einen bestimmten Grund hatte. Ich fühlte mich wie ein
machtloses Opfer. Ich brauchte Hoffnung für die Zukunft, einen Grund für
mein Elend und die Gewissheit, dass ich überleben würde.
Im Ashram
kam es oft so, dass ich letztendlich weinte. Die Erlebnisse brachten Gefühle
mit sich, die ich nicht auflösen konnte. Ich glaube, die Meditation
verursachte mir am Ende noch mehr Angst und verschlimmerte die Gefühle von
Isolation, Wut und Hilflosigkeit. Alle um mich waren so unterdrückt und
ernst, mit ausdruckslosen Gesichtern. Emotionen wurden nicht gutgeheißen,
außer für eine gewisse kontrollierte "Freude." Das machte mich so gehemmt,
weil mein Weinen und die Meditation mir das Gefühl von Isolation gaben. ich
erinnerte mich, dass ich mein halbes Leben in diesem Zustand verbracht
hatte, eine Art inneres Wegtreiben. Meine Mutter nannte es "Löcher in die
Luft starren."
Im Ashram schien es, dass alle außer mir wussten, was
los war. Ich bekam nie die Unterstützung oder das Zugehörigkeitsgefühl, das
ich erhoffte. Intellektuell konnte ich die religiösen Aspekte nicht
akzeptieren. Ich schloss nie mit jemandem Freundschaft. Sie schienen alle
verrückter als ich. Obwohl ich bei mehreren Programmen mitmachte, war ich
nie wirklich engagiert und begegnete nie dem "Guru," was eine der
Voraussetzungen zu sein schien, um den "seligen" Zustand zu erreichen. Die
Gefühle, die daraus entstanden, waren, dass ich sowieso nie irgendwo
dazugehören konnte. Ich war auch wütend und hielt sie für Heuchler. Es
erinnerte mich an die Kirchengemeinde, in der ich erzogen wurde. Ich hatte
sie verlassen, als ich noch ganz jung war. Mein Vater war sehr engagiert;
ein Diakon und Lehrer in der Sonntagsschule. Ich hasste es, wie sie an
Sonntagen immer so nett taten, von Liebe und Brüderschaft sprachen und sich
die übrige Zeit um nichts und niemand scherten. Ich hatte nie das Gefühl,
dass mich jemand liebte oder mich wichtig nahm.
Ich ging nicht mehr
in den Ashram, als ich gesund wurde. Ich würde dort nie bekommen, was ich
wollte. Schließlich traf ich einige Leute, bei denen ich gerne war und die
mir realistisch und bodenständig schienen. Ich kannte sie schon eine Weile,
ehe ich entdeckte, dass sie alle zu Dr. Janovs Primal Center gegangen waren.
Sie waren nie aufdringlich damit. Ich dachte, es müsse okay sein. Ich las
einige Bücher und spürte, dass es mir helfen könnte.
Ich habe das
Gefühl, dass Leute einschließlich meinerselbst sich im Grunde in
Krisenzeiten an Kulte oder Gruppen wenden, um die Unterstützung, Liebe und
Hilfe zu bekommen, die sie von ihrer Familie hätten bekommen sollen. Wenn
eine Krise die eigene Abwehr niederreißt, ist es vernichtend, wenn man
keinen Ort hat, an den man sich wenden kann. Ich sah das bei Freundinnen,
die mit dem Tod eines geliebten Menschen fertig werden mussten und sich dem
Glauben an Vorleben etc. zuwandten. Der Hoffnungsschimmer in einer
hoffnungslosen Situation. Hoffnung auf eine Belohnung am Ende des Kampfes.
Mit meinem jetzigen Wissen ist es schwierig, zurückzuschauen und zu
erklären, wie ich mich damals fühlte, aber ich muss so etwas wie klein und
allein im Dunkeln gewesen sein, voller Angst, dass nie jemand kommen würde.
Du brauchst Hilfe, und du versuchst sie zu finden, wo immer du kannst. Wenn
es sich anschließen und glauben bedeutet, dann machst du das. Ich wusste
nie, dass Gefühle und Bedürfnisse gefühlt werden mussten, nicht einmal, dass
solche Gefühle existierten. Deshalb war alles für mich ein so großes
Geheimnis. Jetzt nicht mehr.
♦♦♦
Ende
des Kapitels
Artikel
und Buchauzüge