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DIE JANOV-LÖSUNG

THE JANOV SOLUTION  -  Lifting Depression Through Primal Therapy erschien 2007 bei SterlingHouse Books, Pittsburgh, PA 15218

© Copyright 2007 Dr. Arthur Janov

 

 

Kapitel 9

 

Depression und Angst:

  Verschiedene Wege, um mit demselben Schmerz fertig zu werden?

 

 

     In evolutionärer Hinsicht ist Depression eine spätere Entwicklung als Angst. Angst, die in Wirklichkeit der Ausdruck verdrängten unbewussten Schreckens ist, kann sich im Gehirn des Fetus nach dem dritten Schwangerschaftsmonat bilden, wenn zwar die Schmerzbahnen im Nervensystem angelegt sind, die interne Opiatproduktion aber noch nicht voll funktioniert. Sie kann ihr Leben beginnen, wenn das viszerale System die höchste Ebene neuraler Organisation ist. Wenn also jemand ein Atmungsproblem hat, Schmetterlinge im Bauch, Druck auf der Brust und andere innere Schreckensreaktionen, müssen wir daran denken, dass der Ursprung vielleicht in der Zeit im Mutterleib liegt.

  Wenn wir verstehen, dass Depression die Wirkung von Verdrängung ist, erkennen wir auch, dass der Körper funktionierende Verdrängungssysteme eingerichtet haben muss, bevor sich Depression entwickeln kann. Somit muss das Alarmsystem des Körpers, das dem Überleben dient,  funktionieren, bevor die Mechanismen zur Kontrolle dieser Wachsamkeit einsatzbereit sind.

  Kurz gesagt existiert zuerst die Fähigkeit, voll auf Gefahr zu reagieren, bevor das Körpersystem so funktionieren kann, dass es diese Reaktion kontrolliert. Warum muss der Körper seine eigene Reaktion auf Gefahr kontrollieren? Weil die Reaktion an sich einen Schwall von biochemischen Substanzen im Körper freisetzt, der toxische Wirkung hat, wenn er zu lange andauert. Wenn also die Reaktion auf Gefahr selbst gefährlich wird, zum Beispiel erhöhte Vitalwerte wie schneller Herzschlag, dann muss der Körper ein System zur Verfügung haben, dass diese Funktion reguliert und den Herzschlag verlangsamt – ein Wächter in gewisser Hinsicht.

  Denken Sie an die Angstsymptome. Sie haben meistens damit zu tun, den Organismus viszeral zu elektrisieren: ein aufgewühlter Magen, schneller Herzschlag und hoher Blutdruck, Zittern, ein rasender Geist, die Unfähigkeit, ruhig zu atmen, Schlaflosigkeit, Schwitzen, diffuse Furcht oder diffuser Schrecken. Beinahe alle diese Funktionen sind bei der Geburt reif, was darauf hindeutet, dass das Trauma, das sie auslösen kann, zur Zeit der Geburt oder zuvor geschehen kann. Die Merkmale der Depression sind das Gegenteil: Stilllegung und Verlangsamung von allem, vom Energieniveau bis zu den Trieben, von der kognitiven Aktivität bis zu den Vitalfunktionen. Der Depressive redet vielleicht mit dumpfer, monotoner Stimme, während die ängstliche Person vielleicht mehr Klang oder Leben in ihrer Stimme hat. Bei der ängstlichen Person hat die Verdrängungsfähigkeit viele Löcher, und das ist das Problem. Ihre Schleusen im Gehirn funktionieren nicht richtig (oft als „undichte Schleusen“ bezeichnet), so dass Schmerz und Schrecken die ganze Zeit ins Bewusstsein eindringen können. Der Depressive wird nur dann ängstlich, wenn seine Depression/Verdrängung der Aufgabe nicht mehr gerecht wird, Angst zurückzuhalten. So könnte bei einem Depressiven ein bestimmtes Ereignis, wenn zum Beispiel der Partner geht oder stirbt, eine Angstattacke hervorrufen oder schlimmer noch eine agitierte Depression.

 Depression und Angst sind nicht zwangsläufig sparate "Krankheiten;" sie sind Reaktionen auf unterschiedlichen Stufen der Persönlichkeitsentwicklung, die beide Schmerz und Furcht und ein gestresstes Nervensystem involvieren. Wenn wir Tiere untersuchen, scheint es, dass sie ängstlich sind, bis man sie einer Situation ohne Verhaltensoptionen aussetzt, in der sie dann Symptome von Depression zeigen. Man hielt Ratten auf einem glitschigen Abhang über einem Wassergraben gefangen. Wenn sie erschöpft waren, fielen sie ins Wasser. Nach kurzer Zeit konnten sie sich nicht mehr bewegen und waren nicht mehr neugierig und abenteuerlustig. Sie schienen deprimiert.

Da die Symptome von Angst und Depression so unterschiedlich scheinen, ist man versucht, sie als zwei unterschiedliche Krankheiten zu bezeichnen. Aber die Tatsache, dass hemmende Medikamente sowohl bei Depression als auch bei Angst helfen können, zeigt, dass es einfach verschiedene Wege sind, die der Körper beschreitet, um mit derselben Art Schmerz umzugehen. Medikamente können bei beiden Zuständen helfen, aber aus verschiedenen Gründen. Bei Angst geht es darum, die Löcher im Deich zu stopfen, um den Schmerz daran zu hindern, ins volle Bewusstsein durchzusickern. Bei Depressiven besteht die Wirkung darin, einen Teil der Arbeit zu übernehmen, so dass der Körper nicht so sehr mit Verdrängungsarbeit belastet wird. Der Körper fühlt sich besser, weil er nicht alles selbst machen muss.

Der Depressive sagt oft zum Therapeuten: „Ich schaffe es einfach nicht. Ich stecke fest.“ Und der Therapeut ist warmherzig, macht ihm Mut und sagt: „Doch, Sie schaffen es.“ Der Therapeut beschönigt unwissentlich das reale Gefühl des Patienten, das die Einprägung ist. Die Einprägung, die sich als Gefühl von „Ich stecke fest, ich schaffe es nicht“ ausdrückt, regiert, weil der Mensch diese Einprägung und Prägung nicht ändern kann, ganz gewiss nicht, indem er mit einem Therapeuten redet. Niemand hat sich die Einprägung ausgedacht. Sie gehört zum Geburtserlebnis.

  Damit Psychotherapie wirken kann, müssen wir das Herz des Gefühls  - „Ich schaffe es nicht“ – nehmen und es zu seinem Ursprung im Hirnstamm zurückverfolgen; genau das macht Primärtherapie. Wenn wir einfach versuchen, eine Patientin durch eine Gesprächstherapie-Sitzung davon zu überzeugen, dass sie es schaffen kann, erweitern wir den Spalt zwischen ihrem Verstand und ihren Gefühlen. Ihre Gefühle sind real und Teil ihrer Neurophysiologie. Aber in der Psychotherapie müssen wir darauf achten, dass wir nicht zum Anfeuerer für den Patienten werden und nicht einfach versuchen, durch verbalen Trost dafür zu sorgen, dass er oder sie sich besser fühlt. Der Patient schätzt unsere Aufmunterung, blüht auf, will noch mehr davon und entfremdet sich jeden Tag mehr von sich selbst. Er wird dadurch nicht gesünder. Und was ist „gesünder“? Man selbst zu sein, im Einklang mit den eigenen Gefühlen zu stehen; gesünder kann kein Mensch sein. Unsere verbale Ermutigung jedoch macht Patienten nicht „zu sich selbst,“ und wenn wir uns nur auf freundliche Worte verlassen, werden sie nicht im Einklang mit ihren wirklichen Gefühlen stehen.

  Als Psychotherapeuten wollen wir in dem Maß die guten Eltern für die Patienten sein, in dem sie das von uns wünschen. Wir wissen, dass Eltern ihre Kinder ermutigen und unterstützen sollten. Aber die Gefühle sind ins System des Patienten eingraviert worden; danach ist es zu spät, um durch den Gebrauch freundlicher Worte und verbaler Aufmunterungen leicht Veränderungen herbeizuführen. Das Zeitfenster der günstigen Gelegenheit hat sich geschlossen. Wenn wir das Postulat von kritischen Perioden in der Gehirnentwicklung ignorieren, in denen Kernsysteme des Gehirns erfordern, dass bestimmte Bedürfnisse – z.B. das Bedürfnis nach Körperkontakt – befriedigt werden, dann werden wir nie verstehen, warum Aufmunterung in der Gegenwart nicht funktioniert, auch wenn sie von einem Psychotherapeuten kommt. Noch wichtiger ist, dass diese Gegenwarts-Ermutigung den (von mir so genannten) Janovschen Spalt oder die Distanz zwischen den Gefühlen eines Patienten und seiner bewussten Psyche erweitert.

  Um diesen Punkt zu veranschaulichen, habe ich die „Sitzungs-Nachbemerkungen“ eines meiner Patienten eingefügt, ein Mann in den Vierzigern, der seit einiger Zeit depressiv war. Nachdem er ein Primal-Feeling erlebt hatte, setzte sich der Patient oft auf, und wir redeten über das, was er durchgemacht hatte, über seine Einsichten und Erklärungen, wie diese Gefühle ihn beeinflussten. Hier lesen Sie, was er zu sagen hatte:

 

 „Ich denke, was in der Therapie passiert, ist, dass ich ein ganz kleines Kind werde und dass also diese Teile meines Gehirns nicht arbeiten, die funktionieren sollten, weil sie sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht entwickelt haben. Anders gesagt kannst du nicht denken; du bist in einem Gehirn ohne Gedanken, und deshalb hat die Angst meine Fähigkeit vernebelt, etwas zu begreifen. Diese Gefühle kommen, bevor ich verbale Fähigkeiten hatte. Es kam mir nie zuvor in den Sinn, dass diese Sache, die ich Depression nenne, wirklich ein Gefühl ist; je näher ich ihm komme, umso größer wird es, und das ist der Grund, warum ich in letzter Zeit so deprimiert bin.

  Bei der Depression werde ich so müde, dass ich nicht denken kann. Ich bin lethargisch und will gar nichts tun. Ich weiß, dass ich bei der Geburt schwer betäubt wurde, und irgendwie scheine ich dorthin zurückzugehen. Ich glaube, dass ich diesem ursprünglichen Todesgefühl näher komme. Man hat mir gesagt, dass ich bei der Geburt klinisch tot war und dass sie alles getan haben, um mich wiederzubeleben. Ich beschreibe das Gefühl bei Depression so, als ob man halb schläft oder halb tot ist. Aber als jemand das „Dämmerschlaf“-Medikament Scopolamin erwähnte, fiel mir alles wieder ein. Mutter bekam eine schwere Dosis „Dämmerschlaf“ und ich als Baby bekam auch eine schwere Dosis ab. Ich habe eine Art Narkolepsie, bei der ich ohne Vorwarnung einfach einschlafe. Ich bin wieder in einer Art Dämmerschlaf. Das Gefühl, das ich erlebe, ist: <<Ich sterbe, und ich kann nichts tun. Nichts kann mich aus dieser Situation rausbringen.>> Das traf auf die Geburt zu, und es trifft auf meine Depressionen zu, die jene Zeit widerzuspiegeln scheinen.

Ich habe immer ausagiert, nach jemandem gesucht, der mich rettet. Ich baue Mist, und dann schaue ich mich um Hilfe um. Das Ergebnis ist, dass ich emotional sehr abhängig bin. Weißt du, es gibt eine Menge emotional toter Leute, die jemanden suchen, der sie rettet, und sie fallen leicht in eine Depression. Ich wurde so betäubt geboren, und jetzt warte ich auf Leute, die Leben in mich pumpen, Vorschläge machen, dass wir hierhin oder dorthin gehen, dass sie die Pläne für mein Leben machen, dass sie herumscherzen. Ich will, dass sie mich aus meiner Verstimmung herausholen.

Weil ich nicht aus eigener Kraft auf die Welt kommen konnte, war in meine Psyche eingeprägt, dass ich nichts selbst machen kann. Das war die Grundlage, dass ich kein Selbstvertrauen hatte. Ich hatte das Gefühl, dass ich nie erfolgreich sein könnte. Die Leute sagen mir, dass ich großartig bin, aber ich kann es nie fühlen. Ich habe immer das Gefühl, dass etwas schieflaufen wird, egal, wie gut ich etwas erledige. Und am Anfang war das natürlich so. Wenn du nicht leben kannst, ist das ein ziemlich großer Misserfolg. Ich schleppte immer dieses Weltuntergangs-Gefühl mit mir herum. Jetzt weiß ich, woher es kommt. Es war wie diese Karikatur, wo die schwarze Wolke über dem Kopf des kleinen Kerls hängen bleibt, egal, wohin er geht.

  Bestandteil meiner Depression ist auch, dass ich mich allein fühle. Es ist unbedeutend, ob ich in einem Haufen von 20 Leuten bin – ich fühle mich dennoch allein. Das scheint über mich hinwegzufegen. Für dieses Gefühl des Alleinseins gibt es verschiedene Zeiten und Zusammenhänge. Ich wurde als Baby gleich nach der Geburt und die meiste Zeit meiner Kindheit allein gelassen. Meine Eltern waren nirgendwo zugegen, und ich war mir selbst überlassen. Ich hatte immer dieses Gefühl, aus meiner Mutter herausgeschnitten worden zu sein (er hatte eine Kaiserschnitt-Geburt - A.J., und jetzt bin ich nie für irgendwas bereit. Ich plane Tage im Voraus, wenn ich eine Reise mache. Ich konnte einen Urlaub nicht nehmen wegen der Angst, da ich dieses Gefühl hatte, dass ich es nie zurück schaffen würde. Das war das Geburtsgefühl, das wieder hochkam, wie in die Hölle zu fahren ohne Wiederkehr.

  Es ist so ein Gefühl, das ich nie mit Worten ausdrücken konnte......ich schaffe es nicht aus eigener Kraft. Meine Eltern gaben mir dieses Gefühl....es war alles so hoffnungslos von Anfang an, und das ist ein dicker Brocken von der Depression – die Hoffnungslosigkeit. Es gibt keinen Ausweg, nichts, was ich tun könnte. Gleich, was ich tue, nichts wird sich ändern, weder in meiner Kindheit noch am Lebensanfang. Ich konnte das Gefühl nie abschütteln, dass etwas mit mir nicht stimmt. Aber keiner wusste, was zu tun war, um mir zu helfen, weil niemand wusste, was – falls überhaupt- nicht stimmte.

  Ich glaube, was Primärtherapie getan hat, ist, dass sie meine Chemikalien neu eingestellt hat, vielleicht die Sollwerte meines Dopamins und Serotonins. Mit Drogen wie Kokain fühlte ich mich besser, wie normal. Meine Hirnsubstanzen waren alle nicht in Ordnung. Die Drogen haben dieses Gefühl beendet, dass etwas mit mir nicht stimmt. Die Drogen normalisierten meine Hirnsubstanzen und dann hatte ich nicht mehr das Gefühl, dass mit mir etwas nicht stimmt.“

 

  Es ist bemerkenswert, dass dieser Patient alle seine Einsichten – und mehr – aus einer einzigen Sitzung erhielt. Seine Gefühle erklärten so viel. Für mich als Therapeut blieb da wenig zu tun. Er artikulierte seine Erlebnisse und die Wirkungen dieser Erlebnisse so gut, dass er mich der Chance beraubte, brillant zu sein. Es fällt einem Therapeuten nicht leicht, die Kontrolle über die Therapie aufzugeben und auf seine Weisheiten zu verzichten, aber der Patient ist auf dem Weg, ein bewusstes Leben zu führen. Das ist die Bedeutung eines bewussten Lebens: nicht länger vom Unbewussten gelenkt und getrieben werden. Keine Gereiztheit, Ungeduld und keine Unfähigkeit mehr, still zu sitzen und sich zu entspannen. Keine Weltuntergangsgefühle mehr; sie gehörten zu einem bestimmten Ereignis, das er sein ganzes Leben mit sich schleppte.

  Solche Einsichten bleiben vielleicht jahrzehntelang wort- und begrifflos. Wir können uns hoffnungslos fühlen und keinen Begriff dafür haben, wir können aufgeben, ohne eine Idee zu haben, warum das so ist, und wir können von solchen Gefühlen beherrscht werden, lange bevor wir erkennen, was sie sind. Ich erinnere mich, dass ich in meiner Zeit als Psychoanalytiker Patienten sagte, sie hätten eine „maskierte Depression,“ weil sie nicht einmal wussten, dass sie deprimiert und ohne Hoffnung waren. Nichtsdestotrotz finden es Patienten in einer primärtherapeutischen Sitzung selbst heraus und fühlen die frühe Hoffnungslosigkeit, die nahezu immer ein Signal dafür ist, dass die Körpertemperatur bei der Geburt niedrig war; schließlich kommen sie langsam aus ihrer Depression heraus.

  Bei der Geburt erzeugte Depression ist ein Zustand, der sich durch traumatische Erfahrungen während der ersten drei Lebensjahre nach der Geburt verstärken kann, wenn man zum Beispiel in einem gefühlskalten, diktatorischen häuslichen Umfeld aufwächst. Nicht immer ist es einfach so, dass Eltern vielleicht die Gefühle eines Kindes durch strikte Disziplin unterdrücken; ein Trauma kann auch weitergegeben werden, wenn die Eltern emotional nicht präsent sind. Das Ergebnis ist für das Kind, das seine Gefühle niemandem mitteilen kann, dasselbe. So wird das Kind zu einem Erwachsenen und fühlt sich abermals hilflos und hoffnungslos.

 

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Ende des Kapitels

 

 

 

 

 Buchübersetzung: Bücher von A. Janov