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Dr. Arthur Janov:   Beyond Belief: Cults, Healers, Mystics and Gurus - Why We Believe

LLC Reputation Books, ISBN-10: 0986203173, 03. Mai 2016

 KAPITEL 22

Glaube bis in den Tod

Ich biete dir meine Weisheit an. Ich biete dir meine versiegelten Geheimnisse an. Wie kannst du es wagen, meine gnadenvolle Einladung zurückzuweisen........das Gesetz ist mein, die Wahrheit ist mein. Ich bin dein Gott, und du wirst dich beugen unter meinen Füßen. Ich bin dein Leben und dein Tod........willst du, dass ich die Himmel zurückziehe und dir meinen Zorn zeige?!........Fürchte mich; denn ich habe dich in meiner Schlinge........deine Sünden sind mehr als du ertragen kannst. Du hast die Chance, von mir das Heil zu erfahren.

   --Yahweh Koresh

 

Wir werden zusammen existieren oder wir werden zusammen sterben. Diese Bedingungen dürfen nie geopfert werden; diese Bedingungen dürfen nie geändert werden.

 -- Jim Jones

 

Die Branch Davidianer hatten mehr als sieben Wochen, um ihr eigenes Leben und das ihrer Kinder zu retten. Zum Entsetzen aller zogen sie es vor, loyal zu ihren Bindungen zu stehen, zu ihrem Prediger und ihrem Schicksal und zueinander........die Davidianer lebten nicht im Rahmen der Vernunft; sie lebten im Glauben.

-- Larry McMurtry

♦♦♦

David Koresh führt seine Anhänger nach Armageddon. Der ehemalige Schulabbrecher in der neunten Jahrgangsstufe ist jetzt an der Spitze seiner Klasse, kein Versager mehr sondern der Retter. Nun ist er kein Ausgestoßener mehr, sondern der Messias von Waco, das Ein und Alles der Gruppe; die Gruppe gehört ihm. Er sucht gezielt nach der endgültigen Konfrontation, so dass er mit Glanz und Gloria davongehen kann. Er wird ein Märtyrer sein, denn das ist sein Verlangen, auch wenn es die endgültige Zerstörung der anderen in der Apokalypse Ranch bedeutet.

Draußen gingen die Abgesandten der Regierung von der logischen Annahme aus, dass trotz der "Gehirnwäsche" der Branch Davidianer deren Überlebensinstinkte sich über ihr Glaubenssystem hinwegsetzen würde. Gewiss würde der Instinkt der Mütter, ihre Kinder zu retten, überwiegen. Ein "nicht-letaler" Angriff auf das Gelände würde sie zur Kapitulation zwingen. Wenn sie eine Chance hätten, mit ihrem Leben davonzukommen und ihre Kinder zu retten, würden sie es tun.

Panzer fahren auf das Gelände, um die Mauern ihrer Festung zu durchlöchern, und füllen den Ort mit Tränengas, aber die Branch Davidianer weigern sich aufzugeben. Als die Außenwelt näherrückt, lesen sie ihre Bibeln durch ihre Gasmasken. Sie bleiben bei ihrem Gott und bei ihrem Glaubenssystem bis in den Tod. Der Tod bedeutet nichts, weil sie glauben, er werde zurückkehren, um die Teuflischen zu töten, und sich dann im Himmel mit seiner Gemeinde wiedervereinen.

Nachdem alles vorüber ist, drückt ein FBI-Agent seinen Zorn über Koresh aus, der, wie er sagt, "mit völliger und blinder Bösartigkeit.......alle diese Leute ermordet hat," was nicht genau stimmt. Die FBI-Elitetruppe "Geisel-Rettungs-Team" hatte die Branch Davidianer umzingelt, aber waren sie wirklich "Geiseln"? "Des einen Kontrolle ist des anderen Gehorsam," schrieb Leon Wieseltier in einer Analyse von Waco in der New Republic. (37)

Die Anhänger von Koresh mussten sich fügen. Sie hatten ein "verzweifeltes Bedürfnis, geführt zu werden." Koresh war vielleicht ihr idealisierter Führer, allwissend, allmächtig, ihr neuer Vater, Gott, ihr Heil, ihr Leben und ihr Tod, aber wenn sie in der Tat als Geisel genommen wurden, dann von einer noch zwingenderen Autorität als dem Feuer-und-Schwefel-Evangelisten Koresh.

Eine Frau, die aus dem brennenden Gebäude rannte, überlegte es sich anders. Sie konnte es nicht ertragen, ihre "Familie" und ihr Glaubenssystem zu verlieren. Es war wie eine Sucht. Der Tod, so schien es, war eine gangbarere Alternative als das katastrophale Gefühl, allein, entfremdet und ihres Glaubens und ihrer Kontakte beraubt zu sein. Wir müssen diese Menschen immer als Säuglinge oder Kleinkinder betrachten, und dann macht ihr Verhalten einen Sinn. Eine Dreijährige hängt an ihrer Mutter, komme, was da wolle. Gefühle werden nicht erwachsen, und so ist eine dreißigjährige Frau emotional ein Kind. Die Logik und der Schrecken sind die eines Babys.

Ein Agent ergriff die Frau, die das Gelände gerade verlassen wollte; entsetzt über die Aussicht, ihre Abwehr zu verlieren, wurde sie plötzlich aggressiv. Besser tot als hoffnungslos. Sie versuchte, von ihm loszukommen und zu den Flammen und der Hoffnung zurückzukehren, "entschlossen, ihren Weg in den Himmel durch die Hölle zu finden," wie das Time Magazin es ausdrückte. (38) Ein anderer Branch Davidianer, der das Gelände einige Wochen früher verlassen hatte, lobte die Entschlossenheit seiner Gefährten, lieber zusammen zu sterben als aufzugeben. Sie war "ein Anzeichen für die Stärke ihres Glaubens," sagte er und fügte hinzu, er wünschte, er wäre geblieben, um mit seinen Freunden und seiner Familie zu sterben.

Wofür ist "die Stärke ihres Glaubens" ein Anzeichen? Die Branch Davidianer glaubten an David Koresh, weil sie es mussten, nicht weil es wollten. Sie glaubten an ihr Bedürfnis, und sie mussten glauben - mussten glauben, weil dieser Glaube nie von ihrem Schmerz sprach. Die zwingende Logik dieses Bedürfnisses bedeutet, dass das Glaubenssystem keine eigene Logik braucht. Man kann im Gegeifer von Koresh die vulkanische Explosivität seiner eigenen unbefriedigten Bedürfnisse sehen. Wie andere bedürftige und charismatische Führer fand er einen Weg, um sich die unbewusste Geschichte seiner Anhänger nutzbar zu machen und diese Geschichte auszulöschen, wodurch er sie zu ahistorischen Individuen machte, so dass sie sich ganz auf die Gegenwart und auf ihn fokusieren würden. Er war das Symbol für das Gesamtpaket aller iher Deprivationen und Hoffnungen; das Symbol für die Vermeidung von Hoffnungslosigkeit. Es ist das Gefühl, für dessen Vermeidung die Leute sterben wollen. Ein inneres Gefühl, dass wir sterben werden, wenn wir es nicht vermeiden.

Indem er sein eigenes Bedürfnis erfüllte, manipulierte Koresh die physischen Grundbedürfnisse der Leute, servierte ihnen Hühnchen an manchen Abenden und nur Popcorn an anderen, verbannte eines Tages Zucker, hob den Bann dann bald danach auf, verkündete, dass nur er die Schrift interpretieren könne, machte seine Anhänger von ihm abhängig und weckte in ihnen den verzweifelten Wunsch, ihm zu gefallen (dem omnipotenten Vater). Das ist der extremste Narzissmus. Bei den verlorenen und depravierten Seelen von Waco war ihr gesamtes Bedürfnis  auf "Yaweh Koresh" ausgerichtet. Er wurde ihre ganze Welt und ihr einziger Bezugsrahmen. Deshalb konnten sie glauben, dass er Christus sei, dass "die Assyrianer" kommen und dass sie Armageddon bringen würden. Wenn er Christus war, konnte er die Zukunft voraussehen, das Ende der Belagerung konnte das Ende der Welt bedeuten, und die Möglichkeit, zur Hölle zu fahren (wenn sie Christus nicht gehorchten oder ihn verließen), war für sie real. Ebenso die Möglichkeit der Wiedervereinigung in einem utopischen Jenseits. Ihr Glaubensbedürfnis gab ihnen, was einige "blindes Vertrauen" nannten und was eine andere Glaubende als ihr "Talent zur Hingabe" beschrieb.

Solche in ihrem Glaubensbedürfnis hingebungsvolle Verehrer sind innerlich verängstigt und wütend, und ihr Glaubenssystem erzeugt äußere Feinde, wie die Sonne Schatten produziert. "Der Feind ist nicht drinnen, er ist dort draußen." Und für die Branch Davidianer bewahrheitete das FBI diese Idee, indem es mit Maschinengewehren an ihre Tür klopfte. Der Feind rechtfertigt den Schrecken und den Zorn, besonders wenn man nicht weiß, woher die Angst kommt. Das FBI, das das Gelände belagerte, lieferte für den Schrecken einen Brennpunkt, und Koresh sagte seinen Anhängern, wenn sie diesen Feind zerstören könnten, dann würden sie frei sein. Es ist beruhigend, reale Lebensdämonen bekämpfen zu müssen; man muss sich nicht darum kümmern, was im Inneren liegt. Und das FBI verlieh der Armageddon-Prophezeiung Wahrheit, indem es die Mauern der Glaubensfestung einriss - und die unsichtbaren Gedankengrenzen ihres Glaubenssystems bedrohte.

Die kognitiven Glaubensgrenzen sind so gut gezogen, dass die Anhänger nicht nur eine neurotische Gedankenwelt übernehmen, sondern auch ihre Autonomie einbüßen und entsetzliches Leid akzeptieren: sie geben ihre Frauen und Kinder ihrem Führer hin, akzeptieren, gut ernährt zu werden oder Hunger zu leiden je nach Laune ihres Führers,  werden in "Kampf-Sitzungen" nach Rotgardisten-Art erniedrigt, tragen ihren Abfall in Kübeln hinaus, weil auf dem Gelände Toiletten oder fließendes Wasser fehlen, während es gleichzeitig ein ganzes Waffenarsenal und eine Million Munitionsladungen beherbergt. Gebunden von einer Kraft, die sie nie sehen, nie fühlen, nie verstehen, werden sie zu ihrem Führer loyal bleiben und sein Glaubenssystem verteidigen, egal, welche Widersprüche und Konsequenzen es geben mag. Frauen werden sich danach sehnen, mit diesem Mann zusammen zu sein; welche Gläubige würde die Gelegenheit abweisen, mit Gott zu schlafen und seine Kinder auszutragen, die Geliebte und auch die Mutter von Jesus Christus zu sein? Einige derer, die den Waco-Kult verlassen haben, können ihr früheres Verhalten immer noch nicht verstehen. Eine der Ex-Frauen von Koresh zum Beispiel folgte den Anweisungen von Koresh und schlug ihr zehn Monate altes Baby fünfzehn Minuten lang mit einem Gürtel. Mit diesem Verhalten rannte sie gegen jedes moralische Prinzip, das sie hatte, und tat es dennoch; ihr Wille war verschwunden, und das verwandelte sie in einen weiteren "Roboter für Gott." Ihr Bedürfnis nach Koresh's Anerkennung war größer als ihr Mutterinstikt. Das Bedürfnis nach Anerkennung und die Angst, Missbilligung zu erleiden und unerwünscht zu sein, waren seit ihrer Kindheit in ihr geblieben. Auch im Alter von dreißig oder vierzig waren sie noch immer da, lenkten ihr Verhalten, als ob sie noch immer sechs sei, weil sie emotional tatsächlich sechs Jahre alt war.

In extremen Fällen wie Waco und Jonestown werden diese Glaubensgefangenen ihre Führer und Ideen bis in den Tod verteidigen, weil dieser Führer und diese Ideen sie verteidigen. Schlimmer noch: Sie werden ihre eigenen Kinder töten, wie in Jonestown, oder zulassen, dass sie sterben, wie in Waco. Ihre Gefühle und Instinkte sind abgetötet, und sie sind eher motiviert, die Bibel zu lesen, als ihr eigenes  Leben oder das Leben ihrer Familienmitglieder zu verteidigen. Sie werden bereitwillig Zyanid schlucken oder zu Asche verbrennen, um nicht vom Armageddon ihres eingeprägten und verdrängten Schmerzes aufgezehrt zu werden.

Glaube bis in den Tod: Waco und Jonestown zeigen das tödliche Ende der festverdrahteten Bedürfnisse der Menschen, die, wenn sie unerfüllt bleiben, in Glaubenssysteme umgeleitet werden und dann zum Glaubensbedürfnis werden. Wir finden es unbegreiflich, dass jemand Leuten wie David Koresh verfällt. Wir schütteln ungläubig den Kopf über die Unvernunft ihres Glaubenssystems und sind sprachlos angesichts des Schreckgespensts ihrer suizidalen Entscheidung über das Leben.

Weder das Glaubenssystem der Branch Davidianer noch die Bedürfnisse, die es heraufbeschworen haben, sind besonders ungewöhnlich. Es gibt keinen Mangel an selbsternannten Heilands unter uns, und es mangelt ihnen auch nicht an Gläubigen, durch die sie ihre Bedürfnisse befriedigen können. Glaube ist das psychische Korrelat der Verdrängung; die Ausdünstung der unterdrückten Wahrheit. Glaube ist der Lavastrom, die Oberflächen-Erscheinung der missachteten unterirdischen seismischen Aktivität des Herzens. Du kannst den Strom umleiten, aber du wirst die Vulkan-Aktivität nicht ändern.

Zweiundsechzig Prozent der Befragten einer Gallup-Umfrage bekundeten "keinen Zweifel," dass Jesus Christus auf die Erde zurückkehren werde. (39) Millionen von Amerikanern sind leidenschaftliche Siebenten-Tags-Adventisten, Zeugen Jehovas, Mormonen, Mitglieder der Versammlung der Gotteskirche. Mehrere Zehnmillionen andere besuchen jeden Sonntag die Kirche, schauen die TV-Evangelisten auf Christian Broadcasting Network und auf Trinity Broadcasting Network, nehmen an 12-Schritte-Programmen teil, reden jede Woche mit ihren Psychotherapeuten, visualisieren mit Lazaris, haben außerkörperliche Erlebnisse, träumen, dass Außerirdische gekommen seien, um sie zu kidnappen und an ihnen herumzuoperieren, konsultieren spirituelle Ratgeber und spirituelle Heiler und ihre Horoskope. Gemäß einer anderen Erhebung glauben 94 Prozent der Amerikaner an Gott, 90 Prozent beten zu Ihm, und 88 Prozent glauben, dass Er sie liebe. (40)  Eine Time-Magazin-Umfrage ergab, dass 69 Prozent der Amerikaner an Engel glauben. (41)  Die meisten von uns sind Gläubige.

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(37) Wieseltier, Leon,  "The True Fire: In Defense of Spiritual Strangeness,"  The New Republic, 17. Mai 1993

38) Riley, Michael, Richard Woodbury, Julie Johnson undElaine Shannon,  "Tragedy in Waco," Time, 3. Mai 1993

(39) Boyer, Paul, "A Brief History Of The End Of Time: The American Roots of the Branch Davidians." The New Republic, 17. Mai 1993, 30-33.

(40) Gallup, Geotge and D. Michael Lindsay, Surveying the Religious Landscape: Trends in U.S. Beliefs, Harrisburg, PA: Morehouse Pub, 1999.

(41) Van Biema, David, "Guardian Angels Are Here, Say Most Americans," Time, 18. September, 2008.

 

  Ende des Kapitels

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