Individuen,
deren Qualen keinen ersichtlichen Grund haben, deren nahezu grenzenlose
Verzweiflung sie antreibt, nach Magie zu suchen, brauchen dringend Überbringer
guter Nachrichten. Es treten auf die Dr. Feelgoods, die Hoffnung gegen
Hoffnungslosigkeit, Hilfe gegen Hilflosigkeit versprechen und deren
Beschwörungen beruhigen, besänftigen und erleichtern.
Wir brauchen anscheinend Gurus und Zauberer, die unsere Wunden heilen,
Begleitung anbieten, um Einsamkeit abzuwehren, und die denen die Richtung
weisen, die vom Weg abgekommen sind. Wir suchen Führer, deren Verlockung
des Geheimnisvollen die Hoffnung auf Neues mit sich bringt, die uns auf
wundersame Weise transformieren und befreien und unser Leben ohne
Anstrengung oder Schmerz radikal verändern. Sofortige Umwandlung ist das
Stichwort des Suchenden – die Aneignung von Glaubensvorstellungen,
Gesinnungen und Philosophien, die Neurosen auflösen, die Geheimnisse des
Universums entschlüsseln, uns einem höheren Bewusstsein zuführen, uns
bei der Entdeckung des Nirwanas helfen und uns aus dem Schmerz
herausholen, auch wenn dieser Schmerz uneingestanden bleibt, und die uns
vor allem „Seelenfrieden“ anbieten. Obwohl nur wenige wissen, was das
ist, suchen die meisten Leute danach. Wenn sie nur wüssten, dass dieser
Seelenfriede ein paar Millimeter tiefer im Gehirn liegt.
Tragische
Ereignisse wie die Konfrontation in Waco, Texas, im Jahr 1993, die
Massenselbstmorde in Jonestown, Guyana, in 1979 und Heaven’s Gate,
Rancho Santa Fe in 1997 lenken unsere Aufmerksamkeit auf die potentiell
verhängnisvollen Konsequenzen des Glaubens. Die Anhänger von Jim Jones
tranken auf dessen Geheiß alle zusammen Gift in großen Mengen und im
Glauben, sie würden sich später in einem jenseitigen Utopia
wiederbegegnen. Desgleichen wurden die Branch Davidianer oder Schüler von
David Koresh auf der „Apocalypse Ranch“ bei lebendigem Leib geröstet, weil
sie (den Predigten ihres Messias folgend) glaubten, die Bibel habe ihr
feuriges Ende prophezeit und sie würden sich im Himmel wiedersehen. Marshall
Herff Applewhite ernannte sich selbst zum außerirdischen Hirten, der dazu
bestimmt war, die Auserwählten an Bord eines Raumschiffes in die Ewigkeit zu
führen, indem sie Selbstmord begingen. Achtzehn männliche Mitglieder des
Kults, die starben, waren chirurgisch kastriert worden, einschließlich
Applewhite. Und nicht zuletzt die arabischen Selbstmord-Attentäter, die sich bereitwillig für eine Idee in die Luft
sprengen. Man berichtet, dass die Rekrutierungsstellen für diese
Suizidbomber eine lange Warteliste haben. Die obigen Beispiele folgen alle
ziemlich eingeschränkten Verhaltensmustern mit anwidernd ähnlichen
Ergebnissen. Eine dieser Gruppen zu verstehen hilft uns, alle anderen zu
verstehen, und genau so trägt das Verständnis eines einzigen Gehirns
dazu bei, alle anderen Gehirne zu verstehen.
Es ist viel geschrieben worden über die Psychologie und Macht
charismatischer Führer (Jones, Koresh, Hitler, Pol Pot, Khomeini, Bin
Laden Muqtada al-Sadr), die ausgerüstet mit hypnotisierenden Ideologien
kleine Menschengruppen oder ganze Nationen in ihren Bann gezogen haben.
Wir müssen mehr über diese verlorenen gehorsamen Seelen wissen, die
Glaubenssysteme so heiß und innig umarmen, dass dieser Glaube sich über
ihren menschlichen Überlebensinstinkt hinwegsetzt. Sterben diese Leute für
eine Idee? Oder ist die Idee eine Rationalisierung für einen Todeswunsch?
Worum geht es bei einer Idee, bei einer gedanklichen Vorstellung, die
einem Menschen ermöglicht, sein Leben aufzugeben? Sind Ideen so mächtig,
dass sie sich über Überlebensinstinkte hinwegsetzen? Wo im Gehirn sind
Gedanken angesiedelt und wie kommen sie da hin? Wie werden unbewusste Gefühle
in Glaubensvorstellungen umgewandelt? Welche Gefühle führen zu welchen
Glaubensvorstellungen? Ich habe vor, diese Fragen zu beantworten, nicht so
sehr im Sinne einer Analyse und Sezierung verschiedener Glaubenssysteme
sondern um zu sehen, wie Gedanken an sich in der Ökonomie der Psyche
funktionieren – wie der Glaube zu einer Abwehr wird, der unbewusst
eingeprägten Schmerz wortwörtlich blockiert. Ich beabsichtige nicht,
eine Analyse der verschiedenen Länder des Mittleren Ostens und ihrer
unterschiedlichen Religionssekten durchzuführen. Das ist Gegenstand für
Sozialpsychologen und Polithistoriker. Es gibt in diesen Sekten eine
Vielzahl an Faktoren, nicht zuletzt kultureller, erzieherischer und
mystischer Art.
Meine Aufgabe besteht darin herauszufinden, wie
Gedanken entstehen, wie sie Gefühle unterdrücken und wie sie die Kraft von
Bedürfnissen und Gefühlen absorbieren. Wer sind die großen Gläubigen unter
uns und wie sind sie so geworden? Woher bekommen Ideen ihre fanatische
Kraft, die jemanden dazu bringt, dass er andere oder sich selbst tötet? Wo
sitzt die Kraft oder Hartnäckigkeit dieser Gedanken und wie sind sie so
stark geworden? Ich werde versuchen, alle diese Fragen zu beantworten.
Wenn wir verstehen, wie ein einzelnes Glaubenssystem beginnt, können
wir uns gut vorstellen, dass es jedes beliebige Glaubenssystem mit
einbezieht, weil ihre
Funktion trotz der weitgehend unterschiedlichen Inhalte oft identisch ist.
Wir werden lernen, wie Instinkte und Bedürfnisse
in Gefühle umgewandelt werden, die dann zu Gedanken umgesetzt werden, und
dass diese umgesetzten Gedanken die Kraft von Grundbedürfnissen und
Grundgefühlen hinter sich haben, weil sie auf ihrem Weg zur intellektuellen, Ideen, Worte und
Begriffe bildenden Psyche die Geschichte aufsammeln. Sie bleiben
unnachgiebig und unveränderlich, weil sie nicht bloß Gedanken sind
sondern Grundvoraussetzung des Überlebens – verankert in tiefen
Gehirnstrukturen, die sich nicht leicht für Veränderung anbieten; das
sollten sie auch nicht, weil sie mit Überlebensfunktionen zu tun haben.
Hartnäckige
defensive Gedanken, so stellt sich heraus, sind die Ausdünstungen tiefer
Gefühle, die in unsere Systeme eingeprägt sind. Unter diesen Gefühlen
liegt rohe Energie, die den Gedanken Valenz oder Kraft verleiht und sie
tödlich machen kann. Wenn ich in diesem Werk über Kulte und
Glaubenssysteme schreibe, geht es immer um Gedanken als Abwehrmechanismen.
Es ist nicht meine Absicht, viele unterschiedliche Vorstellungen und
Glaubensüberzeugungen zu analysieren sondern vielmehr zu untersuchen, wie
sich diese Vorstellungen im Gehirn festsetzen.
Das Gehirn kümmert sich nicht um den Inhalt
eines Glaubenssystems, vorausgesetzt, dass es existiert. Es kann Zen, Allah, Gott sein oder die
Republikanische Partei – die Kraft, die uns am Haken hält, ist da. Das
Gehirn beurteilt sich weder selbst noch zweifelt es im Nachhinein seinen
Inhalt an; es produziert einfach die Gedanken, die es braucht – Gott
wacht über mich und er wird mich beschützen. Bedeutet das, dass alle
Gedanken oberflächlich sind und einfach umgesetzte Gefühle mit geringer
Eigengültigkeit? Überhaupt nicht. Aber wenn wir nicht verstehen, dass
Gedanken aus einer Struktur heraus gebildet werden, aus einer tieferen
Ebene des Unterbewusstseins, werden wir nie lernen, wie man sie bekämpft
oder ändert. Nur im Reich der Gedanken zu verweilen, bedeutet, in der Domäne
der Philosophie festzusitzen.
Gedanken, die mit den Gefühlen eines Menschen übereinstimmen – die
Umwelt wird verschmutzt -, werde ich nicht diskutieren, weil wir dann die
Gültigkeit des Gedankens analysieren müssten: Nehmen die Treibhausgase
zu, als Beispiel? Tatsächlich behandelten wir vor kurzem eine Frau am
Primal Center, die von Verschmutzung besessen war; sie bekam Anfälle,
wenn jemand neben ihr rauchte, eine anscheinend logische Reaktion, aber
sie entsprang einem Gefühl, das ich allein nie zu interpretieren wagen würde
– es gab toxische Drogen, die man ihrer Mutter bei der Geburt
verabreichte, und die Mutter rauchte und trank auch während der
Schwangerschaft. Das Neugeborene spürte, dass seine Umwelt
„verschmutzt“ war. Das blieb unbewusst, bis sie ihre Geburt
wiedererlebte und all die Giftstoffe fühlte, von denen sie umgeben war.
Sie begriff sofort den Grund ihrer Überreaktion in der Gegenwart. Dieses
Verstehen machte aber ihre Überzeugungen nicht ungültig. Es sei noch
einmal gesagt, dass es nicht meine Absicht ist, Glaubensüberzeugungen für
gültig oder ungültig zu erklären; Ich möchte einfach zeigen, wie sie
uns helfen, in der Welt zurechtzukommen.
Ich habe darauf hingewiesen, dass das Gehirn sich nicht darum kümmert,
welche Ideen wir haben, vorausgesetzt, sie existieren überhaupt, und dass die Idee
Erleichterung bringt – Hoffnung gegen Hoffnungslosigkeit, Mut gegen
Furcht, Leben gegen Tod, jemanden da zu haben, der/die uns zuhört,
anstatt uns völlig allein zu fühlen in einem gleichgültigen Universum.
Wenn wir Hoffnungslosigkeit empfinden – wenn wir unseren besten Freund
verloren haben und das Leben so trostlos scheint – können wir uns an
den Gedanken wenden, dass es jemand oder etwas gibt, der, die oder das uns
aushilft. Der Gedanke kann uns sogar davor bewahren, dass wir uns selbst
umbringen. Wir können uns vorstellen, Hilfe und Liebe, die es zu Beginn
unseres Lebens nie gab, von einer Gottheit zu bekommen. Diese Vorstellung
wird für das Gehirn funktionieren. Neuronen (Gehirnzellen) unterscheiden
nicht zwischen einer guten Idee, einer realen und einer falschen. Bei
Schmerz machen sich Nervenzellen sofort an die Arbeit, um ihn zu lindern;
sie stellen schmerztötende Chemikalien her wie etwa Serotonin und ermöglichen,
dass die Kraft des Schmerzes in höhere Linkshirn-Areale umgeleitet wird,
die für Glaubensüberzeugungen verantwortlich sind. Es ist ein
automatischer Prozess, der von schmerzvollen Gefühlen kontrolliert wird
und diesen sklavisch untergeben ist.
♦♦♦
Ende
des Kapitels
Artikel
und Buchauzüge
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