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Dr. Arthur Janov:   Beyond Belief: Cults, Healers, Mystics and Gurus - Why We Believe

LLC Reputation Books, ISBN-10: 0986203173, 03. Mai 2016

 Kapitel 20

Das Bedürfnis nach Sinn

Menschen sind im Grunde sinnliche Organismen. Wir erfahren die Welt durch unsere Empfindungen, und es kann keine Bedeutung abseits der Sinne geben. Die Empfindung mit der größten Repräsentation im Gehirn ist Berührung. Man nimmt deswegen an, dass Berührung von enormer Wichtigkeit ist im Schema menschlicher Erfahrung. Das bedeutet, wir müssen ganz früh im Leben berührt, liebkost, gestreichelt werden. Auf diese Weise wird Liebe gezeigt. Es ist nicht möglich, Liebe zu übersenden ohne Liebkosungen und Küsse und andere physikalische Mittel. Wir können auf bestimmte Gedanken kommen - "Ich weiß, sie liebt mich, aber sie kann es einfach nicht zeigen" - aber solche Gedanken haben keinen Vorrang vor der Wahrheit, die wir als sinnliche Organismen erfahren. Wenn du Liebe nicht körperlich zeigen kannst, gibt es keine Liebe, nicht die Art, die unser biologisches Bedürfnis erfüllt. Ihr Fehlen bedeutet großes Trauma für das Kleinkind, an das sich unsere Physiologie erinnert.

Bedeutung beinhaltet Fühlen. Diejenigen Individuen, die bei mir in den vergangenen Jahren in Therapie waren und die das Gefühl hatten, ein bedeutungsloses Leben zu führen, verdrängten am meisten. Das trifft auch auf Leute zu, die nach außen hin den Anschein erwecken, ein interessantes und aufregendes Leben zu führen. Wie ein Patient zu mir sagte: "Ich habe einen faszinierenden Job. Zu dumm, dass er mich nicht interessiert." Fehlende Liebe ist der Kern der Verdrängung, und vor langer Zeit in ihrer Kindheit vergruben diese Leute ihre Gefühle. Sie verdrängten Bedürfnis und Schmerz; mit ihnen verschwand auch alles Fühlen. Als Erwachsene haben sie das Gefühl, dass das Leben "dort draußen" ist, und dass sie in einer gläsernen Blase leben. Sie können wirklich nicht ins Leben gelangen, weder ins Leben draußen noch ins Leben im Inneren.

"Was hat das Leben für einen Sinn? Was soll das alles? Fast jeder von uns sagt das manchmal zu sich selbst. Aber depressive Menschen stellen sich ständig diese Frage. Warum? Weil sie unter dem Gewicht der Verdrängung ihre Gefühle verloren haben. Es ist alles egal. Nichts gibt ihnen ein gutes Gefühl und deshalb ist nichts von Bedeutung. Eine köstliche Tasse Kaffee am Morgen bedeutet nichts, wenn man nicht voll schmecken kann. Man schaut die Berge an, sieht aber keine Schönheit. Man kann nicht liebevoll sein zu seiner Freundin, weil in Zuneigung so viel Schmerz liegt (eine Erinnerung an das, was früher im Leben fehlte). Sex ist langweilig, weil so viele Hemmungen verhindern, dass es ein wunderbares Erlebnis ist. Man macht sich nichts aus Essen, weil die Würze aus dem Leben genommen wurde.

Weil diese Menschen nie geliebt wurden, können sie nicht fühlen. Unfähig zu fühlen haben sie keinen Sinn oder keine Bedeutung für ihr eigenes Erleben. Was bleibt also? Leute, die ihre Gefühle verdrängt haben, fangen zu studieren an, um den Sinn des Lebens zu finden. Und es gibt allzu viele Leute, die willens sind, Antworten für die Verzweifelten zu liefern.

Mit Gedanken schaffen wir Ersatzbedeutungen; solche, die wir in Religionen, Kulten, Philosophien, politischen Gruppen finden. Oder wir finden Ersatzbedeutung, indem wir anderen helfen, eine Kampagne gegen Drogen organisieren, Verbrechen bekämpfen, die Umwelt beschützen - welches äußere Symbol auch immer, an das wir unsere verdrängten Bedürfnisse hängen können. Und das Glaubenssystem, das wir hervorzaubern, nimmt jetzt den Platz des Fühlens ein. Politische Macht, Prestige, Geld, Ruhm nehmen teil am Sinnspiel. Der leistungsstarke Manager fliegt um die Welt, macht Geschäfte, erwirbt neue Firmen, verknüpft Bedeutung mit Übernahmen und Zahlen: niedrige Zahlen gleichen einer Depression, hohe Zahlen einem Hochgefühl. Das sind die symbolischen Bestrebungen, die kein Fühlen erfordern.

Jemand, der geliebt wird, hat bereits Bedeutung. Sie ist in seinem Körper, in seiner Zunge, seinen Geschmacksknospen, Lippen, Fingern, Augen. Volles und reiches Erleben - die Art, die mit Fühlen einhergeht - das ist die Bedeutung des Lebens. Wer den notwendigen Körperkontakt und die Liebe früh im Leben hatte, muss nicht fragen: "Was hat das alles für einen Sinn?" Weil er sich geliebt fühlt, deshalb ist er glücklich.

"Was ist der Sinn des Lebens?" Die wahre Bedeutung dieser Frage ist: "Wozu sind alle meine Anstrengungen gut? Ich habe mich nie geliebt gefühlt. Ich fühle mich nie geliebt. Ich fühle mich nie gut. Und egal, wie sehr ich mich bemühe, nichts kommt dabei raus. Niemand wird mich verstehen, mir zuhören oder sich um mich kümmern."

Fühlen ist das Rezept für Bedeutung. Wenn es von früh auf keine Liebe gab, gibt es später kein Fühlen. Ein Leben ohne Liebe oder Fühlen ist bedeutungslos, egal, wie emsig man danach sucht. Ideen können wie Bedeutung ausschauen, aber sie sind nur ein Faksimile. Der Suchende findet den wahren Sinn erst, wenn er seine Gefühle wiedergewinnt.

 

DIERDRE

Vor ungefähr fünf Jahren engagierte ich mich in einem Ashram. Eine Freundin brachte mich dorthin. Ich hatte eine Blinddarm-Notoperation  mit ernsten Komplikationen gehabt. Ich war allein in die Notaufnahme gegangen, und da ich keine Krankenversicherung hatte, schickten sie mich ins Kreiskrankenhaus. Ich hatte noch nicht lange in L.A. gelebt, und ich hatte keine Freunde. Eine alte Bekannte, die ich an diesem Abend in dem Restaurant treffen sollte, in dem ich arbeitete, folgte mir auf dem Weg in die Klinik. Sie war die einzige Person, die mir helfen konnte. Ich wurde von der Klinik nach Hause geschickt, als ich noch ziemlich krank war. Ich konnte mir unmöglich Lebensmittel kaufen oder für mich selbst sorgen. Ich brauchte diesen Mensch auf Leben und Tod.

Sie ist ruhig und zurückgezogen, ich neige dazu, ängstlich zu sein, viel zu reden, alles "auszuspucken." Sie hatte sich dem Ashram angeschlossen, als sie mit einer Tragödie konfrontiert war, die sie nicht bewältigen konnte. Als ich mich erholte, schlug sie vor, ich solle mit ihr in den Ashram kommen zum Meditieren. Sie dachte, es würde meine Heilung unterstützen und meine Angst vermindern.

Ich hatte häufige Panikattacken und hyperventilierte, manchmal täglich. Ich hatte Schlafstörungen und ein allgemeines Angstgefühl. Manchmal konnte ich nicht ausgehen und nicht autofahren. Ich wollte mich nicht mehr so schlecht fühlen und Kontrolle über mein Leben gewinnen. Ich glaubte, Meditation würde mir helfen, ruhiger zu werden und mit diesen Ängsten fertig zu werden.

Argwöhnischer war ich, was das Singen und die Vorlesungen über Vorleben betraf. Ich hatte mich für Mystizismus und verschiedene Philosophien interessiert und sie erforscht, als ich jünger war, und kam zu dem Schluss, dass es nichts für mich war. Es hatte keine Bedeutung fürs Leben.

In den Abendprogrammen, die ich besuchte,  gab es Gesang, Meditation und Gastredner, die Geschichten erzählten, die "Weisheitslektionen" beinhalteten. Die Geschichten waren unterhaltsam und schienen einen Sinn zu machen. Der Gesang half mir nicht. Die Meditation entspannte mich bis zu einem gewissen Grad. Es fiel mir sehr schwer, einen klaren Kopf zu bekommen oder mich zu konzentrieren. Gewöhnlich blieb ich voll bewusst mit Gedanken in meinem Kopf, die in der MInute eine Meile zurücklegten. Ich habe nie irgendeine Art von glückseligem Zustand erreicht. Ich hatte allein so viel Zeit  "in meinem Inneren" verbracht, dass ich anscheinend nicht weiter in die Tiefe wollte. Ich wollte nach außen.

Eines Abends war ich zu meinem ersten Treffen für Neumitglieder gegangen, um ein Mantra zu erlernen (ein Wort, dass du ständig wiederholst, um dich in einen meditativen Zustand zu versetzen) und zu meditieren. Ich fühlte mich unwohl, wie mit allen neuen Leuten. Nachdem ich mit meiner Freundin geredet hatte, fing ich zu weinen an, weil ich ihr dankbar war für ihre Hilfe und weil ich mich so schlecht fühlte, da ich um so viel bitten musste. Ich war verletzt, als sie sich mir gegenüber ablehnend benahm, und ich hatte das Gefühl verrückt zu werden, als sie hartnäckig behauptete, dass ich alles  umstoße. Ich denke, ich war auch sehr wütend wegen ihrer Kritik, aber hauptsächlich fühlte ich mich erniedrigt und schwach, weil ich gezwungenermaßen so sehr von ihr abhängig war. Ihre Ablehnung mir gegenüber war sehr schmerzlich.

Ich fühlte da, dass diese Frau für mich der einzige Mensch ist, der mir helfen kann, und dass sie mich  nicht einmal mag (das ist die einzige Mutter, die ich habe, aber sie hasst und ignoriert mich). Die Situation war so, dass ich von ihr abhängig war, aber sie war wirklich nicht mit mir einverstanden. Und ich spürte, dass sie mich genau wie meine Mutter kontrollieren wollte. Ich fühlte mich schlecht deswegen, und dass es falsch war, Hilfe zu brauchen, und dass ich kein Recht habe zu existieren. Ich hatte eine Situation auf Leben und Tod ohne Hilfe überlebt, niemand, den es kümmerte, was mit mir geschah, und das zwang mich, klar zu sehen, wie hilflos und allein ich auf der Welt war. Ich wollte das Gefühl haben, dass ich irgendwo dazugehörte, wo sich die Leute um mich kümmerten. Ich hatte das nie von meiner Familie bekommen und mich nie von ihnen geliebt gefühlt.

Ich hoffte, in den Ashram zu gehen würde mir ein Zugehörigkeits-Gefühl geben, eine sofortige Familie. Zweitens spürte ich, dass ich mich ändern musste, um meiner Freundin zu gefallen, meine Gefühle unterdrücken musste und nicht so viel zeigen durfte . Es war wie bei meiner Mutter, die mich immer kritisierte, aber ich brauchte sie so sehr, dass ich alles getan hätte, um ihr zu gefallen. Ich dachte, es muss etwas mit mir nicht stimmen, wenn sie mich nicht liebt. Ich dachte, wenn ich meditieren lernte, würde ich mich besser fühlen und weniger bedürftig sein und diesen "Frieden" finden, von dem alle gesprochen haben. Ich suchte nach einem Hoffnungs-Schnipsel, dass das, was mit mit passierte, einen bestimmten Grund hatte. Ich fühlte mich wie ein machtloses Opfer. Ich brauchte Hoffnung für die Zukunft, einen Grund für mein Elend und die Gewissheit, dass ich überleben würde.

Im Ashram kam es oft so, dass ich letztendlich weinte. Die Erlebnisse brachten Gefühle mit sich, die ich nicht auflösen konnte. Ich glaube, die Meditation verursachte mir am Ende noch mehr Angst und verschlimmerte die Gefühle von Isolation, Wut und Hilflosigkeit. Alle um mich waren so unterdrückt und ernst, mit ausdruckslosen Gesichtern. Emotionen wurden nicht gutgeheißen, außer für eine gewisse kontrollierte "Freude." Das machte mich so gehemmt, weil mein Weinen und die Meditation mir das Gefühl von Isolation gaben. ich erinnerte mich, dass ich mein halbes Leben in diesem Zustand verbracht hatte, eine Art inneres Wegtreiben. Meine Mutter nannte es "Löcher in die Luft starren."

Im Ashram schien es, dass alle außer mir wussten, was los war. Ich bekam nie die Unterstützung oder das Zugehörigkeitsgefühl, das ich erhoffte. Intellektuell konnte ich die religiösen Aspekte nicht akzeptieren. Ich schloss nie mit jemandem Freundschaft. Sie schienen alle verrückter als ich. Obwohl ich bei mehreren Programmen mitmachte, war ich nie wirklich engagiert und begegnete nie dem "Guru," was eine der Voraussetzungen zu sein schien, um den "seligen" Zustand zu erreichen. Die Gefühle, die daraus entstanden, waren, dass ich sowieso nie irgendwo dazugehören konnte. Ich war auch wütend und hielt sie für Heuchler. Es erinnerte mich an die Kirchengemeinde, in der ich erzogen wurde. Ich hatte sie verlassen, als ich noch ganz jung war. Mein Vater war sehr engagiert; ein Diakon und Lehrer in der Sonntagsschule. Ich hasste es, wie sie an Sonntagen immer so nett taten, von Liebe und Brüderschaft sprachen und sich die übrige Zeit um nichts und niemand scherten. Ich hatte nie das Gefühl, dass mich jemand liebte oder mich wichtig nahm.

Ich ging nicht mehr in den Ashram, als ich gesund wurde. Ich würde dort nie bekommen, was ich wollte. Schließlich traf ich einige Leute, bei denen ich gerne war und die mir realistisch und bodenständig schienen. Ich kannte sie schon eine Weile, ehe ich entdeckte, dass sie alle zu Dr. Janovs Primal Center gegangen waren. Sie waren nie aufdringlich damit. Ich dachte, es müsse okay sein. Ich las einige Bücher und spürte, dass es mir helfen könnte.

Ich habe das Gefühl, dass Leute einschließlich meinerselbst sich im Grunde in Krisenzeiten an Kulte oder Gruppen wenden, um die Unterstützung, Liebe und Hilfe zu bekommen, die sie von ihrer Familie hätten bekommen sollen. Wenn eine Krise die eigene Abwehr niederreißt, ist es vernichtend, wenn man keinen Ort hat, an den man sich wenden kann. Ich sah das bei Freundinnen, die mit dem Tod eines geliebten Menschen fertig werden mussten und sich dem Glauben an Vorleben etc. zuwandten. Der Hoffnungsschimmer in einer hoffnungslosen Situation. Hoffnung auf eine Belohnung am Ende des Kampfes.

Mit meinem jetzigen Wissen ist es schwierig, zurückzuschauen und zu erklären, wie ich mich damals fühlte, aber ich muss so etwas wie klein und allein im Dunkeln gewesen sein, voller Angst, dass nie jemand kommen würde. Du brauchst Hilfe, und du versuchst sie zu finden, wo immer du kannst. Wenn es sich anschließen und glauben bedeutet, dann machst du das. Ich wusste nie, dass Gefühle und Bedürfnisse gefühlt werden mussten, nicht einmal, dass solche Gefühle existierten. Deshalb war alles für mich ein so großes Geheimnis. Jetzt nicht mehr.

 ♦♦♦

 

Ende des Kapitels

 

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