Warum
bringen sich Selbstmordattentäter um und lassen andere allein
zurück? Ich habe die Angelegenheit mit zwei islamischen Patienten
von mir besprochen. Sie sagten, beide Eltern hätten ihnen, seit
sie sprechen konnten, beigebracht, dass vor Allah nichts kommt.
Weder Familie noch Freunde oder Land. Ist das also der Grund – der
Glaube an Allah? Nein, aber es ist ein Anfang, weil man kleine
Moslem-Kinder auch über den Himmel unterrichtet. Wenn sie
aufwachsen, lernen sie, dass Selbstaufopferung die Abkürzung zum
Himmel ist. Reicht das als Erklärung? Keinesfalls! Was erklärt die
Sache? Mehrere tausend Jahre einer Kultur, die Individualismus und
das Zeigen vieler Emotionen verhindert. Eine Kultur, wie meine
Patienten erklären, in der Körperkontakt eingeschränkt wird und in
der wie bei vielen anderen traditionellen Religionen strenge
Regeln herrschen. Aufopferung ist der ultimative Weg, um Liebe und
Belohnung zu finden – nicht in diesem Leben sondern in einem
anderen. Ich
glaube, wenn Menschen mehr Liebe in diesem Leben hätten, dann
wären sie nicht so scharf darauf, es zugunsten einer imaginären
Existenz zu beenden. Unterscheiden sie sich so sehr von jenen
religiösen Fanatikern, die sich in Jonestown umbrachten? Ganz und
gar nicht.
Wenn
die Kinder alt genug sind, für sich selbst zu denken und ihre
eigenen Gefühle zu verstehen, gewöhnlich im späteren Jugendalter,
ist es oft schon zu spät. Glaubensvorstellungen ersetzen ihre
wirklichen Gefühle. Schlimmer noch ist, dass diese Überzeugungen
frühe Deprivationen beinhalten und die Kraft dieses frühen
Schmerzes absorbieren, der ständig in Richtung linke Frontalzone
des Gehirns unterwegs ist und den Glauben an Ort und Stelle hält.
Fast alle Selbstmordattentäter waren unter 30 Jahre alt, die
meisten Teenager oder Anfang zwanzig, in einem Alter, in dem die
Kontroll-Sektionen der obersten Gehirnebene noch nicht ausgereift
sind. Oft durften sie nie widersprechen oder Autoritäten in Frage
stellen oder Älteren gegenüber ihre Gefühle ausdrücken. (Meine
zwei Patienten bestätigen das für sich selbst, für ihre
Schulkameraden und Arbeitskollegen). Jetzt können sie die ganze
unterdrückte Wut und Frustration auf den „Feind“ loslassen.
Ungeheuerlicher Schmerz und eine Gewalt billigende
Doktrin greifen ineinander und die linke Frontalzone wird
überflutet und gezwungen, die absonderlichsten Vorstellungen zu
entwickeln und hartnäckig daran festzuhalten. Das versetzt die
Person in eine Art Koma, was bedeutet, dass das analytische Gehirn
die Realität nicht mehr wahrnimmt sondern voll automatisch
funktioniert – gesteuert von Kräften aus der Tiefe. Deshalb können
sie ohne Reue töten. Es gibt da keine echten Gefühle sondern nur
Glaubensvorstellungen; eine davon ist, dass sie nicht wirklich
sterben; sie fahren in den Himmel, wo Dutzende Jungfrauen auf die
Märtyrer warten. Ihr Opfer wird die größte Belohnung einbringen.
Wenn Eltern das bekräftigen, wie es oft geschieht, hat die Person
keinen Bezugsrahmen, um die Verrücktheit ihrer Handlungsweise zu
verstehen. Die Zahl der Freiwilligen für Selbstmordattentate ist
endlos. Sie mussten nur darauf warten, an die Reihe zu kommen. Sie
brauchen keine Gehirnwäsche, um den Tod zu akzeptieren. Die ist
mit der Zeit in kleinen Zuwächsen seit frühester Kindheit schon
gemacht worden, um sich auf „den Tag“ vorzubereiten.
Und wenn sie es tun, dann gibt es immer die Belohnung – den Himmel
– wo alles Liebe, Friede, Ruhe und Toleranz ist. Wenn ein Kind
hier nicht geliebt wird, dann bedeutet das Leben nicht viel, denn
es sind die Ungeliebten, die dem Leben nicht viel abgewinnen
können. Ihr Schmerz und ihre Verdrängung verhindern, dass sie
irgendetwas fühlen. Somit scheint die Aufopferung des eigenen
Lebens keine so große Sache zu sein.
Schauen wir noch einmal nach
Jonestown. Das Geheimnis jeden Kults, wenn er bestehen bleiben
soll, liegt darin, die Sektenmitglieder von jedem äußeren Einfluss
fernzuhalten. Gewöhnlich erlaubt man ihnen nicht, Familie oder
Freunde für sehr lange Zeit zu sehen. Im Irak ist das kein
Problem, weil das Land in vielerlei Hinsicht isoliert ist, die
Frauen von den Männern, die Kinder von den Erwachsenen. Die Gewalt
des Krieges ist ein weiterer Faktor. Viele „Bomber“ sind schwer
verletzt worden, ihre Chancen auf Rehabilitation sind limitiert
und sie haben scheinbar keine Zukunft. Sie entscheiden sich, auf
eine Weise zu sterben, die ihnen auch das Gefühl geben würde, ihr
Leiden habe einen Sinn gehabt. Es ist eine Jonestown-Sekte, wie
sie im Buche steht. Die Fundamentalisten sind ähnlich. Im
Mittleren Osten sind Familie und Freunde vielleicht die
„Kult“-Mitglieder, die den Tod als Schnellspur zur Glückseligkeit
bekräftigen. Es gibt wenige Enklaven der Vernunft, die eine andere
Botschaft anpreisen. Man braucht nicht viele, aber es bedarf wenigstens
einer Insel gesunden Menschenverstands, um die Person von ihren
Glaubensvorstellungen abzubringen. Oder um zumindest in eine
andere Richtung zu zeigen. Aber diese Leute sind natürlich als
Ketzer bekannt, und die Geschichte von Glaubenssystemen ist oft
eine Geschichte der Gewalt gegen die Ungläubigen, in den
Vereinigten Staten nicht weniger als im Mittleren Osten. Zu sagen
„ich will nicht töten oder getötet werden“ wird von beiden Seiten
als Feigheit betrachtet. Wir sagen: „Du kannst dich nicht aus dem
Staub machen. Du musst bleiben und folglich töten.“ Sie sagen: „Tu
es (töte) für Allahs Ruhm. Wenn du auch stirbst, wartet der Himmel
auf dich.“ Töten wird zur Apotheose, zum Nonplusultra, zum edlen
Opfer der Tapferen und Selbstlosen; auf beiden Seiten.
Wir
müssen uns fragen: Warum sind diese Kulte und Glaubenssysteme das
Vorzimmer zur Todes-Verherrlichung? Weil unter all dem Schmerz die
äußerste Hoffnungslosigkeit liegt, jemals wirkliche Liebe zu
bekommen. Das wird nie ausgesprochen sondern auf tieferen
Bewusstseinsebenen einfach verstanden. Und für ein Baby/Kind
bedeutet dieser Schmerz den Tod. Wir sind Geschöpfe, die geliebt
werden müssen. Wir können den Schmerz bewusst verleugnen, aber
unser Körper tut das nie. Er reagiert aus dem Schmerz heraus ohne
sich je dessen bewusst zu sein. Der Schmerz wird selten erkannt,
aber er verursacht Gewalttätigkeit, weshalb die religiösesten
Gruppen in der Geschichte auch immer die gewalttätigsten waren.
Wir müssen uns nur die Kreuzzüge anschauen oder die Inquisition -
oder die Hexenverbrennungen in New England. Hier in den
Vereinigten Staaten gewinnen die Theoconen an Macht und bestimmen
die Politik mit - eine Politik des Krieges und des Tötens.
Wieso
sind wir uns so sicher über die Rolle verdrängter Gefühle? "Sich
sicher sein" geht gar nicht in der Wissenschaft. Fakten
„suggerieren" dieses oder jenes. Man „fragt sich“ über dieses oder
jenes. Ich glaube, dass wir uns im Bereich der Gefühle und der
Verdrängung ein wenig sicherer sein können. Wieso? Es gibt
Gehirnforschung an Epileptikern, die unbehandelbar blieben, bis
die Chirurgen das rechte und linke Gehirn voneinander trennten.
Dies geschah, um die ziellose massive Entladung von Nervenzellen
daran zu hindern, von einer Hemisphäre zur anderen überzuwechseln
und Verwüstung anzurichten. Dann testeten sie die zwei
Gehirnseiten. Sie machten etwas Lustiges mit der rechten Seite und
die Person lachte; aber als man die Person auf der linken Seite
fragte, warum sie lachte, musste sie sich zur Erklärung eine
Vorstellung ausdenken, weil sie keine Ahnung hatte, was der
rechten Seite zugetragen worden war. Ein Kommentar wie: „Ich
lache, weil sie ein lustiges Hemd tragen“ wurde dann angeboten.
Nun, im Fall großen Schmerzes kann die Information nicht
rüberkommen; wir sind effektiv hirngespalten. Und wir hecken Ideen
und Glaubensüberzeugungen aus, um einen Schmerz zu erklären, den
wir nicht sehen oder verstehen können. Erleichtert wird uns das
dadurch, dass die Glaubensüberzeugungen bereits fertig abgepackt
und tragebereit im Zeitgeist liegen. Wir haben jetzt eine gute
Vorstellung über die Verlaufsbahn dieses Schmerzes/dieser
Deprivation/dieses Gefühls/dieser Hoffnungslosigkeit und wir
können ihnen folgen, wenn sie nach oben steigen. Das ist ein
Forschungsprojekt, das wir mit dem Radiologie-Labor einer größeren
Klinik planen. Bald müssen wir nicht mehr raten, ob der Schmerz zu
einem Gedanken wird und wie das geschieht, weil wir es auf unseren
Magnet-Scans bildlich darstellen können.
Ich
sehe es jeden Tag in meiner Therapie. Wenn Patienten in ihr Gehirn
und in ihre eigene persönliche Geschichte hinabsteigen,
verteidigen sie sich zuerst mit einem Gedanken wie zum Beispiel:
„Meine Frau lässt mir keinen Atemraum und ich muss sie verlassen.“
Wenn er auf die Gefühlsebene hinabsteigt, erlebt er: „Meine Eltern
ließen mich nie rasten oder schnaufen, ohne mir eine lästige
Pflichtaufgabe reinzuwürgen.“ Und dann endlich: Vorgegebenen
Nervenbahnen folgend geht er tiefer ins Gehirn und erlebt einen
Atemstillstand oder eine Atemblockade während der Geburt wieder,
als seiner Mutter eine massive Dosis eines Schmerzmittels
verabreicht worden war. Oder die Patientin, die lautstark mehr
Freiheit fordert, weil ihr Ehemann ihr keine Freiheit lässt, sich
mit Freunden zu treffen, vor allem nicht mit Männern. Sie erlebt
eine Zeit wieder, als ihre Eltern dasselbe taten, und dann erlebt
sie wieder, wie sie im Geburtskanal gefangen war, blockiert, ohne
Bewegungsfreiheit. Niemand suggeriert ihr das. Die
Nervenschaltkreise machen das alles. Und wenn die Person voll
fühlt, dass es keine symbolische Ideenbildung mehr gibt, dann ist
sie verschwunden.
Wir
wissen aus Erfahrung, dass Patienten, die unter Schmerz stehen,
zuerst auf der sich zuletzt entwickelnden Gehirnebene – auf der
Ebene des Gedanken bildenden Neokortex – nach Gott oder Allah
rufen. Sobald sie vom Glauben loslassen, können sie auf die
Gefühlsebene hinabsteigen und Emotionen erleben, welche die sie
überlagernden Gedanken/Glaubensvorstellungen aufzulösen scheinen.
Wir sehen hier, wie Gefühle bestimmten Kern-Glaubensvorstellungen
zugrunde liegen. Wir müssen sie nicht interpretieren; das
geschieht von selbst –automatisch. Der Patient kommt aus dem
Feeling raus und fängt an: „ Deshalb habe ich dieses oder jenes
gedacht oder diese oder jenes getan.“ Aber rigide und dogmatische
Leute können nie vom Glauben loslassen; es ist einfach zuviel
Druck dahinter, der ihn aufrecht erhält. So fühlen sie nie, was
darunter ist, oder können nicht einmal erkennen, dass tief drinnen
ein Gefühl zugrunde liegt.
Wenn
jemand versuchte, diese fixierten und fanatischen Vorstellungen
wegzureißen, stünde die Person nackt vor ihrem Schmerz.
Normalerweise ist uns keiner willkommen, der oder die uns in
Schmerz versetzt. Wenn es geschieht, folgt manchmal Gewalt. Es ist
nicht so, dass jemand den Glaubenden in Schmerz versetzt; da ist
er bereits drin. Es ist einfach so, dass der Glaubende, anstatt
seine innere Agonie zu fühlen, die Quelle nach außen verlagern
kann. Welche Agonie meine ich? Hoffnungslosigkeit und
Hilflosigkeit werden selten artikuliert, sind aber im Glaubenden
immer gegenwärtig. Es besteht ein Bedürfnis nach Sicherheit und
Schutz in einer gewalttätigen, lieblosen und chaotischen Umwelt.
Der Grund ist, dass am Lebensanfang fehlende Zärtlichkeit und
Liekosung ein Leben lang diesen Rückstand hinterlässt. Es ist ein
unvermeidliches Resultat fehlender Liebe. Und wenn Nähe zwischen
Jungen und Mädchen missbilligt wird, verschlimmert sich das
Verbrechen. Mädchen müssen von Kopf bis Fuss bedeckt sein. Keine
Chance zu flirten. Es gibt immer mehr Frustration; sexuelle
Frustration kann zu Gewalt führen und tut dies tatsächlich.
Man
könnte sagen, dass religiöse Glaubenssysteme abseits der
Wissenschaft stehen und nicht analysiert oder hinterfragt werden
sollten. Aber zieht man das Gütesiegel der Religion ab, sind sie
noch immer Glaubenssysteme. Der einzige Unterschied ist, dass sie
ein sozial institutionalisiertes und gebilligtes Gehäuse formen,
eine gutartige und organisierte Psychose, wo man an etwas glaubt,
dass nie jemand gesehen hat. Normalerweise kennt man das als
Psychose. Wenn man sie mit Tausenden oder Millionen anderer Leute
teilt, wird sie zur Norm – eine einvernehmliche Validierung; ich
glaube, weil er glaubt – und er glaubt, weil ich glaube. Es gibt
keinen anderen äußeren Bezugsrahmen, um die Realität von all dem
zu analysieren. Wir „glauben“ es einfach. Aber oft ist der
Glaubende bereit, für seine Überzeugungen zu sterben. Sehen
Sie sich die japanischen Kamikaze des II. Weltkriegs an, die sich
mit ihren Flugzeugen im Namen des Kaisers auf U.S. Schiffe
stürzten – oder die Mönche in Vietnam, die sich selbst
verbrannten. Das heiligste aller Güter – Leben – verliert seinen
Wert. Die Kreuzritter sind ein weiteres Beispiel: Krieger, die
durch die ganze Welt zogen, andere besiegten und den Eroberten
ihren Glauben aufzwangen. Sie hatten das „Recht,“ im Namen Gottes
zu töten. Wenn wir nicht glauben, dass Gott oder Allah oder Odin
oder Zeus oder Huitzilopochtli tatsächlich zu diesen Leuten
spricht, dann töten sie im Namen eines Wortes, einer Idee, eines
Glaubens und nicht mehr. Sie erzeugen diese Idee im linken
präfrontalen Areal und erheben dann Anspruch, dafür zu töten. Wenn
man in einer Kultur lebt, in der die große Mehrheit an diesen Gott
glaubt, wird seine Existenz durch den Konsens „bestätigt.“ Er wird
unangreifbar. Gott helfe denen, die seine Existenz anfechten. Für
Leute, die Zweifel haben, gibt es leider keinen Gott. Ebenso kann
man sich im Fall der Ärzte fragen, die versucht haben sollen, den
schottischen Flughafen und sich selbst in die Luft zu sprengen:
Wie kann es sein, dass gebildete Ärzte, die den Hippokrates-Eid
darauf geschworen haben, niemandem Schaden zuzufügen, genau das
tun? Und sich selbst in diesem Prozess verbrennen? Offensichtlich
übergibt das gebildete linke Gehirn die Macht an die stärkeren
Gefühle, die Glaubensüberzeugungen weit über die gebildete Seite
hinaustragen. Diese Gefühle existieren auf einem anderen Planeten
– im rechten Gehirn. Der frühe Mangel an Liebe hinterlässt eine
Leere, die mit Glaubensvorstellungen aufgefüllt wird, die jedes
Verhalten steuern bis hin zur Ablehnung des Lebens. Es sind
wirklich nicht allein Gedanken, die uns gegen den vergrabenen
Schmerz verteidigen; es sind Gefühle, die die Gedanken steuern.
Ihr Kraft ist die der Gefühle und nicht die der Gedanken, die an
und für sich wenig Kraft haben. Also verteidigt man keine
Glaubensvorstellungen; man beschützt Gefühle mit
Glaubensvorstellungen – eine sehr wichtige Unterscheidung. Deshalb
sind Deprogrammierung und Logik weitgehend nutzlos in dem Bemühen.
Man benutzt nur einen anderen Gedanken, nicht um einen Gedanken
sondern um ein Gefühl zu bekämpfen. Kein Gedanke ist so stark wie
ein Gefühl; Gefühle sind Überlebensmechanismen. Sie erspüren
Gefahr und Bedrohung und auch Liebe. Sie leiten uns durch das, was
sich richtig anfühlt und nicht durch das, was wir uns als richtig
denken.
Es
ist ein zweischneidiges Schwert – das Bedürfnis nach Liebe und die
Angst vor dem Tod. Religion muss sich um beides kümmern. Das Erste
ist leicht: Gott und Allah lieben dich und werden das auch im
nächsten Leben weiterhin tun. Das hat eine große Anziehungskraft
für die emotional Deprivierten. Die Leute, die Jim Jones in den
Suizid/Tod folgten, waren überwiegend extrem deprivierte Menschen.
Für den Gläubigen existiert der Tod nicht. Man geht nur in eine
bessere Welt. Jeder Kult, den ich untersucht habe, hat dieselbe
Dynamik. „Wir gehen an einen besseren Ort – ein Paradies, ganz
anders als diese Welt“ Das bietet die Möglichkeit, den Tod zu
verleugnen, ihn zu besiegen und seine Bedeutung zu mindern. Aber
wir müssen andere von unserem Glauben überzeugen. Widerspruch
können wir nicht zulassen, weil Schmerz und Tod und
Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit auf der Lauer liegen. Wir
werden töten, um zu verhindern, dass das geschieht. Warum wollen
wir für einen Glauben sterben? Wir wollen nicht. Wir sterben für
Gefühle, die nahtlos in Glauensvorstellungen übergehen; wir
verteidigen dann den Glauben, wie ich schon gesagt habe, weil er
uns effektiv verteidigt. Warum endet das fast immer mit dem Tod?
Weil das Fehlen von Liebe genau das bedeutet. Wir brauchen Liebe
von ganz früh an, um zu wachsen und zu reifen. Ohne sie verkümmern
und sterben wir.
Die
Selbstmordattentäter glauben wirklich, dass Allah sie auf eine
heilige Mission geschickt habe. Wenn sie die Bombe detonieren,
sind sie in einem hypnotischen Zustand; der Führer hat ihnen die
Begründungen, die sie brauchen, eingeschärft, genau wie der
Hypnotiseur seinem Klienten sagt: „Sie sind müde und schlafen
ein.“ Wieso nur? Schließlich haben Sie letzte Nacht wunderbar
geschlafen, aber hier kommt diese Autorität und überzeugt Sie,
dass Sie müde sind, und Sie schlafen tatsächlich ein. Er hat
allein mit Worten ihre Physiologie und Neurologie verändert. Also
ist es gar nicht so schwer zu verstehen, wie der fanatische Führer
das machen kann, wenn er die Quelle aller Weisheit ist und – nicht
zu vergessen – aller Hoffnung. Die Geschichte der Menschheit ist
eine Geschichte der Kriege. In der Schule lernen wir Geschichte
durch die Daten der verschiedenen Kriege und der Kriegshelden. Es
hat den Anschein, dass die Atmosphäre umso autoritärer und
gewalttätiger wird, je näher Glaubensüberzeugungen und Religion
der Regierung stehen.
In
vielerlei Hinsicht sind diese Selbstmordbomber in einem
hypnotischen Koma. Sie sind eingeschlossen in tiefem Schmerz,
handeln aber roboterhaft und ahmen Verhalten nach
entsprechend der vorgeschriebenen Regeln und der Befehle des
Führers. Wir sagen, dass unser Gott der einzige ist, und sie
sagen, dass Allah der einzige ist. Wer hat Recht? Haben beide
Recht? Oder liegen beide falsch? Wie sollen wir das wissen, da es
doch keinen äußeren Index gibt für das, was wir beide glauben.
ÜBER DEN GLAUBEN, DER TÖTET
Ja,
Glaubensvorstellungen töten. Sie schaffen einen Zeitgeist für
Mord. Gäbe es im Mittleren Osten keinen Zeitgeist für Mord, wäre
die Mordrate vermutlich weitaus niedriger. Wie sonst ließe sich
erklären, dass 150 Kämpfer beschließen, in eine Schule
einzudringen und über 100 unschuldige Kinder abzuschlachten? Was
anderes als reine, unverfälschte Mordgier hatten sie im Kopf? Was
dachten sie sich? Sie dachten nicht. Was fühlten sie? Töten,
Verstümmelung, Massaker. Warum? Weil diese Kinder der Nachwuchs
von Militärpersonen waren. Und wie die Mörder sagten: „Wenn sie
erwachsen sind, werden sie uns töten.“ Genau das sagten die Nazis,
als sie Kinder töteten. Sie töten jetzt für mögliche Verbrechen in
zwanzig Jahren.
Zuerst
kommt der Zeitgeist, dass es in Ordnung ist, Frauen zu töten, die
keinen Schleier tragen, Karikaturisten, die sich Allah nicht
fügen, Leute, die sich nicht gemäß ihren Standards kleiden, und so
fort. Der Punkt ist das Töten; all den Hass freisetzen. Und woher
kommt dieser Hass? Jetzt die leichte Antwort: fehlende Liebe. Kein
geliebtes Kind würde je meilenweit reisen, um kleine Kinder
abzuschlachten. Warum? Wenn Sie geliebt werden, dann haben Sie
Gefühl für andere. Wenn man blockiert ist und Rachegefühle hegt,
durchdringen sie alles Denken, weil tiefere Gehirnebenen höhere
Ebenen einholen und jeden Anflug von Menschlichkeit verdrängen.
Worum geht es bei der Rache? Vordergründig um Blasphemie gegen
Allah. In Wirklichkeit um völligen Liebesentzug und um eine
Atmosphäre des Todes für die Ungläubigen. Deshalb scheuen
zivilisierte Gesellschaften auf der ganzen Welt die Todesstrafe.
Sie wollen ihre Menschlichkeit nicht verlieren.
Wie
wir bei Al-Qaeda und ISIS sehen, können wir immer Gründe finden,
um zu töten. Aber über unser Tun nachzudenken und Mord abzulehnen,
weil es Mord ist, ist der Schritt zur Menschlichkeit.
Ich
bin kein Experte für den Mittleren Osten, auch nicht für ihre
Politik oder Religion, aber ich habe Mörder behandelt. Keine
Massenmörder sondern wuterfüllte Leute, und ich weiß, woher es
kommt und wie es seinen Anfang nimmt. Bei Massenmorden müssen wir
Sozialpsychologen zu Wort kommen lassen, die sich auf solche Dinge
spezialisieren. Aber ich habe Erfahrung mit individueller
Entwicklung.
In
meiner Praxis habe ich gesehen, wie Patienten Kissen zerfetzten
und auf Wände einschlugen, bis diese tiefe Löcher hatten. Ich habe
reine Wut gesehen. Wie konnte das sein? Ich ließ es unter
kontrollierten Bedingungen geschehen. Und in fast fünfzig Jahren
unserer Therapie habe ich nie einen unerwünschten Zwischenfall
erlebt. Im Gegenteil, der Ausdruck von Wut entlastet diesen Drang
und besänftigt unsere Patienten. Aber es geschehen zu lassen
bedeutet, gegen den ganzen Hintergrund der Psychiatrie und
Psychologie anzugehen: In unserem Studium wurden wir davor
gewarnt, Gefühle außer Kontrolle geraten zu lassen. Und so
unterdrückten wir sie anstatt zu tun, was logisch ist: Gefühle
herauszulassen.
Ich sehe
die Progression des Fühlens täglich bei meiner Arbeit mit
Patienten. Zuerst kommen sie herein und sind wütend über dieses
und wütend über jenes. Dann – nach Wochen oder Monaten in der
Therapie – geraten sie in tiefe Gefühle und haben eine Riesenwut
auf ihre Eltern wegen deren Gleichgültigkeit und Gefühllosigkeit;
und dann der schwere Teil – sie um Liebe zu bitten. Es macht
nichts, dass sie sie nicht geben können; was zählt, ist das
Bedürfnis danach, ihr Bedürfnis, das den Schmerz beseitigt und
befreiend wirkt, und das vor allem den Zorn beseitigt. Das ist
keine von mir ausgeheckte Theorie. Es ist der Verlauf der Gefühle
bei so vielen Patienten. Wenn dieser Primär-Zusammenhang fehlt,
kann es reine Raserei geben; eine Empfindung, die tief unten im
Hirnstamm existiert, wo es keine Worte und Gefühle gibt. Wenn
diese Empfindung hochkommt und der passende Zusammenhang gegeben
ist, kann sich die Wut der Person zum Beispiel gegen Leute
richten, die gegen Allah lästern. Jetzt hat die Person ein Ziel,
das weit von der wirklichen Quelle – dem Liebesmangel – entfernt
ist. Und schlimmer noch, dieses Ziel wird von den Leuten im Umfeld
akzeptiert. Jetzt haben sie erstarrte Gefühle und ein Ziel. Sie
werden töten, nicht für Allah sondern für fehlende Liebe unter dem
Namen Allah. Indessen riefen die Mörder in Paris, als sie töteten:
„Rache für den Propheten Mohammed!“ Wenn sie nicht wirklich die
Anweisung von Mohammed hatten, wer sagte ihnen dann, dass sie das
tun sollen?
Aber
im Fall eines Massenzeitgeists gibt es einen Ansteckungseffekt,
durch den das Gefühl Akzeptanz erlangt und sich verfestigt. Es
wird zur Schande, die nicht zu töten, die keinen Respekt vor einem
bestimmten höheren Wesen haben. Diese ganze Wut existiert auf der
tiefsten Gehirnebene. Sie wird zur sozial institutionalisierten
Psychose. Es gibt ein wahnhaftes Ziel; bestimmt kann sich kein
gesunder Mensch vorstellen, dass Kinder eine Bedrohung und eine
Gefahr sind. Und dann kommt der Zorn hoch und provoziert das
Töten. Ich schreibe mit Bedacht „Psychose,“ weil es um einen
Phantom-Feind geht in Verbindung mit mörderischen Impulsen, die
durch keine höhere Ebene kontrolliert werden.
Wo
ist derselbe Zeitgeist? Derselbe Ort war gegeben während des
Holocausts, als die Schwester Marlene Dietrichs gegenüber einem
Todeslager wohnen konnte. Dieser Zeitgeist rationalisiert und
akzeptiert das Töten eines anderen Menschen. Juden, Ungläubige,
das ist alles dasselbe, solange sie ihren aufgestauten Zorn
freisetzen können. Oder wenn jemand eine rationale Begründung für
das Töten anbietet, wie es der Fall ist, wenn wir die Todesstrafe
empfehlen. Der erste Schritt im Zeitgeist ist die Entmenschlichung
des „Feindes.“ Es ist leichter, einen Untermenschen zu töten als
einen fühlenden Menschen; deshalb können wir Tiere jagen und
töten, weil wir nicht verstehen, dass ihre Gefühlsbasis so groß
wie unsere ist. Wir glauben nicht, dass sie fühlen können.
Das
liegt alles auf der persönlichen individuellen Ebene; wie Leute
zusammen durchdrehen und schreckliche Dinge tun können. Denken
sie? Nein, sie fühlen von ganz unten im Gehirn, wo das
Haifisch-Gehirn auf der Lauer liegt. Das unterscheidet keine
Ziele, solange sie wie Futter aussehen. Was denken die Haie und
die Hai-Gehirne? Sie denken nicht. Sie handeln aus ungehindertem
Instinkt.
Was
meinen Standpunkt zur Realität macht: Ich schrieb das zur selben
Zeit, als eine Gruppe von Terroristen in Frankreich die Büros
eines Magazins angriff, das sich über alle großen Religionen und
Ideologien lustig macht, und zwölf Journalisten/Karikaturisten
tötete. Sie riefen: „Gelobt sei Allah!“ Ihr Kumpel, der sich
ebenfalls im Gefängnis mit ihnen radikalisiert hatte, lief ganz in
der Nähe ebenfalls Amok und tötete weitere vier Menschen.
Wie
kommt es, dass er einen jüdischen Feinkostladen als Mordziel
wählte? Weil in bestimmten Zeitgeisten die Juden bereits als
Untermenschen betrachtet wurden. Wir müssen sehr vorsichtig sein,
dass wir uns nicht an dem maladaptiven Zeitgeist beteiligen, der
es überall leichter macht zu diskriminieren und letztlich zu
töten. Das ist die Gefahr auch nur der winzigsten Beleidigung
einer Rasse oder eines Glaubens. Es fügt sich der Geräuschkulisse
des Hasses hinzu. Und der Hass wächst, bis die Gewalt ihr
hässliches Haupt zeigt. Die Person (Jude, Homosexueller, Araber)
ist das Ziel, um den Hass zu entladen. Und wohin, wenn überhaupt,
sollte dieser Hass gehen? In Richtung ihres Lebensanfangs, zu den
Eltern, die niemals liebten und zu einem Familienleben voller
Chaos und Gewalt. Genau das hat den Hass aufgebaut und muss
freigesetzt werden. Sie haben Leute getötet, die dem Götzendienst
widersprochen haben, die sich weigerten, eine höhere Autorität zu
lobpreisen und ihr zu dienen. Sie haben Leute getötet, die ihren
Glauben nicht teilen wollten. War es nur Glaube? Nein.
Glaubensüberzeugungen ohne die Wucht von Gefühlen nehmen nie
diesen gewalttätigen Aspekt an.
Nachdem
die Terroristen von der Polizei getötet worden waren, gingen drei
Millionen Franzosen auf die Straße um zu protestieren. Die
Terroristen schienen zu wissen, dass sie auf einem Todesmarsch
waren, und es war ihnen egal. Sie haben ihren Job gemacht; Wut
freizusetzen und zu rationalisieren unter der Autorität von Allah.
Und vor allem hatten sie das Gefühl dazuzugehören. Sie teilten
ihren Hass mit anderen. Minimalisieren wir das nicht, denn jene
Anhänger eines Führers in Waco, Texas, gingen in das brennende
Gebäude zurück, als sie mit Flucht und Entkommen konfrontiert
waren. Sie wählten lieber den Tod als fühlen zu müssen, dass sie
vor dem Nirgendwo standen. Wenn es keine vertraute Familie gibt,
dann besteht ein Ur-Bedürfnis, irgendwo dazuzugehören.
Ich
habe es bei der Behandlung mexikanischer Banden-Mitglieder
gesehen. Sie kommen hierher, kennen die Sprache nicht, die Väter
mühen sich ab für den Lebensunterhalt, vernachlässigen die Kinder
und schließen sich einer Gang an, um mit anderen reden zu können,
um das Gefühl zu haben, dass sie dazugehören und erwünscht sind.
Der Eintrittspreis besteht manchmal darin, einen anderen zu töten;
oft jemanden vom Block weiter unten in der Straße. Diese Kinder
sind einander Familie; sie brauchen eine Familie und jemanden, der
sich um sie kümmert. Und sie fabrizieren sich Feinde; auf der
anderen Seite des Gleises, aus einer anderen Nachbarschaft. Es
spielt keine Rolle, solange sie ein Ziel haben, jemanden, den sie
beschuldigen und dem sie ihre Probleme zuschieben können. Und sie
finden diese Leute. Es ist ein gemeinsamer Feind, der in der
Gruppe für Zusammenhalt sorgt. Dieser Feind beschert der Gruppe
oder Gang mehr Nähe und Bindung untereinander. Was haben sie
gemeinsam? Den Feind. Nimm den Feind weg, und es gibt weniger
Zusammenhalt. In diesen Situationen bist du nicht sicher, wenn du
anders bist.
Ich
habe einige Artikel über das französische Massaker gesehen, und
einige behaupten, sie seien nicht psychotisch. Ich bin mir nicht
sicher, was psychotisch ist, wenn man hingeht und hundert Kinder
tötet, die überhaupt nichts getan haben. Es sind Psychologen, die
hier schreiben. Der Anspruch der Terroristen ist, dass sie sich
als Opfer von Ungerechtigkeit auffassen. Das mag stimmen, aber man
schlachtet niemanden ab, der mit dieser Ungerechtigkeit nichts zu
tun hat. OK, also denken sie, dass es Wahnvorstellungen geben
muss, damit eine Psychose existiert. Ist nicht das, was diese
Mörder glaubten, purer Wahn? Dass ihr Gott beleidigt worden sei
und dass er die letzte Instanz der Wahrheit sei? Dass man töten
muss, wenn andere diesen Wahnvorstellungen nicht zustimmen? Dass
es alles im Namen eines Gottes oder einer Gottheit geschieht. Und
dass die Gottheit dieses Gemetzel gutheißt und sogar darauf
besteht. Somit bittet „Gott“ sie nicht zu lieben und andere zu
achten; er will, dass sie umgebracht werden. Sie zelebrieren nicht
das Leben, sie zelebrieren den Tod und bitten oft darum, getötet
zu werden. Sie geben freudig ihr Leben auf, um als „Märtyrer“
bekannt zu werden. Für dieses Wort wollen sie sterben. Stellen Sie
sich vor, das wertvollste Geschenk, das wir alle haben, ist das
Leben. Es für ein Wort wegzuwerfen ist in der Tat psychotisch.
Wer
wird also getötet? Leute, die vom Zeitgeist abweichen. Und wer
macht den Zeitgeist? Wir alle. Aber zuerst diejenigen, die davon
profitieren. Kapitalisten, die Geld machen können, wenn wir uns
fügen. Oder die Leute an der Macht, die gewillt sind, uns zu
töten, um an der Macht zu bleiben.
Die
regierenden Mächte wollen nicht, dass wir denken; sie wollen, dass
wir glauben und dass wir uns in endlosen Studien der offiziellen
Schriften engagieren, damit wir sie uns einprägen und damit wir
leichter zu führen sind. Es sieht aus wie denken, aber in
Wirklichkeit verdrängt es das Denken. Die Bandbreite der
Ideenbildung hat ein großes intellektuelles Netz über uns
geworfen, sodass die Mächtigen einfach an der Ideenbildung drehen
und schrauben können und wir einfach folgen. Wir folgen so lange,
bis sie uns einwickelt und wir ohne weitere Reflexion ihrem Geheiß
nachkommen. Die Kontrolle ist jetzt innerlich; wir folgen einfach
ihrem Diktat. Das ist die Eintrittskarte; Gedanken einzuprägen,
bis sie Teil von uns werden, und dann befolgen wir sie ohne zu
fragen. Das ist ein echtes Prinzip in der Werbung: „Kauf diesen
Truck, und du wirst stark sein.“ Das wird nicht gesagt sondern
unterstellt. Wir füllen die leeren Stellen mit unseren versagten
Bedürfnissen aus.
Lassen
Sie mich erklären. Wenn wir ganz früh verletzt werden – und dass
bedeutet in utero, als Säuglinge und am wichtigsten in der frühen
Kindheit – haben wir ein Abwehrsystem, das sich beeilt, den
Schmerz einzudämmen. Für jedes größere Trauma scheint es eine
gleich große und entgegen wirkende Abwehrkraft zu geben, die den
Schmerz eingrenzt. Ich nenne dieses Abwehrsystem das
Schleusensystem. Wer mit meinen Büchern vertraut ist, versteht,
dass Abwehrmechanismen durch biochemische Mittel unterstützt
werden, indem vom Gehirn Neurotransmitter in den Spalt zwischen
Zellen abgesondert werden, sodass die Schmerzbotschaft nicht zu
höheren Zentren wandern kann; somit können wir unbewusst bleiben.
Um unser Mentalsystem weiter funktionieren zu lassen, schaffen wir
Menschen es in der Regel, unsere schmerzvollsten Gefühle durch ein
neurologisches System zu unterdrücken, das dafür errichtet worden
ist. Bereits in den ersten Lebenswochen im Mutterleib können
lebensbedrohende Ereignisse stattfinden. Die Mutter ist deprimiert
oder verängstigt, nimmt Drogen oder trinkt Alkohol und achtet
nicht auf ihre Ernährung. Im weiteren Verlauf kann es aufgrund
ihrer eigenen erlittenen elterlichen Vernachlässigung und
Gleichgültigkeit für den heranwachsendes Fetus zu einer
Schmerzanhäufung kommen. Ihre Schleusen funktionieren nicht gut,
und sie nimmt weiterhin Drogen, um ihren Schmerz zu unterdrücken.
Die chemischen Substanzen, die mit diesen Zuständen einhergehen,
ergießen sich in die Plazenta und beeinflussen den Fetus.
Manchmal
versetzt das Leben so harte Schläge, dass die Schleusen bersten
oder in ihrer Wirkung nachlassen; das Ergebnis ist, dass sich in
der Synapse nicht genug repressive Chemikalien wie Serotonin
befinden, um die Verdrängung am Laufen zu halten, und wir haben
eine schwangere Mutter in Aufruhr. Tief in diesem Aufruhr liegt
Wut, die von verschiedenen Zielen aufgesaugt wird, selten den
Eltern gilt. Aber es können Sozialisten sein, Unitarier,
Vegetarier und so weiter. Oder die Vereinigungen, gegen die wir
demonstrieren. Oder die Wall Street als ein weiteres Ziel; wählen
Sie ihr Gift, aber das wirkliche Gift ist der tiefliegende
Schmerz, der so viele von uns antreibt. Das verneint nicht die
Wirklichkeit des Ziels, aber es hilft, die gewalttätigen
Reaktionen zu erklären.
Natürlich
wächst nicht jedes ungeliebte Kind zu einem Mörder heran. Einige
verlieren die Liebe, verzweifeln und finden dann Gott. Sie sind
gerettet worden, gerettet von der Gottesidee, es sei denn, wir
denken wirklich, ER kommt heraus und herunter von wo auch immer ER
sich befindet und reicht uns die Hand. Aber nach Gott zu greifen
repräsentiert die Hoffnung, geliebt zu werden, allerdings diesmal
nur in der Fantasie. Andere fangen vielleicht an, den Schmerz zu
fühlen, und greifen nach der Flasche. Wieder andere greifen
vielleicht nach dem Hals der scheidenden Geliebten und würgen sie.
Aber was sie alle gemein haben, was das Ausagieren obligatorisch
macht, ist das Wiederaufwachen früher Deprivation durch eine
gegenwärtige Situation. Amouröse Zurückweisung ist der Auslöser;
elterliche Zurückweisung verleiht ihr Kraft.
Denken
Sie darüber nach. Der Terrorist fühlt, dass er geliebt wird,
sobald er seine schreckliche Tat begeht; Leben umgekehrt. Er macht
das alles im Namen Gottes, und da viele von uns unterschiedliche
Götter haben, sind die Umsetzungsmöglichkeiten enorm.
Wenn
wir der Evolution folgen, wie ich es bei meinen Patienten sehe, so
gibt es tiefe Gefühle, die sich ihren Weg nach oben in die
Gedanken-/Glauben-Zone (Neokortex) des Gehirns erzwingen, und der
Galube wird so hartnäckig wie das Gefühl selbst. Wir dürfen uns
nicht allein mit den Glaubensüberzeugungen befassen, sondern
müssen uns auch mit der zu Grunde liegenden/dahintersteckenden
Kraft beschäftigen. Und tatsächlich scheinen sich die
Glaubensvorstellungen – vor allem der Glaube an den Teufel - in
Luft aufzulösen, wenn wir Patienten dazu bringen, sehr tiefe
Gefühle wiederzuerleben. Bei ISIS oder Al-Qaeda ist die
antreibende Kraft hinter den Gedanken übermäßig groß; wir dürfen
sie nicht unterschätzen. Diese Gedanken bringen niemand dazu, dass
er/sie tötet; es ist die Wut, die sie antreibt.
Eines
kann ich überhaupt nicht verstehen, nämlich dass die übrig
gebliebenen Journalisten nach dem Massaker eine weitere Ausgabe
des Magazins herausbrachten und auf der Titelseite sagten, dass
alles vergeben sei. Ich raff das nicht. Sind die religiösen
Prinzipien so stark, dass sie sich über rationales Fühlen
hinwegsetzen? Was mich stört, ist die Erhabenheit von all dem:
„Wenn ich vergebe, stehe ich über dem Ganzen. Ich habe die Macht,
diesen geringeren Geschöpfen zu vergeben.“ „Ich bin der große
Vergeber.“
Terroristen
begehen ihre Taten immer für Liebe. Mohammed liebt mich und will,
dass ich mich für die Sache in die Luft sprenge. Immer noch
dominiert das Bedürfnis nach Liebe. Das Rezept ist, wenn ich töte,
werde ich geliebt. Immer noch dasselbe Bedürfnis, nur dass es eine
tödliche Wende nimmt.
Wenn
Hunderte alle dasselbe glauben, besteht Gefahr. Es wird
unangreifbar. Der Ansteckungsfaktor verleiht der Sache mehr Macht.
Was ist die Antwort? Liebe.
♦♦♦
Vergessen
Sie nicht, dass alle Glaubenssysteme im Gehirn auf genau dieselbe
Weise funktionieren. Es tut absolut nichts zur Sache, was der
Glaube ist; wenn es aufgrund frühen Fehlens von Liebe eingeprägten
Schmerz gibt, dann werden Glaubensvorstellungen oft als Abwehr
benutzt. Großer Schmerz, der tief im Gehirn aufgezeichnet worden
ist, begibt sich auf den Weg zum rechten orbitofrontalen Kortex –
die rechte vordere Spitze, die Gefühle erkennt, unsere emotionale
Geschichte in ihrem Griff hält und die dann, wenn sonst alles
normal ist, das Gefühl über die als Corpus callosum bekannte
Brücke zum linken präfrontalen Areal transportiert, wo wir uns in
der Regel des Gefühls bewusst werden. Im Idealfall herrscht
Harmonie und wir können uns entspannen. Aber wenn es enormen
eingeprägten Schmerz gibt aufgrund früher emotionaler Deprivation,
fehlenden Körperkontakts, wenn die Eltern uns kaum je zugehört
haben, die Stimmungen des Babys kaum beachtet haben und an und mit
ihm keine Freude hatten, dann werden die Voraussetzungen
geschaffen für spätere Glaubensüberzeugungen. Gefühle bewegen sich
nicht mehr leicht von rechts nach links. Der Zugang des Gefühls im
rechten Frontalhirn zur linken Seite und somit zu Bewusstheit und
Verstehen ist erschwert (das Corpus callosum enthält verdrängende
oder hemmende Neurotransmitter, die schleunigst in Aktion treten,
wenn die Botschaft der rechten Seite „Schmerz“ lautet);
stattdessen wird die linke Seite auf globale und diffuse Weise
beeinflusst und das linke präfrontale Areal veranlasst,
Glaubensüberzeugungen zu fabrizieren, um den Schmerz/das Gefühl
zurückzuhalten. Jetzt mischt sich eine Kultur ein, die einen Satz
Glaubensvorstellungen bereit stellt, um Gefühle zu unterdrücken.
Sie werden ohne einen kritischen Gedanken adoptiert. In der Tat
geschieht das gewöhnlich lange bevor das Gehirn weit genug
entwickelt ist, um einen analytischen Gedanken zu erzeugen, lange
bevor der vollendete zerebrale Kortex der obersten Ebene Begriffe
bilden kann.
Was
mit dem Fanatiker geschieht, ist, dass diese Gefühle/diese
Schmerzen im Gehirn aufsteigen und kortikales Bewusstsein
überfluten. Es gibt tiefer im Gehirn keinen Anker, der ihm sagen
würde, was angemessen ist, was moralisch und ethisch korrekt ist.
Sie erfüllen „Gottes Gebot“, und somit muss es richtig sein. Und
wenn die Älteren sagen, es sei moralisches Verhalten, andere und
sich selbst in die Luft zu sprengen, dann hören sie zu. Ich habe
angemerkt, dass John Lennon sagte, Gott sei eine Vorstellung, mit
der wir unseren Schmerz messen. Und tatsächlich, je größer die
Deprivation umso stärker das Bedürfnis nach Ideenbildung und
Glauben. Wir alle brauchen so verzweifelt Hoffnung, dass wir
bereit sind, die Liebe eines imaginären Wesens zu fühlen, das uns
nur Symbole anbietet. Und wir sind bereit, jetzt darauf zu
verzichten, um sie im nächsten Leben zu bekommen. Sie im nächsten
Leben zu bekommen bedeutet, dass wir nicht sterben. Wir werden nur
umgewandelt. Wenn Ihnen von ganz klein auf beigebracht wird, das
zu glauben, wird es unabwendbar. Es wird Teil der
Neurophysiologie. Es ist Ihr „Selbst.“ Und dieses „Sie selbst“
wird lange vor Ihrem Tod zusammen mit Ihren Gefühlen vergraben.
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Ende des Kapitels
Artikel
und Buchauzüge
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