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DIE JANOV-LÖSUNG

THE JANOV SOLUTION  -  Lifting Depression Through Primal Therapy erschien 2007 bei SterlingHouse Books, Pittsburgh, PA 15218

© Copyright 2007 Dr. Arthur Janov

 

 

Kapitel 11

 

Du stirbst, wie du geboren wurdest




Der Tod besteht nicht nur als Erinnerung im Nervensystem fort, sondern Selbstmörder wählen auch oft eine Methode, die den Prototyp ihrer Geburtserfahrungen widerspiegelt. So hängen sich Leute auf, die von der Nabelschnur stranguliert wurden, oder jemand, der oder die bei der Geburt betäubt wurde, entscheidet sich für eine Überdosis Tabletten. Warum? Wegen des Prototyps. Für ein Neugeborenes, das von der Nabelschnur stranguliert wurde,  hätte weitere Strangulierung die Agonie beendet. Wer bei der Geburt in amniotischer Flüssigkeit zu ertrinken drohte, wählt den Tod durch Ertrinken. Ein Fallbeispiel: Der Autor und Schauspieler Spalding Gray war ein Leben lang vom Ertrinken besessen. Er schwamm immer so weit er nur konnte aufs Meer hinaus, bis zum Punkt der Erschöpfung, und kämpfte und mühte sich dann, es zurück zu schaffen. Er brachte sich um, indem er mitten in der Nacht von der Staten-Island-Fähre sprang. Sein Selbstmord spiegelte seine Geburt wider, und er starb, wie er geboren wurde. Was tatsächlich bei jedem Fall großen Stresses ins Spiel kommt, ist der Resonanzfaktor, der sich auf seinen Weg die Schmerzkette hinab begibt, so dass sich das ursprüngliche Geburtstrauma in späteres Verhalten einbringt. Wir spulen wieder die Originalsequenz ab. Im Fall von Spalding Gray stelle ich die Hypothese auf, dass er bei der Geburt vielleicht zu ertrinken drohte und das Ende der Originalsequenz der Ertrinkungstod wäre. Gray hatte einige Zeit vor seinem Selbstmord eine gräßlichen Autounfall, und ich glaube, dass dieses hohe Schmerzniveau auch die ursprüngliche Agonie auslöste, die zu seinem Tod führte. Das soll den Schmerz in der Gegenwart nicht herunterspielen; manchmal ist er durchaus verheerend und kann ein suizidales Niveau erreichen. Aber es ist die Zugabe frühen Schmerzes, die einen Menschen oft zu einem Selbstmordversuch treiben kann.

 

Leute, die bei der Geburt eine massive Dosis Anästhesie abbekamen, nehmen vielleicht eine Überdosis Barbiturate oder vergasen sich in ihrer Garage. Und so fort. Das ist natürlich nicht immer der Fall, aber wir stoßen oft darauf, wenn wir mit unseren Patienten reden und sie beobachten. Ich erinnere mich an einen Patienten, der sich einen Dynamit-Vorrat zulegte; nachdem er bei der Geburt Anoxie erlebt hatte, wollte er sich eine Stange an seinen Kopf halten und ihn wegblasen, so dass er keine Sekunde lang Schmerz und Hoffnungslosigkeit fühlen müsste. Er lacht jetzt darüber, aber damals erzählte es Bände über seine Verzweiflung. Eine andere Patientin war davon besessen, von einem Gebäude zu springen. Während ihrer Kaiserschnitt-Geburt hatte diese Frau das Gefühl, in der Luft zu hängen und sich nirgends festhalten zu können. Ein anderer Patient, der bei der Geburt gestoßen und gequetscht wurde, hatte den Zwangsgedanken, sich mit dem Kopf voran von einer Brücke zu stürzen.

 

Der obige Fall zeigt wieder, dass sich Patienten auf dieselbe Weise umbringen wollen, wie sie bei der Geburt gestorben wären. Wenn Sie eine Vorstellung von Ihrer Geburt bekommen wollen, sehen Sie sich Ihr Sexleben an. Wenn Sie herausfinden wollen, wie das zukünftige Sexleben eines Kindes aussieht, schauen Sie auf seine Geburt. Wenn Sie also Ihr eigenes Sexmuster voraussagen wollen, sehen Sie sich Ihre Geburt genau an. Sie ist äußerst aufschlussreich. Wenn Sie etwas über den Ursprung Ihrer Depression erfahren wollen, überprüfen Sie Ihre Geburt. Wenn Sie Ihre Geburt überprüfen, finden Sie mögliche Hinweise, um spätere Depression vorauszusagen. Und wenn wir etwas über unsere Geburt und die Zeit davor erfahren wollen, müssen wir unsere Depression erforschen und uns in sie vertiefen. Was schließlich herauskommt, sind die Geheimnisse unseres Lebensanfangs.

 

Kürzlich führte ich eine formlose Umfrage durch, in der ich meine Patienten über ihre Selbstmordversuche oder ihre Fantasien bezüglich der Selbstmordart befragte. Die Parasympathen wählten fast ausnahmslos den passiven Ausweg – Schlaftabletten. Sie zogen es vor, auf einen langsamen, sicheren Tod zu warten. Es waren auch ausnahmslos diejenigen, die bei der Geburt betäubt worden waren. Übrigens würden es die am schwersten Betäubten vorziehen, sich bei laufendem Motor auf den Rücksitz eines Autos zu legen und sich von den Abgasen in den Tod befördern zu lassen. Eine andere Patientin, die im frostkalten Winter in Europa zuhause geboren wurde, wo es wenig warm war, zog es vor, in den Schnee hinauszugehen und zu erfrieren. Sie hörte, dass sei der friedvollste Weg aus dem Leben.

 

Im Gegensatz dazu wählten die Sympathen die aktivste Todesart: eine Kugel in den Kopf. Einer sagte: „Ich kann mir nicht vorstellen, herumzusitzen und auf den Tod zu warten wie diejenigen, die im Auto sitzen.“ Ein anderer Sympath sagte, dass Ertrinken zu lange dauere und die Erwartung zu viel Schrecken mit sich bringe: „Ich ziehe es vor, vor einen Zug zu springen. Es ist schnell und sicher.“ Bei der Geburt wurde er völlig „demoliert“, erlitt körperlichen Totalschaden, als er sich wand und drehte, um herauszukommen. Er weiß, dass es externe Rotation gab, weil er sich in der falschen Lage „präsentierte“ und neu ausgerichtet werden musste. Beide Sympathen wollten sich den Kopf mit einer Schrotflinte wegblasen, so dass es kein Warten sondern eine große Sauerei geben würde.

 

Das Erstaunliche bei allen diesen Leuten ist, dass sie feste Vorstellungen von ihrem Suizid hatten, die sich in ihren Geburten widerspiegelten, und sie zogen nie eine andere Art zu sterben in Erwägung.

 

Warum trifft das zu? Weil beim ersten und wichtigsten Mal, als das Baby dem Tod nah kam, er oder sie dennoch überlebten, und zwar durch eine Überlebensstrategie, die sie damals anwandten, durch Passivität oder Aggressivität. Die Formel sieht so aus:  Als es gegen Ende des Traumas Erleichterung von dem Gefühl der Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit gab, ergab sich die Erkenntnis, dass man leben wird. Aber der Mensch wird das Trauma im Leben immer wieder neu erschaffen, da er noch immer versucht, es zu meistern. Bei einigen Patienten trat das Gefühl auf, dass sie wieder anästhetisiert werden müssten (indem sie Schlaftabletten nahmen), um leben zu können. In den meisten Fällen geht der Versuch nicht dahin zu sterben, sondern zu leben. Man muss jedoch dem Tod nahekommen.

 

Eine Patientin, deren Geburt ein gewaltiger Kampf ums Herauskommen war und die damals in Flüssigkeit zu ertrinken drohte, hatte den Wunsch, bei schwerem Wellengang ins Meer zu gehen, gegen alle Widrigkeiten anzukämpfen und dann in den Ertrinkungstod zu gleiten. Sie suchte nach Betäubung, aber irgendwie war sie gezwungen, zuerst lange Zeit zu kämpfen; das Betäubungsgefühl sollte erst danach kommen. Es kam ihr nie in den Sinn, einfach Tabletten zu nehmen und sich zu betäuben. Ich sollte hier hinzufügen, dass viele Patienten, die ihre Geburt wiedererleben, tatsächlich Unmengen an Flüssigkeit hochbringen und zu ertrinken scheinen.

 

Natürlich spielen auch Gelegenheiten, Lebensumstände und kulturelle Sitten eine Rolle bei der Frage, welchen Weg aus dem Leben jemand nimmt. In Japan ist es vielleicht Selbstmord mit einem Dolch, den sich jemand in den Bauch stößt. Aber wir haben herausgefunden, dass es im Allgemeinen zutrifft, dass Leute beim Selbstmord so sterben, wie sie geboren wurden. Man stirbt auf die Art und Weise, wie man gestorben wäre, wenn das Geburtstrauma tödlich verlaufen wäre.

 

Aber bedenken Sie, dass es nicht nur das Geburtstrauma ist, dass den Selbstmord verursacht. Wenn man in der Kindheit nicht geliebt wird, verschlimmert und verstärkt das suizidale Tendenzen, die vielleicht bereits existieren. Eine suizidale Frau hatte den ständigen Impuls, sich einen Revolver in den Mund zu stecken und sich auf diese Weise zu töten. Sie hatte eine ziemlich normale Geburt, war aber in sehr jungem Alter oral vergewaltigt worden. Das Trauma wurde eingeprägt und verfolgte sie ihr ganzes Leben lang.

 

Andere hatten ähnliche Neigungen. Einer unserer Patienten zum Beispiel behauptet, dass ihm seine Eltern von früh auf den Mund mit Seife auswuschen, wenn er ein „schmutziges Wort“ von sich gegeben hatte. Das Trauma betraf seinen Mund, und der Weg aus dem Leben sollte über den Mund erfolgen. Genau auf diese Weise wollte er sich selbst bestrafen. Er hörte schon sehr früh im Leben auf, sich mit Worten zu äußern. Der Revolver sollte sagen, was er nie zu sagen wagte: „Ich bin schlecht, wertlos, mein Leben ist nicht lebenswert.“ Alle, die je eine Selbstmordfantasie hatten und sich noch erinnern, was sie war oder ist, haben eine ziemlich gute Vorstellung davon, welche Traumen ihnen bei oder um die Zeit der Geburt widerfuhren.

 

 

Andre

 

Ich habe vielleicht 10 Mal im Monat suizidale Anwandlungen, wobei ich das Gefühl habe, das Beste für mich sei, „jetzt“ zu sterben. Ich verbinde schwere Depression immer mit suizidalen Gedanken. Das Leben hat keinen Sinn mehr, und wenn der Druck intensiv wird, fühle ich nichts; es ist einfach Leiden. Ich möchte mich einfach zu Tode schlafen (Kurzfristig ist Schlaf eine Art Tod), oder dass mir jemand einfach die Augen schließt, so dass ich tot bin. Oft hoffe ich, dass jemand die letzte Energie aus mir heraussaugt. Dann bin ich frei. Die letzte Energie hält mich am Leben. Ich bin zu feige, um von einer Brücke zu springen oder mich zu erschießen. Ich möchte so passiv sterben, wie ich nur kann; einfach verschwinden. Ich handle so. Ich war und bin so. Die Leute behandeln mich, als würde ich nicht existieren. Meine Eltern behandelten mich so, und jetzt will ich nicht mehr leben, außer ich weiß, dass die Therapie allmählich diese Gefühle wegnimmt.

 

 

Fabio

 

Bei meinem ersten Selbstmordversuch war ich 17. Es geschah ganz plötzlich, als meine Freundin mir sagte, dass unsere Beziehung vorbei sei. Ich war „verrückt“ nach ihr und befand mich in einer chancenlosen Beziehung, wo sie von einem Jungen verwirrt war, den sie schon hatte! Auch meine Eltern steckten in einer chancenlosen Beziehung, die immer schlechter wurde; sie verließen einander und stritten sich die ganze Zeit.

 

In meiner Familie drohte immer der Selbstmord. Es fing damit an, dass meine Mutter eine große Menge Schlaftabletten nahm und ihrer Schwester einen Brief hinterließ, in dem stand: „Bitte pass’ gut auf meine zwei Kinder auf. Ich kann mein Leben so, wie es ist, nicht mehr ertragen.“ Mein Vater rannte die Tür ein und fuhr sie im Bruchteil einer Sekunde in die Notaufnahme. Ich war 11 Jahre alt. Von da an hatte ich sehr viel Angst, dass jemand in meinem Zimmer sein könnte. Ich legte mein Ohr  an die Tür, um auch das leiseste Geräusch zu hören.

 

Dann, im Alter von 17, war ich an der Reihe, als dieses Mädchen mit mir Schluss machte. Ich fühlte mich verlassen. Das war mehr Zurückweisung, als ich zu dieser Zeit verkraften konnte. Später fand ich heraus, dass es mit einer frühen Trennung von meiner Mutter in Verbindung stand. Ich nahm damals eine große Menge Schlaftabletten. Das hatte mit meiner Geburt zu tun, weil meine Mutter während der Wehen Beruhigungsmittel bekam. Ich schlitzte mir die Handgelenke auf, um den extremen Schmerzzustand, in dem ich mich befand, zu zeigen und zu rechtfertigen. Es sagte wirklich: „Was muss ich tun, damit du siehst, dass ich Hilfe brauche?“ Ich schrieb dann die Worte „Ich liebe euch alle“  auf meinen rechten Arm, damit meine Familie keine Schuldgefühle wegen meines Selbstmords haben würde.

 

Der Schmerz, den ich zeigen wollte, indem ich meine Handgelenke aufschlitzte, war das größte verdrängte Ereignis meines Lebens, das Ereignis, das ich nicht erkannte und niemandem erzählen konnte: Mein Onkel vergewaltigte mich vom Alter von 4 bis 9. Er vergewaltigte auch meine Schwester. Ich war mir dieser Vergewaltigung nicht bewusst, bis ich sie in der Therapie entdeckte. Ein Ergebnis der Therapie ist, dass ich die Schmerzüberlastung von mir genommen habe und mein Leben „normal“ leben kann. Ich denke jetzt nie an Selbstmord.

 

Alle Gefühle, die sich um den Selbstmord drehten, kamen plötzlich mit ihrer ganzen Intensität hoch, nachdem sie von einem schmerzvollen Ereignis ausgelöst  worden waren. Ich wusste nie, was es war, aber es brachte mich schrecklich durcheinander. Hätte ich die Verlassenheits- und Zurückweisungsgefühle aus meiner Kindheit fühlen können, hätte ich leben können, obwohl mich meine Freundin verlassen hatte. Alles, was ich mit dem Selbstmord versuchen wollte, war, den Schmerz zu töten. Leider schloss mich das mit ein.

_________

 

 

Eines der Schlüsselsymptome bei Depression ist Verwirrung. Wir haben entdeckt, dass depressive Verwirrung von frühen Ereignissen stammen kann. Bei einem Fall kam eine Patientin verwirrt in eine Sitzung; sie wusste nicht, was nicht stimmte, was sie tun oder wie sie fortfahren sollte. Ihr verwirrter Zustand stammte aus einer Geburtssequenz. Lassen Sie mich gleich klarstellen, dass ich mir das nicht ausgedacht habe; die Patientin erlebte eine Steißgeburt wieder, bei der alles schiefzulaufen schien. Davon wusste sie offensichtlich nichts. Es war lediglich so, dass dieses Ereignis einen Verwirrungszustand einprägte, der die Dinge zu klären schien, nachdem er wiedererlebt worden war. „Nach vier Monaten der Verwirrung, in denen ich darauf wartete, dass mir mein Freund mitteilen würde, wie er emotional zu mir steht, beschloss ich, einen Brief zu schreiben, der unsere Beziehung beenden sollte. Ich kämpfte tagelang mit diesem Brief.  Mir war, als würde ich schrecklich kämpfen, um meine Verwirrung und mein Leiden zu beenden. (Später fand ich heraus, dass ich um mein Leben kämpfte und zu verstehen versuchte, was los war.) Ich schien nie zu verstehen, was los war. Wenn ich zur Arbeit ging, überkam mich totale Verwirrung und Übelkeit. Ich rannte ins Primal Center. Ich fing zu weinen an, wusste nicht, was ich tun oder fühlen sollte. Es war totale Verwirrung. Ich hatte immer versucht, meinen Freund dazu zu bringen, dass er alles ausknobelt. Ich möchte, dass er unsere Situation analysiert und zu einem vernünftigen Schluss kommt. Dann weinte ich wie eine 5-jährige. Ich war in der Schule und wartete darauf, dass meine Mutter kommt. Sie vergaß, mich mitzunehmen, und ich war verwirrt. Sie war nie für mich da, und ich habe nie verstanden warum. Dann glitt ich hinab zu einer eigenartigen Geburt; alles war rückwärts und ein großes Durcheinander. Ich konnte nichts verstehen. Durch die Anästhesie war ich völlig außer Gefecht gesetzt und kam da wie besoffen raus. Mir war, als wüsste mein Körper nicht, wohin er gehen oder was er tun sollte. Das alles verstärkte sich noch, weil meine Eltern mir nie etwas erklärten. Ich spürte den Schrecken des Todes, als die Geburt begann. Ich habe immer Führung gebraucht. Ich wollte sie von meinen Eltern und dann von meinem Freund – dass er mir sagt,  was wir mit unserer Beziehung machen sollen. Zm ersten Mal in meinem Leben habe ich einen klaren Kopf und kann beenden, was ich begonnen habe. Ich vermute, wer immer das liest, wird denken, ich sei verrückt, aber sobald jemand das fühlt, was ich gefühlt habe, denkt er oder sie das nicht mehr.“

 

Weil die Einprägung so früh war und so tief im Gehirn weit unterhalb von Gedankenprozessen aufgezeichnet wurde, ist klar, warum sie immer verwirrt war und mit ihren Gedanken nichts herausfinden konnte. Sie war ständig im Griff des präverbalen Gehirns, wo Worte und Gedanken nicht existierten. Wenn sie in London eine Straße finden wollte und auf den Plan in der U-Bahn schaute,  war sie geistig völlig blockiert und konnte nicht herausfinden, wohin sie fahren musste. Eine Möglichkeit, ihrer Verwirrtheit ein Ende zu setzten, bestand darin, mit der Sinnsuche aufzuhören und etwas zu fühlen, dass keinen Sinn hatte. Dann klärte sich ihr Verstand dialektisch. Sie hatte immer Freunde, die ihr gegenüber ambivalent waren. Sie waren wie ihr Vater, der immer für Chaos sorgte. Ihr Vater steckte finanziell immer in Nöten. Er trank, schrie und handelte unvorhersehbar. Er war inkonsequent, und sie wusste nie, was von ihm zu erwarten war. Ihr subtiles Ausagieren bestand darin, alles übertrieben ausführlich zu erklären, so dass die Leute nicht verwirrt wären. „Vorher war ich jedes Mal völlig verwirrt, wenn ich eine Entscheidung treffen musste, und wenn es auch nur im Lebensmittelladen war. Ich wartete immer darauf, dass ein anderer die Entscheidung treffen würde (sogar wenn es ums Bestellen im Restaurant ging). Es war schrecklich, weil es immer die Entscheidung von anderen war, als ob die mein Leben leben würden. Immer das zu tun versuchen, was andere wollen, ist keine Lebensweise.“

 

Ihre Einsicht in ihr Kontrollverhalten gegenüber Freunden lautete, dass die sie dadurch nicht mit zu vielen Informationen füttern und sie somit nicht überwältigen würden. Es gab tatsächlich Kindheitsprobleme, die bei ihrer Verwirrtheit eine Rolle spielten (die Weigerung ihrer Eltern, sie zu führen), aber die Tendenz zur Verwirrtheit bestand so lange, bis sie tiefen Zugang hatte. Was sie entdeckte, war, dass Verwirrung keinen Sinn ergibt. Es gab das Gefühl. Was mit ihr geschah, ergab keinen Sinn. Ihre Schlussfolgerung: „Vor dreißig Jahren hatte mich eine Droge, die man meiner Mutter verabreichte, der Fähigkeit zu verstehen beraubt. Jetzt ist mir alles so klar.“ Für sie lag die einzige Möglichkeit, die Verwirrung zu beenden, darin, sie im Originalkontext zu fühlen, als alles begann. Wir wissen, dass die stimulierenden Neurohormone, die Katecholamine, ihre Axone aus der Tiefe des Hirnstamms (aus dem locus caeruleus) zum frontalen Kortex senden. Auf diese Weise und auf andere können tief im Gehirn liegende Einprägungen Denkprozesse beeinflussen. Eine andere Art, das auszudrücken, ist, dass primitivere, ältere Hirnstrukturen sich auf die sich später entwickelnden, komplexeren auswirken. Wenn wir sehen, wie sich Evolution entfaltet, lässt sich leicht verstehen, wie alte tiefe Kindheitserinnerungen unser Verhalten als Erwachsene beeinflusst. Umgekehrt blockieren bestimmte Beruhigungsmittel, Chlorpromazin und andere Antipsychotika, die Katecholamin-Aktivität. Sie beruhigen uns, indem sie alte Traumen und fehlende Liebe in der frühen Kindheit zeitweise von unserem gegenwärtigen Verhalten und Denken abtrennen. Wir können unsere Geschichte ignorieren und einfach weitermachen, aber wir können sie nicht eliminieren. Beruhigungsmittel helfen uns dabei, unsere Geschichte zu kontrollieren.

 

 

Reba

 

Wenn ich in einer suizidalen Gemütsverfassung bin, ist der Gedanke, mich selbst umzubringen, die Reaktion auf nahezu jeden Gedanken und jede Situation in meinem Leben. Ich habe das Gefühl, dass es mich nicht gibt, nie gegeben hat und nie geben wird. Das Leben ist Qual, ich kann es keinen Augenblick länger ertragen, und es gibt keinen Grund, warum ich es sollte. Und es wird einfach alles immer schlimmer. Weil mir das Schlimmste durch den Kopf geht, fällt es mir schwerer, die einfachen Dinge zu tun, wie aufzustehen und zur Arbeit zu gehen (Ich reinige Apartments). Ich liege auf den Betten der Leute und weine, möchte ihr ganzes Geschirr auf dem Küchenboden zertrümmern, ihren Abfall ins Schwimmbecken werfen, und ich kann nicht glauben, dass ich es nicht einfach tue und gehe, zumal ich am nächsten Tag wahrscheinlich tot sein werde, und gewiss bevor ich den Scheck bekomme, der mich für das bezahlt, was ich gerade mache.

 

Die Abwärtsspirale bemächtigt sich meines Lebens, und ich kann keinen Ausweg sehen, kann nicht erkennen, dass es noch etwas anderes geben könnte. Und was ich tun muss, ist funktionieren und das Geld für die Therapie verdienen, die entsetzlich ist. Es ist reine Qual, ohne Aussicht auf Erleichterung. Die einzige Erleichterung ist der Tod. Ich möchte einfach verschwinden, wenn die Gefühle stark sind. Einfach in den Sonnenuntergang fahren und aufhören zu sein, schreiend mitten auf die Straße laufen und einfach dort bleiben, bis sie kommen und mich wegbringen. Wo ist „weg?“ In meinen Träumen, es ist Vergessen; es existiert nicht, und auch mich gibt es nicht.

 

Ich weiß, dass alles, was ich tue, für mich das Falsche ist; es wird mir nicht helfen, es wird mich einfach immer weiter von mir selbst wegbringen. Also muss ich anhalten und umkehren; etwas ganz anderes machen, was ich nie zuvor gemacht habe. Ich habe das Gefühl, dass ich mit allem, was ich tue und nicht tue, anderen einfach beweisen will, dass ich am Leben bin, dass ich existiere. Und wenn ich jemals leben soll, muss ich ganz damit aufhören, es für die anderen zu tun, einschließlich zu atmen.

 

Als ich dieses Paradox entdeckte, dass ich nur dann leben könnte, wenn ich aufhören würde, für andere zu leben, und dass mir das nur gelänge, wenn ich sterben würde,  war ich mir sicher, dass ich mich umbringen würde. Ich machte mich auf, andere davon zu überzeugen, dass es unvermeidlich sei, dass ich Selbstmord begehen werde.

 

Ich dachte, falls ich mich umbringen würde, dann wäre es mit Tabletten. Und ich würde sicher gehen, genug davon zu nehmen, um zu sterben, weil der Gedanke, als hirngeschädigte, unversicherte, illegale Fremde in einem amerikanischen Krankenhaus aufzuwachen, absolut mehr war, als ich ertragen konnte.

 

Über Selbstmord zu reden ist für mich wie um Hilfe bitten. Aber was ich wollte, war jemand, dem ich vertraute – entweder einer meiner zwei Therapeuten oder mein Ex-Freund – die sich bereit erklären würden, mich zu halten, wenn ich sterbe. Dann hätte ich keine Angst und würde es nicht bereuen.

 

Ich bin jetzt seit einiger Zeit nicht mehr suizidal, aber während ich das schreibe, ist mir, als könnte einer von ihnen zu mir sagen: „Du hast Recht, es gibt keine Hoffnung für dich, aber ich werde für dich da sein, wenn du stirbst, und ich werde dich in meine Arme nehmen und dir sanft sagen, das alles in Ordnung ist.“ Falls sie das zu mir sagen sollte, würde ich mich jetzt umbringen und den Kampf aufgeben.

 

Ich möchte einfach einschlafen und nicht jeden Morgen aufwachen und mich fragen, warum ich noch lebe, zumal sich mein Leben wie ein grausamer Scherz anfühlt, den jemand mit mir treibt. Ich bin mir nie sicher, warum ich aufwache, denn es scheint, dass kein Leben, kein Lebenstrieb in mir ist. Ich bin eine leere Hülle, und ich weiß nicht, was mich weitermachen lässt.

 

Meine Selbstmordfantasien unterscheiden sich sehr von dem, was ich wirklich planen und ausführen würde. In meinen eher verzweifelten, gewaltsamen Augenblicken möchte ich mich mit einem sehr scharfen Messer ins Herz stechen, meine Handgelenke mit Glas aufschlitzen, das ich selbst zerbrochen habe. Diese Methoden wären ein befriedigenderer Ausdruck meines Schmerzes, aber sie erschrecken mich, und ich weiß, dass ich sie nicht voll durchziehen könnte. Ich stelle mir vor, mir meine Augen auszustechen und meinen Hals durchzuschneiden, so dass mein Kopf zu Boden fällt.

 

Mir ist nicht ganz klar, wie sich Gewaltfantasien auf meine Geburt beziehen. Ich denke, es ist einfach ein Bedürfnis, meinen Schmerz auszudrücken. Bei meiner Geburt wurde ich von der Nabelschnur gewürgt. Es war schmerzvoll, erschreckend, und ich entschloss mich schließlich, den Kampf aufzugeben und auf den Tod zu warten. Irgendwie haben sie mich lebend rausgekriegt. Aber ich hatte beschlossen zu sterben, und das ist die Antwort, die sich mir aufdrängt, wann immer das Leben mich überfordert. Ich entschied mich, einfach aufzugeben und erwartete nie, aufzuwachen und noch zu leben. Ich musste mit meinen Bemühungen aufhören. Hätte ich weitergekämpft, wäre ich bestimmt gestorben.

Etwa eine Woche lang glaubte ich wirklich, dass ich mich sehr bald umbringen würde, wenn mir das Geld ausginge. An jenem Wochenende klammerte ich mich um mein liebes Leben an einer Felswand über einem Wasserfall fest, in den ich gesprungen war. Ein paar Jungs mussten mich retten. Hinterher erkennte ich, dass ich die ganze Zeit nicht ans Sterben dachte sondern ans Überleben, dass ich leben wollte. Es war ein Wendepunkt, an dem ich begriff, dass ich mich für das Leben entscheiden würde.

_______

 

 

Vivians Geburtstraum

 

Eine andere Patientin von mir hatte eine Lebensgeschichte, die veranschaulichte, wie die Ereignisse bei der Geburt und am Lebensanfang später die Art und Weise beeinflussen können, wie sich jemand umbringt.

 

Vivian wurde mitten im Winter in Polen geboren. Ihre tief verdrängende und asxuelle Mutter konnte sich nicht öffnen. Das Baby signalisierte durch die Freisetzung von Hormonen seine Bereitschaft, auf die Welt zu kommen. Die Mutter war jedoch für diese Botschaft nicht empfänglich. Etwas in ihr kämpfte gegen das Unvermeidliche. Das Neugeborene glitt mit offensichtlicher Leichtigkeit den Geburtkanal hinab. Anstatt die Sequenz zu beenden und geboren zu werden steckte Baby Vivian plötzlich fest und begann zu ersticken. Sie fing an zu sterben. (Sie erlebte diese Primärerfahrung in einer Therapiesitzung wieder). Bei einer letzten großen Anstrengung, mit der sie versuchte, geboren zu werden und Luft zu bekommen, kämpfte sie mit jeder Faser ihres Seins. Ihr Überlebensinstinkt nahm die Form einer enormen Wut an, die sie mit aller Macht vorwärtsdrängen ließ. Anfangs scheiterte sie und konnte nicht hinaus, worauf sie mit noch mehr Wut und Anstrengung reagierte, bis sie schließlich Erfolg hatte: Sie war geboren. Von da an entwickelte Vivian ein totales Misstrauen gegenüber ihrer Umwelt. Das artikulierte sich erst viele Jahre später, weil es eine neurophysiologische Einprägung war, die ihren passenden Ausdruck im Alter von 20 fand. Aus dieser Erfahrung heraus entwickelte sie ein übermäßiges Bedürfnis nach Freiheit, das später auf Unterdrückung im Elternhaus stieß. Nichts sollte ihr im Weg stehen. Das führte zu ständigem Streit  mit ihren Eltern, und ihre Wutanfälle wurden immer bestraft. Es ist keine Überraschung, dass sie in der Schule keine Disziplin akzeptieren konnte. Das Ergebnis waren schlechte Noten. Für Vivian symbolisierte jedes Hindernis den Tod. Das erlebte sie nicht bewusst sondern unbewusst. Dann heiratete sie einen strengen Vorgesetzten, der ihr untersagte, nachts auszugehen, jeden ihrer Schritte überwachte und sie genau beobachtete. Die Einprägung und die Kraft ihrer Geburt zwangen sie, zwischen sich und ihrem Mann eine gewisse Distanz zu schaffen. Sie hatte keine Ahnung, welche Kraft sie trieb.

 

Der andere Aspekt ihrer Geburt, der ihr Verhalten beeinflusste, war, dass sie davonlief, wenn sie das Gefühl hatte, irgendwo festzustecken, sei es im Beruf, in Beziehungen oder sonstwo. Immer wenn sich ein Hindernis in den Weg stellte, bekam sie eine Migräne (die von einer eingeprägten Erinnerung reduzierten Sauerstoffs bei der Geburt herrührte). Ein weiterer Aspekt der Geburts-Einprägung war die Hilflosigkeit und Einsamkeit, die sie ihr ganzes Leben lang fühlte. Jeder Kampf war etwas, das sie aus eigener Kraft bewältigen musste, und dennoch schien alles vergebens. Die Widrigkeiten schienen gewaltig. Ihre Mutter half ihr nicht, auf die Welt zu kommen, und aus dieser Erfahrung erhielt sie die physiologische Lektion, dass kein Mensch für sie da sein würde, wenn sie jemanden bräuchte; auch das alles artikulierte sich erst zwei Jahrzehnte später.

 

Sie erwartete von niemandem was, als sie aufwuchs, und das verstärkte sich durch ihre strengen, lieblosen und unnachgiebigen Eltern. Die Wahrheit war, dass ihre Mutter sie nicht wollte. Ihre Eltern freuten sich nie über ihre Anwesenheit, „schätzten“ sie nie und gaben ihr das Gefühl, dass der einzige Grund ihrer Existenz darin bestand, ihre Befehle entgegenzunehmen. Das Gefühl in ihrer Kindheit war, dass ihre Existenz ein großes Versehen war. Sie wollten sie einfach nicht um sich haben und sagten zu ihr: „Alle wären viel besser dran, wenn sie nicht geboren worden wäre.“ Alles, was sie in ihrem Leben wollte, war, sich geliebt zu fühlen. Wegen dieser Erwartung heiratete sie, um bald darauf enttäuscht zu werden.

 

Vivians Gefühl war, dass sie in dem Augenblick, in dem es in einer Beziehung Kummer gab, „hinaus musste,“ Wenn sie nicht hinaus konnte, war ihr, als müsse sie sterben (so, wie sie sich ursprünglich während ihrer Geburt gefühlt hatte). Sie behauptete, ihr Mann gebe ihr das Gefühl zu ersticken: „Er lässt mir keine Luft.“ In ihrer Ehe ließ sich ihr Mann zu irrationalen Beschimpfungen hinreißen und schlug sie. Sie musste hinausgelangen.

 

Um wegzukommen ging sie zum Beispiel mit ihrer Freundin ins Kino. Aber ihr Ehemann hielt sie auf: „Du gehst nirgendwohin!“ Sie ging zur Tür, und er packte sie und warf sie auf die Couch. Sie war dann hilflos, fühlte sich ungeliebt und allein, und es gab niemanden, der sie verstehen oder ihr helfen konnte. Das waren alles die Originalgefühle und –empfindungen, die sie bei der Geburt hatte und die später in die Emotionen des Lebens einflossen. Was also machte sie? Den logischsten nächsten Schritt:  Sie nahm Tabletten und versuchte sich umzubringen, und dann fiel sie in ein Koma und blieb darin drei Tage lang.

 

Ihr Mann löste alle frühen Einprägungen aus, und die Sequenz lief ab: „Wenn ich nicht hinaus kann, sterbe ich.“ Das stimmte ursprünglich bei ihrer Geburt. Dann hatte sie unbewusst das Gefühl: „Ich werde sterben wie ursprünglich bei der Geburt.“ Also nahm sie Tabletten, welche die Empfindungen nachahmte, die sie bei der Geburt erlebt hatte: Aussetzen der Atmung, dann Ersticken und Tod. Der Tod sollte das Ende ihrer Qual darstellen. Diese Gleichung blieb als physiologische Einprägung in ihrem System. Wenn sie die Sache nicht mehr im Griff hatte und der Schmerz unerträglich wurde, wollte sie sterben. Die Lösung war dieselbe wie beim Geburtserlebnis. Sie hatte keine Ahnung, welche unbewussten Kräfte sie steuerten. Sie war total auf die Gegenwart konzentriert und dachte, dass ihr Ehemann der einzige Grund von allem war. Er gab ihr wieder das Gefühl, das dickköpfige, schwierige Kind zu sein, das keiner lieben kann. Sie war machtlos gegenüber diesen eingeprägten Ereignissen. Also nahm sie buchstäblich ihr Leben (und ihren Tod ) in ihre Hände.

 

 

Wann die Gefahr am größten ist

 

Oft hören wir den Begriff „suizidale Depression.“ Aber tiefe Depression involviert normalerweise systemweite Verdrängung der Geburt und anderer früher Traumen von solcher Größe, dass sie den Menschen lähmen können. Die Person ist lethargisch, kann kaum atmen, die Arme heben oder herumgehen – alles parasympathische Originalreaktionen, die das Trauma begleiten. Solange tiefe Verdrängung wirkt, ergibt sich daraus tiefe Depression ohne Selbstmord; Erregung wird unterdrückt, und es gibt wenig Handlungsenergie. Tatsächlich ist die Person dann in größter Gefahr, wenn sie sowohl deprimiert als auch agitiert ist. Obgleich tiefe Depression die für den Selbstmord nötige Energie erschöpft, kann Agitation genug Motivation und Energie liefern, um die Handlung auszuführen. Somit wäre „suizidale Agitation“ ein zutreffenderer Begriff. Sie beinhaltet ein Erregungsniveau, das ein gleich großes Eregungsniveau aus dem Geburtstrauma auslöst. Dem chronisch Depressiven widerfährt etwas, das das Trauma ins Bewusstsein aufsteigen lässt und Selbstmordgedanken mit sich bringt. Wenn der Schmerz nur ein bisschen durchbricht und sich ins volle Bewusstsein bewegt, durchdringt Hoffnungslosigkeit die Psyche. An diesem Punkt besteht die Gefahr, dass der Mensch zum Äußersten fähig ist, und der Tod wird zu einer Möglichkeit.

 

Wir haben in unserer Hirnwellenforschung Indikatoren für diese potentiell tödliche Kombination gesehen. Wenn Depression und Agitation zusammenfallen, ist sowohl die Amplitude als auch die Frequenz der Hirnwellen extrem hoch. Wenn in der Primärtherapie die Amplitude signifikant ansteigt, verlangsamen sich die Wellen in der Regel, was anzeigt, dass die Person sich tiefliegendem Schmerz nähert. Wenn aber der Schmerz aufsteigt und die Verdrängung nicht richtig funktioniert, besteht die Gefahr von Selbstmord.

 

Wie ich vorher gesagt habe: Wenn wir einer guten Geburt eine liebevolle Familie hinzufügen, in der die Eltern sich sorgfältig um die Bedürfnisse des Kindes kümmern und ihre Liebe durch eine Kultur zeigen, die den Ausdruck von Gefühlen erlaubt, werden wir die Selbstmordrate reduzieren.

 

Damit der Mensch weiterhin einen Grund findet, um am Leben zu bleiben, und nicht zu suizidalen Gedanken und Plänen zurückkehrt, muss er oder sie schließlich in einer geeigneten therapeutischen Umgebung die Gefühle erleben, die seiner oder ihrer Hoffnungslosigkeit zugrunde liegen. Der Patient muss gegenwärtige Verlustgefühle und Traurigkeit von alten Verzweiflungsgefühlen trennen. Nur Hoffnung zu spenden, ohne dass der Patient die Hoffnungslosigkeit fühlt, ist nicht heilsam. Das mag für den Moment hilfreich sein, aber es ist nur eine vorübergehende Erleichterung, denn die Fähigkeit des Menschen, der Depression und den suizidalen Neigungen ein Ende zu bereiten, liegt im Erleben der Hoffnungslosigkeit.

 

Glücklicherweise liegt ein Körnchen Hoffnung im Herzen der ursprünglichen Hoffnungslosigkeit. Nachdem jemand die völlige Hoffnungslosigkeit aus dem Geburtstrauma gefühlt hat, löst sie sich allmählich auf, sofern er oder sie sich in einem sicheren, warmherzigen Umfeld befindet. Der Mensch ist auf dem Weg zur Gesundheit, wenn es weniger schwer fällt zu leben als sich umzubringen.

 

 

Ende des Kapitels

 

 

 

 

 Buchübersetzung: Bücher von A. Janov